Mangelnde Handlungskompetenz und „kumulative Benachteiligung“ Beispiele der Benachteiligung und Negativselektion an ihnen zu orientieren vermag. Ein Planungsverhalten, das auf längere Zeiträume zielt, kann nicht ausgebildet werden. Dass die Handlungskompetenz vieler Unterschichtjugendlicher besonders mangelhaft entwickelt ist, träg wesentlich dazu bei, dass sie durch gesellschaftliche Auswahl- und Zuweisungsprozesse (Selektion und Allokation) auf Positionen und in Rollen geraten, die nicht mit grundlegend anderen Erfahrungsmöglichkeiten verbunden sind. Es entsteht ein negativer Kreislauf, durch den individuelle Entwicklungsrückstände gesellschaftlich verstärkt und verfestigt werden. Da die Benachteiligung in einem Bereich (z.B. Familie) dazu führt, dass das Kind auch in anderen Bereichen (z.B. Schule) Benachteiligungen erfährt, die ihrerseits wieder zusätzliche Benachteiligungen verursachen (z.B. im Beschäftigungssystem), kann man hier auch von einem Prozess „kumulativer Benachteiligung" sprechen (vgl. Kloas/Stenger 1980). Sie können sich als Bespiel vielleicht vorstellen, dass Kinder mit derartigem Hintergrund aufgrund anfälligen (i.S.v. "unüblichen") Verhaltens in Grundschulklassen häufig zu ,Störenfrieden" werden, die als pädagogisch „hoffnungslose Fälle" trotz "normaler" Intelligenz schneller als andere zur Sonderschule geschickt werden- Für den Lehrer verstärkt sich der Eindruck von „Hoffnungslosigkeit" nicht selten durch eine relative Gleichgültigkeit der Eltern gegenüber der Schulsituation des Kindes, so dass relativ bald auch in der Schule die Weichen für einen verminderten Erwerb sozialisationsnotwendigen Wissens in jeder Form gestellt sind. Damit ist auch bereits sehr früh der Zugang zu Positionen des Beschäftigungssystems versperrt, die durchschnittliche oder überdurchschnittliche schulische Qualifikation oder gar besondere kognitive und soziale Kompetenzen verlangen und dafür besondere Gratifikationen in Form von Entlohnung, Prestige und Entfaltungsmöglichkeiten bieten. Ein anderes Beispiel der Verknüpfung von mangelnder Handlungskompetenz und gesellschaftlicher Negativselektion findet sich im Bereich „Jugendkriminalität". Kriminologische Untersuchungen haben einerseits gezeigt, dass delinquentes, strafrechtlich relevantes Verhalten ein jugendtypisches Phänomen ist, das alle sozialen Schichten gleichermaßen betrifft. Auf der anderen Seite ist festzustellen, dass die Jugendlichen. die in Jugendstrafvollzugsanstalten einsitzen, in ihrer großen Mehrheit der Unterschicht zuzurechnen sind. Wesentliche Gründe für die schichtspezifisch unterschiedliche Behandlung der Jugendlichen durch die Instanzen sozialer Kontrolle (Polizei, Jugendamt, Jugendgerichtshilfe, Jugendgericht) liegen in der etwas anderen Struktur der Delinquenz von Unterschichtjugendlichen (die ihrerseits wieder Produkt der <strong>Sozialisation</strong>sbedingungen und des daraus resultierenden Handlungspotentials ist), der fehlenden Unterstützung durch die Eltern (die z.B. bei Mittelschichtkindern versuchen, es gar nicht erst zu einem Verfahren kommen zu lassen bzw. sich bei einem Verfahren engagieren - etwa durch Einschaltung eines Rechtsanwaltes), und vor allem in der schispezifisch geringeren Handlungskompetenz der Unterschichtjugendlichen. Die geringe Handlungskompetenzen wirkt sich doppelt negativ aus: Zum einen tragen viele delinquente Handlungen den Charakter von „Dummheiten", die ohne Planung spontan in einer aktuellen Situation häufig schnelles „Erwischen" nach sich ziehen, zum anderen ist die Aufmerksamkeit der Kontrollinstanzen aufgrund entsprechender Erfahrungen auch gerade auf solche Jugendlichen „fixiert", die ihrem gesamten äußeren Habitus nach der Unterschicht zuzuordnen sind. Otto Stoik / Skriptum / <strong>Sozialisation</strong> / Akademienverbund Pädagogische Hochschule Diözese Linz / 2006 1 26
Deutschland Raum deutscher Sozialmilieus % - Veränderungen Kulturelles Kapital + Selbstbestimmung + Hedonistisches M. 10,4 – 13,0% Alternatives M. 4,0 – 2,1% Kapitalvolumen + Distinktion + Satus: hoher Rang Aufstiegsorientiertes M. 20,3 – 26,5% Traditionsloses Arbeitermilieu 9,2 – 12,3% Konservatives gehobenes Milieu 8,7 – 7,2% Traditionelles Arbeiterm. 9,8 – 5,6% Kapitalvolumen – Distinktion – Status: niedriger Rang geringe Auszeichnung Technokratisches M. 9,1 – 9,2% Kleinbürgerliches M. 28,3 – 24,0% Ökonomisches Kapital + Konven- tionalismus + Otto Stoik / Skriptum / <strong>Sozialisation</strong> / Akademienverbund Pädagogische Hochschule Diözese Linz / 2006 1 27