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Reformation und Säkularisierung - Histomat

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herrscht eine Tendenz vor, dass der menschliche Geist primär ein Gerichtshof ist, vor dem<br />

alles kritisch geprüft wird. Wir sind nicht so autark, dass wir am Ende alles aus unserer Vernunft<br />

heraus gebären. Das heisst aber nicht, dass wir alles unbefragt <strong>und</strong> unkritisch übernehmen.<br />

Der Mensch muss bei all seinen Fähigkeiten in seiner Endlichkeit <strong>und</strong> Bedingtheit gesehen<br />

werden. Wir müssen alle noch so verborgenen Träume quasi göttlicher Allmacht verabschieden.<br />

Aber dies heisst nicht, dass wir damit auch die Wahrheitsfähigkeit des menschlichen<br />

Geistes aufgeben müssten. Zu dieser Endlichkeit gehört gewiss auch das Wissen um die perspektivische<br />

Erkenntnis von allem.<br />

Bauern<br />

Das Gegenstück zu den Bürgern waren die Bauern, die hier im Rollenspiel stellvertretend für<br />

die ländliche Bevölkerung stehen. Sie lebten weiterhin in ihrer eigenen Welt, abgeschlossen<br />

von den Schriften der Aufklärer. Sie hielten besonders zäh an den überkommenen Vorstellungen<br />

fest, die ihnen von der Kirche überliefert worden waren.<br />

9.3. Das Zeitalter der Vernunft <strong>und</strong> der Aufklärung<br />

Mit dem Ausklingen der konfessionellen Auseinandersetzungen um die Mitte des 17. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

<strong>und</strong> angesichts der traumatischen Erfahrung permanenter Religions- <strong>und</strong> Bürgerkriege<br />

(Dreissigjähriger Krieg) setzte zunächst bei einer kleinen Schicht von Gelehrten, Schriftstellern<br />

<strong>und</strong> «Gebildeten» in England, Frankreich, Italien, Deutschland <strong>und</strong> in den Niederlanden<br />

ein Bewusstseinswandel ein. Diese Menschen lösten sich von der Vorherrschaft des theologischen<br />

Denkens, sie stützten sich auf Vernunft <strong>und</strong> Erfahrung statt auf die biblische Offenbarung<br />

oder die Überlieferungen der Antike. Sie wollten eine tendenziell theologie- <strong>und</strong> philosophiefreie<br />

Wissenschaft, indem sie die Wahrheit in der sie umgebenden Wirklichkeit statt<br />

in den überlieferten Büchern suchten. Die Revolution des Denkens <strong>und</strong> der Wissenschaften<br />

entfaltete in der Aufklärung des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts eine gewisse Breitenwirkung <strong>und</strong> ist ohne<br />

die Veränderungen im wirtschaftlichen, gesellschaftlichen <strong>und</strong> politischen Leben jener Zeit<br />

<strong>und</strong>enkbar. Dennoch war sie nicht einfach deren Resultat, sondern eine geistige Bewegung,<br />

deren wirklichkeitsverändernde Kraft ihren Ursprung in den Köpfen hatte.<br />

Wandel des Bewusstseins <strong>und</strong> der Erkenntnis<br />

Denken <strong>und</strong> Wissenschaft, das Verständnis von Mensch <strong>und</strong> Welt standen im christlichen<br />

Europa bis zum 16. Jahrh<strong>und</strong>ert im Banne der geoffenbarten Glaubenswahrheiten. Mittelalterliche<br />

Wissenschaft war Bewahrung <strong>und</strong> Weitergabe, Kommentierung <strong>und</strong> Systematisierung<br />

eines aus der Bibel <strong>und</strong> der kirchlichen Lehrtradition gespeisten, aus der Literatur des griechisch-römischen<br />

Altertums ergänzten Wissens, das in seinen wesentlichen Zügen ein für alle<br />

Mal feststand <strong>und</strong> an dessen Verbindlichkeit zu rütteln unter das todeswürdige Verbrechen<br />

der Ketzerei fiel. Die Wissenschaftler des christlichen Mittelalters waren Buchgelehrte, die<br />

sich an die als Autoritäten anerkannten Schriftsteller hielten; ihre Massstäbe für Wahrheit <strong>und</strong><br />

Unwahrheit waren nicht die eigene Erfahrung oder das von allen Vorgaben unabhängige<br />

Nachdenken, sondern die Feststellungen <strong>und</strong> Auffassungen, die sie in den für gültig erklärten<br />

Texten vorfanden.<br />

Dieses statische, seiner ewigen Wahrheiten sichere Wissenssystem geriet im 16. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

ins Wanken, <strong>und</strong> zwar vor allem durch folgende Vorgänge:<br />

• Die 1492 durch Christoph Kolumbus eingeleitete Entdeckung <strong>und</strong> Erschliessung der<br />

«Neuen Welt»: Sie beendete, wie die zeitgleiche Begegnung der Europäer mit den<br />

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