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Download - juridikum, zeitschrift für kritik | recht | gesellschaft

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echt & <strong>gesellschaft</strong><br />

Weltfriedens und der internationalen<br />

Sicherheit“ qualifiziert. Damit fühlten<br />

sich die USA legitimiert weltweit gegen<br />

Terrorismus vlg Al Kaida vorzugehen.<br />

10 Dies wurde für die Intervention<br />

in Afghanistan genützt. Die NATO<br />

hatte bereits im Vorfeld dieses Sicherheitsratsmandates<br />

erstmals in ihrer Geschichte<br />

den militärischen Beistandsmechanismus<br />

in Kraft gesetzt – aus<br />

Anlass eines verbrecherischen Terroraktes.<br />

Die Erläuternden Bemerkungen<br />

des KSE-BVG zu § 1 stellen eindeutig<br />

fest, dass „diesem Begriffsverständnis<br />

[Anm.: von Friedenssicherung] entsprechend<br />

Maßnahmen der kollektiven<br />

Selbstverteidigung nicht als solche<br />

der Z 1 zu verstehen sind“. 11 Auch die<br />

hL schließt daraus: „Maßnahmen der<br />

kollektiven Selbstverteidigung [sind]<br />

nicht als Maßnahmen der Friedenssicherung<br />

zu begreifen“ 12 und können<br />

daher auch kein Gegenstand einer<br />

Truppenentsendung nach dem KSE-<br />

Gesetz darstellen. Die Beteiligung<br />

von österreichischen Streitkräften am<br />

ISAF-Einsatz in Afghanistan ist in diesem<br />

Lichte neu zu prüfen.<br />

3. Aktuelle Einsatzszenarien<br />

3.1. Tschad: völker<strong>recht</strong>skonform<br />

und dennoch umstritten<br />

Der Einsatz im Tschad basiert auf einem<br />

VN-Mandat und ist dennoch politisch<br />

umstrittener als alle Auslandseinsätze<br />

seit 1997. Einerseits treten Bedenken<br />

gegen die Machbarkeit auf. Aber vor<br />

allem zeigte sich auch bald die dünne<br />

Rechtsgrundlage, die für solch einen<br />

Einsatz zur Verteidigung von Flüchtlingen<br />

herangezogen wird.<br />

Ein Bürgerkrieg, an dem sich drei<br />

Rebellengruppen gegen das Zentralregime<br />

in N’Djamena von Idriss Deby<br />

erheben, kann die Aufgaben des VN-<br />

Einsatzes rasch überfordern. Damit<br />

tritt die Problematik der Hegemonie<br />

der französischen Truppen – die Hälfte<br />

der 3.700 Soldaten kommen aus<br />

Frankreich – bei dem VN-Einsatz in<br />

den Vordergrund. Tschad war bis 1960<br />

Kolonie Frankreichs. Wie in vielen<br />

anderen Teilen Afrikas übt bis heute<br />

auch dort die frühere Kolonialmacht<br />

direkten Einfluss auf das politische<br />

Geschehen aus. Leider ist europäische<br />

Afrikapolitik kaum mehr als postkoloniale<br />

Interessenspolitik der früheren<br />

Kolonialmächte. So stützt Frankreich<br />

den in dritter Amtszeit autoritär Regierenden<br />

Idriss Deby, nicht zuletzt durch<br />

den Einsatz von Fremdenlegionären.<br />

Auf diese Weise könnte es rasch<br />

zu äußerst schwierigen Situationen<br />

für die europäisch zusammengesetzte<br />

VN-Truppe kommen. Nun ist es richtig<br />

und wichtig, dass gerade bündnisfreie<br />

und neutrale Streitkräfte die französische<br />

Vormacht konterkarieren. Aber<br />

müsste nicht umgekehrt jedes andere<br />

militärische Engagement Frankreichs<br />

beendet werden, bevor der VN-Truppeneinsatz<br />

beginnt? Könnte auf dieser<br />

Basis ein neuer Waffenstillstand mit<br />

und zwischen den vier Rebellengruppen<br />

und Deby ausgehandelt werden?<br />

Was jedoch, wenn das nicht passiert<br />

und wenn aus der Verteidigung von<br />

Flüchtlingslagern plötzlich die Verteidigung<br />

der Zentralregierung gegen<br />

Rebellengruppen aus dem Sudan wird?<br />

Der Neutrale wäre dann zum sofortigen<br />

Abzug verpflichtet, was aber weder<br />

technisch noch politisch so rasch möglich<br />

sein wird. Während die EU noch<br />

auf der Suche nach Transportmitteln<br />

und Feldspitälern ist, werden die Bilder<br />

der aus Somalia abgezogenen US-<br />

Truppen im Jahr 1994 heraufbeschworen.<br />

Es wird immer deutlicher, dass es<br />

eine politische Vereinbarung zwischen<br />

den bewaffneten Gruppen im Tschad<br />

sowie zwischen dem Tschad und Sudan<br />

braucht, um eine erfolgreiche humanitäre<br />

Mission im Tschad auf die Beine zu<br />

stellen. Das wäre im Übrigen auch ein<br />

lohnendes friedenspolitisches Ziel, das<br />

allerdings vor dem Einsatz internationaler<br />

Truppen erreicht und dann durch<br />

diese abgesichert werden müsste. Ein<br />

solches Friedensabkommen hilft übrigens<br />

auch für eine langfristige Friedenslösung<br />

im Sudan selbst.<br />

3.2. Kosovo: völker<strong>recht</strong>swidrig und<br />

unumstritten<br />

Südosteuropa ist ein traditioneller<br />

Schwerpunkt österreichischer Außenpolitik<br />

wie auch seines militärischen<br />

Engagements. Die Frist für eine Verhandlungslösung<br />

der Zukunft des Kosovo<br />

ist am 10.12.2007 abgelaufen.<br />

Der neugewählte Premier Thaci hat<br />

sich auf die Formel einer „mit Brüssel<br />

und Washington koordinierten<br />

Unabhängigkeit“ festgelegt, 13 die voraussichtlich<br />

im Februar 2008 nach<br />

der Präsidentenwahl in Serbien erklärt<br />

wird. Während die USA bereits seit<br />

einem Jahr in Richtung „überwachter<br />

Unabhängigkeit“ drängen, entsprechend<br />

dem Plan des Chefvermittlers<br />

Ahtisaari, bleibt die Linie der EU<br />

uneinheitlich und unklar. Die Staaten<br />

müssen bilateral die Unabhängigkeit<br />

des Kosovo anerkennen. Dabei senden<br />

von den EU-Mitgliedern Griechenland,<br />

Zypern, Slowakei und Rumänien<br />

eher ablehnende Signale aus.<br />

Die EU selbst wird sich weiterhin<br />

diplomatischer Formeln befleißigen.<br />

Das zeigen auch Schlussfolgerungen<br />

vom Rat im Dezember 2007, die einerseits<br />

besagt, dass sich der aktuelle Status<br />

des Kosovo „nicht auf<strong>recht</strong> erhalten<br />

lässt“ und andererseits eine „voll in<br />

die Familie der europäischen Nationen<br />

integriertes Serbien“ verwirklichen<br />

will. 14 Die Frage der völker<strong>recht</strong>lichen<br />

Rechtmäßigkeit eines geplanten weitergehenden<br />

Engagements der EU<br />

und der NATO bleibt in diesem Dokument<br />

jedoch unbeantwortet. Auch die<br />

politische Zielsetzung des Einsatzes<br />

beschränkt sich auf die doch sehr<br />

allgemeine Formel der „Zukunft der<br />

westlichen Balkanländer in der EU“ 15<br />

Eine Unabhängigkeitserklärung<br />

kann eine Reihe von Problemen aufwerfen.<br />

Erstens kann die Situation<br />

im Kosovo eskalieren. Alleine bis zu<br />

40.000 Angehörige der serbischen<br />

Volksgruppe leben in von Serbien abgetrennten<br />

Enklaven. Auch werden an<br />

Serbien angrenzende serbische Bevölkerungsgebiete<br />

nach einer Unabhängigkeitserklärung<br />

de facto an Serbien<br />

angebunden. Zweitens und genauso<br />

wichtig: es kann eine Kettenreaktion<br />

ausgelöst werden, die zu einer Destabilisierung<br />

der Nachbarstaaten Bosnien,<br />

Serbien, Montenegro und Mazedonien<br />

führen kann. Die Frage neuer Grenzziehungen,<br />

die mit Dayton in der Region<br />

abgeschlossen sein sollte, wird damit<br />

neu aufgemacht.<br />

10) VN-Sicherheitsrats-Resolution<br />

1368 vom 12.9.2001 und 1386<br />

vom 20.12.2001.<br />

11) Erl zur RV 503 dB zd Sten Prot<br />

XX.GP des NR 1996, 7.<br />

12) Primosch/Siess-Scherz, Auslandsentsende<strong>recht</strong><br />

20.<br />

13) Der Standard, 17.11.2007, 4<br />

14) Rat der EU, Schlussfolgerungen<br />

des Vorsitzes, 14.12.2007,<br />

Nr. 16616/07, 19 f.<br />

15) Ibid.<br />

Seite 12 <strong>juridikum</strong> 2008 / 1

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