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Sozialisation - Fachsymposium-Empowerment

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Bei der Untersuchung einfacher, d.h. überschaubarer<br />

und relativ „stabiler", nicht-industrieller Gesellschaften<br />

der Vergangenheit wird dieser lebenslange<br />

<strong>Sozialisation</strong>sprozess möglicherweise weniger<br />

offenkundig als in den hoch differenzierten und<br />

dynamischen Industriegesellschaften der Gegenwart,<br />

deren ökonomische, politische, soziale und kulturelle<br />

Strukturen raschen Wandlungen und rapiden<br />

Umbrüchen unterworfen sind. Gerade in unserer<br />

Gegenwart gewinnt daher dieser Prozess - und damit<br />

verbunden die Notwendigkeit lebenslangen Lernens -<br />

sowohl individuell als auch sozial zunehmend an<br />

existentieller und funktionaler Bedeutung.<br />

Schließlich soll nochmals ausdrücklich auf dir<br />

Eigenaktivität des Individuums im<br />

<strong>Sozialisation</strong>sprozess verwiesen werden. Zwar Ist das<br />

zu sozialisierende Kind in seinen ersten Lebensjahren<br />

in seinem physischen Überleben völlig abhängig von<br />

seiner sozialen Umwelt, was es damit „bezahlt", dass es<br />

sich dieser Umwelt anpasst. Aber diese „Anpassung"<br />

erfolgt ja nicht so,, dass das Kind einfach alles<br />

aufnimmt, sondern es trifft schon unbewusst eine<br />

Auswahl .aus der angebotenen Fülle. Was ihm nicht<br />

passt, das sieht und hört es nicht; es lernt also durchaus<br />

nicht alles, und was es lernt, lernt es verschieden gut.<br />

So setzt sich also das Individuum - mit zunehmendem<br />

Alter immer deutlicher -auch bewusst und unbewusst<br />

mit seiner materiellen und gesellschaftlichen Umwelt<br />

auseinander, wirkt auf dieselbe zurück und macht sie<br />

sich auf seine eigene Art und Weise zu eigen.<br />

<strong>Sozialisation</strong>svorgänge sind deshalb keineswegs<br />

einseitig, sondern müssen notwendigerweise als soziale<br />

Interaktionsprozesse begriffen werden, - ein Aspekt,<br />

den beispielsweise Goslin (1969) betont, wenn er die<br />

<strong>Sozialisation</strong> als einen „two- way" - Prozess<br />

charakterisiert.<br />

In einem sozialen Interaktionssystem wie z.B. der<br />

Familie wird jedes Mitglied das Verhalten eines jeden<br />

anderen Familienmitglieds beeinflussen, regulieren und<br />

somit wechselseitig sozialisieren. Solche Effekte kann<br />

man ja immer wieder beobachten, wenn ein Ehepaar<br />

bei der alltäglichen physischen und psychischen<br />

Versorgung seines ersten Kindes allmählich jene<br />

Handlungsfähigkeiten lernt, die seine Elternrolle<br />

schließlich konstituieren, oder wenn der junge, eben<br />

von der Hochschule entlassene Lehrer erst „mit Hilfe"<br />

seiner Schüler in seine Lehrerrolle hineinwächst.<br />

Zwar könnte hierzu angemerkt werden, dass in dem<br />

angeführten Beispiel der Eltern-Kind-Beziehung die<br />

Eltern ja ihren Säugling in seiner prägsamsten Zeit<br />

(primäre <strong>Sozialisation</strong>) beeinflussen, während<br />

umgekehrt die beispielsweise durch das Lächeln des<br />

Kindes hervorgerufenen <strong>Sozialisation</strong>seffekte die<br />

Eltern zu einem Zeitpunkt treffen, in dem ihre<br />

Persönlichkeitsentwicklung im allgemeinen bereits eine<br />

bestimmte Strukturierung, Ausprägung und Reife<br />

erreicht hat (sekundäre <strong>Sozialisation</strong>), also solche<br />

wechselseitigen <strong>Sozialisation</strong>sprozesse auf zwei<br />

verschiedenen qualitativen Ebenen ablaufen. Doch<br />

lassen sich solche gegenseitigen<br />

<strong>Sozialisation</strong>swirkungen natürlich auch in<br />

„horizontalen" Interaktionsbeziehungen altersgleicher<br />

Partner nachweisen, - etwa zwischen Geschwistern,<br />

den Spielgefährten in 'der Kindergartengruppe,<br />

zwischen den Schülern einer Klasse und<br />

selbstverständlich auch zwischen Erwachsenen.<br />

So lässt sich also sagen, dass im <strong>Sozialisation</strong>sprozess<br />

das Individuum psychisch und sozial zu einem<br />

potentiell handlungsfähigen menschlichen Subjekt<br />

wird, das nicht nur in der Lage ist, sich seiner<br />

gesellschaftlichen Umwelt anzupassen und sich ihren<br />

Erwartungen entsprechend zu verhalten, sondern das<br />

zugleich auch kommunikativ und interaktiv auf deren<br />

Gestaltung Einfluss zu nehmen vermag.<br />

Zur vertiefenden und ergänzenden Lektüre<br />

Michael Argyle, Soziale Interaktion. (Darin<br />

insbesondere Kapitel 2: „Biologische und kulturelle<br />

Ursprünge der Interaktion", S. 26 - 89). Kiepenheuer<br />

&. Witsch: Köln 1969.<br />

George McCall & J.L. Simmons, Identität und<br />

Interaktion. Untersuchungen über<br />

zwischenmenschliche Beziehungen im Alltagsleben.<br />

(Darin Kapitel 8: „Der interaktive Werdegang des<br />

Individuums", S. 213 - 237). Schwann: Düsseldorf<br />

1974.<br />

Karl Reinhold Mühlbauer, <strong>Sozialisation</strong>. Eine<br />

Einführung in Theorien und Modelle. (Darin „Zum<br />

wissenschaftlichen Stand der<br />

<strong>Sozialisation</strong>sforschung", S. 13 - 26). Fink: München<br />

1980.<br />

Im Prinzip wird damit der <strong>Sozialisation</strong>svorgang nicht<br />

nur als Integrations-, sondern auch als Durchdringungs-<br />

(Interpenetrations-) Prozess von Kultur, Gesellschaft<br />

und Person gedeutet. <strong>Sozialisation</strong> selbst erscheint<br />

bereits inhaltlich mit den gegebenen<br />

allgemeingesellschaftlichen bzw.<br />

subkulturell-spezifischen Normen, Werten und<br />

sozial-strukturell verankerten Institutionalisierungen<br />

festgelegt. Der <strong>Sozialisation</strong>sprozess ist um so<br />

erfolgreicher, je mehr das Individuum seine Rolle auch<br />

„ist".<br />

Das dieser Denkfigur unterliegende „elementare<br />

Modell" einer <strong>Sozialisation</strong>ssequenz lässt sich graphisch<br />

wie folgt veranschaulichen:<br />

Otto Stoik / Skriptum / <strong>Sozialisation</strong> / Akademienverbund Pädagogische Hochschule Diözese Linz / 2006 1 11

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