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als PDF - Universitätsklinikum Leipzig

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10 KLINIKUM 2010<br />

Ausgabe 6 / 19. März 2010<br />

Gesundheit und mehr...<br />

GEDENK-SYMPOSIUM<br />

Prof. Reinhold Schwarz: Gewichtige Spuren in der Wissenschaft<br />

Dem Körper nicht weniger, sondern der<br />

Seele mehr Aufmerksamkeit schenken<br />

– dieser Leitgedanke von Prof. Dr. Reinhold<br />

Schwarz, dem Ende 2008 unerwartet<br />

verstorbenen Leiter der Selbstständigen Abteilung<br />

Sozialmedizin im Institut für Arbeitsmedizin<br />

und Sozialmedizin der Universität<br />

<strong>Leipzig</strong>, war jüngst Thema eines Symposiums.<br />

Dabei stand mit der Psychoonkologie die<br />

Erforschung und Behandlung von seelischen<br />

Faktoren, die mit einer Krebserkrankung zusammenhängen<br />

können, im Mittelpunkt.<br />

Prof. Elmar Brähler, Leiter der Selbstständigen<br />

Abteilung Medizinische Psychologie und<br />

Medizinische Soziologie des <strong>Universitätsklinikum</strong>s<br />

<strong>Leipzig</strong>, würdigte Prof. Schwarz <strong>als</strong><br />

Arzt, Soziologen und Psychotherapeuten, der<br />

mit seiner interdisziplinären Sichtweise die<br />

Psychoonkologie wesentlich vorangetrieben<br />

hat. „Die Etablierung dieses Fachs in der<br />

Wissenschaft und bei der Patientenbetreuung<br />

ist wesentlich dem Engagement von<br />

Prof. Schwarz zu verdanken“, sagte auch<br />

Prof. Joachim Weis für die Deutsche Krebsgesellschaft.<br />

Dr. Franz Kohlhuber von der<br />

Deutschen Krebshilfe machte deutlich, dass<br />

für Krebspatienten neben der medizinischen<br />

Behandlung eine kompetente psychosoziale<br />

Begleitung immer wichtiger wird.<br />

„Mit guten Argumenten und großer Beharrlichkeit<br />

ist Prof. Schwarz für die Betreuung<br />

der Patienten eingetreten“, sagte Prof. Wolfgang<br />

E. Fleig, Medizinischer Vorstand des<br />

<strong>Universitätsklinikum</strong>s <strong>Leipzig</strong>. „Als engagierter<br />

Hochschullehrer und Forscher sah er sich<br />

zugleich immer den Patienten verpflichtet.“<br />

Der Dekan der Medizinischen Fakultät der<br />

Universität <strong>Leipzig</strong>, Prof. Joachim Thiery,<br />

betonte: „Seine großartige Hinterlassenschaft<br />

ist ein Schatz für die Medizin in <strong>Leipzig</strong>. Das<br />

Institut von Prof. Schwarz nahm einen Spitzenplatz<br />

in der wissenschaftlichen Arbeit der<br />

Fakultät ein. Zugleich wurde eine in ganz<br />

Deutschland anerkannte Einrichtung geschaffen,<br />

die ihresgleichen sucht.“ Gabriele<br />

Blettner von den Dr.-Horst-Schmidt-Kliniken<br />

Wiesbaden berichtete, wie sich Prof.<br />

Schwarz <strong>als</strong> Pionier der Psychoonkologie in<br />

Deutschland auszeichnete. „Vor allem war<br />

ihm wichtig, dass der Krebspatient nicht auf<br />

seine Krankheit reduziert betrachtet wird.“<br />

Im wissenschaftlichen Teil des Symposiums<br />

kamen Weggefährten von Prof. Schwarz<br />

aus allen Teilen Deutschlands und aus der<br />

Schweiz zu Wort. So sprach Prof. Joachim<br />

Weis, Leiter der Abteilung Psychoonkologie<br />

der Klinik für Tumorbiologie an der Universität<br />

Freiburg, über die Qualitätssicherung<br />

in der psychosozialen Onkologie. Für die<br />

noch junge Fachdisziplin sollen Leitlinien<br />

entwickelt werden. „Dabei stellt das Festlegen<br />

von Standards für die Behandlung aber<br />

keine Standardisierung der Arbeit mit dem<br />

individuellen Patienten dar“, betonte er. In<br />

Deutschland arbeiten derzeit 28 Beratungsstellen,<br />

die durch die Deutsche Krebshilfe<br />

gefördert werden. Bei einer entsprechenden<br />

Qualitätssicherung stelle sich die Frage, ob<br />

sie in die Regelversorgung aufgenommen<br />

werden können.<br />

Über Spontanremissionen bei Krebspatienten<br />

berichtete Prof. Manfred E. Heim, Chefarzt<br />

der Sonnenberg-Klinik Bad Sooden-Allendorf.<br />

Sein Fallbeispiel aus eigener Langzeitbeobachtung:<br />

Ein 57-jähriger Bauunternehmer<br />

wurde nach Kniebeschwerden am Meniskus<br />

operiert. Dies brachte keine wesentliche<br />

Besserung. Nach Hustenanfällen wurden<br />

bei ihm Metastasen in der Lunge gefunden.<br />

Ursache war ein Tumor am Unterschenkel<br />

in Knienähe. „Der Patient lehnte eine schulmedizinische<br />

Behandlung des Tumors und<br />

der Lungenmetastasen ab, krempelte sein<br />

Leben um, widmete sich der Familie, machte<br />

ausgiebig Urlaub. Nach einem Jahr stellte er<br />

sich wieder vor. Bei der Untersuchung zeigte<br />

sich, dass keine Lungenmetastasen mehr zu<br />

finden waren und sich der Knochentumor<br />

zurückzubilden schien. Nach fünf Jahren<br />

war der Tumor nicht mehr aufzufinden“,<br />

erzählte der Onkologe, der auf eine 30-jährige<br />

Berufserfahrung zurückblicken kann.<br />

Immer wieder gebe es solche Berichte in der<br />

Tagespresse, wissenschaftlich werde wenig<br />

publiziert. Grund dafür ist, dass häufig keine<br />

Langzeitbeobachtungen möglich seien, weil<br />

die Patienten die Schulmedizin ablehnten.<br />

„Was läuft da ab? Spielen neben biologischen<br />

auch psychosoziale Faktoren eine Rolle? Diese<br />

Fragen können wir derzeit nicht wissenschaftlich<br />

belegt beantworten. Fakt ist, dass<br />

es Spontanremissionen gibt. Sie sind aber<br />

nicht therapeutisch herbeizuführen. Die Erforschung<br />

der Mechanismen ist eine schwierige,<br />

aber lohnende Aufgabe.“<br />

Der Lebensqualität von Krebspatienten widmete<br />

sich Prof. Jürg Bernhard, Oberarzt an<br />

der Universitätsklinik für Medizinische Onkologie<br />

des Inselspit<strong>als</strong> Bern. Er warf Fragen<br />

auf wie: Wie verändert sich die Lebensqualität<br />

im Laufe der Behandlung? Was bedeutet<br />

Überlebenszeit für den Einzelnen? Wie stark<br />

werden Schmerzen in den unterschiedlichen<br />

Phasen von Erkrankung und Behandlung<br />

wahrgenommen? Sein Fazit: Lebensqualität<br />

ist nicht gleichzusetzen mit den Gesundheitsstatus.<br />

Denn auch für todkranke Patienten ist<br />

Lebensqualität wichtig.<br />

Das Ineinandergreifen von Psychoanalyse<br />

und Psychoonkologie stellte Prof. Almuth<br />

Sellschopp, früher Leitende Psychotherapeutin<br />

am Institut für Psychosomatische<br />

Medizin, Psychotherapie und Medizinische<br />

Psychologie der Universität München dar.<br />

Sie formulierte <strong>als</strong> Ziele für die Krebspatienten,<br />

dass Hilflosigkeit zu reduzieren,<br />

eine verlässliche Strukturierung zu schaffen,<br />

sozialer Rückzug zu verhindern und<br />

ein stabiles Selbstgefühl beizubehalten sind.<br />

„In Deutschland gibt es rund fünf Millionen<br />

Menschen, die Krebserkrankungen überstanden<br />

haben. Viele sind seelisch geschädigt.<br />

Aber viele wollen und können einfach<br />

mit dem Leben weitermachen.“<br />

„Unter Prof. Schwarz wurden die Themen<br />

Psychoonkologie, Leben mit Handicaps und<br />

die Forschung zu gesellschaftlich brisanten<br />

Themen in dem Mittelpunkt der universitären<br />

Sozialmedizin in <strong>Leipzig</strong> gestellt“, sagte Prof.<br />

Steffi G. Riedel-Heller, kommissarische Leiterin<br />

der Selbstständigen Abteilung Sozialmedizin<br />

im Institut für Arbeitsmedizin und Sozialmedizin<br />

der Universität <strong>Leipzig</strong>. Brisante Themen<br />

und Herausforderungen heute seien die<br />

demografische Entwicklung und die daraus<br />

resultierenden Erkrankungen einer alternden<br />

Gesellschaft, die begrenzten Ressourcen, <strong>als</strong>o<br />

die Frage nach den Kosten, sowie der soziale<br />

Wandel, der die Aufgabe stellt, erkrankte Menschen<br />

in die Mitte der Gesellschaft zu führen.<br />

Prof. Elmar Brähler spricht auf dem Gedenksymposium für Sozial- und Arbeitsmediziner<br />

Prof. Reinhold Schwarz.<br />

Foto: ukl<br />

Zum Fatigue-Syndrom sprach Prof. Jens Ullrich<br />

Rüffer, 1. Vorsitzender der Deutschen<br />

Fatigue Gesellschaft. „Nebenwirkungen von<br />

Chemo-, Radio- und Immuntherapie sind<br />

nicht nur Übelkeit, Haarausfall und Schmerzen,<br />

sondern eben auch eine totale Erschöpfung.<br />

Bis zu 40 Prozent der Krebspatienten<br />

leiden noch Jahre nach ihrer Krebstherapie<br />

unter Fatigue – mit Auswirkungen in allen<br />

Lebensbereichen.“<br />

Antje Lehmann-Laue, Leiterin der Beratungsstelle<br />

für Krebspatienten und Angehörige<br />

in <strong>Leipzig</strong>, stellte das Konzept der von<br />

Prof. Schwarz 1999 ins Leben gerufenen<br />

Einrichtung vor. Nach mehr <strong>als</strong> 10 Jahren ist<br />

die Beratungsstelle heute zu einem wichtigen<br />

Anlaufpunkt für krebskranke Menschen und<br />

deren Familien in <strong>Leipzig</strong> geworden. Waren<br />

es anfangs knapp 150 Patienten, sind es<br />

heute pro Jahr mehr <strong>als</strong> 850 Personen, die<br />

beraten und begleitet werden.<br />

Angaben über das seelische Befinden im Arztbrief<br />

– über eine entsprechende Studie, die von<br />

Prof. Schwarz angeregt in <strong>Leipzig</strong> und München<br />

läuft, informierte Prof. Peter Herschbach,<br />

Leiter der Sektion Psychosoziale Onkologie an<br />

der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische<br />

Medizin und Psychotherapie am Klinikum<br />

rechts der Isar/TU München. Rund 1000<br />

Patienten sind in die Studie einbezogen. „Das<br />

Fazit nach etwa 500 ausgewerteten Befragungen<br />

lautet: Die Patienten machen mit. Die<br />

Hausärzte finden die Informationen hilfreich.<br />

Aber die Installation und Einführung eines entsprechenden<br />

Programmes ist sehr aufwändig.“<br />

Ein Nebenfazit der Studie lautet übrigens, dass<br />

die Patienten im Osten mehr Informationen<br />

und Betreuung wünschen, im Westen dagegen<br />

keinen Bedarf sehen.<br />

„Die Psychoonkologie gerät in Gefahr, Ersatz<br />

für die Arzt-Patienten-Beziehung zu werden.“<br />

Darauf machte PD Dr. Monika Keller von der<br />

Klinik für Psychosomatische und Allgemeine<br />

klinische Medizin am <strong>Universitätsklinikum</strong><br />

Heidelberg aufmerksam. Sie betonte, dass<br />

der Psychoonkologe die Kommunikation<br />

zwischen behandelndem Arzt und Patienten<br />

fördern, aber nicht ersetzen kann.<br />

Prof. Helmut Thomä, der 88-jährige Altvater<br />

der deutschen Psychoanalyse, ließ es<br />

sich nicht nehmen, der Psychoonkologie<br />

seinen Respekt zu zollen: „Ich könnte es <strong>als</strong><br />

Psychoonkologe nicht aushalten, ständig mit<br />

Patienten zu arbeiten, deren Erkrankung potenziell<br />

tödlich ist. Mein Ziel war es immer,<br />

Patienten zu helfen, besser in der Zukunft<br />

zu leben. Die Zukunft und die Möglichkeit<br />

der individuellen Selbstgestaltung sind bei<br />

vielen Krebspatienten enorm eingeschränkt.<br />

Deshalb schätze ich ihr Engagement in besonderer<br />

Weise. Weil es größer ist <strong>als</strong> das,<br />

was mir möglich gewesen wäre.“<br />

Die gesundheitlichen Folgen politischer Inhaftierung<br />

zu Zeiten der Sowjetischen Besatzungszone<br />

und der DDR – über dieses<br />

Forschungsprojekt, das Prof. Schwarz mit<br />

initiierte, berichtete Dr. Gregor Weißflog<br />

von der Selbstständigen Abteilung für Medizinische<br />

Psychologie und Medizinische<br />

Soziologie der Universität <strong>Leipzig</strong>. Erste<br />

Ergebnisse sind, dass 170 000 bis 280<br />

000 Menschen aus politischen Gründen<br />

inhaftiert waren. „Rund 100 000 leiden<br />

an einer Posttraumatischen Belastungsstörung,<br />

rund 50 000 haben eine Chronifizierung<br />

dieser Störung“, so Dr. Weißflog.<br />

Die körperlichen gesundheitlichen Folgen<br />

betreffen meist Schädigungen der Zähne<br />

(50 Prozent), der Gelenke (40 Prozent), der<br />

Wirbelsäule (37 Prozent) und des Magens<br />

(34 Prozent). Die seelischen Schäden gehen<br />

noch darüber hinaus: 86 Prozent der<br />

befragten früheren politischen Häftlinge<br />

geben Spätfolgen an, 38 Prozent waren<br />

in psychiatrischer oder psychotherapeutischer<br />

Behandlung.<br />

Über Studien zu Spätfolgen des Zweiten<br />

Weltkrieges informierte Prof. Elmar Brähler,<br />

Leiter der Selbstständigen Abteilung<br />

Medizinische Psychologie und Medizinische<br />

Soziologie der Universität <strong>Leipzig</strong>. „Bei den<br />

vor 1946 Geborenen wirken heute noch<br />

Bombenangriffe, der Verlust der Wohnung,<br />

Evakuierung, Verlust des Vaters, Hunger,<br />

Armut, Flucht und Vertreibung nach. So<br />

haben Vertriebene mehr Angst <strong>als</strong> die Allgemeinbevölkerung.<br />

Auch besuchen sie<br />

mehr den Arzt <strong>als</strong> Nicht-Vertriebene“, so<br />

einige Studienergebnisse. Das Fazit von<br />

Prof. Brähler: „Kriegshandlungen wurden<br />

von vielen gut verarbeitet, haben aber auch<br />

bei vielen psychische und physische Spuren<br />

hinterlassen. Ärzte, die solche Patienten haben,<br />

sollten dies im Hinterkopf haben – und<br />

auch danach fragen.“<br />

Am Ende der zweitägigen Veranstaltung<br />

kündigte Prof. Brähler an, dass – auch aus<br />

den Vorträgen des Symposiums – ein Buch<br />

zur Psychoonkologie entstehen wird. Dieses<br />

sei Prof. Schwarz gewidmet, der in der Stadt<br />

<strong>Leipzig</strong> und in der Wissenschaft gewichtige<br />

Spuren hinterlassen habe. Uwe Niemann

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