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Download - juridikum, zeitschrift für kritik | recht | gesellschaft

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debatte<br />

nommen be<strong>recht</strong>igte Ablehnungsgründe<br />

liegen vor und werden anerkannt<br />

– nicht zu bestellen.<br />

In der Literatur wird die Frage des<br />

(mangelnden) Parteieneinflusses auf<br />

den Bestellungsvorgang mit Blick auf<br />

Art 6 EMRK (faires Verfahren) oder<br />

die Regelung im deutschen Zivilprozess<br />

(stärkerer Einfluss der Parteien)<br />

diskutiert. 14 Die Antwort, welchen<br />

Einfluss Parteien auf den Bestellungsvorgang<br />

im Verfahren haben sollen,<br />

hängt mE vorrangig davon ab, wie<br />

die Stellung der ExpertInnen gesehen<br />

wird. Wer Sachverständige in erster<br />

Linie als HelferInnen und MitarbeiterInnen<br />

des Gerichts sieht, wird diesem<br />

auch einen größeren Einfluss bei<br />

der Auswahl zugestehen als jene, die<br />

die Rolle als bloßes Beweismittel in<br />

den Vordergrund rücken. Daneben<br />

spielt für die Beurteilung wohl auch<br />

die Art des Verfahrens eine Rolle.<br />

Während im Strafverfahren (und im<br />

Verwaltungsverfahren) der materiellen<br />

Wahrheitserforschung herausragende<br />

Bedeutung zukommt, ist im<br />

Zivilverfahren der Parteieneinfluss<br />

stärker verankert. Ich könnte mir deshalb<br />

dort eine stärkere Bindung des<br />

Gerichts an Vorschläge der Parteien<br />

bei der Auswahl von Sachverständigen<br />

eher vorstellen als im Strafverfahren.<br />

Nach meiner persönlichen Erfahrung<br />

als Sachverständiger wird ohnehin<br />

sowohl im Straf- als auch im Zivilverfahren<br />

fast ausnahmslos die ins Auge<br />

gefasste Bestellung des/der konkreten<br />

Sachverständigen den Parteien vorher<br />

bekanntgegeben und die Möglichkeit<br />

der Stellungnahme geboten.<br />

Entschieden entgegentreten möchte<br />

ich Vorschlägen, die eine immer<br />

wiederkehrende Bestellung ein- und<br />

desselben Sachverständigen – etwa<br />

durch eine feste Geschäftsverteilung<br />

– verhindern wollen, um eine mögliche<br />

Beeinträchtigung der Objektivität auszuschließen.<br />

15 Ich halte diesen Ansatz<br />

nicht nur wegen seines administrativen<br />

Aufwandes und praktischer Probleme<br />

für kaum realisierbar, sondern in der<br />

Sache für verfehlt. Warum sollte das<br />

Gericht, das mit einem/r bestimmten<br />

Sachverständigen gute Erfahrungen<br />

gemacht hat, nach einiger Zeit zwangsweise<br />

neue Sachverständige suchen<br />

sollen? Ich halte im Gegenteil das mit<br />

der Zeit erworbene Verständnis des<br />

Gerichts für Formulierungen und Aussagekraft<br />

des/der Sachverständigen für<br />

einen Vorteil. Sind bestimmte Sachverständige<br />

im konkreten Fall aus<br />

Zeitgründen oder wegen mangelnden<br />

Fachwissens nicht in der Lage, das gewünschte<br />

Gutachten zu erstatten, muss<br />

ohnehin vom Gericht auf andere ExpertenInnen<br />

zurückgegriffen werden.<br />

Das führt mich zur Frage der Kontrolle<br />

und Überprüfung von Gutachten.<br />

Damit das Gericht oder Prozessparteien<br />

ein Gutachten würdigen können,<br />

muss dieses gewisse Mindeststandards<br />

erfüllen. Dementsprechend legt § 362<br />

ZPO fest, dass ein Gutachten „stets zu<br />

begründen“ ist, also eine Beschreibung<br />

(Befund) aufweisen muss, die dem Verständnis<br />

und der Würdigung des Gutachtens<br />

dient. Ausgehend vom Grundsatz<br />

der freien Beweiswürdigung ist<br />

das Sachverständigengutachten vom<br />

Gericht auf seine Nachvollziehbarkeit<br />

und Schlüssigkeit zu überprüfen. Es<br />

gibt keine Bindungswirkung, weshalb<br />

der/die RichterIn einem Gutachten<br />

schlicht auch nicht folgen darf, dann<br />

aber die Gründe für die abweichende<br />

Meinung darzulegen hat.<br />

Was theoretisch überzeugend klingt,<br />

bereitet jedoch in der Praxis oft erhebliche<br />

Schwierigkeiten. Beklagt wird,<br />

dass die fehlende Sachkenntnis des Gerichts<br />

zu einer faktischen Bindung an<br />

das Gutachten führe und RichterInnen<br />

das Ergebnis von Sachverständigen<br />

mehr oder weniger unüberprüft ihrer<br />

Beurteilung zugrundelegen. Um dieser<br />

Tendenz gegenzusteuern, ist ein – im<br />

positiven Sinn des Wortes – kritischer<br />

Umgang miteinander notwendig. Auf<br />

der einen Seite haben Sachverständige<br />

ihre Gutachten so abzufassen, dass<br />

sie auch von Laien verstanden werden<br />

können, auf der anderen Seite sollten<br />

sich RichterInnen nicht scheuen, unverständliche<br />

und nicht nachvollziehbare<br />

Darlegungen zu hinterfragen und<br />

um eine verständliche Erklärung zu bitten.<br />

Gegebenenfalls ist ein Zweit- oder<br />

Obergutachten einzuholen.<br />

Eine Kontrolle und Überprüfung des<br />

Gutachtens erfolgt aber nicht nur durch<br />

das Gericht, sondern im Rahmen einer<br />

mündlichen Erörterung auch durch<br />

die Verfahrensparteien. Um eine zielführende<br />

Erörterung durchführen zu<br />

können, ist den Parteien ihr gesetzlich<br />

zustehendes Frage<strong>recht</strong> (§ 357 Abs 2<br />

ZPO, § 127 Abs 2 StPO) umfassend zu<br />

gewähren. Das Gericht sollte hier nur<br />

dann begrenzend einschreiten, wenn<br />

der/die Sachverständige persönlich<br />

und unsachlich angegriffen wird. Die<br />

manchmal zu beobachtende Tendenz,<br />

Sachverständige vor unangenehmen<br />

oder lästigen Fragen zu „schützen“, ist<br />

zwar für den/die ExpertIn angenehm,<br />

aber der Kontrolle des Gutachtens nicht<br />

dienlich. Freilich gilt für Parteien nicht<br />

viel anderes als für das Gericht: Eine inhaltliche<br />

Kontrolle des Gutachtens und<br />

Befragung des/der Sachverständigen<br />

ist meist ohne Hinzuziehung fachkundigen<br />

Rates nicht möglich, wobei die<br />

prozessuale Stellung dieser Ratgeber<br />

als sog Privatsachverständige und die<br />

gerichtliche Würdigung von Privatgutachten<br />

in Österreich mE reformbedürftig<br />

sind.<br />

5. Schlussfolgerung<br />

Sachverständigengutachten sind zunehmend<br />

für den Ausgang eines Prozesses<br />

relevant. Ihre faktische Doppelstellung<br />

als Beweismittel und „Helfer“<br />

des Gerichts wirft in der Praxis Probleme<br />

auf, die nur durch gegenseitiges<br />

Verständnis zu lösen sind. Schlüsselelemente<br />

sind für mich einerseits Ausund<br />

Fortbildung von Sachverständigen<br />

sowie Kontrolle und Überprüfung von<br />

Gutachten durch Gericht und Prozessparteien.<br />

Dr. Christian Grafl ist<br />

ao. Univ.-Prof. am Institut<br />

für Straf<strong>recht</strong> und Kriminologie<br />

der Universität Wien;<br />

christian.grafl@univie.ac.at<br />

14) Krammer, Allmacht 18ff, Rüffler,<br />

Sachverständige 68ff, Deixler-<br />

Hübner, RZ 1992, 254f.<br />

15) Krammer, Allmacht 18; Deixler-Hübner,<br />

RZ 1992, 252.<br />

<strong>juridikum</strong> 2008 / 1 Seite 27

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