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Moralisches Urteilen und soziale Umwelt - Universität Konstanz

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(b) Jede der Urteilsstufen formt eine strukturelle Ganzheit, die verschiedene Verhaltensweisen<br />

vereinigt. Das impliziert nach einer häufig zitierten Auffassung eine<br />

Konsistenz der Antworten über verschiedene Aspekte hinweg. Diese Deutung des<br />

Konzepts der ‘strukturellen Ganzheit’ bewegt sich offensichtlich noch im Rahmen<br />

des ‘external effect’-Modells der Persönlichkeit. Sie findet sich auch teilweise bei<br />

Kohlberg, der zur Bestätigung dieser Hypothese anführt, dass die moralische Regel<br />

unabhängig von der jeweiligen Situation zur Geltung kommt 20 , <strong>und</strong> dass eine hohe<br />

zeitliche Stabilität der Unterschiede zwischen Personen (Test-Retest Korrelation)<br />

zu verzeichnen ist (Kohlberg 1969, 389). Dies ist aber eine mechanistische Deutung<br />

von ‘struktureller Ganzheit’, bei der keine ‘Differenzierung’ des Verhaltens vorgesehen<br />

ist <strong>und</strong> daher ‘Integration’ zu Rigidität verkommt: “the constancy across time<br />

and situation implied by a personality trait is a constancy based on a fixity or<br />

ignoral of the situation” (Kohlberg 1958, 150; vgl. auch Piaget 1976, 74). In dieser<br />

Fassung hat sich die Annahme einer strukturellen Ganzheit denn auch empirisch<br />

kaum besser bewährt als die Trait-Theorie. Ihr widersprechen die gef<strong>und</strong>ene Inkonsistenz<br />

des individuellen Urteilsverhaltens, die je nach Auswertungsart <strong>und</strong> Untersuchung<br />

stark schwankt , <strong>und</strong> die große Zahl von Stufenübergängen <strong>und</strong> Mischstufen.<br />

Durch die Einführung neuer Auswertungsverfahren (Verringerung der Dilemmata;<br />

Verzicht auf ‘criterions’, die zu Inkonsistenzen führen, <strong>und</strong> Einführung einer ‘upper<br />

stage inclusion rule’ (Kohlberg u.a. 1978; Rest 1979, 58-60) konnten diese<br />

Werte zwar verbessert werden, aber gleichzeitig haben diese Veränderungen den<br />

Geltungsbereich der Hypothese der ‘strukturellen Ganzheit’ entscheidend verringert,<br />

so dass die neuen Verfahren den ursprünglichen Anspruch der kognitiven Entwicklungstheorie<br />

nicht eigentlich mehr auf die Probe stellen. Soweit ‘strukturelle<br />

Ganzheit’ als Kriterium für die Auswertung von Verhaltensdaten verwendet wird,<br />

kann dieses Konzept nicht ohne logischen Zirkelschluss als empirische Hypothese<br />

fungieren. 22 Wir schlagen vor, in der strukturellen Ganzheit ein methodologisches<br />

Postulat der kognitiven Entwicklungstheorie zu sehen. Demnach ist der Grad der<br />

Konsistenz, mit der eine Person eine moralische Regel in ihrer Interaktion mit <strong>soziale</strong>n<br />

Situationen zur Geltung bringt, – in Übereinstimmung mit der kognitiven Definition<br />

der Moralität – der manifeste Indikator für Urteilskompetenz (siehe oben,<br />

Abschnitt 3.1). Vom Standpunkt der kognitiven Entwicklungstheorie, sind Strukturen<br />

im Individuum nicht immer schon gegeben, sondern werden von diesem durch<br />

die Interaktion mit der <strong>Umwelt</strong> erst konstruiert. 23 Tatsächlich folgt, wie wir bereits<br />

sahen, das Ausmaß der individuellen Urteilskonsistenz im Bezug auf die stufentypischen<br />

moralischen Orientierungen deutlich dem von der Theorie her erwarteten<br />

Entwicklungstrend (Rest 1979; Schmied 1981; Lind 1982a; i.d.B.: Döbert &<br />

Nunner-Winkler; Heidbrink; Lind, Sandberger & Bargel).<br />

20

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