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Intersubjektivität im Tango Argentino - transcript Verlag

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28 |ABSTIMMUNG IN BEWEGUNG<br />

Dies stellt die Soziologie vor die allgemeine Frage, wie sie Praktiken verortet:<br />

nach territorialem Verständnis (wie es die Arbeit von Andreas Reckwitz <strong>im</strong>pliziert),<br />

als demnach in historisch gewachsenen nationalen Grenzen – oder vielmehr<br />

als transkulturelle und damit auch transnationale Praktiken?<br />

Diese Frage erwächst aus der Tatsache, dass Bewegungskulturen und ihre<br />

Praktiken sich zum Teil nur schwer einem klaren Territorium zuordnen lassen:<br />

<strong>Tango</strong> <strong>Argentino</strong> ist nur ein Beispiel dafür. Auch andere Tanzpraktiken wie<br />

Swing/Lindy Hop, Salsa, Samba, Bollywooddance – aber auch interkulturelle<br />

Sport- und Bewegungskulturen wie Yoga, Thai Chi/Qigong haben keine klaren<br />

kulturellen Grenzen – weder in ihrer Geschichte noch in ihrer zeitgenössischen<br />

Phänomenologie – wenn auch vielfältige, lokale und somit kulturelle Ausdifferenzierungen.<br />

Kulturelle Ausdifferenzierungen meint hier aber nicht Kultur <strong>im</strong><br />

Sinne eines auf eine Nation oder regionale Geschichte territorial begrenztes Phänomen,<br />

sondern Kultur als geteilte, diskursive Wissensordnungen. Wissensordnungen<br />

sind in und mit Praktiken und Diskursen verwoben und deren Aufdeckung<br />

ist eine zentrale Aufgabe einer praxistheoretischen Analyse (Reckwitz<br />

2008b: 202).<br />

Goffman nennt diesen Problemzusammenhang den „Distributions-Qualifikator“<br />

29 (Goffman 1971: 16), mit dem er gegen einen Ethnozentrismus vorgeht –<br />

indem er seine Untersuchungen auf westliche Gesellschaften begrenzt oder von<br />

„amerikanischer Mittelschicht“ (ebd.) spricht – als auch auf die Unbest<strong>im</strong>mtheit<br />

des empirischen Materials verweist, die nur selten „einer eindeutig abgrenzbaren<br />

Gruppe von Individuen“ (ebd.) zuzuweisen ist.<br />

Eine Differenzierung nach Kulturen in einem tradiert territorial begrenzten<br />

Sinne erscheint auch <strong>im</strong> Falle des <strong>Tango</strong> <strong>Argentino</strong> nicht sehr sinnvoll. Es bietet<br />

sich vielmehr an, Differenzen eher auf der Ebene von verschiedenen Bewegungskulturen,<br />

bzw. Praktiken zu untersuchen, die sowohl globale, als auch lokale<br />

Ausprägungen aufzeigen, so wie die Praktiken des <strong>Tango</strong>tanzens. Denn weder<br />

sind die Akteure in der <strong>Tango</strong>kultur mit einer klar territorialen Kultur verbunden,<br />

noch ist es <strong>Tango</strong> <strong>Argentino</strong> selbst.<br />

Die Tanzkultur des <strong>Tango</strong> <strong>Argentino</strong> ist als Kultur weltweit verbreitet und<br />

dabei regional ausdifferenziert, aber sie beinhaltet auch globale Ähnlichkeiten –<br />

<strong>Tango</strong> <strong>Argentino</strong> ist eine transkulturelle Praxis mit kultureller Differenz. Die<br />

theoretische These dieser Arbeit ist, dass in den zeitgenössischen Praxen der<br />

transkulturellen <strong>Tango</strong>kultur die körperlichen Praktiken des <strong>Tango</strong> <strong>Argentino</strong><br />

eng verwoben sind mit den Diskursen der <strong>Tango</strong>kultur.<br />

29 Der Distributions-Qualifikator ist bei Goffman die Verwendung des verallgemeinerten<br />

Terminus „in unserer Gesellschaft“ (Goffman 1971: 16), welchen er aber als „begrifflichen<br />

Skandal“ (Goffman 1971: 16f.) charakterisiert, da er zu sehr verallgemeinert.

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