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Sozialisation - Fachsymposium-Empowerment

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2.4.2 Aspekte und Dimensionen der<br />

<strong>Sozialisation</strong>: <strong>Sozialisation</strong> als<br />

soziale Interaktion<br />

Aus unseren bisherigen Darlegungen wurde schon<br />

deutlich, dass sich <strong>Sozialisation</strong>svorgänge nicht auf die<br />

Kindheit beschränken, sondern als relativ allgemeiner<br />

Bestandteil des menschlichen Lebenszyklus zu<br />

verstehen sind.<br />

<strong>Sozialisation</strong>sprozesse lassen sich zunächst danach<br />

unterscheiden, ob es darum geht, die grundlegende<br />

Mitgliedschaft in der Gesellschaft und damit die<br />

Fähigkeit zur Teilnahme am sozialen Geschehens<br />

überhaupt erst zu erwerben, oder darum, neue<br />

Möglichkeiten der Verwirklichung dieser Beteiligung<br />

zu lernen. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass<br />

nicht nur die <strong>Sozialisation</strong> als ein dynamischer Prozess,<br />

sondern auch der Begriff der Person dynamisch zu<br />

verstehen ist. Leben bedeutet eine komplexe Abfolge<br />

von Prozessen des Lernens, Verlernens und neuen<br />

Lernens.<br />

„So erfährt ein Kleinkind, dass die Umwelt auf sein<br />

Schreien in ganz bestimmter Weise reagiert. Wenn das<br />

Kind dann später eine elementare Sprache gelernt hat,<br />

wird erwartet, dass sich von da ab das Kind der Sprache<br />

bedient, statt undifferenziert zu schreien: Schreien als<br />

Form der Kommunikation ist zu verlernen, Sprechen<br />

selbst bei sehr dringlichen Bedürfnissen zu erlernen.<br />

Weinen als Form der Mitteilung des Kindes, nun<br />

wünsche es Trost und zumindest Aufmerksamkeit, wird<br />

in unserem Kulturkreis über viele Lebensjahre hinweg<br />

akzeptiert, wird dann aber mit dem Beginn des<br />

Schulalters immer weniger legitim. Zunächst soll das<br />

Kind sich vertrauensvoll an alle Erwachsenen wenden.<br />

In dem Masse, wie der Kreis der Erwachsenen, denen<br />

das Kind begegnet, differenzierter wird, soll das Kind<br />

lernen, sich differenziert zu verhalten und unbekannten<br />

Erwachsenen gegenüber misstrauisch zu sein."<br />

(Scheuch & Kutsch 1972: 103 f.). Mit anderen Worten:<br />

Die Erwartungen, die mit der Teilnahme am<br />

gesellschaftlichen Leben verknüpft sind, ändern sich<br />

mit zunehmendem Alter und mit der Erweiterung der<br />

Lebenskreise. Veränderte Situationen und Umgebungen<br />

stellen an das Individuum neue Probleme der sozialen<br />

Beteiligung und Beanspruchung. Manches muss<br />

korrigiert, manches neu erworben werden.<br />

Man bezeichnet die erste und elementare <strong>Sozialisation</strong><br />

in der frühen Kindheit als primäre <strong>Sozialisation</strong>. Sie<br />

erfolgt in der Regel in der Familie und vermittelt<br />

inhaltlich und formal die Grunderfahrungen des<br />

sozialen. Lebens in einer kleinen und vertrauten<br />

Gruppe: Das Kind lernt, welche Bedeutungen die<br />

Menschen seiner unmittelbaren Umgebung mit ihren<br />

Worten, Gesten, Mienen und mit ihrem Tun und Lassen<br />

verbinden; es lernt, sich selbst, bestimmte<br />

Verhaltensweisen bzw. vorsprachliche und dann auch<br />

sprachliche Ausdrucksformen anzueignen die die<br />

anderen verstehen und gelten lassen; und schließlich<br />

muss das Kind lernen, seine Bedürfnisse mit den<br />

Erwartungen seiner Umwelt in Einklang zu bringen.<br />

Fachlich gesprochen werden damit kognitive,<br />

sprachliche, motivationale und affektiv-emotionale<br />

Persönlichkeitsmerkmale in der primären <strong>Sozialisation</strong><br />

zunächst elementar ausgeformt.<br />

Die hierbei vermittelten gesellschaftlichen<br />

Verhaltensmuster und Erfahrungen legen zwar ein<br />

relativ solides Fundament, das im Verlauf späterer<br />

Lebensphasen jedoch nach zahlreichen Richtungen hin<br />

weiter ausgebaut und ergänzt, aber auch differenziert<br />

und modifiziert werden muss. Dies geschieht in der so<br />

genannten sekundären <strong>Sozialisation</strong>, die auf der Basis<br />

primärer Sozialisiertheit aufbaut, hingegen im<br />

wesentlichen im außerfamiliären Raum verläuft, wie<br />

z.B. im Kindergarten, in der Schule und in<br />

Freundschaftsgruppen, im Beruf, in der Freizeit, in<br />

Vereinen, in religiösen Gruppen, aber auch in<br />

„anonymen" Feldern der Konsumindustrie, der<br />

Massenmedien usw.<br />

<strong>Sozialisation</strong> müssen wir darum auch als einen<br />

kumulativen, aktuell sich vollziehenden lebenslangen<br />

Prozess verstehen, der nicht - wie manche Autoren<br />

(z.B. Schelsky 1963: 84 ff.) noch annahmen – mit dem<br />

Ende der Jugendphase als abgeschlossen gelten kann. In<br />

jeder neuen Lebensphase ergeben sich insbesondere<br />

auch unter veränderten materiellen Bedingungen und<br />

durch den Wechsel von sozialen Beziehungen (z.B. bei<br />

Eheschließung, Berufswechsel, Arbeitslosigkeit, Wahl<br />

in einen Vereinsvorstand, Pensionierung, Umzug in ein<br />

Altersheim) immer wieder neue<br />

<strong>Sozialisation</strong>skonstellationen, die beim Individuum<br />

Veränderungen von bestehenden bzw. die Übernahme<br />

neuer Handlungsfähigkeiten erforderlich machen. So<br />

lässt sich unter soziologischer Perspektive für unsere<br />

Kultur und Gesellschaft als eine mögliche<br />

Strukturgliederung im Lebenslauf beispielsweise<br />

folgende Phaseneinteilung der sozialen Bedingungen<br />

und Folgen des lebenslangen <strong>Sozialisation</strong>sprozesses<br />

vornehmen.<br />

Otto Stoik / Skriptum / <strong>Sozialisation</strong> / Akademienverbund Pädagogische Hochschule Diözese Linz / 2006 1 9

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