Nyikos-Geschichte
Nyikos-Geschichte
Nyikos-Geschichte
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
das "Bild" durch Eingriffe in das Reale bestätigt, etwa durch die Hervorhebung bestimmter<br />
Facetten der Realität.<br />
Die Diskrepanz kann also aktuell oder auch virtuell sein: Ist sie aktuell, so wird versucht,<br />
die Abweichung, so gut es eben geht, einzudämmen oder das zu korrigieren, was als<br />
Dissonanz gar nicht umhin kann, in die Augen zu springen; ist sie virtuell, so versucht<br />
man, prophylaktisch dasjenige zu bestärken, was geeignet erscheint, den "Gefahren", die<br />
dem "Bild der Welt" drohen, effektiv zu begegnen.<br />
63.<br />
Nach Hegel besteht die "Wahrheit" nicht nur darin, daß der Begriff dem Gegenstand,<br />
sondern auch darin, daß der Gegenstand dem Begriff, der ihn ausdrückt, entspricht. 208<br />
Genau in diesem Sinne operiert ideologische Praxis: Sie gleicht den "Gegenstand" dem<br />
"Begriff" an, den man sich von ihm macht, so daß dieser Gegenstand im Hinblick auf das<br />
"Bild" gleichsam "Wahrheit" gewinnt.<br />
Oder um es mit Engels zu sagen: "Erst macht man sich aus dem Gegenstand den Begriff<br />
des Gegenstandes; dann dreht man den Spieß um und mißt den Gegenstand an seinem<br />
Abbild, dem Begriff. Nicht der Begriff soll sich nach dem Gegenstand, der Gegenstand soll<br />
sich nach dem Begriff richten." 209 Engels nennt das die "alte(n) beliebte(n), ideologische(n)<br />
... Methode ..." 210 Man muß hier nur "messen" durch "modulieren" ersetzen, um zu<br />
unserem Begriff von Ideologie zu gelangen.<br />
64.<br />
Ideologisches Handeln ist die Benutzung 211 von Sätzen und Dingen (also der praktische<br />
Einsatz) im Sinne einer Modulation, einer Verformung, einer Verfremdung der<br />
Oberflächenphänomene der Realität. Sätze und Dinge werden also ideologisch, sie sind<br />
es nicht an und für sich, nicht aus sich selbst heraus. Der ideologische Effekt besteht<br />
gerade darin, einem gegebenen Material eine bestimmte Funktion zu verleihen. Ideologie<br />
ist, mit anderen Worten, ein Modus, der bestimmten Sätzen und Dingen auferlegt wird.<br />
65.<br />
Ideologische Praxis zielt ab auf Stabilisierung, darauf, 212 so wie bisher weitermachen zu<br />
können, 213 d.h. die reale Anfechtung der Handlungsweisen – über die Anfechtung des<br />
"Bildes der Welt" – so gering wie möglich zu halten. Die Funktion der Ideologie ist<br />
demnach, das reale Fundament eines dauerhaften Modus des moralischen Überlebens zu<br />
208<br />
"In diesem Sinne ist ein schlechter Staat ein unwahrer Staat und das Unwahre überhaupt besteht in<br />
dem Widerspruch, der zwischen der Bestimmung oder dem Begriff und der Existenz eines<br />
Gegenstandes stattfindet." (G. W. F. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, Bd. I, in:<br />
G. W. F. Hegel, Werke in zwanzig Bänden, Bd. 8, Suhrkamp (1969ff.), S. 86) Vgl. auch: A. Gulyga, Die<br />
klassischen deutsche Philosophie, Reclam Leipzig (1990), S. 312f.<br />
209<br />
F. Engels, Anti-Dührung, in: MEW 20, S. 89.<br />
210<br />
Engels, Anti-Dühring …, S. 89.<br />
211<br />
"Der Mythos wird nicht durch das Objekt seiner Botschaft definiert, sondern durch die Art und Weise, wie<br />
er diese ausspricht." (Barthes, Mythen des Alltags …, S. 85) "Allgemein gesagt, kann dieselbe<br />
sprachliche Äußerung je nach Kontext ideologisch sein oder nicht. Ideologie ist eine Funktion der<br />
Beziehung einer sprachlichen Äußerung zu ihrem gesellschaftlichen Kontext." (Eagleton, Ideologie …, S.<br />
17) Das stimmt, wenn "sprachliche Äußerung" im Sinne des Handelns (Sprechakt) aufgefaßt wird.<br />
212<br />
Freud sagt über den Traum (aber man kann das auch analogisch auf die Ideologie übertragen), daß "der<br />
Traum nicht der Schlafstörer ist, als den man ihn schilt, sondern der Schlafhüter, der Beseitiger von<br />
Schlafstörungen." (Freud, Vorlesungen …, S. 123)<br />
213<br />
G. Duby spricht in bezug auf Ideologie – und das ist ein glücklicher Ausdruck – von "Beruhigung" (siehe<br />
G. Duby, <strong>Geschichte</strong> der Ideologien, in: G. Duby, Wirklichkeit und höfischer Traum, Wagenbach (1986),<br />
S. 33).