Unabhängiges wissenschaftliches Gutachten zum Flughafenprojekt ...

H. Bossel – Gutachten zum Flughafenprojekt Kassel-Calden – 18. 01. 2002 18
3. Es besteht keine Aussicht, dass Kassel-Calden sich zu einem internationalen Drehkreuz (wie etwa
Frankfurt, München, Amsterdam oder Paris) entwickelt.
4. Der geschäftliche Flugreisebedarf der Region Kassel ist zu gering, um häufige und vielfältige
Linienverbindungen wirtschaftlich betreiben zu können. Auch in Zukunft ist eine hohe Nachfrage
nach Geschäftsreiseflügen aufgrund der relativ geringen Bevölkerungs- und Betriebsdichte
ausgeschlossen.
5. Im Gegensatz etwa zum Ruhrgebiet hat die Region Kassel selbst einen hohen Erholungswert mit
geringerer spezifischer Nachfrage nach Urlaubsflugreisen. Das Durchschnittseinkommen liegt
vergleichsweise niedrig bei etwa 80% des Bundesdurchschnitts.
Der zu erwartende Marktanteil des Flughafens Kassel-Calden lässt sich mit den Erfahrungen anderer
Regionalflughäfen abschätzen. Für die von Rand/Europe als Vergleichsflughäfen ('bench marks')
betrachteten Flughäfen Friedrichshafen, Augsburg, Charleroi und Maastricht-Aachen ergeben sich für
1999 die folgenden Werte:
Flughafen Bevölkerung im
Einzugsgebiet
(Millionen)
Passagiere pro
Jahr
Anteil am
Marktpotential 14
Passagiere pro
Flugzeug
(Durchschnitt)
Friedrichshafen 1.7 325'000 14% 36.8
Augsburg 1.7 220'000 9% 21.8
Charleroi 1.5 225'000 11% 74.4
Maastricht-Aachen 1.7 293'000 12% 28.8
Anmerkungen zu dieser Tabelle:
1. Der niedrige Anteil am Marktpotential von etwa 9 bis 14 Prozent ergibt sich, obwohl diese
Flughäfen in mancher Hinsicht günstigere Bedingungen als Kassel-Calden aufweisen: In
Friedrichshafen fehlt die Konkurrenz gut erreichbarer Flughäfen; Augsburg ist trotz einer
Landebahn von nur 1400 m begünstigt durch die mit der Lufthansa kooperierende Augsburg
Airways und die Nähe der Großstadt München; von Charleroi aus operiert die Billigfluglinie Ryan
Air; Maastricht-Aachen profitiert von seiner Zubringerfunktion für das Drehkreuz Amsterdam, vom
Charterverkehr und als Luftfrachtzentrum.
2. Aus der durchschnittlichen Zahl der Passagiere pro Flugzeug ergibt sich, dass lediglich der
Flughafen Charleroi einen nennenswerten Verkehr mit größeren Verkehrsmaschinen aufweist. Bei
den anderen Flughäfen dominieren die 40- bis 70-Sitzer, die eine Startbahnlänge von weniger als
1500 m benötigen (wie in Augsburg).
Wird, ausgehend von optimistischen Annahmen, für Kassel-Calden ein Anteil am Marktpotential von
15% vorausgesetzt (höher als für jeden der Vergleichsflughäfen!), so errechnet sich für den Flughafen
Kassel-Calden eine jährliche Passagierzahl von
Passagierzahl = Marktanteil x Flugreisepotential
= Marktanteil x Flugreisehäufigkeit x 2 x Bevölkerungszahl im Einzugsgebiet
= 0.15 · 0.7 · 2 · 1.2 Mio = 0.252 Mio
erwartete Passagierzahl = 252'000 Passagiere pro Jahr
In der Untersuchung von Rand/Europe wird zwar angegeben, dass die Zahlen der Vergleichsflughäfen
zur 'Eichung' des 'Gravitationsmodells' verwendet wurden, dieses berechnet dann seltsamerweise
aber höhere Marktanteile (zwischen 13 und 24% für 'originäre' Passagiere aus der Region, s. Tabelle).
Den vier Rand-Szenarien ist noch ein fünftes ('realistisches') hinzugefügt, bei dem nur Charterflüge
ohne Umsteiger und keine Linien- oder Billigflüge stattfinden.
Szenarioergebnisse der Rand/Europe Studie für 2015
Szenario originäre
Passagiere,
Charter
Transfer-
Passagiere,
Charter
Passagiere,
Linie
Passagiere,
gesamt
originäre
Passagiere
Marktanteil
(Potential
= 2 Mio)
1. Charterhub 251'000 295'000 56'000 602'000 307'000 15%
2. Linie 30'000 230'000 260'000 260'000 13%
3. Low Cost Carrier 23'000 305'000 328'000 328'000 16%