Nyikos-Geschichte
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73.<br />
Das parlamentarische System verleiht jedem citoyen eine Stimme, es macht sie zu<br />
Bürgern, auch wenn sie mehrheitlich gar keine wirklichen Bürger, d.h. Bourgeois, sind.<br />
Infolgedessen werden alle (sofern sie Staatsbürger sind) in der Sphäre des Staates als<br />
Gleiche behandelt, auf eine Stufe gestellt, die Macht jedoch, über die sie in der profanen<br />
Welt unterhalb des Staates verfügen (in der "bürgerlichen Gesellschaft", wie sie Hegel<br />
genannt hat), ist mehr als verschieden: Die einen sind Kapitaleigentümer, die den<br />
Produktionsapparat kontrollieren, die anderen dagegen haben nichts als ihr<br />
Arbeitsvermögen zu eigen, das, losgelöst vom Produktionsapparat, keinen Gebrauchswert<br />
besitzt. Hinter der Fassade der Wahlen verschwindet mithin die fundamentale Differenz<br />
der Gesellschaft, verschwinden die Klassen, verschwindet das Oben und Unten, wird es<br />
verdeckt und verschüttet. Und auch hier wirkt das so kanalisierte Verhalten – die<br />
Teilnahme an Wahlprozeduren – auf das Bewußtsein wieder zurück: "Ich wähle, also ist<br />
die Gesellschaft eine Gesellschaft von Gleichen." 226<br />
74.<br />
Insofern als die Sphäre der Konsumtion der Manipulation leichter zugänglich ist als die der<br />
Produktion, ist es jene, die als der privilegierte Ort der ideologischen Praxis erscheint: der<br />
Modulation der Oberflächendimension des Realen. Kult, Ritual, Zeremonien, Architektur,<br />
Essen, Trinken, Kleidung, Design – das ist das bestimmte Terrain, auf dem sich<br />
ideologische Praxis vor allem vollzieht.<br />
Die Sphäre der Konsumtion ist zwar nicht identisch mit der Oberflächendimension der<br />
Gesellschaft – auch die Produktionssphäre kennt eine solche –, allein, in jener sind die<br />
Subjekte im Gegensatz zu dieser in ihrem Handeln bis zu einem bestimmten Punkt<br />
autonom, so daß ihr Handlungsspielraum hier in der Regel viel größer sein wird.<br />
Auf einem bestimmten technologischen Niveau etwa ist es eher nicht angebracht, den<br />
Arbeitsprozeß im Sinne des "Bildes der Welt" abzuändern (die Aussaat etwa im Sommer<br />
und nicht im Frühjahr oder im Herbst vorzunehmen, wenn dies dazu dient, das "Bild von<br />
der Welt" zu bestärken), während, wenn ein Regentanz so oder anders getanzt wird, dies<br />
offenbar keinerlei Auswirkungen auf den Ernteertrag zeitigen wird.<br />
Es ist somit die Konsumtionssphäre, in der sich ideologische Praxis bevorzugt<br />
niederschlägt, insofern als hier die Gefahr, daß die Konsequenzen, die solche<br />
Modulationen nach sich ziehen können, fatal sind, sich als viel geringer als in der<br />
produktiven Sphäre erweist. Sollte jedoch eine Modifikation der Produktion im Sinne des<br />
"Bildes der Welt" gefahrlos durchzuführen sein, dann wird auch diese, wie wir schon<br />
sahen, munter ideologisch manipuliert.<br />
75.<br />
Für jede Gesellschaft gilt ausnahmslos, daß das "Bild von der Welt" nur so weit auf das<br />
Reale einwirken kann, wie dies den Lebensprozeß nicht zerrüttet. Ist also das Niveau der<br />
Produktivkräfte niedrig und daher das gesellschaftliche Surplus gering, so ist auch der<br />
Spielraum für ideologische Manipulationen, wie zu erwarten, bescheiden; erhöht sich<br />
dagegen das Produktivkraftniveau, wächst das Surplus mithin, dann erweitert<br />
dementsprechend sich auch der Spielraum für die Anpassung der Erscheinungsform des<br />
Realen an das "Bild von der Welt".<br />
226<br />
Die Gleichheitsillusion wird dadurch noch verstärkt, daß heutzutage in der bürgerlichen Gesellschaft das<br />
Private dominiert, in welchem nur das Geld, ein homogenes Medium, den Unterschied macht, so daß die<br />
Differenz zwischen den Klassen eben nur als eine quantitative erscheint.