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Textbuch als PDF (2,6 MB) - Cusanuswerk

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Kennst du Polen?<br />

oder: Ich weiß ungefähr, wo Warschau liegt<br />

von Dr. Stefan Raueiser<br />

„Kennst du Polen?“ fragte sie. „Warst du schon mal hier?“<br />

Sie drehte sich eine Zigarette, und er goß ihnen Wasser<br />

nach, schüttelte den Kopf.<br />

„Ich weiß ungefähr, wo Warschau liegt.“<br />

„Es ist komisch“, sagte Lucilla. „Jeder unserer Leute lernt<br />

in der Schule alles über Deutschland: Geographie, Geschichte,<br />

Kultur. Aber für die meisten Deutschen sind wir<br />

ein weißer Fleck im Kopf. Sie fahren über die Grenze,<br />

kaufen unser billiges Benzin, den Wodka und die Zigaretten<br />

auf, vögeln unsere billigen Nutten und reißen sich die<br />

besten Grundstücke für ihre Flutlichtfarmen unter den<br />

Nagel - aber sie kennen unser Land nicht. Wie kommt<br />

das?“<br />

DeLoo zog die Mundwinkel herab. Mit den Fingern<br />

fischte er die Reste des Salats aus der Schüssel. „Vermutlich<br />

liegt es zu nah.“<br />

Ralf Rothmann, Hitze (Roman, Suhrkamp 2003)<br />

Vielleicht besteht eine der überraschendsten<br />

Erfahrungen deutscher Studierender<br />

in ihren ersten Begegnungen mit<br />

polnischen Kommilitonen darin, dass das so<br />

nahe liegende Nachbarland das fremdeste,<br />

das für viele unbekannte, wirkliche „terra<br />

incognita“ ist. Die Bischöfliche Studienförderung<br />

schickt sich mit dem Europäischen<br />

Doktorandenkolloquium in Lublin daher<br />

an, Stipendiatinnen und Stipendiaten Begegnungen<br />

in der Mitte Europas zu ermöglichen,<br />

um den in Deutschland und Polen<br />

höchst unterschiedlichen Stellenwert von<br />

„Erinnerung und Identität“ im Umgang mit<br />

der eigentlich gemeinsamen, in Wirklichkeit<br />

jedoch <strong>als</strong> trennend erlebten europäischen<br />

Nachbarschaftsgeschichte zu thematisieren.<br />

Auch wenn „Europa“ kein originär<br />

christliches Projekt ist, so haben junge Katholiken<br />

allen Grund, sich um diesen Aspekt<br />

europäischer Memorialkultur zu kümmern,<br />

gehören sie doch einer Kirche an, die<br />

sich auf der einen Seite <strong>als</strong> Einheit über alle<br />

nationale Grenzen hinweg versteht, die aber<br />

gleichzeitig ausgesprochen eng mit den diversen<br />

nation<strong>als</strong>taatlichen Geschichten wie<br />

Kulturen in Europa verwoben ist.<br />

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