Moralisches Urteilen und soziale Umwelt - Universität Konstanz
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gen, inwieweit gr<strong>und</strong>legende Hypothesen dieses Ansatzes sich als empirisch valide<br />
haben erwiesen haben. Wir wollen zu zeigen versuchen, (a) dass einige der Hypothesen<br />
eigentlich methodische Postulate darstellen, die die Neuartigkeit dieses Ansatzes<br />
dokumentieren, die also nicht empirisch sinnvoll überprüft werden können,<br />
sondern das Kriterium abgeben, um die theoretische Validität der verwandten Methoden<br />
zu beurteilen; (b) dass die anderen zentralen Hypothesen sich mit wenigen<br />
Ausnahmen als informativ <strong>und</strong> empirisch gut bestätigt herausstellen (empirische<br />
Validität der Theorie); <strong>und</strong> (c) dass Kohlbergs Stufenmodell Moralentwicklung dasjenige<br />
von Piaget nicht umfaßt <strong>und</strong> ersetzt, sondern dieses in einigen Punkten zu<br />
ergänzen vermag, in denen dieses bemerkenswert unterbestimmt bleibt. 10<br />
3.1 Stufe <strong>und</strong> Struktur<br />
In Piagets <strong>und</strong> Kohlbergs Ansatz nehmen der strukturelle Aspekt der moralischen<br />
Urteilskompetenz <strong>und</strong> das Stufenschema der Moralentwicklung eine zentrale Stellung<br />
ein. Durch die in der Kantschen Tradition stehende Betonung der zum moralischen<br />
Verhalten notwendigen Urteilsfähigkeit erhält dieser Ansatz seine kognitive,<br />
durch das progressive Stufenschema seine strukturgenetische Qualität. Moralische<br />
Urteilskompetenz meint hier nicht einfach Übereinstimmung des Verhaltens mit<br />
gegebenen <strong>soziale</strong>n Normen <strong>und</strong> Konventionen, sondern den Grad, in dem moralische<br />
Maximen oder Prinzipien im Handeln zur Geltung gebracht werden. Maximen<br />
oder Prinzipien sind nach Kant jene regulativen Ideen der ‘praktischen Vernunft’,<br />
die den Kriterien des kategorischen Imperativs genügen: “Impersonality,<br />
ideality, universalizability, preemptiveness, etc.” (Kohlberg 1971, 215; vgl. auch<br />
Kohlberg 1958, 8-12; Lind 1982d). Während sich das Interesse der Philosophie allein<br />
auf die logische <strong>und</strong> normative Analyse der moralischen Prinzipien richtet, hat<br />
die Psychologie – die “praktische Anthropologie” (Kant) – die Frage zum Gegenstand,<br />
welcher “Urteilskraft” der Einzelne bedarf, “um teils zu unterscheiden, in<br />
welchen Fällen (die moralischen Regeln) ihre Anwendung haben, teils ihnen Eingang<br />
in den Willen des Menschen <strong>und</strong> Nachdruck zur Ausübung zu verschaffen,<br />
da dieser der Idee einer praktischen reinen Vernunft zwar fähig, aber nicht so leicht<br />
vermögend ist, sie in seinem Lebenswandel in concreto wirksam zu machen” (Kant<br />
1969/ 1785-88, 224). 11<br />
Eine Aufgabe der Moralpsychologie liegt also in der Bestimmung “des Vermögens,<br />
Entscheidungen <strong>und</strong> Urteile zu treffen, die moralisch sind, das heißt, auf inneren<br />
Prinzipien beruhen, <strong>und</strong> in Übereinstimmung mit diesen <strong>Urteilen</strong> zu handeln”<br />
(Kohlberg 1964, 425). Hier sind zwei Aspekten besonders hervorzuheben: der in-<br />
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