Textbuch als PDF (2,6 MB) - Cusanuswerk
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Ein Wasserträger und<br />
„typischer“ Bewohner des<br />
verarmten jüdischen Viertels<br />
(1930er Jahre)<br />
Zeit der polnischen Unabhängigkeit, wichtige<br />
Funktionen zu. Während die Integrationskraft<br />
der Synagogengemeinde nachließ,<br />
übernahmen sie die Gestaltung des sozialen<br />
und kulturellen Lebens, vor allem in den<br />
Städten.<br />
Mitte des 19. Jahrhunderts hatte man begonnen,<br />
an jüdischen Schulen auch säkulare<br />
Fächer zu unterrichten, zum Teil auf<br />
Polnisch oder Russisch. Ende des 19. Jahrhunderts<br />
wurde die erste zionistisch inspirierte,<br />
hebräisch-sprachige Schule Lublins<br />
gegründet und ein Schulsystem für<br />
Mädchen eingeführt. Alle jüdischen Einrichtungen<br />
litten dabei immer wieder unter<br />
dem zunehmenden Antisemitismus des<br />
19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, in<br />
Lublin speziell unter den Übergriffen der<br />
Studenten der Katholischen Universität.<br />
Die 1930 eingeweihte orthodoxe Rabbinerhochschule<br />
„Jeshiva Chachmej Lublin“,<br />
für deren Gründung, Errichtung und Ausstattung<br />
Rabbi Meir Shapiro (1887-1933)<br />
Wohltäter in aller Welt gewinnen konnte,<br />
zählte zu den letzten großen Projekten der<br />
Lubliner Gemeinde und zu den modernsten<br />
Einrichtungen ihrer Art – dazu Döblin:<br />
Es schneit stärker. Trübe warten Verkäufer<br />
in den dunklen Läden, warten vor der Tür.<br />
Fast am Ende der Straße baut man die große<br />
jüdische Hochschule, die der Orthodoxen, eine<br />
Welt-Jeschiwe. Auf der einen Seite der Stadt<br />
steht die katholische Universität, hier diese.<br />
Tausend Menschen, Schüler und Lehrer, sollen<br />
darin unterkommen. Es ist die Provinz.<br />
Die Großstadt betreibt Politik, in der Provinz<br />
folgt die langsame Religion.<br />
Doch die Politik überrollte die „langsame<br />
Religion“ – 1939, kurz nach dem Einmarsch<br />
der Deutschen, mußte die Jeshiva geschlossen<br />
werden, Name und Tradition übertrug<br />
man nach dem Zweiten Weltkrieg auf die<br />
Rabbinerhochschule Detroit, das Gebäude<br />
zählt zu den wenigen Zeugnissen jüdischen<br />
Lebens im heutigen Stadtbild von Lublin.<br />
Belzec – Majdanek – Sobibor<br />
Mit dem Angriff Deutschlands auf Polen<br />
begann der Zweite Weltkrieg und die Auslöschung<br />
einer der größten, ältesten und<br />
vielfältigsten jüdischen Gemeinschaften<br />
Europas. In Lublin wie in anderen Orten<br />
bedeutete dies zuerst die Auflösung der<br />
Gemeinde (1/1940), dann die Errichtung<br />
eines Ghettos (3/1941). Da Stadt und Bezirk<br />
Lublin einen sehr hohen jüdischen Bevölkerungsanteil<br />
hatten, begann man sofort mit<br />
Deportationen. Bis April 1940 wurde noch<br />
darüber verhandelt, alle polnischen Juden<br />
in eine Art „Jüdisches Reservat Lublin“ zu<br />
sperren (vgl. Madagaskar-Plan für reichsdeutsche<br />
Juden!), doch ab 1941/1942 hatten<br />
Transporte in das Gebiet Lublin nur noch<br />
ein Ziel.<br />
Der Zauber(er) von Lublin<br />
Allen, die sich jenseits der Archive und<br />
historischen Abhandlungen auf die Suche<br />
nach den Menschen und Geschichten des<br />
jüdischen Lublin machen wollen, seien die<br />
Romane und Erzählungen von Isaac Bashevis<br />
Singer empfohlen. Da er selbst einige<br />
Jahre in der Kleinstadt Bilgoraj verbracht<br />
hatte, tauchen Lublin und die Shtetl der<br />
Umgebung immer wieder in seinen Werken<br />
auf, so im „Satan in Goraj“ und im „Zauberer<br />
von Lublin“. Singer, der zeitlebens auf<br />
Jiddisch schrieb, wurde 1978 der Literatur-<br />
Nobelpreis verliehen. Wie Alfred Döblin<br />
und Joseph Roth zeugt er mit seinen Werken<br />
von einer gewaltsam abgebrochenen<br />
Tradition, von einer unwiederbringlich zerstörten<br />
Welt.<br />
Literatur<br />
Döblin, Alfred: Reise in Polen, 1925<br />
Singer, Isaac Bashevis: Der Zauberer von<br />
Lublin, 1960<br />
Encyclopaedia Judaica, s. v. Lublin<br />
Haumann, Heiko: Geschichte der Ostjuden,<br />
München 1990<br />
Polonsky, Antony u. a. (Hg.): The Jews in<br />
Old Poland 1000-1795, London/New York<br />
1993<br />
Weinryb, Bernard D.: The Jews of Poland,<br />
A social and economic History of the Jewish<br />
Community in Poland 1100-1800,<br />
Philadelphia 1972<br />
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