Nyikos-Geschichte

zurückläßt und nicht sogleich wieder im Augenblick seines Vollziehens verdampft. Dies ist
immer dann der Fall, wenn die Handlungen "massiv" ("gebündelt") und "gerichtet" erfolgen
(was, wie gesagt, teleologische Absichten nicht unbedingt impliziert und, um genau zu
sein, bis heute auch tatsächlich nicht involviert hat).
Was nun das faktische Handeln dieses oder jenes Subjekts in Abhängigkeit vom Rahmen
der Umstände angeht, so ist es klar, daß dieses nicht wirklich vorausgesagt werden kann,
da das menschliche Gehirn so komplex ist, daß jeglicher Versuch, dies zu tun, scheitern
müßte. Was die Elementarteilchen in der Quantenmechanik, das ist das reale Verhalten
der Akteure in der Geschichte: es ist unbestimmbar, wenn auch nicht unbestimmt, und ist
deshalb nur auf einer Makroebene, ist nur statistisch zu fassen. 42 Hier, auf diesem
Makroniveau, haben wir es allerdings dann gewissermaßen mit einem "gekrümmten
Raum" im Sinne Einsteins zu tun, mit gesellschaftlichen Verhältnissen, mit Umständen, die
weitgehend 43 wie ein Gravitationsfeld wirken, das die Trabanten auf ihrer Umlaufbahn hält.
Man kann demnach sagen: Obgleich die Umstände die Praxis der Subjekte nie absolut
vorzugeben vermögen und obgleich man deswegen immer gegen die Umstände auftreten
kann, so hat dies doch zumeist dann solche (abseh- und antizipierbaren) Folgen für das
Subjekt, daß die Wahrscheinlichkeit eines derartigen Gebarens gegen Null zu tendiert: Ein
Lohnarbeiter etwa kann durchaus sich weigern, seine Arbeitskraft an eine Kapitalentität zu
verkaufen (und Vagabund oder Stadtstreicher werden), allein, wenn er ein reguläres
Leben führen will (d.h. den Normen seiner Gesellschaft entsprechend), dann bleibt ihm gar
nichts anderes übrig, als in den sauren Apfel zu beißen und als Lohnarbeiter sein Leben
zu fristen. Desgleichen kann ein Kapitaleigentümer durchaus nachlässig sein und auf die
Anhebung des Produktivkraftniveaus in seinen Fabriken verzichten, und er kann
desgleichen sich weigern, seinen Nettoprofit der Akkumulation zuzuführen, und statt
dessen sein Geld exklusiv mit "Wein, Weib und Gesang" (oder, was auf dasselbe
hinausläuft, Yachten, Privatjets und Lamborghinis) verprassen; allein, wenn er als
Kapitalagent durchhalten möchte, wird er wohl oder übel nach dem typischen Schema der
Bourgeoisie handeln müssen. 44 – Und sollte wider Erwarten sich der eine oder die andere
darauf versteifen wollen, partout gegen die Umstände zu handeln, dann wird dieser
"Ausbruchsversuch" unfehlbar scheitern (also eine der Absicht konträre Auswirkung
haben), oder anders gesagt: er wird zu einem tragikomischen Begebnis geraten. Don
Quijote, der den edlen Ritter mit Schwert und Lanze spielen wollte, während die
Landsknechte schon Arkebusen und Kanonen benutzten – und als edel in Wahrheit nur
mehr die edlen Metalle erschienen –, konnte Cervantes nur als einen "Ritter von der
traurigen Gestalt" zur Romanfigur machen. 45
Was sich die Akteure selbst dabei denken, ist völlig sekundär und kann vernachlässigt
werden, immer da, wo es um historische Prozesse zu tun ist. Da, wo die Beamten des
Herrschers den Überschuß der dörflichen Gemeinden als Tribut konfiszieren, da wo die
Capos (die im übrigen oft selbst Sklaven sind) mit der Peitsche in der Hand die
Arbeitssklaven zwingen, in den Minen, auf den Latifundien oder Plantagen zu schuften,
da, wo der Vogt mit seinen Bütteln die Naturalrente eintreibt, oder auch da, wo die
Arbeitskraft, die subjektive Produktionsbedingung, zu nichts nütze ist, weil sie in einem
historischen Prozeß – der "ursprünglichen Akkumulation", wie Marx sie genannt hat – von
42
Die Geschichte ist wie ein Quantenpotential im Sinne David Bohms. Das Ganze (die Totalität) ist
determiniert, die Elementarteilchen dagegen haben unabhängig voneinander keine aparte Existenz.
Oder mit Bezug auf die Gesellschaft: Das Individuum kann gar nicht aus dem Ganzen herausgelöst
werden, ohne es zu zerstören.
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Wir werden später sehen, daß diese Aussage nur für die "logische" Trajektorie eines
Gesellschaftssystems Gültigkeit beanspruchen kann.
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Glücklicherweise wird den modernen Kapitaleigentümern, den Aktionären, die Sorge um das
Wohlergehen ihres Kapitals vom Management abgenommen. Was an Dividenden abfällt, kann daher
getrost im Stile der alten Aristokratie verpraßt und verschwenderisch aufgebraucht werden.
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Und so mußten auch alle Ikarien, Geldabschaffungsversuche oder Hippie-Kommunen letztendlich
scheitern.