Download - juridikum, zeitschrift für kritik | recht | gesellschaft
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merk.würdig<br />
Genau diesen Respekt vor anderen<br />
Kulturen und Religionen, und besonders<br />
vor dem Islam, ließ der Wahlkampfdiskurs<br />
der FPÖ aber konsequent<br />
vermissen. Schon im „Programm für<br />
Graz“ 10 rief sie dazu auf, die „Überfremdung<br />
in Graz [zu] stoppen!“, an<br />
der Menschen aus „‚kulturfremden‘<br />
Nationen“ schuld seien. Auch müsse<br />
der „weitere Ausbau einer islamischen<br />
‚Infrastruktur‘ […] verhindert werden.“<br />
Neben einem verfassungs<strong>recht</strong>lich<br />
unzulässigen generellen Bauverbot<br />
für Moscheen 11 forderten die Grazer<br />
Freiheitlichen programmatisch eine<br />
„Minus-Zuwanderung für muslimische<br />
Einwanderer“.<br />
3. „Hate speech“ und Straf<strong>recht</strong><br />
In einem nächsten Schritt lässt sich<br />
fragen, ob Winters Äußerungen ein<br />
lediglich kritisierbarer Ausdruck ihrer<br />
politischen Meinung waren oder ob sie<br />
unter Umständen straf<strong>recht</strong>liche Sanktionen<br />
zu gewärtigen haben könnte,<br />
zumal die Staatsanwaltschaft sofort<br />
Ermittlungen einleitete. In Frage kommen<br />
die Tatbestände der Verhetzung<br />
(§ 283 StGB) und der Herabwürdigung<br />
religiöser Lehren (§ 188 StGB).<br />
Nach § 283 Abs 1 StGB ist zu bestrafen,<br />
wer öffentlich zu einer feindseligen<br />
Handlung „gegen eine im Inland bestehende<br />
Kirche oder Religions<strong>gesellschaft</strong><br />
oder gegen eine durch ihre Zugehörigkeit<br />
zu einer solchen Kirche oder<br />
Religions<strong>gesellschaft</strong>, zu einer Rasse,<br />
zu einem Volk […]“ auffordert oder<br />
aufreizt. In der beim FPÖ-Neujahrstreffen<br />
von Winter geäußerten Aufforderung,<br />
der Islam gehöre „dorthin zurückgeworfen,<br />
wo er hergekommen ist,<br />
hinter das Mittelmeer“, könnte – zumal<br />
im Kontext des gesamten FPÖ-Wahlkampfdiskurses<br />
– eine Empfehlung zur<br />
Vertreibung von Personen islamischen<br />
Glaubens gesehen werden. Vor dem<br />
Hintergrund eines Wahlkampfes, der<br />
„definitiv verhetzend gegen Angehörige<br />
der muslimischen Glaubensgemeinschaft“<br />
12 war, sind Winters Aussagen<br />
mE auch grundsätzlich geeignet, das<br />
öffentliche Ordnungsgefüge in der<br />
Steiermark zu gefährden.<br />
Nach Abs 2 leg cit ist zu bestrafen,<br />
wer öffentlich gegen eine der nach<br />
Abs 1 geschützten Gruppen, darunter<br />
Personen islamischen Glaubens, hetzt<br />
(Fall 1) oder sie in einer die Menschenwürde<br />
verletzenden Weise beschimpft<br />
oder verächtlich zu machen sucht (Fall<br />
2). Nach der Judikatur des OGH wird<br />
als Tathandlung des Hetzens „eine in<br />
einem Appell an Gefühle und Leidenschaften<br />
bestehende tendenziöse Aufreizung<br />
zum Haß und zur Verachtung<br />
gegen eine der in § 283 Abs 1 StGB<br />
genannten Gruppen verstanden.“ 13 Die<br />
Bezeichnung einer anderen Religion<br />
als „totalitäres Herrschaftssystem“,<br />
die „dorthin zurückgeworfen [gehört],<br />
wo [sie] hergekommen ist, hinter das<br />
Mittelmeer“ und der Vergleich von Angehörigen<br />
einer anderen Religion mit<br />
einer todbringenden, zerstörerischen<br />
Überschwemmung („muslimische[r]<br />
Einwanderungs-Tsunami“) stellen<br />
nach hier vertretener Ansicht eine Aufreizung<br />
zu Hass und Verachtung dar.<br />
Winters Äußerungen könnten auch<br />
als Beschimpfung oder Versuch der<br />
Verächtlichmachung einer nach Abs<br />
1 geschützten Gruppe gesehen werden,<br />
der ihre Menschenwürde verletzt.<br />
Spricht der Vergleich von Personen<br />
einer bestimmten Glaubensrichtung<br />
mit vernichtenden Wassermassen diesen<br />
nicht gerade eine „Behandlung als<br />
Menschen“ 14 ab? Schließlich ist das<br />
„fundamentalste normative oder kulturell-soziale<br />
Interesse“ jedes Menschen<br />
jenes an seiner „Anerkennung und Behandlung<br />
als Subjekt in der normativen<br />
Ordnung und damit als Person mit<br />
Selbstwert“. 15<br />
Schließlich könnte auch § 188 StGB<br />
(Herabwürdigung religiöser Lehren)<br />
einschlägig sein. Nach diesem Paragraphen<br />
wird bestraft, wer öffentlich<br />
„eine Person […], die den Gegenstand<br />
der Verehrung einer im Inland bestehenden<br />
Kirche oder Religions<strong>gesellschaft</strong><br />
bildet, […] unter Umständen<br />
herabwürdigt oder verspottet, unter<br />
denen sein Verhalten geeignet ist, be<strong>recht</strong>igtes<br />
Ärgernis zu erregen.“ Mohammed<br />
ist eine von der islamischen<br />
Glaubensgemeinschaft religiös verehrte<br />
Person. 16 In Winters öffentlich<br />
getätigten Äußerungen kann unschwer<br />
der Versuch gesehen werden, ihn herabzuwürdigen<br />
(also verächtlich zu machen<br />
17 ). Trotz der gemäßigten Reaktion<br />
der VertreterInnen der islamischen<br />
Glaubensgemeinschaft ist die Äußerung<br />
jedenfalls geeignet, das religiöse<br />
Gefühl eines/einer durchschnittlich religiösen<br />
Moslems/Muslima zu verletzen<br />
und dadurch be<strong>recht</strong>igtes Ärgernis<br />
hervorzurufen. 18<br />
4. Legitimation von Grenzen im<br />
politischen Diskurs<br />
Setzt man sich beim Ruf nach dem<br />
Straf<strong>recht</strong> dem Vorwurf aus, missliebige<br />
politische Meinungsäußerungen<br />
unge<strong>recht</strong>fertigt kriminalisieren zu<br />
wollen? Nicht, wenn es sich um Extremfälle<br />
handelt. Die Meinungsäußerungsfreiheit<br />
ist, wie der EGMR im<br />
Fall Handyside ausführte, der „Grundpfeiler<br />
einer demokratischen Gesellschaft“.<br />
Art 10 EMRK schützt auch<br />
solche Informationen und Ideen, die<br />
„verletzen, schockieren oder den Staat<br />
oder irgendeinen Teil der Bevölkerung<br />
aufrühren.“ 19 Trotz der fundamentalen<br />
Bedeutung der Meinungsfreiheit gerade<br />
im politischen Diskurs hat sie – unter<br />
Wahrung der Verhältnismäßigkeit –<br />
dann Einschränkungen zu gewärtigen,<br />
wenn andere Rechtsgüter bedroht sind.<br />
Der EGMR anerkennt den „Schutz der<br />
Rechte anderer“, auch ihrer religiösen<br />
Rechte, als legitimes Ziel im Rahmen<br />
der Rechtfertigung eines Eingriffes in<br />
die Freiheit der Meinungsäußerung<br />
10) Archiv Nr 499, 4.<br />
11) Selbst ein Minarettverbot verstößt gegen<br />
die verfassungsgesetzlich gewährleisteten<br />
Grund<strong>recht</strong>e (vgl Greimel, Sind Bauverbote<br />
für Minarette zulässig?, <strong>juridikum</strong> 3/2007,<br />
123). Das gilt auch für das von der FPÖ geforderte<br />
generelle Bettelverbot (vgl Frühwirth,<br />
Betteln: Ein Grund<strong>recht</strong> als Ärgernis, <strong>juridikum</strong><br />
1/2007, 3).<br />
12) Starl/Menschen<strong>recht</strong>sbeirat der Stadt<br />
Graz, Presseaussendung 3.<br />
13) OGH 28.01.1999, 15 Os 203/98: Tatbildlich<br />
war das Besprühen eines Bauwerks mit<br />
Hakenkreuzen in Verbindung mit den Worten<br />
„HASS“ und „Turkes Raus“ (sic).<br />
14) Fabrizy, StGB Kurzkomm 8 (2002) § 283<br />
Rz 3.<br />
15) F. Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze.<br />
Zur <strong>recht</strong>sethischen Verfassung der Sozietät<br />
(1988) 177.<br />
16) Leukauf/Steiniger, StGB Komm 3 (1992)<br />
§ 188 Rz 3.<br />
17) Foregger in Höpfel/Ratz (Hrsg), Wiener<br />
Kommentar zum StGB (WK) 2 § 188 Rz 8.<br />
18) Foregger in Höpfel/Ratz, WK 2 § 188 Rz 28.<br />
19) EGMR 7.12.1976, Handyside gg. Vereinigtes<br />
Königreich, Serie A 24, Rz 49: „that offend,<br />
shock or disturb the State or any sector of the<br />
population.”<br />
Seite <strong>juridikum</strong> 2008 / 1