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Textbuch als PDF (2,6 MB) - Cusanuswerk

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Ich glaube, weil ich lebe<br />

von Konrad Schuller<br />

Kein Land Europas ist katholischer <strong>als</strong> Polen. Doch nun ist an die Stelle des<br />

patriotischen Gottvertrauens ein nationaler Klerikalismus getreten.<br />

Toruñ und Wadowice: Zwischen einer<br />

schroffen gotischen Festung im Norden Polens<br />

und einem freundlichen Marktflecken<br />

mit Zwiebeltürmen und hellen Bürgerhäusern<br />

im Süden oszilliert die Religiosität dieser<br />

Nation. In Wadowice wurde vor 86 Jahren<br />

Karol Wojtyla geboren, der Mann, der<br />

<strong>als</strong> Johannes Paul II. für die Überwindung<br />

des Kommunismus ebenso stand wie für<br />

die europäische Öffnung seines Landes und<br />

den Dialog zwischen Christen und Juden.<br />

In Toruñ, dem früheren Thorn, dagegen<br />

hat Radio Maryja, der einflußreichste katholische<br />

Sender Europas, seinen Sitz. Unter<br />

der Führung des Redemptoristenpaters<br />

Tadeusz Rydzyk warnt er vor den mutmaßlichen<br />

Machenschaften deutscher und jüdischer<br />

Dunkelmänner, die Polen mit Hilfe<br />

der Europäischen Union versklaven wollen,<br />

bejaht das Verbot von Paraden Homosexueller<br />

und führt Beschwerde darüber, daß Juden<br />

unter dem Mantel von Eigentumserstattung<br />

„Lösegeld” von Polen kassierten. Als<br />

im Herbst die Partei der Brüder Kaczynski<br />

an die Macht kam, ist Radio Maryja zum<br />

Haussender der Regierung geworden.<br />

Kein Land Europas ist katholischer <strong>als</strong><br />

Polen. Nicht nur, daß nach einer Umfrage<br />

85 Prozent sich <strong>als</strong> „religiös” beschreiben;<br />

die Geschichte dieses Staates, seine generationenlange<br />

Austilgung ebenso wie die<br />

Wiederkehr, ist untrennbar mit der Kirche<br />

verbunden. In der Zeit der Teilung war die<br />

Schwarze Madonna von Tschenstochau,<br />

„Königin Polens” seit ihrer symbolischen<br />

Vermählung mit König Jan III. Kazimierz,<br />

der Fluchtpunkt der Nation. Später, in der<br />

Schlußphase des Kommunismus, legitimierte<br />

der Pole Johannes Paul II. mit dem<br />

biblischen Aufruf „Fürchtet Euch nicht!”<br />

den Widerstand der Gewerkschaft „Solidarität”.<br />

Lech Walesa heftete sich das Bildnis<br />

der Madonna ans Revers, und die „Solidarität”<br />

wuchs mitten in der Diktatur auf zehn<br />

Millionen Mitglieder. Der alte Mythos vom<br />

„Christus unter den Völkern”, die Erzählung<br />

vom gläubigen Polen, das durch Zerstückelung<br />

und Höllenfahrt zur Auferstehung<br />

strebt, fand in der Wende triumphale<br />

Bestätigung.<br />

Beide Seiten geben und nehmen. Wie<br />

der Papst Polens Widerstand gegen die sowjetische<br />

Fremdherrschaft stärkte und damit<br />

zuletzt die Feinde der Kirche besiegte,<br />

so konnte die Nation durch ihre Bindung an<br />

die Kirche den Kampf um ihre Freiheit gewinnen.<br />

Ihr Sieg bestätigte zuletzt die alte<br />

polnische Gleichung: Wer für den Glauben<br />

kämpft, kämpft für die Nation, und wer die<br />

Nation verteidigt, steht für den Glauben.<br />

Die Politik der Brüder Kaczynski und des<br />

Senders Radio Maryja ist der Versuch, diese<br />

Gleichung aus Zeiten der Diktatur in die<br />

offene Gesellschaft herüberzuretten. An die<br />

Stelle von Wojtylas patriotischem Gottvertrauen<br />

ist dabei jedoch eine rigidere Variante<br />

getreten, der nationale Klerikalismus von<br />

Thorn. Die „Generation Radio Maryja” mit<br />

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