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Download - juridikum, zeitschrift für kritik | recht | gesellschaft

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debatte<br />

oder Anstellung oder Ermächtigung<br />

muss sinnvollerweise auf besondere,<br />

über das Durchschnittswissen hinausgehende<br />

Kenntnisse abstellen. Nicht<br />

jeder Arzt kann als Sachverständiger<br />

für alle medizinischen Fragen bestellt<br />

werden.<br />

Wiewohl das Gericht in Österreich<br />

bei der Auswahl von Sachverständigen<br />

grundsätzlich nicht gebunden<br />

ist, legen die Verfahrensordnungen in<br />

Österreich einen Vorrang qualifizierter<br />

ExpertInnen fest, die ein reglementiertes<br />

Auswahlverfahren durchlaufen<br />

haben (§ 351 ZPO, § 126 Abs 2 StPO).<br />

Dieser Vorzug bedeutet jedoch nicht,<br />

dass ein begründetes Heranziehen anderer<br />

Sachverständiger unzulässig ist.<br />

Wenn beispielsweise für eine sehr spezielle<br />

Frage kein/e öffentlich/e bestellte/r<br />

ExpertIn zur Verfügung steht oder<br />

aufgrund von Überlastung eine Gutachtenserstattung<br />

in zumutbarer Zeit<br />

nicht möglich wäre, sind auch andere<br />

fachkundige Personen als Sachverständige<br />

zu bestellen, sofern sie eben die<br />

notwendige Sachkunde nachweisen<br />

können.<br />

Die Voraussetzungen für eine öffentliche<br />

Bestellung als Sachverständige/r<br />

in Österreich sind im Bundesgesetz<br />

über die allgemein beeideten und<br />

gerichtlich zertifizierten Sachverständigen<br />

und Dolmetscher (SDG), das seit<br />

1975 in Kraft ist und 1999 vollständig<br />

überarbeitet wurde, dargelegt. Diese<br />

Liste wird von den Gerichten selbst und<br />

nicht – wie zB in Deutschland – von Interessensvertretungen<br />

oder Kammern<br />

geführt. Gem § 2 Abs 2 SDG muss der/<br />

die EintragungsbewerberIn unter anderem<br />

Sachkunde und Kenntnisse über<br />

die wichtigsten Vorschriften des Verfahrens<strong>recht</strong>s,<br />

über das Sachverständigenwesen,<br />

über die Befundaufnahme<br />

sowie über den Aufbau eines schlüssigen<br />

und nachvollziehbaren Gutachtens<br />

nachweisen. Eine Kommission,<br />

der auch FachkollegInnen angehören,<br />

überprüft dieses Wissen. Um die notwendige<br />

Erfahrung sicherzustellen,<br />

muss der/die BewerberIn darüber hinaus<br />

eine grundsätzlich zehnjährige<br />

möglichst berufliche Tätigkeit auf dem<br />

Fachgebiet unmittelbar vor der Eintragung<br />

nachweisen. In regelmäßigen<br />

Zeitabständen ist nach der erstmaligen<br />

Eintragung in die Sachverständigenliste<br />

zu prüfen, ob die gutachterliche Tätigkeit<br />

zuverlässig, nachvollziehbar und<br />

pünktlich erbracht wurde. Weiterbildung<br />

und Schulungen sind somit erforderlich,<br />

um im Weiterbestellungsverfahren<br />

ein fachge<strong>recht</strong>es, methodisch<br />

einwandfreies Arbeiten nachweisen zu<br />

können. Sollten die aufgestellten Qualitätskriterien<br />

nicht mehr erfüllt werden,<br />

erlischt die Eigenschaft als allgemein<br />

beeideter und gerichtlich zertifizierter<br />

Sachverständiger (§ 9 SDG).<br />

3. Die Stellung der<br />

Sachverständigen im Prozess<br />

Die Frage nach der Stellung der Sachverständigen<br />

lässt sich – in Österreich<br />

wie auch in vielen anderen europäischen<br />

Ländern 6 – einerseits ganz einfach<br />

damit beantworten, dass sie ein<br />

Beweismittel sind. Als solches unterliegt<br />

das Gutachten von Sachverständigen<br />

der freien Beweiswürdigung,<br />

einem Prozessgrundsatz, der in Österreich<br />

sowohl für das Strafverfahren als<br />

auch für das Zivil- und Verwaltungsverfahren<br />

gilt. Das österreichische<br />

Recht kennt keine festen Beweisregeln<br />

und keine Rangordnung einzelner<br />

Beweismittel. Das Gericht hat das Ergebnis<br />

des Gutachtens wie alle anderen<br />

vorgebrachten Beweise auf seine<br />

Schlüssigkeit und Glaubwürdigkeit zu<br />

überprüfen.<br />

So eindeutig dies in der Theorie<br />

klingt, so schwierig ist die Beweiswürdigung<br />

eines Sachverständigengutachtens<br />

in der Praxis oft vorzunehmen.<br />

Das Gericht hat auf der einen Seite ja<br />

gerade deshalb eine/n Sachverständige/n<br />

bestellt, weil ihm die notwendige<br />

Fachkenntnis zur Beurteilung der Frage<br />

fehlt. Auf der anderen Seite soll es aber<br />

dann die sachverständige Beurteilung<br />

einer Überprüfung unterziehen. Dieses<br />

Dilemma ist nicht einfach zu lösen und<br />

bedarf sowohl auf Seiten des Gerichts<br />

als auch auf Seiten der Sachverständigen<br />

einiger Anstrengungen und gegenseitigen<br />

Verständnisses.<br />

Anderseits werden Sachverständige<br />

aber nicht nur als ein Beweismittel<br />

unter vielen angesehen, sondern auch<br />

als „Helfer“ bzw „Mitarbeiter“ des Gerichts<br />

7 , ja mitunter sogar als (mit-)entscheidender<br />

„Richter“ 8 bezeichnet. Als<br />

Begründung dafür wird auf prozessuale<br />

Besonderheiten wie die Möglichkeit<br />

der Ablehnung von Sachverständigen<br />

oder deren Frage<strong>recht</strong>, Akteneinsicht<br />

bzw Vornahme eines Augenscheins<br />

ebenso verwiesen wie auf die Tatsache,<br />

dass Sachverständige in Österreich<br />

nach dem kontinentaleuropäischen<br />

System vom Gericht bestellt objektiv<br />

und neutral ihre Gutachten zu erstatten<br />

haben und keine Parteienexperten wie<br />

im angloamerikanischen Prozess sind. 9<br />

Hingewiesen sei an dieser Stelle, dass<br />

mit Inkrafttreten des StPO in Österreich<br />

am 1.1.2008 Sachverständige im<br />

Ermittlungsverfahren grundsätzlich<br />

von der Staatsanwaltschaft zu bestellen<br />

sind. Auch wenn diese gesetzlich<br />

zur Objektivität und Unparteilichkeit<br />

verpflichtet ist (§ 3 StPO), wird der Anklagebehörde<br />

in der Praxis von dem/<br />

der Beschuldigten nicht dieselbe Unabhängigkeit<br />

zugeschrieben wie dem<br />

Gericht. Ich zweifle nicht daran, dass<br />

bisher objektive und unparteiische<br />

Sachverständige ihr Gutachten auch in<br />

Zukunft allein der Wahrheit verpflichtet<br />

erstatten, halte es aber dennoch für<br />

keine glückliche Lösung, Sachverständige<br />

in Zukunft über Auftrag der<br />

Staatsanwaltschaft in das Strafverfahren<br />

einzubringen.<br />

4. Irritationen und<br />

Lösungsvorschläge<br />

4.1. Formale Elemente<br />

Welche Probleme wirft die aufgezeigte<br />

Doppelstellung des Sachverständigen<br />

auf? In der Praxis sind zum einen formale<br />

Elemente wie das Auftreten der<br />

Sachverständigen vor Gericht und die<br />

6) Floter, Das Sachverständigenwesen<br />

in Europa – Aktuelle Fragen,<br />

Antworten und Perspektiven,<br />

DS 2007, 8.<br />

7) Krammer, Die „Allmacht“ des<br />

Sachverständigen – Überlegungen<br />

zur Unabhängigkeit und Kontrolle<br />

der Sachverständigentätigkeit,<br />

Schriftenreihe Niederösterreichische<br />

Juristische Gesellschaft<br />

Heft 54 (1990) 12. Ablehnend<br />

Rüffler, Der Sachverständige im<br />

Zivilprozess (1995) 12f.<br />

8) Dölp, Der Sachverständige im<br />

Strafprozess – Gedanken über<br />

eine nachhaltige strukturelle Veränderung<br />

im Verfahrens<strong>recht</strong>, DS<br />

2004, 366.<br />

9) Rechberger in Fasching/Konecny<br />

2 , Vor §§ 351 ff ZPO Rz 3;<br />

Nicklisch, Experten zur Konfliktvermeidung<br />

und Konfliktlösung,<br />

in Nicklisch, Der Experte im Verfahren<br />

(2006) 3 (7).<br />

<strong>juridikum</strong> 2008 / 1 Seite 25

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