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Textbuch als PDF (2,6 MB) - Cusanuswerk

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Zeit ein - von Deutschen - besetztes Land<br />

war.<br />

Die zeitliche Koinzidenz der Debatten<br />

um Jedwabne mit der um das „Zentrum<br />

gegen Vertreibungen“ sowie der mit beiden<br />

verbundene rasante Perspektivwechsel zwischen<br />

Opfer und Täter rief bei vielen Polen<br />

jedoch auch Schutz- und Abwehrreflexe<br />

hervor. Vor diesem Hintergrund steht denn<br />

auch der Verdacht der Geschichtsrevision im<br />

Raum, wenn in Deutschland die privaten<br />

Erzählungen über Bombenopfer, Vertriebene<br />

und einzelne Soldatenschicksale in den<br />

öffentlichen Diskurs treten - so wie es Ralf<br />

Rothmann in seinem Nach-Wende-Roman<br />

„Hitze“ in einem Dialog der (polnischen)<br />

Protagonistin Lucilla mit ihrem (deutschen)<br />

Liebhaber DeLoo verdichtet:<br />

„‘Apropos. Mein Vater ist mal hiergewesen.<br />

Als Soldat. Er konnte sogar ein bißchen<br />

die Sprache, liebte polnische Gedichte.‘ ‚Ach<br />

Gott‘, sagte sie durch den Rauch. ‚Ein schöngeistiger<br />

Nazi?‘ DeLoo beugte sich vor, wischte<br />

ihr etwas Tabak vom Schoß. ‚Er war Soldat,<br />

kein Nazi. Er ist hier verwundet worden.‘<br />

Sie grunzte leise. ‚Unschuldig, klar. Wie alle.‘<br />

‚Nein. Schuldig führte er sich schon. Aber das<br />

hatte andere Gründe, eher persönliche“.<br />

Ist es angesichts dieser Gemengelage überhaupt<br />

denkbar, dass Deutsche und Polen zu<br />

einem verbindenden historischen Gedenken<br />

finden? Werden sich die durch unterschiedliche<br />

Erfahrungen und Erinnerungen so verschieden<br />

geprägten historischen Identitäten<br />

nicht immer wieder trennend zwischen Polen<br />

und Deutsche stellen, ganz gleich wie die<br />

Konstellationen zwischen Gastgebern und<br />

Gästen auch beschaffen sein mögen? Mit Johannes<br />

Paul II. gefragt: „Wo liegt die Wasserscheide<br />

zwischen Generationen, die nicht<br />

genug bezahlt haben, und Generationen, die<br />

zu viel bezahlt haben? Wir, auf welcher Seite<br />

stehen wir?“ (Erinnerung und Identität. Gespräche<br />

an der Schwelle zwischen den Jahrtausenden,<br />

Augsburg 2005, 100).<br />

Der Osteuropa-Korrespondent der Süddeutschen<br />

Zeitung macht darauf aufmerksam,<br />

dass wir es bei dem Streit zwischen<br />

Deutschen und Polen mit zwei Anliegen zu<br />

tun bekommen, von denen jede Seite sagt,<br />

wie moralisch berechtigt das ihre ist. „Die<br />

Vertriebenen und ihre Unterstützer sagen,<br />

wir wollen gewürdigt sehen, dass wir, diejenigen,<br />

die aus den Gebieten östlich von<br />

Oder und Neiße vertrieben worden sind, einen<br />

höheren Preis für den Krieg gezahlt haben,<br />

den natürlich alle Deutschen in ihrer<br />

Gesamtheit zu verantworten haben, <strong>als</strong> diejenigen,<br />

die nach dem Krieg das Glück hatten,<br />

in der britischen oder amerikanischen,<br />

<strong>als</strong>o in den Westzonen zu sein. Von polnischer<br />

Seite sagt man nun, und das ist genauso<br />

ein berechtigtes Anliegen: Wir waren<br />

im Krieg die Opfer. Es ist richtig, dass es<br />

die Vertreibung gab. Es ist auch richtig, dass<br />

es nach dem Krieg die Verdrängungspolitik<br />

Warschaus gab, die sicherlich auch den Tod<br />

vieler Betroffener in Kauf genommen hat.<br />

Aber es war keine Vernichtungspolitik wie<br />

die deutsche Politik während des Krieges in<br />

Polen. .. Wir haben das Problem, dass die<br />

polnische Argumentation bzw. die Hauptargumente<br />

auf deutscher Seite entweder nicht<br />

verstanden oder nicht akzeptiert werden“<br />

(Thomas Urban, Neue politische Aufbrüche<br />

in Polen, in: zur debatte 1/2006, 36f).<br />

Polen kennen lernen<br />

Mehr <strong>als</strong> sechs Jahrzehnte nach<br />

Kriegsende, 15 Jahre nach Inkrafttreten des<br />

deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrags<br />

und im dritten Jahr engster Nachbarschaft<br />

innerhalb der Europäischen Union unternimmt<br />

das Europäische Doktorandenkolloquium<br />

„Erinnerung und Identität“ den<br />

Versuch, national ausgesprochen unterschiedlich<br />

geprägte Memorialkulturen mit<br />

Konzeptionen gemeinsamer anamnetischer<br />

Vergegenwärtigung in das Gespräch zwischen<br />

deutschen und polnischen Studierenden<br />

wie Promovierenden zu bringen.<br />

Für die deutschen Teilnehmerinnen<br />

und Teilnehmer bedeutet eine solche Bildungsveranstaltung,<br />

sich dem polnischen<br />

Geschichts- wie Selbstverständnis zu stellen.<br />

Die (deutsche) Koordinatorin für die<br />

deutsch-polnische Zusammenarbeit empfiehlt<br />

dazu, „den polnischen Sinn für Freiheit<br />

und Würde - traditionsreiche europäische<br />

Werte! - aus der polnischen Geschichte<br />

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