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Sozialisation - Fachsymposium-Empowerment

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Mangelnde<br />

Handlungskompetenz und<br />

Unterschicht<br />

dieser Interpretation entsprechend verhält (und z.B. einen Vertrag unterschreibt).<br />

Mangelnde Handlungskompetenz ist nun zum einen ein besonderes Problem<br />

der Lebensphasen ;,Kindheit"_ und „Jugend", zum anderen aber auch ein<br />

Problem der <strong>Sozialisation</strong>sbedingungen bzw. Erfahrungsmöglichkeiten.<br />

Dass Kinder und Jugendliche über mangelhafte Kompetenzen verfügen, ist<br />

nach den vorangegangenen Erläuterungen nicht weiter verwunderlich. Der<br />

Erwerb von Wissen und Kompetenzen mit dem Ziel der Aneignung von<br />

Umwelt und der Identitätsbildung (Ich-Identität) ist ja gerade Gegenstand<br />

des <strong>Sozialisation</strong>sprozesses. Aber Handlungskompetenz ist nur zum Teil<br />

eine quantitative Frage, d.h. eine Frage der Erfahrungsmenge, die mit<br />

zunehmendem Lebensalter gewissermaßen ,-natürlich" angesammelt wird<br />

und wächst. Zum anderen Teil ist Handlungskompetenz eben auch ein<br />

qualitatives Problem, d.h. davon abhängig, auf welche Weise soziale<br />

Erfahrungen erworben werden und wie diese Erfahrungen strukturiert sind.<br />

Insofern betreffen Kompetenzunterschiede nicht nur Kinder und<br />

Jugendliche, sondern auch Erwachsene.<br />

Bei Erwachsenen machen sich Kompetenzmängel allerdings in erster<br />

Linie nur bemerkbar in Situationen, die außerhalb der eingespielten und<br />

erarbeiteten Alltagsroutine lugen. Man könnte auch sagen: Je kleiner und<br />

geschlossener die Alltagswelt und je enger die Sinnhorizonte gesteckt sind,<br />

um so begrenzter ist auch die Handlungskompetenz.<br />

Kinder und Jugendliche, die aus Familien kommen, die aufgrund<br />

sozialstatistischer und kultureller Faktoren der Unterschicht zuzuordnen<br />

sind, haben nun besondere Schwierigkeiten in der Entwicklung von<br />

Handlungskompetenz (und damit in der Entwicklung von Fähigkeiten, die<br />

notwendig sind für die Aneignung von Umwelt). Zum einen sind sie wie<br />

alle Jugendlichen von der in der Gesellschaftsstruktur angelegten Tatsache<br />

betroffen, dass „Jugend" eine Übergangsphase mit besonderen<br />

sozialisatorischen Anforderungen ist. Die Entwicklung von<br />

Handlungskompetenz wird für sie jedoch dadurch weiter erschwert, dass<br />

wesentliche Teile der Handlungsmuster und -Strategien, die in der<br />

familialen <strong>Sozialisation</strong> gelernt und internalisiert werden, der Aneignung<br />

von Umwelt relativ enge Grenzen setzen.<br />

Wir werden uns mit den Erziehungsstilen und besonders mit den Sprachstilen in<br />

Unter- und Mittelschicht weiter unten noch näher befassen, wollen aber schon hier<br />

Bedingungen für eine geringere Entwicklung von Handlungskompetenz in der<br />

Unterschiss etwas konkreter andeuten. Ein wesentliches Element sind<br />

unterschiedliche Sprachstile in Unter- und Mittelschicht (die Unterschiede werden<br />

ebenfalls weiter unten noch erläutert). Unterschichtspezifische Sprachformen sind<br />

weniger komplex und differenziert. Wenn Sie sich an den oben ausführlich<br />

dargestellten Zusammenhang von Sprache, Denken, Ordnung von Erfahrung und<br />

Aneignung vor-- Umwelt erinnern, wird Ihnen klar, dass geringere Komplexität und<br />

Differenziertheit von Sprache über das Denken auch das Vermögen des Kindes<br />

begrenzen, „Welt" zu begreifen und Umwelt anzueignen.<br />

Otto Stoik / Skriptum / <strong>Sozialisation</strong> / Akademienverbund Pädagogische Hochschule Diözese Linz / 2006 1 Das Kind wird sowohl durch Elemente der Sprachstruktur an eine jeweilige Situation<br />

gebunden, indem situationsübergreifende, allgemeinere Prinzipien der Geltung und<br />

Begründung von Regeln nicht mehr vermittelt werden, als auch durch besondere<br />

Inkonsistenz im Erziehungsverhalten der Eltern, die auf gleiche Handlungen des Kindes für<br />

dieses völlig uneinsichtig unterschiedlich reagieren -mal bestrafen, mal straflos zur Kenntnis<br />

nehmen, mal ignorieren. Die grundlegende Erfahr des Kindes im Rahmen derartiger<br />

<strong>Sozialisation</strong>sbedingungen ist die der "Auslieferung" an jeweils aktuelle soziale Situationen<br />

mit nur bedingter Vorhersehbarkeit der Erwartungen und Reaktionen des<br />

Interaktionspartners. Die Notwendigkeit zur Entwicklung eines situativen Opportunismus<br />

begrenzt die Autonomie des Kindes und das Maß, in dem es andere, abstraktere Ebenen<br />

sozialer (gesellschaftliche') Realität in sozialen Situationen zu erkennen und sich handelnd<br />

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