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Bbl 2001 1715 - admin.ch

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00.094<br />

Bots<strong>ch</strong>aft<br />

zur Volksinitiative «Glei<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te für Behinderte»<br />

und zum Entwurf eines Bundesgesetzes über die Beseitigung<br />

von Bena<strong>ch</strong>teiligungen behinderter Mens<strong>ch</strong>en<br />

vom 11. Dezember 2000<br />

Sehr geehrter Herr Präsident,<br />

sehr geehrte Frau Präsidentin,<br />

sehr geehrte Damen und Herren,<br />

wir unterbreiten Ihnen zusammen mit der vorliegenden Bots<strong>ch</strong>aft den Entwurf zu<br />

einem Bes<strong>ch</strong>luss über die Volksinitiative «Glei<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te für Behinderte». Wir beantragen<br />

Ihnen, diese Volk und Ständen mit der Empfehlung auf Ablehnung zur Abstimmung<br />

ohne direkten Gegenvors<strong>ch</strong>lag zu unterbreiten.<br />

Ferner unterbreiten wir Ihnen den Entwurf zu einem Bundesgesetz über die Beseitigung<br />

von Bena<strong>ch</strong>teiligungen von Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen sowie einen Entwurf<br />

zu einem Bundesbes<strong>ch</strong>luss über die Finanzierung der Massnahmen im öffentli<strong>ch</strong>en<br />

Verkehr zu Gunsten behinderter Mens<strong>ch</strong>en, beide Entwürfe mit Antrag auf<br />

Zustimmung.<br />

Wir s<strong>ch</strong>lagen Ihnen die Abs<strong>ch</strong>reibung des folgenden parlamentaris<strong>ch</strong>en Vorstosses<br />

vor:<br />

1999 M 99.3192 Glei<strong>ch</strong>stellungsgesetz für Behinderte<br />

(N 8.10.99, Jost Gross; S 06.06.00).<br />

Wir versi<strong>ch</strong>ern Sie, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr<br />

geehrte Damen und Herren, unserer vorzügli<strong>ch</strong>en Ho<strong>ch</strong>a<strong>ch</strong>tung.<br />

11. Dezember 2000 Im Namen des S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Bundesrates<br />

11303<br />

Der Bundespräsident: Adolf Ogi<br />

Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz<br />

2000-2479 <strong>1715</strong>


Übersi<strong>ch</strong>t<br />

Die Frage der Glei<strong>ch</strong>stellung der behinderten mit den ni<strong>ch</strong>t behinderten Personen<br />

ist eines der besonders wi<strong>ch</strong>tigen politis<strong>ch</strong>en Anliegen der letzten Jahre. Eng verknüpft<br />

mit der Politik der Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te, fügt es si<strong>ch</strong> nahtlos in die Perspektive<br />

einer Politik der gegenseitigen Toleranz und Solidarität zwis<strong>ch</strong>en allen Mitgliedern<br />

der Gesells<strong>ch</strong>aft ein. In diesem Sinne verdient das eigentli<strong>ch</strong>e Anliegen der Volksinitiative<br />

«Glei<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te für Behinderte» unsere Unterstützung. Überdies hat bereits<br />

die neue Bundesverfassung vom 18. April 1999 si<strong>ch</strong> diese Idee zu eigen gema<strong>ch</strong>t<br />

und die Gesetzgeber von Bund und Kantonen beauftragt, die Bena<strong>ch</strong>teiligungen<br />

zu beseitigen, wel<strong>ch</strong>e behinderte Personen beeinträ<strong>ch</strong>tigen (geltender Art. 8<br />

Abs. 4). Da das Ziel ni<strong>ch</strong>t in Frage gestellt wird, muss das zur Umsetzung einer Politik<br />

zu Gunsten der Glei<strong>ch</strong>stellung der Behinderten am besten geeignete Instrument<br />

gefunden werden.<br />

Die Volksinitiative ist am 14. Juni 1999 bei der Bundeskanzlei in Form eines ausgearbeiteten<br />

Entwurfs eingerei<strong>ch</strong>t worden. Sie verlangt die Ergänzung der Bundesverfassung<br />

mit einer neuen Bestimmung, die einen Gesetzgebungsauftrag erteilt, für<br />

die Glei<strong>ch</strong>stellung zu sorgen, und die Massnahmen im Hinblick auf die Beseitigung<br />

und den Ausglei<strong>ch</strong> bestehender Bena<strong>ch</strong>teiligungen verlangt. Ferner gewährleistet<br />

sie direkt, soweit wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> zumutbar, den Zugang zu Bauten und Anlagen oder<br />

die Inanspru<strong>ch</strong>nahme von Einri<strong>ch</strong>tungen und Leistungen, die für die Öffentli<strong>ch</strong>keit<br />

bestimmt sind.<br />

Die Formulierung des von der Initiative vorgesehenen Gesetzgebungsauftrags ist<br />

offen gehalten. Von daher unters<strong>ch</strong>eidet er si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t wesentli<strong>ch</strong> von demjenigen,<br />

wie er bereits in Artikel 8 Absatz 4 der neuen Bundesverfassung niedergelegt ist.<br />

Anders verhält es si<strong>ch</strong> hingegen bezügli<strong>ch</strong> der Gewährleistung des Zugangs zu<br />

Bauten oder der Inanspru<strong>ch</strong>nahme von Leistungen. Diese Gewährleistung bringt<br />

auf Verfassungsebene ein subjektives Re<strong>ch</strong>t, das sowohl an die Privatpersonen als<br />

au<strong>ch</strong> an die Gemeinwesen geri<strong>ch</strong>tet ist. Sie bes<strong>ch</strong>lägt alle öffentli<strong>ch</strong> zugängli<strong>ch</strong>en<br />

Bauten und Anlagen, seien sie neu oder bereits bestehend. Sie umfasst Leitungen<br />

jegli<strong>ch</strong>er Art, seien sie vom Staat oder von Privatpersonen erbra<strong>ch</strong>t. Sie bringt eine<br />

identis<strong>ch</strong>e Regelung für die Bauten und die Leistungen. Die Regelung umfasst somit<br />

eine Verpfli<strong>ch</strong>tung zur Anpassung, die mit dem Inkrafttreten der Verfassungsbestimmung<br />

vollzogen werden muss. Die einzige S<strong>ch</strong>ranke, die anerkannt wird, ist das<br />

Verhältnismässigkeitsprinzip, namentli<strong>ch</strong> in Bezug auf seinen wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />

Aspekt.<br />

Da das Re<strong>ch</strong>t auf Zugang oder Inanspru<strong>ch</strong>nahme direkt anwendbar ist, obläge seine<br />

Umsetzung den Geri<strong>ch</strong>ten, zumindest insoweit, als die Gesetzgeber ni<strong>ch</strong>t legiferiert<br />

hätten. Diese Umsetzung impliziert nun aber politis<strong>ch</strong>e Ents<strong>ch</strong>eidungen, die in<br />

demokratis<strong>ch</strong>en Gesetzgebungsverfahren getroffen werden sollten. Ferner hätte ein<br />

derart offen formuliertes Re<strong>ch</strong>t auf Zugang erhebli<strong>ch</strong>e finanzielle Auswirkungen für<br />

den Einzelnen und die betroffenen Privatunternehmen sowie für das Gemeinwesen.<br />

Aus diesen Gründen beantragen wir, die Volksinitiative «Glei<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te für Behin-<br />

1716


derte» Volk und Ständen mit der Empfehlung auf Ablehnung zur Abstimmung zu<br />

unterbreiten.<br />

Der geltende Artikel 8 Absatz 4 der Bundesverfassung erteilt den vers<strong>ch</strong>iedenen Gesetzgebern<br />

den verbindli<strong>ch</strong>en Auftrag, die Bena<strong>ch</strong>teiligungen der Behinderten zu<br />

beseitigen. Um diesen Auftrag der neuen Verfassung umzusetzen, sowie als Antwort<br />

auf eine in den Räten im Juni 2000 überwiesene parlamentaris<strong>ch</strong>e Motion<br />

(99.3192), haben wir uns an die Erarbeitung eines Gesetzesentwurfs gema<strong>ch</strong>t. Der<br />

Erlass eines Gesetzes s<strong>ch</strong>eint uns der beste Weg zu sein, um das Hauptanliegen der<br />

Volksinitiative, das heisst die Förderung der Glei<strong>ch</strong>stellung zu Gunsten der Behinderten,<br />

erfüllen zu können. Was das subjektive Re<strong>ch</strong>t anbelangt, hat ein Bundesgesetz<br />

gegenüber einer verfassungsmässigen Gewährleistung den Vorteil, dass die Berei<strong>ch</strong>e,<br />

in denen Massnahmen erforderli<strong>ch</strong> sind, genau bezei<strong>ch</strong>net, das Ausmass dieser<br />

Massnahmen definiert, der Grundsatz der Verhältnismässigkeit konkretisiert und<br />

der Rhythmus der Anpassungen festgelegt werden können.<br />

Der Gesetzesentwurf ist auf den öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr, die für die Öffentli<strong>ch</strong>keit bestimmten<br />

Bauten, die Wohngebäude mit mehr als a<strong>ch</strong>t Wohneinheiten sowie die Gebäude<br />

mit vielen Arbeitsplätzen geri<strong>ch</strong>tet, unabhängig davon, ob sie Privatpersonen<br />

oder dem Gemeinwesen gehören. Was andere Bauten als diejenigen des öffentli<strong>ch</strong>en<br />

Verkehrs angeht, betrifft die Regelung nur die neuen oder erneuerten Objekte und<br />

sieht somit keine generelle Verpfli<strong>ch</strong>tung zur Anpassung vor; hingegen werden die<br />

Bauten für den Betrieb des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs (soweit wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> vertretbar)<br />

einer Sonderregelung unterworfen, die eine sol<strong>ch</strong>e Verpfli<strong>ch</strong>tung vorsieht. Dieser<br />

Unters<strong>ch</strong>ied re<strong>ch</strong>tfertigt es, dass der Bund an den dur<strong>ch</strong> den Gesetzesentwurf verursa<strong>ch</strong>ten<br />

zusätzli<strong>ch</strong>en Kosten nur bezügli<strong>ch</strong> des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs und ni<strong>ch</strong>t bezügli<strong>ch</strong><br />

der Bauten im Allgemeinen partizipiert. Der Entwurf soll si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> auf die<br />

der Öffentli<strong>ch</strong>keit angebotenen Dienstleistungen des Staates, konzessionierter Unternehmen<br />

oder Privater erstrecken. Au<strong>ch</strong> hier unters<strong>ch</strong>eidet die Regelung je na<strong>ch</strong><br />

der Eigens<strong>ch</strong>aft des Leistungserbringers; für die Privatpersonen sieht das Gesetz<br />

nur ein Diskriminierungsverbot im Sinne von Artikel 8 Absatz 2 der Bundesverfassung<br />

vor, währenddem sie den Gemeinwesen oder den konzessionierten Unternehmen<br />

die Verpfli<strong>ch</strong>tung auferlegt, ihre Leistungen behindertengere<strong>ch</strong>t zu erbringen.<br />

Ausserdem sieht der Gesetzesentwurf beim Zugang zu Bauten und Leistungen subjektive<br />

Re<strong>ch</strong>te vor. In Übereinstimmung mit dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit<br />

werden diese subjektiven Re<strong>ch</strong>te indessen nur dann anerkannt, wenn das konkrete<br />

Interesse der behinderten Person hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> des Zugangs zu Bauten oder<br />

Leistungen höher zu gewi<strong>ch</strong>ten ist als die entgegenstehenden Interessen einer anderen<br />

Privatperson oder andere öffentli<strong>ch</strong>e Interessen. Für die Anpassung der Infrastrukturen<br />

im Berei<strong>ch</strong> des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs bestimmt der Entwurf eine Frist von<br />

20 Jahren. Er ermä<strong>ch</strong>tigt ferner den Bund, den Unternehmen des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs<br />

Beiträge zu gewähren, um die dur<strong>ch</strong> den Entwurf verursa<strong>ch</strong>ten zusätzli<strong>ch</strong>en<br />

Kosten teilweise zu finanzieren.<br />

S<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> sieht der Gesetzentwurf Änderungen des geltenden Re<strong>ch</strong>ts bei den Steuern,<br />

dem Strassenverkehr sowie dem Fernmeldewesen vor.<br />

Die finanziellen Auswirkungen des Gesetzes sind si<strong>ch</strong>er bedeutend, do<strong>ch</strong> deutli<strong>ch</strong><br />

kleiner als diejenigen im Fall der Annahme der Initiative. Diese erhebli<strong>ch</strong>e Diffe-<br />

1717


enz ist vor allem auf den unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en materiellen Geltungsberei<strong>ch</strong>, die geforderten<br />

Anpassungs-Standards sowie den für die Umsetzung bes<strong>ch</strong>lossenen Rhythmus<br />

zurückzuführen. Der Gesetzesentwurf zei<strong>ch</strong>net si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> folgende Grundzüge<br />

aus: Leistungen Privater sind nur erfasst, wenn eine Diskriminierung vorliegt; hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong><br />

der Bauten besteht, mit Ausnahme des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs, keine Verpfli<strong>ch</strong>tung<br />

zur Anpassung; die Anpassungsfristen für den öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr betragen<br />

20 und 10 Jahre; erweisen si<strong>ch</strong> die Kosten der Infrastrukturanpassung im<br />

Verglei<strong>ch</strong> zum individuellen Nutzen für eine behinderte Person als unverhältnismässig,<br />

sind Ersatzmassnahmen erlaubt. Der Berei<strong>ch</strong> des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs hat<br />

die Verpfli<strong>ch</strong>tung zur Anpassung, was ihn von den anderen Berei<strong>ch</strong>en unters<strong>ch</strong>eidet.<br />

Dort sind deshalb au<strong>ch</strong> die hö<strong>ch</strong>sten Mehrkosten zu erwarten. Aus diesem Grund<br />

beantragen wir, dass der Bund si<strong>ch</strong> an der Finanzierung dieser Kosten bis zu einem<br />

Betrag von 300 Millionen Franken beteiligt, und zwar während einer Periode von<br />

20 Jahren. Die jährli<strong>ch</strong>en Kosten, die dem Bund aus den im Gesetzesentwurf vorgesehenen<br />

Massnahmen erwa<strong>ch</strong>sen, weisen die Grössenordnung von 31–47 Millionen<br />

Franken auf.<br />

Der Gesetzesentwurf setzt den geltenden Artikel 8 Absatz 4 der Bundesverfassung<br />

um, soweit er gewisse unbestimmte Begriffe des Gesetzgebungsauftrags konkretisiert.<br />

Er stützt si<strong>ch</strong> ferner auf vers<strong>ch</strong>iedene materielle Kompetenzzuweisungen an<br />

den Bund, vor allem im Berei<strong>ch</strong> des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs und der Förderungsmassnahmen<br />

zur Integration der behinderten Personen.<br />

1718


Bots<strong>ch</strong>aft<br />

1 Text und Entstehungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Volksinitiative<br />

1.1 Form und Gültigkeit<br />

1.1.1 Wortlaut<br />

Die Volksinitiative hat folgenden Wortlaut 1:<br />

Art. 4bis (neu)<br />

1 Niemand darf diskriminiert werden, namentli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t wegen der<br />

Herkunft, der Rasse, des Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ts, der Spra<strong>ch</strong>e, des Alters, der sozialen<br />

Stellung, der Lebensform, der religiösen, weltans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>en<br />

oder politis<strong>ch</strong>en Überzeugung oder wegen einer körperli<strong>ch</strong>en, geistigen<br />

oder psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Behinderung.<br />

2 Das Gesetz sorgt für die Glei<strong>ch</strong>stellung behinderter Mens<strong>ch</strong>en. Es<br />

sieht Massnahmen zur Beseitigung und zum Ausglei<strong>ch</strong> bestehender<br />

Bena<strong>ch</strong>teiligungen vor.<br />

3 Der Zugang zu Bauten und Anlagen oder die Inanspru<strong>ch</strong>nahme von<br />

Einri<strong>ch</strong>tungen und Leistungen, die für die Öffentli<strong>ch</strong>keit bestimmt<br />

sind, ist soweit wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> zumutbar gewährleistet.<br />

1.1.2 Zustandekommen<br />

Die Volksinitiative «Glei<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te für Behinderte» wurde am 14. Juni 1999 eingerei<strong>ch</strong>t.<br />

Am 4. August 1999 stellte die Bundeskanzlei fest, dass die Initiative mit<br />

120 455 gültigen Unters<strong>ch</strong>riften zu Stande gekommen ist 2.<br />

1.1.3 Gültigkeit<br />

1.1.3.1 Einheit der Form<br />

Gemäss Artikel 139 Absatz 2 der Bundesverfassung (BV; Art. 121 Abs. 4 der alten<br />

Bundesverfassung vom 29. Mai 1874, aBV) kann die Volksinitiative auf Teilrevision<br />

der Bundesverfassung die Form der allgemeinen Anregung oder des ausgearbeiteten<br />

Entwurfs haben. Gemäss Artikel 139 Absatz 3 und 194 Absatz 3 BV muss die<br />

Initiative den Grundsatz der Einheit der Form wahren. Dieser Grundsatz gebietet,<br />

dass die Volksinitiative entweder in die eine oder die andere der beiden vorerwähnten<br />

Formen gekleidet ist 3, was bedeutet, dass eine Vermis<strong>ch</strong>ung der beiden Formen<br />

1 Zur Anpassung an die neue Bundesverfassung vgl. Ziff. 3.2.<br />

2 BBl 1999 7312, 1998 3964<br />

3 Art. 75 Abs. 3 des Bundesgesetzes vom 17. Dezember 1976 über die politis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>te<br />

(BPR, SR 161.1).<br />

1719


unzulässig ist. Die Volksinitiative «Glei<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te für Behinderte» hat die Form eines<br />

in allen Teilen ausgearbeiteten Entwurfs für einen Verfassungsartikel. Sie respektiert<br />

somit die Einheit der Form.<br />

1.1.3.2 Einheit der Materie<br />

Gemäss Artikel 139 Absatz 3 und 194 Absatz 3 BV (Art. 121 Abs. 3 aBV) muss die<br />

Volksinitiative auf Teilrevision ferner die Einheit der Materie wahren. Dieser<br />

Grundsatz wird erfüllt, wenn zwis<strong>ch</strong>en den einzelnen Teilen einer Initiative ein<br />

sa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er Zusammenhang besteht4. Die Volksinitiative «Glei<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te für Behinderte» s<strong>ch</strong>lägt die Einführung eines<br />

neuen Verfassungsartikels vor, wel<strong>ch</strong>er drei Absätze umfasst. Die Bestimmung zielt<br />

in ihrer Gesamtheit darauf ab, in der Verfassung spezifis<strong>ch</strong> zu Gunsten der Mens<strong>ch</strong>en<br />

mit Behinderungen5 einen Glei<strong>ch</strong>stellungsgrundsatz zu verankern. Zu diesem<br />

Zweck werden bestimmte Instrumente einer Glei<strong>ch</strong>stellungs-Politik genannt (Diskriminierungsverbot,<br />

Gesetzgebungsauftrag, Gewährleistung eines Re<strong>ch</strong>ts auf Zugang<br />

zu Anlagen und Leistungen, die für die Öffentli<strong>ch</strong>keit bestimmt sind). Die Initiative<br />

besteht somit aus Elementen, wel<strong>ch</strong>e unter si<strong>ch</strong> in einem direkten Zusammenhang<br />

stehen und si<strong>ch</strong> gegenseitig ergänzen. Sie respektiert somit die Einheit der<br />

Materie.<br />

1.1.3.3 Dur<strong>ch</strong>führbarkeit der Initiative<br />

Der Verfassungsgeber hat den Grundsatz der Dur<strong>ch</strong>führbarkeit der Initiative ni<strong>ch</strong>t<br />

ausdrückli<strong>ch</strong> stipuliert, dies weil er erwog, dass diese materielle S<strong>ch</strong>ranke der Teilrevision<br />

der Verfassung selbstverständli<strong>ch</strong> sei6. Die Unmögli<strong>ch</strong>keit, eine Volksinitiative<br />

dur<strong>ch</strong>zuführen, ist jedo<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> der Praxis der zuständigen Behörden ein<br />

Ni<strong>ch</strong>tigkeitsgrund. Der Grundsatz der Dur<strong>ch</strong>führbarkeit gebietet, dass eine Initiative<br />

ni<strong>ch</strong>t ohne weiteres und zwangsläufig als offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> unrealisierbar ers<strong>ch</strong>eint.<br />

Einfa<strong>ch</strong>e materielle S<strong>ch</strong>wierigkeiten genügen ni<strong>ch</strong>t, um auf die Undur<strong>ch</strong>führbarkeit<br />

zu s<strong>ch</strong>liessen7. Die Volksinitiative «Glei<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te für Behinderte» s<strong>ch</strong>lägt im Berei<strong>ch</strong> der Glei<strong>ch</strong>behandlung<br />

der Behinderten ein spezifis<strong>ch</strong>es Grundre<strong>ch</strong>t vor. Wie bei den anderen<br />

Grundre<strong>ch</strong>ten und ihrer Funktion in der Gesamtheit der Re<strong>ch</strong>tsordnung soll dieses<br />

Re<strong>ch</strong>t in erster Linie die vers<strong>ch</strong>iedenen Staatsgewalten in der Erfüllung ihrer Aufgaben<br />

binden und ihnen die Pfli<strong>ch</strong>t auferlegen, Massnahmen zu ergreifen, um es zu<br />

verwirkli<strong>ch</strong>en (Art. 35 Abs. 1 und 2 BV). Die Tatsa<strong>ch</strong>e, dass die Verwirkli<strong>ch</strong>ung<br />

dieses Re<strong>ch</strong>ts au<strong>ch</strong> (aber ni<strong>ch</strong>t auss<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong>) von einem Gesinnungswandel abhängt,<br />

der vom Staat nur sehr bes<strong>ch</strong>ränkt beeinflusst werden kann, ma<strong>ch</strong>t die Volksinitiative<br />

deswegen ni<strong>ch</strong>t undur<strong>ch</strong>führbar. Sie erteilt jedenfalls eine Anordnung, der<br />

die Behörden na<strong>ch</strong>leben können, indem sie ihr Handeln mit dem erklärten Grundsatz<br />

in Übereinstimmung bringen, und sie können in den Berei<strong>ch</strong>en, die ihrem direkten<br />

4 Art. 75 Abs. 2 BPR<br />

5 Im Folgenden wird in der Regel – im Einklang mit der Volksinitiative – der Begriff<br />

«Behinderte» verwendet.<br />

6 BBl 1997 I 433<br />

7 Etienne Grisel, Initiative et référendum populaires, 2. Auflage, Bern 1997, S. 241.<br />

1720


Einfluss entzogen sind, dur<strong>ch</strong> Information und dur<strong>ch</strong> den politis<strong>ch</strong>en Diskurs handeln.<br />

Die Volksinitiative «Glei<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te für Behinderte» respektiert somit die Bedingung<br />

der Dur<strong>ch</strong>führbarkeit, wie sie die Praxis der Bundesbehörden verlangt.<br />

1.1.3.4 Übereinstimmung mit den zwingenden<br />

Bestimmungen des Völkerre<strong>ch</strong>ts<br />

Gemäss den Artikeln 139 Absatz 3 und 194 Absatz 2 BV muss eine Initiative die<br />

zwingenden Bestimmungen des Völkerre<strong>ch</strong>ts respektieren. Dieser Grundsatz verlangt,<br />

dass eine Initiative auf Teilrevision der Verfassung keine Bestimmung des<br />

Völkerre<strong>ch</strong>ts verletzt, deren Bedeutung absolut ist (jus cogens). Es handelt si<strong>ch</strong> dabei<br />

um diejenigen Bestimmungen, wel<strong>ch</strong>e allen Staaten – seien sie dur<strong>ch</strong> einen Vertrag<br />

gebunden oder ni<strong>ch</strong>t8 – zwingend auferlegt sind, weil sie die Grundlagen für das<br />

Verhalten der Nationen in ihren gegenseitigen Beziehungen bilden und für das<br />

friedli<strong>ch</strong>e Zusammenleben der Völker und die Mens<strong>ch</strong>enwürde unabdingbar sind<br />

(so zum Beispiel der Kern des humanitären Völkerre<strong>ch</strong>ts, die Verbote von Gewalt,<br />

Folter, Aggression, Völkermord).<br />

Die Volksinitiative «Glei<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te für Behinderte» verstösst offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> gegen<br />

keine dieser Bestimmungen. Sie respektiert somit die Bedingung der Übereinstimmung<br />

mit den zwingenden Bestimmungen des Völkerre<strong>ch</strong>ts.<br />

1.2 Entstehungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te und Zweck der Initiative<br />

1.2.1 Die Lancierung der Initiative<br />

Die Volksinitiative «Glei<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te für Behinderte» wurde im August 1998 lanciert.<br />

Die Eidgenössis<strong>ch</strong>en Räte hatten in den vorangegangenen Monaten im Rahmen der<br />

Verfassungsreform insbesondere über die Einführung einer neuen Bestimmung debattiert,<br />

wel<strong>ch</strong>e die Glei<strong>ch</strong>behandlung der Behinderten ausdrückli<strong>ch</strong> vors<strong>ch</strong>reibt.<br />

Parallel dazu hatte der Nationalrat über eine von Nationalrat Marc Suter am 5. Oktober<br />

1995 eingerei<strong>ch</strong>te parlamentaris<strong>ch</strong>e Initiative zu befinden9. S<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> ist<br />

darauf hinzuweisen, dass die Unters<strong>ch</strong>riftensammlung für die Volksinitiative glei<strong>ch</strong>zeitig<br />

mit dem Referendumsverfahren bezügli<strong>ch</strong> der Änderung des Bundesgesetzes<br />

über die Invalidenversi<strong>ch</strong>erung vom 26. Juni 1998 stattfand; diese Revision<br />

sah unter anderem die Aufhebung der Viertelsrenten vor. Am 13. Juni 1999 hat das<br />

S<strong>ch</strong>weizer Volk diese Änderung mit grosser Mehrheit abgelehnt10. Tags darauf wurde<br />

die Volksinitiative bei der Bundeskanzlei eingerei<strong>ch</strong>t.<br />

Wie dieser Rückblick auf die erwähnten vers<strong>ch</strong>iedenen Gesetzgebungsverfahren<br />

zeigt, erfolgte die Lancierung der Volksinitiative in einem politis<strong>ch</strong>en Umfeld, das<br />

für die Probleme der Behinderten sensibilisiert war, und die Volksinitiative trägt zur<br />

Ergänzung eines bereits auf breiter Ebene laufenden Gesetzgebungs-Verfahrens bei.<br />

In weniger als einem Jahr war die erforderli<strong>ch</strong>e Anzahl Unters<strong>ch</strong>riften gesammelt,<br />

8 BBl 1997 I 362, 433 mit Hinweisen.<br />

9 Siehe Ziffer 2.4.1<br />

10 Siehe die Ergebnisse der Volksabstimmung vom 13. Juni 1999, BBl 1999 7293.<br />

1721


weshalb die Volksinitiative ras<strong>ch</strong> eingerei<strong>ch</strong>t werden konnte. Die gesammelten Unters<strong>ch</strong>riften<br />

stammen aus allen Teilen der S<strong>ch</strong>weiz11. Das Initiativ-Komitee setzt si<strong>ch</strong> vorwiegend aus Vertretern von privaten Behindertenorganisationen<br />

und aus Mitgliedern der im Bundesrat vertretenen politis<strong>ch</strong>en<br />

Parteien zusammen.<br />

1.2.2 Der Gesi<strong>ch</strong>tspunkt der Urheber der Initiative<br />

Die Urheber der Initiative prangern die unzähligen Hindernisse an, die si<strong>ch</strong> den Behinderten<br />

in wi<strong>ch</strong>tigen Lebensberei<strong>ch</strong>en, wie der S<strong>ch</strong>ule, der Ausbildung, der Arbeit<br />

und dem Reisen, entgegenstellen12. Sie fordern, dass diese Personen, wie dies für<br />

die Ni<strong>ch</strong>tbehinderten zutrifft, in den Genuss aller anerkannten Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te<br />

kommen, und sie verlangen eine bessere Integration der Behinderten in das tägli<strong>ch</strong>e<br />

Leben.<br />

Die Initianten sind zwar der Meinung, dass der neue Artikel 8 BV bezügli<strong>ch</strong> der von<br />

ihnen vertretenen Sa<strong>ch</strong>e einen wi<strong>ch</strong>tigen Forts<strong>ch</strong>ritt darstellt, betra<strong>ch</strong>ten ihn aber insofern<br />

als zu wenig weit gehend, als er kein Re<strong>ch</strong>t auf direkten Zugang zu Anlagen<br />

und Bauten gewährleistet, die für die Öffentli<strong>ch</strong>keit bestimmt sind. Na<strong>ch</strong> ihrer Meinung<br />

ist aber ein sol<strong>ch</strong>es Re<strong>ch</strong>t wesentli<strong>ch</strong>, um den Glei<strong>ch</strong>stellungsgrundsatz ras<strong>ch</strong><br />

und effizient umzusetzen; es würde den betroffenen Personen denn au<strong>ch</strong> erlauben,<br />

grobe Verletzungen des Glei<strong>ch</strong>stellungsanspru<strong>ch</strong>s geri<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> geltend zu ma<strong>ch</strong>en,<br />

und zwar ohne auf den Erlass von eidgenössis<strong>ch</strong>en oder kantonalen Gesetzen warten<br />

zu müssen. Dabei sind die Urheber der Initiative überzeugt, dass dieses Instrument<br />

massvoll eingesetzt würde, und dass die Re<strong>ch</strong>tswege nur in Fällen offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>er<br />

und lei<strong>ch</strong>t zu korrigierender Unglei<strong>ch</strong>heiten überhaupt bes<strong>ch</strong>ritten würden.<br />

S<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> sehen die Initianten in der verfassungsmässigen Garantie eines Re<strong>ch</strong>ts<br />

auf Zugang zu Anlagen und Leistungen, die für die Öffentli<strong>ch</strong>keit bestimmt sind, einen<br />

Ansporn für die Gesetzgeber, den Erlass griffiger Gesetze zu Gunsten der<br />

Glei<strong>ch</strong>stellung von Behinderten voranzutreiben. Mit anderen Worten: Diese Garantie<br />

würde Bund und Kantone anhalten, ihrer Aufgabe als Gesetzgeber ohne Verzug<br />

na<strong>ch</strong>zukommen. Diese We<strong>ch</strong>selwirkung zwis<strong>ch</strong>en Gesetzgebungsauftrag und Garantie<br />

eines direkten subjektiven Re<strong>ch</strong>ts würde ausserdem dazu beitragen, den Gesetzgebungsprozess<br />

positiv zu beeinflussen, indem zukunftsgeri<strong>ch</strong>tet realitätsbezogene<br />

Lösungen und viel verspre<strong>ch</strong>ende Perspektiven aufgezeigt würden.<br />

1.3 Behandlungsfristen<br />

Gemäss Artikel 29 Absatz 1 und 2 des Bundesgesetzes vom 23. März 1962 13 über<br />

den Ges<strong>ch</strong>äftsverkehr der Bundesversammlung muss der Bundesrat seine Bots<strong>ch</strong>aft<br />

der Bundesversammlung innerhalb von 18 Monaten na<strong>ch</strong> Einrei<strong>ch</strong>ung der Initiative<br />

vorlegen, wenn er dem Parlament einen mit dieser Initiative eng zusammenhängen-<br />

11 BBl 1999 7312<br />

12 Siehe das Dossier des Vereins Volksinitiative zur Glei<strong>ch</strong>stellung Behinderter, das der<br />

Presse anlässli<strong>ch</strong> der Einrei<strong>ch</strong>ung der Initiative übergeben wurde: «Information für die<br />

Medien – Einrei<strong>ch</strong>ung der Volksinitiative ‹Glei<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te für Behinderte› vom 14. Juni<br />

1999» (na<strong>ch</strong>stehend, Dossier Verein Volksinitiative).<br />

13 Ges<strong>ch</strong>äftsverkehrsgesetz; SR 171.11<br />

1722


den Erlass unterbreitet. Im vorliegenden Fall läuft diese Frist am 14. Dezember 2000<br />

ab.<br />

Gemäss Artikel 27 Absatz 1 Ges<strong>ch</strong>äftsverkehrsgesetz bes<strong>ch</strong>liesst die Bundesversammlung<br />

innert 30 Monaten na<strong>ch</strong> Einrei<strong>ch</strong>ung der Initiative, ob sie der Initiative<br />

zustimmt oder ni<strong>ch</strong>t; im vorliegenden Fall hat dies bis spätestens am 14. Dezember<br />

<strong>2001</strong> zu ges<strong>ch</strong>ehen. Diese Frist kann allerdings gemäss Artikel 27 Absatz 5 bis um ein<br />

Jahr verlängert werden, wenn mindestens ein Rat über einen mit der Volksinitiative<br />

eng zusammenhängenden Erlass Bes<strong>ch</strong>luss gefasst hat. In einem sol<strong>ch</strong>en Fall würde<br />

die Frist vorliegend am 14. Dezember 2002 ablaufen.<br />

2 Allgemeines<br />

2.1 Zur Situation der Behinderten in der S<strong>ch</strong>weiz<br />

2.1.1 Der Begriff der Behinderung<br />

Lange Zeit galt Behinderung als eine individuelle Abwei<strong>ch</strong>ung von der Norm eines<br />

gesunden, leistungsfähigen Mens<strong>ch</strong>en. Die medizinis<strong>ch</strong>e und ökonomis<strong>ch</strong>e Betra<strong>ch</strong>tungsweise<br />

führte zu einer Individualisierung der Behindertenproblematik. Jedo<strong>ch</strong><br />

ist au<strong>ch</strong> die sozio-kulturelle Dimension der Behinderung in die Betra<strong>ch</strong>tungsweise<br />

einzubeziehen. Unter dem Blickwinkel eines ganzheitli<strong>ch</strong>en Ansatzes ist Behinderung<br />

ni<strong>ch</strong>t nur ein individuelles Problem, sondern ein Lebensbewältigungsproblem<br />

in einer bestimmten Gesells<strong>ch</strong>aft und in einer bestimmten historis<strong>ch</strong>en Entwicklungsphase.<br />

Die kulturelle Dimension von Behinderung zeigt si<strong>ch</strong> darin, dass<br />

somatis<strong>ch</strong>e, psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e und psy<strong>ch</strong>osomatis<strong>ch</strong>e Krankheitsbilder innerhalb einer<br />

Kultur und Sozialstruktur einer Gesells<strong>ch</strong>aft bewertet und entspre<strong>ch</strong>end dieser Bewertung<br />

institutionell erkannt oder au<strong>ch</strong> negiert, ja gar verdrängt werden14. Entspre<strong>ch</strong>end<br />

der Bewertung gestaltet si<strong>ch</strong> das individuelle und gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Handeln.<br />

Behinderung muss gesehen werden als das Resultat eines komplexen Zusammenwirkens<br />

von individuellen, familiären, sozialen, ökonomis<strong>ch</strong>en, kulturellen und juristis<strong>ch</strong>en<br />

Gegebenheiten und Kräften. Als systemis<strong>ch</strong>e Hindernisse erweisen si<strong>ch</strong> ar<strong>ch</strong>itektonis<strong>ch</strong>e<br />

Barrieren, fehlende behindertengere<strong>ch</strong>te hygienis<strong>ch</strong>e Einri<strong>ch</strong>tungen,<br />

mangelnde Berücksi<strong>ch</strong>tigung spezieller Bedürfnisse von Mens<strong>ch</strong>en mit Wahrnehmungss<strong>ch</strong>wierigkeiten<br />

in den Medien und in öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrsmitteln, ungenügende<br />

Teilzeitbes<strong>ch</strong>äftigungsmögli<strong>ch</strong>keiten usw. Soziale Strukturen tragen dazu bei,<br />

die Behinderung zu s<strong>ch</strong>affen oder zu verstärken.<br />

Wie jeder Mens<strong>ch</strong> lebt au<strong>ch</strong> der Mens<strong>ch</strong> mit einer Behinderung als Individuum und<br />

als Mitglied der Gesells<strong>ch</strong>aft. Der mit einer Behinderung belastete Mens<strong>ch</strong> muss<br />

si<strong>ch</strong> zwei existenzielle Fragen stellen: Wel<strong>ch</strong>e Anforderungen ri<strong>ch</strong>tet die Gesells<strong>ch</strong>aft<br />

an mi<strong>ch</strong> und wie komme i<strong>ch</strong> mit meiner Behinderung zure<strong>ch</strong>t. Im Spannungsfeld<br />

von Normalität und Abwei<strong>ch</strong>ung wird Behinderung definiert und bewertet.<br />

«Die Frage bleibt offen, wieweit Behinderung eine Eigens<strong>ch</strong>aft, vor allem ein<br />

Mangel, ein Defizit in körperli<strong>ch</strong>er oder psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>er (oder geistiger) Hinsi<strong>ch</strong>t des<br />

Mens<strong>ch</strong>en sei, der als behindert gilt, oder wieweit Behinderung ein gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>es<br />

Konstrukt darstellt, das zur Ausgrenzung bestimmt gearteter Mens<strong>ch</strong>en führt» 15<br />

14 Adriano Previtali, Handicap e diritto, Fribourg 1998, S. 44 sowie S. 82, Fussnote 290.<br />

15 Jörg Paul Müller, Diskriminierung behinderter Personen de constitutione lata et ferenda,<br />

in: Erwin Murer (Hrsg.), Eingliederung vor Rente – Eingliederung in die Sackgasse, Bern<br />

1998, S. 1–15, S. 6.<br />

1723


oder führen kann16. «Mit dem Begriff der Behinderung wird ni<strong>ch</strong>t der Gesundheitszustand<br />

an si<strong>ch</strong> bes<strong>ch</strong>rieben, sondern der aus einer bestimmten somatis<strong>ch</strong>en oder<br />

psy<strong>ch</strong>o-mentalen Verfassung resultierende Kompetenz- oder Funktionsverlust. Diese<br />

Störung oder Eins<strong>ch</strong>ränkung der Funktionsfähigkeit kann auss<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> für das<br />

betroffene Individuum eine Beeinträ<strong>ch</strong>tigung darstellen, oder aber, was in der Regel<br />

der Fall ist, si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> auf Dritte auswirken» 17.<br />

Ein neues, ganzheitli<strong>ch</strong>es Konzept versu<strong>ch</strong>t die Weltgesundheitsorganisation<br />

(WHO) für die Beurteilung von Behinderung zu entwickeln. Ihr bisheriges Klassifikationssystem,<br />

die «International Classification of Impairments, Disabilities and<br />

Handicaps» wird aus einer neuen Si<strong>ch</strong>tweise heraus uminterpretiert und umgearbeitet<br />

in ein erweitertes Gedankengebäude. Das neue Klassifikationssystem18 orientiert<br />

si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t nur an den Defiziten der Person, sondern erfasst au<strong>ch</strong> die soziale Dimension<br />

des mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Lebens. Es unters<strong>ch</strong>eidet vier Ebenen und verbindet damit<br />

folgende Fragestellungen:<br />

1. S<strong>ch</strong>aden (impairment): Wel<strong>ch</strong>e Körperfunktionen und -strukturen sind beeinträ<strong>ch</strong>tigt?<br />

2. Aktivitäten (disabilities): Wel<strong>ch</strong>e Eins<strong>ch</strong>ränkungen der Aktivitäten und des<br />

selbst bestimmten, autonomen Handelns ergeben si<strong>ch</strong> aus dem S<strong>ch</strong>aden?<br />

3. Partizipation (handicap): Es geht um das Ausmass des Einbezogenseins einer<br />

Person in vers<strong>ch</strong>iedenen Lebensberei<strong>ch</strong>en. In wel<strong>ch</strong>er Weise und in wel<strong>ch</strong>em<br />

Ausmass wirken si<strong>ch</strong> Gesundheitsstörungen, körperli<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>äden oder<br />

Aktivitätseins<strong>ch</strong>ränkungen auf die Teilnahme an öffentli<strong>ch</strong>en, gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en,<br />

kulturellen Aufgaben, Angeboten und Errungens<strong>ch</strong>aften aus?<br />

4. Kontextfaktoren: Wie (in wel<strong>ch</strong>er Weise und in wel<strong>ch</strong>em Ausmass) wirken<br />

si<strong>ch</strong> persönli<strong>ch</strong>e Faktoren sowie die Lebensumstände, die Lebens- und Familienges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te,<br />

die Gesamtheit der Umweltfaktoren, in denen der Mens<strong>ch</strong><br />

eingebettet ist und mit denen er si<strong>ch</strong> auseinander setzt und interagiert, hinderli<strong>ch</strong><br />

oder förderli<strong>ch</strong> auf die Partizipationsmögli<strong>ch</strong>keiten aus?<br />

Dieses neue Klassifikationssystem ist ni<strong>ch</strong>t auf die Ursa<strong>ch</strong>en, sondern auf die Folgen<br />

von Gesundheitsstörungen ausgeri<strong>ch</strong>tet und versteht si<strong>ch</strong> als Hilfsmittel für die Erkennung<br />

sozialer Folgen. Damit soll es den Blick öffnen für den Einzelnen wie für<br />

Gesells<strong>ch</strong>aft, S<strong>ch</strong>ritte zu wagen in Ri<strong>ch</strong>tung mehr Selbstbestimmung, mehr Teilnahmemögli<strong>ch</strong>keiten<br />

in allen Lebensberei<strong>ch</strong>en. Anzei<strong>ch</strong>en für den Mentalitätswandel,<br />

wona<strong>ch</strong> Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen ni<strong>ch</strong>t mehr nur als Objekte der Fürsorge<br />

und Pflege, sondern vermehrt au<strong>ch</strong> als Subjekte der eigenen Lebensgestaltung und<br />

Lebensbewältigung gesehen werden, sind unverkennbar.<br />

16 Vgl. Erwin Murer, Vom S<strong>ch</strong>utz des Starken im S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en oder das Bild des S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en<br />

im Sozialversi<strong>ch</strong>erungsre<strong>ch</strong>t, in: Peter Gau<strong>ch</strong> (Hrsg.), Das Mens<strong>ch</strong>enbild im Re<strong>ch</strong>t,<br />

Mélanges, Universität Freiburg, 1999, S. 359–382.<br />

17 Markus Buri/Walter Weiss, Behinderung, in: Walter Weiss (Hrsg.), Gesundheit in der<br />

S<strong>ch</strong>weiz, Züri<strong>ch</strong> 1993, S. 73.<br />

18 Dargestellt in Anlehnung an Christoph Heinz, Anderer Blick – freiere Si<strong>ch</strong>t. INFORUM<br />

2, 1998, S. 8–13 sowie in Anlehnung an Judith Hollenweger, «Behinderung» neu denken:<br />

Ein S<strong>ch</strong>ritt na<strong>ch</strong> vorne? S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>e Zeits<strong>ch</strong>rift für Heilpädagogik 12/1998, S. 24–29.<br />

1724


2.1.2 Behinderung als existenzielle Beeinträ<strong>ch</strong>tigung und<br />

besondere Herausforderung an die Lebensbewältigung<br />

Die Definition der Behinderung als existenzielle Beeinträ<strong>ch</strong>tigung geht aus von der<br />

Vorstellung, dass die primäre Aufgabe des Mens<strong>ch</strong>en darin besteht, zu überleben,<br />

au<strong>ch</strong> wenn er ni<strong>ch</strong>t im Vollbesitz all seiner physis<strong>ch</strong>en und psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Kräfte ist.<br />

Gestützt auf diese Si<strong>ch</strong>tweise entstanden vers<strong>ch</strong>iedene Kategorisierungen der Behinderung<br />

mit unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Kriterien, wel<strong>ch</strong>e teils zu statistis<strong>ch</strong>en Zwecken<br />

(z.B. jährli<strong>ch</strong>e IV-Statistik, erstellt vom Bundesamt für Sozialversi<strong>ch</strong>erung), teils für<br />

die Ums<strong>ch</strong>reibung der gesetzli<strong>ch</strong>en Anspru<strong>ch</strong>svoraussetzungen na<strong>ch</strong> dem Bundesgesetz<br />

über die Invalidenversi<strong>ch</strong>erung vom 19. Juni 195919 verwendet werden (siehe<br />

Anhänge 1 und 2).<br />

Die IV-Statistik unters<strong>ch</strong>eidet – neben dem gesetzli<strong>ch</strong>en Kriterium des Invaliditätsgrades<br />

– na<strong>ch</strong> drei Ursa<strong>ch</strong>en (Geburtsgebre<strong>ch</strong>en, Krankheit, eins<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>er<br />

Leiden, Unfall) sowie in Anlehnung an medizinis<strong>ch</strong>e Kriterien na<strong>ch</strong> Gebre<strong>ch</strong>ensgruppen<br />

und Funktionsausfällen. Sodann untersu<strong>ch</strong>t sie die Invaliditätswahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit,<br />

d.h. die Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit, im Verlaufe des Lebens von Invalidität<br />

betroffen zu sein (siehe Graphik 1 im Anhang 1).<br />

Das Gesetz über die Invalidenversi<strong>ch</strong>erung definiert in Art. 4 IVG Invalidität ursa<strong>ch</strong>en-<br />

und wirkungsbezogen als «die dur<strong>ch</strong> einen körperli<strong>ch</strong>en oder geistigen Gesundheitss<strong>ch</strong>aden<br />

als Folge von Geburtsgebre<strong>ch</strong>en, Krankheit oder Unfall verursa<strong>ch</strong>te,<br />

voraussi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> bleibende oder längere Zeit dauernde Erwerbsunfähigkeit.»<br />

Im Vernehmlassungsentwurf zur vierten IV-Revision werden die Formen der Behinderung<br />

präzisiert: neben den körperli<strong>ch</strong>en oder geistigen Gesundheitss<strong>ch</strong>äden<br />

werden die psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Gesundheitss<strong>ch</strong>äden als eigene Kategorie aufgezählt20. Die<br />

IV-Gesetzgebung betra<strong>ch</strong>tet Behinderung unabhängig von den Ursa<strong>ch</strong>en und Formen<br />

als ein vornehmli<strong>ch</strong> ökonomis<strong>ch</strong>es Lebensbewältigungsproblem. Das Ausmass<br />

der Behinderung bestimmt si<strong>ch</strong> deshalb na<strong>ch</strong> den ökonomis<strong>ch</strong>en Auswirkungen der<br />

Behinderung im Erwerbsleben.<br />

In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass Behinderung ni<strong>ch</strong>t glei<strong>ch</strong>gesetzt werden<br />

darf mit Erwerbsbehinderung oder mit ökonomis<strong>ch</strong>er Unselbständigkeit. Beispiele<br />

ho<strong>ch</strong>begabter Mens<strong>ch</strong>en, wel<strong>ch</strong>e sinnesbehindert oder mobilitätsbehindert<br />

sind und erfolgrei<strong>ch</strong> eine berufli<strong>ch</strong>e oder akademis<strong>ch</strong>e Laufbahn einges<strong>ch</strong>lagen haben,<br />

ma<strong>ch</strong>en dies deutli<strong>ch</strong>. Behinderung kann gerade ein Anreiz sein, seine Lebensbewältigungsaufgabe<br />

in hervorragender und eindrückli<strong>ch</strong>er Weise im persönli<strong>ch</strong>en<br />

und gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Berei<strong>ch</strong> zu erfüllen. Zum Bild des S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en gehört au<strong>ch</strong><br />

dessen (verbleibende) Stärke21, wel<strong>ch</strong>e dur<strong>ch</strong> eine körperli<strong>ch</strong>e oder psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Verletzung<br />

in besondere Weise mobilisiert und dur<strong>ch</strong> die Entwicklung besondere Fähigkeiten<br />

kompensiert werden kann. Allerdings: Zur Realisierung der (verbleibenden)<br />

Lebens<strong>ch</strong>ancen bedarf es neben der subjektiven Anstrengung au<strong>ch</strong> ob-<br />

19 IVG, SR 831.20<br />

20 Vgl. Vernehmlassungsentwurf über die vierte IV-Revision vom 4. Juli 2000. Das<br />

Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversi<strong>ch</strong>erungsre<strong>ch</strong>ts<br />

(ATSG) gelangt dur<strong>ch</strong> die Verbindung seines Art. 8 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1<br />

des IVG, den es abändert (vgl. Ziff. 8 des Anhangs) zu einem verglei<strong>ch</strong>baren Ergebnis<br />

(BBl 2000 5041).<br />

21 Vgl. Erwin Murer, Vom S<strong>ch</strong>utz des Starken im S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en oder das Bild des S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en<br />

im Sozialversi<strong>ch</strong>erungsre<strong>ch</strong>t, in: Peter Gau<strong>ch</strong> (Hrsg.), Das Mens<strong>ch</strong>enbild im Re<strong>ch</strong>t,<br />

Mélanges, Universität Freiburg, 1999, S. 359–382.<br />

1725


jektiver, au<strong>ch</strong> materieller,Voraussetzungen, die ausserhalb der Ma<strong>ch</strong>tsphäre des Einzelnen<br />

liegen. (Verglei<strong>ch</strong>e Anhang 3 Abs<strong>ch</strong>nitt 2.2: Die Deckung des Invaliditätsrisikos).<br />

2.1.3 Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen im Arbeitsprozess<br />

2.1.3.1 Allgemeines<br />

Die meisten Mens<strong>ch</strong>en in der S<strong>ch</strong>weiz si<strong>ch</strong>ern ihre wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Existenz dur<strong>ch</strong><br />

ein Arbeitseinkommen. Für sie ist die Arbeitswelt ein bedeutender Lebensberei<strong>ch</strong>.<br />

Zugang zum Arbeitsmarkt und Werts<strong>ch</strong>ätzung der eigenen Arbeitskraft ist daher von<br />

vitaler Bedeutung, wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> und sozial. Die allgemeine Arbeitsmarktsituation,<br />

das Ausmass von Angebot und Na<strong>ch</strong>frage, die spezifis<strong>ch</strong>en Qualifikationen, na<strong>ch</strong><br />

denen na<strong>ch</strong>gefragt wird, die Eins<strong>ch</strong>ätzung der Leistungsfähigkeit, die Beurteilung<br />

der fa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en und sozialen Eignung dur<strong>ch</strong> den na<strong>ch</strong>fragenden Arbeitgeber oder die<br />

na<strong>ch</strong>fragende Arbeitgeberin bestimmen die Marktzutritts<strong>ch</strong>ancen bzw. die Anstellungs<strong>ch</strong>ancen.<br />

Dies trifft au<strong>ch</strong> für Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen zu. Der Arbeitsmarkt<br />

ist für Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen ein Kristallisationspunkt der gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />

Akzeptanz. Dabei ist zu bedenken, dass die individuellen Verhältnisse<br />

sehr unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> sind was die Behinderungsart (physis<strong>ch</strong>, psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong> oder geistig)<br />

und deren Grad (lei<strong>ch</strong>t, mittel, s<strong>ch</strong>wer, Einfa<strong>ch</strong>- und Mehrfa<strong>ch</strong>behinderung) sowie<br />

deren Augenfälligkeit betrifft. Lebensges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te und bisherige Einbettung in Familie,<br />

Arbeitswelt und Gesells<strong>ch</strong>aft vor Eintritt der Behinderung spielen ebenfalls eine<br />

ents<strong>ch</strong>eidende Rolle für die Integrationsfähigkeit. In diesem Zusammenhang ist daran<br />

zu erinnern, dass die Ursa<strong>ch</strong>e einer Behinderung in der Mehrzahl der Fälle ni<strong>ch</strong>t<br />

ein Geburtsgebre<strong>ch</strong>en oder ein Unfall, sondern eine Krankheit ist, die im Laufe des<br />

Lebens eintritt 22. Mit zunehmendem Alter steigt die Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit, von einer<br />

Behinderung betroffen zu sein und infolgedessen im Erwerbsleben ni<strong>ch</strong>t mehr die<br />

volle Leistung erbringen zu können oder den Anforderungen gar ni<strong>ch</strong>t mehr zu genügen<br />

23.<br />

2.1.3.2 Ges<strong>ch</strong>ützte Werkstätten<br />

Da Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen auf dem freien Arbeitsmarkt geringe Anstellungs<strong>ch</strong>ancen<br />

haben, wurden ges<strong>ch</strong>ützte Werkstätten ges<strong>ch</strong>affen. Anfang der Neunzigerjahre<br />

fanden gegen 20 000 Personen mit s<strong>ch</strong>weren Behinderungen in ca. 300 ges<strong>ch</strong>ützten<br />

Werkstätten eine ihrer Behinderung angemessene Tätigkeit. Für die Hälfte<br />

dieser Personen ist in angegliederten Wohnheimen au<strong>ch</strong> für Unterkunft und na<strong>ch</strong><br />

Mögli<strong>ch</strong>keit für ein Freizeitangebot gesorgt. Dieser Einri<strong>ch</strong>tungstyp entspri<strong>ch</strong>t dem<br />

erweiterten Leistungsauftrag des Bundesamtes für Sozialversi<strong>ch</strong>erung, wona<strong>ch</strong> die<br />

22 Siehe dazu die Ausführungen unter 2.1.4.3.<br />

23 Einer von fünf Männern kurz vor der Pensionierung ist IV-Rentner. Der Eintritt in die<br />

Gruppe der IV-Rentner und IV-Rentnerinnen erfolgt hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> auf Grund von<br />

Krankheit. Der Bezug einer Invalidenrente ist ein Phänomen, das ebenso wie die Vers<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>terung<br />

des Gesundheitszustandes hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> mit dem Alter zusammenhängt.<br />

Verglei<strong>ch</strong>e dazu die Ausführungen unter 2.1.4.4 sowie die Graphik 1 im Anhang 1.<br />

1726


Integration Behinderter über die Berei<strong>ch</strong>e Arbeit, Wohnen und Freizeit zu erfolgen<br />

hat 24.<br />

2.1.3.3 Neue Integrationsformen<br />

Die Situation Behinderter am Arbeitsplatz ist seit Anfang der Neunzigerjahre im<br />

Wandel begriffen. Während bis Ende der A<strong>ch</strong>tzigerjahre mit der S<strong>ch</strong>affung der gesetzli<strong>ch</strong>en<br />

Grundlagen zur sozialen Si<strong>ch</strong>erheit Behinderter (Invalidenversi<strong>ch</strong>erungsgesetz,<br />

zwei IVG-Revisionen) die S<strong>ch</strong>affung behindertengere<strong>ch</strong>ter Institutionen mit<br />

Arbeitsplätzen im Vordergrund gestanden hatte und dementspre<strong>ch</strong>end die kollektiven<br />

Leistungen der Invalidenversi<strong>ch</strong>erung stark angestiegen sind, kommt heute der<br />

Integration in quantitativer, besonders aber au<strong>ch</strong> in qualitativer Hinsi<strong>ch</strong>t eine zunehmende<br />

Bedeutung zu. Das Augenmerk ist vermehrt auf die Mögli<strong>ch</strong>keiten des<br />

Einzelnen und der Si<strong>ch</strong>erung seiner Autonomie geri<strong>ch</strong>tet. Den Auss<strong>ch</strong>lag zu dieser<br />

veränderten Si<strong>ch</strong>tweise gaben einerseits negative Erfahrungen mit Ausgrenzungseffekten<br />

und andererseits positive Erfahrungen mit neuen Formen der Integration25. Die im Rahmen der 4. IV-Revision vorgelegte Einführung einer Assistenzents<strong>ch</strong>ädigung<br />

zwis<strong>ch</strong>en 10 und 70 Franken pro Tag soll es zahlrei<strong>ch</strong>en Behinderten ermögli<strong>ch</strong>en,<br />

anstatt in Wohnheimen zu Hause – im Kreise ihrer Familie oder als alleinstehende<br />

Person – in ihrer gewohnten Umgebung zu verbleiben. Die Direktzahlungen<br />

sollen an die Betroffenen fliessen, die ihren Alltag selbstverantwortli<strong>ch</strong> organisieren.<br />

Das private Umfeld wird dadur<strong>ch</strong> zu Hilfestellungen vor Ort ermutigt, und das<br />

Selbstwertgefühl der Betroffenen wird gestärkt.<br />

Was die berufli<strong>ch</strong>e und soziale Wiedereingliederung von verunfallten oder s<strong>ch</strong>wer<br />

erkrankten, jedo<strong>ch</strong> genesenden Personen anbelangt, wird die Integration in die Arbeitswelt<br />

je na<strong>ch</strong> Art und Ausmass der psy<strong>ch</strong>ophysis<strong>ch</strong>en Beeinträ<strong>ch</strong>tigung über<br />

spezialisierte Einri<strong>ch</strong>tungen (z.B. Rehabilitationsklinik der SUVA in Bellikon, AG)<br />

bewerkstelligt. Unter den angewandten Massnahmen nimmt die Berufsfindungsabklärung<br />

einen hohen Stellenwert ein. Dies entspri<strong>ch</strong>t dem Grundsatz der Invalidenversi<strong>ch</strong>erung<br />

«Eingliederung vor Rente.»<br />

Da die Erwerbsarbeit für die meisten Mens<strong>ch</strong>en die wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Existenz si<strong>ch</strong>ert,<br />

sollen au<strong>ch</strong> Jugendli<strong>ch</strong>e mit Lernbehinderungen26 eine berufli<strong>ch</strong>e Ausbildung absolvieren<br />

können. Die laufende Revision des Bundesgesetzes über die Berufsbildung27 sieht deshalb eine fa<strong>ch</strong>kundige individuelle Begleitung von Personen mit Lerns<strong>ch</strong>wierigkeiten<br />

vor. Der Bund kann diese individuelle Unterstützung fördern (Art.<br />

24 Uli S<strong>ch</strong>waninger, Behinderte Personen im Arbeitsprozess, in: Walter Weiss (Hrsg.),<br />

Gesundheit in der S<strong>ch</strong>weiz, Züri<strong>ch</strong> 1993, S. 82.<br />

25 Uli S<strong>ch</strong>waninger, a.a.O., S. 83. Verglei<strong>ch</strong>e dazu Katharina Kanka und Marc F. Suter,<br />

Persönli<strong>ch</strong>e Assistenz für Behinderte, S<strong>ch</strong>lüssel zur Selbstverantwortung und<br />

Glei<strong>ch</strong>stellung, NZZ, 6. Oktober 2000, Nr. 233, S. 16.<br />

26 Als lernbehindert gelten Kinder und Jugendli<strong>ch</strong>e, wel<strong>ch</strong>e zwar Lerns<strong>ch</strong>wierigkeiten<br />

haben, jedo<strong>ch</strong> hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> ihrer intellektuellen Fähigkeiten im Streuberei<strong>ch</strong> der<br />

Normalverteilung der intellektuellen Leistungsfähigkeit einer Bevölkerung liegen, d.h.<br />

mindestens einen Intelligenzquotient von 75 Prozent und höher aufweisen, mitunter au<strong>ch</strong><br />

überdur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong> begabt sind, jedo<strong>ch</strong> aus vers<strong>ch</strong>iedenen Gründen (beispielsweise<br />

soziale oder persönli<strong>ch</strong>e Reifemängel und mangelnde Lernbereits<strong>ch</strong>aft usw.) geringe<br />

s<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>e Leistungen erbringen (vgl. weitere Ausführungen über Lernbehinderung in<br />

Ziffer 2.4.1.6).<br />

27 Die Bots<strong>ch</strong>aft wurde vom Bundesrat am 6. September 2000 verabs<strong>ch</strong>iedet; BBl 2000<br />

5686.<br />

1727


28 und Art. 54 Abs. 2 Bst. a Ziff. 5 des Entwurfes). Die Vorlage sieht eine berufspraktis<strong>ch</strong>e<br />

Bildung mit einem gesamts<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Abs<strong>ch</strong>luss vor, der den<br />

Zugang zur Arbeitswelt eröffnen soll. Diese berufspraktis<strong>ch</strong>e Bildung löst die bisherige<br />

Anlehre ab. Auf der Basis dieser ersten Qualifikationsstufe kann, bei entspre<strong>ch</strong>enden<br />

Fähigkeiten des Jugendli<strong>ch</strong>en, na<strong>ch</strong>trägli<strong>ch</strong> ein ordentli<strong>ch</strong>er Lehrabs<strong>ch</strong>luss<br />

mit eidgenössis<strong>ch</strong>em Fähigkeitsausweis – unter teilweiser Anre<strong>ch</strong>nung der berufspraktis<strong>ch</strong>en<br />

Bildung – erfolgen.<br />

2.1.4 Das statistis<strong>ch</strong>e Bild von Mens<strong>ch</strong>en<br />

mit Behinderungen in der S<strong>ch</strong>weiz<br />

2.1.4.1 Zur Datenlage<br />

Es existieren keine genauen Daten zur Anzahl behinderter Personen in der S<strong>ch</strong>weiz.<br />

Hingegen ist bekannt, wie viele Personen Leistungen der Invalidenversi<strong>ch</strong>erung beziehen.<br />

Die IV-Statistik gibt jährli<strong>ch</strong> darüber Auskunft. Jedo<strong>ch</strong> ist dabei zu bedenken,<br />

dass die Daten der IV-Versi<strong>ch</strong>erung kein vollständiges Bild vermitteln: Sie erfassen<br />

– neben den Kindern und Jugendli<strong>ch</strong>en – zwar Invalide im erwerbsfähigen<br />

Alter mit einer Invalidität von mindestens 40% (Anspru<strong>ch</strong>svoraussetzung für eine<br />

IV-Rente) sowie Invalide, wel<strong>ch</strong>e eine andere individuelle Leistung der Invalidenversi<strong>ch</strong>erung<br />

erhalten (Abklärungsmassnahmen, medizinis<strong>ch</strong>e, s<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>e oder berufli<strong>ch</strong>e<br />

Massnahmen und Hilfsmittel). Hingegen fehlen in dieser Statistik all jene<br />

Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen, wel<strong>ch</strong>e die Anspru<strong>ch</strong>svoraussetzungen der Invalidenversi<strong>ch</strong>erung<br />

ni<strong>ch</strong>t erfüllen und deshalb keine IV-Leistungen beziehen können.<br />

Der Bezügerkreis der IV wird au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> die zeitli<strong>ch</strong> limitierten Leistungsanspru<strong>ch</strong>svoraussetzungen<br />

einges<strong>ch</strong>ränkt. So werden Personen mit Behinderungen,<br />

wel<strong>ch</strong>e dank einer berufli<strong>ch</strong>en Ums<strong>ch</strong>ulung ni<strong>ch</strong>t mehr auf die Unterstützung der IV<br />

angewiesen sind, ni<strong>ch</strong>t mehr von der IV-Statistik erfasst. Die Statistik der Invalidenversi<strong>ch</strong>erung<br />

erfasst ledigli<strong>ch</strong> die Mens<strong>ch</strong>en, wel<strong>ch</strong>e eine Leistung der IV zugespro<strong>ch</strong>en<br />

erhalten, hingegen ni<strong>ch</strong>t all die Mens<strong>ch</strong>en, denen es gelungen ist, ihre Behinderung<br />

dur<strong>ch</strong> private Massnahmen und besondere Anstrengungen ohne die Hilfe der<br />

IV soweit zu überwinden, dass sie einer Erwerbstätigkeit na<strong>ch</strong>gehen können.<br />

Die Statistik der Invalidenversi<strong>ch</strong>erung weist die Zahlen aus über Personen, wel<strong>ch</strong>e<br />

si<strong>ch</strong> dank einer dur<strong>ch</strong> die IV unterstützten Erstausbildung oder dur<strong>ch</strong> eine berufli<strong>ch</strong>e<br />

Ums<strong>ch</strong>ulung in die Arbeitswelt eingliedern konnten28. Die IV-Statistik erfasst au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t die Zahl der Arbeitgeber, wel<strong>ch</strong>e freiwillig, aus<br />

sozialer Rücksi<strong>ch</strong>tnahme oder auf Grund betriebswirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er Überlegungen bereit<br />

sind, Mens<strong>ch</strong>en trotz einges<strong>ch</strong>ränkter Leistungsmögli<strong>ch</strong>keiten anzustellen oder<br />

weiterhin zu bes<strong>ch</strong>äftigen.<br />

Eine weitere Eins<strong>ch</strong>ränkung der Aussagekraft der IV-Statistik ergibt si<strong>ch</strong> aus dem<br />

System der Sozialversi<strong>ch</strong>erung AHV/IV. Die IV zahlt na<strong>ch</strong> dem Übertritt ins Rentenalter<br />

keine Leistungen aus, weil mit dem Eintritt ins Rentenalter diese Form der<br />

Sozialversi<strong>ch</strong>erung abgelöst wird dur<strong>ch</strong> die AHV. Einzig die Anzahl der ausbezahlten<br />

Hilflosenents<strong>ch</strong>ädigungen, wel<strong>ch</strong>e au<strong>ch</strong> an die AHV-Rentenbezüger und Ren-<br />

28 Die IV hat im Jahre 1999 5104 Erstausbildungen unterstützt und für 11 471 Personen<br />

dank einer Ums<strong>ch</strong>ulung die berufli<strong>ch</strong>e Wiedereingliederung ermögli<strong>ch</strong>t: siehe IV-<br />

Statistik 1999, Tabelle 6.2., S. 40.<br />

1728


tenbezügerinnen entri<strong>ch</strong>tet werden, ist bekannt. Die Statistik über die Hilflosenents<strong>ch</strong>ädigungen<br />

erfasst jene betagten Behinderten, wel<strong>ch</strong>e in der Alltagsbewältigung<br />

so einges<strong>ch</strong>ränkt sind, dass sie regelmässig auf Dritthilfe angewiesen sind. Im Jahre<br />

1998 waren es 37 781 Personen, wel<strong>ch</strong>e zusätzli<strong>ch</strong> zur AHV-Rente eine Hilflosenents<strong>ch</strong>ädigung<br />

erhielten29. Diese Zahl widerspiegelt jedo<strong>ch</strong> nur einen Bru<strong>ch</strong>teil<br />

der Behinderten im AHV-Rentenalter, weil sie all diejenigen Personen ni<strong>ch</strong>t eins<strong>ch</strong>liesst,<br />

wel<strong>ch</strong>e zwar behindert sind, jedo<strong>ch</strong> für alltägli<strong>ch</strong>e Verri<strong>ch</strong>tungen keine<br />

Dritthilfe benötigen.<br />

Die Datenlücke im Berei<strong>ch</strong> der Behinderung wurde vom Parlament als unbefriedigend<br />

erkannt. In diesem Sinn haben beide Räte ein Postulat überwiesen und den<br />

Bundesrat aufgefordert, entspre<strong>ch</strong>ende S<strong>ch</strong>ritte in die Wege zu leiten (97.3393). Der<br />

Bundesrat nahm inzwis<strong>ch</strong>en die Entwicklung einer Behindertenstatistik als neues<br />

Vorhaben in das statistis<strong>ch</strong>e Mehrjahresprogramm 1999–2003 auf. Die dafür notwendigen<br />

Mittel von 200 000 Franken jährli<strong>ch</strong> sind im Finanzplan ab 2002 eingestellt.<br />

Die Realisierung einer Behindertenstatistik wird voraussi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> finanzielle<br />

Mittel von etwa 1,2 Millionen Franken und personelle Mittel von 1–2 Stellen erfordern.<br />

2.1.4.2 Gesamtzahl der behinderten Personen<br />

Gemäss S<strong>ch</strong>ätzungen aus den Jahren 1991 und 1992 leben in der S<strong>ch</strong>weiz rund<br />

650 000 Personen mit Behinderungen. Darunter sind rund 80 000 Sehbehinderte<br />

und Blinde, 51 000 Hörbehinderte und Gehörlose, 10 000 geistig Behinderte sowie<br />

510 000 Mens<strong>ch</strong>en mit anderen Behinderungen. Die S<strong>ch</strong>ätzung beruht auf einer<br />

groben Annahme, dass jeweils 10 Prozent einer Bevölkerung von einer lei<strong>ch</strong>ten,<br />

mittleren oder s<strong>ch</strong>weren Behinderung betroffen sind. Dana<strong>ch</strong> müsste die Gesamtzahl<br />

im jetzigen Zeitpunkt auf 700 000 erhöht werden, da im Juni 2000 in der S<strong>ch</strong>weiz<br />

7 243 600 Bewohner gezählt wurden 30. Eine andere S<strong>ch</strong>ätzung spri<strong>ch</strong>t von einer<br />

halben Million Mens<strong>ch</strong>en, wel<strong>ch</strong>e in der S<strong>ch</strong>weiz in einem lei<strong>ch</strong>ten, mittleren oder<br />

s<strong>ch</strong>weren Grad behindert sind. 31<br />

2.1.4.3 Ursa<strong>ch</strong>en der Behinderungen<br />

Der Eintritt in die Gruppe der IV-Rentner und IV-Rentnerinnen erfolgt hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong><br />

auf Grund von Krankheit (142 000 Personen oder 76%), wogegen Eintritte<br />

auf Grund von Geburtsgebre<strong>ch</strong>en (26 000 Personen oder 14 %) und Unfällen<br />

(20 000 Personen oder 11%) im Gesamtverglei<strong>ch</strong> nur eine untergeordnete Rolle<br />

spielen 32.<br />

29 IV-Statistik 1999, Tabelle 6.1.1. S. 37. Vgl. au<strong>ch</strong> die summaris<strong>ch</strong>e Darstellung über die<br />

von der Invalidenversi<strong>ch</strong>erung erbra<strong>ch</strong>ten Leistungen im Jahre 1998 in Anhang 2.<br />

30 Uli S<strong>ch</strong>waninger, Behinderte Personen im Arbeitsprozess, in: Walter Weiss (Hrsg.),<br />

Gesundheit in der S<strong>ch</strong>weiz, Züri<strong>ch</strong> 1993, S. 82–85, S. 82. Die Volkswirts<strong>ch</strong>aft,<br />

Nr. 7/20000, S. 20.<br />

31 Verglei<strong>ch</strong>e Ruedi Prerost, Das Hauptziel heisst selbstbestimmtes Leben. Behinderten-<br />

Glei<strong>ch</strong>stellung in der S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Bundesverfassung, in: Judith Hollenweger/Heinz<br />

Bättig (Hrsg.), Bildungswege zur Selbstbestimmung. Ers<strong>ch</strong>werungen für Studierende mit<br />

Behinderungen, Luzern, 1997, S. 27–34, S. 27.<br />

32 Siehe Übersi<strong>ch</strong>t im Anhang 1.<br />

1729


Die IV-Statistik des Jahres 1999 unters<strong>ch</strong>eidet 13 Gebre<strong>ch</strong>ensgruppen, deren Ursa<strong>ch</strong>e<br />

eine Krankheit ist. Unter den Krankheiten gehören vor allem die psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en<br />

Störungen zu den häufigsten Invaliditätsursa<strong>ch</strong>en. Mehr als eine von drei Renten<br />

infolge Krankheit wird auf Grund dieser Diagnose zugespro<strong>ch</strong>en33. Sie verursa<strong>ch</strong>en<br />

unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Funktionsausfälle. Weil deren ökonomis<strong>ch</strong>e Auswirkungen einen<br />

Invaliditätsgrad von mindestens 40 Prozent zur Folge haben, lösen diese Krankheiten<br />

im Einzelfall eine IV-Rente aus34. Ein Blick auf die Statistik der Unfallversi<strong>ch</strong>erung (UVG) zeigt, dass 1993 rund<br />

300 000 Fälle von Berufsunfällen und Berufskrankheiten gemeldet wurden, 30 000<br />

Fälle weniger als 1992. Der seit einigen Jahrzehnten beoba<strong>ch</strong>tete Rückgang der<br />

Unfälle, der Fälle von Invalidität und der Todesfälle in der S<strong>ch</strong>weiz im Berei<strong>ch</strong> der<br />

Arbeitswelt ist – unter anderem – auf die Wirksamkeit von Präventionsmassnahmen<br />

sowie auf eine tief greifende Umstrukturierung des Arbeitsmarktes zurückzuführen.<br />

Allerdings ereignen si<strong>ch</strong> in gewissen Bran<strong>ch</strong>en wie der Forstwirts<strong>ch</strong>aft, dem Bauhauptgewerbe,<br />

dem Ausbaugewerbe, den Steinbrü<strong>ch</strong>en/Gruben sowie der Holz- und<br />

Möbelindustrie überdur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong> viele s<strong>ch</strong>were Unfälle35. Die Verkehrsunfälle bilden eine wi<strong>ch</strong>tige Kategorie der Ni<strong>ch</strong>tbetriebsunfälle (rund<br />

120 000 bzw. 16% aller Ni<strong>ch</strong>tbetriebsunfälle). Die polizeili<strong>ch</strong> erfassten Unfälle fordern<br />

30 000 Verletzte pro Jahr. Verkehrsunfälle verursa<strong>ch</strong>en oft s<strong>ch</strong>were Verletzungen<br />

und hohe Kosten. Die Gesamtsumme der dur<strong>ch</strong> Unfälle verursa<strong>ch</strong>ten sozialen<br />

Kosten wurde im Jahre 1988 auf 5700 Millionen Franken ges<strong>ch</strong>ätzt, wovon<br />

316 Millionen Heilungskosten und 2 142 Millionen Produktionsausfallkosten sind.<br />

Wieviele der Verletzten eine dauernde Invalidität erleiden, geht aus der Statistik<br />

ni<strong>ch</strong>t hervor36. 2.1.4.4 Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit des Bezugs einer IV-Rente<br />

Die Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit, eine IV-Rente zu beziehen, liegt bei 4,2% der Bevölkerung<br />

im erwerbsfähigen Alter. Mit zunehmendem Alter steigt die Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit<br />

ras<strong>ch</strong> an und weist bezügli<strong>ch</strong> der Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ter erhebli<strong>ch</strong>e Unters<strong>ch</strong>iede auf. So weist<br />

die Bevölkerungsgruppe der älteren Männer im erwerbsfähigen Alter ein maximales<br />

Risiko auf: einer von fünf Männern kurz vor der Pensionierung ist IV-Rentner. Der<br />

Eintritt in die Gruppe der IV-Rentner und IV-Rentnerinnen erfolgt hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> auf<br />

Grund von Krankheit. Der Bezug einer Invalidenrente ist ein Phänomen, das ebenso<br />

wie die Vers<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>terung des Gesundheitszustandes hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> mit dem Alter<br />

zusammenhängt37. 58% aller IV-Rentner und IV-Rentnerinnen in der S<strong>ch</strong>weiz sind Männer. Deren<br />

Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit, eine IV-Rente zu beziehen, liegt gesamthaft um ein Drittel hö-<br />

33 IV-Statistik 1999, S. 21.<br />

34 Siehe die Tabellen 1 und 2 im Anhang 1.<br />

35 Hans Ulri<strong>ch</strong> Debrunner, Marcel Jost, Peter Wüthri<strong>ch</strong>, Berufsunfälle und<br />

Berufskrankheiten, In: Walter Weiss (Hrsg.), Gesundheit in der S<strong>ch</strong>weiz, Züri<strong>ch</strong> 1993,<br />

S. 357.<br />

36 Calmonte Roland, Brigitte Herren, Thomas Spuhler, Christophe Koller, Gesundheit und<br />

Gesundheitsverhalten in der S<strong>ch</strong>weiz, Detailergebnisse der 1. S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Gesundheitsbefragung<br />

1992/93 des Bundesamtes für Statistik, Neu<strong>ch</strong>âtel 1998, S. 62 und 63.<br />

Hingegen sind die Todesfälle bekannt: An den Folgen von Strassenunfällen sterben in der<br />

S<strong>ch</strong>weiz jährli<strong>ch</strong> zwis<strong>ch</strong>en 800 und 900 Mens<strong>ch</strong>en.<br />

37 Vgl. dazu die Grafik 1 im Anhang 1.<br />

1730


her als jene der Frauen. Wenn man die Hauptrisikofaktoren «Mann» und «erhöhtes<br />

Alter» verbindet, stellt man fest, dass ein Drittel aller IV-Rentenbezüger der Gruppe<br />

der über 50 Jahren alten Männer angehören 38. Ob si<strong>ch</strong> diese Risikofaktoren au<strong>ch</strong> im<br />

AHV-Alter fortsetzen, ist aus der IV-Statistik ni<strong>ch</strong>t ersi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>, da mit dem Eintritt<br />

ins AHV-Rentenalter die IV-Rente dur<strong>ch</strong> die AHV-Rente abgelöst wird.<br />

2.1.4.5 Entwicklung der Invalidität seit 1992<br />

Das jährli<strong>ch</strong>e Wa<strong>ch</strong>stum der Anzahl der IV-Leistungsbezüger und -bezügerinnen<br />

betrug in der S<strong>ch</strong>weiz in den letzten se<strong>ch</strong>s Jahren (1992–1998) dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong><br />

3,7% (+ 77 000 Personen). Glei<strong>ch</strong>zeitig stieg die Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit, eine IV-<br />

Leistung zu beziehen, von 5,4% auf 6,6% der versi<strong>ch</strong>erten Bevölkerung. Die Differenz<br />

von 1,2 Punkten entspri<strong>ch</strong>t einem Anstieg von 20% seit dem Jahre 1992.<br />

Dieses Wa<strong>ch</strong>stum kann ni<strong>ch</strong>t nur auf das Phänomen der Alterung der versi<strong>ch</strong>erten<br />

Bevölkerung zurückgeführt werden. Es ist au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t bloss eine direkte Folge der<br />

s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en Wirts<strong>ch</strong>aftskonjunktur: Die Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit, von Invalidität betroffen<br />

zu sein, ist seit 1992 ausnahmslos in allen Altersklassen gestiegen39. Da mit zunehmendem<br />

Alter das Invaliditätsrisiko zunimmt, wirkt si<strong>ch</strong> die Vers<strong>ch</strong>iebung der Alterspyramide<br />

in einer Zunahme der Invalidisierungen aus. Ein Fünftel der zwis<strong>ch</strong>en<br />

1985 und 1995 gemeldeten neuen Fälle der IV ist auf diese Entwicklung zurückzuführen40.<br />

Im zeitli<strong>ch</strong>en Verglei<strong>ch</strong> zeigt si<strong>ch</strong>, dass bei den Personen, wel<strong>ch</strong>e auf<br />

Grund von Krankheit als invalid anerkannt werden (80% der Neuzugänge), immer<br />

häufiger «Beeinträ<strong>ch</strong>tigungen der Kno<strong>ch</strong>en oder Bewegungsorgane» sowie «psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e<br />

Erkrankungen» (Psy<strong>ch</strong>osen, Psy<strong>ch</strong>oneurosen und Persönli<strong>ch</strong>keitsstörungen) als<br />

Krankheitsursa<strong>ch</strong>e angegeben werden. Während 1958 bei 5 von 10 Fällen diese<br />

zwei Krankheitsbilder anzutreffen waren, sind es 1995 s<strong>ch</strong>on 7 von 10.<br />

2.1.4.6 Kinder und minderjährige Jugendli<strong>ch</strong>e<br />

mit Behinderungen<br />

Bei Kindern und Jugendli<strong>ch</strong>en mit Behinderungen unters<strong>ch</strong>eidet man folgende Kategorien41:<br />

Blinde und Sehbehinderte, Gehörlose und S<strong>ch</strong>werhörige, Körperbehinderte<br />

und <strong>ch</strong>ronis<strong>ch</strong> Kranke, Lernbehinderte, geistig Behinderte, Spra<strong>ch</strong>behinderte<br />

und Verhaltensgestörte.<br />

Die s<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>en Förderungsbedürfnisse der Behinderten können jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t einfa<strong>ch</strong><br />

na<strong>ch</strong> Behindertenkategorien definiert werden. Neuere Definitionsbemühungen<br />

gehen dahin, die Zusammenhänge zwis<strong>ch</strong>en der spezifis<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>ädigung und den<br />

mögli<strong>ch</strong>en Aktivitäten sowie die individuellen Partizipationsmögli<strong>ch</strong>keiten jedes<br />

einzelnen Kindes zu berücksi<strong>ch</strong>tigen.<br />

Viele körperbehinderte Kinder und Jugendli<strong>ch</strong>e können in Regelklassen integriert<br />

werden, sofern die bauli<strong>ch</strong>en Bedingungen dies zulassen. Andere Kinder mit Behin-<br />

38 IV-Statistik 1999, S. 20.<br />

39 IV-Statistik 1999, S. 12.<br />

40 Verglei<strong>ch</strong>e François Donini, Nicolas Es<strong>ch</strong>mann, Anstieg der IV-Rentenbezüger:<br />

Erklärungsansätze. In: Soziale Si<strong>ch</strong>erheit, Nr. 4, 1998, S. 202–207, S. 204.<br />

41 Angaben der S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Zentralstelle für Heilpädagogik vom 7. Oktober 2000.<br />

1731


derungen brau<strong>ch</strong>en eine zusätzli<strong>ch</strong>e Unterstützung, zum Teil s<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>e Unterstützung,<br />

zum Teil aber au<strong>ch</strong> eine breit gefä<strong>ch</strong>erte Unterstützung in s<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>en wie<br />

au<strong>ch</strong> in aussers<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>en Lebensberei<strong>ch</strong>en (Wohnen, Körperpflege, Freizeit,<br />

Transport usw.).<br />

Kinder mit besonderen Förderbedürfnissen werden in der S<strong>ch</strong>weiz auf drei Arten<br />

ges<strong>ch</strong>ult: in IV-subventionierten Sonders<strong>ch</strong>ulen, in speziellen Kleinklassen42 und in<br />

Regelklassen unter Beizug heilpädagogis<strong>ch</strong>er Fa<strong>ch</strong>personen oder spezialisierter<br />

Dienste (integrative S<strong>ch</strong>ulungsformen).<br />

In Sonders<strong>ch</strong>ulen, wel<strong>ch</strong>e von der IV unterstützt sind, werden in unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en<br />

Klassen bzw. Lerngruppen unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> bildungsfähige Kinder gefördert. Man<br />

unters<strong>ch</strong>eidet s<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong> bildungsfähige Kinder, wel<strong>ch</strong>e einen reduzierten S<strong>ch</strong>ulstoff<br />

bewältigen (Erlernen der grundlegenden Kulturte<strong>ch</strong>niken Lesen, S<strong>ch</strong>reiben und<br />

Re<strong>ch</strong>nen), praktis<strong>ch</strong> bildungsfähige Kinder (Einüben von praktis<strong>ch</strong>em Alltagskönnen),<br />

rudimentär bildungsfähige Kinder im Einzelunterri<strong>ch</strong>t (z.B. Orientierung im<br />

Raum, Wahrnehmungstraining, Differenzierung der Reaktionen auf Umweltreize).<br />

Die beiden Kategorien Sonderklassen (Klassen der Sonders<strong>ch</strong>ulen im Sinne der IV<br />

und Kleinklassen im Rahmen der ordentli<strong>ch</strong>en Grunds<strong>ch</strong>ule) fasst das Bundesamt<br />

für Statistik zusammen und bezei<strong>ch</strong>net sie als «Klassen mit besonderem Lehrplan».<br />

Damit fallen in dieses breite statistis<strong>ch</strong>e «Gefäss» sowohl das lei<strong>ch</strong>t entwicklungsverzögerte<br />

Kind, das den S<strong>ch</strong>ulstart in einer Einführungsklasse vollzieht, wie au<strong>ch</strong><br />

ein mehrfa<strong>ch</strong>behindertes Kind, das in einer Sonders<strong>ch</strong>ule alltagspraktis<strong>ch</strong>es Können<br />

erwirbt. Währenddem in Kleinklassen die Kinder s<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong> bildungsfähig sind, d.h.<br />

fähig sind, si<strong>ch</strong> die grundlegenden Kulturte<strong>ch</strong>niken anzueignen, finden si<strong>ch</strong> in den<br />

IV-Sonders<strong>ch</strong>ulen neben Lerngruppen mit s<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong> bildungsfähigen Kindern au<strong>ch</strong><br />

Lerngruppen mit Kindern, wel<strong>ch</strong>e ledigli<strong>ch</strong> praktis<strong>ch</strong> bildungsfähig sind. Das Invalidenversi<strong>ch</strong>erungsgesetz<br />

ums<strong>ch</strong>reibt die Sonders<strong>ch</strong>ulung wie folgt: Zur Sonders<strong>ch</strong>ulung<br />

gehört die eigentli<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>ulausbildung sowie, falls ein Unterri<strong>ch</strong>t in den<br />

Elementarfä<strong>ch</strong>ern ni<strong>ch</strong>t oder nur bes<strong>ch</strong>ränkt mögli<strong>ch</strong> ist, die Förderung in manuellen<br />

Belangen, in den Verri<strong>ch</strong>tungen des tägli<strong>ch</strong>en Lebens und in der Fähigkeit des<br />

Kontaktes mit der Umwelt (Art. 19 Abs. 1 Satz 2 IVG).<br />

Im S<strong>ch</strong>uljahr 1997/98 besu<strong>ch</strong>ten insgesamt 792 954 S<strong>ch</strong>ülerinnen und S<strong>ch</strong>üler die<br />

Klassen der obligatoris<strong>ch</strong>en Volkss<strong>ch</strong>ule. Davon waren 44 447 (d.h. über 5 %) der<br />

S<strong>ch</strong>ülerinnen und S<strong>ch</strong>üler in Klassen mit besonderem Lehrplan eingeteilt43. Mehr<br />

als 34 000 Kinder haben im S<strong>ch</strong>uljahr 1998/99 Sonders<strong>ch</strong>ulbeiträge der Invalidenversi<strong>ch</strong>erung<br />

erhalten. Ungefähr die Hälfte dieser Kinder besu<strong>ch</strong>ten eine Klasse mit<br />

besonderem Lehrplan, während die andere Hälfte entweder im Vors<strong>ch</strong>ulalter oder<br />

parallel zum Volkss<strong>ch</strong>ulunterri<strong>ch</strong>t pädagogis<strong>ch</strong>-therapeutis<strong>ch</strong>e Massnahmen in Anspru<strong>ch</strong><br />

nahm44. 42 Kleinklassen sind Bestandteil der Volkss<strong>ch</strong>ule. Bei den Kleinklassen unters<strong>ch</strong>eidet man<br />

5 Kategorien, wel<strong>ch</strong>e jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t in allen Kantonen in dieser Ausprägung vorhanden<br />

sind und teilweise unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> benannt werden: Einführungsklassen (Vermittlung des<br />

Stoffes der ersten Primars<strong>ch</strong>ulklasse während zweier S<strong>ch</strong>uljahre), Fremdspra<strong>ch</strong>enklassen<br />

als Integrationshilfe, Kleinklassen für Lernbehinderte, Kleinklassen für Verhaltensauffällige<br />

sowie Werkklassen (Kleinklasse auf der Sekundarstufe I). Angaben vom<br />

Heilpädagogis<strong>ch</strong>en Institut der Universität Freiburg vom 20. Oktober 2000.<br />

43 Im S<strong>ch</strong>uljahr 1998/99 besu<strong>ch</strong>ten gesamthaft 47 013 Kinder eine Klasse mit besonderem<br />

Lehrplan, wovon 45% ausländis<strong>ch</strong>e Kinder waren. Statistis<strong>ch</strong>es Jahrbu<strong>ch</strong> der S<strong>ch</strong>weiz<br />

2000, 107. Jahrgang, Züri<strong>ch</strong> 1999, S. 398.<br />

44 IV-Statistik 1999, S. 14.<br />

1732


Mehr als die Hälfte der Kinder, wel<strong>ch</strong>e eine Klasse mit besonderem Lehrplan besu<strong>ch</strong>en,<br />

fällt in die Kategorie der S<strong>ch</strong>üler mit Lernbehinderungen. Es sind Kinder,<br />

wel<strong>ch</strong>e trotz S<strong>ch</strong>uls<strong>ch</strong>wierigkeiten fähig sind, die grundlegenden Kulturte<strong>ch</strong>niken<br />

Lesen, S<strong>ch</strong>reiben und Re<strong>ch</strong>nen zu erlernen. Die zweitgrösste Gruppe bilden die<br />

Kinder mit einer geistigen Behinderung (18,6%). Diese Kinder sind u.U. praktis<strong>ch</strong><br />

bildungsfähig, jedo<strong>ch</strong> erlauben es ihre einges<strong>ch</strong>ränkten intellektuellen Mögli<strong>ch</strong>keiten<br />

ni<strong>ch</strong>t, einem Unterri<strong>ch</strong>t in den Elementarfä<strong>ch</strong>ern zu folgen. Unter die Gruppe der<br />

geistig Behinderten fallen au<strong>ch</strong> Kinder mit s<strong>ch</strong>werer Mehrfa<strong>ch</strong>behinderung, wel<strong>ch</strong>e<br />

rudimentär bildungsfähig sind. Minderjährige, wel<strong>ch</strong>e bei den alltägli<strong>ch</strong>en Lebensverri<strong>ch</strong>tungen<br />

(wie Ankleiden oder Essen) in erhebli<strong>ch</strong>er Weise auf die Hilfe Dritter<br />

angewiesen sind, haben Anspru<strong>ch</strong> auf einen Pflegebeitrag für hilflose Minderjährige,<br />

wel<strong>ch</strong>er bei einem Heimaufenthalt um ein Kostgeld von 56 Franken pro Überna<strong>ch</strong>tung<br />

erhöht wird (Art. 13 IVV) 45.<br />

Der Verglei<strong>ch</strong> mit früheren Jahren zeigt, dass der prozentuale Anteil der Gruppe von<br />

S<strong>ch</strong>ülern und S<strong>ch</strong>ülerinnen, die als lernbehindert angesehen werden, wä<strong>ch</strong>st. Im<br />

Verglei<strong>ch</strong> zwis<strong>ch</strong>en den Kantonen sind zudem erhebli<strong>ch</strong>e Unters<strong>ch</strong>iede in der kantonalen<br />

Zuweisungspraxis feststellbar, wel<strong>ch</strong>e vermeintli<strong>ch</strong> exakte Definitionen in<br />

Frage stellen. Ausländis<strong>ch</strong>e Kinder sind in Kleinklassen mit 44,6 Prozent – im Verglei<strong>ch</strong><br />

zum gesamts<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nitt von 22 Prozent ausländis<strong>ch</strong>er Kinder<br />

in der Volkss<strong>ch</strong>ule – überproportional vertreten46. Der hohe Anteil an ausländis<strong>ch</strong>en<br />

Kindern in den Kleinklassen weist darauf hin, dass im s<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>en Berei<strong>ch</strong> die<br />

sozial und kulturell bedingten Lernbehinderungen, namentli<strong>ch</strong> fehlende Spra<strong>ch</strong>kenntnisse,<br />

von Bedeutung sind.<br />

2.1.4.7 Mobilitätsbehinderung<br />

Die Mobilität stellt einen zentralen Aspekt des Gesundheitszustandes und der gesundheitli<strong>ch</strong>en<br />

Lebensqualität dar, da sie den Autonomiegrad bzw. die Abhängigkeit<br />

von anderen Personen ums<strong>ch</strong>reibt. Die Mobilität kann vor allem dur<strong>ch</strong> körperli<strong>ch</strong>e,<br />

aber au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> andere Behinderungen beeinträ<strong>ch</strong>tigt sein. Die na<strong>ch</strong>folgenden Zahlen<br />

über Mens<strong>ch</strong>en mit körperli<strong>ch</strong>en Behinderungen lassen erahnen, wie gross der<br />

Anteil der Mobilitätsbehinderten an der gesamten Bevölkerung ist. 15,2 Prozent der<br />

Männer und 13,4 Prozent der Frauen im Alter zwis<strong>ch</strong>en 25 und 69 Jahren sind permanent<br />

körperli<strong>ch</strong> behindert 47. Wie viele Mens<strong>ch</strong>en davon in ihrer Fortbewegung<br />

einges<strong>ch</strong>ränkt sind, ist ni<strong>ch</strong>t genau bekannt. Geht man davon aus, dass etwa die<br />

Hälfte davon, d.h. 7 %, mobilitätsbehindert sind, bedeutet dies eine Anzahl von rund<br />

300 000 Mens<strong>ch</strong>en. Was dies im konkreten Alltag bedeutet, mag folgende Untersu<strong>ch</strong>ung<br />

der Da<strong>ch</strong>organisationenkonferenz der privaten Behindertenhilfe verans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>en:<br />

Na<strong>ch</strong> dieser Erhebung sind nur 20 bis 30 Prozent der öffentli<strong>ch</strong>en Gebäude<br />

45 Das Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des<br />

Sozialversi<strong>ch</strong>erungsre<strong>ch</strong>ts (ATSG) enthält eine lei<strong>ch</strong>t andere Definition (vgl. Art. 9 und<br />

die Aufhebung von Art. 42 Abs. 2 IVG; BBl 2000 5041).<br />

46 Gabriel Sturni-Bossart, Angaben der S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Zentralstelle für Heilpädagogik mit<br />

Hinweisen auf Angaben des Bundesamtes für Statistik sowie auf Kormann, R. Burgard,<br />

P. Ei<strong>ch</strong>ling H.-M: Zur Überrepräsentation von ausländis<strong>ch</strong>en Kindern und Jugendli<strong>ch</strong>en<br />

in S<strong>ch</strong>ulen für Lernbehinderte. In: Zeits<strong>ch</strong>rift für Heilpädagogik, Nr. 3, 1999,<br />

S. 106–109.<br />

47 Roland Calmonte, Brigitte Herren, Thomas Spuhler, Chrisophe Koller: Gesundheit und<br />

Gesundheitsverhalten in der S<strong>ch</strong>weiz. Detailergebnisse der 1. S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en<br />

Gesundheitsbefragung 1992/93, Bundesamt für Statistik, Neu<strong>ch</strong>âtel 1998, S. 117.<br />

1733


wie Poststellen, Kir<strong>ch</strong>en, öffentli<strong>ch</strong>e Verkehrsmittel, Restaurants für Gehbehinderte<br />

überhaupt zugängli<strong>ch</strong> 48.<br />

2.2 Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen als Träger<br />

von spezifis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en- und Freiheitsre<strong>ch</strong>ten<br />

2.2.1 Allgemeine Re<strong>ch</strong>tsentwicklung<br />

Die Allgemeine Erklärung der Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te vom 10. Dezember 1948 und die<br />

Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>tspakte der Vereinten Nationen (Internationaler Pakt über bürgerli<strong>ch</strong>e<br />

und politis<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te vom 16.12.1966 und Internationaler Pakt über wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e,<br />

soziale und kulturelle Re<strong>ch</strong>te vom 16.12.196649, beide in der S<strong>ch</strong>weiz in Kraft seit<br />

dem 18. September 1992) beziehen si<strong>ch</strong> auf die allgemeinen Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te. Sie<br />

sind in den vergangenen Jahrzehnten na<strong>ch</strong> und na<strong>ch</strong> ergänzt worden dur<strong>ch</strong> weitere<br />

Instrumente, die den spezifis<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>utzbedürfnissen bestimmter Personenkategorien<br />

in differenzierter Weise Re<strong>ch</strong>nung tragen. Diese Ausdifferenzierung erfolgt u.a.<br />

deshalb, weil der Mens<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mehr nur als abstraktes Gattungswesen, sondern in<br />

der Besonderheit seiner konkreten Lebensumstände in der Gesells<strong>ch</strong>aft als Kind, als<br />

Frau, als alter oder kranker Mens<strong>ch</strong>, als Angehöriger einer ethnis<strong>ch</strong>en oder spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en<br />

Minderheit usw. betra<strong>ch</strong>tet wird.<br />

Die Entwicklung sol<strong>ch</strong>er ergänzender Instrumente des internationalen S<strong>ch</strong>utzes der<br />

Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te widerspiegelt die S<strong>ch</strong>ärfung des re<strong>ch</strong>tssoziologis<strong>ch</strong>en Blickes für<br />

die Vielfalt der Lebensumstände in einer Gesells<strong>ch</strong>aft, glei<strong>ch</strong>zeitig aber au<strong>ch</strong> die<br />

Mühe, Re<strong>ch</strong>te unbesehen vom sozialen Status allen Mens<strong>ch</strong>en zuzugestehen: 1952<br />

die Konvention über die politis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>te der Frau, 1959 die Erklärung der Re<strong>ch</strong>te<br />

des Kindes50, 1965 die Konvention über die Beseitigung der Rassendiskriminierung51,<br />

1971 die Erklärung der Re<strong>ch</strong>te der geistig Behinderten, 1975 die Erklärung<br />

der Re<strong>ch</strong>te der Behinderten, 1981 Internationales UNO-Jahr der Behinderten, 1982<br />

Weltkongress in Wien über die Re<strong>ch</strong>te der Alten, 1993 der Erlass von Standardregeln<br />

der Vereinten Nationen zur Glei<strong>ch</strong>stellung von Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen,<br />

wel<strong>ch</strong>e im Ingress der Salamanca-Erklärung über Prinzipien, Politik und Praxis der<br />

Pädagogik für besondere Bedürfnisse angerufen werden52. Au<strong>ch</strong> wenn die S<strong>ch</strong>weiz ni<strong>ch</strong>t alle Konventionen ratifiziert hat, nimmt sie aktiv an<br />

dieser allgemeinen Re<strong>ch</strong>tsentwicklung teil. Die genannten Konventionen und UNO-<br />

Deklarationen bekräftigen das Re<strong>ch</strong>t, trotz Anderssein, trotz einer Existenz mit physis<strong>ch</strong>en<br />

oder psy<strong>ch</strong>o-mentalen S<strong>ch</strong>wierigkeiten, Krankheiten und Defiziten, wel<strong>ch</strong>e<br />

man als Behinderung bezei<strong>ch</strong>net, glei<strong>ch</strong> wie die andern Mens<strong>ch</strong>en behandelt zu<br />

werden bzw. besonderen S<strong>ch</strong>utz und besondere Unterstützung zu erhalten. Gemeinsam<br />

ist den Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>tskonventionen das Anliegen der gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Integration<br />

dur<strong>ch</strong> Verbesserung der Lebens<strong>ch</strong>ancen.<br />

48 Allgemein zum Problem, siehe den Diskriminationsberi<strong>ch</strong>t der DOK, 2.Aufl., Züri<strong>ch</strong><br />

1998.<br />

49 SR 0.103.1 und SR 0.103.2<br />

50 In der S<strong>ch</strong>weiz in Kraft seit 26. März 1997 (SR. 0.107, BBl 1994 V 1).<br />

51 In der S<strong>ch</strong>weiz in Kraft seit 29. Dezember 1994 (SR. 0.104, BBl 1992 III 269–331)<br />

52 Salamanca-Erklärung und der Aktionsrahmen zur Pädagogik für besondere Bedürfnisse,<br />

hersg. von der österrei<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en UNESCO-Kommission, übergeben dur<strong>ch</strong>: DOMINO,<br />

Verein für behinderte Mens<strong>ch</strong>en, Linz, 1. Aufl., 1996.<br />

1734


2.2.2 Besondere Gefahr der Diskriminierung<br />

Typisierungen und Kategorisierungen haben eine für die Wahrnehmung bedeutsame<br />

Entlastungsfunktion. Die Tendenz zu typisieren und zu kategorisieren erklärt si<strong>ch</strong><br />

dadur<strong>ch</strong>, dass sie dem Einzelnen wie der Gesells<strong>ch</strong>aft helfen, die Vielfalt und Fülle<br />

der Lebensers<strong>ch</strong>einungen überblickbar und lei<strong>ch</strong>t kommunizierbar zu ma<strong>ch</strong>en. Problematis<strong>ch</strong><br />

werden Vorgänge, dur<strong>ch</strong> wel<strong>ch</strong>e Mens<strong>ch</strong>engruppen unter ein bestimmtes<br />

Etikett oder Klis<strong>ch</strong>ee fallen, sodass das einzelne Mitglied einer sol<strong>ch</strong>en Gruppe nur<br />

no<strong>ch</strong> in einem verengten Blickwinkel als «typis<strong>ch</strong>er» Gruppenvertreter und ni<strong>ch</strong>t<br />

mehr als Individuum mit spezifis<strong>ch</strong>en Eigens<strong>ch</strong>aften und Bedürfnissen wahrgenommen<br />

wird. Eine sol<strong>ch</strong> reduzierte Wahrnehmung birgt die Gefahr in si<strong>ch</strong>, dass si<strong>ch</strong><br />

die Beziehung ni<strong>ch</strong>t mehr offen und unvoreingenommen gestaltet. Mit den vorgeformten<br />

Gruppenbildern lassen si<strong>ch</strong> die auf das «Typis<strong>ch</strong>e» reduzierten, überaus<br />

komplexen Verhältnisse der gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en und individuellen Realitäten gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong><br />

und individuell einfa<strong>ch</strong>er, vor allem bequemer, bewältigen. Die Tendenz<br />

zu Klassifizierungen mittels lei<strong>ch</strong>t anwendbarer Gegensatzpaare wie Frau–Mann,<br />

jung–alt, gesund–krank, normal–abwei<strong>ch</strong>end ist verführeris<strong>ch</strong> und verhängnisvoll,<br />

wenn damit unbesonnen Bewertungen getroffen werden, wel<strong>ch</strong>e dem einzelnen<br />

Mens<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t gere<strong>ch</strong>t werden und ihn gar auss<strong>ch</strong>liessen aus Kontakt- und Entfaltungsmögli<strong>ch</strong>keiten.<br />

Die Auswirkungen sol<strong>ch</strong>er Vereinfa<strong>ch</strong>ungen auf der Ebene der<br />

Wahrnehmung verfestigen si<strong>ch</strong> in Einstellungen und Verhaltensdispositionen. Sie<br />

werden wirksam bis in die feinsten Verästelungen der Organisation von Staat und<br />

Gesells<strong>ch</strong>aft, deren Entwicklungsdynamik stets auf Grund von Wertungen und Bewertungen<br />

erfolgt. «Derartige (verengte, wertungsmässig vorgegebene und unreflektiert<br />

übernommene) Behandlungen oder Annäherungen werden diskriminierend,<br />

wenn sie aus dem Gesi<strong>ch</strong>tswinkel re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>er oder ethis<strong>ch</strong>er (gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er)<br />

Werte als negativ eingestuft werden müssen und ni<strong>ch</strong>t allgemein gelten, sondern bestimmte<br />

soziale Gruppen spezifis<strong>ch</strong> treffen53.» Das Re<strong>ch</strong>t versu<strong>ch</strong>t, sol<strong>ch</strong>en Diskriminierungen Einhalt zu gebieten. Es ist in der<br />

Re<strong>ch</strong>tslehre anerkannt, dass Wertungen einfliessen in der Beurteilung dessen, was<br />

als glei<strong>ch</strong> und was als unglei<strong>ch</strong> anzusehen ist und demzufolge entweder glei<strong>ch</strong> oder<br />

unglei<strong>ch</strong> zu behandeln ist. In allen Fällen der Güterabwägung zwis<strong>ch</strong>en öffentli<strong>ch</strong>en<br />

und individuellen Interessen, zwis<strong>ch</strong>en den Interessen des Einzelnen und des Gemeinwesens<br />

fliessen Wertungen zur Re<strong>ch</strong>tfertigung der Andersbehandlung ein.<br />

Werthaltungen sind Ausdruck eines bestimmten Weltbildes, einer bestimmten kulturellen<br />

Tradition und Verwurzelung, eines bestimmten Mens<strong>ch</strong>enbildes. Eine Geisteshaltung,<br />

wel<strong>ch</strong>e gewisse Mens<strong>ch</strong>en in ihren Re<strong>ch</strong>ten und Entfaltungsmögli<strong>ch</strong>keiten<br />

bes<strong>ch</strong>neidet, sei es bewusst oder unbewusst, direkt oder indirekt, ist unvereinbar<br />

mit dem Ideal einer offenen, toleranten Gesells<strong>ch</strong>aft. Dieses Ideal basiert in der Leitidee<br />

der Würde des Mens<strong>ch</strong>en (Art. 7 BV) als hö<strong>ch</strong>stem Wert und auf den individuellen<br />

Grund- und Freiheitsre<strong>ch</strong>ten. Damit verpfli<strong>ch</strong>tet si<strong>ch</strong> das Gemeinwesen, allen<br />

Mens<strong>ch</strong>en ein Optimum an Lebens<strong>ch</strong>ancen zu gewähren54. Die Anerkennung und S<strong>ch</strong>affung von Bedingungen zur Optimierung von Lebens<strong>ch</strong>ancen<br />

au<strong>ch</strong> für Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen ist keine Selbstverständli<strong>ch</strong>keit. Gerade<br />

in der heutigen Zeit, in wel<strong>ch</strong>er der Wert eines Mens<strong>ch</strong>en in Gefahr steht, vor-<br />

53 Regula Kägi-Diener, Medienma<strong>ch</strong>t und Diskriminierung gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er Gruppen am<br />

Beispiel des Bildes der Frau in den Medien, AJP 9/1994, S. 1129.<br />

54 Vgl. Previtali, a.a.O., S. 164.<br />

1735


angig na<strong>ch</strong> ökonomis<strong>ch</strong>en Leistungskriterien und/oder na<strong>ch</strong> medizinis<strong>ch</strong>gesundheitli<strong>ch</strong>en<br />

Ideal- und Ma<strong>ch</strong>barkeitsvorstellungen bemessen und bewertet zu<br />

werden, ist der Staat verpfli<strong>ch</strong>tet, mit gezielten Massnahmen Abwertungstendenzen<br />

und Ausgrenzungsme<strong>ch</strong>anismen entgegenzutreten. Der Gesetzgeber kann mit seiner<br />

Autorität dokumentieren, dass diskriminierende Ausgrenzung ni<strong>ch</strong>t tolerierbar ist.<br />

Er kann eine wirksame Politik betreiben und neue Zugangsmögli<strong>ch</strong>keiten für Mens<strong>ch</strong>en<br />

mit Behinderungen s<strong>ch</strong>affen. Glei<strong>ch</strong>zeitig kann er dadur<strong>ch</strong> einen Bewusstseinswandel<br />

anregen.<br />

2.3 Re<strong>ch</strong>tsverglei<strong>ch</strong><br />

2.3.1 Verglei<strong>ch</strong> mit den Re<strong>ch</strong>tsordnungen ausgewählter<br />

Staaten<br />

2.3.1.1 Besondere Verfassungsbestimmungen<br />

und besondere Behindertengesetze<br />

Deuts<strong>ch</strong>land<br />

Das Grundgesetz kennt mit Artikel 3 seit 1994 eine Bestimmung über die Re<strong>ch</strong>tsglei<strong>ch</strong>heit,<br />

die mit Artikel 8 BV verglei<strong>ch</strong>bar ist. Das Grundgesetz bes<strong>ch</strong>reibt die<br />

Behinderung als Auswirkung einer ni<strong>ch</strong>t nur vorübergehenden Funktionsbeeinträ<strong>ch</strong>tigung,<br />

die auf einem regelwidrigen körperli<strong>ch</strong>en, geistigen oder seelis<strong>ch</strong>en Zustand<br />

beruht. Das Bundesverfassungsgeri<strong>ch</strong>t hat si<strong>ch</strong> mit der Frage auseinander gesetzt,<br />

wie behinderte Kinder zu unterri<strong>ch</strong>ten sind. Es hat gestützt auf das Grundgesetz<br />

einen individuellen Anspru<strong>ch</strong> auf «integrative Bes<strong>ch</strong>ulung» im Rahmen des tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong><br />

Ma<strong>ch</strong>baren bejaht (BVR 9/97 vom 8.10.97). Auf Grund der bisherigen<br />

Re<strong>ch</strong>tspre<strong>ch</strong>ung ist unklar, wieweit Artikel 3 Grundgesetz eine Drittwirkung entfaltet.<br />

Frankrei<strong>ch</strong><br />

In Frankrei<strong>ch</strong> ist seit 1990 ein Antidiskriminierungsgesetz in Kraft, das die Glei<strong>ch</strong>stellung<br />

der Behinderten regelt. Dieses Gesetz bietet eine Reihe von Sanktionsmögli<strong>ch</strong>keiten<br />

im Falle von Diskriminierungen (Geldstrafen und in besonderen Fällen<br />

au<strong>ch</strong> Haftstrafen). Gastwirte, die si<strong>ch</strong> weigern, behinderte Gäste zu bewirten, müssen<br />

si<strong>ch</strong> seit der Verabs<strong>ch</strong>iedung dieses Gesetzes im Falle einer Klage vor Geri<strong>ch</strong>t<br />

verantworten, ähnli<strong>ch</strong> wie Taxifahrer oder andere Dienstleistungsanbieter, die si<strong>ch</strong><br />

weigern, Behinderte zu bedienen. Neben der individuellen Klage gibt es die Mögli<strong>ch</strong>keit<br />

des Verbandsklagere<strong>ch</strong>tes, wobei als einzige Voraussetzung gilt, dass der<br />

Verband bereits fünf Jahre lang ges<strong>ch</strong>äftsfähig sein muss.<br />

Italien<br />

Die Verfassung Italiens erfasst Behinderte mit dem Glei<strong>ch</strong>stellungsgebot (Art. 3)<br />

sowie mit einer Bestimmung, die allen arbeitsunfähigen und nur bes<strong>ch</strong>ränkt arbeitsfähigen<br />

Personen ein Re<strong>ch</strong>t auf Erziehung, Berufsausbildung und Sozialhilfe gewährt<br />

(Artikel 38).<br />

Österrei<strong>ch</strong><br />

Das Bundesbehindertengesetz von 1990 sieht vers<strong>ch</strong>iedene Massnahmen (Behindertenpass,<br />

Fahrvergünstigungen, Befreiung von Gebühren, Hilfsmittel usw.)<br />

vor, die die bestmögli<strong>ch</strong>e Teilnahme am gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Leben si<strong>ch</strong>ern sollen.<br />

1736


Spanien<br />

Die Verfassung Spaniens enthält seit 1992 einen besonderen Artikel über Behinderte<br />

(Art. 49), der den Staat verpfli<strong>ch</strong>tet, auf Behinderte besonders Rücksi<strong>ch</strong>t zu<br />

nehmen hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> Vorsorge, Behandlung, Rehabilitation und Eingliederung körperli<strong>ch</strong><br />

und geistig Behinderter. Ein Gesetz zur sozialen Integration behinderter Personen<br />

(13/1982 vom 7.04.1983) konkretisiert diese Bestimmung unter anderem in<br />

den Berei<strong>ch</strong>en Arbeit, Bildung, Bauten und Verkehr.<br />

USA<br />

Bereits in den Siebzigerjahren wurden umfassende gesetzli<strong>ch</strong>e Regelungen für die<br />

Glei<strong>ch</strong>stellung Behinderter verabs<strong>ch</strong>iedet. Im Jahre 1990 verabs<strong>ch</strong>iedete der Kongress<br />

der USA ein weiteres, viel umfassenderes Glei<strong>ch</strong>stellungsgesetz für Behinderte,<br />

den «Americans with Disabilities Act (ADA)». Es verbietet Diskriminierungen<br />

von Behinderten bei der Einstellung und Bes<strong>ch</strong>äftigung, bei der Inanspru<strong>ch</strong>nahme<br />

von öffentli<strong>ch</strong>en Einri<strong>ch</strong>tungen und Dienstleistungen, bei der Benutzung des öffentli<strong>ch</strong>en<br />

Personenverkehrs und bei der Inanspru<strong>ch</strong>nahme von telekommunikativen<br />

Einri<strong>ch</strong>tungen. Überdies ma<strong>ch</strong>t es Vors<strong>ch</strong>riften für die Aktivitäten der Bundesstaaten<br />

und Gemeinden. Klagen gegen die Verletzung des ADA können sowohl von<br />

Privatpersonen als au<strong>ch</strong> von staatli<strong>ch</strong>er Seite eingerei<strong>ch</strong>t werden. Einri<strong>ch</strong>tungen, die<br />

finanzielle Unterstützungen dur<strong>ch</strong> die Bundesregierung erhalten, können die Zus<strong>ch</strong>üsse<br />

dur<strong>ch</strong> den Bund entzogen werden, wenn sie Bestimmungen des ADA verletzen.<br />

Vers<strong>ch</strong>iedene staatli<strong>ch</strong>e Kommissionen sind als Bes<strong>ch</strong>werdestelle tätig.<br />

Kanada<br />

Kanada hat seine Verfassung mit einer Bestimmung über Behinderte erweitert und<br />

1982 in Artikel 15 der Grundre<strong>ch</strong>ts<strong>ch</strong>arta festges<strong>ch</strong>rieben, dass «Mens<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t auf<br />

Grund ihrer Rasse, ihrer nationalen oder ethnis<strong>ch</strong>en Zugehörigkeit, ihrer Hautfarbe,<br />

ihrer Religion, ihres Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ts, ihres Alters, ihrer geistigen oder körperli<strong>ch</strong>en<br />

S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>en diskriminiert werden dürfen».<br />

2.3.1.2 Arbeitsre<strong>ch</strong>t<br />

Deuts<strong>ch</strong>land<br />

Das S<strong>ch</strong>werbehindertengesetz vom 26. August 1986 soll die Integration von Personen<br />

mit einem Behinderungsgrad von über 50% in Arbeit, Beruf und Gesells<strong>ch</strong>aft<br />

si<strong>ch</strong>ern. Hauptinstrument des Gesetzes ist die Pfli<strong>ch</strong>t der privaten und öffentli<strong>ch</strong>en<br />

Arbeitgeber mit mindestens 16 Arbeitnehmern, auf mindestens 6% der Arbeitsplätze<br />

S<strong>ch</strong>werbehinderte zu bes<strong>ch</strong>äftigen. Für ni<strong>ch</strong>t besetzte Pfli<strong>ch</strong>tarbeitsplätze haben die<br />

Arbeitgeber eine monatli<strong>ch</strong>e Abgabe von DM 200.– zu entri<strong>ch</strong>ten. S<strong>ch</strong>werbehinderte<br />

geniessen zudem einen besonderen arbeitsre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Kündigungss<strong>ch</strong>utz und<br />

können die Nahverkehrsmittel unentgeltli<strong>ch</strong> benützen (Kosten gehen zu Lasten des<br />

Bundes). Für behinderte Personen, die auf dem Arbeitsmarkt keine Bes<strong>ch</strong>äftigung<br />

finden, existieren ges<strong>ch</strong>ützte Werkstätten, wel<strong>ch</strong>e berufli<strong>ch</strong>e Ausbildung und angemessene<br />

Bes<strong>ch</strong>äftigungsmögli<strong>ch</strong>keiten bieten.<br />

Frankrei<strong>ch</strong><br />

Für den privatre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Berei<strong>ch</strong> sieht das Gesetz No. 87–157 vom 10. Juli 1987<br />

(Art. L 323-1 ff. des Code de la Santé publique) für Betriebe mit mehr als 20 Ange-<br />

1737


stellten eine Einstellungspfli<strong>ch</strong>t für Behinderte im Ausmass von 6% vor; die Sanktion<br />

besteht in einer «freiwilligen» Abgabe, die als Vielfa<strong>ch</strong>es des Minimalstundenlohnes<br />

(SMIC) bestimmt wird. Im öffentli<strong>ch</strong>-re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Berei<strong>ch</strong> bestimmen besondere<br />

Kommissionen (cotorep) die Personen, die als Behinderte zur Arbeit in der<br />

Verwaltung zugelassen werden können, sei es in besonderen Kategorien (emplois<br />

réservés), auf dem Weg über besonders ausgestaltete Ausleseverfahren (concours<br />

aménagés) oder in einem vorläufigen Vertragsverhältnis, na<strong>ch</strong> dessen Ablauf unter<br />

bestimmten Bedingungen eine definitive Anstellung in Betra<strong>ch</strong>t kommt.<br />

Italien<br />

Ein neues Gesetz No. 68 vom 12. März 1999 hat eine na<strong>ch</strong> Betriebsgrösse abgestufte<br />

Einstellungspfli<strong>ch</strong>t eingeführt (bzw. frühere in dieselbe Ri<strong>ch</strong>tung zielende<br />

Bestimmungen revidiert): in Betrieben mit über 50 Bes<strong>ch</strong>äftigten beträgt die «Behindertenquote»<br />

7%, in Betrieben mit 35–50 Angestellten müssen mindestens zwei<br />

und in Betrieben mit 15–30 Bes<strong>ch</strong>äftigten mindestens eine behinderte Person arbeiten<br />

können. Arbeitgeber, die Behinderte einstellen, haben Anspru<strong>ch</strong> auf Prämien<br />

und gewisse andere Vorteile.<br />

Österrei<strong>ch</strong><br />

Das Behinderteneinstellungsgesetz von 1970 verpfli<strong>ch</strong>tet Arbeitgeber mit mehr als<br />

25 Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen, auf 25 Bes<strong>ch</strong>äftigte mindestens eine behinderte<br />

Person mit einem Behinderungsgrad von mindestens 50% anzustellen. Wer<br />

diese Quote ni<strong>ch</strong>t einhält, muss eine Ausglei<strong>ch</strong>staxe entri<strong>ch</strong>ten. Für die Ausbildung<br />

von im Betrieb bes<strong>ch</strong>äftigten Behinderten sowie für Aufträge an Behinderteninstitutionen<br />

gibt es Prämien und Förderungsbeiträge. Das Behinderteneinstellungsgesetz<br />

sieht zudem einen besonderen Kündigungss<strong>ch</strong>utz zu Gunsten der Behinderten vor<br />

(Zustimmung des Behindertenauss<strong>ch</strong>usses beim Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen).<br />

Spanien<br />

Das Integrationsgesetz (13/1982) befasst si<strong>ch</strong> mit Fragen der berufli<strong>ch</strong>en Ausbildung<br />

und (Wieder-)Eingliederung Behinderter und mit Massnahmen zur Integration<br />

dieser Personen in die Arbeitswelt, insbesondere dur<strong>ch</strong> eine Einstellungspfli<strong>ch</strong>t zu<br />

Lasten der Betriebe mit mehr als 50 Bes<strong>ch</strong>äftigten («Behindertenquote» 2 %) sowie<br />

mittels Ni<strong>ch</strong>tigerklärung von diskriminierenden Klauseln in den (individuellen und<br />

kollektiven) Arbeitsverträgen. Die Arbeitsämter führen eine Liste mit arbeitsu<strong>ch</strong>enden<br />

Behinderten. Im Übrigen werden die Integrationsmassnahmen dur<strong>ch</strong> Subventionen<br />

unterstützt, und für ni<strong>ch</strong>t vermittelbare Personen ist die S<strong>ch</strong>affung ges<strong>ch</strong>ützter<br />

Arbeitsplätze vorgesehen. Arbeitslose Behinderte haben Anspru<strong>ch</strong> auf ein Mindesteinkommen.<br />

Grossbritannien<br />

Mit dem Disability Discrimination Act hat Grossbritannien 1995 die obligatoris<strong>ch</strong>en<br />

Bes<strong>ch</strong>äftigungsquoten (Disabled Persons Employment Act 1944) abges<strong>ch</strong>afft. Für<br />

Arbeitgeber gilt nun ein allgemeines Diskriminierungsverbot gegenüber Behinderten,<br />

wel<strong>ch</strong>es in Betrieben mit mehr als 15 Bes<strong>ch</strong>äftigten au<strong>ch</strong> positive Massnahmen<br />

(reasonable adjustments) zur Glei<strong>ch</strong>stellung dieser Personen mit den übrigen Angestellten<br />

erfordern kann. Gegen Diskriminierung besteht die Mögli<strong>ch</strong>keit einer (gesetzli<strong>ch</strong><br />

limitierten) S<strong>ch</strong>adenersatzklage beim County Court. Im Übrigen kann der<br />

zuständige Minister Mittel zur Verfügung stellen, um die Bes<strong>ch</strong>äftigung einer be-<br />

1738


hinderten Person zu ermögli<strong>ch</strong>en oder ihr eine entspre<strong>ch</strong>ende Ausbildung zu vers<strong>ch</strong>affen.<br />

S<strong>ch</strong>weden<br />

Dur<strong>ch</strong> das Gesetz 1970:663 werden die Gemeinden ermä<strong>ch</strong>tigt, rein kommerziell<br />

geführte Unternehmungen zu betreiben, in denen Behinderte bes<strong>ch</strong>äftigt werden,<br />

wenn für diese Personen auf dem lokalen Arbeitsmarkt keine anderen Einsatzmögli<strong>ch</strong>keiten<br />

bestehen. Der neue Erlass 1999:132 betreffend das Verbot der Diskriminierung<br />

Behinderter in der Arbeitswelt regelt unter diesem Gesi<strong>ch</strong>tspunkt sowohl die<br />

direkte wie die indirekte Diskriminierung (z.B. s<strong>ch</strong>einbar neutrale Anstellungs- bzw.<br />

Arbeitsbedingungen, dur<strong>ch</strong> wel<strong>ch</strong>e aber Behinderte de facto von der Bewerbung<br />

ausges<strong>ch</strong>lossen werden). Sanktioniert wird die Diskriminierung dur<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>adenersatzansprü<strong>ch</strong>e,<br />

zu deren Geltendma<strong>ch</strong>ung der Bere<strong>ch</strong>tigte si<strong>ch</strong> allenfalls vom Ombudsmann<br />

für Behinderte vertreten lassen kann. Bes<strong>ch</strong>äftigungsquoten sind im<br />

s<strong>ch</strong>wedis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t vorgesehen.<br />

USA<br />

Der «Americans with Disabilities Act» (ADA) von 1990 verbietet unter anderem<br />

Diskriminierungen von Behinderten bei der Einstellung und Bes<strong>ch</strong>äftigung. Na<strong>ch</strong><br />

dem ADA ist es privaten und staatli<strong>ch</strong> unterstützten Arbeitgebern mit mehr als<br />

15 Arbeitnehmern verboten, qualifizierte Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen auf Grund<br />

ihrer Behinderung bei der Bewerbung, der Einstellung, Beförderung, Entlassung,<br />

Entlöhnung, Aus- und Fortbildung sowie hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> der Arbeitsbedingungen zu<br />

diskriminieren. Die Arbeitgeber sind angewiesen, hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> der Anforderungen<br />

und der Strukturen einer Arbeitsstelle angemessene Bedingungen zu s<strong>ch</strong>affen, die es<br />

Behinderten erlauben, die betreffende Tätigkeit auszuüben. Über die Einhaltung dieser<br />

Bestimmungen wa<strong>ch</strong>t eine spezielle Kommission, der au<strong>ch</strong> Individualbes<strong>ch</strong>werden<br />

vorzulegen sind. Darüber hinaus müssen Arbeitgeber mit mehr als 50 Angestellten,<br />

die Staatsaufträge von über 50 000 $ erhalten, positive Massnahmen treffen,<br />

um qualifizierte Behinderte bes<strong>ch</strong>äftigen zu können (Rehabilitation Act von 1973).<br />

Kanada<br />

Eine spezielle Kommission wa<strong>ch</strong>t über die Dur<strong>ch</strong>setzung der in der Verfassung und<br />

im Gesetz über die Persönli<strong>ch</strong>keitsre<strong>ch</strong>te von 1977 enthaltenen Bestimmungen gegen<br />

Diskriminierung. Im Arbeitsberei<strong>ch</strong> werden diese Bestimmungen konkretisiert<br />

dur<strong>ch</strong> ein Gesetz und ein Reglement über die «Billigkeit» im Arbeitsre<strong>ch</strong>t<br />

(Loi sur l’équité en matière d’emploi/1995; Règlement sur l’équité en matière<br />

d’emploi/1996), wel<strong>ch</strong>e sowohl für den privaten wie den öffentli<strong>ch</strong>en Sektor gelten.<br />

Die Arbeitgeber werden angehalten, Hindernisse für die berufli<strong>ch</strong>e Laufbahn Behinderter<br />

zu eliminieren. Zentralregierung und Provinzen oder Territorien teilen si<strong>ch</strong> in<br />

die Finanzierung von Institutionen und Programmen zur Förderung der Eingliederung<br />

Behinderter. Ausserdem besteht beim Ministerium für Human Ressources<br />

ein spezieller Integrationsfonds, aus wel<strong>ch</strong>em Förderungsmassnahmen finanziert<br />

werden. Für Angestellte im öffentli<strong>ch</strong>en Dienst sind besondere te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>e und andere<br />

Hilfsmassnahmen vorgesehen; eine «Commission de la fonction publique» mit<br />

individuellem Beratungsdienst ist für diesen Berei<strong>ch</strong> zuständig. Für junge Personen<br />

mit Behinderungen läuft in Zusammenarbeit mit der Privatwirts<strong>ch</strong>aft ein Programm<br />

«Pathway», in dessen Rahmen si<strong>ch</strong> Kaderleute darum kümmern, für diese Jungen<br />

Bes<strong>ch</strong>äftigungsmögli<strong>ch</strong>keiten als stagiaires zu finden.<br />

1739


2.3.1.3 Bauli<strong>ch</strong>e Anpassungen von Gebäuden<br />

Deuts<strong>ch</strong>land<br />

Au<strong>ch</strong> in Deuts<strong>ch</strong>land ist das Baure<strong>ch</strong>t Ländersa<strong>ch</strong>e. Die Bauordnungen der Länder<br />

enthalten Vors<strong>ch</strong>riften über die behindertengere<strong>ch</strong>te Gestaltung bauli<strong>ch</strong>er Anlagen.<br />

Frankrei<strong>ch</strong><br />

Ein spezielles Gesetz (Loi d’orientation en faveur des personnes handicapées<br />

no.75-335 vom 30. Juni 1975) s<strong>ch</strong>reibt vor, dass die ar<strong>ch</strong>itektonis<strong>ch</strong>en Dispositionen<br />

und die Ausgestaltung der Räume in Wohnbauten und in öffentli<strong>ch</strong>en Gebäuden<br />

so bes<strong>ch</strong>affen sein müssen, dass sie für Behinderte zugängli<strong>ch</strong> sind. Dur<strong>ch</strong> zwei<br />

Dekrete (no. 78-109 vom 1. Februar 1978 und no. 78-1167 vom 8. Dezember 1978)<br />

werden diese Bestimmungen konkretisiert, insbesondere bezügli<strong>ch</strong> Rollstuhlgängigkeit,<br />

und auf alle neuen privaten und staatli<strong>ch</strong>en Anlagen anwendbar erklärt. Dur<strong>ch</strong><br />

ein weiteres Gesetz (Loi no. 91-663 du 13 juillet 1991) und entspre<strong>ch</strong>ende Ausführungserlasse<br />

ist eine präventive Kontrolle eingeführt und der Code de la construction,<br />

de l’habitation et de l’urbanisme, etwa im Bezug auf die Baubewilligungen und<br />

die Eröffnung von Gebäuden mit Publikumsverkehr, entspre<strong>ch</strong>end ergänzt worden.<br />

In einem jüngsten Erlass (Décret no. 99-756 du 31. August 1999) werden detaillierte<br />

Vors<strong>ch</strong>riften über die behindertengere<strong>ch</strong>te Anlage von öffentli<strong>ch</strong>en sowie privaten,<br />

aber der Öffentli<strong>ch</strong>keit zugängli<strong>ch</strong>en Strassen, Plätzen und Örtli<strong>ch</strong>keiten aufgestellt.<br />

Für Massnahmen zur Verbesserung des Zugangs von Behinderten zu Verwaltungsstellen<br />

in älteren Gebäuden steht ein interministerieller Fonds (Fonds interministériel<br />

pour l’accessibilité aux personnes handicapées des bâtiments anciens ouverts au<br />

public qui appartiennent à l’Etat) zur Verfügung, der von einer speziellen Commission<br />

interministérielle de la Politique immobilière de l’Etat (CPIE) verwaltet wird.<br />

Italien<br />

In zwei glei<strong>ch</strong>namigen Gesetzen (Legge no. 118 vom 30. März 1971, Legge no. 13<br />

vom 9. Januar 1989, modifiziert dur<strong>ch</strong> Legge no. 62 vom 27. Februar 1989) und ergänzenden<br />

Erlassen sind Massnahmen für den öffentli<strong>ch</strong>en und privaten Berei<strong>ch</strong><br />

vorgesehen, insbesondere Beihilfen für bauli<strong>ch</strong>e Anpassungen. Mit einem weiteren<br />

Gesetz (Legge no. 49/1997) werden für sol<strong>ch</strong>e Arbeiten Steuervergünstigungen gewährt.<br />

Österrei<strong>ch</strong><br />

Das Bauwesen steht in Österrei<strong>ch</strong> in der Kompetenz der Länder. Es bestehen deshalb<br />

in diesem Berei<strong>ch</strong> keine Normen auf Bundesebene.<br />

Spanien<br />

Das Integrationsgesetz (13/1982) enthält für den Bauberei<strong>ch</strong> Vors<strong>ch</strong>riften über die<br />

behindertengere<strong>ch</strong>te Neukonstruktion, Renovation oder Vergrösserung von öffentli<strong>ch</strong>en<br />

und privaten Gebäuden und hält die zuständigen Stellen dazu an, private Bauherren<br />

bei der Dur<strong>ch</strong>führung sol<strong>ch</strong>er Arbeiten zu unterstützen und unter gewissen<br />

Umständen au<strong>ch</strong> zu subventionieren. Beim subventionierten Wohnungsbau werden<br />

direkt entspre<strong>ch</strong>ende Auflagen (Beispiel: Einbau rollstuhlgängiger Aufzüge) gema<strong>ch</strong>t.<br />

1740


Grossbritannien<br />

Es gibt in Grossbritannien keine gesetzli<strong>ch</strong>en Bestimmungen, wel<strong>ch</strong>e bestimmte<br />

Massnahmen zur behindertengere<strong>ch</strong>ten Anlage und Ausstattung von Gebäuden vors<strong>ch</strong>reiben.<br />

Hingegen können die lokalen Wohnungsämter (local housing authorities)<br />

privaten Bauherren Finanzierungsbeihilfen zur Dur<strong>ch</strong>führung entspre<strong>ch</strong>ender Anpassungen<br />

gewähren. Eine Ausnahme ma<strong>ch</strong>t der Chronically Sick and Disabled Persons<br />

Act 1970, der in § 8 vors<strong>ch</strong>reibt, dass Ausbildungsstätten für Behinderte zugängli<strong>ch</strong><br />

gema<strong>ch</strong>t werden müssen.<br />

S<strong>ch</strong>weden<br />

Ein Gesetz 1987:10 s<strong>ch</strong>reibt für den Siedlungsbau in Artikel 4 eine behindertengere<strong>ch</strong>te<br />

Anlage vor. Na<strong>ch</strong> einem neueren Erlass 1993:387 über die Unterstützung Behinderter<br />

wird diesen das Re<strong>ch</strong>t zugespro<strong>ch</strong>en, in Privatwohnungen untergebra<strong>ch</strong>t<br />

zu werden, die ihrer Behinderung angepasst sind, oder – falls es si<strong>ch</strong> um eine sehr<br />

s<strong>ch</strong>were Behinderung handelt – gar in Wohnungen, in denen für ihre elementaren<br />

Bedürfnisse (Haushaltführung, Mahlzeitenabgabe usw.) gesorgt wird.<br />

USA<br />

Die Fair Housing Act Amendments von 1988 verbieten die Diskriminierung Behinderter.<br />

Zudem sind Vermieter verpfli<strong>ch</strong>tet, angemessene Anpassungen der von Behinderten<br />

gemieteten Wohnungen an deren Bedürfnisse zu tolerieren. Für Wohngebäude<br />

mit mehr als drei Wohnungen und Aufzug, die na<strong>ch</strong> 1991 in Betrieb genommen<br />

wurden, besteht die Verpfli<strong>ch</strong>tung zu positiven Massnahmen, die Behinderten<br />

den Zugang zu Gemeins<strong>ch</strong>aftsräumen ermögli<strong>ch</strong>en und au<strong>ch</strong> die einzelnen Wohnungen<br />

rollstuhlgängig ma<strong>ch</strong>en sollen.<br />

Alle neuen Bauten, die von öffentli<strong>ch</strong>en Einri<strong>ch</strong>tungen in Anspru<strong>ch</strong> genommen<br />

werden, müssen für Behinderte zugängli<strong>ch</strong> sein. Vom ADA als öffentli<strong>ch</strong>e Einri<strong>ch</strong>tungen<br />

und Dienstleistungen erfasst werden Ges<strong>ch</strong>äfte, Hotels, Restaurants, Theater,<br />

Versammlungsräume, Büros, Museen, Parks, S<strong>ch</strong>ulen, Sportstätten, Ämter usw. Wie<br />

Studien gezeigt haben, werden dur<strong>ch</strong> diese Vors<strong>ch</strong>riften die Baukosten dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong><br />

ledigli<strong>ch</strong> um ½ Prozent erhöht. Bei bestehenden Gebäuden müssen Veränderungen<br />

vorgenommen werden, wenn diese lei<strong>ch</strong>t zu verwirkli<strong>ch</strong>en und ohne<br />

grössere S<strong>ch</strong>wierigkeiten oder Kosten umsetzbar sind. Die Barrieren müssen aber<br />

ni<strong>ch</strong>t nur für Rollstuhlbenutzer beseitigt werden, sondern au<strong>ch</strong> für andere Behindertengruppen<br />

wie die Sehges<strong>ch</strong>ädigten und die Hörbehinderten. So sind öffentli<strong>ch</strong>e<br />

Einri<strong>ch</strong>tungen dazu verpfli<strong>ch</strong>tet, au<strong>ch</strong> akustis<strong>ch</strong>e Hilfsmittel und Dienstleistungen<br />

bereitzustellen, um Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen die Nutzung der angebotenen<br />

Güter oder Dienstleistungen zu ermögli<strong>ch</strong>en. Dies umfasst sowohl die Bereitstellung<br />

von qualifizierten Gebärdendolmets<strong>ch</strong>ern oder anderen Hilfen für Hörbehinderte als<br />

au<strong>ch</strong> die Bereitstellung von Materialien in Grosss<strong>ch</strong>rift, Brailles<strong>ch</strong>rift oder auf Kassette<br />

für Sehbehinderte und Blinde. Wo sol<strong>ch</strong>e Massnahmen eine «unangemessene<br />

Bürde» bedeuten würden, genügt es, dass Personal bereitsteht, um auf die speziellen<br />

Bedürfnisse behinderter Benutzer der Einri<strong>ch</strong>tung einzugehen. So muss etwa das<br />

Personal in Gaststätten bereit sein, Sehbehinderten die Speisekarte vorzulesen.<br />

Kanada<br />

Das Wohnungswesen ist in Kanada grundsätzli<strong>ch</strong> Sa<strong>ch</strong>e der Provinzen. Das Gesetz<br />

über die Persönli<strong>ch</strong>keitsre<strong>ch</strong>te enthält aber in den Art. 5 und 6 Diskriminationsverbote,<br />

die si<strong>ch</strong> ausdrückli<strong>ch</strong> (au<strong>ch</strong>) auf die Beherbergung und das Zurverfügungstellen<br />

von Wohn- und Ges<strong>ch</strong>äftsräumen beziehen. Ausserdem hat das zuständige Mi-<br />

1741


nisterium über eine besondere Organisation, die Société canadienne d’hypothèque et<br />

de logement, Wohnungshilfe- und Anpassungsprogramme für behinderte Personen<br />

eingeleitet.<br />

2.3.1.4 Erziehungswesen<br />

Deuts<strong>ch</strong>land<br />

Die Erziehung ist Sa<strong>ch</strong>e der Länder. Alle Bundesländer haben Sonders<strong>ch</strong>ulen für<br />

Behinderte eingeri<strong>ch</strong>tet.<br />

Frankrei<strong>ch</strong><br />

Für behinderte Kinder sind Sonderklassen vorgesehen, die je na<strong>ch</strong> der Pflegebedürftigkeit<br />

der Kinder dem Erziehungs- oder dem Sozialministerium zugeordnet<br />

sind. Zum Gesundheitsministerium gehören weitere Sondereinri<strong>ch</strong>tungen für die<br />

Aufnahme beziehungsgestörter sowie motoris<strong>ch</strong> oder sensoris<strong>ch</strong> behinderter Kinder.<br />

Auf Departements- und Bezirksebene bestehen besondere Kommissionen, die si<strong>ch</strong><br />

mit der Betreuung und Unterbringung der Kinder (Stipendiengewährung, Befreiung<br />

von Unterbringungs- und Behandlungskosten in spezialisierten Einri<strong>ch</strong>tungen,<br />

Übernahme von Transportkosten usw.) befassen. Das Gesetz No. 87-157 vom 10.<br />

Juli 1987 enthält Anreize für die Unternehmen, wel<strong>ch</strong>e Lehrstellen für behinderte<br />

Jugendli<strong>ch</strong>e anbieten. Weitere Erlasse betreffen die Gewährung von Stipendien für<br />

höhere S<strong>ch</strong>ulen, von denen insbesondere au<strong>ch</strong> behinderte Personen aus weniger begüterten<br />

Kreisen profitieren können; ihnen können au<strong>ch</strong> Ausnahmen von der Verpfli<strong>ch</strong>tung<br />

zugestanden werden, si<strong>ch</strong> hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> und vollzeitli<strong>ch</strong> dem Studium zu<br />

widmen (etwa wenn medizinis<strong>ch</strong>e Notwendigkeiten dem entgegenstehen). Besondere<br />

Bestimmungen bestehen au<strong>ch</strong> hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> der Dur<strong>ch</strong>führung von Examen für behinderte<br />

Kandidaten und Kandidatinnen.<br />

Italien<br />

Auf der Primars<strong>ch</strong>ulstufe sind besondere Betreuer eingesetzt, wel<strong>ch</strong>e si<strong>ch</strong> um die<br />

Integration behinderter Kinder und die Dur<strong>ch</strong>führung der für sie bestimmten Lehrprogramme<br />

kümmern. Ein Gesetz vom 5. Februar 1993 Nr.104 statuiert das grundsätzli<strong>ch</strong>e<br />

Re<strong>ch</strong>t aller minderjährigen Behinderten auf s<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>e Ausbildung und<br />

sieht vers<strong>ch</strong>iedene Massnahmen zur Förderung der S<strong>ch</strong>ulung behinderter Personen<br />

vor: Koordination der Lehrpläne mit aussers<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>en Aktivitäten, sonderpädagogis<strong>ch</strong>e<br />

Lehrveranstaltungen usw. Au<strong>ch</strong> in Italien existieren besondere Bestimmungen<br />

für die Dur<strong>ch</strong>führung von Examina mit behinderten S<strong>ch</strong>ülerinnen und S<strong>ch</strong>ülern.<br />

Bei den S<strong>ch</strong>ulämtern der Provinzen sind besondere Arbeitsgruppen mit der Dur<strong>ch</strong>führung<br />

dieser Massnahmen sowie der entspre<strong>ch</strong>enden Beratung der betroffenen<br />

Personen betraut; diese Arbeitsgruppen können au<strong>ch</strong> Vors<strong>ch</strong>läge für weitere Massnahmen<br />

und Verbesserungen einbringen. Für die Ho<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ulstufe bestehen besondere<br />

Regeln.<br />

Österrei<strong>ch</strong><br />

Beim S<strong>ch</strong>ulberei<strong>ch</strong> handelt es si<strong>ch</strong> – abgesehen von bundesre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Regeln über<br />

die Pfli<strong>ch</strong>ts<strong>ch</strong>ulen – um eine Kompetenz der Länder.<br />

1742


Spanien<br />

Das Integrationsgesetz (13/1982) sieht in den Artikel 23 ff. Massnahmen zur Integration<br />

Behinderter in das allgemeine Erziehungssystem vor, wel<strong>ch</strong>es au<strong>ch</strong> sonderpädagogis<strong>ch</strong>e<br />

Einri<strong>ch</strong>tungen zur Verfügung zu stellen hat, denen die Kinder auf<br />

Grund einer pluridisziplinären Diagnose individuell zugewiesen werden. Darüber<br />

hinaus können für Personen mit s<strong>ch</strong>weren Behinderungen au<strong>ch</strong> spezielle Betreuungszentren<br />

ges<strong>ch</strong>affen werden. Interessant ist die Vors<strong>ch</strong>rift, wona<strong>ch</strong> öffentli<strong>ch</strong>e<br />

Spitäler und private Krankenhäuser, in wel<strong>ch</strong>en mehr als 50% der Betten von der<br />

öffentli<strong>ch</strong>en Hand subventioniert sind, eine pädagogis<strong>ch</strong>e Abteilung einzuri<strong>ch</strong>ten<br />

haben, die si<strong>ch</strong> um die S<strong>ch</strong>ulung hospitalisierter S<strong>ch</strong>üler kümmert. Behinderte Studenten<br />

sind von den Studiengebühren befreit. Sie können verlangen, dass die Examina<br />

in behindertengere<strong>ch</strong>ter Weise abgenommen werden.<br />

Grossbritannien<br />

Na<strong>ch</strong> dem Education Act 1977 ist es primär Sa<strong>ch</strong>e der Eltern, dafür zu sorgen, dass<br />

ihre Kinder, au<strong>ch</strong> behinderte, eine angemessene Ausbildung erhalten. Für die Erziehung<br />

behinderter Kinder existiert immerhin ein Code of practice, der vom Staatssekretariat<br />

erstellt und periodis<strong>ch</strong> revidiert wird und von den beiden Parlamentskammern<br />

genehmigt werden muss. Dana<strong>ch</strong> sollen behinderte Kinder so weit mögli<strong>ch</strong> –<br />

und wenn dies dem Wuns<strong>ch</strong> der Eltern entspri<strong>ch</strong>t – zusammen mit gesunden die<br />

S<strong>ch</strong>ulen besu<strong>ch</strong>en. Die zuständigen Behörden sind gehalten, behinderte Kinder zu<br />

erfassen, ihren Zustand zu evaluieren und darüber einen Beri<strong>ch</strong>t zu verfassen. Eltern<br />

können eine sol<strong>ch</strong>e Evaluation oder Reevalution au<strong>ch</strong> verlangen und haben, falls sie<br />

mit dem Ergebnis ni<strong>ch</strong>t einverstanden sind, ein Bes<strong>ch</strong>werdere<strong>ch</strong>t, das bei einem<br />

Spezialgeri<strong>ch</strong>t geltend gema<strong>ch</strong>t werden kann. Die Behörden sind ferner aufgerufen,<br />

ihr Mögli<strong>ch</strong>stes zu tun, um besonderen Bedürfnissen Behinderter entgegenzukommen<br />

und dafür zu sorgen, dass sie in den normalen S<strong>ch</strong>ulbetrieb eingegliedert<br />

werden. Wer eine S<strong>ch</strong>ule, ein College oder eine Universität betreibt, ist verpfli<strong>ch</strong>tet,<br />

die entspre<strong>ch</strong>enden Gebäude und deren Umgebung für Behinderte zugängli<strong>ch</strong> zu<br />

ma<strong>ch</strong>en, soweit dies mit zumutbarem Aufwand mögli<strong>ch</strong> ist.<br />

S<strong>ch</strong>weden<br />

Das s<strong>ch</strong>wedis<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>t sieht eine Vielzahl von Massnahmen mit dem Zweck vor,<br />

behinderten Kindern mögli<strong>ch</strong>st glei<strong>ch</strong>wertige Ausbildungsbedingungen zu bieten<br />

wie gesunden. Sie rei<strong>ch</strong>en von Gratistransporten über den Einsatz von Tutoren bis<br />

zur S<strong>ch</strong>affung von Sonderklassen.<br />

USA<br />

Der Rehabilitation Act 1973 verbietet jegli<strong>ch</strong>e Diskriminierung behinderter Personen,<br />

au<strong>ch</strong> im S<strong>ch</strong>ulwesen. Zusammen mit dem Individuals with Disabilities Education<br />

Act und zahlrei<strong>ch</strong>en Ausführungsvors<strong>ch</strong>riften gewährleistet er für jedes behinderte<br />

Kind in den Vereinigten Staaten eine unentgeltli<strong>ch</strong>e und angemessene Ausbildung.<br />

Dazu gehören unter Umständen au<strong>ch</strong> therapeutis<strong>ch</strong>e Massnahmen, Sondertransporte,<br />

Beratungen, Übersetzerdienste, te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>e Hilfsmittel usw. Die Eltern<br />

werden in das Individual Education Program einbezogen. Ziel der entspre<strong>ch</strong>enden<br />

Bemühungen ist, den Kindern eine Erziehung in einem Umfeld zu vers<strong>ch</strong>affen, das<br />

mögli<strong>ch</strong>st nahe an dasjenige herankommt, in wel<strong>ch</strong>em gesunde Kinder ihre Erziehung<br />

erhalten.<br />

1743


Kanada<br />

Für das Erziehungswesen sind au<strong>ch</strong> in Kanada primär die Provinzen zuständig. Die<br />

Bundesregierung unterstützt deren Bemühungen jedo<strong>ch</strong> über ein Stipendienprogramm,<br />

innerhalb dessen für Behinderte ein Sonderregime vorgesehen ist. Insbesondere<br />

können behinderte Studierende auf Gymnasialstufe als Vollzeitstudierende<br />

au<strong>ch</strong> anerkannt werden, wenn ihr Pensum ledigli<strong>ch</strong> 40% eines normalen Vollzeitstudiums<br />

beträgt. Ausserdem kann invaliden Absolventen die Rückerstattung der<br />

als Darlehen ausgestalteten Stipendien erlassen werden, wenn deren Tilgung ihnen<br />

nur mit unverhältnismässigen Anstrengungen mögli<strong>ch</strong> wäre.<br />

2.3.1.5 Öffentli<strong>ch</strong>er Verkehr<br />

Deuts<strong>ch</strong>land<br />

Das S<strong>ch</strong>werbehindertengesetz verpfli<strong>ch</strong>tet Unternehmen des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs,<br />

erhebli<strong>ch</strong> behinderte Personen gegen Vorzeigen eines entspre<strong>ch</strong>enden Ausweises<br />

unentgeltli<strong>ch</strong> zu befördern. Einzelheiten sind in einem besonderen Gesetz über die<br />

unentgeltli<strong>ch</strong>e Beförderung S<strong>ch</strong>werbehinderter (UnBefG vom 9. Juli 1979) geregelt.<br />

Frankrei<strong>ch</strong><br />

Die Loi d’orientation en faveur des personnes handicapées enthält Bestimmungen,<br />

wel<strong>ch</strong>e die Mobilität Behinderter begünstigen sollen, namentli<strong>ch</strong> hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> entspre<strong>ch</strong>ender<br />

Konstruktion der öffentli<strong>ch</strong>en Transportmittel, S<strong>ch</strong>affung besonderer<br />

Transportmögli<strong>ch</strong>keiten usw. Im Übrigen übernimmt der Staat die Kosten für individuelle<br />

Transporte von behinderten S<strong>ch</strong>ülern und Studenten von und zu ihren Ausbildungsstätten.<br />

Italien<br />

In einem Gesetz No. 21 vom 15. Januar 1992 werden die Regionen und Gemeinden<br />

angehalten, Massnahmen zu treffen, um einen Taxi- und Mietwagendienst für Behinderte<br />

zu organisieren. Ein weiterer Erlass No. 104 vom 5. Februar 1992 will die<br />

Zugängli<strong>ch</strong>keit der öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrsmittel für Behinderte si<strong>ch</strong>erstellen und<br />

sieht Steuervergünstigungen für behindertengere<strong>ch</strong>te Fahrzeuge und die S<strong>ch</strong>affung<br />

reservierter Parkplätze vor.<br />

Österrei<strong>ch</strong><br />

Was den Strassenverkehr betrifft, stellen vers<strong>ch</strong>iedene Bestimmungen der Strassenverkehrsordnung<br />

si<strong>ch</strong>er, dass für Behinderte sog. S<strong>ch</strong>utzwege mit Behindertenrampen<br />

ges<strong>ch</strong>affen und dass diese Zonen von den übrigen Verkehrsteilnehmern freigehalten<br />

werden; ferner haben die zuständigen Behörden dafür zu sorgen, dass für<br />

Behinderte spezielle Parkflä<strong>ch</strong>en, insbesondere in der Nähe von Verwaltungsgebäuden,<br />

Spitälern usw. zur Verfügung stehen. Auf den Eisenbahnlinien der Österrei<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en<br />

Bundesbahnen kann Behinderten eine Fahrpreisermässigung gewährt werden.<br />

Spanien<br />

Im Integrationsgesetz (13/1982) wird au<strong>ch</strong> der Verkehr angespro<strong>ch</strong>en: Die öffentli<strong>ch</strong>en<br />

Verkehrsmittel sollen behindertengere<strong>ch</strong>t konstruiert bzw. angepasst werden.<br />

1744


Grossbritannien<br />

Dur<strong>ch</strong> Reglemente des Staatssekretariats, dem eine Konsultativkommission beigegeben<br />

ist, werden Minimalanforderungen für die behindertengere<strong>ch</strong>te Ausstattung<br />

neuer Taxis aufgestellt und den Chauffeuren Anweisungen für den Transport Behinderter<br />

erteilt. Entspre<strong>ch</strong>ende Bestimmungen betreffen die public service vehicles<br />

sowie die rail services. Die zuständigen Behörden können Massnahmen zur Verbesserung<br />

der Transportmögli<strong>ch</strong>keiten für Behinderte subventionieren.<br />

S<strong>ch</strong>weden<br />

Zwei Gesetze aus dem Jahre 1977 sehen vor, dass Transportkosten für Behinderte<br />

na<strong>ch</strong> Massgabe der Tarife der öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrsmittel, wenn nötig aber au<strong>ch</strong><br />

darüber hinaus (z. B. für eine notwendige Begleitperson), von der öffentli<strong>ch</strong>en Hand<br />

übernommen werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Transportmittel aus zwingenden<br />

oder rein privaten Gründen (Ferien u dgl.) benützt werden. Ausserdem kann<br />

die öffentli<strong>ch</strong>e Hand an die Ans<strong>ch</strong>affung von Spezialfahrzeugen für Behinderte Beiträge<br />

leisten oder au<strong>ch</strong> die gesamten Kosten übernehmen.<br />

USA<br />

Au<strong>ch</strong> im öffentli<strong>ch</strong>en Personenverkehr wurden mit der Verabs<strong>ch</strong>iedung des ADA<br />

erhebli<strong>ch</strong>e Verbesserungen errei<strong>ch</strong>t. Seit August 1990 dürfen die öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrsbetriebe<br />

nur no<strong>ch</strong> Busse in Betrieb setzen, die Behinderten zugängli<strong>ch</strong> sind.<br />

Studien haben gezeigt, dass die Kosten für den Einbau von Hubliften den Kaufpreis<br />

um ni<strong>ch</strong>t mehr als 5 Prozent übersteigen. Au<strong>ch</strong> die Busse von privaten Firmen im<br />

Überlandverkehr müssen für Behinderte zugängli<strong>ch</strong> sein, wobei ihnen jedo<strong>ch</strong> eine<br />

Frist von sieben Jahren eingeräumt wurde. Den Betreibern von Eisenbahnen wurde<br />

eine Frist von fünf Jahren gewährt, innert der sie mindestens einen Waggon pro Zug<br />

für Behinderte zugängli<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>en müssen; Neuans<strong>ch</strong>affungen müssen ausnahmslos<br />

rollstuhlgängig sein. Besondere Bestimmungen bestehen für die Luftfahrt, indem ein<br />

Air Carrier Access Act 1986 den Fluggesells<strong>ch</strong>aften jegli<strong>ch</strong>e Diskriminierung behinderter<br />

Personen untersagt. Sie sind darüber hinaus gehalten, positive Massnahmen<br />

zu treffen, um diesen Personen – grundsätzli<strong>ch</strong> ohne zusätzli<strong>ch</strong>es Entgelt – den<br />

Zugang zum Flugzeug und den Aufenthalt in demselben zu gestatten, und haben ihr<br />

Kabinenpersonal entspre<strong>ch</strong>end auszubilden.<br />

Kanada<br />

Das kanadis<strong>ch</strong>e (Bundes-)Transportgesetz statuiert ausdrückli<strong>ch</strong> die Verpfli<strong>ch</strong>tung<br />

des Staates, ein effizientes Verkehrsnetz zu betreiben, wel<strong>ch</strong>es au<strong>ch</strong> für «Personen<br />

mit einem Defekt» zugängli<strong>ch</strong> sein soll. Der Vollzug dieser Bestimmungen ist dem<br />

Office des Transports du Canada übertragen, wel<strong>ch</strong>es au<strong>ch</strong> Bes<strong>ch</strong>werden Behinderter<br />

behandelt. Dieses Amt hat mehrere Reglemente für die Sees<strong>ch</strong>ifffahrt und den<br />

Bahnverkehr sowie für die Luftfahrt erlassen, wel<strong>ch</strong>e eine behindertengere<strong>ch</strong>te Gestaltung<br />

der Verkehrsmittel vors<strong>ch</strong>reiben. Ein weiteres Reglement betrifft die Ausbildung<br />

der Begleitpersonals für Hilfeleistungen an behinderte Passagiere.<br />

2.3.1.6 Kommunikation<br />

Deuts<strong>ch</strong>land<br />

Au<strong>ch</strong> in Deuts<strong>ch</strong>land gibt es diese Gebührenbefreiung bzw. -ermässigung von Radio-,<br />

Fernseh- und Telefongebühren für bestimmte Behindertengruppen, die wegen<br />

1745


ihres Handicaps ni<strong>ch</strong>t in der Lage sind, öffentli<strong>ch</strong>e Veranstaltungen zu besu<strong>ch</strong>en<br />

(namentli<strong>ch</strong> Seh- und Hörbehinderte). Für das Fernsehen wird gegenwärtig über eine<br />

bestimmte Quote von Sendungen verhandelt, die untertitelt bzw. mit Erklärungen<br />

in Gebärdenspra<strong>ch</strong>e versehen werden sollen.<br />

Frankrei<strong>ch</strong><br />

Von der Fernsehgebühr sind unter bestimmten Voraussetzungen Personen befreit,<br />

deren Behinderung es ihnen verunmögli<strong>ch</strong>t, selber für ihren Lebensunterhalt zu sorgen.<br />

Ebenso wird die Carte France Télécom Blinden zu Vorzugsbedingungen abgegeben.<br />

Mit te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>en Massnahmen (Blinkli<strong>ch</strong>ter, zusätzli<strong>ch</strong>e Klingelzei<strong>ch</strong>en, Verstärker<br />

usw.) sorgt France-Télécom ferner dafür, dass Seh- und/oder Hörbehinderten<br />

der Gebrau<strong>ch</strong> des Telefons ermögli<strong>ch</strong>t bzw. erlei<strong>ch</strong>tert wird. Im Fernsehen sind gewisse<br />

Sendungen bereits seit 1983 im Interesse der hörbehinderten Zus<strong>ch</strong>auer untertitelt.<br />

Für die Angebote der öffentli<strong>ch</strong>en Verwaltung und anderer öffentli<strong>ch</strong>er Anstalten<br />

im Internet sind in einem Runds<strong>ch</strong>reiben der Regierung vom Oktober 1999<br />

besondere Empfehlungen an die Webmasters für eine behindertengere<strong>ch</strong>te Ausgestaltung<br />

ihrer Informationen formuliert worden.<br />

Italien<br />

Ausser einer Befreiung von den Gebühren auf Vertragsabs<strong>ch</strong>lüssen in der Mobiltelefonie<br />

sind keine besonderen Massnahmen zu Gunsten Behinderter vorgesehen.<br />

Österrei<strong>ch</strong><br />

Behinderte sind unter gewissen Voraussetzungen von Telefon-, Radio- und Fernsehgebühren<br />

befreit.<br />

Spanien<br />

Ein Königli<strong>ch</strong>es Dekret 1736/1998 mit wel<strong>ch</strong>em das Telekommunikationsgesetz genehmigt<br />

wurde, s<strong>ch</strong>reibt vor, dass Behinderte die Fernmeldedienste zu den glei<strong>ch</strong>en<br />

Bedingungen in Anspru<strong>ch</strong> nehmen können wie andere Benützer. Für Andalusien<br />

s<strong>ch</strong>reibt ein regionales Gesetz den öffentli<strong>ch</strong>en Sendeunternehmen vor, te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>e<br />

Massnahmen zu treffen, um die Übersetzung ihrer Sendungen in S<strong>ch</strong>rift oder Gebärden<br />

zu gewährleisten. Privaten Sendern werden entspre<strong>ch</strong>ende Vorkehren empfohlen.<br />

Grossbritannien<br />

Das Staatssekretariat kann in Übereinstimmung mit dem S<strong>ch</strong>atzkanzleramt finanzielle<br />

Beihilfen für die Entwicklung von behindertengere<strong>ch</strong>ten Telekommunikationseinri<strong>ch</strong>tungen<br />

oder die Verbesserung bestehender Anlagen ausri<strong>ch</strong>ten. Eine<br />

im Broadcasting Act 1996 eingesetzte Kommission wird zudem beauftragt, einen<br />

Kodex über die Anpassung der Radio- und Fernsehdienste an die Bedürfnisse Behinderter<br />

auszuarbeiten. Als Minimum wird die Verpfli<strong>ch</strong>tung vorgesehen, dass innerhalb<br />

von 10 Jahren seit Beginn der Digitalisierung der Ausstrahlungen 50% der<br />

für Hörbehinderte geeigneten Programme zu untertiteln sind und 10% der Programme<br />

mit Erläuterungen für Sehbehinderte versehen werden.<br />

S<strong>ch</strong>weden<br />

Das s<strong>ch</strong>wedis<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>t sieht finanzielle Unterstützungsmassnahmen für die Ausrüstung<br />

mit Teletext, für die Übersetzung in Brailles<strong>ch</strong>rift sowie in Gebärdenspra<strong>ch</strong>e<br />

vor.<br />

1746


USA<br />

Um Hörbehinderten den Gebrau<strong>ch</strong> der telekommunikativen Einri<strong>ch</strong>tungen zu ermögli<strong>ch</strong>en,<br />

wurden die Telefongesells<strong>ch</strong>aften angewiesen, in den ganzen USA Hörund<br />

Spra<strong>ch</strong>behinderten rund um die Uhr zur Verfügung zu stehen und ihnen die Inanspru<strong>ch</strong>nahme<br />

des Telefons ohne Mehrkosten zuzusi<strong>ch</strong>ern. Dur<strong>ch</strong> die mit dem Telecommunications<br />

Act 1996 modifizierten Bestimmungen des Communications Act<br />

1934 wird den Herstellern von Telekommunikationsgeräten und den Dienstleistungsunternehmungen<br />

in diesem Sektor eine behindertengere<strong>ch</strong>te Konstruktion ihrer<br />

Apparate bzw. Ausgestaltung ihrer Dienste vorges<strong>ch</strong>rieben. Die Umsetzung dieser<br />

Vors<strong>ch</strong>riften – zunä<strong>ch</strong>st dur<strong>ch</strong> Ri<strong>ch</strong>tlinien, jetzt mit einem Verordnungsentwurf – ist<br />

im Gange. Eine Federal Communications Commission (FCC) wa<strong>ch</strong>t über die Implementation<br />

der Regelung. Für den Berei<strong>ch</strong> des Internet sind von der zuständigen<br />

Agentur (Access Board) eine Reihe von Normen (zur entspre<strong>ch</strong>enden Revision des<br />

Rehabilitation Act 1973/98) vorges<strong>ch</strong>lagen worden, wel<strong>ch</strong>e eine behindertengere<strong>ch</strong>te<br />

Ausgestaltung der Websites gewährleisten sollen. Weitere, seit Beginn 1998<br />

in Kraft stehende Regeln s<strong>ch</strong>reiben den Fernsehunternehmen zunehmend vor, das<br />

close captionning ihrer Sendungen (Untertitelung, bzw. Bes<strong>ch</strong>reibung von Hintergrundgeräus<strong>ch</strong>en<br />

usw.) mittels kodierter Signale, die mit den Sendesignalen ausgestrahlt<br />

werden, zu ermögli<strong>ch</strong>en.<br />

Kanada<br />

Ein Gesetz über den Zugang zu Informationen begründet ein generelles Re<strong>ch</strong>t auf<br />

Zugang zu allen Informationen, wel<strong>ch</strong>e von Bundesstellen ausgehen. Ein besonderer,<br />

vom Parlament gewählter und regierungsunabhängiger Commissaire à l’information<br />

wa<strong>ch</strong>t über die Dur<strong>ch</strong>setzung dieses Re<strong>ch</strong>ts. Der «Conseil de la radiodiffusion<br />

et des télécommunications canadiennes» verlangt im Übrigen von den grossen<br />

Rundfunkanstalten, dass alle lokalen Informationssendungen (au<strong>ch</strong> die live ausgestrahlten)<br />

untertitelt werden.<br />

2.3.2 Das Re<strong>ch</strong>t der Kantone<br />

2.3.2.1 Allgemeines<br />

Bereits heute verfügt die Mehrheit der Kantone über spezifis<strong>ch</strong> auf die Behinderten<br />

zuges<strong>ch</strong>nittene Bestimmungen. Allerdings ist man no<strong>ch</strong> weit von einem «kantonalen<br />

Standard» entfernt. Während zwar wohl praktis<strong>ch</strong> alle Kantone in ihren Verfassungen<br />

die Pfli<strong>ch</strong>t des Staates stipulieren, die besonderen Bedürfnisse der Behinderten<br />

zu berücksi<strong>ch</strong>tigen, sehen do<strong>ch</strong> nur einzelne von ihnen für diese Gruppe besondere<br />

Bestimmungen in ihren Gesetzgebungen vor. Es sind vor allem drei Kantone (TI,<br />

GR, VS), wel<strong>ch</strong>e diesbezügli<strong>ch</strong>e Spezialgesetze erlassen haben. Diese Gesetze haben<br />

allerdings ni<strong>ch</strong>t die glei<strong>ch</strong>e Tragweite; zwei von ihnen sind auf eine mehr allgemeine<br />

Integration geri<strong>ch</strong>tet (VS 55 und GR 56), während das dritte Gesetz gezielter<br />

auf bestimmte Berei<strong>ch</strong>e anwendbar ist (TI 57; hier sieht das Gesetz die Verpfli<strong>ch</strong>tung<br />

55 Gesetz über die Eingliederung behinderter Mens<strong>ch</strong>en vom 31. Januar 1991, Gesetzessammlung,<br />

Bd. V, 1850.<br />

56 Gesetz über die Förderung Behinderter vom 18. Februar 1979, Systematis<strong>ch</strong>e Gesetzessammlung<br />

des Kantons Graubünden, Band II, 440.000.<br />

57 Legge sull’integrazione sociale e professionale degli invalidi (LISPI) vom 14. März 1979,<br />

6.4.7.1.<br />

1747


des Staates vor, Massnahmen im Hinblick auf die Eingliederung von Behinderten<br />

auf sozialer und berufli<strong>ch</strong>er Ebene zu ergreifen).<br />

2.3.2.2 Bes<strong>ch</strong>äftigung<br />

Die Berücksi<strong>ch</strong>tigung der Interessen der behinderten Personen ist von Kanton zu<br />

Kanton stark unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>. Die Spanne rei<strong>ch</strong>t von blosser Ermutigung bis zur Bes<strong>ch</strong>äftigung<br />

und Eingliederung von Behinderten als Bestandteil der Personalpolitik<br />

des Regierungsrates (wie in ZH58), oder von der Bereitstellung von Stellen für Behinderte<br />

(wie in LU59), bis zur Verpfli<strong>ch</strong>tung, ehemalige, invalid gewordene Mitarbeiter<br />

oder andere invalide Personen zu bes<strong>ch</strong>äftigen (wie in FR60). In BS61 und<br />

LU62 wurde die Verpfli<strong>ch</strong>tung eingeführt, die mit Behinderten vorgesehenen Lehrverträge<br />

zu melden. Die zuständige Behörde muss ans<strong>ch</strong>liessend klären, ob es si<strong>ch</strong><br />

um eine Lehre oder eine Grundausbildung im Sinne des Bundesgesetzes über die<br />

Berufsbildung63 handelt. Mehrere kantonale Gesetzgebungen sehen eine besondere<br />

Unterstützung des Kantons für die Berufsausbildung der behinderten Lehrlinge vor<br />

(unter anderem diejenigen von TG64, JU65 und BE66). Ferner sei erwähnt, dass in<br />

BS67 im Berei<strong>ch</strong> Arbeitsvermittlung besondere Sektionen zu Gunsten von Behinderten<br />

ges<strong>ch</strong>affen werden können.<br />

In gewissen Kantonen ist die Palette der mögli<strong>ch</strong>en Massnahmen zur Förderung der<br />

berufli<strong>ch</strong>en Eingliederung der Behinderten sehr breit: So verfügt beispielsweise das<br />

VS 68 über eine ganze Reihe von Mögli<strong>ch</strong>keiten, darunter die Einführung von Anreizen<br />

im Privatberei<strong>ch</strong>, die Unterstützung von spezialisierten Organisationen, die<br />

Bereitstellung von halbges<strong>ch</strong>ützten Arbeitsstellen in der kantonalen Verwaltung<br />

usw. Es handelt si<strong>ch</strong> um Massnahmen im Sinne von Anreizen (beispielsweise Bereitstellen<br />

von Krediten für die Bezahlung der Löhne von Personen, wel<strong>ch</strong>e im<br />

halbges<strong>ch</strong>ützten Dienst in der kantonalen Verwaltung bes<strong>ch</strong>äftigt werden, oder<br />

Mögli<strong>ch</strong>keit, behinderte Lehrlinge ausserhalb der erlaubten Kontingente anzustel-<br />

58 Par. 5, lit. I, des Gesetzes über das Arbeitsverhältnis des Staatspersonals vom 27. September<br />

1998 (177.10), das im Programm der Personalpolitik des Staatsrates die Förderung<br />

der Anstellung und der Integration von behinderten Personen vorsieht.<br />

59 Par. 82a des Gesetzes über das öffentli<strong>ch</strong>-re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Dienstverhältnis (Personalgesetz)<br />

vom 13. September 1988 (SRL Nr. 51).<br />

60 Bes<strong>ch</strong>luss vom 25. Februar 1992 über die Anstellung invalider Personen (122.70.43), er<br />

zielt auf die berufli<strong>ch</strong>e Wiedereingliederung von Behinderten, unter besonderer Berücksi<strong>ch</strong>tigung<br />

ehemaliger, invalid gewordener Mitarbeiter.<br />

61 Par. 15 des kantonalen Gesetzes über die Berufsbildung vom 21. Februar 1985<br />

(SG 420.200).<br />

62 Par. 40 der Vollzugsverordnung zum Bundesgesetz über die Berufsbildung vom 24. Mai<br />

1982 (SRL Nr. 425).<br />

63 SR 412.10<br />

64 Par. 10 des Gesetzes über die Berufsbildung vom 4. November 1985 (412.11).<br />

65 Art. 13 de la Loi sur la formation professionnelle vom 13. Dezember 1990 (413.11).<br />

66 Art. 18 Abs. 1 des Gesetzes über die Berufsbildung vom 9. November 1981 (435.11).<br />

67 Par. 1 Abs. 2 des Gesetzes betreffend die Einführung des Bundesgesetzes über die<br />

Arbeitsvermittlung vom 22. November 1951 (SG 819.500).<br />

68 Art. 11 bis 17 des Gesetzes über die Eingliederung behinderter Mens<strong>ch</strong>en vom 31. Januar<br />

1991 (1850). Es ist darauf hinzuweisen, dass Art. 14 dieses Gesetzes die Bereitstellung<br />

von Bes<strong>ch</strong>äftigungsmögli<strong>ch</strong>keiten für die behinderten Personen im normalen und im ges<strong>ch</strong>ützten<br />

Milieu vorsieht: Es kommt somit der Wille, die berufli<strong>ch</strong>e Eingliederung dieser<br />

Personen selbst in der «normalen» Berufswelt zu fördern, klar zum Ausdruck.<br />

1748


len). Die Tessiner Gesetzgebung 69 ihrerseits sieht ebenfalls eine grosse Vielfalt von<br />

Massnahmen zur Förderung der berufli<strong>ch</strong>en Integration Behinderter vor. Der Gesetzgeber<br />

unters<strong>ch</strong>eidet vers<strong>ch</strong>iedene Massnahmen, wel<strong>ch</strong>e im Berei<strong>ch</strong> der berufli<strong>ch</strong>en<br />

Integration zu ergreifen sind: Beispielsweise die direkte Anstellung von Behinderten<br />

dur<strong>ch</strong> die Gemeinwesen 70, oder aber die Ausri<strong>ch</strong>tung von Beiträgen oder<br />

die Vergabe von öffentli<strong>ch</strong>en Arbeiten an Arbeitgeber verbunden mit der Bedingung,<br />

sol<strong>ch</strong>e Personen zu bes<strong>ch</strong>äftigen 71. Ferner präzisiert das Gesetz, dass bei der<br />

Wahl der anzuwendenden Massnahmen denjenigen der Vorzug zu geben ist, die für<br />

die Integration des Individuums in die Gesells<strong>ch</strong>aft am besten geeignet sind 72. Was<br />

s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> GR 73 anbelangt, erstellt das Gesetz eine Art Hierar<strong>ch</strong>ie der Massnahmen,<br />

die der Kanton ergreifen muss: Wenn mögli<strong>ch</strong>, Behinderte bes<strong>ch</strong>äftigen, andernfalls<br />

die privaten Unternehmen, die ihnen Ausbildungs- und Arbeitsplätze anbieten,<br />

dur<strong>ch</strong> Finanzhilfen und Beratung unterstützen.<br />

2.3.2.3 Bauten<br />

Die meisten Kantone sehen in diesem Berei<strong>ch</strong> Bestimmungen betreffend die Bedürfnisse<br />

der Behinderten vor. Es gibt Kantone, die diesem Anliegen nur mit allgemeinen<br />

Begriffen Re<strong>ch</strong>nung tragen, während andere versu<strong>ch</strong>en, präzisere Antworten<br />

auf die besonderen Bedürfnisse der Behinderten zu geben. Immerhin muss in fast<br />

allen Kantonen der Zugang zu Bauten und Anlagen, die für die Öffentli<strong>ch</strong>keit bestimmt<br />

sind74, au<strong>ch</strong> für die Behinderten gewährleistet sein. Es handelt si<strong>ch</strong> um<br />

quantitative Kriterien (wie Gebäudeflä<strong>ch</strong>e oder Anzahl Wohnungen), die erlauben<br />

zu sagen, ob eine Baute oder eine Anlage für die Öffentli<strong>ch</strong>keit bestimmt ist. In diesem<br />

Berei<strong>ch</strong> gibt es Kantone, wel<strong>ch</strong>e sogar sehr detaillierte Bestimmungen zu Gunsten<br />

der Behinderten kennen (beispielsweise NE 75).<br />

Mehrere Kantone s<strong>ch</strong>reiben vor, dass die Bedürfnisse der Behinderten bei der Erstellung<br />

oder der Erneuerung von Gebäuden oder Ges<strong>ch</strong>äftslokalen oder von Wohnblöcken<br />

berücksi<strong>ch</strong>tigt werden müssen. Zur Definition der Wohnblöcke werden<br />

au<strong>ch</strong> quantitative Kriterien herangezogen: So präzisieren beispielsweise gewisse<br />

kantonale Gesetzgebungen (BL76 oder SG77), dass es si<strong>ch</strong> hierbei um Häuser mit<br />

mindestens se<strong>ch</strong>s Wohnungen handelt. Ferner kommt es vor, dass der Staat gehalten<br />

69 Legge sull’integrazione sociale e professionale degli invalidi vom 14. März 1979<br />

(6.4.7.1).<br />

70 Art. 9 des Gesetzes<br />

71 Art. 10 des Gesetzes<br />

72 Art. 11 des Gesetzes<br />

73 Art. 35 des Behindertengesetzes (440.000).<br />

74 Einkaufszentren, Verwaltungsgebäude, Geri<strong>ch</strong>te, Kir<strong>ch</strong>en, S<strong>ch</strong>ulen, Spitäler, Sportanlagen,<br />

Warenhäuser, Parkplätze usw.<br />

75 Die Art. 20–22 des «Loi sur les constructions» vom 25 März 1996 (RSN 720.0) und die<br />

Art. 9–25 der dazugehörigen Vollzugsbestimmungen («Règlement d’exécution») vom<br />

16. Oktober 1996 (RSN 720.1) sehen vor, dass der Zugang zu Bauten für die an einer<br />

körperli<strong>ch</strong>en oder wahrnehmungsbedingten Beeinträ<strong>ch</strong>tigung leidenden Personen grundsätzli<strong>ch</strong><br />

gewährleistet sein muss.<br />

76 Par. 108 Abs. 2 des Raumplanungs- und Baugesetzes vom 8. Januar 1998 (400).<br />

77 Art. 55 bis des Gesetzes über die Raumplanung und das öffentli<strong>ch</strong>e Baure<strong>ch</strong>t vom 6. Juni<br />

1972 (sGS 731.1).<br />

1749


ist, diese Wohnungspolitik dur<strong>ch</strong> finanzielle Anreize zu ermutigen (beispielsweise<br />

GR und TI78). Diese Garantien zu Gunsten der Behinderten erfahren Differenzierungen unter dem<br />

Aspekt des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes: Dies bedeutet, dass darauf verzi<strong>ch</strong>tet<br />

werden kann, den Zugang zu einer Baute zu gewährleisten, wenn dies mit unverhältnismässig<br />

hohen Kosten verbunden ist, oder wenn andere s<strong>ch</strong>ützenswerte Interessen<br />

betroffen sind.<br />

Aus dieser Übersi<strong>ch</strong>t der vers<strong>ch</strong>iedenen kantonalen Regelungen im Bauberei<strong>ch</strong> geht<br />

eine Gemeinsamkeit hervor: Die Massnahmen zu Gunsten der Behinderten sind in<br />

der Mehrzahl klar zwingend (sodass bei ihrer Missa<strong>ch</strong>tung die Behörde die Baubewilligung<br />

verweigern kann). Den Behinderten selbst steht indessen oft keine Mögli<strong>ch</strong>keit<br />

offen, si<strong>ch</strong> zu wehren, da die kantonalen Gesetze ihnen keine subjektiven<br />

Re<strong>ch</strong>te einräumen. Kantone, die ein Bes<strong>ch</strong>werdere<strong>ch</strong>t vorsehen, sind selten: Dazu<br />

gehört der Kanton LU, der vorsieht, dass einem mit der Interessenwahrung der Behinderten<br />

im Bauberei<strong>ch</strong> beauftragten privaten Organ («Beratungsstelle für behindertengere<strong>ch</strong>tes<br />

Bauen») das Re<strong>ch</strong>t zukommt, Rekurs zu führen, wenn die Bauten<br />

den gesetzli<strong>ch</strong>en Anforderungen ni<strong>ch</strong>t genügen79. Desglei<strong>ch</strong>en auferlegt ein Gesetzesentwurf<br />

von BS «Entwurf eines Bau- und Planungsgesetzes», dem Staatsrat die<br />

Verpfli<strong>ch</strong>tung, ein Organ glei<strong>ch</strong>er Art zu bestimmen (ebenfalls «Beratungsstelle für<br />

behindertengere<strong>ch</strong>tes Bauen» genannt), mit ebenfalls analogem Bes<strong>ch</strong>werdere<strong>ch</strong>t.<br />

2.3.2.4 Ausbildung<br />

Im Erziehungsberei<strong>ch</strong> wird in fast allen Kantonen ein minimaler Standard gewährleistet,<br />

und zwar dank Staatsbeiträgen an Sonders<strong>ch</strong>ulen oder Heime.<br />

Ferner kennen die kantonalen Gesetzgebungen vers<strong>ch</strong>iedene Massnahmen im Hinblick<br />

auf eine mehr oder weniger klare Integration der behinderten Kinder in die ordentli<strong>ch</strong>en<br />

S<strong>ch</strong>ulklassen. Die Mehrheit der Kantone hat eine «gemis<strong>ch</strong>te» Lösung<br />

gewählt: Diese Kantone sehen die Gewährung einer besonderen Unterstützung an<br />

diese Kinder vor, um ihnen so die Integration in die Regelklassen zu ermögli<strong>ch</strong>en.<br />

Diese Regelung entspri<strong>ch</strong>t bis zu einem gewissen Grad dem Lösungsansatz, wie er<br />

etwa Anwendung findet, um die Integration von Kindern aus einer anderen Spra<strong>ch</strong>region<br />

zu erlei<strong>ch</strong>tern Es handelt si<strong>ch</strong> um besondere Kurse, die eine künftige Integration<br />

erlei<strong>ch</strong>tern sollen. Allerdings findet die Politik der Integration von behinderten<br />

Kindern allemal ihre Grenze im Umstand, dass die S<strong>ch</strong>were der Behinderung dem<br />

Unterri<strong>ch</strong>t der anderen S<strong>ch</strong>üler ni<strong>ch</strong>t ernstli<strong>ch</strong> entgegenstehen darf.<br />

Zu den Kantonen, wel<strong>ch</strong>e die s<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>e Integration der behinderten Kinder am<br />

stärksten vorantreiben, gehört beispielsweise SG80, der den Grundsatz der Subsidiarität<br />

der Spezialklassen aufgestellt hat. Der Spezialunterri<strong>ch</strong>t ist bestimmt für die<br />

geistig, psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>, physis<strong>ch</strong>, wahrnehmungs- oder artikulationsbehinderten Kinder<br />

78 GR: Art. 38 des Behindertengesetzes und TI: Art. 8b der LISPI sehen vor, dass der Kanton<br />

Beiträge an die behindertengere<strong>ch</strong>te Gestaltung von Wohnungsbauten leisten kann.<br />

79 Par. 157 und Par. 20 Abs. 1, lit. d des Planungs- und Baugesetzes vom 7. März 1989<br />

(SRL Nr. 735).<br />

80 Art. 37 des Volkss<strong>ch</strong>ulgesetzes vom 13. Januar 1983 (213.1) sieht die getrennte S<strong>ch</strong>ulung<br />

vor, do<strong>ch</strong> präzisiert Art. 40, dass der S<strong>ch</strong>ulrat jedes Jahr die Mögli<strong>ch</strong>keit prüfen muss, die<br />

S<strong>ch</strong>üler einer Sonders<strong>ch</strong>ule in einer Regels<strong>ch</strong>ule zu integrieren (respektive diejenigen einer<br />

Kleinklasse in einer Regelklasse).<br />

1750


oder Jugendli<strong>ch</strong>en, do<strong>ch</strong> muss die S<strong>ch</strong>uldirektion periodis<strong>ch</strong> überprüfen, ob diese<br />

Art S<strong>ch</strong>ulung weiterhin erforderli<strong>ch</strong> ist81. Au<strong>ch</strong> im Kanton TG82 ist vorgesehen, dass<br />

ein Kind nur dann gesondert ges<strong>ch</strong>ult wird, wenn seine S<strong>ch</strong>wierigkeiten, dem normalen<br />

Unterri<strong>ch</strong>t zu folgen, anders ni<strong>ch</strong>t gelöst werden können. Im Kanton TI83 wurden Stellen zur pädagogis<strong>ch</strong>en Unterstützung («servizi di sostegno pedadogico»)<br />

ges<strong>ch</strong>affen, mit dem Ziel, den Kindern, wel<strong>ch</strong>e besondere S<strong>ch</strong>wierigkeiten aufweisen,<br />

beim Unterri<strong>ch</strong>t zu helfen; do<strong>ch</strong> wird der S<strong>ch</strong>üler, sofern es die Art der Behinderung<br />

(«la natura dell invalidità») erlaubt, in eine Regelklasse mit besonderer Unterstützung<br />

aufgenommen84. LU und ZH85 gehen in die glei<strong>ch</strong>e Ri<strong>ch</strong>tung, sehen sie<br />

do<strong>ch</strong> vor, dass die S<strong>ch</strong>üler und S<strong>ch</strong>ülerinnen der Sonders<strong>ch</strong>ulen in die Regelklassen<br />

integriert werden müssen, sobald dies mögli<strong>ch</strong> ist. In der Gesetzgebung des Kantons<br />

VS86 wird sogar präzisiert, dass die vollständige oder teilweise Integration der Lernenden<br />

in die ordentli<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>ulstrukturen angestrebt wird: Die Integration wird<br />

dadur<strong>ch</strong> (im Rahmen des Mögli<strong>ch</strong>en) zu einer langfristig angestrebten Lösung.<br />

Die meisten Kantone s<strong>ch</strong>einen also die behinderten S<strong>ch</strong>üler, sobald als mögli<strong>ch</strong>, in<br />

die Regelklassen oder (-s<strong>ch</strong>ulen) integrieren zu wollen (wobei wohlverstanden nur<br />

diejenigen Behinderungen gemeint sind, wel<strong>ch</strong>e die Lernfähigkeit der betroffenen<br />

Behinderten ni<strong>ch</strong>t zu stark beeinträ<strong>ch</strong>tigen).<br />

Was die Kindergärten anbelangt, kann auf GR87 verwiesen werden, wel<strong>ch</strong>er präzisiert,<br />

dass die Integration der behinderter Kinder bereits ab dem Kindergarten zu<br />

fördern ist.<br />

Hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> des Lehrpersonals s<strong>ch</strong>reibt die Gesetzgebung von BE88 vor, dass die<br />

Grundausbildung den Lehrkörper ebenfalls darauf vorbereiten muss, die Eingliederung<br />

der behinderten Kinder und Jugendli<strong>ch</strong>en in die Regelklasse und den Regelunterri<strong>ch</strong>t<br />

zu erlei<strong>ch</strong>tern.<br />

2.3.2.5 Öffentli<strong>ch</strong>er Verkehr<br />

Au<strong>ch</strong> in diesem Berei<strong>ch</strong> wird den Bedürfnissen der behinderten Personen in den<br />

Kantonen sehr unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> Re<strong>ch</strong>nung getragen. Mehrere Kantone haben einen<br />

gezielten Lösungsansatz gewählt, indem sie vorsehen, dass die Fahrzeuge und Anlagen<br />

so bes<strong>ch</strong>affen sein müssen, dass sie au<strong>ch</strong> von den Behinderten benutzt werden<br />

81 Art. 20 des Gesetzes<br />

82 Par. 9 des Gesetzes über die Volkss<strong>ch</strong>ule und den Kindergarten vom 23. Mai 1995 (411.11).<br />

83 Art. 63 de la Legge della scuola vom 1.2.1990 (5.1.1.1)<br />

84 Art. 18 des Regolamento per l’educazione speciale vom 9.7.1975 (5.1.2.1). Ferner präzisiert<br />

Art. 29, dass diese pädagogis<strong>ch</strong>-therapeutis<strong>ch</strong>en Massnahmen dem behinderten<br />

S<strong>ch</strong>üler im Rahmen des Mögli<strong>ch</strong>en erlauben, die Normals<strong>ch</strong>ule zu besu<strong>ch</strong>en. Diese<br />

Massnahmen umfassten Therapien für die sensoris<strong>ch</strong>en, motoris<strong>ch</strong>en, wahrnehmungsbedingten<br />

und spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Probleme.<br />

85 LU: Par. 14 Abs. 1 der Verordnung über die Sonders<strong>ch</strong>ulung vom 21. Dezember 1999<br />

(SRL Nr. 409), der vorsieht, dass die behinderten Kinder, wel<strong>ch</strong>e fähig sind, dem Unterri<strong>ch</strong>t<br />

in einer Normalklasse mit besonderen integrativen pädagogis<strong>ch</strong>en Massnahmen zu<br />

folgen, dort integriert werden können. Im glei<strong>ch</strong>en Sinne ZH: Par. 13, Par. 14, Par. 18,<br />

Par. 23 und Par. 27 des Reglements über die Sonderklassen, die Sonders<strong>ch</strong>ulung und<br />

Stütz- und Förderungsmassnahmen vom 3. Mai 1984 (412.13).<br />

86 Art. 2 des Dekrets über die Sonders<strong>ch</strong>ulung vom 25. Juni 1986 (1083)<br />

87 Art. 1 des Gesetzes über die Kindergärten im Kanton Graubünden vom 17. Mai 1992 (420.500).<br />

88 Art. 9 Abs. 2 lit. A des Gesetzes über die Lehrerinnen- und Lehrerausbildung vom 9. Mai<br />

1995 (LLBG, 430.210.1).<br />

1751


können (Beispiel: BE89). Andere Kantone haben einen anderen Ansatz gewählt, und<br />

zwar insofern, als die besonderen Bedürfnisse der behinderten Personen beim Abs<strong>ch</strong>luss<br />

von Leistungsvereinbarungen berücksi<strong>ch</strong>tigt werden (so im Fall von ZH und<br />

LU90). Wieder andere Kantone sehen finanzielle Anreize von Seiten des Staates in<br />

Form von Subventionen für den Erwerb von Fahrzeugen dur<strong>ch</strong> Institutionen vor,<br />

wel<strong>ch</strong>e den Transport von behinderten Personen bezwecken (Beispiele: FR und<br />

SG91). Hinzuweisen ist no<strong>ch</strong> auf die von BS und BL bes<strong>ch</strong>lossene Lösung: Diese beiden<br />

Kantone haben am 13. Oktober 1998 eine «Vereinbarung über die Beitragsleistung<br />

an Fahrten von Behinderten» (BS, SG 953.930) abges<strong>ch</strong>lossen, wona<strong>ch</strong> sie für die<br />

Einri<strong>ch</strong>tung eines Angebots im Sinne eines Behindertentransportes sorgen (das<br />

heisst eine Art Taxi-Dienst, einen mit Privatmitteln organisierten öffentli<strong>ch</strong>en<br />

Transportdienst).<br />

2.3.2.6 Steuern<br />

In gewissen Kantonen sind für den steuerpfli<strong>ch</strong>tigen Behinderten oder für Personen,<br />

wel<strong>ch</strong>e ein behindertes Familienmitglied finanziell unterstützen, Steuererlei<strong>ch</strong>terungen<br />

vorgesehen. Im Allgemeinen sind diejenigen Kosten abziehbar, wel<strong>ch</strong>e si<strong>ch</strong> aus<br />

der Behinderung ergeben: In LU92 sind die mit der Invalidität verbundenen Kosten<br />

begrenzt abziehbar; in BS93 sind Abzüge für diejenigen Personen vorgesehen, wel<strong>ch</strong>e<br />

der Pflege bedürfen (für si<strong>ch</strong> selbst oder für einen Angehörigen); das Glei<strong>ch</strong>e<br />

gilt für den Kanton JU94, dessen Gesetzgebung bestimmt, dass die Behinderung der<br />

steuerpfli<strong>ch</strong>tigen Person oder ihres Ehegatten Anspru<strong>ch</strong> auf Abzüge gibt.<br />

Gewisse Kantone erlauben besondere Abzüge für die Motorfahrzeuge der behinderten<br />

Personen. So sehen mehrere Kantone die Befreiung von der Fahrzeugsteuer vor:<br />

Dies ist der Fall in BS95 sowie in NE96, wo die Personen mit einer s<strong>ch</strong>weren physi-<br />

89 Art. 5 Abs. 2 des Gesetzes über den öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr vom 16. September 1993<br />

(762.4), wona<strong>ch</strong> Fahrzeuge und Anlagen grundsätzli<strong>ch</strong> so zu gestalten sind, dass ihre Benützung<br />

au<strong>ch</strong> den Behinderten offen steht.<br />

90 ZH: Par. 13a der Verordnung über das Angebot im öffentli<strong>ch</strong>en Personenverkehr vom<br />

14. Dezember 1988 (740.3), wona<strong>ch</strong> die besonderen Bedürfnisse der behinderten Personen<br />

zu berücksi<strong>ch</strong>tigen und ihre Mobilität zu verbessern ist. LU: Par. 10 Abs. 2 des Gesetzes<br />

über den öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr und den s<strong>ch</strong>ienengebundenen Güterverkehr vom<br />

21. Mai 1996 (775), wona<strong>ch</strong> das Angebot der Verkehrsunternehmen auf die Bedürfnisse<br />

der mobilitätsbehinderten Personen Rücksi<strong>ch</strong>t nehmen muss.<br />

91 In FR bestimmt das Transportgesetz vom 20. September 1994 (780.1) in Art. 43, dass der<br />

Staatsrat Institutionen, die im Dienste des Behindertentransports stehen, einen Beitrag<br />

zur Ans<strong>ch</strong>affung von Spezialfahrzeugen gewähren kann. Desglei<strong>ch</strong>en sieht die sanktgallis<strong>ch</strong>e<br />

Gesetzgebung in Art. 15 des Gesetzes zur Förderung des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs vom<br />

25. September 1988 (sGS 710.5) die Mögli<strong>ch</strong>keit der Gewährung von Staatsbeiträgen im<br />

Falle von besonderen te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>en Massnahmen zu Gunsten der Behinderten vor; ein<br />

Grundsatz, der in Art. 2 bis des Einführungsgesetzes zum eidgenössis<strong>ch</strong>en Eisenbahngesetz<br />

vom 7. Februar 1971 wiederaufgenommen wurde (sGS 713.1).<br />

92 Par. 40 lit. h des Steuergesetzes (SRL Nr. 620)<br />

93 Par. 44 Abs. 1 Ziff. 4 des Gesetzes über die direkten Steuern vom 22. Dezember 1949<br />

(SG 640.100) und Par. 22a der dazugehörigen Verordnung (vom 30. Januar 1990,<br />

SG 64.110)<br />

94 Art. 34 Abs. 1 lit. g und 47 lit. d de la Loi d’impôt vom 26. Mai 1988 (RSJU 641.11)<br />

95 Gesetz über die Besteuerung der Motorfahrzeuge vom 17. November 1966 (SG 650.500)<br />

96 Art. 2 Ziff. 8 Loi sur la taxe des véhicules automobiles, des remorques et des bateaux<br />

vom 6. Oktober 1992 (RSN 761.20)<br />

1752


s<strong>ch</strong>en Behinderung keine Fahrzeugsteuer bezahlen, wenn das Fahrzeug für ihre<br />

Fortbewegung unabdingbar ist.<br />

S<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> finden si<strong>ch</strong> Gesetzgebungen, wel<strong>ch</strong>e eine Befreiung von der Blindenhundetaxe<br />

vorsehen: dies beispielsweise in BS97 und in TG98. 2.4 Die Initiative Suter und die Vernehmlassung<br />

von 1999<br />

2.4.1 Die parlamentaris<strong>ch</strong>e Initiative Suter<br />

Am 5. Oktober 1995 hat Nationalrat Marc Suter die parlamentaris<strong>ch</strong>e Initiative<br />

«Glei<strong>ch</strong>stellung der Behinderten» (95.418) eingerei<strong>ch</strong>t. Der Nationalrat hiess sie<br />

gut99 und verabs<strong>ch</strong>iedete eine neue Bestimmung (Art. 4 Abs. 3 aBV), die drei Elemente<br />

enthielt: ein Diskriminierungsverbot gegenüber körperli<strong>ch</strong>, geistig oder psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong><br />

behinderten Personen, den Gesetzgebungsauftrag, Bena<strong>ch</strong>teiligungen behinderter<br />

Personen dur<strong>ch</strong> Massnahmen und Anreize zu beseitigen oder auszuglei<strong>ch</strong>en,<br />

sowie ein subjektives Re<strong>ch</strong>t auf Zugang zu öffentli<strong>ch</strong>en Bauten, Anlagen und<br />

Dienstleistungen100. Im Ständerat wurde dieses Ges<strong>ch</strong>äft von der Kommission für<br />

soziale Si<strong>ch</strong>erheit und Gesundheit beraten. Sie beauftragte den Bundesrat mit der<br />

Dur<strong>ch</strong>führung einer Vernehmlassung zum Problem der Glei<strong>ch</strong>stellung behinderter<br />

und ni<strong>ch</strong>tbehinderter Personen (Vernehmlassung von 1999101; vgl. na<strong>ch</strong>folgende<br />

Ziffer). Na<strong>ch</strong> dem Vorliegen der Vernehmlassungsergebnisse und auf Grund des<br />

Vorents<strong>ch</strong>eides des Bundesrates, der Volksinitiative «Glei<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te für Behinderte»<br />

einen Gegenentwurf gegenüberzustellen, bes<strong>ch</strong>loss der Ständerat am 6. Juni<br />

2000, auf den aus der parlamentaris<strong>ch</strong>en Initiative Suter hervorgegangenen Verfassungsartikel<br />

ni<strong>ch</strong>t einzutreten102. Wir betra<strong>ch</strong>ten diese Initiative in der Fassung, wie sie der Nationalrat 1998 angenommen<br />

hat, als zu weit gehend, da sie wie die Volksinitiative s<strong>ch</strong>on auf Verfassungsstufe<br />

ein subjektives Re<strong>ch</strong>t einräumt103. Ein sol<strong>ch</strong>es Re<strong>ch</strong>t wirft hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong><br />

der Anwendung zahlrei<strong>ch</strong>e Fragen auf; wir verweisen hier auf die Begründung, die<br />

uns zur Ablehnung der Volksinitiative veranlasst104. Wir ziehen die Idee eines Gesetzes,<br />

das den Grundsatz der Glei<strong>ch</strong>stellung Behinderter und ni<strong>ch</strong>t Behinderter umsetzt,<br />

einer kaum justiziablen Verfassungsbestimmung vor105. 97 Par. 6 lit. b des Gesetzes betreffend das Halten von Hunden vom 21. Januar 1982<br />

(SG 365.100)<br />

98 Par. 9 lit. g der Verordnung des Regierungsrates über das Halten von Hunden vom<br />

16. Oktober 1984 (641.21)<br />

99 AB 1996 N 1160<br />

100 AB 1998 N 1794; Beri<strong>ch</strong>t und Bes<strong>ch</strong>lussesentwurf der Kommission für soziale Si<strong>ch</strong>erheit<br />

und Gesundheit, BBl 1998 2437<br />

101 BBl 1999 5316<br />

102 AB 2000 S 269 ff. Im Zeitpunkt der Verabs<strong>ch</strong>iedung dieser Bots<strong>ch</strong>aft war die Differenz<br />

zwis<strong>ch</strong>en Ständerat und Nationalrat zu diesem Ges<strong>ch</strong>äft no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t bereinigt.<br />

103 Mündli<strong>ch</strong>e Stellungnahme des Bundesrates anlässli<strong>ch</strong> der Behandlung der<br />

parlamentaris<strong>ch</strong>en Initiative im Plenum des Nationalrates; AB 1998 NR 1794 ff.<br />

104 Vgl. Ziff. 3, insbesondere 3.3 und 3.4<br />

105 AB 1998 NR 1800 f.<br />

1753


2.4.2 Die Vernehmlassung von 1999<br />

2.4.2.1 Allgemeines<br />

Die im Herbst 1999 dur<strong>ch</strong>geführte Vernehmlassung zur Frage der Glei<strong>ch</strong>stellung der<br />

Behinderten diente dazu, den Handlungsbedarf und die gewüns<strong>ch</strong>te Regelungsebene<br />

abzuklären sowie erste Anhaltspunkte zu den finanziellen Auswirkungen neuer<br />

Massnahmen zu erhalten. Insgesamt haben 74 von 164 anges<strong>ch</strong>riebenen Institutionen<br />

Stellung genommen. Die Ergebnisse wurden im Beri<strong>ch</strong>t des EJPD vom 28. Januar<br />

2000 «Glei<strong>ch</strong>stellung der Behinderten, Auswertung der Vernehmlassung vom<br />

Herbst 1999» zusammengefasst 106.<br />

2.4.2.2 Re<strong>ch</strong>tsgrundlagen auf Verfassungsstufe<br />

Die Volksinitiative «Glei<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te für Behinderte» oder eine inhaltli<strong>ch</strong> ähnli<strong>ch</strong>e<br />

Regelung gemäss parlamentaris<strong>ch</strong>er Initiative Suter (vgl. Ziff. 2.4.1) wurden von der<br />

SP sowie von zehn Organisationen befürwortet. Für subjektive Re<strong>ch</strong>te auf Verfassungsstufe<br />

traten ferner die Kantone GL und BE sowie 15 Organisationen ein.<br />

Zahlrei<strong>ch</strong>e Vernehmlasser waren demgegenüber ausdrückli<strong>ch</strong> der Meinung, Artikel<br />

8 BV biete eine genügende Re<strong>ch</strong>tsgrundlage für ein Gesetzgebungsprogramm<br />

über die Beseitigung von Bena<strong>ch</strong>teiligungen Behinderter (ZH, BL, SH, VD, FR,<br />

AR, GE, UR, SZ, TG, NE, TI; FDK, SDK; CVP, SVP, LPS; 6 Organisationen).<br />

Auf Ablehnung stiess ein subjektives Re<strong>ch</strong>t im Sinne der Volksinitiative bei bürgerli<strong>ch</strong>en<br />

Parteien (FDP, CVP, SVP) sowie in Wirts<strong>ch</strong>aftskreisen (6 Organisationen).<br />

Etli<strong>ch</strong>e Vernehmlasser äusserten si<strong>ch</strong> gegen eine Verfassungsreform, solange Artikel<br />

8 BV no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t umgesetzt ist.<br />

2.4.2.3 Künftige Gesetzgebung<br />

Die ständerätli<strong>ch</strong>e Kommission spra<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong> in ihrem Beri<strong>ch</strong>t für die sofortige Erarbeitung<br />

eines konkreten Gesetzgebungsprogramms in der Form eines indirekten Gegenvors<strong>ch</strong>lags<br />

zur Volksinitiative «Glei<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te für Behinderte» aus. Diese Eins<strong>ch</strong>ätzung<br />

teilten zahlrei<strong>ch</strong>e Vernehmlasser (SH, ZG, ZH, SZ, TG; FDK, SDK;<br />

FDP, SVP, CVP, LPS; 4 Organisationen). Weitere Vernehmlasser befürworteten ein<br />

Gesetzgebungsprogramm (BL, TG, SZ, NE, TI, VD, LU; SP; 18 Organisationen),<br />

wobei die meisten Vernehmlasser ein ras<strong>ch</strong>es Vorgehen wüns<strong>ch</strong>ten. Eine Mehrheit<br />

der Vernehmlasser spra<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong> für ein Spezialgesetz, allenfalls kombiniert mit der<br />

Revision bestehender Gesetze, aus.<br />

Der Handlungsbedarf wurde von einer Mehrheit der Vernehmlasser bejaht. Im Vordergrund<br />

standen die Berei<strong>ch</strong>e öffentli<strong>ch</strong>er Verkehr, Bauten (verbesserter Vollzug,<br />

evtl. Bes<strong>ch</strong>werdere<strong>ch</strong>t für Behindertenorganisationen), Wohnen (u.a. Assistenzents<strong>ch</strong>ädigung),<br />

Arbeit (mit S<strong>ch</strong>werpunkt auf Anreizsystemen), Kommunikation, Berufsbildung<br />

und S<strong>ch</strong>ulwesen (integrierte S<strong>ch</strong>ulung).<br />

106 Dieser Beri<strong>ch</strong>t kann auf der Internetseite des Bundesamtes für Justiz konsultiert werden<br />

(http://www.bj.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>).<br />

1754


Bei der Frage, ob Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen besondere subjektive Re<strong>ch</strong>te einzuräumen<br />

seien, waren die Meinungen geteilt. Etli<strong>ch</strong>e Vernehmlasser befürworteten<br />

subjektive Re<strong>ch</strong>te grundsätzli<strong>ch</strong>, andere nur auf Gesetzesstufe. Andere wiederum<br />

spra<strong>ch</strong>en si<strong>ch</strong> für ein subjektives Re<strong>ch</strong>t auf Zugang zu Bauten und Anlagen aus.<br />

Au<strong>ch</strong> in der Frage, ob subjektive Re<strong>ch</strong>te erst na<strong>ch</strong> einer Übergangsfrist eingeführt<br />

werden sollten, waren die Meinungen geteilt. Eine weitere Gruppe von Vernehmlassern<br />

lehnte eine Drittwirkung subjektiver Re<strong>ch</strong>te gegenüber Privaten ab.<br />

Zahlrei<strong>ch</strong>e Vernehmlasser wiesen darauf hin, dass die Kostenfolgen im damaligen<br />

Zeitpunkt no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t abs<strong>ch</strong>ätzbar waren. Einige Vernehmlasser gingen von verhältnismässig<br />

bes<strong>ch</strong>eidenen Mehrkosten (2–5% der Gesamtkosten) für Neubauten aus.<br />

Je na<strong>ch</strong> Ausbaustandard wurden die Kosten für den öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr auf<br />

75 Millionen bis gegen 4 Milliarden Franken ges<strong>ch</strong>ätzt. Na<strong>ch</strong> Ansi<strong>ch</strong>t einiger Vernehmlasser<br />

würden die Mehrkosten einer stärkeren s<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>en Integration dur<strong>ch</strong><br />

Einsparungen bei den Sonders<strong>ch</strong>ulen kompensiert. Viele Vernehmlasser gingen davon<br />

aus, dass eine stärkere Integration der Behinderten zu volkswirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />

Einsparungen oder mindestens zu keinen Mehrkosten führt.<br />

3 Analyse und Würdigung der Volksinitiative<br />

3.1 Re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Analyse<br />

3.1.1 Auslegung des Initiativtextes<br />

3.1.1.1 Allgemeines<br />

Die Initiative s<strong>ch</strong>lägt die Einführung eines neuen Artikels 4bis 107 in der Bundesverfassung<br />

vor, wel<strong>ch</strong>er in drei Absätzen ein Grundre<strong>ch</strong>t auf Glei<strong>ch</strong>stellung formuliert,<br />

das vorbehältli<strong>ch</strong> von Absatz 1 besonders auf die behinderten Personen geri<strong>ch</strong>tet ist.<br />

Dieser Artikel 4bis stipuliert somit, gemessen am allgemeinen Glei<strong>ch</strong>stellungsgrundsatz<br />

von Artikel 4 aBV, eine Spezialgarantie zu Gunsten der Behinderten.<br />

Dur<strong>ch</strong> seine Platzierung (ans<strong>ch</strong>liessend an den Art. 4 aBV), seinen Geltungsberei<strong>ch</strong><br />

(S<strong>ch</strong>utz der Person, Wirkungen, die direkt auf der Verfassung gründen), seinen<br />

Wortlaut (Diskriminierung, Glei<strong>ch</strong>stellung, Gewährleistung) sowie dur<strong>ch</strong> den Initiativtitel<br />

selbst («Glei<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te für Behinderte») postuliert der Artikel die Einführung<br />

eines Grundre<strong>ch</strong>ts. Dieses Re<strong>ch</strong>t ist dazu bestimmt, diejenigen Wirkungen auf<br />

den politis<strong>ch</strong>en Prozess zu entfalten, wel<strong>ch</strong>e die Verfassung den Grundre<strong>ch</strong>ten im<br />

Allgemeinen zuerkennt: Es soll in der ganzen Re<strong>ch</strong>tsordnung zur Geltung kommen<br />

(Art. 35 Abs. 1 BV); es ist allen Behörden der vers<strong>ch</strong>iedenen Gemeinwesen (Bund,<br />

Kantonen, Gemeinden) sowie den privaten Personen, die staatli<strong>ch</strong>e Aufgaben erfüllen,<br />

aufgegeben (Art. 35 Abs. 2 BV); und es ist, so weit es si<strong>ch</strong> dazu eignet,<br />

s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> auf die Beziehungen unter Privaten wirksam (Art. 35 Abs. 3 BV).<br />

107 Die Frage der formellen Integration der neuen Bestimmung in die neue Bundesverfassung,<br />

eins<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> das Problem von Platzierung und Nummerierung, wird in Ziff. 3.2<br />

betreffend die Auswirkungen der neuen Verfassung auf die Initiative behandelt.<br />

1755


3.1.1.2 Das Diskriminierungsverbot (Abs. 1)<br />

Absatz 1 stipuliert den Grundsatz, wona<strong>ch</strong> niemand diskriminiert werden darf, und<br />

zählt neun Tatbestände (oder Kriterien) auf, die geeignet sind, zu Diskriminierungen<br />

zu führen, das heisst, Herkunft, Rasse, Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t, Spra<strong>ch</strong>e, Alter, soziale Stellung,<br />

Lebensform, religiöse, weltans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>e oder politis<strong>ch</strong>e Überzeugung, körperli<strong>ch</strong>e,<br />

geistige oder psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Behinderung.<br />

Der persönli<strong>ch</strong>e Geltungsberei<strong>ch</strong> von Absatz 1 ist allgemein und bezieht si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

nur auf die Behinderten. Der Vors<strong>ch</strong>lag, eine sol<strong>ch</strong>e Generalklausel einzuführen, erklärt<br />

si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> die Tatsa<strong>ch</strong>e, dass die Initiative no<strong>ch</strong> vor dem Hintergrund der alten<br />

Bundesverfassung von 1874, die keine verglei<strong>ch</strong>bare Formulierung kannte.<br />

Da die Liste mit den Kriterien, die geeignet sind, zu Diskriminierungen zu führen,<br />

mit der Formulierung «namentli<strong>ch</strong>» beginnt, ist sie ni<strong>ch</strong>t abs<strong>ch</strong>liessend. Sie führt<br />

einfa<strong>ch</strong> Kriterien auf, wel<strong>ch</strong>e erfahrungsgemäss oft Ursa<strong>ch</strong>en für Diskriminierungen<br />

sind. Ferner s<strong>ch</strong>afft die Aufzählung keine Prioritäten zwis<strong>ch</strong>en den vers<strong>ch</strong>iedenen<br />

Kriterien, wel<strong>ch</strong>e somit grundsätzli<strong>ch</strong> glei<strong>ch</strong>wertig sind.<br />

Was den Begriff der Diskriminierung anbelangt, wird er in der Bestimmung selbst<br />

ni<strong>ch</strong>t definiert. Allerdings haben wir keine Anhaltspunkte für die Annahme, die Urheber<br />

der Initiative würden dieser Begriffsbestimmung einen Sinn verleihen, der<br />

vom allgemein übli<strong>ch</strong>en Begriff abwi<strong>ch</strong>e. Im Gegenteil: Angesi<strong>ch</strong>ts des Werdegangs<br />

der Initiative muss angenommen werden, dass der Begriff der Diskriminierung im<br />

Sinne der Volksinitiative demjenigen von Artikel 8 Absatz 2 der Verfassung entspri<strong>ch</strong>t.<br />

Es geht somit um qualifizierte, mithin offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e oder besonders s<strong>ch</strong>ockierende,<br />

die eine herabwürdigende Wirkung haben können.<br />

Absatz 1 ist eine direkt anwendbare Bestimmung, das heisst, er kann vor dem Ri<strong>ch</strong>ter<br />

angerufen werden, ohne dass dazu no<strong>ch</strong> ein gesetzli<strong>ch</strong>er Erlass zur Umsetzung<br />

erforderli<strong>ch</strong> wäre.<br />

3.1.1.3 Der Gesetzgebungsauftrag (Abs. 2)<br />

Absatz 2 setzt si<strong>ch</strong> aus zwei Sätzen zusammen: Der erste erteilt dem Gesetzgeber<br />

den klaren Auftrag, für die Glei<strong>ch</strong>stellung der Behinderten zu sorgen; der zweite<br />

sieht Massnahmen zur Beseitigung und zum Ausglei<strong>ch</strong> bestehender Bena<strong>ch</strong>teiligungen<br />

vor.<br />

3.1.1.3.1 Erster Satz<br />

Der erste Satz hat die Gesetzgeber der vers<strong>ch</strong>iedenen Gemeinwesen im Auge. Er<br />

enthält keinerlei Zuordnung materieller Gesetzgebungskompetenz und bringt somit<br />

keine Veränderung der verfassungsmässigen Kompetenzaufteilung mit si<strong>ch</strong>108. Dieser Satz stellt ein erstes Auslegungsproblem, und zwar wegen der Divergenz<br />

zwis<strong>ch</strong>en dem deuts<strong>ch</strong>en Text, der den Ausdruck «Glei<strong>ch</strong>stellung» 109 verwendet,<br />

108 Vgl. Au<strong>ch</strong> BBl 1997 III 568, I 136/137, 1993 I 1321 f., 1980 I 132; vgl. au<strong>ch</strong> Ziff. 8.1.1.<br />

109 Vgl. den Wortlaut der Volksinitiative in der deuts<strong>ch</strong>en Fassung im Bundesblatt, BBl<br />

1999 7312, 1998 3967.<br />

1756


und dem französis<strong>ch</strong>en und dem italienis<strong>ch</strong>en Text, die auf den Ausdruck «égalité de<br />

droit» 110 bzw. «parità dei diritti» 111 zurückgreifen. Der Titel der Initiative «Glei<strong>ch</strong>e<br />

Re<strong>ch</strong>te für Behinderte» («Droits égaux pour les personnes handicapées» / « Parità di<br />

diritti per i disabili») könnte vorerst nahe legen, dass nur eine re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Glei<strong>ch</strong>stellung<br />

anvisiert wird. Der Titel einer Volksinitiative muss jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t notwendigerweise<br />

über alle ihre inhaltli<strong>ch</strong>en Elemente Auskunft geben, sondern kann si<strong>ch</strong> darauf<br />

bes<strong>ch</strong>ränken, die hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Idee auszudrücken112. Wie wir in der Folge sehen<br />

werden, besteht die eigentli<strong>ch</strong>e Idee der Initiative in einer spezifis<strong>ch</strong>en Gewährleistung<br />

des Glei<strong>ch</strong>stellungsprinzips, eins<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> die tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Glei<strong>ch</strong>stellung.<br />

Dazu kommt, dass die Initiative in der deuts<strong>ch</strong>en Fassung vorgestellt wurde, während<br />

die französis<strong>ch</strong>e und die italienis<strong>ch</strong>e Fassung Übersetzungen sind113. Für die<br />

Interpretation des Textes ist somit die deuts<strong>ch</strong>e Version massgebli<strong>ch</strong>, und es ist zu<br />

bedenken, dass Artikel 4bis Absatz 2 erster Satz die Glei<strong>ch</strong>stellung, und ni<strong>ch</strong>t nur die<br />

Glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigung, gewährleistet.<br />

Ein zweites Auslegungsproblem betrifft den Gehalt selbst des Begriffs der Glei<strong>ch</strong>stellung<br />

(égalité) im Kontext der Initiative. Gemäss einer gängigen Auslegung unters<strong>ch</strong>ied<br />

si<strong>ch</strong> der Begriff «Glei<strong>ch</strong>stellung» («égalité» / «uguaglianza») von demjenigen<br />

der «Glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigung» und meinte bis zur Annahme der neuen Verfassung eine<br />

tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Glei<strong>ch</strong>stellung. Diese Unters<strong>ch</strong>eidung ging aus Artikel 4 Absatz 2 aBV<br />

(Glei<strong>ch</strong>stellung der Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ter) klar hervor, wona<strong>ch</strong> der erste Satz die Glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigung<br />

(«… glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigt»), der zweite die tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Glei<strong>ch</strong>stellung<br />

(«Glei<strong>ch</strong>stellung») gewährleistete114. Mit dem Inkrafttreten der neuen Verfassung<br />

haben si<strong>ch</strong> die Dinge jedo<strong>ch</strong> geändert. Artikel 8 Absatz 3 zweiter Satz präzisiert nun<br />

den Begriff «Glei<strong>ch</strong>stellung» im Sinne einer «re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en und tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Glei<strong>ch</strong>stellung»<br />

(«egalité de droit et de fait» / «uguaglianza di diritto e di fatto»). Dies führt<br />

zur Feststellung, dass die Einfügung dieser beiden Begriffe (re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> und tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>)<br />

zu einer Neutralisierung des Hauptbegriffs (Glei<strong>ch</strong>stellung) geführt hat, der<br />

seither ni<strong>ch</strong>t mehr darauf bes<strong>ch</strong>ränkt ist, einzig die tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Glei<strong>ch</strong>stellung zu<br />

bezei<strong>ch</strong>nen. Im Zeitpunkt der Lancierung der Volksinitiative (Sommer 1998) bestand<br />

zwis<strong>ch</strong>en den beiden Räten bezügli<strong>ch</strong> Artikel 8 Absatz 3 zweiter Satz BV jedo<strong>ch</strong><br />

no<strong>ch</strong> eine Differenz hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> der Bedeutung des Begriffs der Glei<strong>ch</strong>stellung115.<br />

Somit bestand, was die Tragweite des Begriffs der «Glei<strong>ch</strong>stellung» betraf,<br />

keine Gewissheit. Daher muss Artikel 4bis Absatz 2 unabhängig von der in Artikel 8<br />

Absatz 3 zweiter Satz BV verwendeten Terminologie ausgelegt werden.<br />

Nun zeigt eine unabhängige und systematis<strong>ch</strong>e Auslegung des Initiativtextes, dass<br />

Absatz 2 auf eine Glei<strong>ch</strong>stellung zielt, wel<strong>ch</strong>e si<strong>ch</strong> von der blossen Glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>ti-<br />

110 Vgl. oben Ziff. 1.1.1<br />

111 Vgl. den Wortlaut der Volksinitiative in der italienis<strong>ch</strong>en Fassung im Bundesblatt,<br />

FF 1999, 6256, 1998 3117.<br />

112 Soweit er nur die Behinderten erwähnt, trägt der Titel der Initiative au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t dem allgemeinen<br />

Charakter des Diskriminierungsverbots von Abs. 1 Re<strong>ch</strong>nung. Aber es ist klar,<br />

dass die allgemeine Tragweite dieser Klausel ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> den eins<strong>ch</strong>ränkenden Initiativtitel<br />

in Frage gestellt werden darf. Es sei no<strong>ch</strong> angefügt, dass der Titel einer Volksinitiative<br />

in seinem allgemein verständli<strong>ch</strong>en Sinn zu begreifen ist. So umfasst die Formulierung<br />

«Glei<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te für Behinderte» für viele Leser au<strong>ch</strong> die materiellen Mittel,<br />

deren diese Personen bedürfen, um ihre Re<strong>ch</strong>te auszuüben.<br />

113 In Übereinstimmung mit Art. 23 Abs. 2 der Verordnung vom 24. Mai 1978 über die politis<strong>ch</strong>en<br />

Re<strong>ch</strong>te (SR 161.11) wurden die Übersetzungen von den Initianten genehmigt.<br />

114 BGE 125 I 21, Erw. 3a, 24 f., mit zahlrei<strong>ch</strong>en Hinweisen auf Re<strong>ch</strong>tspre<strong>ch</strong>ung und Doktrin;<br />

BBl 1993 I 1262, 1320 f.<br />

115 AB NR 1998 1756–1765, 2364–2366; SR 1998 691.<br />

1757


gung unters<strong>ch</strong>eidet, und zwar aus folgenden Gründen: Erstens fliesst die von der Initiative<br />

vorges<strong>ch</strong>lagene Garantie der «Glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigung» s<strong>ch</strong>on aus dem allgemeinen<br />

Glei<strong>ch</strong>stellungsgrundsatz von Artikel 4 aBV und dem in Artikel 4 bis Absatz 1<br />

verankerten, von der Initiative postulierten Diskriminierungsverbot; mit Artikel 4 bis<br />

Absatz 2 erster Satz muss somit logis<strong>ch</strong>erweise etwas anderes als die Glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigung<br />

gemeint sein, ansonsten die Bestimmung s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> dreifa<strong>ch</strong> wiederholt<br />

würde; s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> implizieren die gewählten Begriffe, wona<strong>ch</strong> das Gesetz Massnahmen<br />

zur Beseitigung und zum Ausglei<strong>ch</strong> bestehender Bena<strong>ch</strong>teiligungen vorsieht<br />

(«Elle prévoit des mesures en vue de l élimination et de la correction des inégalités<br />

existantes» / «Prevede provvedimenti per eliminare e compensare svantaggi nei loro<br />

confronti»), eine von der blossen re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Glei<strong>ch</strong>stellung unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e<br />

Glei<strong>ch</strong>stellung, verlangen do<strong>ch</strong> Beseitigung und Ausglei<strong>ch</strong>116 von re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> diskriminierenden<br />

Bestimmungen keine «Massnahmen», sondern ganz einfa<strong>ch</strong> die Ersetzung<br />

dieser fehlerhaften Bestimmungen dur<strong>ch</strong> sol<strong>ch</strong>e, die mit dem Grundsatz der<br />

re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Glei<strong>ch</strong>stellung vereinbar sind; ferner sind die Absi<strong>ch</strong>ten der Urheber der<br />

Initiative klar: Sie zielen au<strong>ch</strong> auf die Garantie einer tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Glei<strong>ch</strong>stellung117. Was die anvisierten Berei<strong>ch</strong>e anbelangt, ist der Initiativtext offen. Er konzentriert<br />

si<strong>ch</strong> auf keinen bestimmten Berei<strong>ch</strong> gesetzgeberis<strong>ch</strong>er Tätigkeit, s<strong>ch</strong>liesst aber au<strong>ch</strong><br />

keinen aus; ebenso wenig legt er bestimmte Prioritäten fest. Mit anderen Worten:<br />

Die Gesetzgeber sind dazu aufgerufen, in allen Re<strong>ch</strong>tsberei<strong>ch</strong>en zu legiferieren, einges<strong>ch</strong>lossen<br />

diejenigen, wel<strong>ch</strong>e die Beziehungen zwis<strong>ch</strong>en den Privaten normieren<br />

(indirekte Drittwirkung der Grundre<strong>ch</strong>te). Angesi<strong>ch</strong>ts des offenen Charakters dieses<br />

Auftrags verfügen die Gesetzgeber jedo<strong>ch</strong> über ein grosses Ermessen, was Rangordnung<br />

und Rhythmus in der Umsetzung der Verfassungsbestimmung anbelangt. Je<br />

na<strong>ch</strong> politis<strong>ch</strong>en Kräfteverhältnissen wird dieser Spielraum somit von Behörde zu<br />

Behörde unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> genutzt werden.<br />

3.1.1.3.2 Zweiter Satz<br />

Der zweite Satz präzisiert den Inhalt des ersten insofern, als er den Grundsatz der<br />

Gewährung von Massnahmen zur Beseitigung oder zum Ausglei<strong>ch</strong> 118 von Bena<strong>ch</strong>teiligungen<br />

stipuliert. Dadur<strong>ch</strong> unterstrei<strong>ch</strong>t der Initiativtext ausdrückli<strong>ch</strong> einen<br />

wi<strong>ch</strong>tigen Aspekte der Politik bei der Verwirkli<strong>ch</strong>ung der Grundre<strong>ch</strong>te: Die Gemeinwesen<br />

müssen ni<strong>ch</strong>t nur ein Verhalten an den Tag legen, das der Glei<strong>ch</strong>stellung<br />

ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>adet (Pfli<strong>ch</strong>t zur Enthaltung), sondern sie müssen darüber hinaus ein aktives<br />

Verhalten entwickeln, um die Glei<strong>ch</strong>stellung zu verwirkli<strong>ch</strong>en. Indem die Beseitigung<br />

(besser: der Ausglei<strong>ch</strong>) bestehender Bena<strong>ch</strong>teiligungen verlangt wird,<br />

116 Siehe zu diesem Begriff Ziff. 3.1.1.3.2 und die diesbezügli<strong>ch</strong>e Bemerkung.<br />

117 In den auf den Unters<strong>ch</strong>riftenbögen aufgedruckten Kommentaren war ausdrückli<strong>ch</strong> die<br />

Rede von «Chancenglei<strong>ch</strong>heit» («Dirittto di avere pari opportunita»). Zur Frage der formellen<br />

Anpassung des Textes der Volksinitiative an die neue Verfassung und zum Problem<br />

der französis<strong>ch</strong>en und italienis<strong>ch</strong>en Übersetzung konsultiert, hat das Initiativkomitee<br />

ausdrückli<strong>ch</strong> präzisiert, dass «das von der Volksinitiative angestrebte Ziel klar die<br />

Verwirkli<strong>ch</strong>ung der Glei<strong>ch</strong>stellung ist, und zwar glei<strong>ch</strong>zeitig in re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>er und in tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er<br />

Hinsi<strong>ch</strong>t».<br />

118 Der deuts<strong>ch</strong>e Text als Originaltext verwendet das Substantiv «Ausglei<strong>ch</strong>» (im Italienis<strong>ch</strong>en<br />

übersetzt mit «compensare»). Der französis<strong>ch</strong>e Text, wel<strong>ch</strong>er den Begriff «correction»<br />

verwendet, drückt die Idee des Ausglei<strong>ch</strong>s aber nur annähernd aus. Um diese Bestimmung<br />

zu begreifen, ist es deshalb erforderli<strong>ch</strong>, die Idee des «Ausglei<strong>ch</strong>s» vor Augen<br />

zu haben.<br />

1758


muss der Staat unter Umständen sogar positive Massnahmen zur Förderung der<br />

Glei<strong>ch</strong>stellung ergreifen. Der Artikel belässt dem Gesetzgeber, was die Wahl der<br />

Mittel anbelangt, allerdings einen grossen Spielraum, umfasst do<strong>ch</strong> der Begriff<br />

«Massnahmen» sowohl Zwangsmittel (Verpfli<strong>ch</strong>tung, na<strong>ch</strong> den Bedürfnissen der<br />

unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> Behinderten zu bauen, Bes<strong>ch</strong>äftigtenquote usw.) als au<strong>ch</strong> Vorkehren<br />

rein anregender Natur (Direkthilfen, Steuererlei<strong>ch</strong>terungen oder -vorteile usw.). Die<br />

Wahl der Mittel hängt ab vom Ermessensspielraum der Gesetzgeber und bleibt ein<br />

politis<strong>ch</strong>er Ents<strong>ch</strong>eid.<br />

3.1.1.4 Gewährleistung eines subjektiven Re<strong>ch</strong>ts (Abs. 3)<br />

Absatz 3 gewährleistet, soweit wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> zumutbar, den Zugang zu Bauten und<br />

Anlagen oder die Inanspru<strong>ch</strong>nahme von Einri<strong>ch</strong>tungen und Leistungen, die für die<br />

Öffentli<strong>ch</strong>keit bestimmt sind.<br />

Selbst wenn diese Bestimmung einen eigenen Absatz in der Verfassungsnorm bildet,<br />

stellt sie eine Konkretisierung des Absatzes 2 von Artikel 4bis und ni<strong>ch</strong>t von Absatz<br />

1 dar. Diese Auffassung wird gestützt dur<strong>ch</strong> den Umstand, dass der Initiativtext einer<br />

Logik folgt, wel<strong>ch</strong>e vom Allgemeinen (Abs. 1) zum Besonderen (Abs. 2) geht.<br />

Davon ausgehend, ers<strong>ch</strong>eint es klar, dass die Gewährleistung des Zugangs nur die<br />

Behinderten im Auge hat119 und ni<strong>ch</strong>t alle Personen, wel<strong>ch</strong>e mögli<strong>ch</strong>erweise unter<br />

Diskriminierungen gemäss Absatz 1 zu leiden haben.<br />

Wörtli<strong>ch</strong> genommen gewährleistet Absatz 3 des Initiativtextes ni<strong>ch</strong>t ausdrückli<strong>ch</strong><br />

das Re<strong>ch</strong>t auf den Zugang120, sondern bloss den Zugang zu Anlagen und Leistungen,<br />

die für die Öffentli<strong>ch</strong>keit bestimmt sind. Obwohl der Begriff «Re<strong>ch</strong>t» selbst<br />

fehlt, darf denno<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t in Abrede gestellt werden, dass diese Bestimmung den Behinderten<br />

ein subjektives, direkt auf die Verfassung gestütztes Re<strong>ch</strong>t einräumt. Im<br />

Grundre<strong>ch</strong>tsberei<strong>ch</strong> kommt die Garantie eines Grundsatzes des materiellen Re<strong>ch</strong>ts<br />

nämli<strong>ch</strong> in Wirkli<strong>ch</strong>keit der S<strong>ch</strong>affung eines subjektiven Re<strong>ch</strong>ts glei<strong>ch</strong>: Den Zugang<br />

zu gewährleisten heisst, ein Re<strong>ch</strong>t auf Zugang anzuerkennen. Dasselbe gilt bei der<br />

Gewährleistung der Eigentumsgarantie gemäss Artikel 26 Absatz 1 BV, der den Begriff<br />

«Re<strong>ch</strong>t» ebenfalls ni<strong>ch</strong>t erwähnt. Dazu kommt, dass die Urheber der Initiative<br />

ihre Auffassung betreffend subjektives Re<strong>ch</strong>t in Absatz 3, den sie zum Kernstück ihrer<br />

Initiative erhoben haben, unmissverständli<strong>ch</strong> dargetan haben121. Was den materiellen Geltungsberei<strong>ch</strong> dieses Re<strong>ch</strong>ts anbelangt, ist er ebenfalls offen,<br />

wie wir das bereits weiter oben hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> des Auftrags gesehen haben; der Initiativtext<br />

s<strong>ch</strong>liesst keine Kategorie von Leistungen aus, zieht aber au<strong>ch</strong> keine vor.<br />

Anvisiert sind Werke aller Art (Häuser, Gebäude, Läden, Bahnhöfe, Säle, Stadien,<br />

S<strong>ch</strong>wimmbäder, Denkmäler, Parks, Anlagen usw.) sowie au<strong>ch</strong> alle Arten von<br />

119 Vgl. au<strong>ch</strong> das Dossier des Vereins Volksinitiative, «Der Zugang zu Bauten und Anlagen<br />

oder die Inanspru<strong>ch</strong>nahme von Einri<strong>ch</strong>tungen und Leistungen, die für die Öffentli<strong>ch</strong>keit<br />

bestimmt sind …».<br />

120 Im Gegensatz zum Anspru<strong>ch</strong> auf glei<strong>ch</strong>en Lohn gemäss Art. 8 Abs. 3 dritter Satz BV<br />

(Art. 4 Abs. 2 dritter Satz aBV).<br />

121 Dossier des Vereins Volksinitiative, insbesondere: «Ni<strong>ch</strong>t auf halbem Wege stehen bleiben<br />

– Warum wir heute unsere Volksinitiative «Glei<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te für Behinderte» und «Zugang<br />

zu Bauten und Anlagen oder Inanspru<strong>ch</strong>nahme von Einri<strong>ch</strong>tungen und Leistungen,<br />

die für die Öffentli<strong>ch</strong>keit bestimmt sind …»; siehe au<strong>ch</strong> die parlamentaris<strong>ch</strong>en Beratungen<br />

zur Initiative Suter (vgl. Ziff. 2.4.1), die eine Klausel enthielt, wel<strong>ch</strong>e derjenigen von<br />

Abs. 3 des Textes der Volksinitiative sehr ähnli<strong>ch</strong> ist.<br />

1759


Dienstleistungen (Verkehr, Fernmeldewesen, Restaurants, Reisen, Darbietungen,<br />

Vergnügungen usw.). Es fällt auf, dass Absatz 3 ni<strong>ch</strong>t nur auf die staatli<strong>ch</strong>en Werke<br />

und Dienstleistungen, sondern au<strong>ch</strong> auf sol<strong>ch</strong>e von Privaten geri<strong>ch</strong>tet ist (direkte<br />

Drittwirkung). Die Begriffsbestimmung «für die Öffentli<strong>ch</strong>keit bestimmt» umfasst in<br />

der Tat ni<strong>ch</strong>t nur die Anlagen und Leistungen von Gemeinwesen, sondern au<strong>ch</strong> diejenigen,<br />

wel<strong>ch</strong>e von den Privaten angeboten werden. Es sei jedo<strong>ch</strong> darauf hingewiesen,<br />

dass der Begriff «für die Öffentli<strong>ch</strong>keit bestimmt» der Auslegung bedarf und,<br />

namentli<strong>ch</strong> was die Privatpersonen anbelangt, ni<strong>ch</strong>t den gesamten privaten Sektor<br />

umfasst. Der Begriff könnte beispielsweise mit dem in Artikel 261bis StGB122 verwendeten<br />

(«Leistung, die für die Allgemeinheit bestimmt ist») zusammenfallen,<br />

womit der quasi-öffentli<strong>ch</strong>e Berei<strong>ch</strong> gemeint ist, der ni<strong>ch</strong>t den der Privatsphäre zustehenden<br />

S<strong>ch</strong>utz geniesst.<br />

Absatz 3 kann in seiner Eigens<strong>ch</strong>aft als subjektives Re<strong>ch</strong>t direkt vor re<strong>ch</strong>tsanwendenden<br />

Behörden angerufen werden, und zwar ohne dass der Gesetzgeber verpfli<strong>ch</strong>tet<br />

wäre, seinen Gegenstand, seine Tragweite und seine Grenzen, die berufungsbere<strong>ch</strong>tigten<br />

Personen, Prozessvoraussetzungen usw. zu definieren. Die Regelung<br />

aller dieser Fragen, die normalerweise dem Gesetzgeber zukommt, wird hier<br />

grundsätzli<strong>ch</strong> den re<strong>ch</strong>tsanwendenden Behörden überlassen. Allerdings ist es<br />

s<strong>ch</strong>wierig, generell den Grad der Justiziabilität von Absatz 3 vorauszusehen. Dies<br />

hängt stark von den Umständen des Einzelfalles ab, namentli<strong>ch</strong> von dessen Natur<br />

(ri<strong>ch</strong>tige Handhabung von bereits bestehenden Leistungen oder S<strong>ch</strong>affung neuer<br />

Leistungen). Es kann in der Tat angenommen werden, dass eine re<strong>ch</strong>tsanwendende<br />

Behörde dur<strong>ch</strong>aus und ohne si<strong>ch</strong> gesetzgeberis<strong>ch</strong>e Kompetenzen anzumassen, einen<br />

Dienstleistungsanbieter anhält, seine Leistungen im Sinne der Interessen der Behinderten<br />

zu erbringen; damit ersetzte er ni<strong>ch</strong>t den Gesetzgeber, sondern präzisierte<br />

vielmehr die Bedingungen für die Gewährung bereits definierter Leistungen. Umgekehrt<br />

verlöre die in Absatz 3 der Initiative enthaltene Garantie viel von ihrer Substanz,<br />

sollte die verlangte Leistung ein derart erhebli<strong>ch</strong>es Engagement implizieren,<br />

dass der Rahmen der herkömmli<strong>ch</strong>erweise gewährten Leistungen gesprengt würde,<br />

sodass ni<strong>ch</strong>t auszus<strong>ch</strong>liessen wäre, dass die Bestimmung ohne gesetzli<strong>ch</strong>e Stütze<br />

toter Bu<strong>ch</strong>stabe bleiben könnte123. S<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> ordnet Absatz 3 das Bestehen eines Re<strong>ch</strong>ts auf Zugang ausdrückli<strong>ch</strong><br />

seinem wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> zumutbaren Charakter unter. Diese Klausel orientiert si<strong>ch</strong> offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong><br />

am Prinzip der Verhältnismässigkeit. Na<strong>ch</strong> der Meinung einiger Initianten<br />

hätte sie sogar zum Ziel, die Gründe, weswegen eine Leistung abgelehnt werden<br />

könnte, auss<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> auf wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Erwägungen zu begrenzen124. Das<br />

würde bedeuten, dass beispielsweise psy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>e Gründe oder Erwägungen im<br />

Zusammenhang mit der Lands<strong>ch</strong>aft oder mit der Ästhetik oder Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te eines Ortes<br />

bei der Beurteilung des zumutbaren Charakters einer Leistung ni<strong>ch</strong>t berücksi<strong>ch</strong>tigt<br />

werden könnten. Was uns angeht, sind wir im Gegenteil der Meinung, dass die<br />

Klausel des zumutbaren wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Opfers bloss einen Aspekt des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes<br />

ausma<strong>ch</strong>t, und dass der Initiativtext, au<strong>ch</strong> wenn er nur diesen<br />

einen Aspekt erwähnt, ni<strong>ch</strong>t als die anderen auss<strong>ch</strong>liessend verstanden werden<br />

122 SR 311.0; BBl 1992 III 314<br />

123 Siehe eine Analyse zum Problem der Justiziabilität im Verhältnis zum Anspru<strong>ch</strong> auf positive<br />

Leistungen, der si<strong>ch</strong> direkt aus einem Grundre<strong>ch</strong>t ergibt, bei Caroline Klein, La<br />

discrimination des personnes handicapées, Diss. 2000, S. 98–112.<br />

124 Siehe im Beri<strong>ch</strong>t über die Auswertung der Ergebnisse der Vernehmlassung von 1999<br />

(vgl. Ziff. 2.4.1 oben), die Antworten der vers<strong>ch</strong>iedenen Behinderten-Organisationen,<br />

Mitglieder des Unterstützungskomitees der Initiative.<br />

1760


darf. Aus der Einfügung von gewissen Präzisierungen in eine re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Bestimmung<br />

kann nämli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t abgeleitet werden, dass alles, was darin ni<strong>ch</strong>t ausdrückli<strong>ch</strong><br />

vorkommt, ausges<strong>ch</strong>lossen ist (Umkehrs<strong>ch</strong>luss). Wir s<strong>ch</strong>liessen daraus, dass das unzumutbare<br />

wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Opfer ni<strong>ch</strong>t das einzige Kriterium ist, unter dessen Aspekt<br />

die Garantie des Re<strong>ch</strong>ts auf Zugang, wie es die Volksinitiative formuliert, geprüft<br />

werden muss.<br />

3.1.2 Direkte Anwendung<br />

Während Absatz 2 der Initiative eine Umsetzung dur<strong>ch</strong> den Gesetzgeber erfordert,<br />

sind die Absätze 1 und 3 direkt anwendbar. So können das Diskriminierungsverbot<br />

und die Klausel betreffend die Gewährleistung eines direkten Zugangs auf Leistungen<br />

Wirkungen entfalten, ohne dass eine Vollzugsgesetzgebung erforderli<strong>ch</strong> wäre.<br />

Allerdings bedeutet die direkte Anwendbarkeit ni<strong>ch</strong>t, dass der Gesetzgeber seiner<br />

Gesetzgebungskompetenz beraubt ist. So ist es dur<strong>ch</strong>aus mögli<strong>ch</strong>, dass er das Re<strong>ch</strong>t<br />

auf Zugang zu Anlagen und Leistungen in einem Gesetz konkretisieren könnte, sofern<br />

die Verwirkli<strong>ch</strong>ung dieses Re<strong>ch</strong>ts es erforderte (wie dies bei der Glei<strong>ch</strong>stellung<br />

von Mann und Frau der Fall war, namentli<strong>ch</strong> hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> des Anspru<strong>ch</strong>s auf glei<strong>ch</strong>en<br />

Lohn) 125.<br />

3.2 Anpassung an die neue Verfassung<br />

3.2.1 Eingliederung in die neue verfassungsmässige<br />

Systematik<br />

Als Folge des Inkrafttretens der neuen Bundesverfassung muss die Volksinitiative<br />

«Glei<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te für Behinderte» an die neue verfassungsmässige Systematik angepasst<br />

werden. Gemäss Ziffer III des Bundesbes<strong>ch</strong>lusses vom 18. Dezember 1998<br />

über eine neue Bundesverfassung126 werden Änderungen der Bundesverfassung vom<br />

29. Mai 1874 von der Bundesversammlung formal an die neue Verfassung angepasst;<br />

der Bundesbes<strong>ch</strong>luss, den sie zu diesem Zweck erlässt, unterliegt ni<strong>ch</strong>t dem<br />

Referendum.<br />

Da die Volksinitiative ein Grundre<strong>ch</strong>t für die Glei<strong>ch</strong>stellung der Behinderten vorsieht,<br />

hat sie einen direkten Bezug zu Artikel 8 BV. Diese Bestimmung stipuliert<br />

nämli<strong>ch</strong> den generellen Grundsatz der Re<strong>ch</strong>tsglei<strong>ch</strong>heit (Abs. 1), konkretisiert eine<br />

der daraus fliessenden re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Konsequenzen (Abs. 2), und gewährleistet in den<br />

beiden letzten Absätzen spezifis<strong>ch</strong> die Glei<strong>ch</strong>stellung von Mann und Frau (Abs. 3)<br />

und die Glei<strong>ch</strong>stellung der Behinderten (Abs. 4). So wie die neue Bundesverfassung<br />

für die Glei<strong>ch</strong>stellung von Mann und Frau keine gesonderte Bestimmung vorsieht,<br />

so ist es unseres Era<strong>ch</strong>tens au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t erforderli<strong>ch</strong>, eine gesonderte Bestimmung<br />

über die Glei<strong>ch</strong>stellung der Behinderten darin zu verankern. War eine gesonderte<br />

Bestimmung in der Systematik der alten Verfassung von 1874 no<strong>ch</strong> gere<strong>ch</strong>tfertigt<br />

(sie enthielt keinerlei Spezialnorm über die Behinderten), trifft dies für die neue<br />

Verfassung ni<strong>ch</strong>t mehr zu, ansonsten zwei Verfassungsbestimmungen (der aus der<br />

Volksinitiative stammende Artikel sowie Artikel 8 Absatz 4, dessen Aufhebung die<br />

Initiative ni<strong>ch</strong>t verlangt) Gegenstände der glei<strong>ch</strong>en Art mit unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Be-<br />

125 BBl 1993 I 1321<br />

126 AS 1999 2555<br />

1761


griffen regeln würden. Eine derartige Wirkung wäre unerwüns<strong>ch</strong>t und wird von den<br />

Initianten au<strong>ch</strong> gar ni<strong>ch</strong>t verlangt. Ferner ist ni<strong>ch</strong>t einzusehen, warum von zwei Spezialtexten<br />

über die Glei<strong>ch</strong>stellung der Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ter und der Behinderten der eine in<br />

Artikel 8 figurieren würde, der andere ausserhalb bliebe. Wir sind deshalb der Meinung,<br />

dass der Sinn der Volksinitiative s<strong>ch</strong>on in Artikel 8 BV enthalten ist.<br />

3.2.2 Eingliederung von Absatz 1<br />

Absatz 1 des Initiativtexts übernimmt inhaltli<strong>ch</strong> den Text von Artikel 8 Absatz 2<br />

BV. Da die Aufzählung der Kriterien bekanntli<strong>ch</strong> keinerlei Prioritäten setzt, hat die<br />

Tatsa<strong>ch</strong>e, dass, im Gegensatz zur Volksinitiative, das Alter im Text der neuen Verfassung<br />

vor der Spra<strong>ch</strong>e erwähnt wird, keine Bedeutung.<br />

Da Absatz 1 der Volksinitiative im geltenden Verfassungsre<strong>ch</strong>t bereits verankert ist,<br />

wird er somit gegenstandslos und kann aus dem Text, wel<strong>ch</strong>er dem Referendum unterstellt<br />

wird, gestri<strong>ch</strong>en werden.<br />

3.2.3 Eingliederung von Absatz 2<br />

Dieser Absatz erteilt dem Gesetzgeber den Auftrag, für die Glei<strong>ch</strong>stellung behinderter<br />

Mens<strong>ch</strong>en zu sorgen (erster Satz), und Massnahmen zur Beseitigung und zum<br />

Ausglei<strong>ch</strong> bestehender Bena<strong>ch</strong>teiligungen vorzusehen (zweiter Satz). In materieller<br />

Hinsi<strong>ch</strong>t gehört Absatz 2 in den Kontext von Artikel 8 Absatz 4 BV. Da der erste<br />

Satz von Absatz 2 der Initiative jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t ausdrückli<strong>ch</strong> in Artikel 8 Absatz 4 BV<br />

steht, muss er in diese Bestimmung eingefügt werden, und zwar als erster Satz von<br />

Artikel 8 Absatz 4 BV. Der zweite Satz von Absatz 2 der Initiative entspri<strong>ch</strong>t praktis<strong>ch</strong><br />

ganz dem geltenden Artikel 8 Absatz 4; da er jedo<strong>ch</strong> detaillierter ist, weil er<br />

ni<strong>ch</strong>t nur die Beseitigung, sondern au<strong>ch</strong> den Ausglei<strong>ch</strong> bestehender Bena<strong>ch</strong>teiligungen<br />

vorsieht, muss er den geltenden verfassungsmässigen Text ersetzen.<br />

Was die fehlerhaften Übersetzungen des Begriffs der Glei<strong>ch</strong>stellung im französis<strong>ch</strong>en<br />

und im italienis<strong>ch</strong>en Initiativtext angeht127, sind wir der Meinung, dass sie<br />

dur<strong>ch</strong> das vorliegende Verfahren ni<strong>ch</strong>t ri<strong>ch</strong>tiggestellt werden können. Es wurde<br />

nämli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t ges<strong>ch</strong>affen, um Irrtümer in den bereits von den Wählern unterzei<strong>ch</strong>neten<br />

Initiativtexten zu korrigieren. Umgekehrt ergibt si<strong>ch</strong> aus der Auslegung des<br />

Textes im Hinblick auf seine Entstehungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te selbst, dass Absatz 2 erster Satz<br />

die Glei<strong>ch</strong>stellung und ni<strong>ch</strong>t nur die Glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigung meint128. 3.2.4 Eingliederung von Absatz 3<br />

Dieser Absatz garantiert neu ein subjektives Re<strong>ch</strong>t auf Zugang zu Anlagen und Leistungen,<br />

die für die Öffentli<strong>ch</strong>keit bestimmt sind. Da er nur die Behinderten meint 129,<br />

muss er, was die Systematik anbelangt, in diejenige Bestimmung integriert werden,<br />

127 Vgl. Ziff. 3.1.1.3.1<br />

128 Vgl. Ziff. 3.1.1.3.1 in fine<br />

129 Vgl. Ziff. 3.1.1.4<br />

1762


wel<strong>ch</strong>e spezifis<strong>ch</strong> die Glei<strong>ch</strong>stellung der Behinderten garantiert, das heisst in Artikel<br />

8 Absatz 4.<br />

3.2.5 An die neue Verfassung angepasster Text<br />

Im Einverständnis mit dem Initiativkomitee s<strong>ch</strong>lagen wir vor, dass die Volksinitiative,<br />

integriert in die neue Verfassung an Stelle des geltenden Artikels 8 Absatz 4,<br />

Volk und Ständen mit folgendem Wortlaut zur Abstimmung unterbreitet wird:<br />

Art. 8 Absatz 4 BV<br />

4 Das Gesetz sorgt für die Glei<strong>ch</strong>stellung behinderter Mens<strong>ch</strong>en. Es<br />

sieht Massnahmen zur Beseitigung und zum Ausglei<strong>ch</strong> bestehender<br />

Bena<strong>ch</strong>teiligungen vor. Der Zugang zu Bauten und Anlagen oder die<br />

Inanspru<strong>ch</strong>nahme von Einri<strong>ch</strong>tungen und Leistungen, die für die Öffentli<strong>ch</strong>keit<br />

bestimmt sind, ist soweit wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> zumutbar gewährleistet.<br />

3.3 Folgen der Initiative<br />

3.3.1 Positive Aspekte<br />

Ein positiver Aspekt der Initiative besteht in der Einführung eines besonderen und<br />

detaillierten Glei<strong>ch</strong>stellungsgrundsatzes zu Gunsten der Behinderten, wodur<strong>ch</strong> die<br />

Notwendigkeit einer Politik der Förderung der Glei<strong>ch</strong>stellung unterstri<strong>ch</strong>en wird.<br />

Eine sol<strong>ch</strong>e Garantie kann eine dynamis<strong>ch</strong>e und stimulierende Wirkung auf die<br />

Entwicklung der vers<strong>ch</strong>iedenen künftigen Gesetzgebungen (von Bund und Kantonen)<br />

ausüben.<br />

Ferner könnte, zumindest beim ersten Hinsehen, angenommen werden, dass die Gewährleistung<br />

eines subjektiven Re<strong>ch</strong>ts auf Zugang zu Bauten und Leistungen, die<br />

für die Öffentli<strong>ch</strong>keit bestimmt sind – dies ist die primäre Stossri<strong>ch</strong>tung der Initiative<br />

–, den Vorteil einer gewissen Einfa<strong>ch</strong>heit und Effizienz für si<strong>ch</strong> beanspru<strong>ch</strong>en<br />

kann. Einfa<strong>ch</strong>heit insofern, als dieses subjektive Re<strong>ch</strong>t dazu beitragen könnte, die<br />

Zahl der Erlasse einzudämmen. Effizient insofern, als es geeignet wäre, eine gezielte<br />

Verbesserung der Lage der behinderten Personen zu bewirken, das heisst in Fällen<br />

offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>er Mängel.<br />

3.3.2 Negative Aspekte<br />

Die negativen Aspekte ergeben si<strong>ch</strong> primär aus der verfassungsmässigen Gewährleistung<br />

einer Re<strong>ch</strong>ts auf Zugang zu Bauten und Leistungen, die für die Öffentli<strong>ch</strong>keit<br />

bestimmt sind. Denn, wie man bereits bei der verfassungsmässigen Garantie des<br />

glei<strong>ch</strong>en Lohns für glei<strong>ch</strong>wertige Arbeit (Art. 8 Absatz 3 BV) gesehen hat, ist die<br />

Umsetzung von direkt auf der Verfassung basierenden Re<strong>ch</strong>tsansprü<strong>ch</strong>en dur<strong>ch</strong> die<br />

re<strong>ch</strong>tsanwendenden Behörden ni<strong>ch</strong>t einfa<strong>ch</strong>: Bis zum Inkrafttreten des Bundesgeset-<br />

1763


zes über die Glei<strong>ch</strong>stellung von Mann und Frau vom 24. März 1995130 haben die<br />

Geri<strong>ch</strong>te oft gezögert, ja si<strong>ch</strong> geweigert, aus dem subjektiven Re<strong>ch</strong>t auf glei<strong>ch</strong>en<br />

Lohn zwingende Wirkungen namentli<strong>ch</strong> bezügli<strong>ch</strong> der Privaten zu ziehen131. Einer<br />

der Gründe für diese Zurückhaltung ist die stark verankerte Auffassung, dass es, getreu<br />

der Gewaltenteilung im Innern des Staates, Sa<strong>ch</strong>e des Gesetzgebers ist, politis<strong>ch</strong>e<br />

Fragen zu ents<strong>ch</strong>eiden. In dieser Eigens<strong>ch</strong>aft obliegt es ihm, den Anwendungsberei<strong>ch</strong><br />

und die Tragweite einer Bestimmung, die Anspru<strong>ch</strong>sbere<strong>ch</strong>tigten, die<br />

S<strong>ch</strong>uldner einer Verpfli<strong>ch</strong>tung, die Grenzen eines Re<strong>ch</strong>ts, die massgebenden Kriterien<br />

bei der Abwägung divergierender Interessen, festzulegen. Alle diese Fragen harren<br />

der ausgewogenen Lösungen, die das Gesetz demokratis<strong>ch</strong> formuliert. Wenn das<br />

Postulat der Glei<strong>ch</strong>stellung zu Gunsten der Behinderten die blosse re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e<br />

Glei<strong>ch</strong>stellung übers<strong>ch</strong>reitet und auf positive Leistungen abzielt, die sowohl von den<br />

Privatpersonen als au<strong>ch</strong> von den Gemeinwesen erbra<strong>ch</strong>t werden müssen, verlangen<br />

demokratis<strong>ch</strong>e Legitimierung und Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit, dass diese Fragen vom Gesetzgeber<br />

gelöst werden . Der Bundesrat hat immer s<strong>ch</strong>on die Idee unterstützt, dass ein<br />

Gesetz, wel<strong>ch</strong>es den Glei<strong>ch</strong>stellungsgrundsatz zu Gunsten der Behinderten umsetzt,<br />

einer s<strong>ch</strong>wierig anzuwendenden verfassungsmässigen Bestimmung vorzuziehen<br />

ist132. Zur Illustration seien hier einige Fragen aufgeworfen, worauf die Verfassungsbestimmung<br />

keine Antwort gibt und die von der Re<strong>ch</strong>tspre<strong>ch</strong>ung gelöst werden müssten:<br />

Wer gilt als behinderte Person? Handelt es si<strong>ch</strong> um invalide Personen im Sinne<br />

des Bundesgesetzes über die Invalidenversi<strong>ch</strong>erung, oder ist der Kreis der anvisierten<br />

Personen grösser? Was ist unter Bauten, was unter Anlagen, was unter Leistungen<br />

zu verstehen, die für die Öffentli<strong>ch</strong>keit bestimmt sind, und sind mit der Bestimmung<br />

alle diese Einri<strong>ch</strong>tungen und Leistungen gemeint, oder gibt es Grenzen bezügli<strong>ch</strong><br />

Volumen und Kapazität, ausserhalb deren die Verfassungsbestimmung ni<strong>ch</strong>t<br />

anwendbar ist? Wel<strong>ch</strong>es ist die Art des gewährleisteten Zugangs, und zu wel<strong>ch</strong>en<br />

Bedingungen wird dieser Zugang gewährt? Wel<strong>ch</strong>e anderen Interessen sind zu berücksi<strong>ch</strong>tigen,<br />

und wel<strong>ch</strong>es sind die Kriterien, die geeignet sind, um in die Abwägung<br />

der gegenteiligen Interessen einzufliessen? Ist eine Übergangsfrist einzuhalten,<br />

bevor von den Gemeinwesen oder von den Privatpersonen verlangt wird, dass sie<br />

den Anforderungen an die Verfassungsbestimmung Folge leisten? Wer ist gehalten,<br />

einen den Bedürfnissen der Behinderten angepassten Zugang zu gewährleisten? An<br />

wel<strong>ch</strong>e Behörde muss man si<strong>ch</strong> wenden und in wel<strong>ch</strong>em Zeitpunkt oder bei wel<strong>ch</strong>er<br />

Gelegenheit? Wer hat ein Bes<strong>ch</strong>werdere<strong>ch</strong>t? Wie man sieht, können alle diese Fragen<br />

ganz unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> beantwortet werden, und zwar ohne dass damit gegen die<br />

Idee der Glei<strong>ch</strong>stellung verstossen würde. Ist ein derart grosser Auslegungsspielraum<br />

gegeben, obliegt es mithin dem Gesetzgebers, eine angemessene Auswahl zu<br />

treffen und die Grenzen des Re<strong>ch</strong>ts auf Glei<strong>ch</strong>stellung festzulegen.<br />

Alle diese Unsi<strong>ch</strong>erheiten haben einen starken Einfluss auf die Beurteilung der wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />

und finanziellen Konsequenzen der Volksinitiative. Wir bes<strong>ch</strong>ränken<br />

uns hier darauf, sie aufzuzeigen, und verweisen im Übrigen auf das Kapital der Bots<strong>ch</strong>aft,<br />

worin die wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en und finanziellen Konsequenzen des Gesetzesentwurfs<br />

behandelt werden133. 130 SR 151.1<br />

131 FF 1993 I 1248<br />

132 AB 1998 NR 1801<br />

133 Vgl. Ziff. 5<br />

1764


Überdies hätten die Verwaltungs- und Geri<strong>ch</strong>tsbehörden mit einer Mehrbelastung zu<br />

re<strong>ch</strong>nen, da die Umsetzung der Initiative in hohem Masse von der Re<strong>ch</strong>tspre<strong>ch</strong>ung<br />

dieser Behörden abhängt.<br />

Die Initiative erfasst bezügli<strong>ch</strong> Bauten alle für die Öffentli<strong>ch</strong>keit bestimmten Gebäude,<br />

eins<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> der bereits bestehenden. Sie verlangt also die Anpassung der<br />

Infrastrukturen vom Zeitpunkt an, in dem die Initiative dur<strong>ch</strong> Volk und Stände angenommen<br />

wird.<br />

Si<strong>ch</strong>er ist weiter, dass die Initiative Privatpersonen weit stärker in die Pfli<strong>ch</strong>t nimmt<br />

als der Gegenentwurf: Privatpersonen sind derselben Anpassungspfli<strong>ch</strong>t unterstellt<br />

wie die Gemeinwesen. Die einzige Begrenzung des Geltungsberei<strong>ch</strong>s ist dur<strong>ch</strong> das<br />

Kriterium der Bestimmung für die Öffentli<strong>ch</strong>keit gegeben. Wie na<strong>ch</strong>folgend dargelegt,<br />

differenziert demgegenüber der Gesetzesentwurf zwis<strong>ch</strong>en Dienstleistungen,<br />

die von Privaten angeboten werden (Art. 7 Abs. 3), oder von einem Gemeinwesen<br />

(Art. 7 Abs. 2). Private unterliegen nur einem Diskriminierungsverbot, während die<br />

Gemeinwesen verpfli<strong>ch</strong>tet sind, ihre Dienstleistungen auf die Bedürfnisse der Behinderten<br />

auszuri<strong>ch</strong>ten134. Genaue Kostens<strong>ch</strong>ätzungen für die Eigentümer von Gebäuden und Anlagen sowie<br />

die Anbieter von Dienstleistungen lassen si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t anstellen, da ni<strong>ch</strong>t vorweggenommen<br />

werden kann, wie der Begriff der wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Zumutbarkeit dur<strong>ch</strong> die<br />

re<strong>ch</strong>tsanwendenden Behörden ausgelegt würde.<br />

Eine sofortige und umfassende Anpassung des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs würde Zusatzkosten<br />

von rund 4 Milliarden Franken verursa<strong>ch</strong>en. Die sofortige Umstellung ohne<br />

Rücksi<strong>ch</strong>t auf bestehende Infrastrukturen und Ersatzzyklen für Fahrzeuge wäre si<strong>ch</strong>er<br />

für zahlrei<strong>ch</strong>e Verkehrsunternehmen wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t zumutbar. Zu wel<strong>ch</strong>er<br />

Etappierung der Anpassungen die Re<strong>ch</strong>tspre<strong>ch</strong>ung auf Grund des Verhältnismässigkeitsprinzips<br />

führen würde, lässt si<strong>ch</strong> indessen zahlenmässig ni<strong>ch</strong>t festlegen. Für<br />

weitere Einzelheiten der Kostens<strong>ch</strong>ätzung im Verkehrsberei<strong>ch</strong> wird auf die Ausführungen<br />

in Ziffer 5.4.2 verwiesen.<br />

Ausgehend von den finanziellen Auswirkungen des Gesetzesentwurfs s<strong>ch</strong>eint es offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>,<br />

dass die Volksinitiative wesentli<strong>ch</strong> höhere Kosten verursa<strong>ch</strong>en würde.<br />

Hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> des von der Volksinitiative vorges<strong>ch</strong>lagenen Gesetzgebungsauftrags<br />

(Art. 8 Abs. 4 neu) sind wir der Meinung, dass er im Verglei<strong>ch</strong> zum geltenden Artikel<br />

8 Absatz 4 BV keine ents<strong>ch</strong>eidende qualitative Änderung mit si<strong>ch</strong> bringt. Die<br />

geltende Bestimmung ist genügend weit und offen gehalten, um eine die Glei<strong>ch</strong>stellung<br />

Behinderter begünstigende Gesetzgebung zu erlauben. Vor allem erlaubt sie<br />

au<strong>ch</strong>, auf Gesetzesebene Re<strong>ch</strong>tsansprü<strong>ch</strong>e zu formulieren; damit werden den behinderten<br />

Personen die erforderli<strong>ch</strong>en Mittel eingeräumt, um den im Gesetz stipulierten<br />

Re<strong>ch</strong>ten Na<strong>ch</strong>a<strong>ch</strong>tung zu vers<strong>ch</strong>affen. Zu diesem Punkt sei auf das Kapitel über die<br />

Verfassungsmässigkeit des Gesetzesentwurfs verwiesen135. 134 Vgl. Erläuterungen in Ziff. 4.3.2.<br />

135 Vgl. Ziff. 8.1<br />

1765


3.4 Antrag: Ablehnung der Initiative und Vorlage<br />

eines indirekten Gegenentwurfs<br />

Wie wir weiter oben gesehen haben, würde die Umsetzung des subjektiven Re<strong>ch</strong>ts,<br />

das, vorbehältli<strong>ch</strong> der Zumutbarkeit, einen Zugang zu Bauten und Anlagen oder die<br />

Inanspru<strong>ch</strong>nahme von Einri<strong>ch</strong>tungen und Leistungen, die für die Öffentli<strong>ch</strong>keit bestimmt<br />

sind, gewährleistet, praktis<strong>ch</strong>e, s<strong>ch</strong>wierig zu lösende Probleme stellen; damit<br />

verbunden wären gravierende Kostenfolgen für viele Privatpersonen, Firmen und<br />

private Organisationen, sowie s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> für die Gemeinden, die Kantone und<br />

den Bund. Ferner s<strong>ch</strong>afft die Unbere<strong>ch</strong>enbarkeit der Verpfli<strong>ch</strong>tungen, wel<strong>ch</strong>e die<br />

Re<strong>ch</strong>tspre<strong>ch</strong>ung allenfalls aus diesem Re<strong>ch</strong>t ableiten würde, eine Re<strong>ch</strong>tsunsi<strong>ch</strong>erheit,<br />

die Eigentümern und Leistungserbringern, seien sie nun Privatpersonen oder<br />

Gemeinwesen, kaum zumutbar wäre. Die Gewährleistung eines subjektiven Re<strong>ch</strong>ts<br />

auf Stufe Verfassung ist in einem derart komplexen Berei<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t der ri<strong>ch</strong>tige Weg,<br />

um die Glei<strong>ch</strong>stellung zu fördern. Genau diese Überlegungen haben uns im Übrigen<br />

bewogen, bei den parlamentaris<strong>ch</strong>en Beratungen zu Artikel 8 Absatz 4 BV denjenigen<br />

Anträgen zu opponieren, die auf die Einführung eines subjektives Re<strong>ch</strong>ts auf<br />

Verfassungsebene abzielten136. Aus ähnli<strong>ch</strong>en Gründen wäre es ni<strong>ch</strong>t angemessen, der Volksinitiative einen direkten<br />

Gegenvors<strong>ch</strong>lag entgegenzusetzen, das heisst einen Text mit Verfassungsrang,<br />

na<strong>ch</strong>dem eine Gesetzgebung zu Gunsten der Glei<strong>ch</strong>stellung der Behinderten in der<br />

geltenden Verfassung bereits eine genügende Grundlage findet137. Um dem eigentli<strong>ch</strong>en Ziel der Volksinitiative, nämli<strong>ch</strong> die Förderung der Glei<strong>ch</strong>stellung<br />

der Behinderten – ein Ziel, wel<strong>ch</strong>es wir vollumfängli<strong>ch</strong> unterstützen – gere<strong>ch</strong>t<br />

zu werden, ers<strong>ch</strong>eint uns die Ausarbeitung eines Gesetzes die ri<strong>ch</strong>tige Lösung.<br />

Ein Bundesgesetz hat den Vorteil, dass es die Berei<strong>ch</strong>e, in wel<strong>ch</strong>en ein Handlungsbedarf<br />

gegeben ist, konkret festlegt; ferner definiert es die Tragweite der Massnahmen,<br />

konkretisiert den Grundsatz der Verhältnismässigkeit und bestimmt den<br />

Rhythmus der erforderli<strong>ch</strong>en Anpassungen. In allen diesen Fragen ergibt si<strong>ch</strong> politis<strong>ch</strong>er<br />

Handlungsbedarf, somit ist es au<strong>ch</strong> in erster Linie Sa<strong>ch</strong>e des Gesetzgebers,<br />

darüber zu befinden.<br />

Somit beantragen wir den Räten, die Volksinitiative «Glei<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te für Behinderte»<br />

abzulehnen, und einen indirekten Gegenvors<strong>ch</strong>lag in der Form eines Gesetzes,<br />

das den Gesetzgebungsauftrag von Artikel 8 Absatz 4 BV umsetzt, vorzulegen.<br />

4 Indirekter Gegenentwurf:<br />

Entwurf zu einem Bundesgesetz über die Beseitigung<br />

von Bena<strong>ch</strong>teiligungen von Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen<br />

(Behindertenglei<strong>ch</strong>stellungsgesetz)<br />

4.1 Vorentwurf und Vernehmlassung 2000<br />

4.1.1 Vorentwurf<br />

Im Dezember 1999 haben wir das EJPD beauftragt, den Vorentwurf für ein Gesetz<br />

auszuarbeiten, das den Gesetzgebungsauftrag von Art. 8 Abs. 4 BV konkretisiert.<br />

Der Vorentwurf wurde im Laufe der ersten Hälfte des Jahres vorbereitet und Anfang<br />

136 AB 1998 NR 678; SR 992<br />

137 Vgl. Ziff. 8.1.1<br />

1766


Juni 2000 in die Vernehmlassung ges<strong>ch</strong>ickt. Die Vernehmlassung wurde auf breiter<br />

Basis genutzt 138.<br />

4.1.2 Ergebnisse der Vernehmlassung<br />

Grundsatz eines Gesetzes und generelles Konzept des Entwurfs<br />

Der Vorentwurf wurde von der Mehrheit der befragten Kantone, politis<strong>ch</strong>en Parteien<br />

und Organisationen gut aufgenommen, und zwar was den Grundsatz eines Gesetzes<br />

an si<strong>ch</strong> als au<strong>ch</strong> dessen allgemeine Stossri<strong>ch</strong>tung und dessen Zweck anbelangt.<br />

Ferner wurde der ras<strong>ch</strong>e Vollzug des Verfassungsauftrags begrüsst. Die dem Vorentwurf<br />

zuteil gewordene Unterstützung hat vers<strong>ch</strong>iedene Gründe: Na<strong>ch</strong> Auffassung<br />

von drei Kantonen (GE, NW, VS) und zehn Organisationen entspri<strong>ch</strong>t der Vorentwurf<br />

einer Notwendigkeit; zwei Kantone (AG, OW) und eine Partei (FDP) unterstützen<br />

den Vorentwurf nur insoweit, als er einen indirekten Gegenvors<strong>ch</strong>lag zur<br />

Volksinitiative «Glei<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te für Behinderte» bildet. Vollumfängli<strong>ch</strong> abgelehnt in<br />

der aktuellen Form wird der Entwurf von drei Kantonen (AI, SH, SG). Zwei politis<strong>ch</strong>en<br />

Parteien (CSP, PdAS) und 10 Organisationen ziehen den Entwurf DOK<br />

vor139. Zweck (Art. 1)<br />

Zwei Kantone (AG, GE) und se<strong>ch</strong>s Organisationen billigen ausdrückli<strong>ch</strong> den Zweck<br />

des Vorentwurfs und seine Formulierung. Vers<strong>ch</strong>iedene Vernehmlasser verlangen,<br />

dass der Zweck präziser ums<strong>ch</strong>rieben wird. Zehn Fa<strong>ch</strong>- und andere interessierte Organisationen<br />

wüns<strong>ch</strong>en eine breitere Begriffsums<strong>ch</strong>reibung. Wieder andere wüns<strong>ch</strong>en<br />

eine eigentli<strong>ch</strong>e Generalklausel (keine abs<strong>ch</strong>liessende Aufzählung).<br />

Definition der behinderten Person (Art. 2)<br />

Zwei Kantone (GE, SO) und fünf Organisationen billigen ausdrückli<strong>ch</strong> den Grundsatz<br />

einer Definition oder die vorges<strong>ch</strong>lagene Formulierung. Hingegen ist für andere<br />

befragte Kreise die Definition zu weit und könnte Auslegung und Anwendung der<br />

Bestimmung ers<strong>ch</strong>weren. Während einige der befragten Kreise (vor allem die CVP<br />

und den Behinderten nahestehende Organisationen) die Tatsa<strong>ch</strong>e kritisieren, dass die<br />

Definition auf einer Aufzählung der Arten von Behinderungen (physis<strong>ch</strong>e, psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e,<br />

geistige) gründet, bedauern andere Kreise (vor allem AG, GR, VD und vers<strong>ch</strong>iedene<br />

Organisationen), dass der Vorentwurf die wahrnehmungs- und spra<strong>ch</strong>bedingten<br />

Behinderungen überhaupt ni<strong>ch</strong>t erwähnt. Mehrere Kreise s<strong>ch</strong>lagen eine offene<br />

Klausel vor, oder eine Klausel, wel<strong>ch</strong>e die Teilnahme am gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />

Leben generell vorsieht.<br />

138 Vgl. den Beri<strong>ch</strong>t vom 11. Dezember 2000 über die Auswertung der Ergebnisse der<br />

Vernehmlassung zum Vorentwurf des Bundesgesetzes über die Beseitigung von<br />

Bena<strong>ch</strong>teiligungen der Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen. Dieser Beri<strong>ch</strong>t kann auf der<br />

Internetseite des Bundesamtes für Justiz konsultiert werden (http://www/bj.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>).<br />

139 Der Verein Volksinitiative «Glei<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te für Behinderte» und die Konferenz der<br />

Da<strong>ch</strong>organisationen der privaten Invalidenhilfe haben anlässli<strong>ch</strong> des Vernehmlassungsverfahrens<br />

zum Vorentwurf einen eigenen Gesetzesentwurf über die Glei<strong>ch</strong>stellung der<br />

Behinderten ausgearbeitet (Entwurf DOK).<br />

1767


Geltungsberei<strong>ch</strong> (Art. 3)<br />

Fünf Behinderten nahe stehende Organisationen billigen ausdrückli<strong>ch</strong> den vorges<strong>ch</strong>lagenen<br />

Geltungsberei<strong>ch</strong>, während vers<strong>ch</strong>iedene Vernehmlasser (vor allem GE,<br />

VS, SP, PdAS) ihn als zu einengend era<strong>ch</strong>ten. Umgekehrt finden ihn vers<strong>ch</strong>iedene,<br />

insbesondere den Verkehrsbetrieben und der Wirts<strong>ch</strong>aft nahe stehende Kreise als zu<br />

weit und zu wenig präzise gefasst. Gewisse Kreise bedauern ausdrückli<strong>ch</strong>, dass die<br />

Berei<strong>ch</strong>e Bes<strong>ch</strong>äftigung und Lehre vom Geltungsberei<strong>ch</strong> ausges<strong>ch</strong>lossen sind.<br />

Zwei Kantone (BE, ZG) und eine Fa<strong>ch</strong>organisation billigen ausdrückli<strong>ch</strong> die Anwendung<br />

des Gesetzesentwurfs auf die Bauten und Anlagen. Zwei Kantone (BS,<br />

AI), die S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>e Bau-, Planungs- und Umwelts<strong>ch</strong>utzdirektoren-Konferenz,<br />

die FDP und ein Spitzenverband haben die Verfassungsmässigkeit einer Bundesnorm<br />

in diesem Berei<strong>ch</strong> bezweifelt, sei es mit Blick auf die verfassungsmässige<br />

Aufgabenteilung zwis<strong>ch</strong>en Bund und Kantonen, sei es auf Grund von Artikel 8 Absatz<br />

4 BV bezügli<strong>ch</strong> der Drittwirkung. Für zahlrei<strong>ch</strong>e Kreise ist der Begriff «umfassend<br />

renoviert» zu unklar und führt entweder zu einer Re<strong>ch</strong>tsunsi<strong>ch</strong>erheit oder zu<br />

praktis<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>wierigkeiten. Dieser Begriff muss in einem Gesetz im formellen<br />

Sinne klar definiert werden. Die CVP und die FDP s<strong>ch</strong>lagen vor, den Begriff «umfassend»<br />

in Abhängigkeit zu den Renovationskosten respektive zum Verkehrswert<br />

der Baute oder der Anlage zu definieren. Was die Fa<strong>ch</strong>- oder anderen interessierten<br />

Organisationen anbelangt, finden sie den Geltungsberei<strong>ch</strong> zu restriktiv und wüns<strong>ch</strong>en,<br />

dass er auf alle Bauten und Anlagen ausgedehnt wird, die für die Öffentli<strong>ch</strong>keit<br />

zugängli<strong>ch</strong> sind; gewisse Organisationen verlangen au<strong>ch</strong> die Einführung einer<br />

maximalen Anpassungsfrist. S<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>lägt der Kanton Tessin die Einführung<br />

von Anreizmassnahmen im Gesetzesentwurf vor.<br />

Die Anwendung des Gesetzesentwurfs auf Einri<strong>ch</strong>tungen des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs,<br />

die für die Öffentli<strong>ch</strong>keit zugängli<strong>ch</strong> sind, wird von fünf Organisationen ausdrückli<strong>ch</strong><br />

gebilligt. Umgekehrt finden die Kantone GL und SH diese Massnahmen als viel<br />

zu restriktiv; der Kanton GR und drei interessierte Organisationen verlangen die<br />

Einführung von besonderen Massnahmen für die Zahnradbahnen, Standseilbahnen,<br />

Kabinenbahnen und die Skilifte. Einige befragte Kreise bedauern au<strong>ch</strong> das Fehlen<br />

eines «dies a quo», wie dies die Bu<strong>ch</strong>staben a und c vorsehen.<br />

Mit Ausnahme des Kantons ZG, der die Anwendung des Gesetzesentwurfs auf<br />

Wohngebäude mit mehr als a<strong>ch</strong>t Wohneinheiten ausdrückli<strong>ch</strong> billigt, traf diese Begrenzung<br />

auf a<strong>ch</strong>t Wohneinheiten auf zahlrei<strong>ch</strong>e Kritik. Der Kanton BS findet sie<br />

ungere<strong>ch</strong>tfertigt; drei Kantone (BE, NW, SO) und zehn Organisationen era<strong>ch</strong>ten sie<br />

als zu ho<strong>ch</strong>. Demgegenüber finden sie der Kanton GR, drei Spitzenverbände und eine<br />

andere interessierte Organisation als zu tief. Die FDP s<strong>ch</strong>lägt vor, Wohnbauten<br />

vom Geltungsberei<strong>ch</strong> auszunehmen.<br />

Die Anwendung des Gesetzesentwurfs auf Leistungen, die für die Öffentli<strong>ch</strong>keit bestimmt<br />

sind, wird von der FDP, der SVP und einer interessierten Organisation abgelehnt.<br />

Vers<strong>ch</strong>iedene Kreise sind der Meinung, dass die Beziehung zwis<strong>ch</strong>en dieser<br />

Bestimmung und denjenigen von Bu<strong>ch</strong>staben a und b des glei<strong>ch</strong>en Artikels vertieft<br />

werden muss.<br />

Was die übrigen quantitativen Begrenzungen anbelangt, die gewisse Zwecke vom<br />

Geltungsberei<strong>ch</strong> des Gesetzes ausnehmen (weniger als 50 Plätze oder Flä<strong>ch</strong>e von<br />

100 m 2 ), s<strong>ch</strong>lagen die Kantone BE, BL, SZ und VD sowie drei Fa<strong>ch</strong>organisationen<br />

und eine andere interessierte Organisation ihre Aufhebung vor. Die Kritiken betreffen<br />

vor allem den unangemessenen und unausgegli<strong>ch</strong>enen Charakter der zahlenmä-<br />

1768


ssigen Vorgaben sowie die Tatsa<strong>ch</strong>e, dass diese Eins<strong>ch</strong>ränkungen im Verglei<strong>ch</strong> mit<br />

den kantonalen Baugesetzgebungen einen S<strong>ch</strong>ritt rückwärts bedeuten. Diese Kreise<br />

s<strong>ch</strong>lagen vor, dass diese zahlenmässigen Begrenzungen entweder erhöht werden<br />

oder dass<br />

eine Generalklausel eingeführt wird, wel<strong>ch</strong>e die Respektierung des Verhältnismässigkeitsprinzips<br />

zur Pfli<strong>ch</strong>t ma<strong>ch</strong>t. Was den Auss<strong>ch</strong>luss der Dienstleistungen des<br />

Fernmeldewesens vom Geltungsberei<strong>ch</strong> anbelangt, wurde er von keinem Kanton<br />

und keinem der befragten Kreise gebilligt.<br />

Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit<br />

Die Respektierung des Verhältnismässigkeitsprinzips muss im Entwurf als Leitlinie<br />

dienen. Die im Gesetzesentwurf vorges<strong>ch</strong>lagenen Massnahmen müssen finanziell<br />

zumutbar und te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong> realisierbar sein. Die grosse Mehrheit der Vernehmlasser<br />

anerkennt die Notwendigkeit, den Verhältnismässigkeitsgrundsatz zu respektieren.<br />

Se<strong>ch</strong>s Fa<strong>ch</strong>organisationen oder den befragten Kreisen nahestehende Organisationen<br />

sind jedo<strong>ch</strong> der Auffassung, dass das Interesse an der Verwirkli<strong>ch</strong>ung des Grundre<strong>ch</strong>ts<br />

der Glei<strong>ch</strong>stellung der behinderten Personen den kostenbedingten Überlegungen<br />

vorzugehen habe.<br />

Probleme der subjektiven Re<strong>ch</strong>te: Variante 1 (ohne Art. 5a) und Variante 2 (mit Art. 5a)<br />

Einundzwanzig Kantone, vier politis<strong>ch</strong>e Parteien (CSP, LPS, FDP, SVP), vier Spitzenverbände,<br />

neun andere interessierte Organisationen, die Konferenz der kantonalen<br />

Direktoren des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs und die S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>e Bau-, Planungsund<br />

Umwelts<strong>ch</strong>utzdirektoren-Konferenz, der Rat der Eidgenössis<strong>ch</strong>en Te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>en<br />

Ho<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ulen, die Post, fünf besonders betroffene Organisationen des öffentli<strong>ch</strong>en<br />

Verkehrs oder der Eigentümer lehnen die subjektiven Re<strong>ch</strong>te ab. Gewisse Vernehmlasser<br />

lehnen sie ni<strong>ch</strong>t grundsätzli<strong>ch</strong>, sondern wegen der damit verbundenen<br />

Probleme ab (z.B. BE und SO). Hingegen sind vier Kantone (BL, FR, TI, VS), zwei<br />

politis<strong>ch</strong>e Parteien (CVP, SP), eine Eidgenössis<strong>ch</strong>e Kommission, drei Spitzenverbände,<br />

16 Fa<strong>ch</strong>organisationen und zehn weitere Organisationen dafür. Gesamthaft<br />

gesehen wird die Gewährung von subjektiven Re<strong>ch</strong>ten an die Behinderten mit 48<br />

gegen 36 verworfen. Die Gegner argumentieren vor allem, dass die subjektiven<br />

Re<strong>ch</strong>te zu unflexibel seien, dass sie Vollzugsprobleme und eine Überlastung der Geri<strong>ch</strong>te<br />

mit si<strong>ch</strong> brä<strong>ch</strong>ten. Zwei Kantone (GR, SH) und eine andere interessierte Organisation<br />

befür<strong>ch</strong>ten stark, dass der Vorentwurf den Behinderten einen Sonderstatus<br />

einräume; einige Kantone (AR, NE) sind sogar der Meinung, es handle si<strong>ch</strong> um<br />

unverhältnismässige Re<strong>ch</strong>te, verbunden mit einer Unglei<strong>ch</strong>behandlung. Was die finanziellen<br />

Konsequenzen der Gewährung dieser Re<strong>ch</strong>te betrifft, befür<strong>ch</strong>ten vier<br />

Kantone (AG, AR, SZ, TG), die SVP, ein Spitzenverband und eine andere interessierte<br />

Organisation, dass sie erhebli<strong>ch</strong> seien. Die Kantone AG und NE erwägen eine<br />

Überprüfung dieser Re<strong>ch</strong>te, wenn die wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Folgen bekannt sind. Das<br />

Hauptargument der Befürworter von subjektiven Re<strong>ch</strong>ten ist dasjenige der Unbrau<strong>ch</strong>barkeit<br />

des Gesetzesentwurfs, wenn er zwar die Bena<strong>ch</strong>teiligungen aufführt,<br />

glei<strong>ch</strong>zeitig aber keine Mögli<strong>ch</strong>keit gibt, sie zu bekämpfen. Die Kantone BE und SO<br />

sowie drei andere interessierte Organisationen ziehen eine Verstärkung des Bes<strong>ch</strong>werdere<strong>ch</strong>ts<br />

der Organisationen vor. Drei Fa<strong>ch</strong>organisationen und die FDP haben<br />

die S<strong>ch</strong>affung eines S<strong>ch</strong>iedsgeri<strong>ch</strong>ts oder einer Ombudsstelle vorges<strong>ch</strong>lagen.<br />

Auf der Ebene des Verfahrensre<strong>ch</strong>ts s<strong>ch</strong>lägt die CVP eine Umkehrung der Beweislast<br />

vor, wie dies Artikel 6 des Glei<strong>ch</strong>stellungsgesetzes vorsieht.<br />

1769


Massnahmen im Berei<strong>ch</strong> des Bundespersonals (Art. 6)<br />

Sieben Kantone (GE, NW, SO, SZ, VD, VS, ZG), drei politis<strong>ch</strong>e Parteien (CVP,<br />

SP, SVP), zwei Eidgenössis<strong>ch</strong>e Kommission, zwei Spitzenverbände, sieben Fa<strong>ch</strong>organisationen<br />

und vier andere interessierte Organisationen billigen ausdrückli<strong>ch</strong> die<br />

Massnahmen bezügli<strong>ch</strong> des Bundespersonals. Für die Mehrheit der konsultierten<br />

Kreise, die zu diesem Punkt Stellung bezogen haben, muss die Bestimmung umformuliert<br />

werden: Für die Kantone GR und VS, eine eidgenössis<strong>ch</strong>e Kommission, ein<br />

Spitzenverband, a<strong>ch</strong>t Fa<strong>ch</strong>- und eine weitere Organisationen ist Artikel 6 zu restriktiv<br />

und muss auf den ganzen öffentli<strong>ch</strong>en und privaten Sektor ausgedehnt werden.<br />

Hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> des Privatsektors müssen Anreizmassnahmen vorgesehen werden. Zwei<br />

politis<strong>ch</strong>e Parteien (LPS, FDP), drei Spitzenverbände und eine interessierte Organisation<br />

lehnen das System von Art. 6 hingegen ab. S<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> wird das Kriterium<br />

der «glei<strong>ch</strong>wertigen Qualifikationen» kritisiert; die SP, sieben Fa<strong>ch</strong>organisationen<br />

und vier andere interessierte Organisationen ziehen das Kriterium der «genügenden<br />

Qualifikationen» vor.<br />

Probleme der subjektiven Re<strong>ch</strong>te in Verbindung mit den Bestimmungen über<br />

die Massnahmen im Berei<strong>ch</strong> des Bundespersonals – Variante 1 (ohne Art. 6a)<br />

und Variante 2 (mit Art. 6a)<br />

A<strong>ch</strong>t Kantone (GL, GR, JU, OW, SO, TG, UR, ZH), drei politis<strong>ch</strong>e Parteien (LPS,<br />

FDP, SVP), eine eidgenössis<strong>ch</strong>e Kommission, drei Spitzenverbände, die Post und<br />

drei weitere Organisationen lehnen die vorges<strong>ch</strong>lagene Regelung des Re<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>utzes<br />

ab, der die Anstellung von Behinderten dur<strong>ch</strong> den Bund gewährleistet. Hingegen<br />

akzeptieren vier Kantone (GE, LU, NW, VD), drei politis<strong>ch</strong>e Parteien (CSP, CVP,<br />

SP), eine eidgenössis<strong>ch</strong>e Kommission, drei Spitzenverbände, 15 Fa<strong>ch</strong>- und a<strong>ch</strong>t andere<br />

interessierte Organisationen den vorges<strong>ch</strong>lagenen Re<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>utz; das Verhältnis<br />

beträgt insgeseamt 34 Befürworter zu 19 Gegnern. Die Gegner sind der Meinung,<br />

dass der Re<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>utz zu unflexibel ist, dass sie eine Überlastung der Geri<strong>ch</strong>te und<br />

Unglei<strong>ch</strong>behandlungen mit si<strong>ch</strong> bringen. Das Hauptargument der Befürworter entspri<strong>ch</strong>t<br />

demjenigen, wie es bei der Einführung von subjektiven Re<strong>ch</strong>ten im allgemeinen<br />

vorgebra<strong>ch</strong>t wurde (vgl. Ziffer 6, zu Art. 5a).<br />

Das Bes<strong>ch</strong>werdere<strong>ch</strong>t der Behindertenorganisationen (Art. 8)<br />

Se<strong>ch</strong>s Kantone (BE, GE, LU, NW, SO, TG), die SP, die Konferenz der kantonalen<br />

Direktoren des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs und die S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>e Bau-, Planungs- und<br />

Umwelts<strong>ch</strong>utzdirektoren-Konferenz, eine eidgenössis<strong>ch</strong>e Kommission, vier Spitzenverbände,<br />

zehn Fa<strong>ch</strong>- und drei andere Organisationen billigen ausdrückli<strong>ch</strong> die Anerkennung<br />

eines Bes<strong>ch</strong>werdere<strong>ch</strong>ts der Behindertenorganisationen. Die Konferenz<br />

der kantonalen Direktoren des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs und die S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>e Bau-,<br />

Planungs- und Umwelts<strong>ch</strong>utzdirektoren-Konferenz ma<strong>ch</strong>en den Vorteil dieses Instruments<br />

gegenüber subjektiven Re<strong>ch</strong>ten geltend. Ein Kanton (AG, mit Blick auf<br />

den Geltungsberei<strong>ch</strong> des Vorentwurfs und der verlangten Voraussetzungen), die<br />

FDP, die SVP, drei Spitzenverbände, sowie vier weitere Organisationen widersetzen<br />

si<strong>ch</strong> diesem Bes<strong>ch</strong>werdere<strong>ch</strong>t. Die Gegner sind der Auffassung, dass die Verwirkli<strong>ch</strong>ung<br />

von zahlrei<strong>ch</strong>en Projekten verzögert würde, die finanziellen Auswirkungen<br />

no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t bekannt seien und dass dieses Re<strong>ch</strong>t eine Überlastung der Geri<strong>ch</strong>te mit<br />

si<strong>ch</strong> bringen werde. Die FDP und eine Organisation aus Verkehrskreisen s<strong>ch</strong>lagen<br />

vor, dass dieses Bes<strong>ch</strong>werdere<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> ein Anhörungsre<strong>ch</strong>t ersetzt werde; die<br />

Kantone BE und SO hingegen fordern die Verstärkung des Bes<strong>ch</strong>werdere<strong>ch</strong>ts der<br />

Organisationen, damit es als Alternative zu den subjektiven Re<strong>ch</strong>ten gemäss Artikel<br />

1770


5a dienen könne. Auf Verfahrensebene s<strong>ch</strong>lagen zwei Fa<strong>ch</strong>- und drei andere Organisationen<br />

eine Umkehr der Beweislast zu Gunsten der behinderten Person vor. Die<br />

Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit der Bena<strong>ch</strong>teiligung soll genügen. Fünf Fa<strong>ch</strong>- und vier andere<br />

interessierte Organisationen missbilligen die dem Bundesrat übertragene Kompetenz,<br />

die bes<strong>ch</strong>werdelegitimierten Organisationen zu bezei<strong>ch</strong>nen, ebenso wie die<br />

Bedingung fünfjähriger Tätigkeit; diese Frist muss verkürzt werden. Zahlrei<strong>ch</strong>e<br />

Kreise fordern eine Überprüfung der Bestimmung, um sie praktikabler zu ma<strong>ch</strong>en<br />

oder ihren Geltungsberei<strong>ch</strong> auszudehnen. Mehrere befragte Kreise s<strong>ch</strong>lagen vor,<br />

dass dieses Bes<strong>ch</strong>werdere<strong>ch</strong>t in das kantonale Verfahrensre<strong>ch</strong>t eingebaut werde.<br />

Finanzhilfen für die Förderung von Programmen (Art. 9 Abs. 3)<br />

Vers<strong>ch</strong>iedene Vernehmlasser haben das Fehlen einer Koordination oder einer klaren<br />

Abgrenzung dieser Bestimmung mit den Artikel 73 und 74 IVG kritisiert oder darauf<br />

hingewiesen, dass eine Abstimmung der vers<strong>ch</strong>iedenen Massnahmen notwendig<br />

sei (so AR, BL, BS, FR, LU, NE, OW, TG, VD, VS; CVP, FDP und UVS).<br />

Besondere Bestimmungen für die Kantone (Art. 11)<br />

Diese Bestimmung gab Anlass zu zahlrei<strong>ch</strong>er Kritik: Mehrere Kantone (AG, BE,<br />

BL, BS, GL, NE OW, SZ, ZG) haben die Intervention des Gesetzesentwurfs in ihren<br />

Zuständigkeitsberei<strong>ch</strong> vehement kritisiert; andere Kreise hingegen sind der Meinung,<br />

dass der Bund zu vorsi<strong>ch</strong>tig sei und si<strong>ch</strong> zu stark begrenze.<br />

Für eine politis<strong>ch</strong>e Partei (CVP) und zahlrei<strong>ch</strong>e Fa<strong>ch</strong>organisationen oder interessierte,<br />

den Behinderten nahe stehende Organisationen muss der Entwurf den Grundsatz<br />

der integrierten S<strong>ch</strong>ulung einführen oder den freien Zugang zum Unterri<strong>ch</strong>t in<br />

den Regelklassen gewährleisten; für gewisse Kreise (insbesondere GR) ist dies bereits<br />

ab dem Kindergarten vorzusehen. Drei Fa<strong>ch</strong>- und drei andere interessierte Organisationen<br />

verlangen, dass der Entwurf die Kantone verpfli<strong>ch</strong>tet, aus personeller<br />

und organisatoris<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t die Bedingungen zu s<strong>ch</strong>affen, wel<strong>ch</strong>e einen Unterri<strong>ch</strong>t<br />

in den Regelklassen erlauben. Na<strong>ch</strong> dem Kanton TI, vier Fa<strong>ch</strong>- und zwei anderen<br />

interessierten Organisationen soll der Entwurf nur die Leitlinie der integrierten<br />

S<strong>ch</strong>ulung definieren und deren Vollzug den Kantonen überlassen. Au<strong>ch</strong> müssen<br />

Modalitäten für Koordination und Abgrenzungen mit Artikel 19 IVG gefunden werden<br />

(AR, BS, FR, NW, TG, UR; CVP; Konferenz der IV-Stellen). Die Tatsa<strong>ch</strong>e,<br />

dass nur zwei Arten von Behinderungen (Taubheit und Blindheit) oder eine einzige<br />

Kommunikationsmethode für die Gehörbehinderten (Gebärdenspra<strong>ch</strong>e) ins Auge<br />

gefasst werden, wird von zahlrei<strong>ch</strong>en befragten Kreisen kritisiert.<br />

Änderung geltenden Re<strong>ch</strong>ts (Art. 12)<br />

Die eingegangenen Antworten betreffen in erster Linie die vorges<strong>ch</strong>lagenen Änderungen<br />

im Berei<strong>ch</strong> der direkten Bundessteuern und der Harmonisierung der direkten<br />

Steuern (Verzi<strong>ch</strong>t auf Fran<strong>ch</strong>ise beim Abzug der Invaliditätskosten oder Einführung<br />

eines neuen Sozialabzugs für Betreuungsarbeit). Für die Kantone GR, AG, LU, NW,<br />

UR, SZ, ZG und ZH sowie für die CVP, FRSP und CP sind diese Änderungen ni<strong>ch</strong>t<br />

erwüns<strong>ch</strong>t, weil sie das Steuersystem für die Privaten und die Steuerverwaltungen<br />

no<strong>ch</strong> komplizierter ma<strong>ch</strong>en, weil sie neue Unglei<strong>ch</strong>heiten mit si<strong>ch</strong> bringen oder weil<br />

sie dem System der direkten Bundessteuer widerspre<strong>ch</strong>en, das si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> der wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />

Leistungsfähigkeit der Steuerpfli<strong>ch</strong>tigen und den effektiven Kosten,<br />

ni<strong>ch</strong>t dem entgangenen Verdienst ri<strong>ch</strong>tet. Na<strong>ch</strong> AG, GE und NE ist die Aufhebung<br />

der Fran<strong>ch</strong>ise zu wenig zielgenau, indem au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t behinderte Mens<strong>ch</strong>en davon<br />

1771


profitieren. Die Kantone NW und VD fordern ein System mit degressivem Abzug,<br />

während die Kantone BS und LU dies ausdrückli<strong>ch</strong> ablehnen.<br />

Anpassungsfristen für den öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr<br />

Die vorges<strong>ch</strong>lagenen Anpassungsfristen werden von se<strong>ch</strong>s insbesondere behinderten<br />

Kreisen nahe stehenden Organisationen ausdrückli<strong>ch</strong> gebilligt. Hingegen sind die<br />

Fristen für zahlrei<strong>ch</strong>e Kantone (AR, BE, BL, BS, FR, GE, GR, SH, SZ, UR, VD,<br />

ZH), die FDP, den S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Städteverband und eine andere interessierte Organisation<br />

zu kurz, und die Anpassungen wären nur unter Inkaufnahme unverhältnismässiger<br />

Kosten mögli<strong>ch</strong>. Die Änderungsvors<strong>ch</strong>läge bes<strong>ch</strong>lagen in erster Linie<br />

die Verlängerung und die Flexibilität der Fristen (vor allem BL, BE, GR, OW, UR,<br />

VD, ZG, ZH), den Verzi<strong>ch</strong>t auf eine Anpassungspfli<strong>ch</strong>t für Bauten, Anlagen und<br />

Fahrzeuge im öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr und die Einführung einer Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en<br />

den vers<strong>ch</strong>iedenen Fahrzeugtypen (vor allem FR). S<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>lagen der<br />

Kanton SH, die Konferenz der kantonalen Direktoren des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs, die<br />

SVP und zwei interessierte Organisationen vor, dass der Entwurf überhaupt keine<br />

Anpassungsfrist vors<strong>ch</strong>lägt.<br />

4.1.3 Überarbeitungen des Vorentwurfs<br />

Vergli<strong>ch</strong>en mit dem Vorentwurf bringt der Gesetzesentwurf zwei Neuerungen: Die<br />

Re<strong>ch</strong>tsansprü<strong>ch</strong>e (Art. 7, vorgesehen erst bei Variante 2 des Vorentwurfs) und die<br />

Finanzhilfen des Bundes an die dur<strong>ch</strong> den Gesetzesentwurf verursa<strong>ch</strong>ten zusätzli<strong>ch</strong>en<br />

Kosten (Art. 17).<br />

Im Übrigen wurde der Vorentwurf namentli<strong>ch</strong> in den folgenden Punkten überarbeitet:<br />

– Er wurde mit einem neuen, kurzen Titel versehen, der auf den Gesetzeszweck<br />

hinweist (Glei<strong>ch</strong>stellung zwis<strong>ch</strong>en Behinderten und Ni<strong>ch</strong>tbehinderten).<br />

– Die Definition des Gesetzeszwecks (Art. 1) wurde stärker an die Perspektive<br />

von Artikel 8 Absatz 4 BV angegli<strong>ch</strong>en (Glei<strong>ch</strong>stellung an Stelle von Integration).<br />

– Der Artikel über die Begriffsbestimmungen (Art. 2) umfasst nun au<strong>ch</strong> die<br />

Ums<strong>ch</strong>reibungen der Bena<strong>ch</strong>teiligung im Allgemeinen (alter Art. 4 Abs. 2),<br />

und im Besonderen (alter Art. 5 Abs. 1 und 2); er definiert ebenfalls den Begriff<br />

des Erneuerns (bislang ni<strong>ch</strong>t definiert).<br />

– Der Artikel über den Geltungsberei<strong>ch</strong> (Art. 3) wurde einerseits in dreierlei<br />

Hinsi<strong>ch</strong>t ausgeweitet: 1. Er zählt aus Gründen der Systemlogik alle vom<br />

Entwurf anvisierten und seinen allgemeinen Prinzipien unterstellten Berei<strong>ch</strong>e<br />

auf (somit au<strong>ch</strong> die Zivilluftfahrt, die Arbeitsverhältnisse des Bundespersonals);<br />

2. Er umfasst Gebäude mit mehr als 50 Arbeitsplätzen; 3. Er hebt<br />

die quantitativen Restriktionen bezügli<strong>ch</strong> Grösse und Anzahl Plätze auf, da<br />

für die Mehrheit der befragten Stellen sie ni<strong>ch</strong>t als gere<strong>ch</strong>tfertigt oder geeignet<br />

fanden; anderseits wurde der Geltungsberei<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> begrenzt, und zwar<br />

insofern, als das Gesetz Skilifte sowie Sesselbahnen und Gondelbahnen mit<br />

weniger als 9 Plätzen ni<strong>ch</strong>t mehr einbezieht.<br />

– Ein neuer Artikel behält weitergehende kantonale Bestimmungen vor (Art. 3a).<br />

1772


– Die Bestimmungen, die das Verhältnismässigkeitsprinzip konkretisieren<br />

(Art. 5a Abs. 3 und 4), werden nun in einer eigenständigen Bestimmung<br />

aufgeführt (Art. 8).<br />

– Die Bestimmung betreffend die Massnahmen im Berei<strong>ch</strong> des Bundespersonals<br />

(Art. 9) wurde geändert.<br />

– Die Bestimmung, wel<strong>ch</strong>e in diesem glei<strong>ch</strong>en Berei<strong>ch</strong> Re<strong>ch</strong>tsansprü<strong>ch</strong>e vorsieht<br />

(Art. 6a), wurde gestri<strong>ch</strong>en.<br />

– Der Artikel über das Bes<strong>ch</strong>werdere<strong>ch</strong>t von Behindertenorganisationen (Art. 11)<br />

wurde insofern geändert, als das Bes<strong>ch</strong>werdere<strong>ch</strong>t an die Verfügung über die<br />

Plangenehmigung geknüpft wurde (dort, wo ein sol<strong>ch</strong>es Verfahren besteht).<br />

– Der Artikel, der Finanzhilfen für die Förderung der Glei<strong>ch</strong>stellung der Behinderten<br />

vorsieht (Art. 12 Abs. 3) wurde im Sinne der dur<strong>ch</strong> den NFA entwickelten<br />

Grundsätze präzisiert.<br />

– Der Artikel über den Grunds<strong>ch</strong>ulunterri<strong>ch</strong>t (Art. 14) wurde in dem Sinne revidiert,<br />

als ni<strong>ch</strong>t nur die s<strong>ch</strong>werhörigen und sehs<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en Personen, sondern<br />

au<strong>ch</strong> die anderen behinderten Kinder und Jugendli<strong>ch</strong>en miteinbezogen<br />

werden.<br />

– Der Artikel über die Anpassungsfristen für den öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr<br />

(Art. 16) wurde revidiert und die Fristen verlängert (20 und 10 Jahre).<br />

– Auf die Änderung der Artikel 35 Absatz 1 Bu<strong>ch</strong>stabe b und 213 Absatz 1<br />

Bu<strong>ch</strong>stabe b des Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer (Einführung<br />

eines neuen Sozialabzugs) wurde aus steuerre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Überlegungen verzi<strong>ch</strong>tet.<br />

– Die Änderung von Artikel 3 Absatz 4 des Radio- und Fernsehgesetzes (Verpfli<strong>ch</strong>tung,<br />

einen repräsentativen Teil der Sendezeit behindertengere<strong>ch</strong>t auszustrahlen)<br />

sowie von Artikel 13 Absatz 2bis des Bundesgesetzes über die<br />

Arbeitslosenversi<strong>ch</strong>erung (Berücksi<strong>ch</strong>tigung der Betreuungsaufgaben für die<br />

Bere<strong>ch</strong>nung der Dauer der Beitragsperiode) wurden mit Blick auf die umfassenden<br />

Revisionen dieser Gesetze fallen gelassen.<br />

Im Übrigen verweisen wir auf die Kommentare zu den einzelnen Bestimmungen.<br />

4.2 Ansatz des Gesetzesentwurfs<br />

Wie bereits in der Einführung erwähnt, kann das Problem der Behinderung und der<br />

Integration behinderter Personen auf unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Weise angegangen werden 140.<br />

Man kann auf die persönli<strong>ch</strong>e Situation Behinderter einwirken in der Absi<strong>ch</strong>t, ihnen<br />

verglei<strong>ch</strong>bare oder glei<strong>ch</strong>wertige Lebensbedingungen zu vers<strong>ch</strong>affen wie ni<strong>ch</strong>t behinderten<br />

Personen und ihre Situation jener ni<strong>ch</strong>t behinderter Mitglieder der Gesells<strong>ch</strong>aft<br />

anzunähern. Gemäss diesem Ansatz zielt eine staatli<strong>ch</strong>e Massnahme direkt auf<br />

die behinderte Person ab und der Gesetzgeber versu<strong>ch</strong>t, deren persönli<strong>ch</strong>e Situation<br />

zu verbessern oder zu verändern, beispielsweise dur<strong>ch</strong> Auszahlung von Renten zur<br />

Abdeckung des behinderungsbedingten Ausfalls von Erwerbseinkommen, dur<strong>ch</strong><br />

Sonders<strong>ch</strong>ulen, dur<strong>ch</strong> Förderung der berufli<strong>ch</strong>en Wiedereingliederung usw. Diesen<br />

Ansatz hat der Gesetzgeber mit der Sozialversi<strong>ch</strong>erung, insbesondere der Invaliden-<br />

140 Vgl. Ziff. 2.1<br />

1773


versi<strong>ch</strong>erung und der berufli<strong>ch</strong>en Vorsorge, gewählt. Sie dient namentli<strong>ch</strong> der Gewährleistung<br />

eines würdigen Lebens und entspri<strong>ch</strong>t dem Empfinden sozialer Gere<strong>ch</strong>tigkeit.<br />

Diese soziale Säule ist als Massnahme zur «Beseitigung von Bena<strong>ch</strong>teiligungen<br />

der behinderten Personen» zu betra<strong>ch</strong>ten und sie erfüllt bereits einen wi<strong>ch</strong>tigen<br />

Teil des Auftrags von Artikel 8 Absatz 4 BV.<br />

Diesem ersten Ansatz muss ein zweiter beigestellt werden, der den umgebenden<br />

Rahmen betrifft, um die Umstände und Hindernisse des Umfeldes, die Behinderte<br />

belasten, zu bekämpfen. Gemäss diesem zweiten Ansatz zielen die staatli<strong>ch</strong>en Massnahmen<br />

auf die Gesells<strong>ch</strong>aft insgesamt und die von ihr ges<strong>ch</strong>affenen Rahmenbedingungen.<br />

Die Massnahmen zielen darauf, die Rahmenbedingungen zu beeinflussen<br />

und die Bedürfnisse aller Mitglieder der Gesells<strong>ch</strong>aft zu berücksi<strong>ch</strong>tigen und zu verhindern,<br />

dass jene Personen, die ni<strong>ch</strong>t in jeder Hinsi<strong>ch</strong>t den allgemeinen Normen<br />

entspre<strong>ch</strong>en, marginalisiert und ausges<strong>ch</strong>lossen werden. Mit andern Worten zielt der<br />

«umgebungsbezogene» Ansatz auf den allgemeinen Rahmen des gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />

Lebens. Von den Massnahmen, die gestützt auf diesen Ansatz ergriffen werden,<br />

profitieren im Übrigen ni<strong>ch</strong>t nur dauerhaft behinderte Personen, sondern au<strong>ch</strong> alle<br />

jene, die alters-, unfall- oder krankheitsbedingt vorübergehend einen Teil ihrer Fähigkeiten<br />

verlieren.<br />

Der vorliegende Gesetzesentwurf gründet auf diesem zweiten Ansatz. Er strebt namhafte<br />

Verbesserungen an, namentli<strong>ch</strong> betreffend des Zugangs zu Bauten, die für die<br />

Öffentli<strong>ch</strong>keit bestimmt sind, des Transportwesens und der Dienstleistungen. Gestützt<br />

auf die Überprüfung der Wirksamkeit des Gesetzes ist eine Weiterentwicklung<br />

dieser Politik denkbar.<br />

S<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> ist festzustellen, dass der Entwurf eine gemis<strong>ch</strong>te Lösung darstellt, der<br />

einerseits den Erlass eines Spezialgesetzes vorsieht, das wi<strong>ch</strong>tige Begriffe ums<strong>ch</strong>reibt<br />

und einige Massnahmen im Berei<strong>ch</strong> der Bundeskompetenzen vorsieht, anderseits<br />

ändert er aber au<strong>ch</strong> geltende Gesetze.<br />

4.3 Erläuterungen zum Entwurf<br />

4.3.1 Allgemeine Präsentation<br />

Der Gesetzesentwurf ist in fünf Abs<strong>ch</strong>nitte unterteilt.<br />

Der 1. Abs<strong>ch</strong>nitt enthält allgemeine Bestimmungen, die insbesondere der Auslegung<br />

des Gesetzes dienen und den Geltungsberei<strong>ch</strong> ums<strong>ch</strong>reiben.<br />

Der 2. Abs<strong>ch</strong>nitt enthält die zentralen Bestimmungen des Entwurfs: Artikel 5 konkretisiert<br />

die Aufgaben von Bund und Kantonen und präzisiert, bezügli<strong>ch</strong> der allgemeinen<br />

Definition der Bena<strong>ch</strong>teiligung, dass die Förderungsmassnahmen selbst keine<br />

Diskriminierungen darstellen; Artikel 6 weitet das Prinzip des Diskriminierungsverbots<br />

(besonders s<strong>ch</strong>were Unglei<strong>ch</strong>behandlung) auf die Privaten aus, die ihre<br />

Dienstleistungen öffentli<strong>ch</strong> anbieten; s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> Artikel 7, der den Angelpunkt des<br />

Gesetzesentwurfs bildet; er sieht Re<strong>ch</strong>tsansprü<strong>ch</strong>e zur Dur<strong>ch</strong>setzung der gesetzli<strong>ch</strong>en<br />

Glei<strong>ch</strong>stellungsverpfli<strong>ch</strong>tungen vor, während Artikel 8 das Verhältnismässigkeitsprinzip<br />

konkretisiert und damit die Wirkung von Artikel 7 begrenzt. Diese Instrumente<br />

sollen die mit dem Vollzug des Re<strong>ch</strong>ts zusammenhängenden, oft als unüberwindbar<br />

gehaltenen S<strong>ch</strong>wierigkeiten zu meistern erlauben und ein vernünftiges<br />

Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t zwis<strong>ch</strong>en den vers<strong>ch</strong>iedenen Interessen gewährleisten.<br />

1774


Der 3. Abs<strong>ch</strong>nitt enthält die Bestimmungen, die nur den Bund betreffen, sei es, dass<br />

er eine Vorreiterrolle bei der eigenen Bes<strong>ch</strong>äftigungspolitik spielt, wel<strong>ch</strong>e die Anstellung<br />

von Behinderten fördert, sei es, dass die Bestimmungen Massnahmen der<br />

Glei<strong>ch</strong>stellung in seinen Kompetenzberei<strong>ch</strong>en enthalten (te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>e Normen für<br />

Bauten des Bundes oder für vom Bund subventionierte Bauten, Personentransport<br />

dur<strong>ch</strong> Konzessionäre). Dieser Abs<strong>ch</strong>nitt umfasst au<strong>ch</strong> einige Anreizsysteme, insbesondere<br />

finanzieller Art, die dazu beitragen sollen, die Bevölkerung für die Integration<br />

der Behinderten zu sensibilisieren.<br />

Der 4. Abs<strong>ch</strong>nitt enthält einen Artikel, der die Kantone verpfli<strong>ch</strong>tet, behinderten<br />

Kindern und Jugendli<strong>ch</strong>en eine ihren Bedürfnissen angepasste Grunds<strong>ch</strong>ulung zukommen<br />

zu lassen, die es ihnen au<strong>ch</strong> erlaubt, Kommunikationste<strong>ch</strong>niken zu erlernen,<br />

die ihrer Behinderung angemessen sind.<br />

Der 5. Abs<strong>ch</strong>nitt enthält die S<strong>ch</strong>lussbestimmungen: Artikel 16 sieht Anpassungsfristen<br />

im Berei<strong>ch</strong> des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs vor, die eine s<strong>ch</strong>rittweise Anwendung<br />

der neuen Grundsätze im Glei<strong>ch</strong>stellungsberei<strong>ch</strong> ermögli<strong>ch</strong>en; Artikel 17 ermä<strong>ch</strong>tigt<br />

den Bund, an öffentli<strong>ch</strong>e Transportunternehmen Finanzhilfen auszuri<strong>ch</strong>ten, um die<br />

Finanzierung der erhebli<strong>ch</strong>en Zusatzkosten als Folge des Gesetzesentwurfs zu erlei<strong>ch</strong>tern.<br />

Der Gesetzesentwurf sieht s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> die Anpassung vers<strong>ch</strong>iedener Bundesgesetze<br />

vor: Vorges<strong>ch</strong>lagen wird insbesondere eine Besserstellung der Behinderten im<br />

Steuerre<strong>ch</strong>t, da sie ihre vielfältigen behinderungsbedingten Unkosten nie ganz ersetzt<br />

erhalten und weil die direkten und indirekten Steuern sie aus psy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>er<br />

Si<strong>ch</strong>t stärker belasten können als ni<strong>ch</strong>t behinderte Steuerpfli<strong>ch</strong>tige; die anderen Gesetzesanpassungen<br />

beseitigen Bena<strong>ch</strong>teiligungen behinderter Personen in den Berei<strong>ch</strong>en<br />

Strassenverkehr und Fernmeldewesen.<br />

4.3.2 Die einzelnen Bestimmungen<br />

Titel<br />

Der Titel des Gesetzesentwurfs übernimmt wörtli<strong>ch</strong> Ausdrücke von Artikel 8 Absatz<br />

4 BV und gibt damit die Zielri<strong>ch</strong>tung der Normen an. Im Kurztitel wird das<br />

Anliegen der Glei<strong>ch</strong>stellung aufgegriffen, au<strong>ch</strong> wenn in dieser verkürzten Darstellung<br />

ni<strong>ch</strong>t gesagt werden kann, mit wem die Behinderten glei<strong>ch</strong>zustellen sind.<br />

Ingress<br />

Der Ingress verweist auf vier Verfassungsbestimmungen, auf die si<strong>ch</strong> der Gesetzesentwurf<br />

hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> stützt. In Ziffer 8 sind nähere Ausführungen zur Verfassungsmässigkeit<br />

der Vorlage enthalten.<br />

1. Abs<strong>ch</strong>nitt: Allgemeine Bestimmungen<br />

Art. 1 Zweck<br />

Die Verfassung beauftragt den Bund in Artikel 8 Absatz 4, Bena<strong>ch</strong>teiligungen dur<strong>ch</strong><br />

gesetzli<strong>ch</strong>e Massnahmen zu verringern oder zu beseitigen. Das vorliegende Gesetz<br />

dient der Erfüllung dieses Auftrags (Abs. 1). Werden die Anliegen Behinderter frühzeitig<br />

in die Planung einbezogen, können Bena<strong>ch</strong>teiligungen meist verhindert wer-<br />

1775


den, ohne dass ein (grosser) Zusatzaufwand entsteht. Der Sensibilisierung kommt<br />

für die Anliegen der Behinderten deshalb besonders grosse Bedeutung zu. Beispielhaft<br />

werden die wi<strong>ch</strong>tigsten Berei<strong>ch</strong>e genannt, die für die Teilnahme Behinderter am<br />

gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Leben und die Integration in die Gesells<strong>ch</strong>aft einen zentralen<br />

Stellenwert einnehmen: die sozialen Kontakte, die Bildung sowie die berufli<strong>ch</strong>e Tätigkeit,<br />

die eine mögli<strong>ch</strong>st ungehinderte Kommunikation und Mobilität voraussetzen<br />

(Abs. 2).<br />

Behinderte betra<strong>ch</strong>ten in der Regel behinderungsbedingte Eins<strong>ch</strong>ränkungen ihrer<br />

selbstbestimmten Lebensgestaltung als Bena<strong>ch</strong>teiligung. Als politis<strong>ch</strong>es Ziel soll<br />

deshalb wenn immer mögli<strong>ch</strong> und wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> verantwortbar die Beseitigung sol<strong>ch</strong>er<br />

Bena<strong>ch</strong>teiligungen angestrebt werden. Normalerweise dürften gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e<br />

Rahmenbedingungen, wel<strong>ch</strong>e die Unabhängigkeit Behinderter von der Hilfe dur<strong>ch</strong><br />

Drittpersonen erlauben und damit vom Gefühl befreien, von anderen Personen abhängig<br />

zu sein, oberstes Ziel bleiben. In vers<strong>ch</strong>iedenen Berei<strong>ch</strong>en werden Behinderte<br />

allerdings weiterhin auf die heute vielerorts gut funktionierende und wertvolle<br />

persönli<strong>ch</strong>e Hilfeleistung angewiesen sein. Sol<strong>ch</strong>e private Hilfen sollen dur<strong>ch</strong> das<br />

Gesetz ni<strong>ch</strong>t konkurrenziert werden.<br />

Art. 2 Begriffe<br />

Artikel 2 definiert die wi<strong>ch</strong>tigsten Begriffe für den Anwendungsberei<strong>ch</strong> dieses Gesetzesentwurfs.<br />

Er ums<strong>ch</strong>reibt in Absatz 1 den Begriff «Mens<strong>ch</strong> mit Behinderung».<br />

Die Invalidenversi<strong>ch</strong>erung definiert ni<strong>ch</strong>t die Behinderung allgemein, sondern verwendet<br />

den Begriff «Invalidität». Das Bundesgesetz über die Invalidenversi<strong>ch</strong>erung<br />

versteht darunter:<br />

«die dur<strong>ch</strong> einen körperli<strong>ch</strong>en oder geistigen Gesundheitss<strong>ch</strong>aden als Folge<br />

von Geburtsgebre<strong>ch</strong>en, Krankheit oder Unfall verursa<strong>ch</strong>te, voraussi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong><br />

bleibende oder längere Zeit dauernde Erwerbsunfähigkeit». 141<br />

Diese Ums<strong>ch</strong>reibung ist hier aus zwei Gründen ni<strong>ch</strong>t zweckmässig: Zum einen wird<br />

an die Erwerbsfähigkeit angeknüpft. Dieser Ansatz ist zu eng; die gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e<br />

Stellung der Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen darf ni<strong>ch</strong>t bloss über die Erwerbsfähigkeit<br />

definiert werden. Zudem interessiert hier die Ursa<strong>ch</strong>e der Behinderung ni<strong>ch</strong>t.<br />

Im deuts<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>werbehindertengesetz wird die Behinderung wie folgt ums<strong>ch</strong>rieben<br />

(§ 3):<br />

«Behinderung im Sinne dieses Gesetzes ist die Auswirkung einer ni<strong>ch</strong>t nur<br />

vorübergehenden Funktionsbeeinträ<strong>ch</strong>tigung, die auf einem regelwidrigen<br />

körperli<strong>ch</strong>en, geistigen oder seelis<strong>ch</strong>en Zustand beruht. Regelwidrig ist der<br />

Zustand, der von dem für das Lebensalter typis<strong>ch</strong>en abwei<strong>ch</strong>t. ....».<br />

141 BG vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversi<strong>ch</strong>erung, SR 831.20, Art. 4 Abs. 1. Zuvor<br />

ist die Änderung vom 26. Juni 1998, die eine Ausdehnung auf psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Erkrankungen<br />

vorsah, in der Volksabstimmung ges<strong>ch</strong>eitert (BBl 1998 3479, 1999 7293). Die 4. IV-<br />

Revision greift diesen Punkt wieder auf und soll damit die heutige Praxis verankern. Das<br />

Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversi<strong>ch</strong>erungsre<strong>ch</strong>ts<br />

(ATSG) gelangt dur<strong>ch</strong> die Verbindung seines Art. 8 in Verbindung mit Art. 4<br />

Abs. 1 des IVG, den es abändert (vgl. Ziff. 8 des Anhangs) zu einem verglei<strong>ch</strong>baren Ergebnis<br />

(BBl 2000 5041).<br />

1776


Altersbedingte Gebre<strong>ch</strong>en fallen damit ni<strong>ch</strong>t unter die gesetzli<strong>ch</strong>e Definition. Eine<br />

interessante Definition enthält der «Americans with disabilities Act» von 1990 in<br />

Section 3:<br />

«The term ‹disability› means, with respect to an individual:<br />

a. a physical or mental impairment that substantially limits one or more of<br />

the major life activities of su<strong>ch</strong> individual;<br />

b. a record of su<strong>ch</strong> an impairment; or<br />

c. being regarded as having su<strong>ch</strong> an impairment.»<br />

In dieser Ums<strong>ch</strong>reibung fehlt eine Unters<strong>ch</strong>eidung von geistiger und psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>er<br />

Behinderung; es ist unklar, ob psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Behinderungen au<strong>ch</strong> erfasst werden.<br />

Mit dem Gesetzesentwurf werden vers<strong>ch</strong>iedenste Sa<strong>ch</strong>berei<strong>ch</strong>e angespro<strong>ch</strong>en. Der<br />

Begriff der Behinderung muss dementspre<strong>ch</strong>end vielfältige Sa<strong>ch</strong>verhalte abdecken<br />

und ist deshalb in Absatz 1 in eigenständiger und umfassender Art ums<strong>ch</strong>rieben. Das<br />

Invalidenversi<strong>ch</strong>erungsgesetz definiert heute eine besondere Form der Erwerbsunfähigkeit<br />

und bezei<strong>ch</strong>net sie als Invalidität. Im Behindertenglei<strong>ch</strong>stellungsgesetz werden<br />

demgegenüber Funktionsverluste des Mens<strong>ch</strong>en ums<strong>ch</strong>rieben und als Behinderung<br />

bezei<strong>ch</strong>net. Diese Ums<strong>ch</strong>reibung erfasst eine grössere Mens<strong>ch</strong>engruppe: im<br />

Unters<strong>ch</strong>ied zur IV sind au<strong>ch</strong> Personen erfasst, die no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t oder ni<strong>ch</strong>t mehr im<br />

erwerbsfähigen Alter stehen. Erfasst werden vom Gesetz also insbesondere au<strong>ch</strong><br />

betagte Mens<strong>ch</strong>en, bei denen auf Grund des Alters dauerhafte Funktionsausfälle<br />

(z.B. verminderte Gehfähigkeit) eingetreten sind. Während die Invalidenversi<strong>ch</strong>erung<br />

den Verlust eines Einkommens dur<strong>ch</strong> eine individuelle Rente an eine bestimmte<br />

Person ausglei<strong>ch</strong>t, verbessert das Behindertenglei<strong>ch</strong>stellungsgesetz die allgemeinen<br />

gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Rahmenbedingungen, die (au<strong>ch</strong> wenn sie gestützt auf<br />

Art. 7 dur<strong>ch</strong> eine Klage oder Bes<strong>ch</strong>werde einer behinderten Person erzwungen wird)<br />

einer unbestimmten Vielzahl von Personen zugute kommt142. Absatz 2 ums<strong>ch</strong>reibt, wann im Allgemeinen eine Bena<strong>ch</strong>teiligung Behinderter vorliegt.<br />

Sie liegt vor, wenn zwis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en mit und ohne Behinderung differenziert<br />

wird, ohne dass sa<strong>ch</strong>gere<strong>ch</strong>te Kriterien dies verlangen, oder wenn eine Glei<strong>ch</strong>behandlung<br />

von Mens<strong>ch</strong>en mit und ohne Behinderungen vorgesehen ist, obs<strong>ch</strong>on<br />

eine Differenzierung aus sa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Gründen angezeigt wäre. Die Bena<strong>ch</strong>teiligung<br />

umfasst ni<strong>ch</strong>t nur die re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>terstellung, sondern au<strong>ch</strong> faktis<strong>ch</strong>e Verhältnisse.<br />

Die Bena<strong>ch</strong>teiligung ist von der Diskriminierung (vgl. Art. 6) abzugrenzen.<br />

Absatz 2 konkretisiert damit insbesondere den Begriff der Bena<strong>ch</strong>teiligung von Artikel<br />

8 Absatz 4 BV143. Laut Absatz 3 wird der ers<strong>ch</strong>werte Zugang zu Bauten sowie zu Einri<strong>ch</strong>tungen des<br />

öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs als Bena<strong>ch</strong>teiligung ums<strong>ch</strong>rieben. Es müssen ni<strong>ch</strong>t sämtli<strong>ch</strong>e<br />

Zugänge behindertengere<strong>ch</strong>t gestaltet sein; es genügt, wenn der Haupteingang die<br />

Anforderungen erfüllt. Unstatthaft wäre hingegen beispielsweise der Zugang über<br />

einen Warenlift eines Hintereingangs. Ein öffentli<strong>ch</strong>es Verkehrsmittel ist dann behindertengere<strong>ch</strong>t,<br />

wenn es wenigstens über eine Mögli<strong>ch</strong>keit der Benützung eines<br />

Personenwagens verfügt; es muss also ni<strong>ch</strong>t jedes Fahrzeug einer Zugskomposition<br />

über einen behindertengere<strong>ch</strong>ten Zugang verfügen. Es genügt, wenn pro Zug<br />

wenigstens ein Personenwagen entspre<strong>ch</strong>end ausgerüstet ist. Was die Bahnhöfe anbelangt,<br />

wird auf Verordnungsebene festzulegen sein, wel<strong>ch</strong>e Bahnhöfe neben den<br />

142 Vgl. dazu au<strong>ch</strong> Ziff. 4.2.<br />

143 Verglei<strong>ch</strong>e dazu ausführli<strong>ch</strong>er Ziffer 8.1.<br />

1777


wi<strong>ch</strong>tigsten Bahnhöfen, den sog. Stützbahnhöfen, in wel<strong>ch</strong>em Umfang anzupassen<br />

sind. Wie in den Erläuterungen zu Artikel 1 dargelegt, werden Rahmenbedingungen<br />

angestrebt, die Hilfe dur<strong>ch</strong> Drittpersonen mögli<strong>ch</strong>st erübrigen. Für die Benützung<br />

öffentli<strong>ch</strong>er Verkehrsmittel gilt dies nur bedingt. Die autonome Benützung öffentli<strong>ch</strong>er<br />

Verkehrsmittel s<strong>ch</strong>liesst die Beanspru<strong>ch</strong>ung des Personals der Verkehrsunternehmen,<br />

beispielsweise für die Benützung eines Mobilifts, ni<strong>ch</strong>t aus. Die Anwesenheit<br />

von Personal ist für viele Behinderte von uns<strong>ch</strong>ätzbarem Wert. Hingegen soll<br />

vermieden werden, dass au<strong>ch</strong> Mitreisende beigezogen werden müssen. Bei Wohnbauten<br />

muss der Zugang zu den einzelnen Wohnungen si<strong>ch</strong>ergestellt sein. Die behindertengere<strong>ch</strong>te<br />

Ausgestaltung des Wohnungsinneren wird ni<strong>ch</strong>t erfasst; dieser<br />

Berei<strong>ch</strong> ist von den Kantonen zu regeln.<br />

Absatz 4 ums<strong>ch</strong>reibt die ers<strong>ch</strong>werte Inanspru<strong>ch</strong>nahme von Dienstleistungen. Zu diesen<br />

Dienstleistungen gehören etwa jene von Amtsstellen mit Publikumsverkehr<br />

(Grundbu<strong>ch</strong>, Handelsregister usw.), regelmässige politis<strong>ch</strong>e, kulturelle oder sportli<strong>ch</strong>e<br />

Veranstaltungen, Einkaufszentren, Dienstleistungen der Banken usw. Au<strong>ch</strong> erfasst<br />

sind der Fernmeldeberei<strong>ch</strong> sowie Radio und Fernsehen. Diese beiden Berei<strong>ch</strong>e<br />

entwickeln si<strong>ch</strong> sehr dynamis<strong>ch</strong>. Dur<strong>ch</strong> Überarbeitung der spezialgesetzli<strong>ch</strong>en<br />

Grundlagen soll diesen Veränderungen Re<strong>ch</strong>nung getragen werden. Je na<strong>ch</strong> Forts<strong>ch</strong>reiten<br />

der Arbeiten und je na<strong>ch</strong> Ergebnis werden die Anliegen der Behinderten<br />

im Rahmen des vorliegenden Gesetzesentwurfs oder im Rahmen der Revisionen der<br />

beiden Spezialgesetze in anderer als der hier vorges<strong>ch</strong>lagenen Weise umgesetzt werden<br />

müssen144. Absatz 5 ums<strong>ch</strong>reibt, was unter «Erneuern» verstanden wird. Die Konkretisierung<br />

dur<strong>ch</strong> die Nennung einer Verhältniszahl entspri<strong>ch</strong>t der Forderung vers<strong>ch</strong>iedener<br />

Vernehmlasser.<br />

Art. 3 Geltungsberei<strong>ch</strong><br />

Der Gesetzesentwurf erfasst zunä<strong>ch</strong>st all jene Bauten und Anlagen, zu denen grundsätzli<strong>ch</strong><br />

jeder Zugang hat, sofern er die allenfalls bestehenden Voraussetzungen<br />

(Eintritts- oder Benützungsgebühr, s<strong>ch</strong>ickli<strong>ch</strong>e Kleidung usw.) erfüllt (Bst. a). Es<br />

gilt also beispielsweise für Ges<strong>ch</strong>äfte, Banken, Restaurants, Hotels, Veranstaltungsräume,<br />

Museen, Bibliotheken, Parkhäuser, Parkanlagen, Hallen- und Strandbäder<br />

sowie Sportstadien. Ausgenommen vom Geltungsberei<strong>ch</strong> sind dagegen Bauten und<br />

Anlagen, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes erbaut wurden (massgebend ist der<br />

Zeitpunkt, in dem die Baubewilligung erteilt wurde) und die seit Inkrafttreten des<br />

Gesetzes nie erneuert wurden.<br />

Der Geltungsberei<strong>ch</strong> ums<strong>ch</strong>liesst im Weiteren den öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr soweit er<br />

den genannten Gesetzen unterstellt ist (Bst. b). Dazu gehören Bahnhöfe, Haltestellen,<br />

S<strong>ch</strong>iffsanlegestellen, Flugplätze sowie Anlagen (Kommunikationssysteme, Billettausgabe,<br />

usw.) und Fahrzeuge (Züge, Busse, Trolleybusse, Seilbahnen, S<strong>ch</strong>iffe,<br />

Flugzeuge). Die SBB werden deshalb besonders erwähnt, weil ihr Betrieb im Unters<strong>ch</strong>ied<br />

zu den anderen Unternehmen des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs keiner Infrastrukturkonzession<br />

bedarf und si<strong>ch</strong> auf ein Spezialgesetz stützt145. Ausgenommen sind ledigli<strong>ch</strong><br />

Skilifte sowie kleinere Sesselbahnen und Gondelbahnen mit weniger als<br />

neun Plätzen pro Transporteinheit.<br />

144 Fernmeldegesetz vom 30. April 1997, SR 784.10; Radio- und Fernsehgesetz vom<br />

21. Juni 1991, SR 784.40<br />

145 BG vom 20. März 1998 über die S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Bundesbahnen, SR 742.31<br />

1778


Ferner gilt der Gesetzesentwurf bei Wohngebäuden einer gewissen Grösse (Bst. c):<br />

Wohngebäude müssen mehr als a<strong>ch</strong>t Wohneinheiten umfassen. Nur der Zugang zum<br />

Gebäude und zu den einzelnen Stockwerken muss gewährleistet sein. Die Ausgestaltung<br />

des Wohnungsinnern ist demgegenüber ni<strong>ch</strong>t Gegenstand des Geltungsberei<strong>ch</strong>s<br />

des Gesetzesentwurfs. Wie für die Bauten na<strong>ch</strong> Bu<strong>ch</strong>stabe a sind hier nur die<br />

Wohnbauten erfasst, die neu sind oder die erneuert werden.<br />

In analoger Weise erfasst der Gesetzesentwurf Gebäude mit mehr als 50 Arbeitsplätzen,<br />

die neu sind oder erneuert werden (Bst. d). Nur der Zugang zum Gebäude muss<br />

den Ansprü<strong>ch</strong>en der Behinderten entspre<strong>ch</strong>en. Der Geltungsberei<strong>ch</strong> des Gesetzesentwurfs<br />

erstreckt si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t auf das Gebäudeinnere. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen,<br />

dass ein Arbeitgeber, der Behinderte bes<strong>ch</strong>äftigt, s<strong>ch</strong>on heute für die Anpassungen<br />

des Arbeitsplatzes (in der Regel mit finanzieller Unterstützung der Invalidenversi<strong>ch</strong>erung)<br />

sowie der Arbeitsräume und der sanitären Einri<strong>ch</strong>tungen sorgen<br />

muss, damit alle Angestellten davon Gebrau<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>en können. Diese Verpfli<strong>ch</strong>tung<br />

gründet ni<strong>ch</strong>t auf dem Gesetzesentwurf, sondern auf andern Bundesvors<strong>ch</strong>riften über<br />

den Arbeitnehmers<strong>ch</strong>utz. Bu<strong>ch</strong>stabe e erfasst die Dienstleistungen Privater und<br />

Dienstleistungen der S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Bundesbahnen (SBB), konzessionierter Unternehmen<br />

sowie der Gemeinden, der Kantone und des Bundes.<br />

In den Bu<strong>ch</strong>staben a, b und e von Artikel 3 des Gesetzesentwurfs werden nur jene<br />

Bauten, Anlagen, Einri<strong>ch</strong>tungen, Fahrzeuge und Dienstleistungen erfasst, die öffentli<strong>ch</strong><br />

zugängli<strong>ch</strong> sind. Eine Dienstleistung ist dann öffentli<strong>ch</strong>, wenn sie einer unbestimmten<br />

Zahl von Personen (beispielsweise mit Inseraten) angeboten wird.<br />

Bauten, die bei ihrer Erstellung oder bei ihrer Erneuerung auf die Anforderungen<br />

der Behinderten ausgeri<strong>ch</strong>tet werden, müssen dana<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t fortlaufend der te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>en<br />

Entwicklung angepasst werden. Erst wieder im Falle einer späteren Erneuerung<br />

gemäss Artikel 2 Absatz 5 muss die Frage geprüft werden, ob der Bau den<br />

Anforderungen der Behinderten entspri<strong>ch</strong>t.<br />

Der letzte Bu<strong>ch</strong>stabe (f) erwähnt der Vollständigkeit halber Arbeitsverhältnisse, die<br />

dem Bundespersonalgesetz unterstehen. Artikel 9 präzisiert die geltenden Verpfli<strong>ch</strong>tungen<br />

des Bundes in diesem Berei<strong>ch</strong>.<br />

Art. 4 Verhältnis zum kantonalen Re<strong>ch</strong>t<br />

Etli<strong>ch</strong>e Vernehmlasser haben kritisiert, der Entwurf gehe teilweise hinter kantonales<br />

Re<strong>ch</strong>t zurück. Es ist indessen ni<strong>ch</strong>t die Absi<strong>ch</strong>t des Bundesrates, forts<strong>ch</strong>rittli<strong>ch</strong>e Lösungen<br />

auf kantonaler Ebene zu verhindern. Deshalb wird hier festgehalten, dass das<br />

künftige Gesetz weitergehenden Bestimmungen des kantonalen oder kommunalen<br />

Re<strong>ch</strong>ts ni<strong>ch</strong>t entgegensteht.<br />

2. Abs<strong>ch</strong>nitt: Beseitigung von Bena<strong>ch</strong>teiligungen<br />

Art. 5 Massnahmen von Bund und Kantonen<br />

Absatz 1 ri<strong>ch</strong>tet si<strong>ch</strong> an Bund und Kantone und verpfli<strong>ch</strong>tet sie, jene Massnahmen<br />

zu ergreifen, die nötig sind, um Bena<strong>ch</strong>teiligungen aufzuheben oder – wo dies ni<strong>ch</strong>t<br />

ohne weiteres mögli<strong>ch</strong> ist – auszuglei<strong>ch</strong>en. Die Massnahmen sollen au<strong>ch</strong> präventiv<br />

wirken und verhindern, dass Bena<strong>ch</strong>teiligungen überhaupt entstehen. Der zweite<br />

Satzteil hält fest, dass diese Massnahmen die besonderen Bedürfnissen behinderter<br />

1779


Frauen zu bea<strong>ch</strong>ten haben. Damit soll der doppelten Bena<strong>ch</strong>teiligung Re<strong>ch</strong>nung getragen<br />

werden. Das Problem der doppelten Diskriminierung stellt si<strong>ch</strong> insbesondere<br />

bei der Berufsbildung (Abdrängung in typis<strong>ch</strong>e Frauenberufe) und den Leistungen<br />

der Sozialversi<strong>ch</strong>erungen (berufli<strong>ch</strong>e Wiedereingliederung von behinderten Frauen,<br />

die keine Erwerbstätigkeit ausüben).<br />

Absatz 2 sagt, dass sa<strong>ch</strong>gere<strong>ch</strong>te Privilegierungen der Behinderten erlaubt sind und<br />

ni<strong>ch</strong>t mit dem Hinweis auf die Re<strong>ch</strong>tsglei<strong>ch</strong>heit angefo<strong>ch</strong>ten werden können. Sol<strong>ch</strong>e<br />

Massnahmen werden in der Regel zeitli<strong>ch</strong> begrenzt sein oder auf andere Weise<br />

sa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> auf enge Anwendungsberei<strong>ch</strong>e bes<strong>ch</strong>ränkt bleiben. Diese Bestimmung lehnt<br />

si<strong>ch</strong> an Artikel 3 Absatz 3 des Glei<strong>ch</strong>stellungsgesetzes an146. Art. 6 Dienstleistungen Privater<br />

Die Bestimmung hält fest, dass Diskriminierungen im Sinne von Artikel 8 Absatz 2<br />

BV ni<strong>ch</strong>t nur im Verhältnis zwis<strong>ch</strong>en Staat und Behinderten, sondern au<strong>ch</strong> unter<br />

Privaten untersagt sind (Drittwirkung). Die Diskriminierung ist eine qualifizierte<br />

Bena<strong>ch</strong>teiligung, d.h. eine besonders krasse unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e, bena<strong>ch</strong>teiligende und<br />

meist au<strong>ch</strong> herabwürdigende Behandlung von Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen. Das<br />

Diskriminierungsverbot verpfli<strong>ch</strong>tet Privatpersonen aber ni<strong>ch</strong>t, bestimmte (positive)<br />

Massnahmen zur Beseitigung von tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Bena<strong>ch</strong>teiligungen Behinderter zu<br />

ergreifen. Es verpfli<strong>ch</strong>tet weder zu einem glei<strong>ch</strong>stellenden Verhalten no<strong>ch</strong> dazu, auf<br />

Differenzierungen zwis<strong>ch</strong>en Kunden zu verzi<strong>ch</strong>ten.<br />

Mit andern Worten soll diese Bestimmung segregierendem Verhalten von Dienstleistungsanbietern<br />

vorbeugen, das Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen von bestimmten<br />

Aktivitäten auss<strong>ch</strong>liessen will aus Angst, dass ihre Präsenz eine bestimmte Ruhe<br />

oder die sozialen Gewohnheiten der übrigen Kunden beeinträ<strong>ch</strong>tigen könnte. So darf<br />

einer geistig behinderten Person der Zugang zu einem Restaurant ni<strong>ch</strong>t aus der blossen<br />

Fur<strong>ch</strong>t verwehrt werden, sie vertreibe andere Gäste und ohne dass er genügend<br />

Hinweise darauf hat, dass diese Person die Atmosphäre und Ruhe seines Betriebs<br />

störe. Soweit ein Behinderter si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>ickli<strong>ch</strong> benimmt und er ni<strong>ch</strong>t andere Gäste<br />

stört, wäre es diskriminierend, ihn abzuweisen. Die Bestimmung zielt demna<strong>ch</strong> auf<br />

besonders stossendes Verhalten, das jene Toleranz, die si<strong>ch</strong> Mitglieder unserer Gesells<strong>ch</strong>aft<br />

gegenseitig s<strong>ch</strong>uldig sind, vermissen lässt. Andererseits verpfli<strong>ch</strong>tet Artikel<br />

6 Privatpersonen ni<strong>ch</strong>t dazu, ihre Dienstleistungen den Bedürfnissen Behinderter<br />

besonders anzupassen. So muss der Inhaber eines Restaurants, um no<strong>ch</strong>mals auf dieses<br />

Beispiel zurückspre<strong>ch</strong>en zu kommen, seine Speisekarte ni<strong>ch</strong>t in Blindens<strong>ch</strong>rift<br />

anbieten, um Personen mit Sehbehinderungen eine selbstständige Bestellung zu ermögli<strong>ch</strong>en.<br />

Es bleibt der privaten Autonomie und Initiative des einzelnen privaten<br />

Dienstleistungsanbieters überlassen, ob er seine Dienstleistung behindertengere<strong>ch</strong>t<br />

anbieten will. Wird er in diesem Sinn tätig, kann dies sein Angebot attraktiver ma<strong>ch</strong>en<br />

und ihm einen Wettbewerbsvorteil vers<strong>ch</strong>affen.<br />

Das Diskriminierungsverbot gilt für jene Privaten, die Dienstleistungen öffentli<strong>ch</strong>,<br />

d.h. grundsätzli<strong>ch</strong> jedermann, anbieten. Unter den Begriff Dienstleistungen fallen<br />

zahlrei<strong>ch</strong>e Leistungsangebote. Im Vordergrund stehen der Detailhandel, Restaurants,<br />

Hotels, Bäder sowie kulturelle Angebote.<br />

146 SR 151.1<br />

1780


Art. 7 Re<strong>ch</strong>tsansprü<strong>ch</strong>e<br />

Das kantonale Re<strong>ch</strong>t ist namentli<strong>ch</strong> im Bauberei<strong>ch</strong> re<strong>ch</strong>t forts<strong>ch</strong>rittli<strong>ch</strong>147, vielfa<strong>ch</strong><br />

besteht aber ein Vollzugsdefizit. Mit einem Bes<strong>ch</strong>werde- und Klagere<strong>ch</strong>t können<br />

Behinderte das geltende Re<strong>ch</strong>t besser dur<strong>ch</strong>setzen. Die Vollzugskontrolle wird damit<br />

zu einem wesentli<strong>ch</strong>en Teil dur<strong>ch</strong> die Betroffenen selbst erfolgen. Dadur<strong>ch</strong> sinkt<br />

der Aufwand staatli<strong>ch</strong>er Vollzugskontrollen mit entspre<strong>ch</strong>endem Verwaltungsaufwand.<br />

Absatz 1 gibt Anspru<strong>ch</strong> auf Beseitigung von Behinderungen beim Zugang zu Bauten,<br />

Anlagen, Wohnungen sowie auf Verordnungsstufe gestützt auf Artikel 10 Absatz<br />

1 zu bestimmende Einri<strong>ch</strong>tungen und Fahrzeugen des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs.<br />

Beim Zugang zu Gebäuden ist der Eigentümer in die Pfli<strong>ch</strong>t zu nehmen. Sie trifft<br />

au<strong>ch</strong> Privatpersonen, die das Gebäude oder Teile davon an das Gemeinwesen oder<br />

konzessionierte Unternehmen als Dienstleistungsanbieter vermieten.<br />

Absatz 2 räumt ein Bes<strong>ch</strong>werde- und Klagere<strong>ch</strong>t ein für Personen mit Behinderungen,<br />

die Dienstleistungen der SBB, konzessionierter Unternehmen oder des Gemeinwesens<br />

selbst in Anspru<strong>ch</strong> nehmen wollen und dabei bena<strong>ch</strong>teiligt werden.<br />

Absatz 3 regelt das Bes<strong>ch</strong>werde- und Klagere<strong>ch</strong>t Behinderter, die eine Dienstleistung,<br />

die von Privatpersonen angeboten wird, beanspru<strong>ch</strong>en mö<strong>ch</strong>ten und dabei wegen<br />

ihrer Behinderung diskriminiert werden. Ein Klagere<strong>ch</strong>t auf Grund dieser Bestimmung<br />

besteht beispielsweise dann, wenn ein Hallenbadbetreiber Behinderten<br />

grundsätzli<strong>ch</strong> keinen Zutritt gewähren will. Der Gesetzesentwurf sieht im Fall einer<br />

Diskriminierung eine Ents<strong>ch</strong>ädigungspfli<strong>ch</strong>t vor.<br />

Für die Bes<strong>ch</strong>werde- und Klagelegitimation gelten die übli<strong>ch</strong>en Regeln. Wer ein<br />

subjektives Re<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong> Artikel 7 geltend ma<strong>ch</strong>en will, muss na<strong>ch</strong>weisen, dass er im<br />

Sinne des Gesetzesentwurfs behindert ist (Art. 2 Abs. 1) und dass er auf Grund dieser<br />

Behinderung im vorliegenden Fall persönli<strong>ch</strong> bena<strong>ch</strong>teiligt oder diskriminiert ist.<br />

Das Klage- und Bes<strong>ch</strong>werdere<strong>ch</strong>t gilt mit Inkrafttreten des Gesetzes für den ganzen<br />

Geltungsberei<strong>ch</strong>, also grundsätzli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> für den öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr. Mit Blick<br />

auf die besonders hohen Mehrkosten in diesem Berei<strong>ch</strong> ist in Artikel 16 jedo<strong>ch</strong> für<br />

die Verkehrsunternehmen eine Übergangsfrist von 20 beziehungsweise 10 Jahren<br />

vorgesehen, die ihnen eine Etappierung der notwendigen Anpassungen erlaubt. Es<br />

wird Sa<strong>ch</strong>e der re<strong>ch</strong>tsanwendenden Behörden sein, im Einzelfall mit Blick auf den<br />

Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu ents<strong>ch</strong>eiden, ob eine Anpassung der Bauten,<br />

Anlagen oder Fahrzeuge einem Verkehrsunternehmen s<strong>ch</strong>on vor Ablauf der Übergangsfrist<br />

zuzumuten ist oder ob das Anbieten einer Ersatzmassnahme na<strong>ch</strong> Artikel<br />

8 Absatz 2 genügt.<br />

Art. 8 Verhältnismässigkeit<br />

Diese Bestimmung konkretisiert das Verhältnismässigkeitsprinzip und erlaubt den<br />

re<strong>ch</strong>tsanwendenden Behörden, einen strengen Prüfungsmassstab anzulegen. Sie<br />

dient au<strong>ch</strong> dazu, die zeitli<strong>ch</strong>e Dimension (vgl. die Fristen in Art. 16) in die Interessenabwägung<br />

einzubeziehen. Insbesondere im öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr hängt die Zumutbarkeit<br />

von Anpassungen wesentli<strong>ch</strong> vom Faktor Zeit ab. Ganz allgemein muss<br />

die Beseitigung einer Bena<strong>ch</strong>teiligung wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> in einem vernünftigen Verhältnis<br />

zum Nutzen für Behinderte stehen (Abs. 1 Bst. a). Au<strong>ch</strong> überwiegende Interes-<br />

147 Vgl. Ziff. 2.3.2<br />

1781


sen des Umwelts<strong>ch</strong>utzes und des Natur- und Heimats<strong>ch</strong>utzes, eins<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> der<br />

Denkmalpflege (Abs. 1 Bst. b) oder der Verkehrs- und Betriebssi<strong>ch</strong>erheit (Abs. 1<br />

Bst. c) können der Dur<strong>ch</strong>setzung der Re<strong>ch</strong>tsansprü<strong>ch</strong>e Grenzen setzen. Wird ein<br />

säumiger Grundeigentümer eines Neubaus oder eines erneuerten Gebäudes eingeklagt,<br />

ist in der Interessenabwägung na<strong>ch</strong> Absatz 1 Bu<strong>ch</strong>stabe a darauf abzustellen,<br />

wie ho<strong>ch</strong> die zusätzli<strong>ch</strong>en Kosten bei der Erstellung bzw. Erneuerung des Gebäudes<br />

ausgefallen wären. Diese Kosten dürften regelmässig deutli<strong>ch</strong> tiefer liegen als die<br />

na<strong>ch</strong>trägli<strong>ch</strong>en Anpassungskosten.<br />

Gemäss Absatz 2 werden bei der Interessenabwägung die dem öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr<br />

in Artikel 16 eingeräumte Frist und die gestützt darauf festgelegten Programme zur<br />

Anpassung des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs an die Bedürfnisse der Behinderten einbezogen.<br />

Diese Bestimmung verstärkt den Gedanken der Verhältnismässigkeit, um der<br />

Tatsa<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>nung zu tragen, dass die Unternehmen des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs im<br />

Unters<strong>ch</strong>ied zu den anderen vom Gesetz betroffenen Gebäudeeigentümern oder<br />

Dienstleistungserbringern ihre bestehenden Infrastrukturen in den ersten zwanzig<br />

Jahren na<strong>ch</strong> Inkrafttreten des Gesetzes anpassen müssen. Diese Relativierung ist nötig,<br />

weil die subjektiven Re<strong>ch</strong>te ni<strong>ch</strong>t den Zweck der Übergangsbestimmung vereiteln<br />

sollen. Die subjektiven Re<strong>ch</strong>te haben in Bezug auf die bestehenden Infrastrukturen<br />

vor allem, wenn ni<strong>ch</strong>t auss<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong>, den Zweck zu verhindern, dass einfa<strong>ch</strong><br />

vorzunehmende Anpassungen verzögert werden. Sie sollen also ni<strong>ch</strong>t das vom Bund<br />

im Rahmen der Finanzhilfen (Art. 17 Abs. 3) entwickelte Umsetzungskonzept oder<br />

die entspre<strong>ch</strong>enden Investitionspläne der Unternehmen in Frage stellen. In diesem<br />

Sinn muss die re<strong>ch</strong>tsanwendende Behörde die Übergangsfristen in ihren Ents<strong>ch</strong>eid<br />

einbeziehen. Sie soll ni<strong>ch</strong>t Investitionen veranlassen oder Ersatzlösungen anordnen,<br />

die ni<strong>ch</strong>t im Einklang mit der Betriebs- und Investitionsplanung des Unternehmens<br />

stehen. Die Wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>keitsüberlegungen werden gegenüber dem Interesse an der<br />

Beseitigung einer Bena<strong>ch</strong>teiligung kurz na<strong>ch</strong> dem Inkrafttreten mehr Gewi<strong>ch</strong>t haben<br />

als gegen Ende der Übergangsfrist. Ersatzlösungen sind dann gutzuheissen, wenn sie<br />

billiger zu stehen kommen als die wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t zumutbare vollständige Beseitigung<br />

einer Bena<strong>ch</strong>teiligung und sie denno<strong>ch</strong> die Situation der Behinderten zu<br />

verbessern vermögen.<br />

Absatz 3 verstärkt den Grundsatz der Verhältnismässigkeit, indem es den re<strong>ch</strong>tsanwendenden<br />

Behörden erlaubt, beim Verzi<strong>ch</strong>t auf eine vollständige Beseitigung einer<br />

Bena<strong>ch</strong>teiligung eine differenzierte, auf die konkreten Verhältnisse zuges<strong>ch</strong>nittene<br />

Zwis<strong>ch</strong>enlösung gutzuheissen. Absatz 3 s<strong>ch</strong>reibt in diesem Sinne vor, dass das Gemeinwesen,<br />

die SBB oder eines anderen konzessionierten Unternehmens den Behinderten<br />

eine Ersatzlösung anbieten muss, wenn deren Re<strong>ch</strong>tsanspru<strong>ch</strong> aus Verhältnismässigkeitsgründen<br />

ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong>setzbar ist. Damit sollen jene Bena<strong>ch</strong>teiligungen,<br />

die mit vernünftigem Aufwand ni<strong>ch</strong>t beseitigt werden können, wenigstens soweit<br />

mögli<strong>ch</strong>, ausgegli<strong>ch</strong>en werden. Privatpersonen sind ni<strong>ch</strong>t verpfli<strong>ch</strong>tet, Ersatzmassnahmen<br />

zu ergreifen, wenn eine re<strong>ch</strong>tsanwendende Behörde feststellt, dass die<br />

Beseitigung einer Bena<strong>ch</strong>teiligung beim Zugang zu Gebäuden unverhältnismässig<br />

ist.<br />

Absatz 4 hält fest, dass der Ri<strong>ch</strong>ter eine Ents<strong>ch</strong>ädigung gestützt auf Artikel 7 Absatz<br />

3 na<strong>ch</strong> den konkreten Umständen, der S<strong>ch</strong>were der Diskrimination und dem<br />

Wert der fragli<strong>ch</strong>en Dienstleistung festlegt. Er ist dabei an die Hö<strong>ch</strong>stgrenze von<br />

5000 Franken gebunden.<br />

1782


3. Abs<strong>ch</strong>nitt: Besondere Bestimmungen für den Bund<br />

Allgemeines zu den Artikeln 9–13<br />

Dem Bund wird in Artikel 8 Absatz 4 BV keine neue Gesetzgebungskompetenz eingeräumt,<br />

sondern ledigli<strong>ch</strong> ein Gesetzgebungsauftrag erteilt. Er kann deshalb in den<br />

angestammten Zuständigkeitsberei<strong>ch</strong>en der Kantone keine Vors<strong>ch</strong>riften über die<br />

Glei<strong>ch</strong>stellung der Behinderten erlassen. Hingegen kann er in seinen Berei<strong>ch</strong>en –<br />

vorbildhaft – re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e und tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Bena<strong>ch</strong>teiligungen ausräumen. In Frage<br />

kommen Regeln insbesondere dort, wo er als Arbeitgeber und Bauherr auftritt, sowie<br />

dort, wo er dur<strong>ch</strong> von ihm kontrollierte Betriebe Dienstleistungen (Personentransport,<br />

Post) anbietet.<br />

Art. 9 Massnahmen im Personalberei<strong>ch</strong><br />

Der Bund übt eine Vorbildfunktion aus. Er soll deshalb als Arbeitgeber zu einer behindertenfreundli<strong>ch</strong>en<br />

Anstellungspraxis verpfli<strong>ch</strong>tet werden. Der Bundesrat hat<br />

bewusst keine Quote gewählt, um das Anliegen flexibel umsetzen zu können.<br />

Im Unters<strong>ch</strong>ied zu der hier vorges<strong>ch</strong>lagenen Lösung kennt Deuts<strong>ch</strong>land eine weitaus<br />

s<strong>ch</strong>ärfere Regelung mit einer zahlenmässig im Gesetz festgelegten Mindestquote:<br />

Private und öffentli<strong>ch</strong>e Arbeitgeber mit mehr als 16 Arbeitsplätzen müssen mindestens<br />

6 % S<strong>ch</strong>werbehinderte bes<strong>ch</strong>äftigen. Wird die Quote ni<strong>ch</strong>t errei<strong>ch</strong>t, ist für jeden<br />

ni<strong>ch</strong>t angestellte Behinderten monatli<strong>ch</strong> DM 200.– in einen Fonds zu bezahlen148. Wir betra<strong>ch</strong>ten eine derart eins<strong>ch</strong>neidende Regelung, die au<strong>ch</strong> private Arbeitgeber<br />

erfasst, ni<strong>ch</strong>t als zweckmässig.<br />

Die Regelung findet im Berei<strong>ch</strong> des Bundespersonalgesetzes vom 24. März 2000149 Anwendung (Art. 3).<br />

Weitere Ausführungen zu diesem Berei<strong>ch</strong> vgl. Ziffer 5.2.1.<br />

Art. 10 Vors<strong>ch</strong>riften über te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>e Normen<br />

Absatz 1 verpfli<strong>ch</strong>tet den Bundesrat, Vors<strong>ch</strong>riften über die behindertengere<strong>ch</strong>te Gestaltung<br />

der Einri<strong>ch</strong>tungen des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs, also der Haltestellen, Bahnhöfe,<br />

Flugplätze, Fahrzeuge, aber au<strong>ch</strong> der Kommunikations- und der Billettausgabesysteme<br />

zu erlassen. In diesen Ausführungsbestimmungen wird es unter anderem<br />

darum gehen zu ums<strong>ch</strong>reiben, wel<strong>ch</strong>e Bahnhöfe in wel<strong>ch</strong>em Umfang den Anliegen<br />

der Behinderten anzupassen sind. Eine te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>e Harmonisierung ist beste Gewähr<br />

für mögli<strong>ch</strong>st lückenfreie Transportketten und universell einsetzbare Hilfsmittel. Die<br />

betroffenen Kreise werden beim Erlass dieser Vors<strong>ch</strong>riften selbstverständli<strong>ch</strong> beigezogen.<br />

Mit Absatz 2 erhalten die bestehenden bundesrätli<strong>ch</strong>en Weisungen über bauli<strong>ch</strong>e<br />

Vorkehren für Behinderte vom 6. März 1989150 eine ausdrückli<strong>ch</strong>e gesetzli<strong>ch</strong>e Verankerung.<br />

148 Vgl. Ziff. 2.3.1.2<br />

149 BBl 2000 2208; AS ...; SR ...<br />

150 BBl 1989 I 1508<br />

1783


Angesi<strong>ch</strong>ts der ras<strong>ch</strong>en te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>en Entwicklung ist es notwendig, sol<strong>ch</strong>e Normen<br />

periodis<strong>ch</strong> dem Stand der Te<strong>ch</strong>nik anzupassen (Abs. 3). Soweit es zweckmässig ist,<br />

wird der Bundesrat auf Normen privater Organisationen verweisen.<br />

Absatz 4 erlaubt dem Bundesrat, differenzierte Lösungen für bestehende und neue<br />

Bauten, Anlagen und Fahrzeuge vorzusehen.<br />

Art. 11 Bes<strong>ch</strong>werdere<strong>ch</strong>t von Behindertenorganisationen<br />

Diese Bestimmung regelt das Bes<strong>ch</strong>werdere<strong>ch</strong>t von Organisationen, die si<strong>ch</strong> statutengemäss<br />

den Anliegen Behinderter widmen. Zur Bes<strong>ch</strong>werde zugelassen sind<br />

gesamts<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong> tätige Organisationen, die seit mindestens zehn Jahren existieren.<br />

Der Bundesrat bezei<strong>ch</strong>net die zur Bes<strong>ch</strong>werde bere<strong>ch</strong>tigten Organisationen, um<br />

Klarheit über die Bes<strong>ch</strong>werdelegitimation zu s<strong>ch</strong>affen (Abs. 1).<br />

Die Verfahrensbestimmungen bes<strong>ch</strong>ränken si<strong>ch</strong> auf bundesre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Verfahren, in<br />

denen eine Plangenehmigung oder eine Konzession erteilt werden (Abs. 2 und 3).<br />

Anfe<strong>ch</strong>tungsobjekt sind Verfügungen, die eine Bena<strong>ch</strong>teiligung im Sinne von Artikel<br />

2 des Gesetzesentwurfs zum Gegenstand haben. Angefo<strong>ch</strong>ten werden können<br />

insbesondere Verfügungen in den Berei<strong>ch</strong>en Kommunikation (Radio und Fernsehen)<br />

und öffentli<strong>ch</strong>er Verkehr (Plangenehmigungen für Bauten und Anlagen sowie<br />

Fahrzeugzulassungen).<br />

Die Absätze 4 und 5 enthalten Regeln über die Eröffnung von Verfügungen und andere<br />

verfahrensre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Details analog dem Bes<strong>ch</strong>werdeverfahren im Umwelts<strong>ch</strong>utzgesetz<br />

vom 7. Oktober 1983151. Allgemeines betreffend die Artikel 12 und 13<br />

Wie das s<strong>ch</strong>on in den beiden Vernehmlassungsverfahren betont wurde152, können<br />

gesetzli<strong>ch</strong>e Bestimmungen ni<strong>ch</strong>t alle Aspekte der Stellung behinderter Mens<strong>ch</strong>en in<br />

der Gesells<strong>ch</strong>aft regeln. Die Forts<strong>ch</strong>ritte in diesem Punkt hängen stark von der Entwicklung<br />

der Geisteshaltung der Bevölkerung ab und die Gesells<strong>ch</strong>aft muss wieder<br />

vermehrt lernen, mit Unters<strong>ch</strong>ieden in einer gemis<strong>ch</strong>ten Gesells<strong>ch</strong>aft zu leben, deren<br />

Mitglieder ni<strong>ch</strong>t immer über die glei<strong>ch</strong>en Mögli<strong>ch</strong>keiten verfügen. Dieser Prozess<br />

geht im Übrigen weit über die Frage der behinderten Mens<strong>ch</strong>en hinaus und bes<strong>ch</strong>lägt<br />

au<strong>ch</strong> Fragen der ethnis<strong>ch</strong>en Zugehörigkeit, der Kulturen, der Spra<strong>ch</strong>en und<br />

Nationalitäten; es geht im weitesten Sinn um Fragen der kollektiven Toleranz153. Diese Bestimmungen über die Förderungsmassnahmen sollen zu einem Mentalitätswandel<br />

beitragen und eine Politik unterstützen, die Einzelnen diese Entwicklung<br />

ermögli<strong>ch</strong>t. Die erwähnten Programme sollen innovatoris<strong>ch</strong>e Modelle der Gesells<strong>ch</strong>aftsorganisation<br />

und der Integration Behinderter ermögli<strong>ch</strong>en.<br />

Die Artikel 12 und 13 bilden die gesetzli<strong>ch</strong>e Grundlage, die Integration Behinderter<br />

dur<strong>ch</strong> den Bund zu fördern und Beiträge auszuri<strong>ch</strong>ten. Sie erlauben jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t den<br />

Erlass von Organisationsvors<strong>ch</strong>riften. Soweit die neue Aufgabe einer Einheit der<br />

Zentralverwaltung zukommt, ist die Frage der Zuordnung ni<strong>ch</strong>t im Gesetz im formellen<br />

Sinne, sondern auf der Stufe einer bundesrätli<strong>ch</strong>en Verordnung154 zu regeln.<br />

151 Art. 55, SR 814.01<br />

152 Vgl. Ziff. 2.4.2 und 4.4.1<br />

153 Vgl. Ziff. 2.1<br />

154 Vgl. Ziff. 4.3.5<br />

1784


Art. 12 Programme zur Integration von Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen<br />

Artikel 12 sieht die Mögli<strong>ch</strong>keit des Bundes vor, Programme für die Integration Behinderter<br />

dur<strong>ch</strong>zuführen. Die Umsetzung der Programme setzt das Einverständnis<br />

der Betroffenen voraus. Es kann ni<strong>ch</strong>t um zwangsweise Integrationsmassnahmen<br />

gehen. Um der Klarheit willen nennt Absatz 2 die wi<strong>ch</strong>tigsten Berei<strong>ch</strong>e; es handelt<br />

si<strong>ch</strong> aber ni<strong>ch</strong>t um eine abs<strong>ch</strong>liessende Aufzählung. Das Ziel dieser Programme ist<br />

es, mit der Unterstützung der Behörden neue Massnahmen und Formen der Integration<br />

Behinderter zu testen. Wir denken dabei an die Integration geistig oder psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong><br />

behinderter Kinder und Jugendli<strong>ch</strong>er in den Regelklassen mittels Unterstützung<br />

der Lehrkräfte und angemessener pädagogis<strong>ch</strong>er Betreuung. Andere Programme<br />

könnten die Integration Behinderter im Berufsleben fördern, au<strong>ch</strong> da mit psy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>er<br />

Betreuung am Arbeitsplatz und unter Einbezug der Verhältnisse am<br />

Arbeitsplatz. S<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> können sol<strong>ch</strong>e Programme Behinderte in ihrer autonomen<br />

Lebensweise unterstützen. Die Massnahmen zielen beispielsweise darauf, Haus- und<br />

Quartierbewohner dafür zu gewinnen, behinderten Mens<strong>ch</strong>en in ihrer Umgebung zu<br />

helfen, ein autonomes Leben zu führen und das Verantwortungs- und Solidaritätsgefühl<br />

gegenüber behinderten Mitmens<strong>ch</strong>en zu stärken. Wieder andere Programme<br />

können der Förderung der aktiven Präsenz behinderter Personen im Rahmen allgemein<br />

bekannter Veranstaltungen dienen, statt dass entspre<strong>ch</strong>ende Parallelveranstaltungen<br />

dur<strong>ch</strong>geführt werden (z.B. Sportwettkämpfe).<br />

Absatz 3 erlaubt dem Bund, si<strong>ch</strong> an der Erarbeitung sol<strong>ch</strong>er Programme zu beteiligen.<br />

Angesi<strong>ch</strong>ts des hohen Sa<strong>ch</strong>wissens der privaten Behindertenorganisationen ist<br />

es denkbar, dass si<strong>ch</strong> der Bund s<strong>ch</strong>wergewi<strong>ch</strong>tig darauf konzentriert, si<strong>ch</strong> bloss an<br />

Programmen zu beteiligen. Dies entspri<strong>ch</strong>t übrigens au<strong>ch</strong> dem Gedanken der Subsidiarität<br />

staatli<strong>ch</strong>er Massnahmen. Unter Beteiligung sind die Zusammenarbeit bei der<br />

Entwicklung von Konzepten, die Bereitstellung von Infrastrukturen oder finanzielle<br />

Beihilfen zu verstehen. Für Subventionen gelten die allgemeinen Regeln, insbesondere<br />

die Pfli<strong>ch</strong>t der Programmverantwortli<strong>ch</strong>en, eine Eigenleistung zu erbringen, die<br />

ihnen auf Grund ihrer wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Leistungsfähigkeit zugemutet werden kann<br />

(Art. 7 des Subventionsgesetzes vom 5. Oktober 1990155). Die Subventionsempfänger<br />

können das Gemeinwesen selbst oder ihre Dienststellen und Betriebe sein oder<br />

private Organisationen der Behindertenhilfe. Ferner werden die Finanzhilfen in<br />

Übereinstimmung mit den im Rahmen des neuen Finanzausglei<strong>ch</strong>s entwickelten<br />

Grundsätzen nur an die gesamts<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong> oder spra<strong>ch</strong>regional tätigen Organisation<br />

ausgeri<strong>ch</strong>tet. Privatpersonen und Unternehmen hingegen, die selbst Programme<br />

zur Integration Behinderter entwerfen, können keine Finanzhilfen des Bundes gestützt<br />

auf diese Bestimmung erhalten. Die Bestimmung gibt keinen Anspru<strong>ch</strong> auf<br />

Subventionen.<br />

Die Finanzhilfen sind mit jenen der Invalidenversi<strong>ch</strong>erung zu koordinieren (Förderung<br />

der Invalidenhilfe, Art. 73 f. IVG) und die Invalidenversi<strong>ch</strong>erung wird weiterhin<br />

– dem in Artikel 75 Absatz 2 IVG erwähnten Grundsatz gemäss – nur greifen,<br />

wenn keine anderen Bundeshilfen ausgeri<strong>ch</strong>tet werden. Artikel 12 des vorliegenden<br />

Entwurfs ändert an dieser Situation ni<strong>ch</strong>ts. Im Übrigen sind die Koordinationsfragen<br />

zwis<strong>ch</strong>en den vers<strong>ch</strong>iedenen Hilfen auf der Ebene von Bundesratsverordnungen zu<br />

lösen.<br />

155 SR 616.1<br />

1785


Art. 13 Information, Beratung und Überprüfung der Wirksamkeit<br />

Diese Bestimmung liefert die gesetzli<strong>ch</strong>e Grundlage, damit der Bund eine Informations-<br />

und Beratungspolitik zu Gunsten Behinderter führen kann. Absatz 1 handelt<br />

von der allgemeinen Information, mit der die Öffentli<strong>ch</strong>keit für die besonderen<br />

Probleme der Behinderten sensibilisiert und die Ents<strong>ch</strong>eidungsträger angeregt werden<br />

sollen, re<strong>ch</strong>tzeitig bere<strong>ch</strong>tigte Anliegen der behinderten Mens<strong>ch</strong>en einzubeziehen.<br />

In Absatz 2 wird die Beratung von einzelnen Privatpersonen geregelt. Absatz 3<br />

enthält ein für alle Politikberei<strong>ch</strong>e unentbehrli<strong>ch</strong>es Instrument, die Evaluation von<br />

bes<strong>ch</strong>lossenen Massnahmen. Diese Evaluationen erlauben eine Überprüfung der<br />

Stossri<strong>ch</strong>tung und führen nötigenfalls zu einer Korrektur oder zur Aufhebung<br />

einer Massnahme. Der Bund soll au<strong>ch</strong> Massnahmen anderer Instanzen, insbesondere<br />

jener Organisationen, deren Massnahmen er finanziell unterstützt, evaluieren<br />

können.<br />

4. Abs<strong>ch</strong>nitt: Besondere Bestimmungen für die Kantone<br />

Art. 14<br />

Der Bund kann im Berei<strong>ch</strong> der Grunds<strong>ch</strong>ule nur ums<strong>ch</strong>reiben, was der grundre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e<br />

Anspru<strong>ch</strong> auf «ausrei<strong>ch</strong>enden» Unterri<strong>ch</strong>t bedeutet156. Absatz 1 hält fest, dass die Kantone verpfli<strong>ch</strong>tet sind, Kindern und Jugendli<strong>ch</strong>en mit<br />

Behinderungen eine Grunds<strong>ch</strong>ulung zu offerieren, die den spezifis<strong>ch</strong>en Bedürfnissen<br />

ihrer Behinderung Re<strong>ch</strong>nung trägt. Der Gesetzesentwurf lässt jedo<strong>ch</strong> offen, in wel<strong>ch</strong>em<br />

Rahmen allfällige Sondermassnahmen zu ergreifen sind. Den Kantonen bleibt<br />

weiterhin – unter Wahrung der Interessen der behinderten S<strong>ch</strong>ülerinnen und S<strong>ch</strong>üler<br />

– die Wahl zwis<strong>ch</strong>en integrierter S<strong>ch</strong>ulung in der Regels<strong>ch</strong>ule und der Sonders<strong>ch</strong>ulung.<br />

Zu einem ausrei<strong>ch</strong>enden Unterri<strong>ch</strong>t gehört aus inhaltli<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t die Ausbildung der<br />

Fähigkeiten, einen Beruf erlernen und ausüben zu können und die Anforderungen<br />

des modernen Lebens selbstständig zu meistern, wozu au<strong>ch</strong> die Ausdrucksfähigkeit<br />

gehört157. Für Mens<strong>ch</strong>en mit Hör- und Spre<strong>ch</strong>behinderungen bestehen für die direkte<br />

Kommunikation vers<strong>ch</strong>iedene Hilfsmittel und Te<strong>ch</strong>niken wie beispielsweise<br />

die Gebärdenspra<strong>ch</strong>e oder die Blindens<strong>ch</strong>rift. Diese Kommunikationste<strong>ch</strong>niken sind<br />

für die Betroffenen zentrale Instrumente für die Integration in die Gesells<strong>ch</strong>aft. Der<br />

Umgang mit diesen Te<strong>ch</strong>niken gehört deshalb für sie zum Pfli<strong>ch</strong>tstoff ihrer Grundbildung,<br />

die dur<strong>ch</strong> Artikel 62 BV garantiert wird. Absatz 2 verpfli<strong>ch</strong>tet die Kantone<br />

deshalb zu einem entspre<strong>ch</strong>enden S<strong>ch</strong>ulungsangebot.<br />

5. Abs<strong>ch</strong>nitt: S<strong>ch</strong>lussbestimmungen<br />

Änderung bisherigen Re<strong>ch</strong>ts gemäss Art. 15<br />

Vgl. Ziff. 4.3.3<br />

156 Art. 62 Abs. 2 BV, vgl. au<strong>ch</strong> Ziff. 8.1.<br />

157 Borghi in Kommentar BV zu Art. 27, Rz. 33 f.<br />

1786


Art. 16 Anpassungsfristen für den öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr<br />

Beim öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr wird differenziert zwis<strong>ch</strong>en den festen Bauten und den<br />

Fahrzeugen sowie der Art und Weise, wie Informationen und Billette erhältli<strong>ch</strong> sind.<br />

Die in der Vernehmlassung vorges<strong>ch</strong>lagene Übergangsfrist für Bauten und Fahrzeuge<br />

von 10 Jahren wurde von zahlrei<strong>ch</strong>en Vernehmlassern, namentli<strong>ch</strong> von Kantonen<br />

und Verkehrsunternehmen, als unrealistis<strong>ch</strong> beurteilt. Auf Grund der Langlebigkeit<br />

der Infrastruktur und der Fahrzeuge ers<strong>ch</strong>eint eine Anpassungsfrist von 20 Jahren<br />

angemessen (Abs. 1). Zur Auswirkung des Zeitfaktors auf die Höhe der zusätzli<strong>ch</strong>en<br />

Kosten verglei<strong>ch</strong>e au<strong>ch</strong> Ziffer 5.4.2.<br />

Für die Umstellung der Kommunikationssysteme und der Billettausgabe lässt si<strong>ch</strong><br />

eine kürzere Frist von zehn Jahren re<strong>ch</strong>tfertigen (Abs. 2).<br />

Erwähnt sei s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> in diesem Zusammenhang, dass während der Übergangsfrist<br />

subjektive Re<strong>ch</strong>te geltend gema<strong>ch</strong>t werden können, wenn au<strong>ch</strong> in bes<strong>ch</strong>ränktem<br />

Umfang (vgl. Art. 8 Abs. 2). Absatz 3 konkretisiert diese Bes<strong>ch</strong>ränkung. Bei der Interessenabwägung<br />

muss die re<strong>ch</strong>tsanwendende Behörde dem Umsetzungskonzept<br />

und den für die Ausri<strong>ch</strong>tung von Finanzhilfen festgelegten Prioritäten (Art. 17 Abs. 3)<br />

sowie der Investitions- und Betriebspolitik der Unternehmen Re<strong>ch</strong>nung tragen.<br />

Art. 17 Finanzhilfen des Bundes<br />

Die Verkehrsunternehmen des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs sind einem harten Wettbewerb<br />

mit dem Privatverkehr ausgesetzt. Sie können anfallende Mehrkosten nur zu einem<br />

geringen Teil auf die Kunden überwälzen, weil diese sonst auf den Privatverkehr<br />

auswei<strong>ch</strong>en. Ein Leistungsabbau hätte dieselbe unerwüns<strong>ch</strong>te Wirkung. Es ist deshalb<br />

unumgängli<strong>ch</strong>, dass si<strong>ch</strong> der Bund im Verkehrsberei<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> finanziell engagiert<br />

und damit eine bes<strong>ch</strong>leunigte Umstellung auf behindertengere<strong>ch</strong>te Infrastrukturen<br />

ermögli<strong>ch</strong>t (Abs. 1).<br />

Diese Finanzhilfen sind gemäss Absatz 2 für alle Massnahmen na<strong>ch</strong> Artikel 16<br />

mögli<strong>ch</strong>, jedo<strong>ch</strong> nur für die Übergangs- und Anpassungszeit, wie sie in den beiden<br />

Absätzen dieser Bestimmung enthalten sind. Dana<strong>ch</strong> entfallen sie automatis<strong>ch</strong>. Absatz<br />

2 sieht einen Zahlungsrahmen für die Finanzhilfen des Bundes vor. Die Höhe<br />

des Zahlungsrahmens ist von der Bundesversammlung in einem Bundesbes<strong>ch</strong>luss<br />

festzulegen. Laut dem Entwurf dieses Bundesbes<strong>ch</strong>lusses, der mit diesem Gesetz<br />

unterbreitet wird, wird der Zahlungsrahmen auf 300 Millionen Franken festgelegt,<br />

verteilt auf die Frist von 20 Jahren für Massnahmen na<strong>ch</strong> Artikel 16 Absatz 1 und<br />

von 10 Jahren für Massnahmen na<strong>ch</strong> Artikel 16 Absatz 2. In interdepartementaler<br />

Zusammenarbeit wird eine Prioritätenliste erstellt werden, gemäss der die Finanzhilfen<br />

gewährt werden.<br />

1787


4.3.3 Anpassungen geltenden Re<strong>ch</strong>ts<br />

1. Bundesgesetz vom 14. Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer 158<br />

Art. 33 Abs. 1 Bst. hbis (neu)<br />

Die Behindertenkreise verlangen, dass alle dur<strong>ch</strong> die Invalidität verursa<strong>ch</strong>ten Kosten<br />

vom steuerbaren Einkommen abziehbar sind (vollständiger Verzi<strong>ch</strong>t auf einen<br />

Selbstbehalt), da dieser Selbstbehalt, der übrigens von Kanton zu Kanton variiert,<br />

als «Bestrafung» der Behinderten empfunden wird: Behinderte sind dauerhaft mit<br />

höheren Kosten als ni<strong>ch</strong>t behinderte Personen konfrontiert. Um dieser besonderen<br />

Situation Behinderter besser Re<strong>ch</strong>nung zu tragen, s<strong>ch</strong>lagen wir vor, die im Sinne<br />

dieses Gesetzes behinderten Steuerpfli<strong>ch</strong>tigen teilweise oder ganz vom Selbstbehalt<br />

zu befreien, wie er in Artikel 33 Absatz 1 Bu<strong>ch</strong>stabe h des Bundesgesetzes über die<br />

direkte Bundessteuer vorgesehen ist. Die vorges<strong>ch</strong>lagene Lösung sieht zwei Stufen<br />

vor: Wenn die entstandenen Kosten 8–10% des steuerbaren Einkommens betragen,<br />

sind sie bis zu 2/3 abziehbar; übersteigen sie 10% des Einkommens, sind sie vollständig<br />

abziehbar (Aufhebung des Selbstbehaltes). Insgesamt erlaubt das gewählte<br />

System Behinderten folgende Abzüge:<br />

– Kosten, die dur<strong>ch</strong> Krankheit, Unfall oder Invalidität entstehen, sind nur abziehbar,<br />

wenn sie mindestens 5% des reinen Einkommens übersteigen (maximaler<br />

Selbstbehalt);<br />

– übersteigen die Kosten 8%, aber ni<strong>ch</strong>t 10% des reinen Einkommens, sind sie<br />

zu 2/3 abziehbar (reduzierter Selbstbehalt);<br />

– die Kosten sind vollständig abziehbar, wenn sie 10% des reinen Einkommens<br />

übersteigen (Selbstbehalt aufgehoben).<br />

Diese Lösung erlaubt es, die Steuerbelastung der besonders stark betroffenen Behinderten<br />

zu erlei<strong>ch</strong>tern, d. h. all jener, die auf Dauer einen wesentli<strong>ch</strong>en Teil ihres<br />

Einkommens für Kosten aufwenden müssen, die mit ihrer Behinderung zusammenhängen.<br />

Die vorges<strong>ch</strong>lagene Formulierung erlaubt es, nur jene vom neuen System<br />

profitieren zu lassen, die die Voraussetzungen von Artikel 2 Absatz 1 erfüllen.<br />

Im Vorentwurf eines Behindertengesetzes, das am 4. Juni 2000 in die Vernehmlassung<br />

ges<strong>ch</strong>ickt wurde, haben wir vorges<strong>ch</strong>lagen, einen Sozialabzug für Betreuungsarbeit<br />

vorzusehen (Änderung der Art. 35 Abs. 1 Bst. b und 213 Abs. 1 Bst. b<br />

DBG159). Wir haben auf diesen Vors<strong>ch</strong>lag verzi<strong>ch</strong>tet, weil si<strong>ch</strong> dieser Vors<strong>ch</strong>lag<br />

s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t mit der geltenden steuerre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Systematik verträgt, die verlangt, dass<br />

Abzüge auf tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Kosten Bezug nehmen und ni<strong>ch</strong>t auf hypothetis<strong>ch</strong>e wie der<br />

Verzi<strong>ch</strong>t auf Einkommen.<br />

158 DBG; SR 642.11<br />

159 Vgl. Ziff. 1 von Art. 12 (Änderung bisherigen Re<strong>ch</strong>ts) des Vernehmlassungsentwurfs<br />

1788


2. Bundesgesetz vom 14. Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten<br />

Steuern der Kantone und Gemeinden 160<br />

Art. 9 Abs. 2 Bst. h<br />

Diese Änderung entspri<strong>ch</strong>t der Revision von Artikel 33 Absatz 1 Bu<strong>ch</strong>stabe hbis DBG (vgl. Ziff. 1). Es liegt an den Kantonen zu ents<strong>ch</strong>eiden, wie sie die Abzüge des<br />

Selbstbehaltes abstufen wollen.<br />

3. Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 161<br />

Art. 8 Abs. 2, 2. Satz<br />

Die Zweckbestimmung wird erweitert und umfasst neu ausdrückli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> die Bedürfnisse<br />

der Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen. Diese Revision erlaubt Anpassungen<br />

des Verordnungsre<strong>ch</strong>ts, z. B. der Verordnung über die te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>en Anforderungen<br />

an Strassenfahrzeuge162. 4. Fernmeldegesetz vom 30. April 1997 163<br />

Art. 16 Abs. 1e und 1bis (neu)<br />

Eine Auslegung des geltenden Gesetzestextes im Sinne der neuen Verfassung (Art. 8)<br />

würde wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> erlauben, diese neuen Verpfli<strong>ch</strong>tungen im Verordnungsre<strong>ch</strong>t<br />

auszuführen. Es s<strong>ch</strong>eint aber zweckmässig, den Willen, die Infrastrukturen und<br />

Dienste na<strong>ch</strong> dem neuen Gedanken der Glei<strong>ch</strong>stellung der Behinderten auszuri<strong>ch</strong>ten,<br />

deutli<strong>ch</strong> zum Ausdruck zu bringen. Der Inhalt des bisherigen Absatz 1 Bu<strong>ch</strong>stabe e<br />

wird Teil des umfassenderen neuen Absatzes 1 bis . Diese Bestimmung garantiert, dass<br />

die Grundversorgung in der ganzen S<strong>ch</strong>weiz Behinderten und ni<strong>ch</strong>t Behinderten zu<br />

verglei<strong>ch</strong>baren Bedingungen angeboten wird. Zum einen geht es darum, die te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>e<br />

Qualität si<strong>ch</strong>erzustellen und laufend dem te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>en Forts<strong>ch</strong>ritt anzupassen,<br />

andererseits sollen Zusatzgebühren wegen Mehrkosten verhindert werden. Diese<br />

Bestimmung gilt für die Grundversorgungskonzessionäre. Anpassungen sind unter<br />

anderem bei den öffentli<strong>ch</strong>en Spre<strong>ch</strong>stellen notwendig. Es ist jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t erforderli<strong>ch</strong>,<br />

jede Spre<strong>ch</strong>stelle den Bedürfnissen der Behinderten anzupassen. Dort, wo wegen<br />

grosser Na<strong>ch</strong>frage mehrere Spre<strong>ch</strong>stellen glei<strong>ch</strong>zeitig angeboten werden (wie<br />

beispielsweise in Bahnhöfen), genügt es, wenn wenigstens eine behindertenkonform<br />

ausgerüstet ist.<br />

4.3.4 Bundesbes<strong>ch</strong>luss über die Finanzierung<br />

der Massnahmen im öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr<br />

zu Gunsten von Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen<br />

Artikel 17 des Gesetzesentwurfs sieht vor, dass si<strong>ch</strong> der Bund mit Finanzhilfen an<br />

den Mehrkosten beteiligt, die si<strong>ch</strong> aus der Anpassung des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs an<br />

160 SR 642.14<br />

161 SR 741.01<br />

162 SR 741.41<br />

163 SR 784.10<br />

1789


die Bedürfnisse der Behinderten ergeben. Der Zahlungsrahmen wird in einem separaten<br />

Bundesbes<strong>ch</strong>luss festgelegt. Verglei<strong>ch</strong>e im Übrigen die Erläuterungen zu Artikel<br />

17 des Gesetzesentwurfs in Ziffer 4.3.2.<br />

4.3.5 Organisatoris<strong>ch</strong>e Fragen<br />

Wir haben geprüft, ob es erforderli<strong>ch</strong> ist, ein unabhängiges Organ einzusetzen, und<br />

zwar im Sinne einer ständigen Verwaltungskommission, eines oder einer Delegierten<br />

bzw. eines oder einer Behindertenbeauftragten (dezentralisierte Lösung).<br />

Die den Behinderten nahestehenden Kreise wüns<strong>ch</strong>en ein Organ dieser Art. Es<br />

müsste aus formellen Gründen im Gesetz vorgesehen sein.<br />

Andere Kreise verlangen die S<strong>ch</strong>affung einer mit der neuen Aufgabe betrauten Spezialstelle<br />

in der zentralen Bundesverwaltung (zentrale Lösung). Im Gegensatz zur<br />

dezentralen bedarf die zentrale Lösung keiner gesetzli<strong>ch</strong>en Grundlage.<br />

Es sei vorerst darauf hingewiesen, dass das mit der neuen Aufgabe befasste, wie<br />

au<strong>ch</strong> immer bes<strong>ch</strong>affene Organ eng mit den bereits bestehenden kantonalen und privaten<br />

Organisationen zusammenarbeiten wird, verfügen do<strong>ch</strong> diese Organisationen<br />

über das Wissen, die Erfahrung und die Kenntnisse, die für eine wirksame Förderungspolitik<br />

zu Gunsten der Behinderten unbedingt erforderli<strong>ch</strong> sind.<br />

Die dezentrale Lösung hätte den Vorteil, dass sie der neuen Aufgabe, deren Bedeutung<br />

und Einsatz für die Behinderten wesentli<strong>ch</strong> sind, eine besondere Legitimität<br />

verleihen würde. Um einsatzfähig zu sein, sollte ein dezentralisiertes Organ über ein<br />

gut dotiertes Sekretariat verfügen. Die dezentralisierte Lösung hat allerdings folgende<br />

Na<strong>ch</strong>teile: Verzettelung der Kräfte und Gefahr von Doppelspurigkeiten mit den<br />

Verwaltungsstellen, die si<strong>ch</strong> bereits mit der Förderung der Behinderteninteressen<br />

befassen (beispielsweise das Bundesamt für Sozialversi<strong>ch</strong>erungen, das Eidgenössis<strong>ch</strong>e<br />

Personalamt, das Bundesamt für Verkehr), Aufblähen des Verwaltungsapparates<br />

und s<strong>ch</strong>werfällige Führung, wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> höhere Kosten.<br />

Die zentrale Lösung (selbstständige Stelle oder Anbindung an eine bestehende Einheit)<br />

bietet folgende Vorteile: erlei<strong>ch</strong>terter Zugang zu Informationen, Mögli<strong>ch</strong>keit,<br />

frühzeitig und konkret in das Gesetzgebungs- oder Bes<strong>ch</strong>lussfassungsverfahren einzugreifen,<br />

fortges<strong>ch</strong>rittene Zusammenarbeit, Nähe zu den mit den Dossiers befassten<br />

Verwaltungsorganen (Verkehr, Kommunikation, Bauwesen).<br />

Angesi<strong>ch</strong>ts dieser Umstände optieren wir für die zentrale Lösung, die eine umfassendere<br />

Problemlösung erlaubt.<br />

Für den Fall, dass diese Lösung getroffen wird, obliegt die interne Zuordnung der<br />

Aufgaben und der Ents<strong>ch</strong>eidkompetenzen dem Bundesrat (Art. 43 und 47 des Regierungs-<br />

und Verwaltungsorganisationsgesetzes164). Aus einem ersten Gedankenaustaus<strong>ch</strong><br />

in der Verwaltung geht hervor, dass bei der Integration der Behinderten erhebli<strong>ch</strong>e<br />

Übers<strong>ch</strong>neidungen mit den traditionellen Politikberei<strong>ch</strong>en des Eidgenössis<strong>ch</strong>en<br />

Departements des Innern bestehen, dem unter anderem die Verbesserung der<br />

sozialen Bedingungen für das Wohlbefinden der Mens<strong>ch</strong>en in der S<strong>ch</strong>weiz aufgetragen<br />

ist. Unter diesem Titel wa<strong>ch</strong>t es, in Übereinstimmung mit Artikel 1 der Organisationsverordnung<br />

für das Eidgenössis<strong>ch</strong>e Departement des Innern vom 28. Juni<br />

164 SR 172.010<br />

1790


2000165, über den S<strong>ch</strong>utz der sozialen Risiken sowie über den Kampf gegen die Diskriminierung<br />

und die Förderung der Chancenglei<strong>ch</strong>heit (Art. 1 Abs. 2 lit. a und f).<br />

Ferner weisen die Aufgaben, deren Vollzug dem Bund obliegen sollen (Informationskampagnen,<br />

Förderung der Glei<strong>ch</strong>stellung mit Programmen, die auf die Integration<br />

der Behinderten in die sozialen Strukturen geri<strong>ch</strong>tet sind, Beratungstätigkeit),<br />

Ähnli<strong>ch</strong>keiten mit sol<strong>ch</strong>en auf, die in die Vollzugskompetenz des Departements<br />

des Innern gehören; dies könnte willkommene Synergien freisetzen und zwis<strong>ch</strong>en<br />

den betroffenen Verwaltungen eine optimale Koordination gewährleisten. So<br />

ist vorgesehen, den Vollzug der neuen Aufgaben dem Bundesamt für Sozialversi<strong>ch</strong>erung<br />

zu übertragen, was erlaubt, die Koordination der beiden politis<strong>ch</strong>en Ansatzpunkte<br />

bei der Beseitigung von Bena<strong>ch</strong>teiligungen Behinderter (individueller<br />

Ansatz, Rahmenbedingungen) si<strong>ch</strong>erzustellen. Dieses Amt wird au<strong>ch</strong> für die Koordination<br />

der Ents<strong>ch</strong>eide anderer Amtsstellen besorgt sein.<br />

Für die finanziellen und personellen Auswirkungen dieser neuen Aufgaben wird auf<br />

die Ziffer 5.2.2 verwiesen.<br />

4.4 Weitere Gesetzesrevisionen<br />

4.4.1 Allgemeines<br />

Weitere, zur Zeit laufende Gesetzesrevisionen, tragen zur Umsetzung einer Politik<br />

der Glei<strong>ch</strong>stellung und der Integration der Behinderten bei. Wir rufen an dieser<br />

Stelle die wi<strong>ch</strong>tigen Revisionen kurz in Erinnerung, die bereits Gegenstand von Anträgen<br />

im Parlament waren oder die no<strong>ch</strong> in dieser Legislatur zur Beratung gelangen.<br />

Ferner werden zur Zeit im Arbeitsberei<strong>ch</strong> Massnahmen auf ihre Eignung zur<br />

Integration von Behinderten geprüft.<br />

4.4.2 Revision des Bundesgesetzes über die Berufsbildung<br />

Der Entwurf zu einem neuen Bundesgesetz über die Berufsbildung 166, das unter anderem<br />

zum Ziel hat, den Ausglei<strong>ch</strong> der Bildungs<strong>ch</strong>ancen zu fördern und zu entwickeln<br />

(Art. 3 lit. c), bildet die re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Grundlagen im Hinblick auf vollständige<br />

und gezielte Bildungsangebote. So erlaubt die verbesserte Differenzierung zwis<strong>ch</strong>en<br />

Grundbildung (Berufslehre, berufspraktis<strong>ch</strong>e Ausbildung, Berufsfa<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ulen, Berufsmaturität),<br />

der höheren Berufsbildung (Berufsprüfungen, höhere Fa<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ulen)<br />

und der berufsorientierten Weiterbildung eine angemessenere Antwort auf die unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en<br />

Bedürfnisse und Forderungen. Die Gestaltung einer grösseren Dur<strong>ch</strong>lässigkeit<br />

zwis<strong>ch</strong>en den vers<strong>ch</strong>iedenen Bildungsri<strong>ch</strong>tungen (Grundsatz, wona<strong>ch</strong> es<br />

kein Diplom ohne Ans<strong>ch</strong>luss gibt), die Einführung vers<strong>ch</strong>iedener Bewertungsmethoden<br />

und -instrumente (Verzi<strong>ch</strong>t auf Prüfung im strengen Sinne des Wortes zu<br />

Gunsten von Qualifikationsverfahren) und die Mögli<strong>ch</strong>keit, von der übli<strong>ch</strong>en Bildungsdauer<br />

abzuwei<strong>ch</strong>en (Art. 14 Abs. 2) sind ebenfalls Bestimmungen, die zur Anpassungsfähigkeit<br />

der neuen Regelung über die Berufsbildung beitragen. Diese Regelung<br />

ist au<strong>ch</strong> zum Vorteil der behinderten Personen, deren Bildungsweg oft<br />

165 SR 172.212.1; AS 2000 1837<br />

166 Bots<strong>ch</strong>aft vom 6. September 2000 zu einen neuen Gesetz über die Berufsbildung,<br />

BBl 2000 5686.<br />

1791


zwangsläufig ni<strong>ch</strong>t linear oder in einem anderen Rhythmus verläuft als derjenige<br />

Ni<strong>ch</strong>tbehinderter.<br />

Überdies erlaubt der Gesetzentwurf dem Bund, Paus<strong>ch</strong>alen an die Kantone auszuri<strong>ch</strong>ten,<br />

namentli<strong>ch</strong> für die fa<strong>ch</strong>kundige individuelle Begleitung (Art. 54 Abs. 2 Bst. a<br />

Ziff. 5 in Verbindung mit Art. 28), sowie Beiträge für besondere Leistungen im öffentli<strong>ch</strong>en<br />

Interesse, insbesondere für Leistungen zu Gunsten von bena<strong>ch</strong>teiligten<br />

Gruppen (Art. 56 Abs. 1 lit. d in Verbindung mit Art. 7), oder s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> für Massnahmen<br />

zu Gunsten des Verbleibs im Beruf und des berufli<strong>ch</strong>en Wiedereinstiegs<br />

(Art. 56 Abs. 1 lit. e in Verbindung mit Art. 36 Abs. 2).<br />

Die neue vorges<strong>ch</strong>lagene Regelung will somit einen angemessenen Ausglei<strong>ch</strong><br />

s<strong>ch</strong>affen zwis<strong>ch</strong>en der Sorge, die Bildungen je na<strong>ch</strong> den unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Bedürfnissen<br />

der Mens<strong>ch</strong>en zu individualisieren, und der Sorge, die Qualität der Bildung<br />

zu gewährleisten. Das neue vorges<strong>ch</strong>lagene Gesetz entspri<strong>ch</strong>t somit dem Geist von<br />

Art. 8 Abs. 4, und bildet in diesem Sinne eine derjenigen Massnahmen, die geeignet<br />

sind, die Bena<strong>ch</strong>teiligungen der Behinderten zu beseitigen.<br />

4.4.3 Revision der Invalidenversi<strong>ch</strong>erung<br />

Eines der mit dieser Revision verfolgten Ziele besteht in der Verbesserung der Leistungen<br />

der Invalidenversi<strong>ch</strong>erung, insbesondere dur<strong>ch</strong> die Einführung einer Assistenzents<strong>ch</strong>ädigung.<br />

In unserer Bots<strong>ch</strong>aft zum ersten Teil167 der 4. Revision der<br />

Invalidenversi<strong>ch</strong>erung haben wir die Einführung einer Ents<strong>ch</strong>ädigung dieser Art bereits<br />

angekündigt168. Wir haben diesen Antrag im Rahmen des am 4. Juli 2000<br />

eröffneten Vernehmlassungsverfahrens zum Revisionsentwurf der IV aufre<strong>ch</strong>terhalten169.<br />

Die Assistenzents<strong>ch</strong>ädigung ist laut dem Vernehmlassungsentwurf dafür bestimmt,<br />

die heutige Hilflosenents<strong>ch</strong>ädigung, die Pflegebeiträge für die minderjährigen Hilflosen<br />

sowie die Ents<strong>ch</strong>ädigung für Hauspflege zu ersetzen. Sie zielt darauf ab, die<br />

Selbstständigkeit von Behinderten, die eine Assistenz benötigen, zu erhöhen, indem<br />

ihnen die erforderli<strong>ch</strong>en finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt werden, um ein<br />

eigenständiges Leben zu führen. Es handelt si<strong>ch</strong> dabei somit um eine wi<strong>ch</strong>tige<br />

Massnahme, um den behinderten Personen die Integration in das tägli<strong>ch</strong>e soziale<br />

Leben zu erlei<strong>ch</strong>tern.<br />

Na<strong>ch</strong> dem vorgesehenen Modell hat die behinderte Person im Sinne von Artikel 4<br />

IVG Anspru<strong>ch</strong> auf die Assistenzents<strong>ch</strong>ädigung, sofern die gesetzli<strong>ch</strong>en Bedingungen,<br />

das heisst ein Assistenzbedürfnis, eine einjährige Karenzfrist und Wohnsitz in<br />

der S<strong>ch</strong>weiz, erfüllt sind.<br />

Der Betrag der Ents<strong>ch</strong>ädigung variiert je na<strong>ch</strong> der S<strong>ch</strong>were des Assistenzerfordernisses,<br />

das heisst in Abhängigkeit von der Fähigkeit, die alltägli<strong>ch</strong>en Lebensverri<strong>ch</strong>tungen<br />

ohne Dritthilfe zu bewältigen oder in Abhängigkeit von der Überwa<strong>ch</strong>ungsbedürftigkeit<br />

der betroffenen Person. An Erwa<strong>ch</strong>sene wird die Ents<strong>ch</strong>ädigung<br />

167 Ursprüngli<strong>ch</strong> in zwei Teile getrennt, wurde die IV-Revision na<strong>ch</strong> der Ablehnung des Gesetzes<br />

vom 26. Juni 1998 in einem einzigen Verfahren vereint (BBl 1998 3479; 1999<br />

7293).<br />

168 BBl 1997 IV 149, 162<br />

169 BBl 2000 3775; siehe die Art. 42 bis 42 quater des Vorentwurfs zur IVG-Revision und die<br />

Erläuterungen vom Juni 2000, Ziffer 231, S. 26 ff.<br />

1792


in Form einer monatli<strong>ch</strong>en Paus<strong>ch</strong>ale in Prozenten des Betrags der Altersrente ausgeri<strong>ch</strong>tet;<br />

an Minderjährige für jeden zu Hause verbra<strong>ch</strong>ten Tag.<br />

Die Verbesserung der Leistungen, die si<strong>ch</strong> aus der vorges<strong>ch</strong>lagenen Assistenzents<strong>ch</strong>ädigung<br />

ergibt, kommt vor allem den Kindern und Jugendli<strong>ch</strong>en zu Gute, die in<br />

ihren Familien leben, sowie den erwa<strong>ch</strong>senen Behinderten und den Behinderten, die<br />

an einer lei<strong>ch</strong>ten psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en oder geistigen Eins<strong>ch</strong>ränkung leiden und zu Hause leben.<br />

Der Betrag der Assistenzents<strong>ch</strong>ädigung wird für Personen, die zu Hause leben,<br />

im Verglei<strong>ch</strong> zur heutigen Hilflosenents<strong>ch</strong>ädigung generell erhöht (die Zulage wird<br />

verdoppelt). Ferner sieht der Vorentwurf für s<strong>ch</strong>wer behinderte Minderjährige, deren<br />

Zustand eine dauernde Pflege erfordert, eine besondere Ents<strong>ch</strong>ädigung vor. Für<br />

Behinderte, die an einer lei<strong>ch</strong>ten psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en oder geistigen Behinderung leiden,<br />

würde ebenfalls eine Assistenzents<strong>ch</strong>ädigung eingeführt.<br />

Die zusätzli<strong>ch</strong>en Kosten für die Einführung der Assistenzents<strong>ch</strong>ädigung werden auf<br />

153 Millionen Franken ges<strong>ch</strong>ätzt (bezogen auf den Preis von 2000). Sie werden<br />

wohl – wie dies s<strong>ch</strong>on das Abkommen vom 8. Oktober 1999 zwis<strong>ch</strong>en der S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en<br />

Eidgenossens<strong>ch</strong>aft einerseits und der Europäis<strong>ch</strong>en Gemeins<strong>ch</strong>aft sowie<br />

ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit170 bezügli<strong>ch</strong> die Hilflosenents<strong>ch</strong>ädigung<br />

vorsieht – ganz von der öffentli<strong>ch</strong>en Hand getragen werden, das<br />

heisst zu 87,5% dur<strong>ch</strong> den Bund und zu 12,5% dur<strong>ch</strong> die Kantone (vgl. Art. 77<br />

Abs. 2 und 78 Abs. 2 des Vorentwurfs der IVG-Revision). Diese Regelung der<br />

Finanzierung soll vermeiden, dass Geldleistungen im Fall von Alter und Invalidität<br />

in die Länder der EU geleistet werden müssen, die dur<strong>ch</strong> Beiträge der Arbeitgeberinnen<br />

und Arbeitgeber sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer finanziert<br />

werden171. 4.4.4 Anreizme<strong>ch</strong>anismen zur Bes<strong>ch</strong>äftigung<br />

Die Integration von Behinderten in die Gesells<strong>ch</strong>aft hängt wesentli<strong>ch</strong> von ihrer<br />

Integration in das Berufsleben ab. Nun hat eine behinderte Person beim Zugang zum<br />

Arbeitsmarkt oder beim Start zu einer berufli<strong>ch</strong>en Karriere oft wesentli<strong>ch</strong> grössere<br />

Hindernisse zu überwinden als eine ni<strong>ch</strong>t behinderte Person. Diese S<strong>ch</strong>wierigkeiten<br />

sind teilweise auf weit verbreitete Vorurteile zurückzuführen, und nur eine Politik<br />

der Anreize lässt darauf hoffen, dass sie aus der Welt ges<strong>ch</strong>afft werden können.<br />

Wie bereits im Begleitberi<strong>ch</strong>t zum Vorentwurf für die 4. IVG-Revision dargetan, hat<br />

eine interne Arbeitsgruppe unter der Leitung des Eidgenössis<strong>ch</strong>en Departements des<br />

Innern (BSV) vers<strong>ch</strong>iedene Me<strong>ch</strong>anismen geprüft, um behinderte Personen zur Bes<strong>ch</strong>äftigung<br />

zu ermuntern172. Vorerst haben wir gestützt auf diese Arbeiten festgestellt,<br />

dass sol<strong>ch</strong>e Me<strong>ch</strong>anismen, die wesentli<strong>ch</strong>e den Arbeitgebern insbesondere in<br />

Form von Finanzhilfen oder Steuerabzügen zugestandene Gegenleistungen bedingen,<br />

ni<strong>ch</strong>t im Rahmen der 4. IVG-Revision bewerkstelligt werden können173. Do<strong>ch</strong><br />

verdient das Problem, aus der breiteren Perspektive des neuen Gesetzgebungs-<br />

170 BBl 1999 8643<br />

171 Vgl. erläuternden Beri<strong>ch</strong>t vom Juni 2000 zur 4. IV-Revision, Ziffer 77, S. 84<br />

172 «Anreizme<strong>ch</strong>anismen zur Bes<strong>ch</strong>äftigung von Behinderten», Beri<strong>ch</strong>t der Arbeitsgruppe<br />

«Anreizsysteme» vom 26. März 1999. Dieser Beri<strong>ch</strong>t, wel<strong>ch</strong>er vom BSV veröffentli<strong>ch</strong>t<br />

wurde, war Gegenstand einer kurzen Zusammenfassung in der «Zeits<strong>ch</strong>rift für Soziale<br />

Si<strong>ch</strong>erheit» 6/1999, S. 293 ff.<br />

173 4. IV-Revision, Beri<strong>ch</strong>t vom Juni 2000, Ziffer 261. S.60.<br />

1793


Auftrags gemäss Artikel 8 Absatz 4 BV vertieft zu werden. Zu diesem Zweck haben<br />

wir das Eidgenössis<strong>ch</strong>e Volkswirts<strong>ch</strong>aftsdepartement (Seco/Direktion für Arbeit)<br />

beauftragt, zusammen mit dem Eidgenössis<strong>ch</strong>en Departement des Innern, dem Eidgenössis<strong>ch</strong>en<br />

Justiz- und Polizeidepartement sowie dem Eidgenössis<strong>ch</strong>en Finanzdepartement<br />

dieses Thema weiter zu verfolgen und bis Sommer <strong>2001</strong> einen ergänzenden<br />

Beri<strong>ch</strong>t über die Notwendigkeit von Anreizme<strong>ch</strong>anismen zur Bes<strong>ch</strong>äftigung und<br />

über die Analyse dieser Me<strong>ch</strong>anismen vorzulegen, dies in Berücksi<strong>ch</strong>tigung der zur<br />

Zeit bestehenden wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en und strukturellen Daten des Arbeitsmarktes. Auf<br />

der Grundlage dieses Beri<strong>ch</strong>ts werden wir dann ents<strong>ch</strong>eiden, ob den Räten beantragt<br />

werden soll, ergänzende gesetzgeberis<strong>ch</strong>e Massnahmen zu bes<strong>ch</strong>liessen, um den<br />

Glei<strong>ch</strong>stellungsauftrag zu Gunsten der behinderten Personen im Berei<strong>ch</strong> von Bes<strong>ch</strong>äftigung<br />

und Arbeit zu konkretisieren.<br />

4.4.5 Revision des Radio- und Fernsehgesetzes<br />

Fernsehen ist ein besonders verbreitetes Kommunikationsmittel unserer modernen<br />

Gesells<strong>ch</strong>aft und ein wirksames Kommunikations- und Integrationsmittel. Behindertenkreise<br />

verlangen denn au<strong>ch</strong> mit Na<strong>ch</strong>druck, dass ihren besonderen Bedürfnissen<br />

bei der Programmproduktion Re<strong>ch</strong>nung getragen wird. Gegenwärtig wird etwa<br />

die Hälfte der Kosten für Untertitelung von Sendungen der SRG indirekt von der<br />

Invalidenversi<strong>ch</strong>erung getragen. Diese zahlt gestützt auf Artikel 74 des IVG Beiträge<br />

an die Organisationen der privaten Invalidenhilfe, die einen Teil dieser Mittel für<br />

die Finanzierung der Untertitelung von SRG-Sendungen einsetzen. Die Untertitelung<br />

eines angemessenen Teils der Sendungen muss Teil der Grundversorgung bleiben.<br />

In diesem Sinne s<strong>ch</strong>lugen wir im Vorentwurf eines Behindertengesetzes, das am<br />

4. Juni 2000 in die Vernehmlassung ges<strong>ch</strong>ickt wurde, eine Änderung des Radio- und<br />

Fernsehgesetzes vom 21. Juni 1991174 vor. Diese Änderung sah die Pfli<strong>ch</strong>t für nationale<br />

und spra<strong>ch</strong>regionale Programmveranstalter vor, einen angemessenen Teil der<br />

Programme behindertengere<strong>ch</strong>t auszugestalten (Art. 3 Abs. 4 neu) 175. Da dieses Gesetz<br />

gegenwärtig totalrevidiert wird, haben wir hier auf eine Änderung verzi<strong>ch</strong>tet.<br />

Wir werden bei der Revision des RTVG aber den Gedanken aufnehmen, die Pfli<strong>ch</strong>ten<br />

der Grundversorgungs-Konzessionäre und der Zugangsbere<strong>ch</strong>tigten, die si<strong>ch</strong> aus<br />

dem Grundsatz der Glei<strong>ch</strong>stellung der Behinderten ergeben, genau festzulegen.<br />

4.4.6 Revision des Bundesgesetzes<br />

über die Arbeitslosenversi<strong>ch</strong>erung<br />

Im Unters<strong>ch</strong>ied zum AHV-Gesetz 176 zählt das Arbeitslosenversi<strong>ch</strong>erungsgesetz 177<br />

für die Beitragszeit jene Zeit ni<strong>ch</strong>t, während der ein Versi<strong>ch</strong>erter si<strong>ch</strong> der Betreuung<br />

Angehöriger widmet, die Empfänger einer Hilflosenents<strong>ch</strong>ädigung sind (Betreuungsguts<strong>ch</strong>riften).<br />

Es kennt nur eine Guts<strong>ch</strong>rift für Erziehungsaufgaben (Art. 13<br />

Abs. 2 bis). Da diese Betreuungsaufgaben unzweifelhaft als eine wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Leis-<br />

174 RTVG, SR 784.40<br />

175 Vgl. Ziff. 5 von Art. 12 (Änderung geltenden Re<strong>ch</strong>ts) des Vernehmlassungsentwurfs.<br />

176 SR 831.10, Art. 29 septies<br />

177 AVIG, SR 837.0<br />

1794


tung zu betra<strong>ch</strong>ten sind, au<strong>ch</strong> wenn sie keine entlöhnte Erwerbstätigkeit darstellen,<br />

sollen die damit befassten Personen im Verhältnis zu anderen Arbeitnehmern ni<strong>ch</strong>t<br />

bena<strong>ch</strong>teiligt werden. Das Fehlen einer sol<strong>ch</strong>en Betreuungsguts<strong>ch</strong>rift kann au<strong>ch</strong> eine<br />

abs<strong>ch</strong>reckende Wirkung haben, indem gewisse Personen auf die Betreuung behinderter<br />

Angehöriger verzi<strong>ch</strong>ten. Die geltende Regelung muss deshalb im Li<strong>ch</strong>te des<br />

Auftrags von Artikel 8 Absatz 4 BV überda<strong>ch</strong>t werden.<br />

Im Vorentwurf des am 4. Juni 2000 in die Vernehmlassung ges<strong>ch</strong>ickten Behindertenglei<strong>ch</strong>stellungsgesetzes<br />

haben wir beantragt, Artikel 13 Absatz 2bis AVIG mit einer<br />

neuen Bestimmung zu ergänzen, wel<strong>ch</strong>e die für Betreuungsaufgaben aufgewendete<br />

Zeit ausdrückli<strong>ch</strong> der Erziehungsarbeit glei<strong>ch</strong>stellt178. Wir haben au<strong>ch</strong> die<br />

Mögli<strong>ch</strong>keit erwähnt, auf dem Wege der Auslegung von Artikel 14 Absatz 2 AVIG<br />

(Befreiung von der Erfüllung der Beitragszeit) 179 vorzugehen.<br />

Soweit die befragten Kreise zur Frage Stellung bezogen haben180, haben sie si<strong>ch</strong><br />

überwiegend positiv zur Änderung von Artikel 13 Absatz 2 bis AVIG ausgespro<strong>ch</strong>en.<br />

Diese Lösung wird derjenigen der Auslegung aus offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Gründen der<br />

Transparenz und Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit vorgezogen181. Wir haben denno<strong>ch</strong> ents<strong>ch</strong>ieden, die Prüfung dieser Frage im Rahmen des vorliegenden<br />

Gesetzesentwurfs fallen zu lassen und diesbezügli<strong>ch</strong> im Rahmen der AVIG-<br />

Revision 2003182 na<strong>ch</strong> einer angemessenen Antwort zu su<strong>ch</strong>en.<br />

4.4.7 Arbeiten an einem Bundesgesetz über die<br />

Amtsspra<strong>ch</strong>en des Bundes und über die Förderung<br />

der Verständigung zwis<strong>ch</strong>en den spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en und<br />

kulturellen Gemeins<strong>ch</strong>aften der S<strong>ch</strong>weiz<br />

Eine paritätis<strong>ch</strong>e Arbeitsgruppe aus Vertretern des Bundes und der Kantone ist beauftragt,<br />

einen Vorentwurf eines Bundesgesetzes zu erarbeiten, das den Auftrag von<br />

Artikel 70 BV erfüllt. Dieser Vorentwurf soll im ersten Quartal <strong>2001</strong> in die Vernehmlassung<br />

ges<strong>ch</strong>ickt werden.<br />

Na<strong>ch</strong> den ersten Ergebnissen der Arbeitsgruppe könnten Förderungsmassnahmen<br />

ergriffen werden zur Unterstützung der Kantone im Berei<strong>ch</strong> der s<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>en und berufli<strong>ch</strong>en<br />

Bildung von Kindern und Jugendli<strong>ch</strong>en mit Seh- und Hörbehinderungen<br />

(beispielsweise Förderung der Gebärdenspra<strong>ch</strong>e oder der Blindens<strong>ch</strong>rift) oder zur<br />

Unterstützung von privaten Organisationen, die das Erlernen der vers<strong>ch</strong>iedenen an<br />

die Bedürfnisse seh- und hörbehinderter Personen angepassten Spra<strong>ch</strong>en fördern.<br />

178 Vgl. Ziffer 6 zu Art. 12 (Änderung des geltenden Re<strong>ch</strong>ts) des Vorentwurfs des Behindertengesetzes.<br />

179 Vgl. die Erläuterungen zum Vorentwurf , S. 23.<br />

180 Die meisten der befragten Kreise haben keine Antwort zum Teil des Vorentwurfs des Gesetzes<br />

geliefert, der die Änderungen des geltenden Re<strong>ch</strong>ts betrifft (vgl. au<strong>ch</strong> Ziff. 4.1.2).<br />

181 Zu Gunsten dieser Änderung haben si<strong>ch</strong> die Kantone LU, ZG, GR, GE, das Eidgenössis<strong>ch</strong>e<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsgeri<strong>ch</strong>t, die Kommission für Frauenfragen (unter Vorbehalt einer<br />

Textanpassung) und zwei Organisationen ausgespro<strong>ch</strong>en. Nur eine Organisation hat verlangt,<br />

auf diese Änderung zu verzi<strong>ch</strong>ten.<br />

182 Der Vorentwurf der AVIG-Revision befindet si<strong>ch</strong> bis zum 7. Dezember 2000 in der Vernehmlassung.<br />

Er sieht keine Änderung von Art. 13 Abs. 2 bis vor, wie sie vorliegend diskutiert<br />

wird. Die diesbezügli<strong>ch</strong>e Prüfung erfolgt bei der Vorbereitung der Bots<strong>ch</strong>aft und<br />

des Gesetzesentwurfs zum AVIG.<br />

1795


4.4.8 Neuer Finanzausglei<strong>ch</strong><br />

Mit Bezug auf den neuen Finanzausglei<strong>ch</strong> (NFA) erfordert der vorliegende Gesetzesentwurf<br />

insbesondere in einem Punkt eine Prüfung, und zwar hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> der Finanzhilfen<br />

für die Programme zur besseren Integration von Personen mit Behinderungen<br />

in die Gesells<strong>ch</strong>aft (Art. 12 Abs. 3 des Gesetzesentwurfs). Im Übrigen haben<br />

au<strong>ch</strong> die Artikel 4 (Verhältnis zum kantonalen Re<strong>ch</strong>t) und 14 (Besondere Bestimmung<br />

für die Kantone) Bezug zum NFA.<br />

Gemäss seinem globalen Ansatz erstreckt si<strong>ch</strong> die Politik der Integration der Behinderten<br />

auf zahlrei<strong>ch</strong>e Gesetzgebungsberei<strong>ch</strong>e, und die Idee der Integration muss in<br />

jedem dieser Berei<strong>ch</strong>e konkretisiert werden (Quers<strong>ch</strong>nittaufgabe). Im Sinne des<br />

NFA stellt sie zum Teil eine Verbundaufgabe (gemeinsame Erledigung) von Bund<br />

und Kantonen dar. Eine teilweise Entfle<strong>ch</strong>tung ist mögli<strong>ch</strong>. So wird der Bund im<br />

Berei<strong>ch</strong> der Finanzhilfen für die Integrationsprogramme nur die gesamts<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en<br />

Programme unterstützen und si<strong>ch</strong> an der Finanzierung von öffentli<strong>ch</strong>en oder<br />

privaten Organisationen nur dann beteiligen, wenn sie auf Landesebene oder spra<strong>ch</strong>regional<br />

tätig sind. Diese Lösung entspri<strong>ch</strong>t derjenigen im Berei<strong>ch</strong> der kollektiven<br />

Leistungen der IV183. Die verfassungsmässige Grundlage (zur Zeit Art. 112 Abs. 6<br />

BV), worauf die in Artikel 12 Absatz 3 des Entwurfs vorgesehenen Förderungsmassnahmen<br />

beruhen, findet si<strong>ch</strong> in Artikel 112ter des NFA-Entwurfs (Subventionierung<br />

der privaten Alters- und Invalidenhilfe) 184.<br />

Was die Finanzhilfen zu Gunsten der Unternehmen des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs anbelangt<br />

(Art. 17 des Entwurfs), handelt es si<strong>ch</strong> um Hilfen an die Transportunternehmen,<br />

und in diesem Sinne gehören sie ni<strong>ch</strong>t direkt zum NFA.<br />

5 Auswirkungen des indirekten Gegenentwurfs<br />

5.1 Allgemeines<br />

Die Angaben zu den finanziellen Auswirkungen basieren mehrheitli<strong>ch</strong> auf groben<br />

S<strong>ch</strong>ätzungen und ni<strong>ch</strong>t auf genauen Bere<strong>ch</strong>nungen. Der Grund dafür liegt zum einen<br />

in der knappen Zeit, die dem Bundesrat für die Ausarbeitung des indirekten Gegenentwurfs<br />

zur Volksinitiative zur Verfügung stand. Zudem fehlen no<strong>ch</strong> Ausführungbestimmungen<br />

über te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>e Normen, die als Grundlage für Bere<strong>ch</strong>nungen<br />

unabdingbar sind. S<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> lässt das gewählte Konzept nur S<strong>ch</strong>ätzungen zu, weil<br />

das Behindertengesetz zu einem wi<strong>ch</strong>tigen Teil nur ein Ziel, nämli<strong>ch</strong> die behindertengere<strong>ch</strong>te<br />

Ausgestaltung von Bauten und Dienstleistungen, vorgibt, den Anbietern<br />

aber keine Vors<strong>ch</strong>riften ma<strong>ch</strong>t über die Art und Weise, wie dieses Ziel zu errei<strong>ch</strong>en<br />

ist.<br />

Na<strong>ch</strong> dem Konzept des Behindertengesetzes tragen die Kosten der Massnahmen zu<br />

Gunsten Behinderter grundsätzli<strong>ch</strong> jene, die sie dur<strong>ch</strong>führen. Insbesondere den Eigentümern<br />

öffentli<strong>ch</strong> zugängli<strong>ch</strong>er Bauten und Anlagen sowie den Anbietern von<br />

Dienstleistungen fallen deshalb in bestimmten Fällen zusätzli<strong>ch</strong>e Kosten an. Nutz-<br />

183 Siehe «Der neue Finanzausglei<strong>ch</strong> zwis<strong>ch</strong>en Bund und Kantonen»; S<strong>ch</strong>lussberi<strong>ch</strong>t der<br />

vom Eidgenössis<strong>ch</strong>en Finanzdepartement und der Konferenz der Kantonsregierungen<br />

gemeinsam getragenen Projektorganisation vom 31. März 1999, Ziffer 4.4.3, S. 72 ff.<br />

184 Siehe S. 12 von Anhang A des NFA-Beri<strong>ch</strong>ts.<br />

1796


niesser der vorges<strong>ch</strong>lagenen Massnahmen sind zunä<strong>ch</strong>st Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen,<br />

daneben aber au<strong>ch</strong> zahlrei<strong>ch</strong>e andere Personen, namentli<strong>ch</strong> die Betagten und<br />

die Erwa<strong>ch</strong>senen mit Kleinkindern. Es handelt si<strong>ch</strong> dabei um namhafte Bevölkerungsgruppen:<br />

Im Jahr 1998 zählte die S<strong>ch</strong>weiz 325 800 Kleinkinder bis zu 4 Jahren.<br />

Die Zahl der 65–79-Jährigen betrug in diesem Jahr 798 143, jene der über<br />

80-Jährigen 281 655. Es ist davon auszugehen, dass die Zahl der Betagten im Verhältnis<br />

zu jener jüngerer Personen und die Lebenserwartung in den kommenden Jahren<br />

zunehmen wird. S<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> ist zu bea<strong>ch</strong>ten, dass grundsätzli<strong>ch</strong> alle Personen<br />

dem Risiko ausgesetzt sind, dur<strong>ch</strong> Krankheit, Unfall oder andere Umstände behindert<br />

zu werden. Dieses Risiko erhöht si<strong>ch</strong> stark mit zunehmendem Alter (vgl. Grafik 1<br />

zum Invaliditätsrisiko im Anhang 1). Neben der in erster Linie anvisierten Zielgruppe<br />

der Behinderten wird demna<strong>ch</strong> ein grosser zusätzli<strong>ch</strong>er Teil unserer Bevölkerung<br />

in hohem Masse von den Verbesserungen der Infrastrukturen und der Dienstleistungsangebote,<br />

wie sie mit dem Gesetzesentwurf vorges<strong>ch</strong>lagen werden, profitieren.<br />

5.2 Auswirkungen auf den Bund<br />

5.2.1 Finanzielle Auswirkungen<br />

Bauli<strong>ch</strong>e Anpassung von Gebäuden und Anlagen<br />

Der Bundesrat hat am 6. März 1989 Weisungen über bauli<strong>ch</strong>e Vorkehren für Behinderte<br />

erlassen185. Darin wird die Norm SN 521 500/1988 «Behindertengere<strong>ch</strong>tes<br />

Bauen» der S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Zentralstelle für Baurationalisierung (CRB) für Bauten<br />

und Anlagen, die der Bund baut oder subventioniert, verbindli<strong>ch</strong> erklärt. Die Normen<br />

sind sowohl für Neubauten als au<strong>ch</strong> für Erweiterungsbauten und grössere Umbauten<br />

massgebli<strong>ch</strong>. Die erwähnten Weisungen finden im Behindertengesetz nun eine<br />

ausdrückli<strong>ch</strong>e Grundlage (Art. 10 Abs. 2). Für Bundesbauten und für die dur<strong>ch</strong><br />

den Bund subventionierten Bauten ist deshalb mit einer Zunahme von 2–5% der<br />

Umbau- und Renovationskosten zu re<strong>ch</strong>nen.<br />

Die öffentli<strong>ch</strong>e Hand hat 1998 insgesamt 6,7 Milliarden Franken für den Ho<strong>ch</strong>bau<br />

ausgegeben. Davon entfielen 343 Millionen Franken auf Gebäude mit Wohnungen.<br />

Das Bauvolumen des Bundes s<strong>ch</strong>wankt von Jahr zu Jahr und beträgt im Dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nitt<br />

etwa 200 Millionen Franken, sodass in diesem Berei<strong>ch</strong> zusätzli<strong>ch</strong>e Kosten<br />

von rund 4–10 Millionen Franken anfallen. Bei den wenigen Genossens<strong>ch</strong>aftswohnungen<br />

des Bundespersonals, die mehr als 8 Wohneinheiten aufweisen, dürften die<br />

Mehrkosten im Renovationsfall etwa 10–20% betragen. Der Bund subventioniert<br />

jährli<strong>ch</strong> Bauten mit einer gesamten Bausumme von etwa 800 Millionen Franken.<br />

Der Anteil des Bundes variiert je na<strong>ch</strong> Berei<strong>ch</strong> und beträgt im Dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nitt etwa<br />

20%, sodass si<strong>ch</strong> in diesem Berei<strong>ch</strong> jährli<strong>ch</strong>e Mehrkosten von etwa 3–8 Millionen<br />

Franken ergeben. Von den insgesamt rund 15 000 Genossens<strong>ch</strong>aftswohnungen des<br />

Bundes für seine Angestellten befinden si<strong>ch</strong> etwa drei Viertel in Gebäuden mit mehr<br />

als a<strong>ch</strong>t Wohneinheiten. Die jährli<strong>ch</strong>en Umbauten und Renovationen in diesen Gebäuden<br />

kosten im Dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nitt 20 Millionen Franken. Die dur<strong>ch</strong> die behindertengere<strong>ch</strong>te<br />

Anpassung bedingten Mehrkosten werden auf 2–4 Millionen ges<strong>ch</strong>ätzt.<br />

185 BBl 1989 I 1508, vgl. Ziff. 4.3.2 (zu Art. 10)<br />

1797


Für die behindertengere<strong>ch</strong>te Ausgestaltung der Bauten, die dem Rat der Eidgenössis<strong>ch</strong>en<br />

Te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>en Ho<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ulen unterstellt sind, ist mit bauli<strong>ch</strong>en Anpassungen in<br />

der Höhe von rund 10 Millionen Franken zu re<strong>ch</strong>nen 186. Diese Kosten verteilen<br />

si<strong>ch</strong> auf eine Zeitperiode, deren Dauer vom Renovationsrhythmus abhängt.<br />

Bei der Erfüllung seiner Aufgaben hat der Bund sowohl die Anliegen der Behinderten<br />

als au<strong>ch</strong> die Interessen der Denkmalpflege zu berücksi<strong>ch</strong>tigen. Im Einzelfall<br />

können dem Bund deshalb bei der behindertengere<strong>ch</strong>ten Ausgestaltung von Bauten<br />

zusätzli<strong>ch</strong>e Kosten dur<strong>ch</strong> die Bea<strong>ch</strong>tung denkmalpflegeris<strong>ch</strong>er Aspekte entstehen.<br />

Das Ausmass dieser Kosten lässt si<strong>ch</strong> nur im konkreten Einzelfall beziffern.<br />

Für künftige Strassenbauten ergeben si<strong>ch</strong> für den Bund in der Regel keine nennenswerten<br />

Mehrkosten. Eine behindertengere<strong>ch</strong>te Ausgestaltung der Flu<strong>ch</strong>twege in<br />

Tunnels könnte hingegen die Baukosten spürbar erhöhen.<br />

Die erwähnten Kosten sind im Rahmen der bewilligten Kredite dur<strong>ch</strong> die Verlagerung<br />

von Prioritäten aufzufangen.<br />

Anpassung der Dienstleistungen des Bundes<br />

Der Bund erbringt vers<strong>ch</strong>iedene Dienstleistungen, die einem breiten Publikum angeboten<br />

werden. Zu erwähnen sind beispielsweise die Landesbibliothek, das Landesmuseum<br />

in Züri<strong>ch</strong> und Prangins, das Eidgenössis<strong>ch</strong>e Handelsregister, das Bundesar<strong>ch</strong>iv,<br />

die Eidgenössis<strong>ch</strong>e Sports<strong>ch</strong>ule Magglingen sowie die Eidgenössis<strong>ch</strong>en<br />

Te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>en Ho<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ulen (ETH) in Züri<strong>ch</strong> und Lausanne. Die Dienstleistungen dieser<br />

Institutionen müssen Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen grundsätzli<strong>ch</strong> zugängli<strong>ch</strong><br />

sein. Es ist ni<strong>ch</strong>t mit umfangrei<strong>ch</strong>en Anpassungen und deshalb au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mit nennenswerten<br />

Mehrauslagen zu re<strong>ch</strong>nen.<br />

Personalkosten<br />

Das Behindertengesetz wirkt si<strong>ch</strong> für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Behinderungen<br />

insofern positiv aus, als sie beim Bund verbesserte Anstellungs<strong>ch</strong>ancen<br />

erhalten. Die vermehrte Anstellung von Mens<strong>ch</strong>en, die trotz Behinderung voll leistungsfähig<br />

sind, führt mögli<strong>ch</strong>erweise zu erhöhten Kosten für die Ausgestaltung und<br />

Anpassung der Arbeitsplätze. Die Mehraufwendungen lassen si<strong>ch</strong> jedo<strong>ch</strong> zur Zeit<br />

ni<strong>ch</strong>t beziffern.<br />

Mit der Anstellung von Personen, die wegen ihrer Behinderung kein volles Arbeitspensum<br />

erbringen können (so genannte Erwerbsbehinderte), entstehen zusätzli<strong>ch</strong>e<br />

Kosten. Zurzeit wendet der Bund für rund 160 sol<strong>ch</strong>e Personen 7,5 Millionen<br />

Franken jährli<strong>ch</strong> auf. Da si<strong>ch</strong> kaum abs<strong>ch</strong>ätzen lässt, wie stark si<strong>ch</strong> der Anteil dieser<br />

Personen am Gesamtbestand des Personals steigern lässt, können die finanziellen<br />

Folgen in dieser Hinsi<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t näher konkretisiert werden.<br />

Die erwähnten Kosten sind im Rahmen der bewilligten Kredite dur<strong>ch</strong> die Verlagerung<br />

von Prioritäten aufzufangen.<br />

Verfahrenskosten<br />

Mit dem subjektiven Bes<strong>ch</strong>werdere<strong>ch</strong>t werden säumige Eigentümer oder Dienstleistungsanbieter<br />

zum Handeln gezwungen. In wel<strong>ch</strong>em Umfang vom Bes<strong>ch</strong>werdere<strong>ch</strong>t<br />

Gebrau<strong>ch</strong> gema<strong>ch</strong>t werden wird, lässt si<strong>ch</strong> zur Zeit ni<strong>ch</strong>t abs<strong>ch</strong>ätzen. Das Behindertengesetz<br />

sieht vers<strong>ch</strong>iedene Übergangsfristen für den öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr<br />

186 Wi<strong>ch</strong>tigste Positionen: ETH Züri<strong>ch</strong> (5,3 Mio. Franken), Eidg. Materialprüfungs- und<br />

Fors<strong>ch</strong>ungsanstalt (3 Mio. Franken)<br />

1798


vor, sodass den dur<strong>ch</strong> das Gesetz Verpfli<strong>ch</strong>teten angemessene Zeit zum Handeln zur<br />

Verfügung steht. Der Re<strong>ch</strong>tsanspru<strong>ch</strong> auf Beseitigung der Bena<strong>ch</strong>teiligung bzw. auf<br />

eine Ersatzlösung besteht jedo<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on ab Inkrafttreten des Gesetzes. Es wird ab Inkrafttreten<br />

glei<strong>ch</strong>zeitig au<strong>ch</strong> eine präventive Wirkung auf Anbieter von Dienstleistungen<br />

und auf Grundeigentümer haben. Damit dürfte das Konfliktpotential eher<br />

gering sein; es ist ni<strong>ch</strong>t mit einer Flut von Bes<strong>ch</strong>werden zu re<strong>ch</strong>nen.<br />

Das Bes<strong>ch</strong>werdere<strong>ch</strong>t, das den Behindertenorganisationen eingeräumt wird, ermögli<strong>ch</strong>t<br />

den Bere<strong>ch</strong>tigten, in einem frühen Verfahrensstadium (Plangenehmigung,<br />

Fahrzeugzulassung) einzugreifen. Es gewährleistet, dass die Anliegen Behinderter<br />

von Anfang an in die Ausgestaltung von Dienstleistungen einbezogen werden. Dadur<strong>ch</strong><br />

kann die Zahl der Bes<strong>ch</strong>werden betroffener Personen im Zeitpunkt der Inanspru<strong>ch</strong>nahme<br />

der Dienstleistungen (subjektive Re<strong>ch</strong>te gemäss Art. 7) auf einem sehr<br />

tiefen Niveau gehalten werden. Quantitative S<strong>ch</strong>ätzungen über die Zahl der zu erwartenden<br />

Bes<strong>ch</strong>werden und die dadur<strong>ch</strong> bedingte Mehrbelastung der Bes<strong>ch</strong>werdeinstanzen<br />

sind in diesem Berei<strong>ch</strong> zur Zeit zwar ni<strong>ch</strong>t mögli<strong>ch</strong>. Die Erfahrungen<br />

mit der Verbandsbes<strong>ch</strong>werde im Umwelts<strong>ch</strong>utzberei<strong>ch</strong> zeigt indessen, dass von diesem<br />

Instrument massvoll und überdur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong> oft mit Re<strong>ch</strong>t Gebrau<strong>ch</strong> gema<strong>ch</strong>t<br />

wird 187. Mit dem Bes<strong>ch</strong>werdere<strong>ch</strong>t wird im Übrigen ein Instrument eingesetzt, an<br />

dessen Stelle sonst entspre<strong>ch</strong>ende Konstrollinstanzen der Verwaltung aufgebaut<br />

werden müssten.<br />

Programme und Beratung<br />

Mit Artikel 12 und 13 soll der Bund beauftragt werden, in den vers<strong>ch</strong>iedenen Berei<strong>ch</strong>en<br />

Programme zur Integration Behinderter selbst zu lancieren und dur<strong>ch</strong>zuführen<br />

wie au<strong>ch</strong> mit Dritten gemeinsam an die Hand zu nehmen. Erfahrungsgemäss sind für<br />

eine na<strong>ch</strong>haltige Integrationspolitik au<strong>ch</strong> entspre<strong>ch</strong>ende Informations- und Sensibilisierungsmassnahmen<br />

erforderli<strong>ch</strong>. Um hier eine wirkungsvolle Aufbauarbeit leisten<br />

zu können, sind anfängli<strong>ch</strong> finanzielle Mittel von rund 5–8 Millionen Franken jährli<strong>ch</strong><br />

zur Verfügung zu stellen.<br />

Evaluationen<br />

Die ergriffenen Massnahmen sollen periodis<strong>ch</strong> in einer Evaluationsexpertise auf ihre<br />

Wirksamkeit und Treffgenauigkeit untersu<strong>ch</strong>t werden. Die Ergebnisse dieser Untersu<strong>ch</strong>ungen<br />

werden es den politis<strong>ch</strong>en Organen erlauben, die Behindertenpolitik<br />

zielgeri<strong>ch</strong>tet weiterzuentwickeln. Für die Evaluation ist mit jährli<strong>ch</strong>en Kosten von<br />

etwa Fr. 250 000.– zu re<strong>ch</strong>nen.<br />

Öffentli<strong>ch</strong>er Verkehr<br />

Vom Behindertenglei<strong>ch</strong>stellungsgesetz soll ein Impuls ausgehen, der eine bes<strong>ch</strong>leunigte<br />

Anpassung der Infrastrukturen namentli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> im öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr bewirkt.<br />

Die ordentli<strong>ch</strong>en Ersatz- und Renovationsrhythmen sind in diesem Berei<strong>ch</strong><br />

mit bis zu 50 Jahren eindeutig zu langsam. Der öffentli<strong>ch</strong>e Verkehr ist über weite<br />

Strecken auf die finanzielle Unterstützung dur<strong>ch</strong> die öffentli<strong>ch</strong>e Hand angewiesen.<br />

Deshalb werden si<strong>ch</strong> Bund und Kantone au<strong>ch</strong> an den Mehrkosten beteiligen müssen,<br />

die dur<strong>ch</strong> die Umstellung auf behindertengere<strong>ch</strong>tere Bauten, Anlagen und Fahrzeuge<br />

in der Übergangsphase na<strong>ch</strong> Artikel 16 entstehen.<br />

187 Vgl. die Untersu<strong>ch</strong>ung von A. Flückiger, Ch. A. Morand, Th. Tanquerel, Evaluation du<br />

droit de recours des organisations de protection de l’environnement, BUWAL, Bern 2000<br />

1799


Am Verteils<strong>ch</strong>lüssel der Kosten im öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr zwis<strong>ch</strong>en Bund und<br />

Kantonen soll im Rahmen dieser Vorlage grundsätzli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts geändert werden. Artikel<br />

17 verpfli<strong>ch</strong>tet in diesem Sinn sowohl den Bund als au<strong>ch</strong> die Kantone, den<br />

Verkehrsunternehmen im Berei<strong>ch</strong> ihrer Zuständigkeit Finanzhilfen zu gewähren. Für<br />

den Bund wird ein Zahlungsrahmen von 300 Millionen Franken verteilt auf die<br />

Dauer von 20 Jahren vorgesehen. Weitere Ausführungen zu den Kosten im öffentli<strong>ch</strong>en<br />

Verkehr vgl. Ziff. 5.4.2.<br />

Sozialversi<strong>ch</strong>erung<br />

Die individuellen Leistungen na<strong>ch</strong> den Artikeln 16–19 und 21 des Bundesgesetzes<br />

über die Invalidenversi<strong>ch</strong>erung 188 werden dur<strong>ch</strong> den bundesrätli<strong>ch</strong>en Gegenentwurf<br />

ni<strong>ch</strong>t tangiert. Hingegen ergeben si<strong>ch</strong> Übers<strong>ch</strong>neidungen des kollektiven Berei<strong>ch</strong>s<br />

der Invalidenversi<strong>ch</strong>erung (Art. 73 f. IVG) und den in den Artikeln 12 und 13 des<br />

Gesetzesentwurfs vorgesehenen Massnahmen (Programme, Information und Beratung).<br />

Da mit dem Gegenentwurf eine Ergänzung der IVG-Massnahmen angestrebt<br />

wird, ergeben si<strong>ch</strong> keine finanziellen Auswirkungen auf die Invalidenversi<strong>ch</strong>erung.<br />

Auf Verordnungsebene ist indessen für die Koordination der Massnahmen zu sorgen,<br />

die si<strong>ch</strong> auf diese beiden Gesetze stützen189. Mit einer stärkeren Integration Behinderter im Arbeitsprozess wird unter Umständen<br />

ni<strong>ch</strong>t nur die Invalidenversi<strong>ch</strong>erung entlastet, sondern au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t unwesentli<strong>ch</strong> die<br />

Arbeitslosenversi<strong>ch</strong>erung. Stellenlose Behinderte, die vermittlungsfähig sind, gelten<br />

wie au<strong>ch</strong> Ni<strong>ch</strong>tbehinderte als arbeitslos und haben somit Anspru<strong>ch</strong> auf Leistungen<br />

der Arbeitslosenversi<strong>ch</strong>erung.<br />

Steuereinnahmen<br />

Die vorges<strong>ch</strong>lagenen Änderungen im Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer<br />

führen zu einer Steuerentlastung behinderter Steuerpfli<strong>ch</strong>tiger. Es fehlen die statistis<strong>ch</strong>en<br />

Grundlagen, um die Grössenordnung dieser Entlastung genau zu quantifizieren.<br />

Der Ausfall von Steuereinnahmen dürfte jedo<strong>ch</strong> insgesamt sehr gering sein.<br />

Die vers<strong>ch</strong>iedenen im Behindertengesetz vorgesehenen Massnahmen sollen dazu<br />

führen, dass Behinderte vermehrt in die Gesells<strong>ch</strong>aft und damit au<strong>ch</strong> in den Arbeitsprozess<br />

integriert werden können. Die damit erzielten Einkommen werden eine Zunahme<br />

der Einnahmen bei den direkten und indirekten Steuern bewirken. Au<strong>ch</strong> hier<br />

lassen si<strong>ch</strong> zur Zeit keine verlässli<strong>ch</strong>en quantitativen Angaben ma<strong>ch</strong>en.<br />

Informatik<br />

Auf die Informatik sind keine Auswirkungen zu erwarten.<br />

5.2.2 Personelle Auswirkungen<br />

Vers<strong>ch</strong>iedene Verwaltungseinheiten haben bereits Fa<strong>ch</strong>stellen für Behindertenfragen<br />

eingeri<strong>ch</strong>tet, so beispielsweise das Bundesamt für Verkehr. Für umfassende Fragen<br />

und Aufgaben (Vollzug im Allgemeinen, Beratung, Betreuung der Förderungsprogramme)<br />

drängt si<strong>ch</strong> indessen eine neue, in der allgemeinen Bundesverwaltung<br />

integrierte Verwaltungsstelle auf, der unter anderem au<strong>ch</strong> die Koordination der Ar-<br />

188 IVG, SR 831.20<br />

189 Vgl. au<strong>ch</strong> Ziff. 4.3 (zu Art. 12) und Ziff. 4.3.5<br />

1800


eiten und der Kriterien in den vers<strong>ch</strong>iedenen s<strong>ch</strong>on bestehenden Fa<strong>ch</strong>stellen obliegen<br />

müsste. Die Bewältigung dieser Aufgaben verlangt die S<strong>ch</strong>affung zusätzli<strong>ch</strong>er<br />

drei bis vier Stellen. Es ist vorgesehen, diese Verwaltungseinheit dem EDI (wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong><br />

dem Bundesamt für Sozialversi<strong>ch</strong>erung) anzugliedern, das mit den entspre<strong>ch</strong>enden<br />

Mitteln auszustatten ist 190.<br />

5.2.3 Übersi<strong>ch</strong>t über die finanziellen Auswirkungen<br />

Die jährli<strong>ch</strong>en finanziellen Mehraufwendungen des Bundes lassen si<strong>ch</strong> wie folgt zusammenfassen:<br />

Massnahmen Kostens<strong>ch</strong>ätzung<br />

(in Mio. Fr. jährli<strong>ch</strong>)<br />

Bauten des Bundes 4–10<br />

Subventionen für die vom Bund mitfinanzierten Bauten 3–8<br />

Genossens<strong>ch</strong>aftswohnungen des Bundes 2–4<br />

Bauten, die der ETH unterstellt sind191 2<br />

Programme und Beratung 5–8<br />

Evaluationen 0,25<br />

Finanzhilfen an den öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr192 15<br />

Total 31,25–47,25<br />

5.2.4 Ausgabenbremse<br />

Artikel 159 Absatz 3 Bu<strong>ch</strong>stabe b BV sieht zum Zweck der Ausgabenbegrenzung<br />

vor, dass Subventionsbestimmungen sowie Verpfli<strong>ch</strong>tungskredite und Zahlungsrahmen,<br />

die neue einmalige Ausgaben von mehr als 20 Millionen Franken oder wiederkehrende<br />

Ausgaben von mehr als zwei Millionen Franken na<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong> ziehen, in<br />

jedem der beiden Räte der Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder bedürfen. Artikel<br />

17 des Gesetzes und der Bundesbes<strong>ch</strong>luss über die Finanzierung der Massnahmen<br />

im öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr zu Gunsten von Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen unterstehen<br />

demzufolge der Ausgabenbremse.<br />

5.3 Auswirkungen auf die Kantone und die Gemeinden<br />

5.3.1 Finanzielle Auswirkungen<br />

190 Vgl. au<strong>ch</strong> Ziff. 4.3.5<br />

191 Es sind Gesamtkosten von 10 Millionen Franken zu erwarten, die si<strong>ch</strong> je na<strong>ch</strong><br />

Renovationsrhythmus auf die nä<strong>ch</strong>sten Jahren verteilen. In der Tabelle wird von der<br />

Verteilung auf 5 Jahre ausgegangen.<br />

192 Vorgesehen ist ein Zahlungsrahmen von 300 Millionen Franken für eine Zeitspanne von<br />

20 Jahren (vgl. Art. 16 f.)<br />

1801


Bauli<strong>ch</strong>e Anpassung der Gebäude und Anlagen<br />

Die Baugesetzgebung der Kantone ist in Bezug auf die Berücksi<strong>ch</strong>tigung der Anliegen<br />

Behinderter forts<strong>ch</strong>rittli<strong>ch</strong>193. Es kann davon ausgegangen werden, dass für die<br />

Anpassung der öffentli<strong>ch</strong> zugängli<strong>ch</strong>en Bauten der Kantone und Gemeinden keine<br />

grossen Zusatzkosten entstehen, da die Baugesetze bereits heute für Neubauten und<br />

oft au<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on für Renovationen die Bea<strong>ch</strong>tung der Anliegen der Behinderten vorsehen.<br />

Dasselbe gilt für die Anlagen, für die die Kantone oder die Gemeinden verantwortli<strong>ch</strong><br />

sind (Parks, S<strong>ch</strong>wimmbäder, Stadien usw.).<br />

Ein gewisser Handlungsbedarf ist bei den Fusswegen gegeben. Das Behindertengesetz<br />

greift aber au<strong>ch</strong> hier nur bei Neubauten und bei umfassenden Sanierungen.<br />

Kantone und Gemeinden sind also ni<strong>ch</strong>t gezwungen, die bestehenden Fusswege sofort<br />

den Bedürfnissen Behinderter anzupassen.<br />

Es ist absehbar, dass künftig immer mehr Dienstleistungen elektronis<strong>ch</strong> angeboten<br />

werden (Handelsregisterauskünfte, Kontakte mit der Einwohnerkontrolle, elektronis<strong>ch</strong>e<br />

Abstimmungen usw.). Diese Entwicklung wird die Situation hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> der<br />

no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t behindertengere<strong>ch</strong>t gestalteten Altbauten ents<strong>ch</strong>ärfen.<br />

Anpassung der Dienstleistungen der Kantone<br />

Die Kantone und Gemeinden erbringen vers<strong>ch</strong>iedene Dienstleistungen, die einem<br />

breiten Publikum angeboten werden. Zu erwähnen sind beispielsweise die Registerämter<br />

(Grundbu<strong>ch</strong>, Handelsregister, Zivilstandsregister), Freizeit- und Sportanlagen,<br />

Museen, Theater usw. Die Dienstleistungen dieser Institutionen müssen Mens<strong>ch</strong>en<br />

mit Behinderungen grundsätzli<strong>ch</strong> zugängli<strong>ch</strong> sein. Quantitative Angaben für allfällige<br />

Anpassungen lassen si<strong>ch</strong> im heutigen Zeitpunkt ni<strong>ch</strong>t ma<strong>ch</strong>en.<br />

S<strong>ch</strong>ulen<br />

Das Behindertengesetz verlangt von den Kantonen insbesondere, dass sie hör- und<br />

sehbehinderten Kindern im Rahmen des Grunds<strong>ch</strong>ulunterri<strong>ch</strong>ts die Gebärdenspra<strong>ch</strong>e<br />

beziehungsweise die Blindens<strong>ch</strong>rift lehren. Au<strong>ch</strong> hier soll die Integration in die Gesells<strong>ch</strong>aft<br />

im Normalfall Vorrang haben vor mögli<strong>ch</strong>erweise kostengünstigeren Lösungen<br />

dur<strong>ch</strong> Sonders<strong>ch</strong>ulung.<br />

Verfahrenskosten<br />

Für die Auswirkungen der neu eingeführten Klage- und Bes<strong>ch</strong>werdemögli<strong>ch</strong>keiten<br />

im Sinne von Artikel 7 kann auf die Aussagen in Ziff. 5.2.1 verwiesen werden.<br />

Öffentli<strong>ch</strong>er Verkehr<br />

Wie s<strong>ch</strong>on in Ziffer 5.2.1 dargelegt, sind im Berei<strong>ch</strong> des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs zusätzli<strong>ch</strong>e<br />

Mittel der Gemeinwesen nötig, um den gewüns<strong>ch</strong>ten Erneuerungsimpuls<br />

verwirkli<strong>ch</strong>en zu können. Am Verteils<strong>ch</strong>lüssel der Kosten im öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr<br />

zwis<strong>ch</strong>en Bund und Kantonen soll im Rahmen dieser Vorlage jedo<strong>ch</strong> grundsätzli<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>ts geändert werden. Artikel 17 verpfli<strong>ch</strong>tet in diesem Sinn sowohl den Bund als<br />

au<strong>ch</strong> die Kantone, den Verkehrsunternehmen im Berei<strong>ch</strong> ihrer Zuständigkeit Finanzhilfen<br />

zu gewähren. Die Höhe der Mehrkosten dürfte si<strong>ch</strong> für die Kantone bei<br />

einer Übergangsfrist von 20 Jahren in einer ähnli<strong>ch</strong>en Höhe bewegen wie für den<br />

Bund, also etwa 300 Millionen Franken, verteilt auf diese Übergangsfrist. Weitere<br />

Ausführungen zu den Kosten im öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr vgl. Ziff. 5.4.2.<br />

193 Vgl. Ziff. 2.3.2.3<br />

1802


5.3.2 Personelle Auswirkungen<br />

Das Behindertengesetz setzt keine besonderen Verwaltungseinheiten in den Kantonen<br />

oder Gemeinden voraus. Es ist mit keinen nennenswerten Mehrbelastungen zu<br />

re<strong>ch</strong>nen.<br />

5.4 Volkswirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Auswirkungen<br />

5.4.1 Zugang zu Gebäuden und Anlagen<br />

Die bauli<strong>ch</strong>e Anpassung öffentli<strong>ch</strong> zugängli<strong>ch</strong>er Gebäude und Anlagen kommt in<br />

erster Linie den mobilitäts- und sehbehinderten Personen, die im Sinne des Gesetzesentwurfs<br />

als Personen mit Behinderungen zu betra<strong>ch</strong>ten sind, zugute. Darüber<br />

hinaus dienen diese Änderungen au<strong>ch</strong> Betagten, deren Geh- und Sehfähigkeit abgenommen<br />

hat, sowie Erwa<strong>ch</strong>senen mit Kleinkindern.<br />

Zu bea<strong>ch</strong>ten ist, dass das Baure<strong>ch</strong>t in fast allen Kantonen s<strong>ch</strong>on heute Vors<strong>ch</strong>riften<br />

für behindertengere<strong>ch</strong>tes Bauen kennt194. Mit dem Behindertengesetz wird also<br />

ni<strong>ch</strong>t ein Bauteuerungss<strong>ch</strong>ub in der vollen Höhe der Kosten ausgelöst, die dur<strong>ch</strong><br />

bauli<strong>ch</strong>e Massnahmen zu Gunsten Behinderter verursa<strong>ch</strong>t werden; der Zusatzaufwand<br />

dürfte si<strong>ch</strong> angesi<strong>ch</strong>ts der forts<strong>ch</strong>rittli<strong>ch</strong>en kantonalen Gesetzgebung auf einen<br />

Bru<strong>ch</strong>teil dieser Summe bes<strong>ch</strong>ränken.<br />

Der vom Bund geförderte Wohnungsbau entspri<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>on seit den A<strong>ch</strong>tzigerjahren<br />

weitgehend den Anforderungen an behindertengere<strong>ch</strong>tes Bauen. Deshalb ergeben<br />

si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> die Vorlage nur bes<strong>ch</strong>eidene Mehrkosten. Betroffen sind etwa 20% der<br />

Gebäude. In diesen Bauten ist mit zusätzli<strong>ch</strong>en Kosten vor allem dur<strong>ch</strong> den Einbau<br />

von Aufzügen (4% Mehrkosten) sowie dur<strong>ch</strong> Umgebungsarbeiten bei Bauten in<br />

Hanglagen oder bei speziellen Baugrundverhältnissen (felsiger Untergrund, hoher<br />

Grundwasserspiegel usw.; 4–6% Mehrkosten) zu re<strong>ch</strong>nen. Mehr Gebäude sind im<br />

freitragenden Wohnungsbau betroffen, der staatli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mitfinanziert wird: Handlungsbedarf<br />

besteht bei etwa 60% der Gebäude, da in diesem Segment die Norm<br />

SN 521 500 bis heute nur zögerli<strong>ch</strong> umgesetzt wurde. Im Einzelfall dürften dieselben<br />

Mehrkosten anfallen wie beim geförderten Wohnungsbau (bis 4–10%). Zusammenfassend<br />

und gesamthaft betra<strong>ch</strong>tet kann festgehalten werden, dass si<strong>ch</strong> die Anlagekosten<br />

(Kosten inklusive Land) von Neubauten und umfassenden Renovationen<br />

dur<strong>ch</strong> die bauli<strong>ch</strong>en Massnahmen zu Gunsten Behinderter im Wohnungsbau um<br />

dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong> 2½% verteuern.<br />

Die Verpfli<strong>ch</strong>tung, öffentli<strong>ch</strong> zugängli<strong>ch</strong>e Bauten behindertengere<strong>ch</strong>t auszugestalten,<br />

erhöht die Baukosten der betroffenen Gebäude um 1–5%, wovon die Bauwirts<strong>ch</strong>aft<br />

(Baumeister, Aufzughersteller, Gartenbauer, Umgebungsgestalter) profitiert.<br />

Mieterinnen und Mieter von Wohnungen in Gebäuden mit mehr als a<strong>ch</strong>t Wohneinheiten<br />

kommen in den Genuss von Komfortsteigerungen (Liftanlagen, s<strong>ch</strong>wellenund<br />

treppenfreie Zugänge). Der Vermieter kann die Mehrkosten für die Anpassung<br />

an die Bedürfnisse der Behinderten grundsätzli<strong>ch</strong>, und soweit es die Marktlage erlaubt,<br />

auf die Mieten überwälzen.<br />

Vermieter sind vom Behindertengesetz insofern betroffen, als Ersteller von Wohnbauten<br />

mit mehr als a<strong>ch</strong>t Wohneinheiten verpfli<strong>ch</strong>tet werden, diese behindertengere<strong>ch</strong>t<br />

zugängli<strong>ch</strong> zu ma<strong>ch</strong>en. Die glei<strong>ch</strong>e Pfli<strong>ch</strong>t gilt für umfassende Renovationen.<br />

194 Vgl. Ziff. 2.3.2.3<br />

1803


Dies wird si<strong>ch</strong> tendenziell preiserhöhend auswirken. Für den privaten Wohnungsbau<br />

wurden etwa 17 Milliarden Franken, für den übrigen privaten Bau 10 Milliarden<br />

Franken aufgewendet. 1998 wurden 3437 Mehrfamilienhäuser mit insgesamt<br />

20 305 Wohnungen erstellt.<br />

Wer als Eigentümer ein Hotel, ein Restaurant, ein Tearoom oder eine Bar betreibt<br />

oder betreiben lässt 195, wird dur<strong>ch</strong> die Pfli<strong>ch</strong>t belastet, neue oder total erneuerte<br />

Bauten und Anlagen behindertengere<strong>ch</strong>t auszugestalten. In wel<strong>ch</strong>em Ausmass die<br />

Gastwirts<strong>ch</strong>aftsbetriebe dur<strong>ch</strong> die verbesserten Angebote neue Gäste gewinnen und<br />

wegen der Überwälzung der Mehrkosten Kunden verlieren, lässt si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t genau<br />

s<strong>ch</strong>ätzen.<br />

Eigentümer von anderen öffentli<strong>ch</strong> zugängli<strong>ch</strong>en Gebäuden (z.B. Einkaufszentren,<br />

Gebäude für öffentli<strong>ch</strong>e Veranstaltungen, Banken) unterliegen ebenfalls der Pfli<strong>ch</strong>t,<br />

diese behindertengere<strong>ch</strong>t zu bauen bzw. bei Totalsanierungen behindertengere<strong>ch</strong>t zu<br />

ers<strong>ch</strong>liessen. Ni<strong>ch</strong>t angepasste Bauten werden mit der Zeit als ni<strong>ch</strong>t mehr zeitund<br />

standardgemäss beurteilt werden und entspre<strong>ch</strong>end s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tere Markt<strong>ch</strong>ancen<br />

haben.<br />

Das verarbeitende Gewerbe dürfte vom Behindertengesetz dur<strong>ch</strong> Zusatzaufträge zusätzli<strong>ch</strong><br />

Aufträge an die Betriebe, die im Mas<strong>ch</strong>inenbau (z. B. Lifte), in der Herstellung<br />

von elektris<strong>ch</strong>en und elektronis<strong>ch</strong>en Geräten zur Folge haben.<br />

5.4.2 Zugang zu öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrsmitteln<br />

Zentraler Wirkungsberei<strong>ch</strong> des Behindertengesetzes ist der öffentli<strong>ch</strong>e Verkehr.<br />

Oftmals sind Lösungen mit individuellen statt öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrsmitteln denkbar.<br />

Ziel des Gesetzes ist es jedo<strong>ch</strong>, die Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen in der Gesells<strong>ch</strong>aft<br />

mögli<strong>ch</strong>st den ni<strong>ch</strong>t Behinderten glei<strong>ch</strong>zustellen und sie zu integrieren. Soweit es<br />

wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> vertretbar ist, sollen deshalb Transporte mit dem öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr<br />

bevorzugt werden, au<strong>ch</strong> wenn die direkten Kosten mit speziellen individuellen Verkehrsmitteln<br />

mögli<strong>ch</strong>erweise tiefer wären.<br />

Die konzessionierten Eisenbahnen eins<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> der SBB haben 1996 329,6 Millionen<br />

Personen befördert, mit den Spezialbahnen zusätzli<strong>ch</strong>e 183,7 Millionen. Auf<br />

der Strasse werden mit öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrsmitteln jährli<strong>ch</strong> etwa 1,1 Milliarden<br />

Personen befördert. Der Gesamtaufwand der SBB belief si<strong>ch</strong> 1997 auf 6631,4 Millionen<br />

Franken, wobei die Abgeltungen 2360,6 Millionen Franken ausma<strong>ch</strong>ten. Der<br />

Gesamtaufwand der konzessionierten Bahnen betrug 1997 1552,8 Millionen Franken,<br />

die Abgeltungen beliefen si<strong>ch</strong> auf 640,2 Millionen Franken.<br />

Zur Abs<strong>ch</strong>ätzung der Gesamtkosten im Berei<strong>ch</strong> öffentli<strong>ch</strong>er Verkehr hat das Bundesamt<br />

für Verkehr eine Umfrage bei den Transportunternehmen aller Kategorien<br />

(Eisenbahnen mit Normal- und S<strong>ch</strong>malspur, Busse, Tram, Seilbahnen, S<strong>ch</strong>iffe)<br />

dur<strong>ch</strong>geführt. Die weitaus hö<strong>ch</strong>sten Kosten entstehen bei den Eisenbahnen. Die<br />

na<strong>ch</strong>folgenden Zahlen basieren auf der Annahme, dass pro Zug ein Fahrzeug behindertengere<strong>ch</strong>t<br />

ausgerüstet ist, dass die Perrons in den Stützbahnhöfen sowie in<br />

ausgewählten Bahnhöfen und Haltestellen bei Normalspurbahnen eine Höhe von<br />

55 cm, bei S<strong>ch</strong>malspurbahnen von 35 cm aufweisen. Im Weiteren wird davon aus-<br />

195 Anzahl Hotels (1999): 5826 Betriebe; Anzahl Restaurants, Tearooms und Bars (1998):<br />

20 577.<br />

1804


gegangen, dass Fahrzeuge mit geringer Laufleistung (Reserve) ni<strong>ch</strong>t besonders ausgerüstet<br />

werden. Unter diesen Annahmen sind für die Umsetzung des beantragten<br />

Gesetzes Gesamtkosten für alle Verkehrskategorien zusammen in der Grössenordnung<br />

von zwis<strong>ch</strong>en 264 Millionen Franken (25-jährige Anpassungsfrist) und 985<br />

Millionen Franken (15-jährige Anpassungsfrist) zu erwarten 196. Die Anpassungen<br />

der Haltestellen allein beträgt dabei je na<strong>ch</strong> Frist etwa 185 bzw. 488 Millionen<br />

Franken, die Verbesserung der Informationssysteme 2,5 bzw. 20 Millionen Franken.<br />

Diese Zahlen verans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>en, dass die erwähnten Anpassungskosten stark davon<br />

abhängen, in wel<strong>ch</strong>em Zeitrahmen die Anpassungen vorgenommen werden. Sie<br />

steigen oder fallen mit einer Verkürzung beziehungsweise einer Verlängerung des<br />

Zeitraumes überproportional. Ohne zusätzli<strong>ch</strong>e Finanzhilfen des Bundes an die Verkehrsunternehmen<br />

müssten diese die Zusatzkosten dur<strong>ch</strong> weitere Rationalisierungsmassnahmen,<br />

vermutli<strong>ch</strong> aber au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> Leistungsabbau und/oder Erhöhung der<br />

Billettpreise auffangen. Damit würde der öffentli<strong>ch</strong>e Verkehr im Verhältnis zum<br />

Privatverkehr an Attraktivität verlieren.<br />

Die Pfli<strong>ch</strong>t zur behindertengere<strong>ch</strong>ten Ausgestaltung von Bauten gilt au<strong>ch</strong> für den<br />

Zugang zu Dienstleistungen des Flugverkehrs. Dem Flugverkehr und dem Betrieb<br />

der Flughäfen erwa<strong>ch</strong>sen aus dem vorges<strong>ch</strong>lagenen Gesetz keine nennenswerten<br />

Mehrkosten. Alle Fluggesells<strong>ch</strong>aften haben ein besonderes Konzept für den Empfang<br />

und die Betreuung behinderter Flugpassagiere. Die Flughafengebäude sind<br />

s<strong>ch</strong>on heute weitgehend behindertengere<strong>ch</strong>t ausgestaltet.<br />

5.4.3 Bau und Ausrüstung der Fahrzeuge<br />

Neu wird der Bund die Strassenverkehrsgesetzgebung, namentli<strong>ch</strong> die Vors<strong>ch</strong>riften<br />

über den Bau und die Ausrüstung von Fahrzeugen, besser auf die Bedürfnisse ausri<strong>ch</strong>ten<br />

können.<br />

Die behindertengere<strong>ch</strong>te Ausgestaltung von neuen Fahrzeugen des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs<br />

auf der Strasse (seitli<strong>ch</strong>es Absenken, elektris<strong>ch</strong>e Behindertenrampe, Rollstuhlplatz)<br />

verursa<strong>ch</strong>en zusätzli<strong>ch</strong>e Kosten in der Grösse von ca. Fr. 15 000.– pro Fahrzeug.<br />

Bei einem Fahrzeugbestand von rund 5000 Bussen und 900 Tramfahrzeugen<br />

mit einer Lebenserwartung von 15 Jahren hätte dies Kosten von jährli<strong>ch</strong> etwa 6 Millionen<br />

Franken zur Folge. Eine Anpassung bestehender Fahrzeuge wäre teurer und<br />

aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t kaum verhältnismässig.<br />

Das verarbeitende Gewerbe dürfte vom Behindertengesetz dur<strong>ch</strong> Zusatzaufträge<br />

profitieren. Die behindertengere<strong>ch</strong>te Ausgestaltung von Fahrzeugen wird zusätzli<strong>ch</strong>e<br />

Aufträge an die Betriebe, die im Mas<strong>ch</strong>inenbau, in der Herstellung von elektris<strong>ch</strong>en<br />

und elektronis<strong>ch</strong>en Geräten sowie im Fahrzeugbau (S<strong>ch</strong>ienenfahrzeuge, Busse) tätig<br />

sind, zur Folge haben.<br />

196 Mit 25-jähriger Anpassungsfrist entfallen davon 8,8 Mio. Fr. auf die Busunternehmungen,<br />

1 Mio. Fr. auf die Post, 190 Mio. Fr. auf die Normalspurbahnen, 59,7 Mio.<br />

Fr. auf S<strong>ch</strong>malspurbahnen, 4 Mio. Fr. auf die Seilbahnen, 720 000 Fr. auf die S<strong>ch</strong>iffe.<br />

Mit 15-jähriger Anpassungsfrist entfallen davon 48 Mio. Fr. auf die Busunternehmungen,<br />

19,2 Mio. Fr. auf die Post, 3,9 Mio. Fr. auf Tramunternehmungen, 609 Mio. Fr. auf die<br />

Normalspurbahnen, 294,2 Mio. Fr. auf S<strong>ch</strong>malspurbahnen, 8 Mio. Fr. auf die Seilbahnen,<br />

2,4 Mio. Fr. auf die S<strong>ch</strong>iffe.<br />

1805


5.4.4 Dienstleistungen<br />

Das Behindertengesetz hat Auswirkungen auf die privaten Anbieter allgemein zugängli<strong>ch</strong>er<br />

kommerzieller und kultureller Dienstleistungen (Kinos, Theater, Restaurants,<br />

Hotels, Fernsehen, Sportstadien, Detailhändler, Internetprovider usw.). Vom<br />

Geltungsberei<strong>ch</strong> erfasst werden unter anderem die über 20 regelmässig subventionierten<br />

Theater, die rund 450 kommerziellen Kinoräume und die gut 900 Museen.<br />

Wer entspre<strong>ch</strong>ende Dienstleistungen öffentli<strong>ch</strong> anbietet, darf Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen<br />

ni<strong>ch</strong>t auf Grund ihrer Behinderung bena<strong>ch</strong>teiligen und ihnen beispielsweise<br />

generell den Zutritt verweigern. Die Dienstleistung selbst muss ni<strong>ch</strong>t behindertengere<strong>ch</strong>t<br />

ausgestaltet werden. Dies bedeutet beispielsweise, dass ein Film weder<br />

untertitelt gezeigt no<strong>ch</strong> der Vorführraum mit akustis<strong>ch</strong>en Hilfsmitteln für Mens<strong>ch</strong>en<br />

mit Hörbehinderung versehen werden muss. Ebenso wenig müssen Zeitungen au<strong>ch</strong><br />

in Brailles<strong>ch</strong>rift angeboten werden.<br />

Die Bauten, in denen Dienstleistungen angeboten werden, sind vom Eigentümer bei<br />

ihrer Erstellung oder bei Totalsanierungen behindertengere<strong>ch</strong>t auszugestalten. Zur<br />

bauli<strong>ch</strong>en Seite gehören neben der Gestaltung des Eingangs au<strong>ch</strong> die Ers<strong>ch</strong>liessung<br />

aller dem Publikum zugängli<strong>ch</strong>en Berei<strong>ch</strong>e wie Foyer, Toilettenanlagen usw. Eigentümer<br />

von Bauten, in denen Detailhandel betrieben wird, müssen beispielsweise<br />

dafür sorgen, dass die Verkaufsräume und die Kassen eines Warenhauses rollstuhlgängig<br />

sind und die Liftanlage eines Einkaufszentrums au<strong>ch</strong> für Mens<strong>ch</strong>en mit Sehbehinderungen<br />

taugli<strong>ch</strong> ist.<br />

Die Tourismusbran<strong>ch</strong>e wird dur<strong>ch</strong> die Verbesserungen beim öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr<br />

von der erhöhten Mobilität Behinderter indirekt profitieren, andererseits wegen erhöhter<br />

Kosten mögli<strong>ch</strong>erweise andere Kunden verlieren.<br />

Zu den Dienstleistungen des Gemeinwesens vgl. Ziff. 5.2.1 und 5.3.1.<br />

5.4.5 Informatik<br />

Die wa<strong>ch</strong>sende Verlagerung von Dienstleistungen auf informatiklastige Infrastrukturen<br />

wie das Internet bieten für viele Behinderte Erlei<strong>ch</strong>terungen im Alltag. Die Informatik<br />

eröffnet neue Mögli<strong>ch</strong>keiten der Kommunikation und der Bes<strong>ch</strong>affung von<br />

Gütern, was insbesondere Mobilitätsbehinderten zugute kommt. Über besondere<br />

Hilfsmittel sind au<strong>ch</strong> Sehbehinderte grundsätzli<strong>ch</strong> in der Lage, Bilds<strong>ch</strong>irmtexte zu<br />

lesen und zu verfassen. Der Dienstleistungsbegriff des Behindertengesetzes erfasst<br />

au<strong>ch</strong> Internet-Dienstleistungen. Bei entspre<strong>ch</strong>enden Angeboten ist deshalb darauf zu<br />

a<strong>ch</strong>ten, dass diese ni<strong>ch</strong>t auss<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> über die Bildspra<strong>ch</strong>e aufgebaut werden, die<br />

si<strong>ch</strong> für sehbehinderte Personen kaum ers<strong>ch</strong>liessen lässt. Au<strong>ch</strong> im Berei<strong>ch</strong> der Informatik<br />

gilt für das Gemeinwesen die Pfli<strong>ch</strong>t, seine Dienstleistungen behindertengere<strong>ch</strong>t<br />

anzubieten, während Private Anbieter bloss das Diskriminierungsverbot zu<br />

bea<strong>ch</strong>ten haben. Die s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>tsordnung stösst beim international aufgebauten<br />

Internet zudem s<strong>ch</strong>nell an ihre Grenzen.<br />

5.4.6 Fernmeldedienstleistungen<br />

Die Einri<strong>ch</strong>tungen der Telekommunikation sind gerade au<strong>ch</strong> für Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen<br />

von grosser Bedeutung; sie sollen deshalb mögli<strong>ch</strong>st unbehinderten<br />

1806


Zugang zu entspre<strong>ch</strong>enden Dienstleistungen haben. Wer die Dienste der Grundversorgung<br />

anbietet, muss ein Netz von öffentli<strong>ch</strong>en Spre<strong>ch</strong>stellen betreiben. Zurzeit<br />

findet eine Konzentration und eine Verdünnung des Angebots statt. Ein minimales<br />

Angebot soll aber bestehen bleiben. Die Verordnung vom 6. Oktober 1997 über<br />

Fernmeldedienste (FDV) sieht vor, dass öffentli<strong>ch</strong>e Spre<strong>ch</strong>stellen an Orten aufgestellt<br />

werden, an denen ein ausgewiesenes Bedürfnis besteht, mindestens aber in jeder<br />

politis<strong>ch</strong>en Gemeinde eine197. Diese Spre<strong>ch</strong>stellen sollen auf die Bedürfnisse<br />

sensoris<strong>ch</strong> oder Bewegungsbehinderter ausgeri<strong>ch</strong>tet werden, soweit dies ni<strong>ch</strong>t ohnehin<br />

s<strong>ch</strong>on ges<strong>ch</strong>ehen ist.<br />

Die öffentli<strong>ch</strong>en Spre<strong>ch</strong>stellen der Swisscom sind alle mit Hörverstärkern ausgerüstet<br />

und erlauben die induktive Ankoppelung von akustis<strong>ch</strong>en Hörgeräten sowie<br />

die Benützung eines Telefons<strong>ch</strong>reibgerätes. Ein Defizit besteht ledigli<strong>ch</strong> hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong><br />

der Ausrüstung Bewegungsbehinderter in Rollstühlen: Zurzeit sind etwa 30% der<br />

öffentli<strong>ch</strong>en Spre<strong>ch</strong>stellen für Personen im Rollstuhl zugängli<strong>ch</strong>. Würden im übli<strong>ch</strong>en<br />

Ersatzrhythmus jährli<strong>ch</strong> 300 der etwa 5700 sanierungsbedürftigen Spre<strong>ch</strong>stellen<br />

erneuert, so wäre erst in knapp 20 Jahren ein flä<strong>ch</strong>endeckendes Angebot von behindertengere<strong>ch</strong>ten<br />

Spre<strong>ch</strong>stellen vorhanden. Eine umgehende Sanierung dieser<br />

Spre<strong>ch</strong>stellen würde etwa 35 Millionen kosten. Denkbar wäre au<strong>ch</strong>, Mobilitätsbehinderte<br />

mit einem Mobiltelefon auszurüsten. Die entspre<strong>ch</strong>enden Kosten für eine<br />

Erstausrüstung belaufen si<strong>ch</strong> – geht man von etwa 35 000 anspru<strong>ch</strong>sbere<strong>ch</strong>tigten<br />

Personen aus – auf rund 10 Millionen Franken. Da die Mobiltelefone aber ni<strong>ch</strong>t von<br />

allen Behinderten glei<strong>ch</strong>ermassen gut benützt werden können und höhere Gesprä<strong>ch</strong>staxen<br />

anfallen, dienen sie nur bedingt als Alternative. Dazu kommen verglei<strong>ch</strong>sweise<br />

hohe Kosten für den Unterhalt und den Ersatz dieser Geräte.<br />

5.4.7 Sendungen für Hörges<strong>ch</strong>ädigte<br />

Um Sendungen des Fernsehens au<strong>ch</strong> Mens<strong>ch</strong>en mit Hörbehinderungen zugängli<strong>ch</strong><br />

zu ma<strong>ch</strong>en, soll eine repräsentative Auswahl der Sendungen der nationalen oder<br />

spra<strong>ch</strong>regionalen Fernsehveranstalter mit Untertiteln versehen werden oder simultan<br />

in die Gebärdenspra<strong>ch</strong>e übersetzt werden. Die Kosten für die Untertitelung bei der<br />

SRG von 2,55 Millionen Franken werden heute zum Teil (1,15 Mio. Fr.) von der<br />

Invalidenversi<strong>ch</strong>erung übernommen. Die Ausdehnung des Angebots von Sendungen<br />

für Mens<strong>ch</strong>en mit Hörbehinderung auf alle Veranstalter mit nationalen und spra<strong>ch</strong>regionalen<br />

Programmen (Ziff. 4.4.5) würde diesen Veranstaltern Mehrkosten verursa<strong>ch</strong>en,<br />

die si<strong>ch</strong> mit jenen der SRG verglei<strong>ch</strong>en lassen.<br />

5.4.8 Auswirkungen auf private Arbeitgeber<br />

Der bundesrätli<strong>ch</strong>e Entwurf eines Behindertengesetzes sieht no<strong>ch</strong> keine Massnahmen<br />

vor, wel<strong>ch</strong>e die privaten Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber verpfli<strong>ch</strong>ten, Mens<strong>ch</strong>en<br />

mit Behinderungen zu bes<strong>ch</strong>äftigen, oder dur<strong>ch</strong> Anreize dazu anregen. In dieser<br />

Fassung sind deshalb vom Behindertengesetz keine nennenswerten Auswirkungen<br />

auf die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber zu erwarten. Im Rahmen der IV-<br />

197 Art. 15 Bst. e, SR 784.101.1<br />

1807


Revision sind bereits Anreizsysteme geprüft 198, in diesem Zusammenhang jedo<strong>ch</strong><br />

vor allem aus Kostengründen und wegen Unklarheit über die Wirkung der Instrumente<br />

ni<strong>ch</strong>t weiterverfolgt worden. Eine interdepartementale Arbeitsgruppe prüft die<br />

Frage vertieft und wird im Sommer <strong>2001</strong> einen Beri<strong>ch</strong>t zu dieser Thematik vorlegen<br />

199.<br />

5.5 Praktis<strong>ch</strong>e Aspekte des Vollzugs<br />

Das neue Gesetz definiert die Minimalstandards für Sa<strong>ch</strong>berei<strong>ch</strong>e (öffentli<strong>ch</strong>er Verkehr,<br />

Bauwesen, Fernmeldewesen, S<strong>ch</strong>ulwesen), die bereits einer staatli<strong>ch</strong>en Regelung<br />

von Bund oder Kantonen unterworfen sind. Es erfasst weder neue Berei<strong>ch</strong>e<br />

no<strong>ch</strong> definiert es neue Verfahren. So bringt die Definition der Bena<strong>ch</strong>teiligungen,<br />

au<strong>ch</strong> wenn sie den bestehenden Regelungen eine offenere Perspektive verleiht, weil<br />

ihre Anwendung inskünftig au<strong>ch</strong> den Bedürfnissen der Behinderten Re<strong>ch</strong>nung tragen<br />

muss, keine neuen Verfahren, sondern perfektioniert die bereits bestehenden.<br />

Der Gesetzesvollzug erfordert somit keine besonderen Verwaltungsinstanzen oder<br />

-verfahren; sie würden bloss Doppelspurigkeiten zu den bereits bestehenden verursa<strong>ch</strong>en.<br />

Im Gegenteil, die Interessen der Behinderten werden im Rahmen der ordentli<strong>ch</strong>en<br />

Verfahren berücksi<strong>ch</strong>tigt, namentli<strong>ch</strong> bei den Baubewilligungs- und<br />

Plangenehmigungsverfahren sowie bei der Konzessionserteilung. Der Grundsatz der<br />

Koordination der Verfahren wird insofern gewahrt, als die mit der Grundsatzfrage<br />

befasste Behörde au<strong>ch</strong> die Angemessenheit und die Konformität der Anlagen hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong><br />

der Bedürfnisse der Behinderten zu prüfen hat.<br />

Was die Verfahrensdauer anbelangt, sollte sie na<strong>ch</strong> einer gewissen Übergangszeit<br />

ni<strong>ch</strong>t allein deswegen länger werden, weil den neuen gesetzli<strong>ch</strong>en Erfordernissen im<br />

Bauberei<strong>ch</strong> oder im Berei<strong>ch</strong> des Leistungsangebots Re<strong>ch</strong>nung zu tragen ist. In dieser<br />

Hinsi<strong>ch</strong>t erlaubt die Handhabung der grosszügigen Übergangsfristen den Unternehmern,<br />

die konkret zu ergreifenden Massnahmen vorzuziehen, um ihre Bauten re<strong>ch</strong>tzeitig<br />

den Bedürfnissen der Behinderten anzupassen.<br />

Es ist vorgesehen, dass der Bund neue te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>e Normen erlässt. Diese Bestimmungen<br />

werden na<strong>ch</strong> Anhörung mit den betroffenen Kreisen (Kantone, Transportunternehmen,<br />

Behindertenorganisationen) ausgearbeitet. Der Bund kann au<strong>ch</strong> auf<br />

te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>e Normen privater Organisationen verweisen.<br />

Was die subjektiven Re<strong>ch</strong>te anbelangt, ist ihre Umsetzung Sa<strong>ch</strong>e der ordentli<strong>ch</strong>en<br />

zuständigen Behörden na<strong>ch</strong> den Verfahren der vers<strong>ch</strong>iedenen betroffenen Gemeinwesen<br />

(kantonale Geri<strong>ch</strong>te, Verwaltungsbehörden der Kantone oder des Bundes).<br />

Das Gesetz verlangt keine S<strong>ch</strong>affung einer besonderen Vollzugsinstanz. Auf Bundesebene<br />

obliegt der Vollzug in erster Linie den Stellen der zentralen Verwaltung<br />

im Rahmen ihres ordentli<strong>ch</strong>en Zuständigkeitsberei<strong>ch</strong>s (Verkehr, Bau und Logistik,<br />

Fernmeldeberei<strong>ch</strong>, sozialer S<strong>ch</strong>utz, Bundespersonal usw.).<br />

S<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> sei darauf hingewiesen, dass das den Behindertenorganisationen eingeräumte<br />

Bes<strong>ch</strong>werdere<strong>ch</strong>t es erlauben wird, die Verfahren auf die zentralen Fragen zu<br />

198 «Mécanisme d’incitation à l’emploi des personnes handicapées», Rapport du groupe de<br />

travail «Anreizsysteme» vom 26.3.1999<br />

199 Vgl. Ziff. 4.4.4<br />

1808


konzentrieren; dies wird dazu beitragen, eine Flut von Einzelklagen und die Verzettelung<br />

der Anstrengungen zu verhindern.<br />

6 Legislaturplanung<br />

Die re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Glei<strong>ch</strong>stellung zwis<strong>ch</strong>en den behinderten Personen und den anderen<br />

Mitgliedern unserer Gesells<strong>ch</strong>aft sowie die Beseitigung der Bena<strong>ch</strong>teiligungen, wel<strong>ch</strong>e<br />

die Behinderten beeinträ<strong>ch</strong>tigen, bilden Gegenstand der Ri<strong>ch</strong>tlinien R20 der<br />

Legislaturplanung 1999–2003 200, und die Präsentation von Gesetzesentwurf und<br />

Bots<strong>ch</strong>aft ist im Anhang 2 (Abs<strong>ch</strong>nitt 3.1 «Soziale Si<strong>ch</strong>erheit und Gesundheit»,<br />

Rubrik «Ri<strong>ch</strong>tlinienges<strong>ch</strong>äfte») 201 angekündigt worden.<br />

7 Völkerre<strong>ch</strong>t<br />

7.1 UNO<br />

7.1.1 Empfehlungen und Programme<br />

Die Re<strong>ch</strong>te der Behinderten bes<strong>ch</strong>äftigen die Vereinten Nationen und andere internationale<br />

Organisationen s<strong>ch</strong>on seit längerem. In den Siebzigerjahren verabs<strong>ch</strong>iedete<br />

die Generalversammlung der UNO zwei Deklarationen202 zu den Re<strong>ch</strong>ten Behinderter.<br />

Ein Jahr na<strong>ch</strong> dem internationalen Jahr der Behinderten (1981) nahm sie das<br />

«Weltaktionsprogramm für behinderte Personen» 203 (Programme Mondial d’Action<br />

(PMA) concernant les personnes handicapées) an.<br />

Um den Staaten und Organisationen einen zeitli<strong>ch</strong>en Rahmen zur Umsetzung des<br />

Weltaktionsprogramms zu geben, proklamierte die Generalversammlung die Jahre<br />

1983–1992 zur «Dekade der Vereinten Nationen für die Behinderten» 204. Eines der<br />

wesentli<strong>ch</strong>sten Ergebnisse der Dekade war die Verabs<strong>ch</strong>iedung der «Grundsätze für<br />

die Glei<strong>ch</strong>stellung Behinderter» 205 (Règles Standards sur l’Egalisation des Opportunités<br />

pour les Personnes Handicapées) dur<strong>ch</strong> die Generalversammlung im Jahre<br />

1993. Diese Grundsätze sind zwar re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> unverbindli<strong>ch</strong>, do<strong>ch</strong> verpfli<strong>ch</strong>ten sie die<br />

Regierungen zumindest politis<strong>ch</strong> und moralis<strong>ch</strong>, Massnahmen zur Glei<strong>ch</strong>stellung<br />

Behinderter zu treffen.<br />

7.1.2 Konventionen<br />

7.1.2.1 Allgemeine Diskriminierungsverbote der UNO-Pakte<br />

Es gibt heute kein re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> verbindli<strong>ch</strong>es internationales Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>tsinstrument,<br />

wel<strong>ch</strong>es si<strong>ch</strong> auss<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> den Re<strong>ch</strong>ten der Behinderten widmet. Vor allem<br />

200 BBl 2000 2299; vgl. au<strong>ch</strong> 2315<br />

201 BBl 2000 2327<br />

202 «Declaration on the Rights of Disables Persons» vom 9. Dezember 1975 (Resolution 3447<br />

(XXX)) und «Declaration on the Rights of Mentally Retarded Persons» vom<br />

20. Dezember 1971 (Resolution 2856 (XXVI).<br />

203 Von der Generalversammlung verabs<strong>ch</strong>iedet am 3. Dezember 1982, Resolution A/37/52.<br />

204 Resolution 37/53<br />

205 Annex zur Resolution A/48/96 der Generalversammlung vom 20. Dezember 1993.<br />

1809


neuere Übereinkommen nehmen aber punktuell Bezug auf die Behinderten. Die älteren<br />

UNO-Pakte aus dem Jahre 1966 enthalten no<strong>ch</strong> keine Bestimmung, die si<strong>ch</strong> ausdrückli<strong>ch</strong><br />

mit den Re<strong>ch</strong>ten Behinderter auseinander setzt. Die Artikel, die das allgemeine<br />

Diskriminierungsverbot beinhalten 206, nennen die Behinderung ni<strong>ch</strong>t ausdrückli<strong>ch</strong><br />

unter den Diskriminierungsmerkmalen, do<strong>ch</strong> können si<strong>ch</strong> selbstverständli<strong>ch</strong><br />

au<strong>ch</strong> die Behinderten darauf berufen.<br />

7.1.2.2 Internationaler Pakt über wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e, soziale<br />

und kulturelle Re<strong>ch</strong>te (Pakt I)<br />

Der Auss<strong>ch</strong>uss für wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e, soziale und kulturelle Re<strong>ch</strong>te verabs<strong>ch</strong>iedete<br />

1994 zum Internationalen Pakt über wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e, soziale und kulturelle Re<strong>ch</strong>te207 eine Allgemeine Bemerkung, die si<strong>ch</strong> mit den Re<strong>ch</strong>ten Behinderter befasst208. Mehrere<br />

der dort formulierten Forderungen werden dur<strong>ch</strong> den Entwurf erfüllt.<br />

Im Zusammenhang mit Artikel 6, der das Re<strong>ch</strong>t jedes Einzelnen garantiert, seinen<br />

Lebensunterhalt dur<strong>ch</strong> frei gewählte oder angenommene Arbeit verdienen zu können,<br />

wird in Anlehnung an die oben erwähnten Grundsätze gefordert, dass den Behinderten<br />

die glei<strong>ch</strong>en Mögli<strong>ch</strong>keiten einer produktiven und entlöhnten Arbeit auf<br />

dem Arbeitsmarkt offen stehen müssen. Damit dies zutreffe, müssten zuerst die Hindernisse<br />

beseitigt werden, wel<strong>ch</strong>e den Zugang zu einer Arbeitsstelle verhinderten<br />

(Ziff. 22). Dabei wird ni<strong>ch</strong>t bloss die Rollstuhlgängigkeit des Arbeitsplatzes genannt,<br />

sondern die Regierungen werden au<strong>ch</strong> aufgefordert, darauf zu a<strong>ch</strong>ten, dass<br />

die Transportmittel den an einer Behinderung leidenden Personen zugängli<strong>ch</strong> sind.<br />

Denn der Zugang zu geeigneten und allenfalls den individuellen Bedürfnissen speziell<br />

angepassten Transportmitteln sei für an einer Behinderung leidende Personen<br />

zur Verwirkli<strong>ch</strong>ung praktis<strong>ch</strong> aller im Pakt anerkannten Re<strong>ch</strong>te unerlässli<strong>ch</strong><br />

(Ziff. 23).<br />

Bezügli<strong>ch</strong> Artikel 7, der das Re<strong>ch</strong>t auf gere<strong>ch</strong>te und günstige Arbeitsbedingungen<br />

festhält, stellt der Auss<strong>ch</strong>uss fest, dass die an einer Behinderung leidenden Arbeitnehmerinnen<br />

und -nehmer in keiner Weise diskriminiert werden dürften, weder bezügli<strong>ch</strong><br />

des Lohnes no<strong>ch</strong> bezügli<strong>ch</strong> der anderen Arbeitsbedingungen, wenn sie glei<strong>ch</strong>e<br />

Arbeit ausführen wie die übrigen Arbeitnehmer (Ziff. 25).<br />

Ein anderes wi<strong>ch</strong>tiges Re<strong>ch</strong>t im Zusammenhang mit dem vorliegenden Entwurf ist<br />

das Re<strong>ch</strong>t auf Teilnahme am kulturellen Leben und auf Teilhabe am wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />

Forts<strong>ch</strong>ritt (Art. 15). S<strong>ch</strong>on die Grundsätze sahen vor, dass «die Staaten dafür<br />

besorgt sein sollten, dass die Behinderten die Mögli<strong>ch</strong>keit haben, ihr s<strong>ch</strong>öpferis<strong>ch</strong>es,<br />

206 Art. 2 des Internationalen Paktes über wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e, soziale und kulturelle Re<strong>ch</strong>te<br />

(Pakt I) sowie Art. 2 und 26 des Internationalen Paktes über bürgerli<strong>ch</strong>e und politis<strong>ch</strong>e<br />

Re<strong>ch</strong>te (Pakt II).<br />

207 Pakt I, SR 0.103.1<br />

208 Allgemeine Bemerkung 5 [11] (1994). Der Auss<strong>ch</strong>uss nennt darin die Verpfli<strong>ch</strong>tung der<br />

Vertragsstaaten, «konkrete Massnahmen zur Verminderung struktureller Na<strong>ch</strong>teile zu<br />

treffen und den an einer Behinderung leidenden Personen eine geeignete bevorzugte<br />

Behandlung zukommen zu lassen, um zu errei<strong>ch</strong>en, dass diesen Personen die volle,<br />

uneinges<strong>ch</strong>ränkte Teilnahme und die Glei<strong>ch</strong>behandlung im Rahmen der Gesells<strong>ch</strong>aft<br />

gewährleistet wird» (Ziff. 9). Dabei strei<strong>ch</strong>t er hervor, dass ni<strong>ch</strong>t nur der öffentli<strong>ch</strong>e<br />

Sektor, sondern au<strong>ch</strong> der private Sektor in geeignetem Umfang einer Regelung unterstellt<br />

ist, wel<strong>ch</strong>e die Glei<strong>ch</strong>behandlung der an einer Behinderung leidenden Personen<br />

garantieren soll (Ziff. 11).<br />

1810


künstleris<strong>ch</strong>es und intellektuelles Potenzial zur Geltung zu bringen». Die Staaten<br />

müssen ferner darauf a<strong>ch</strong>ten, dass die Behinderten Zugang zu den kulturellen Aktivitäten<br />

haben sowie zu den Freizeit-, Sport- und Tourismusanlagen (Ziff. 36). Zudem<br />

muss die Bevölkerung allgemein darauf aufmerksam gema<strong>ch</strong>t werden, dass die<br />

an einer Behinderung leidenden Personen dieselben Re<strong>ch</strong>te wie alle anderen haben,<br />

Restaurants, Hotels, Freizeitanlagen und kulturelle Stätten aufzusu<strong>ch</strong>en (Ziff. 39).<br />

7.1.2.3 Übereinkommen über die Re<strong>ch</strong>te des Kindes<br />

Das Übereinkommen vom 20. November 1989 über die Re<strong>ch</strong>te des Kindes 209 nennt<br />

in Artikel 2 ausdrückli<strong>ch</strong> die Behinderung als diskriminierendes Motiv. Zusätzli<strong>ch</strong><br />

bestimmt Artikel 23, dass «ein geistig oder körperli<strong>ch</strong> behindertes Kind ein erfülltes<br />

und mens<strong>ch</strong>enwürdiges Leben führen soll unter Bedingungen, wel<strong>ch</strong>e die Würde<br />

des Kindes wahren, seine Selbstständigkeit fördern und seine aktive Teilnahme am<br />

Leben der Gemeins<strong>ch</strong>aft erlei<strong>ch</strong>tern».<br />

7.1.3 Internationale Arbeitsorganisation<br />

Die Internationale Arbeitsorganisation hat bezügli<strong>ch</strong> der Re<strong>ch</strong>te der Behinderten im<br />

Berei<strong>ch</strong> der Arbeit insbesondere das Übereinkommen Nr. 159 und die Empfehlung<br />

Nr. 168 über die berufli<strong>ch</strong>e Rehabilitation und die Bes<strong>ch</strong>äftigung der Behinderten<br />

verabs<strong>ch</strong>iedet 210. Die S<strong>ch</strong>weiz hat das Übereinkommen am 20. Juni 1985 ratifiziert<br />

und es ist ein Jahr später für die S<strong>ch</strong>weiz in Kraft getreten 211. Dur<strong>ch</strong> den vorliegenden<br />

Gesetzesentwurf wird ein bea<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>er Beitrag zur Erfüllung des Ziels dieses<br />

Übereinkommens geleistet, nämli<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong>erzustellen, «dass geeignete Massnahmen<br />

der berufli<strong>ch</strong>en Rehabilitation allen Gruppen von Behinderten offen stehen, und Bes<strong>ch</strong>äftigungsmögli<strong>ch</strong>keiten<br />

für Behinderte auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gefördert<br />

werden» (Art. 3).<br />

7.2 Europarat<br />

7.2.1 Empfehlung<br />

Au<strong>ch</strong> der Europarat hat si<strong>ch</strong> mit den Re<strong>ch</strong>ten der Behinderten auseinander gesetzt.<br />

So verabs<strong>ch</strong>iedete das Ministerkomitee 1992 die Empfehlung Nr. R (92) 6 bezügli<strong>ch</strong><br />

kohärenten Politik für Behinderte. Darin werden die Regierungen u.a. aufgefordert,<br />

die Behinderten soweit als mögli<strong>ch</strong> in die Berufswelt sowie in das soziale und kultu-<br />

209 SR 0.107<br />

210 Vgl. au<strong>ch</strong> Empfehlung Nr. 99 (1955) über die berufli<strong>ch</strong>e Rehabilitation und die<br />

Bes<strong>ch</strong>äftigung der Invaliden.<br />

211 SR 0.822.725.9, Bots<strong>ch</strong>aft in BBl 1984 II 419.<br />

1811


elle Leben zu integrieren, was au<strong>ch</strong> den Zugang zu Gebäuden und Transportmitteln<br />

beinhaltet 212.<br />

7.2.2 Europäis<strong>ch</strong>e Konvention zum S<strong>ch</strong>utze<br />

der Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te und Grundfreiheiten und<br />

Zusatzprotokoll Nr. 12<br />

Der Europäis<strong>ch</strong>e Geri<strong>ch</strong>tshof für Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te hatte im Fall Botta gegen Italien213<br />

die Frage zu beurteilen, ob Italien verpfli<strong>ch</strong>tet sei, dafür zu sorgen, dass eine<br />

private Badeanstalt Behinderten den Zugang zu Strand und Meer ermögli<strong>ch</strong>t und die<br />

sanitären Anlagen für Behinderte zugängli<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>t. Der Geri<strong>ch</strong>tshof verneinte eine<br />

sol<strong>ch</strong>e Verpfli<strong>ch</strong>tung aus Artikel 8 der Europäis<strong>ch</strong>en Konvention zum S<strong>ch</strong>utze der<br />

Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te und Grundfreiheiten (EMRK) 214, dem Anspru<strong>ch</strong> auf A<strong>ch</strong>tung des<br />

Privat- und Familienlebens215. Im Fall X. und Y. gegen die Niederlanden216 hingegen<br />

nahm er eine aus Artikel 8 EMRK fliessende sog. positive Verpfli<strong>ch</strong>tung des<br />

Staates in der Form an, dass der Gesetzgeber die Vergewaltigung geistig Behinderter<br />

unter Strafe stellen muss.<br />

Artikel 14 EMRK verbietet die Diskriminierung bei der Ausübung der dur<strong>ch</strong> die<br />

EMRK und ihren Zusatzprotokollen garantierten Re<strong>ch</strong>ten. Die dort genannten Diskriminierungsmerkmale<br />

sind nur Beispiele. Eine Differenzierung auf Grund einer<br />

Behinderung, die ni<strong>ch</strong>t sa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> gere<strong>ch</strong>tfertigt ist, würde unter den generalklauselartigen<br />

Begriff «sonstiger Status» fallen, der si<strong>ch</strong> auf alle individuellen Anknüpfungsmerkmale<br />

bezieht. Diese Bestimmung hat keinen selbstständigen Charakter und<br />

kann daher nur im Zusammenhang mit anderen in der Konvention und in den Zusatzprotokollen<br />

garantierten Re<strong>ch</strong>ten angerufen werden. Bis heute hat si<strong>ch</strong> der Geri<strong>ch</strong>tshof<br />

unter dem Gesi<strong>ch</strong>tspunkt von Artikel 14 materiell no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mit Fällen<br />

von Diskriminierungen Behinderter auseinander gesetzt217. Dur<strong>ch</strong> das Zusatzprotokoll Nr. 12 zur EMRK soll nun aber der Anwendungsberei<strong>ch</strong><br />

von Artikel 14 EMRK verallgemeinert werden. Es wurde am 27. Juni 2000 dur<strong>ch</strong><br />

das Ministerkomitee verabs<strong>ch</strong>iedet und liegt seit dem 4. November 2000 zur Unters<strong>ch</strong>rift<br />

bereit. Es wird na<strong>ch</strong> einer Ratifikation dur<strong>ch</strong> 10 Mitgliedstaaten in Kraft<br />

treten. Im heutigen Zeitpunkt ist no<strong>ch</strong> offen, wie si<strong>ch</strong> der Geri<strong>ch</strong>tshof in Anwendung<br />

des 12. Zusatzprotokolls zu den Re<strong>ch</strong>ten behinderter Personen äussern wird. Im<br />

Hinblick auf eine künftige Unterzei<strong>ch</strong>nung und Ratifikation des Protokolls wird der<br />

212 Die Diskriminierung Behinderter ist au<strong>ch</strong> zur Zeit wieder Gegenstand von Arbeiten des<br />

Europarats. Der Lenkungsauss<strong>ch</strong>uss für die Wiedereingewöhnung und Integration<br />

behinderter Mens<strong>ch</strong>en (CD-P-RR) und eine seiner Arbeitsgruppen befassen si<strong>ch</strong> mit<br />

einer Zusammenstellung und verglei<strong>ch</strong>enden Analyse der eins<strong>ch</strong>lägigen Gesetzgebungen<br />

in den Mitgliedstaaten (die Arbeitsgruppe hat im Oktober 2000 einen Beri<strong>ch</strong>t dazu<br />

verabs<strong>ch</strong>iedet).<br />

213 Urteil vom 24. Februar 1998, Recueil des arrêts et décisions 1998, 412 ff.<br />

214 SR 0.101<br />

215 «Or en l'espèce, le droit revendiqué par M. Botta, à savoir celui de pouvoir accéder à la<br />

plage et à la mer loin de sa demeure habituelle pendant ses vacances, concerne des<br />

relations interpersonnelles d'un contenu si ample et indéterminé qu'aucun lien direct entre<br />

les mesures exigées de l'Etat pour remédier aux omissions des établissements de bains<br />

privés et la vie privée de l'intéressé, n'est envisageable» (Ziff. 35 des Urteils).<br />

216 Urteil vom 26. März 1985, Serie A Nr. 91.<br />

217 Au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t in den oben angeführten Urteilen, vgl. Urteil Botta c/Italien, Ziff. 39, sowie<br />

Urteil X. und Y. c/Niederlande, Ziff. 32.<br />

1812


Bundesrat eine genaue Analyse der Gesetzgebung vornehmen und gegebenenfalls<br />

bei den Kantonen eine Vernehmlassung dur<strong>ch</strong>führen. Si<strong>ch</strong>er ist aber, dass<br />

der vorliegende Gesetzesentwurf den heutigen Anforderungen der EMRK na<strong>ch</strong>kommt.<br />

7.2.3 Europäis<strong>ch</strong>e Sozial<strong>ch</strong>arta<br />

Die von der S<strong>ch</strong>weiz am 6. Mai 1976 unterzei<strong>ch</strong>nete, aber no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t ratifizierte Europäis<strong>ch</strong>e<br />

Sozial<strong>ch</strong>arta erwähnt die Behinderten ausdrückli<strong>ch</strong> im Zusammenhang mit<br />

dem Re<strong>ch</strong>t auf berufli<strong>ch</strong>e Ausbildung (Art. 10). Artikel 15 zählt die Massnahmen<br />

auf, die zu treffen sind, um das Re<strong>ch</strong>t der körperli<strong>ch</strong>, geistig oder seelis<strong>ch</strong> Behinderten<br />

auf berufli<strong>ch</strong>e Ausbildung sowie auf berufli<strong>ch</strong>e und soziale Eingliederung<br />

oder Wiedereingliederung zu gewährleisten.<br />

7.3 Europäis<strong>ch</strong>e Gemeins<strong>ch</strong>aft<br />

Das vom Bundesrat vorges<strong>ch</strong>lagene Behindertengesetz befindet si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> in weitgehender<br />

Übereinstimmung mit dem Re<strong>ch</strong>t der Europäis<strong>ch</strong>en Gemeins<strong>ch</strong>aft (EG), wel<strong>ch</strong>es<br />

seit Inkrafttreten des Unionsvertrags von Amsterdam im Jahre 1999 über eine<br />

ausdrückli<strong>ch</strong>e Kompetenzbefugnis im Behindertenberei<strong>ch</strong> verfügt218 und dabei von<br />

einem neuen mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>tsbezogenen Behindertenkonzept ausgeht219. Im Unters<strong>ch</strong>ied<br />

zum früher geltenden Fürsorgeprinzip sollen na<strong>ch</strong> diesem neuen Ansatz, wel<strong>ch</strong>er<br />

sowohl auf Prävention als au<strong>ch</strong> auf die Beseitigung von konkreten Hindernissen<br />

abstellt, Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen dieselben Grundre<strong>ch</strong>te wie andere Bürgerinnen<br />

und Bürger sowie Chancenglei<strong>ch</strong>heit hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> ihrer Teilhabe am Gemeins<strong>ch</strong>aftsleben<br />

haben.<br />

Gemäss der neuen Ni<strong>ch</strong>t-Diskriminierungsklausel von Art. 13 EG-Vertrag kann der<br />

Rat auf Vors<strong>ch</strong>lag der Kommission und na<strong>ch</strong> Anhörung des Europäis<strong>ch</strong>en Parlaments<br />

einstimmig geeignete Vorkehren treffen, um Diskriminierungen unter anderem<br />

aus Gründen einer Behinderung zu bekämpfen. Gemäss der zum Amsterdamer<br />

Vertrag abgegebenen Erklärung Nr. 22 zu Personen mit einer Behinderung soll zudem<br />

bei der Anglei<strong>ch</strong>ung von Re<strong>ch</strong>tsvors<strong>ch</strong>riften zur Verwirkli<strong>ch</strong>ung des Binnenmarkts<br />

den Bedürfnissen von Personen mit einer Behinderung Re<strong>ch</strong>nung getragen<br />

werden.<br />

218 Die zahlrei<strong>ch</strong>en früheren Ents<strong>ch</strong>liessungen, Bes<strong>ch</strong>lüsse, Ents<strong>ch</strong>eidungen, Beri<strong>ch</strong>te,<br />

S<strong>ch</strong>lussfolgerungen und Mitteilungen der Gemeins<strong>ch</strong>aftsorgane zur Beseitigung von<br />

Diskriminierungen und zur besseren Integration und Förderung von Behinderten waren<br />

ni<strong>ch</strong>t re<strong>ch</strong>tsverbindli<strong>ch</strong>. Vgl. Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäis<strong>ch</strong>e<br />

Parlament, den Wirts<strong>ch</strong>afts- und Sozialauss<strong>ch</strong>uss und den Auss<strong>ch</strong>uss der Regionen über<br />

bestimmte Massnahmen der Gemeins<strong>ch</strong>aft zur Bekämpfung von Diskriminierungen,<br />

KOM(1999) 564 endg. vom 25.11.1999, Anhang II.<br />

219 Vgl. die Ents<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>liessung des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der<br />

Regierungen der Mitgliedstaaten vom 20. Dezember 1996 zur Chancenglei<strong>ch</strong>heit für<br />

Behinderte, ABl 1997 C 12, S. 1. Gemäss diesem neuen Konzept sollen die<br />

vers<strong>ch</strong>iedenen Barrieren, die die Chancenglei<strong>ch</strong>heit behinderter Mens<strong>ch</strong>en und deren<br />

vollständige Teilhabe an allen Aspekten des Lebens verhindern, ermittelt und beseitigt<br />

werden.<br />

1813


Artikel 13 EG-Vertrag gibt damit einzelnen Behinderten keine direkten Ansprü<strong>ch</strong>e<br />

und Re<strong>ch</strong>te, auf die sie si<strong>ch</strong> vor Erlass entspre<strong>ch</strong>ender Bes<strong>ch</strong>lüsse vor nationalen<br />

Geri<strong>ch</strong>tsinstanzen berufen könnten. Demgegenüber gewährleistet nun der Entwurf<br />

für eine Europäis<strong>ch</strong>e Grundre<strong>ch</strong>ts<strong>ch</strong>arta in Artikel 21 ein allgemeines Diskriminierungsverbot<br />

unter anderem au<strong>ch</strong> mit Bezug auf Behinderungen, und Artikel 26 garantiert<br />

Behinderten ihre soziale und berufli<strong>ch</strong>e Integration sowie ihre Teilhabe am<br />

Gemeins<strong>ch</strong>aftsleben220. Bereits die Gemeins<strong>ch</strong>afts<strong>ch</strong>arta der sozialen Grundre<strong>ch</strong>te<br />

der Arbeitnehmer vom 9. Dezember 1989 sieht in Nummer 26 vor, dass alle Behinderten<br />

unabhängig von der Ursa<strong>ch</strong>e und der Art ihrer Behinderung konkrete ergänzende<br />

Massnahmen, die ihre berufli<strong>ch</strong>e und soziale Eingliederung fördern, in Anspru<strong>ch</strong><br />

nehmen können müssen, wobei si<strong>ch</strong> diese Massnahmen zur Verbesserung der<br />

Lebensbedingungen je na<strong>ch</strong> den Fähigkeiten der Betreffenden auf berufli<strong>ch</strong>e Bildung,<br />

Ergonomie, Zugängli<strong>ch</strong>keit, Mobilität, Verkehrsmittel und Wohnung erstrecken<br />

müssen. 221 Auslegungshilfen für die Ni<strong>ch</strong>t-Diskriminierung von Behinderten<br />

ergeben si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> aus der Sozialpolitik (Art. 136–145 EG-Vertrag) und<br />

dem Gesundheitss<strong>ch</strong>utz (Art. 152 EG-Vertrag).<br />

Gestützt auf Artikel 13 EG-Vertrag hat der Rat mit Datum vom 27. November 2000<br />

die Ri<strong>ch</strong>tlinie 2000/78/EG zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirkli<strong>ch</strong>ung<br />

der Glei<strong>ch</strong>behandlung in Bes<strong>ch</strong>äftigung und Beruf erlassen222. Diese<br />

neue Ri<strong>ch</strong>tlinie, wel<strong>ch</strong>e zusammen mit der Ri<strong>ch</strong>tlinie zur Bekämpfung von Diskriminierungen<br />

aus Gründen der Rasse oder der ethnis<strong>ch</strong>en Herkunft223 und einem Aktionsprogramm<br />

zur unionsweiten Bekämpfung von Diskriminierungen224 Teil eines<br />

entspre<strong>ch</strong>enden Massnahmepakts ist, gewährleistet na<strong>ch</strong> ihrer Umsetzung in nationales<br />

Re<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong> drei bzw. se<strong>ch</strong>s Jahren Personen in der EU ein einklagbares Re<strong>ch</strong>t<br />

auf Ni<strong>ch</strong>tdiskriminierung auf dem Arbeitsmarkt unabhängig von ihrer Religion oder<br />

Weltans<strong>ch</strong>auung, einer Behinderung, ihres Alters oder ihrer sexuellen Ausri<strong>ch</strong>tung225.<br />

Der Geltungsberei<strong>ch</strong> der Ri<strong>ch</strong>tlinie umfasst den Zugang zu einer Bes<strong>ch</strong>äftigung<br />

oder einem Beruf (Kriterien der Selektion und der Einstellung), die Beförderung,<br />

die Berufsausbildung und Weiterbildung, die Anstellungs- und Arbeitsbedingungen<br />

(Kündigung, Entlöhnung) sowie die Zugehörigkeit zu Arbeitnehmer- oder<br />

Arbeitgeberorganisationen, und zwar sowohl in öffentli<strong>ch</strong>en als au<strong>ch</strong> in privaten Berei<strong>ch</strong>en.<br />

Mit Bezug auf den Re<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>utz (Art. 9) wird Personen, die si<strong>ch</strong> in ihren<br />

Re<strong>ch</strong>ten verletzt fühlen, die Mögli<strong>ch</strong>keit gegeben, ihren Anspru<strong>ch</strong> auf Glei<strong>ch</strong>behandlung<br />

auf dem Geri<strong>ch</strong>ts- und/oder Verwaltungsweg sowie in S<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>tungsverfahren<br />

geltend zu ma<strong>ch</strong>en, selbst wenn das Bes<strong>ch</strong>äftigungsverhältnis beendet ist. Einzelstaatli<strong>ch</strong>e<br />

Vors<strong>ch</strong>riften über eine zeitli<strong>ch</strong>e Begrenzung des Re<strong>ch</strong>ts auf Klageerhebung<br />

werden jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t berührt226. Der Anspru<strong>ch</strong> auf Re<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>utz wird dur<strong>ch</strong> die<br />

220 «L'Union reconnaît et respecte le droit des personnes handicapées à bénéficier de mesures<br />

visant à assurer leur autonomie, leur intégration sociale et professionnelle et leur<br />

participation à la vie de la communauté.»<br />

221 Vgl. ABl 1997 C 12, S. 1<br />

222 ABl. 2000 L 303, S. 16<br />

223 Ri<strong>ch</strong>tlinie 2000/43/EG des Rates vom 29. Juni 2000 zur Anwendung des Glei<strong>ch</strong>behandlungsgrundsatzes<br />

ohne Unters<strong>ch</strong>ied der Rasse oder der ethnis<strong>ch</strong>en Herkunft,<br />

ABl. 2000 L 180, S. 22<br />

224 ABl. 2000 L 303, S. 23<br />

225 Ausgenommen bleibt ledigli<strong>ch</strong> die Diskriminierung auf Grund des Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ts, die<br />

bereits dur<strong>ch</strong> weitrei<strong>ch</strong>ende Re<strong>ch</strong>tsvors<strong>ch</strong>riften der Gemeins<strong>ch</strong>aft aus den Siebzigerjahren<br />

abgedeckt ist und eine spezifis<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>tsgrundlage für Massnahmen im Berei<strong>ch</strong> der<br />

Bes<strong>ch</strong>äftigung hat (Art. 141 EG-Vertrag).<br />

226 Vgl. das Urteil des EuGH in der Re<strong>ch</strong>tssa<strong>ch</strong>e C-185/97, Coote gegen Granada<br />

Hospitality Ltd., Slg. 1998, I–5199.<br />

1814


Mögli<strong>ch</strong>keit verstärkt, dass interessierte Organisationen die diesbezügli<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>te<br />

im Namen der bes<strong>ch</strong>werten Person ausüben können (Verbandsbes<strong>ch</strong>werdere<strong>ch</strong>t).<br />

Mit Bezug auf die Beweislast muss der Beklagte bei glaubhaft gema<strong>ch</strong>tem Vorliegen<br />

einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung seinerseits beweisen, dass<br />

keine Verletzung des Glei<strong>ch</strong>behandlungsgrundsatzes vorgelegen hat (Art. 10).<br />

Im Vordergrund der Bemühungen der Gemeins<strong>ch</strong>aftsorgane um eine Beseitigung<br />

von Diskriminierungen von Behinderten standen neben den allgemeinen Integrations-<br />

und Förderungsmassnahmen bis anhin die S<strong>ch</strong>affung glei<strong>ch</strong>er Bes<strong>ch</strong>äftigungs<strong>ch</strong>ancen<br />

und die Eingliederung in den Arbeitsmarkt227. Demgegenüber finden si<strong>ch</strong><br />

trotz zahlrei<strong>ch</strong>er parlamentaris<strong>ch</strong>er Anfragen nur wenige Massnahmen und Re<strong>ch</strong>tsgrundlagen<br />

zur Beseitigung der Diskriminierung bzw. zur Förderung der Mobilität<br />

von Behinderten im öffentli<strong>ch</strong>en und privaten Verkehr228. 8 Re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Grundlagen<br />

8.1 Verfassungsmässigkeit<br />

8.1.1 Artikel 8 Absatz 4<br />

Der Gesetzesentwurf setzt Artikel 8 BV um, d.h. den Auftrag an den Gesetzgeber in<br />

Absatz 4.<br />

Absatz 4 ri<strong>ch</strong>tet si<strong>ch</strong> sowohl an den kantonalen Gesetzgeber als au<strong>ch</strong> an den Bundesgesetzgeber;<br />

jeder ist beauftragt, in seinem Zuständigkeitsberei<strong>ch</strong> tätig zu werden.<br />

Eine bundesre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Garantie eines Grundre<strong>ch</strong>tes allein s<strong>ch</strong>afft hingegen na<strong>ch</strong><br />

herrs<strong>ch</strong>ender Praxis229 und Lehre230 keine neue Bundeskompetenz. Mit andern<br />

Worten: Soweit die Garantie eines Grundre<strong>ch</strong>ts als Auftrag an den Gesetzgeber zu<br />

betra<strong>ch</strong>ten ist – wie dies Artikel 35 Absatz 1 BV generell für alle Grundre<strong>ch</strong>te be-<br />

227 Vgl. die Ents<strong>ch</strong>liessung des Rates vom 17. Juni 1999 betreffend glei<strong>ch</strong>e Bes<strong>ch</strong>äftigungs<strong>ch</strong>ancen<br />

für behinderte Mens<strong>ch</strong>en (ABl 1999 C 186, S. 3); Ents<strong>ch</strong>liessung des Rates vom<br />

22. Februar 1999 zu den bes<strong>ch</strong>äftigungspolitis<strong>ch</strong>en Leitlinien für 1999 (ABl 1999 C 69,<br />

S. 2).<br />

228 Vgl. z.B. Empfehlung des Rates vom 4. Juni 1998 betreffend einen Parkausweis für<br />

Behinderte (ABl 1998 L 167, S. 25). Die Kommission arbeitet derzeit an der endgültigen<br />

Fassung eines Vors<strong>ch</strong>lags für eine Ri<strong>ch</strong>tlinie über Bauvors<strong>ch</strong>riften für Kraftomnibusse,<br />

wel<strong>ch</strong>e Vors<strong>ch</strong>riften über die bessere Zugängli<strong>ch</strong>keit für Personen mit einges<strong>ch</strong>ränkter<br />

Mobilität enthalten soll (vgl. ABl 1972 C 72, S. 22).<br />

229 Vgl. beispielsweise die bundesrätli<strong>ch</strong>e Bots<strong>ch</strong>aft zum BG über die Glei<strong>ch</strong>stellung von<br />

Frau und Mann (Glei<strong>ch</strong>stellungsgesetz) vom 24. Februar 1993, BBl 1993 I 1248, 1323<br />

(wo die Kompetenz des Bundesgesetzgebers au<strong>ch</strong> auf Art. 34 ter und 64 der alten BV<br />

gestützt wurde). Glei<strong>ch</strong>ermassen wurde festgehalten, dass ein Bundesgesetz über die<br />

Presseförderung si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t auf die Pressefreiheit stützen könne, sondern dass – um ihm<br />

eine Grundlage zu geben – eine neue Bestimmung einzufügen sei (was bis heute ni<strong>ch</strong>t der<br />

Fall war); vgl. D. Barrelet, Droit de la communication, 1998, S. 15–16, Rz. 46–48.<br />

230 Vgl. F. Fleiner / Z. Giacometti, S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>es Bundesstaatsre<strong>ch</strong>t, 1949, S. 90–91,<br />

242–243 (es stimmt, dass Z. Giacometti vom heute bestrittenen Gedanken ausging, dass<br />

ein Grundre<strong>ch</strong>t keiner Ausführungsgesetzgebung bedürfe, weil es direkt anwendbar sei);<br />

Y. Hangartner, Grundzüge des s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Staatsre<strong>ch</strong>ts, II, 1982, S. 55; U. Häfelin/<br />

W. Haller, S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>es Bundesstaatsre<strong>ch</strong>t, 4. Aufl., 1998, S. 99, Rz. 282. Eine<br />

differenziertere, weniger ablehnende Meinung findet man bei P. Saladin in Kommentar<br />

BV, zu Art. 3, Rz. 182; J. F. Aubert, S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>es Bundesstaatsre<strong>ch</strong>t, I, 1991,<br />

Rz. 699, S. 500–501; J.P. Müller, Elemente einer s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Grundre<strong>ch</strong>tstheorie,<br />

1982, S. 127.<br />

1815


stimmt231 –, ändert sie die Kompetenzverteilung zwis<strong>ch</strong>en Bund und Kantonen ni<strong>ch</strong>t<br />

und der Bundesgesetzgeber wird nur in jenen Berei<strong>ch</strong>en tätig, wel<strong>ch</strong>e die Bundesverfassung<br />

in seine Zuständigkeit verweist; es bleibt den kantonalen Gesetzgebern<br />

überlassen, in den übrigen Berei<strong>ch</strong>en tätig zu werden232. Diese Konzeption, die si<strong>ch</strong> aus der Sorge heraus erklärt, die Aufgabenteilung zwis<strong>ch</strong>en<br />

Bund und Kantonen ni<strong>ch</strong>t zu unterlaufen, bezieht si<strong>ch</strong> vor allem auf die traditionellen<br />

Grundre<strong>ch</strong>te (z.B. Pressefreiheit, Glaubensfreiheit, Versammlungsfreiheit,<br />

die ni<strong>ch</strong>t mit einem spezifis<strong>ch</strong>en Gesetzgebungsauftrag versehen sind. Für sie gilt<br />

nur der allgemeine Gesetzgebungsauftrag von Artikel 35 Absatz 1 BV. Ist das<br />

Grundre<strong>ch</strong>t hingegen von einem spezifis<strong>ch</strong>en, auf auslegungsbedürftigen Begriffen<br />

beruhenden Gesetzgebungsauftrag begleitet, die einer Interpretation bedürfen, kann<br />

es problematis<strong>ch</strong> sein, die Auslegung sol<strong>ch</strong>er Begriffe im konkreten Anwendungsfall<br />

den Organen der Re<strong>ch</strong>tsanwendung zu überlassen (kantonale Behörden, Geri<strong>ch</strong>te,<br />

Bundesrat im Rahmen seiner Aufsi<strong>ch</strong>tsbefugnisse). Es entspri<strong>ch</strong>t dem demokratis<strong>ch</strong>en<br />

Grundsatz, der Einheitli<strong>ch</strong>keit des Bundesre<strong>ch</strong>ts und seiner Vorhersehbarkeit<br />

besser, den Bundesgesetzgeber damit zu beauftragen.<br />

In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass das Parlament über die Frage der<br />

Konkretisierung eines Grundre<strong>ch</strong>ts in Verbindung mit einem Gesetzgebungsauftrag<br />

bereits im letzten Jahrhundert debattiert hat. Der Anlass dazu war der Begriff des<br />

«genügenden» Grunds<strong>ch</strong>ulunterri<strong>ch</strong>ts, wie er in Artikel 27 Absatz 2 aBV (Art. 19<br />

und 62 Abs. 2 BV: «ausrei<strong>ch</strong>end») verwendet wurde. Wenn 1874 die ausdrückli<strong>ch</strong>e<br />

Absi<strong>ch</strong>t einer Bundesregelung fallen gelassen wurde, dann aus dem Grunde, weil<br />

das Parlament aus politis<strong>ch</strong>en Gründen einen präventiven und zentralisierenden<br />

Eingriff befür<strong>ch</strong>tet und eine dur<strong>ch</strong> Ri<strong>ch</strong>ter und Aufsi<strong>ch</strong>tsbehörden ausgeübte Kontrolle<br />

einem derartigen Eingriff vorzog233. Die Frage wurde jedo<strong>ch</strong> ein paar Jahre<br />

später wieder aufgenommen. Ein Beri<strong>ch</strong>t des Eidgenössis<strong>ch</strong>en Departements des Innern<br />

von 1878 era<strong>ch</strong>tete eine wenigstens fakultative Gesetzgebungskompetenz des<br />

Bundes als gegeben. Der Bundesrat s<strong>ch</strong>loss si<strong>ch</strong> dieser Auffassung in einer Bots<strong>ch</strong>aft<br />

vom 3. Juni 1880 an, und die Bundesversammlung übernahm sie in einem<br />

Bes<strong>ch</strong>luss von allgemeiner Tragweite vom 14. Juni 1882234. Wohl wurde der Bes<strong>ch</strong>luss<br />

dann in einer Volksabstimmung vom 26. November 1882 verworfen, do<strong>ch</strong><br />

dieses negative Votum, wel<strong>ch</strong>es wiederum dur<strong>ch</strong> eine politis<strong>ch</strong>e Reaktion erklärbar<br />

ist (Befür<strong>ch</strong>tung dessen, was die Gegner den «S<strong>ch</strong>ulvogt» nannten), berührte die<br />

Frage der Verfassungsmässigkeit einer Bundesregelung keineswegs. Umgekehrt sind<br />

231 BBl 1997 I 191<br />

232 BBl 1997 I 136 f.<br />

233 W. Burckhardt, Kommentar der s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Bundesverfassung, 3. Auflage, 1931, zu<br />

Art. 27, S. 203 f.<br />

234 L.R. von Salis, S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>es Bundesre<strong>ch</strong>t, 2. Auflage 1904, Bd. V, Nr. 2460,<br />

S. 558–561: Der Beri<strong>ch</strong>t der Kommissionsmehrheit des Nationalrates ist zu diesem Thema<br />

sehr klar (in Ermangelung des Gesetzes können die ihrer Natur na<strong>ch</strong> zufälligen Bes<strong>ch</strong>lüsse<br />

im Einzelfall hö<strong>ch</strong>stens gewisse Verfassungsverletzungen korrigieren; sie genügen<br />

ni<strong>ch</strong>t, um die dur<strong>ch</strong> diese Verfassung vorges<strong>ch</strong>riebenen Verpfli<strong>ch</strong>tungen generell zu<br />

definieren).<br />

1816


in der Doktrin die Meinungen geteilt, was die Verfassungsmässigkeit einer Bundesregelung,<br />

die den Begriff des Grunds<strong>ch</strong>ulunterri<strong>ch</strong>ts konkretisiert, angeht235. Im vorliegenden Fall denken wir in Anbetra<strong>ch</strong>t der Auslegungsprobleme bezügli<strong>ch</strong><br />

der unbestimmten Re<strong>ch</strong>tsbegriffe von Artikel 8 Absatz 4 BV (insbesondere was die<br />

Begriffe «Behinderte» und «Bena<strong>ch</strong>teiligungen» anbelangt), dass es re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> mögli<strong>ch</strong><br />

ist, dass der Bundesgesetzgeber sie selbst und vorgängig konkretisiert. Wenn er<br />

sein Handeln jedo<strong>ch</strong> auf die Konkretisierungsarbeit begrenzt, greift er ni<strong>ch</strong>t in den<br />

Zuständigkeitsberei<strong>ch</strong> der Kantone ein, wel<strong>ch</strong>e ihre ursprüngli<strong>ch</strong>e Zuständigkeit<br />

bewahren, selbst eine mit den Grundre<strong>ch</strong>ten im Einklang stehende Ordnung aufzustellen.<br />

Artikel 8 Absatz 4 BV gibt dem Gesetzgeber den Auftrag, zu Gunsten einer bestimmten<br />

Gruppe von Personen tätig zu werden und Massnahmen zu ergreifen, die<br />

geeignet sind, die Bena<strong>ch</strong>teiligungen auszuräumen, deren Opfer sie sind. Zu diesem<br />

Zweck sollen Bedingungen ges<strong>ch</strong>affen werden, die den behinderten Personen gestatten,<br />

ein Leben zu führen, das mit demjenigen ni<strong>ch</strong>tbehinderter Personen verglei<strong>ch</strong>bar<br />

ist; das kann die Dur<strong>ch</strong>führung positiver Massnahmen mit si<strong>ch</strong> bringen.<br />

Diese Massnahmen, die mit dem Ziel ergriffen werden, bestehende Na<strong>ch</strong>teile auszuglei<strong>ch</strong>en<br />

oder zu beseitigen, stellen keine Verletzung der re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Glei<strong>ch</strong>stellung<br />

dar, selbst wenn riskiert wird, dass damit indirekt Na<strong>ch</strong>teile für andere Mitglieder<br />

der Gesells<strong>ch</strong>aft verbunden sind. Anreizmassnahmen können somit über eine einfa<strong>ch</strong>e<br />

Beseitigung eines Na<strong>ch</strong>teils hinausgehen: Sie können, wenn allenfalls au<strong>ch</strong> nur<br />

vorübergehend, in den Berei<strong>ch</strong>en, in wel<strong>ch</strong>en die Notwendigkeit von Ausglei<strong>ch</strong>smassnahmen<br />

besonders stark spürbar ist, eine Vorzugsbehandlung vorsehen. Dieser<br />

Glei<strong>ch</strong>stellungsaspekt wurde namentli<strong>ch</strong> bei der Glei<strong>ch</strong>stellung der Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ter<br />

untersu<strong>ch</strong>t236. 8.1.2 Andere Verfassungsgrundlagen<br />

Ohne dies im Ingress ausdrückli<strong>ch</strong> zu erwähnen, basiert der Gesetzesentwurf au<strong>ch</strong><br />

auf Artikel 62 Absatz 2 BV, um die Glei<strong>ch</strong>stellung der Behinderten im Berei<strong>ch</strong> des<br />

Grunds<strong>ch</strong>ulunterri<strong>ch</strong>ts zu konkretisieren. Beim Primars<strong>ch</strong>ulunterri<strong>ch</strong>t kann der Bund<br />

nur den Begriff des ausrei<strong>ch</strong>enden Grunds<strong>ch</strong>ulunterri<strong>ch</strong>ts präzisieren (vgl. oben). So<br />

wurden Bundesrat und Bundesgeri<strong>ch</strong>t mehrfa<strong>ch</strong> angerufen, dies zu tun. Wenn au<strong>ch</strong><br />

mit der gebotenen Zurückhaltung, haben sie si<strong>ch</strong> denno<strong>ch</strong> über die vernünftige<br />

Distanz von S<strong>ch</strong>ulwegen oder über die Angemessenheit einer Verfügung betreffend<br />

235 M. Borghi in Kommentar der Bundesverfassung, zu Art. 27 (1988), Rz. 83–84;<br />

J. S<strong>ch</strong>ollenberger, Kommentar der Bundesverfassung der s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Eidgenossens<strong>ch</strong>aft,<br />

1905, zu Art. 27, S. 260–261; F. Fleiner, S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>es Bundesstaatsre<strong>ch</strong>t,<br />

1923, S. 46, Rz 23; W. Burckhardt, Kommentar der s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Bundesverfassung,<br />

3. Auflage, 1931, zu Art. 27, S. 204; F. Fleiner – Z. Giacometti, S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>es<br />

Bundesstaatsre<strong>ch</strong>t, 1949, S. 90–91, Rz. 73 (der die von F. Fleiner 1923 geäusserte<br />

Meinung übernimmt).<br />

236 BGE 125 I 21, 25–26; für eine neuere Synthese dieser Probleme, siehe A. Auer,<br />

G. Malinverni, M. Hottelier, Droit constitutionnel suisse, Bd. II, Les droits fondamentaux,<br />

Bern 2000, N. 1069 ff.; vgl. au<strong>ch</strong> Caroline Klein, La discrimination des personnes<br />

handicapées, Diss. , S. 80–112<br />

1817


Sonders<strong>ch</strong>ulung ausgespro<strong>ch</strong>en237. Aus re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t dürfen die Bundesbehörden<br />

aber au<strong>ch</strong> die Verfassungsbestimmungen über andere Punkte konkretisieren.<br />

Die Artikel 87 und 92 Absatz 1 BV bilden die Verfassungsgrundlage für die Massnahmen<br />

im Berei<strong>ch</strong> der Eisenbahnen und des übrigen regelmässigen und gewerbsmässigen<br />

Personentransports. Es handelt si<strong>ch</strong> dabei um umfassende Bundeskompetenzen238.<br />

Der Gesetzesentwurf stützt si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> auf Artikel 112 Absatz 6 BV, soweit er den<br />

Bund ermä<strong>ch</strong>tigt, vers<strong>ch</strong>iedene Förderungsmassnahmen zu ergreifen. Diese Bestimmung<br />

entspri<strong>ch</strong>t Artikel 34quater Absatz 7 der alten Verfassung, der von Anbeginn an<br />

sehr weit ausgelegt wurde, und die Integration Behinderter ni<strong>ch</strong>t nur in berufli<strong>ch</strong>er<br />

Hinsi<strong>ch</strong>t, sondern au<strong>ch</strong> in der Gesells<strong>ch</strong>aft ganz allgemein erfasste239. Diese Massnahmen<br />

können ni<strong>ch</strong>t nur über die Sozialversi<strong>ch</strong>erung (Art. 112 Abs. 6 Satz 2), sondern<br />

au<strong>ch</strong> über die allgemeinen Bundesmittel finanziert werden (Art. 112 Abs. 6<br />

Satz 1). Die Bestimmung führt zusammen mit Artikel 8 Absatz 4 BV zur Bejahung<br />

einer Kompetenz des Bundes, Förderungsmassnahmen zu Gunsten der Behinderten<br />

in einem weiteren Anwendungsfeld als bloss der Invalidenversi<strong>ch</strong>erung finanziell zu<br />

unterstützen.<br />

Bestimmungen des Entwurfs, die Beziehungen zwis<strong>ch</strong>en Privatpersonen zum Gegenstand<br />

haben, stützen si<strong>ch</strong> auf Artikel 122 Absatz 1 BV, während die Regeln über das Bundespersonal<br />

als Bundeskompetenz kraft Sa<strong>ch</strong>zusammenhangs zu betra<strong>ch</strong>ten sind.<br />

8.2 Gesetzgebungsdelegationen<br />

Artikel 10 Absatz 1 und 2 des Gesetzesentwurfs sieht eine Gesetzgebungsdelegation<br />

an den Bundesrat vor; er wird ermä<strong>ch</strong>tigt, Vors<strong>ch</strong>riften über te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>e Normen zu<br />

erlassen, die auf Bauten, die dem Bund gehören oder die der Bund mitfinanziert,<br />

sowie auf Infrastrukturen des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs Anwendung finden. Der Bundesrat<br />

ist damit au<strong>ch</strong> ermä<strong>ch</strong>tigt festzulegen, wel<strong>ch</strong>e Bauten, Anlagen und Fahrzeuge in wel<strong>ch</strong>em<br />

Umfang anzupassen sind. Die Delegation re<strong>ch</strong>tfertigt si<strong>ch</strong> wegen des rein te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>en<br />

Charakters dieser Bestimmungen; es ist notwendig, dass sie ras<strong>ch</strong> an den jeweiligen<br />

Stand der Te<strong>ch</strong>nik und ihre s<strong>ch</strong>nellen Forts<strong>ch</strong>ritte angepasst werden können.<br />

8.3 Form des zu erlassenden Akts<br />

Im Bundesberei<strong>ch</strong> bestimmt Artikel 164 Absatz 1 BV, dass alle wi<strong>ch</strong>tigen re<strong>ch</strong>tsetzenden<br />

Bestimmungen in der Form des Bundesgesetzes zu erlassen sind. Das neue<br />

Gesetz über die Glei<strong>ch</strong>stellung der behinderten Personen muss somit na<strong>ch</strong> dem für<br />

die Bundesgesetze vorgesehenen Verfahren erlassen werden.<br />

237 Vgl. VPB 44.19; 56.38; 58.71; 63.59; BGE 117 Ia 27, Erw. 6, S. 31 ; A. Auer, G. Malinverni,<br />

M. Hottelier, Droit constitutionnel suisse, Bern 2000, Bd. II, S. 691ff.,<br />

N. 1519 bis 1522.<br />

238 Bots<strong>ch</strong>aft des Bundesrates vom 20. November 1996 über eine neue Bundesverfassung<br />

(BBl 1997 I 271)<br />

239 Vgl. Bots<strong>ch</strong>aft des Bundesrates vom 10. November 1971 zum Entwurf betreffend<br />

Änderung der Bundesverfassung auf dem Gebiete der Alter-, Hinterlassenen- und<br />

Invalidenvorsorge, BBl 1971 II 1597.<br />

1818


8.4 Re<strong>ch</strong>tsgrundlage des Bundesbes<strong>ch</strong>lusses über<br />

die Finanzierung der Massnahmen im öffentli<strong>ch</strong>en<br />

Verkehr zu Gunsten von Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen<br />

Der Entwurf des Bundesbes<strong>ch</strong>lusses stützt si<strong>ch</strong> auf Artikel 17 des Gesetzesentwurfs<br />

eines Behindertenglei<strong>ch</strong>stellungsgesetzes, das die Bundesversammlung ermä<strong>ch</strong>tigt,<br />

in der Form eines einfa<strong>ch</strong>en Bundesbes<strong>ch</strong>lusses den Hö<strong>ch</strong>stbetrag der Finanzhilfen<br />

im Berei<strong>ch</strong> des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs festzulegen, die für die Umsetzung der Massnahmen<br />

zur Beseitigung von Bena<strong>ch</strong>teiligungen Behinderter in den 20 Jahren na<strong>ch</strong><br />

Inkrafttreten des Gesetzes zur Verfügung gestellt werden.<br />

Dieser Bes<strong>ch</strong>luss ist ein blosser Kredit- und Finanzierungsbes<strong>ch</strong>luss. Er enthält keine<br />

re<strong>ch</strong>tsetzenden Normen. Die Zuständigkeit der eidgenössis<strong>ch</strong>en Räte ergibt si<strong>ch</strong><br />

aus der allgemeinen Budgetkompetenz na<strong>ch</strong> Artikel 167 BV.<br />

1819


1820<br />

Anhang 1<br />

Daten über Gebre<strong>ch</strong>ensgruppen, Funktionsausfälle und Ursa<strong>ch</strong>en<br />

Invalidenrenten-Bezügerinnen und -Bezüger in der S<strong>ch</strong>weiz im Januar 1999,<br />

na<strong>ch</strong> Gebre<strong>ch</strong>ensgruppen bei einem Invaliditätsgrad von mindestens 40%<br />

(IV-Statistik 1999, Tabelle 6.15.4, S. 67)<br />

Tabelle 1<br />

Gebre<strong>ch</strong>ensgruppen Anzahl Personen Prozent<br />

Haut 504 0,4<br />

Nervensystem 13 102 9,3<br />

Sinnesorgane 3 215 2,3<br />

Infektionen, Parasiten 2 606 1,8<br />

Neubildungen 5 455 3,9<br />

Allergien, Stoffwe<strong>ch</strong>sel, Innere Sekrete 3 300 2,3<br />

Blut, Blutbildende Organe 276 0,2<br />

Psy<strong>ch</strong>osen, Psy<strong>ch</strong>oneurosen 56 061 39,6<br />

Kreislaufsystem 11 232 7,9<br />

Atmungsorgane 1 930 1,4<br />

Verdauungsorgane 2 225 1,6<br />

Harn-, Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tsorgane 1 283 0,9<br />

Kno<strong>ch</strong>en, Bewegungsorgane 40 098 28,3<br />

ni<strong>ch</strong>t zuordnungsfähig 274 0,2<br />

Total 141 561 100<br />

Invalidenrenten-Bezügerinnen und -Bezüger in der S<strong>ch</strong>weiz im Januar 1999,<br />

na<strong>ch</strong> Funktionsausfällen bei einem Invaliditätsgrad von mindestens 40 %<br />

(IV-Statistik 1999, Tabelle 6.16.4, S. 79)<br />

Tabelle 2<br />

Gebre<strong>ch</strong>ensgruppen Anzahl Personen Prozent<br />

Keine 893 0,6<br />

Paraplegie, Tetraplegie 223 0,2<br />

Obere Extremitäten 2 285 1,6<br />

Untere Extremitäten 5 211 3,7<br />

Obere und untere Extremitäten 1 339 0,9<br />

Stamm 16 565 11,7<br />

Stütz- und Bewegungsapparat 3 560 2,5<br />

Allgemeinzustand 35 822 25,3<br />

Sehbehinderung 2 331 1,6<br />

Hörbehinderung 591 0,4<br />

Kiefer-, Mundfunktion 41 0,0<br />

Spra<strong>ch</strong>störungen 558 0,4<br />

Hirn, Motoris<strong>ch</strong>e Störungen 1 323 0,9<br />

Verhaltensstörungen 18 280 13,0<br />

Atem und Blutgasaustaus<strong>ch</strong> 1 729 1,2


Gebre<strong>ch</strong>ensgruppen Anzahl Personen Prozent<br />

Nieren 627 0,4<br />

Verdauungstrakt, Leber 966 0,7<br />

Mehrfa<strong>ch</strong>e Störungen körperli<strong>ch</strong>er Art 10 243 7,2<br />

Mehrfa<strong>ch</strong> geistige und körperli<strong>ch</strong>e Störungen 17 872 12,6<br />

Ni<strong>ch</strong>t definiert 1 0,0<br />

Unklar 21 101 14,9<br />

Total 141 561 100<br />

Ursa<strong>ch</strong>en der Gebre<strong>ch</strong>en bei den Bezügern und Bezügerinnen von IV-Renten<br />

(IV-Statistik 1999, Tabelle 3.4.5.1, S. 21)<br />

Tabelle 3:<br />

Invaliditätsursa<strong>ch</strong>en Männer Frauen Total Total in%<br />

Geburtsgebre<strong>ch</strong>en 14 000 12 000 26 000 14<br />

Krankheit 81 000 61 000 142 000 76<br />

– davon psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Leiden (30 000) (26 000) (56 000) (30)<br />

Unfälle 15 000 6 000 20 000 11<br />

Total 109 000 79 000 188 000 100<br />

Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit, eine IV-Rente zu beziehen, 1999 na<strong>ch</strong> Altersklassen<br />

in der S<strong>ch</strong>weiz (IV-Statistik 1999, Grafik 3.4.4.2, S. 21)<br />

Grafik 1<br />

Prozent<br />

18<br />

16<br />

14<br />

12<br />

10<br />

8<br />

6<br />

4<br />

2<br />

0<br />

M änner<br />

Frauen<br />


IV-Versi<strong>ch</strong>erte und erbra<strong>ch</strong>te Leistungen<br />

(Auszug aus der IV-Statistik 1999)<br />

1822<br />

Anhang 2<br />

Die Invalidenversi<strong>ch</strong>erung zählt fast 7,5 Millionen Versi<strong>ch</strong>erte, wovon 4,1 Millionen<br />

Versi<strong>ch</strong>erungsprämien einzahlen.<br />

1 Übersi<strong>ch</strong>t<br />

Im Jahre 1998 sind in fast 500 000 Fällen Invaliditätsleistungen erbra<strong>ch</strong>t worden<br />

(siehe IV-Statistik 1999, S. 37):<br />

Leistungen Bezüger und Bezügerinnen<br />

Abklärungsmassnahmen 64 331<br />

Individuelle Massnahmen 188 832<br />

Hilflosenents<strong>ch</strong>ädigung (der IV und der AHV) 36 791<br />

Renten 157 063<br />

Individuelle Massnahmen + Hilflosenents<strong>ch</strong>ädigung 3 609<br />

Individuelle Massnahmen + Renten 9 536<br />

Renten + Hilflosenents<strong>ch</strong>ädigung 14 942<br />

Alle Massnahmen + Renten 6 647<br />

Total 481 751<br />

Anmerkung zur obigen Tabelle:<br />

Diese Zahl kann ni<strong>ch</strong>t mit der Anzahl Personen glei<strong>ch</strong>gesetzt werden, wel<strong>ch</strong>e Leistungen<br />

erhalten haben, weil an einzelne Personen mehrere unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Leistungen, z.B. eine<br />

IV-Rente und eine Hilflosenents<strong>ch</strong>ädigung, ausgeri<strong>ch</strong>tet werden können.<br />

2 Anzahl der Bezüger und Bezügerinnen von Hilflosenents<strong>ch</strong>ädigung<br />

Die Hilflosenents<strong>ch</strong>ädigung (HE) ist eine Geldleistung für Invalide, die zwis<strong>ch</strong>en 18<br />

und 62/65 Jahre alt sind und die für die alltägli<strong>ch</strong>en Verri<strong>ch</strong>tungen auf die Hilfe<br />

Dritter angewiesen sind oder der persönli<strong>ch</strong>en Überwa<strong>ch</strong>ung bedürfen240. Die Hilflosenents<strong>ch</strong>ädigung<br />

wird ni<strong>ch</strong>t nur an Bezüger und Bezügerinnen von Leistungen<br />

der IV, sondern au<strong>ch</strong> an AHV-Rentner und rentnerinnen ausbezahlt. Unter der Altersgrenze<br />

von 65 Jahren (Männer) bzw. 62 Jahren (Frauen) waren es im Jahre 1998<br />

rund 23 000 Personen, wel<strong>ch</strong>e in ihrer Fähigkeit der Alltagsbewältigung so einges<strong>ch</strong>ränkt<br />

waren, dass sie mehr als zwei Stunden pro Tag regelmässig auf Hilfe angewiesen<br />

waren und eine Hilflosenents<strong>ch</strong>ädigung der IV bezogen.<br />

Die Anzahl der Personen, wel<strong>ch</strong>e im Sinne der Invalidenversi<strong>ch</strong>erung als hilflos gelten<br />

und auf Dritthilfe angewiesen sind, und deshalb eine Hilflosenents<strong>ch</strong>ädigung HE<br />

erhalten haben, belief si<strong>ch</strong> im Jahre 1998 auf total 55 342 Personen. Diese Gesamtzahl<br />

der Bezüger einer Hilflosenents<strong>ch</strong>ädigung ergibt si<strong>ch</strong> aus der Anzahl der Leis-<br />

240 Verglei<strong>ch</strong>e Art. 42 des Bundesgesetzes über die Invalidenversi<strong>ch</strong>erung (IVG; SR 831.20)<br />

sowie BGE 124 II S. 241 ff., Erw. 4c) S. 247 und 248. Das Bundesgesetz vom 6. Oktober<br />

2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversi<strong>ch</strong>erungsre<strong>ch</strong>ts (ATSG) sieht eine lei<strong>ch</strong>t<br />

geänderte Definition vor (vgl. Art. 9 und Aufhebung von Art. 42 Abs. 2 IVG;<br />

BBl 2000 5041).


tungsbezüger einer Hilflosenents<strong>ch</strong>ädigung (36 791) zuzügli<strong>ch</strong> der Anzahl Personen,<br />

wel<strong>ch</strong>e eine individuelle Leistung in Kombination mit einer Hilflosenents<strong>ch</strong>ädigung<br />

beziehen, nämli<strong>ch</strong> 3609 Personen, sowie zuzügli<strong>ch</strong> die Anzahl Personen,<br />

wel<strong>ch</strong>e eine IV-Rente in Kombination mit einer Hilflosenents<strong>ch</strong>ädigung erhalten.<br />

3 Bezüger und Bezügerinnen von Eingliederungsmassnahmen<br />

und Invalidenrenten<br />

Von den 390 000 in der S<strong>ch</strong>weiz wohnhaften IV-Leistungsbezügern und -bezügerinnen<br />

haben rund 50 000 Personen ledigli<strong>ch</strong> eine Abklärungsmassnahme ihres Falles<br />

in Anspru<strong>ch</strong> genommen. Die restli<strong>ch</strong>en 340 000 Personen teilen si<strong>ch</strong> zu je der<br />

Hälfte in Bezüger und Bezügerinnen von Eingliederungsmassnahmen sowie Rentner<br />

und Rentnerinnen auf241. Im Januar 1999 hatten in der S<strong>ch</strong>weiz 188 000 Personen<br />

Anspru<strong>ch</strong> auf eine Invalidenrente242. Die meisten Leistungsbezüger und Leistungsbezügerinnen<br />

von IV-Leistungen leben in der S<strong>ch</strong>weiz, 9 % der Bezüger und Bezügerinnen<br />

von Renten im Jahre 1999 hielten si<strong>ch</strong> im Ausland auf; IV-Statistik 1999,<br />

Tabelle 3.1, S. 3.<br />

241 Die am häufigsten angeordneten Eingliederungsmassnahmen waren die medizinis<strong>ch</strong>en<br />

(145 000), die seltensten die berufli<strong>ch</strong>en Massnahmen (11 000).<br />

242 Ungefähr drei Viertel davon bezogen eine ganze Rente. Die monatli<strong>ch</strong>e Summe dieser<br />

Leistung betrug ohne Einbezug allfälliger Zusatzrenten dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong> 1500 Franken.<br />

1823


1824<br />

Anhang 3<br />

Anspru<strong>ch</strong> auf Hilfe und Unterstützung für Mens<strong>ch</strong>en mit<br />

Behinderungen im Zivilre<strong>ch</strong>t und im Sozialversi<strong>ch</strong>erungsre<strong>ch</strong>t;<br />

Berücksi<strong>ch</strong>tigung der Behinderung im Steuerre<strong>ch</strong>t<br />

1 Ansprü<strong>ch</strong>e und Lebenshilfen im Zivilre<strong>ch</strong>t<br />

1.1 Allgemeine Lebenshilfen im Familienre<strong>ch</strong>t<br />

Die Familie ist eine Solidar- und Wirts<strong>ch</strong>aftsgemeins<strong>ch</strong>aft. Sie spielt für das physis<strong>ch</strong>e<br />

und psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Wohlbefinden, für die Si<strong>ch</strong>erheit und die Entfaltung wie au<strong>ch</strong><br />

für die Existenzsi<strong>ch</strong>erung des einzelnen Mens<strong>ch</strong>en eine zentrale Rolle. Insbesondere<br />

sind Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen auf die materielle und immaterielle Hilfe der<br />

Familie angewiesen. Die wertvollste und wi<strong>ch</strong>tigste Erfahrung für Kinder, namentli<strong>ch</strong><br />

au<strong>ch</strong> für Kinder mit Behinderungen, ist das Gefühl des Angenommen-Seins.<br />

Selbstwertgefühl und psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Stabilität können nur dur<strong>ch</strong> Bestätigung, mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e<br />

Wärme und Zuneigung wa<strong>ch</strong>sen. Familienre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Normen des Zivilre<strong>ch</strong>tes<br />

drücken diese Werte dur<strong>ch</strong> den Gedanken der Solidarität und der Beistandspfli<strong>ch</strong>t<br />

aus, wel<strong>ch</strong>e zwis<strong>ch</strong>en den Ehegatten sowie zwis<strong>ch</strong>en Eltern und Kindern ges<strong>ch</strong>uldet<br />

ist (Art. 159 Abs. 3 und Art. 272 ZGB). Die Verwandtenunterstützungspfli<strong>ch</strong>t dehnt<br />

die materielle Form der Solidarität generationenübergreifend auf Enkel und Grosseltern<br />

aus (Art. 328 ZGB). Materielle Hilfe sowie immaterielle Hilfe in Form von<br />

Kinderbetreuung kann gerade in Familien mit einem von einer Behinderung betroffenen<br />

Elternteil oder mit einem Kind mit Entwicklungss<strong>ch</strong>wierigkeiten geboten und<br />

lebensdienli<strong>ch</strong> sein. Die Grosseltern können unter Umständen die Rolle von Pflegeeltern<br />

übernehmen (Art. 300 ZGB). Andererseits pflegen Eltern betagte und behinderte<br />

Eltern oder S<strong>ch</strong>wiegereltern.<br />

Über die effektiv geleistete familieninterne Hauspflege aus gesundheitli<strong>ch</strong>en Gründen,<br />

bei zeitweiliger oder ständiger Invalidität eines Familienmitgliedes, hat das<br />

Bundesamt für Statistik auf Grund der 1. S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Gesundheitsbefragung<br />

1992/93 folgende Fakten veröffentli<strong>ch</strong>t243: Innerhalb der Familie wird im Bedarfsfall<br />

am häufigsten der Partner oder die Partnerin beigezogen, wobei zwis<strong>ch</strong>en den<br />

Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tern ein deutli<strong>ch</strong>er Unters<strong>ch</strong>ied festzustellen ist. 41,6% der befragten<br />

Männer nannten ihre Partnerin als Person, wel<strong>ch</strong>e die benötigte Hilfe leistet, während<br />

nur halb so viele Frauen – 19,1% – ihren Partner nannten. Was die Hilfeleistung<br />

dur<strong>ch</strong> Kinder betrifft, so hat die Gesundheitsbefragung Folgendes ergeben:<br />

Anteilsmässig werden mehr Mütter als Väter von ihren Kindern betreut (14% Mütter<br />

und 6,1% Väter). Weiter sind es vor allem die Tö<strong>ch</strong>ter, die den Müttern beistehen<br />

(9%). Die stärkere Betreuung dur<strong>ch</strong> die Tö<strong>ch</strong>ter nimmt bei den Müttern ab 55 Jahren<br />

no<strong>ch</strong> zu244. 243 Roland Calmonte, Brigitte Herren, Thomas Spuhler, Christophe Koller, Bundesamt<br />

für Statistik: Gesundheit und Gesundheitsverhalten in der S<strong>ch</strong>weiz. Detailergebnisse der<br />

1. S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Gesundheitsbefragung 1992/93 S. 96.<br />

244 Roland Calmonte u.a., a.a.O., S. 96. Ni<strong>ch</strong>t zu übersehen ist zudem der Zusammenhang<br />

zwis<strong>ch</strong>en Witwens<strong>ch</strong>aft und Betreuung der Mütter dur<strong>ch</strong> ihre Tö<strong>ch</strong>ter. Ab 65 Jahren<br />

leben die Frauen weitaus häufiger allein als die Männer, 47 % der Frauen im Verglei<strong>ch</strong><br />

zu 19,6 % der Männer (S. 95).


Die Pfli<strong>ch</strong>t zur Mithilfe an der Deckung des Lebensbedarfes in der eheli<strong>ch</strong>en Gemeins<strong>ch</strong>aft,<br />

eins<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> der Gesundheits- bzw. der Krankheitskosten, stellt die<br />

materielle Seite der Solidarität dar (Art. 163 ZGB). Massstab sind die persönli<strong>ch</strong>en<br />

Mögli<strong>ch</strong>keiten und die finanziellen Verhältnisse.<br />

Ausdrückli<strong>ch</strong> spri<strong>ch</strong>t das Kindesre<strong>ch</strong>t die Re<strong>ch</strong>tsstellung des behinderten Kindes an.<br />

Die Eltern sind gehalten, ni<strong>ch</strong>t nur die allgemeine Erziehungspfli<strong>ch</strong>t in körperli<strong>ch</strong>er,<br />

geistiger und sittli<strong>ch</strong>er Hinsi<strong>ch</strong>t zu erfüllen (Art. 302 Abs. 1 ZGB). Überdies obliegt<br />

ihnen die Pfli<strong>ch</strong>t, die für das Kind angemessene, seinen Fähigkeiten und Neigungen<br />

entspre<strong>ch</strong>ende allgemeine und berufli<strong>ch</strong>e Ausbildung zu vers<strong>ch</strong>affen, insbesondere<br />

au<strong>ch</strong> dem «körperli<strong>ch</strong> oder geistig gebre<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Kind» (Art. 302 Abs. 2 ZGB). Dabei<br />

müssen die Eltern das Anhörungsre<strong>ch</strong>t des Kindes respektieren und soweit tunli<strong>ch</strong><br />

auf die Meinung des Kindes Rücksi<strong>ch</strong>t nehmen (Art. 301 Abs. 2 ZGB). Das behinderte<br />

Kind hat grundsätzli<strong>ch</strong> den glei<strong>ch</strong>en Anspru<strong>ch</strong> auf allgemeine und berufli<strong>ch</strong>e<br />

Ausbildung wie das ni<strong>ch</strong>tbehinderte. Ist es ni<strong>ch</strong>t in der Lage, dem ordentli<strong>ch</strong>en<br />

S<strong>ch</strong>ulbetrieb zu folgen, so müssen die Eltern gegebenenfalls den Besu<strong>ch</strong> von Hilfskursen<br />

oder Spezials<strong>ch</strong>ulen ermögli<strong>ch</strong>en oder das Kind in einer besonderen Fördereinri<strong>ch</strong>tung<br />

unterbringen245. Zum Zwecke der Förderung des Kindes sollen die<br />

Eltern mit der S<strong>ch</strong>ule und, wo es die Umstände erfordern, mit der öffentli<strong>ch</strong>en und<br />

gemeinnützigen Jugendhilfe zusammenarbeiten (Art. 302 Abs. 3 ZGB). Diese<br />

Pfli<strong>ch</strong>t der Eltern zur Kooperation tritt ein, wenn si<strong>ch</strong> die Eltern untereinander oder<br />

mit dem Kind ni<strong>ch</strong>t einigen können oder wenn das behinderte Kind s<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>e oder<br />

erzieheris<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>wierigkeiten verursa<strong>ch</strong>t. Die Pfli<strong>ch</strong>t besteht namentli<strong>ch</strong> darin, si<strong>ch</strong><br />

mit der Lehrkraft in Kontakt zu setzen, den Rat fa<strong>ch</strong>kundiger Stellen der öffentli<strong>ch</strong>en<br />

und gemeinnützigen Jugendhilfe (z.B. heilpädagogis<strong>ch</strong>e Früherfassung) sowie<br />

der S<strong>ch</strong>ule (S<strong>ch</strong>ulpsy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>er Dienst, heilpädagogis<strong>ch</strong>e Unterstützung usw.)<br />

und der Vormunds<strong>ch</strong>aftsbehörde einzuholen246. Die elterli<strong>ch</strong>e Pfli<strong>ch</strong>t zur Zusammenarbeit mit öffentli<strong>ch</strong>en Institutionen ist gerade<br />

für die Früherfassung von körperli<strong>ch</strong> oder geistig behinderten Kindern von grosser<br />

Bedeutung, weil dur<strong>ch</strong> ein spezielles Training oder dur<strong>ch</strong> eine frühe Therapie si<strong>ch</strong><br />

Entwicklungsrückstände und Defizite effizienter und erfolgrei<strong>ch</strong>er auffangen lassen<br />

als in einem späteren Kindesalter.<br />

Hervorzuheben ist die glei<strong>ch</strong>e Stellung jedes Kindes innerhalb der Ges<strong>ch</strong>wisterreihe:<br />

Au<strong>ch</strong> das Kind mit einer Behinderung besitzt die glei<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>tsstellung in der Ges<strong>ch</strong>wisterreihe<br />

hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> seines Anspru<strong>ch</strong>es auf eine optimale, seinen Mögli<strong>ch</strong>keiten<br />

entspre<strong>ch</strong>ende Bildung und Ausbildung247. Die Frage der Angemessenheit<br />

der Ausbildung stellt si<strong>ch</strong> bei Kindern mit Behinderungen mindestens so ernsthaft<br />

245 BGE 117 Ia 34; RegRat AG AGVE 1991, 524 Nr. 26.<br />

246 Ingeborg S<strong>ch</strong>wenzer, Kommentar zu Art. 302 ZGB, in: Kommentar zum S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en<br />

Privatre<strong>ch</strong>t, S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>es Zivilgesetzbu<strong>ch</strong> I, Basel 1996, S. 1556.<br />

247 Was als «angemessene, berufli<strong>ch</strong>e Ausbildung» ers<strong>ch</strong>eint, muss im Einzelfall abgeklärt<br />

werden. Der Begriff unterliegt der Interpretation angesi<strong>ch</strong>ts dem gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />

Wandel, den neuen Anforderungen im Erwebsleben und den in den letzten Jahren<br />

erweiterten Ausbildungs- und Therapiemögli<strong>ch</strong>keiten. Verglei<strong>ch</strong>e ausführli<strong>ch</strong> zur Frage<br />

na<strong>ch</strong> der Angemessenheit der Ausbildung, Forni, S. 433 ff., in: Hausheer/Spy<strong>ch</strong>er/<br />

Ko<strong>ch</strong>er/Brunner, Handbu<strong>ch</strong> des Unterhaltsre<strong>ch</strong>ts, Bern 1997, S. 340 ff. Verglei<strong>ch</strong>e zur<br />

Problematik des Ausbildungsplanes und des berufli<strong>ch</strong>en Lebensplanes, zur Rücksi<strong>ch</strong>tsund<br />

Zusammenwirkungspfli<strong>ch</strong>t zwis<strong>ch</strong>en Eltern und Kind bei der Ausbildung: Peter<br />

Breits<strong>ch</strong>mid, Kommentar zu Art. 277 ZGB, in: Kommentar zum S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en<br />

Privatre<strong>ch</strong>t, S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>es Zivilgesetzbu<strong>ch</strong> I, Basel 1996, S. 1454–1460.<br />

1825


wie bei gesunden Kindern, weil ihnen eine spätere Ums<strong>ch</strong>ulung eher weniger lei<strong>ch</strong>t<br />

fallen dürfte als anderen Jugendli<strong>ch</strong>en.<br />

Die Familiensolidarität soll au<strong>ch</strong> in Krisensituationen wirksam sein. Spezielle Normen<br />

si<strong>ch</strong>ern vor allem die materielle Unterstützung zwis<strong>ch</strong>en den Ehegatten und<br />

zwis<strong>ch</strong>en den einzelnen Elternteilen und ihren Kindern. Im Vordergrund stehen die<br />

Unterhaltsregelungen während der Trennung als Massnahme des Ehes<strong>ch</strong>utzes<br />

(Art. 175 f. ZGB) und als vorsorgli<strong>ch</strong>e Massnahme während eines S<strong>ch</strong>eidungsverfahrens<br />

(Art. 137 ZGB). Wenn der Ri<strong>ch</strong>ter bzw. die Ri<strong>ch</strong>terin Ehes<strong>ch</strong>utzmassnahmen<br />

oder Massnahmen in einem S<strong>ch</strong>eidungsverfahren anordnet, muss bei der Zuteilung<br />

der Kinder und der Festlegung der Unterhaltsbeiträge das Geri<strong>ch</strong>t eine Behinderung<br />

und ihre konkreten Auswirkungen mit berücksi<strong>ch</strong>tigen. Über die Dauer<br />

einer Ehe hinaus, wel<strong>ch</strong>e dur<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>eidung aufgelöst wird, besteht die Familiensolidarität<br />

weiter. Dabei werden die Unterhaltsbeiträge für den unterstützungsbere<strong>ch</strong>tigten<br />

Ehegatten so festgelegt, dass seine Gesundheit, eins<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> einer allfälligen<br />

physis<strong>ch</strong>en oder psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Behinderung, berücksi<strong>ch</strong>tigt werden. Diese Rücksi<strong>ch</strong>tnahme<br />

wirkt in zweifa<strong>ch</strong>er Hinsi<strong>ch</strong>t: sowohl bei der Frage der Zumutbarkeit einer<br />

Erwerbstätigkeit wie au<strong>ch</strong> bei der Festlegung der Höhe des na<strong>ch</strong>eheli<strong>ch</strong>en Unterhaltsbeitrages248.<br />

Wenn ein Ehegatte in der Vereinbarung ganz oder teilweise auf<br />

seinen Anspru<strong>ch</strong> auf die zu teilenden Austrittsleistungen der berufli<strong>ch</strong>en Vorsorge<br />

verzi<strong>ch</strong>tet, prüft das Geri<strong>ch</strong>t von Amtes wegen, ob eine entspre<strong>ch</strong>ende Alters- und<br />

Invalidenvorsorge auf andere Weise gewährleistet ist (Art. 141 Abs. 3 ZGB).<br />

1.2 Besondere Lebenshilfen<br />

Das Vormunds<strong>ch</strong>aftsre<strong>ch</strong>t stellt eine Reihe von Massnahmen zur Verfügung, wel<strong>ch</strong>e<br />

für die betreute Person eine Lebenshilfe darstellen, um das Bestehen in unserer Gesells<strong>ch</strong>aft<br />

zu ermögli<strong>ch</strong>en. Jedo<strong>ch</strong> wird die Autonomie der betreffenden Person tangiert,<br />

vor allem wenn Massnahmen angeordnet werden, wel<strong>ch</strong>e die re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e<br />

Handlungsfreiheit bes<strong>ch</strong>ränken (Mitwirkungs- oder/und Verwaltungsbeirats<strong>ch</strong>aft<br />

Art. 395 Abs. 1 und 2 ZGB) oder die re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Handlungsfähigkeit dur<strong>ch</strong> die Entmündigung<br />

gar aufheben (Art. 368 ff. ZGB). Im Zusammenhang mit der Unterstützung<br />

von Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen stehen Kindess<strong>ch</strong>utzmassnahmen im Vordergrund,<br />

wel<strong>ch</strong>e im Sinne des Kindeswohls die Eltern in ihrer Erziehungsaufgabe<br />

unterstützen. Überdies bietet die Re<strong>ch</strong>tsgemeins<strong>ch</strong>aft dur<strong>ch</strong> das Vormunds<strong>ch</strong>aftsre<strong>ch</strong>t<br />

Lebenshilfen für Erwa<strong>ch</strong>sene an, wel<strong>ch</strong>e beispielsweise wegen ihrer Behinderung<br />

physis<strong>ch</strong>er, psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>er oder geistiger Art besondere Mühe bekunden, mit den<br />

Anforderungen des Lebens zu Rande zu kommen.<br />

248 Die ges<strong>ch</strong>uldeten Unterhaltsbeiträge werden entweder dur<strong>ch</strong> eine ri<strong>ch</strong>terli<strong>ch</strong> genehmigte<br />

Konvention vereinbart (Art. 140 f. ZGB) oder dur<strong>ch</strong> einen geri<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> festgesetzten<br />

na<strong>ch</strong>eheli<strong>ch</strong>en Unterhaltsbeitrag bestimmt, sofern es einem Ehegatten ni<strong>ch</strong>t zuzumuten<br />

ist, dass er für den ihm gebührenden Unterhalt unter Eins<strong>ch</strong>luss einer angemessenen<br />

Altersvorsorge selber aufkommt (Art. 125 f. ZGB). Beim Ents<strong>ch</strong>eid, ob ein Beitrag zu<br />

leisten sei und gegebenenfalls in wel<strong>ch</strong>er Höhe und wie lange, sind mehrere Umstände zu<br />

berücksi<strong>ch</strong>tigen, namentli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> Alter und Gesundheit des Ehegatten (Art. 125 Abs. 2<br />

Ziff. 4 ZGB). Die Unterhaltsregelungen für die Kinder bei der S<strong>ch</strong>eidung der Eltern<br />

finden si<strong>ch</strong> in Art. 133 Abs. 1 ZGB und Art. 143 Abs. 1 Ziff. 2 ZGB.<br />

1826


1.2.1 Kindess<strong>ch</strong>utzmassnahmen (Art. 307 ff. ZGB)<br />

Verna<strong>ch</strong>lässigen die Eltern die Erziehung ihrer Kinder im Sinne der Fürsorgepfli<strong>ch</strong>ten<br />

oder fühlen sie si<strong>ch</strong> in der Erziehung und Förderung eines behinderten<br />

Kindes überfordert, stellt si<strong>ch</strong> die Frage na<strong>ch</strong> dem Kindess<strong>ch</strong>utz. Dafür stellt das Zivilre<strong>ch</strong>t<br />

eine Stufenfolge von Massnahmen zur Verfügung. Die Vormunds<strong>ch</strong>aftsbehörde<br />

hat, wenn das Wohl des Kindes gefährdet ist und die Eltern (oder die Pflegeeltern)<br />

ni<strong>ch</strong>t für Abhilfe sorgen oder dazu ni<strong>ch</strong>t imstande sind, geeignete Vorkehren<br />

zu treffen (Art. 307 ZGB). Als erste Massnahme nennt das Gesetz Weisungen für<br />

die Pflege, Erziehung oder Ausbildung. Ein spra<strong>ch</strong>behindertes Kind sei beispielsweise<br />

einer fa<strong>ch</strong>ärztli<strong>ch</strong>en Behandlung oder einer entspre<strong>ch</strong>enden Therapie bei einer<br />

Logopädin oder bei einem Logopäden zu unterziehen. Es kann die Einsetzung eines<br />

Beistandes angeordnet werden, der die Eltern in ihrer Sorge um das Kind mit Rat<br />

und Tat unterstützt (Art. 308 ZGB). Als Beistand kommen beispielsweise Sozialarbeiter<br />

oder Sozialarbeiterinnen, Heilpädagogen und Heilpädagoginnen in Betra<strong>ch</strong>t.<br />

Die Beistands<strong>ch</strong>aft versteht si<strong>ch</strong> als Erziehungshilfe.<br />

Eins<strong>ch</strong>neidendere Kindess<strong>ch</strong>utzmassnahmen sind die Wegnahme des Kindes und<br />

die Unterbringung in ein geeignetes Heim (Aufhebung der elterli<strong>ch</strong>en Obhut,<br />

Art. 310 Abs. 1 ZGB). Bei besonderen s<strong>ch</strong>werwiegenden Versäumnissen oder wegen<br />

Unvermögens (z.B. wegen eines Gebre<strong>ch</strong>ens physis<strong>ch</strong>er oder psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>er Art)<br />

seitens der Eltern ist der Entzug der elterli<strong>ch</strong>en Sorge zu erwägen und – falls keine<br />

weniger eins<strong>ch</strong>neidende Massnahme mögli<strong>ch</strong> ist – von der vormunds<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />

Aufsi<strong>ch</strong>tsbehörde dur<strong>ch</strong>zuführen. Glei<strong>ch</strong>zeitig ist die elterli<strong>ch</strong>e Sorge auf einen gesetzli<strong>ch</strong>en<br />

Vormund zu übertragen (Art. 311 ZGB). Die Eltern können aus wi<strong>ch</strong>tigen<br />

Gründen von si<strong>ch</strong> aus darum ersu<strong>ch</strong>en (Art. 312 Ziff. 1 ZGB).<br />

1.2.2 Vormunds<strong>ch</strong>aftsre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Lebenshilfen für Erwa<strong>ch</strong>sene<br />

Das Vormunds<strong>ch</strong>aftsre<strong>ch</strong>t unters<strong>ch</strong>eidet drei Massnahmen, wel<strong>ch</strong>e als Lebenshilfen<br />

für Mens<strong>ch</strong>en geda<strong>ch</strong>t sind, wel<strong>ch</strong>e ohne diese Hilfe mit dem Leben ni<strong>ch</strong>t oder<br />

s<strong>ch</strong>werli<strong>ch</strong> zu Rande kommen: die Beistands<strong>ch</strong>aft, die Beirats<strong>ch</strong>aft und die Vormunds<strong>ch</strong>aft.<br />

Die Beistands<strong>ch</strong>aft belässt der Person die volle re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Handlungsfähigkeit,<br />

während die Beirats<strong>ch</strong>aft sie partiell eins<strong>ch</strong>ränkt. Die Vormunds<strong>ch</strong>aft ist<br />

die eins<strong>ch</strong>neidenste Massnahme insofern sie die re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Handlungsfähigkeit der<br />

betreffenden Person aufhebt. Nur unter bestimmten Voraussetzungen und unter Bea<strong>ch</strong>tung<br />

der Verhältnismässigkeit sowie bei Vorliegen bestimmter Gründe können<br />

Mündige unter Vormunds<strong>ch</strong>aft gestellt werden. Als ersten Grund nennt das Gesetz<br />

Geisteskrankheit und Geistess<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>e, wel<strong>ch</strong>e so ausgeprägt sein muss, dass die<br />

Person ihre Angelegenheiten ni<strong>ch</strong>t zu besorgen vermag, zu ihrem S<strong>ch</strong>utz dauernd<br />

des Beistandes und der Fürsorge bedarf oder die Si<strong>ch</strong>erheit anderer gefährdet<br />

(Art. 369) 249. Die Entmündigung kann au<strong>ch</strong> auf eigenes Begehren der betreffenden<br />

Person erfolgen, wenn sie infolge Alterss<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>e oder eines Gebre<strong>ch</strong>ens oder wegen<br />

Unerfahrenheit ihre Angelegenheiten ni<strong>ch</strong>t gehörig zu besorgen vermag<br />

(Art. 372 ZGB). Die Entmündigung führt zum vollständigen Entzug der Handlungsfähigkeit.<br />

In der Regel vertritt ein Vormund das Mündel in allen re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en<br />

249 Der im Zivilgesetzbu<strong>ch</strong> verwendete Begriff der Geisteskrankheit deckt si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mit der<br />

medizinis<strong>ch</strong>en Bezei<strong>ch</strong>nung, wel<strong>ch</strong>e als Sammelbegriff von «psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Krankheiten»<br />

spri<strong>ch</strong>t. Jede Person, wel<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> Art. 369 ZGB geisteskrank ist, ist im medizinis<strong>ch</strong>en<br />

Sinne psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong> krank, jedo<strong>ch</strong> ist ni<strong>ch</strong>t notwendigerweise jede psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong> kranke Person<br />

im medizinis<strong>ch</strong>en Sinne au<strong>ch</strong> re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> geisteskrank.<br />

1827


Angelegenheiten. Diese Form der Vormunds<strong>ch</strong>aft kommt für Mens<strong>ch</strong>en in Frage,<br />

wel<strong>ch</strong>e wegen ihrer s<strong>ch</strong>weren Geisteskrankheit oder Geistess<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>e ni<strong>ch</strong>t in der<br />

Lage sind, die Rahmenbedingungen ihres Lebens zu gestalten. Ni<strong>ch</strong>t einges<strong>ch</strong>ränkt<br />

werden können allerdings die hö<strong>ch</strong>stpersönli<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>te, die jedem Mens<strong>ch</strong>en zustehen.<br />

Darunter versteht man beispielsweise das Re<strong>ch</strong>t auf körperli<strong>ch</strong>e Unversehrtheit<br />

(Erfordernis der Zustimmung zu einem ärztli<strong>ch</strong>en Eingriff wie die Sterilisation)<br />

oder das Re<strong>ch</strong>t auf die Erri<strong>ch</strong>tung eines Testamentes. Diese Re<strong>ch</strong>te kann die betroffene<br />

Person in eigener Verantwortung wahrnehmen, soweit sie die Tragweite ihrer<br />

Handlung zu verstehen vermag, d.h. urteilsfähig ist. Da die absoluten hö<strong>ch</strong>stpersönli<strong>ch</strong>en<br />

Re<strong>ch</strong>te «vertretungsfeindli<strong>ch</strong>» sind, ist es ni<strong>ch</strong>t mögli<strong>ch</strong>, dass der Vormund<br />

stellvertretend für das Mündel sol<strong>ch</strong>e Ents<strong>ch</strong>eidungen trifft. Die Einwilligung in<br />

ärztli<strong>ch</strong>e Eingriffe zählt zu den relativ hö<strong>ch</strong>stpersönli<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>ten250. Das bedeutet,<br />

dass im Falle von Urteilsunfähigkeit eine Vertretung zugelassen ist251. Für die Ehes<strong>ch</strong>liessung<br />

brau<strong>ch</strong>t die entmündigte Person die Zustimmung des gesetzli<strong>ch</strong>en Vertreters<br />

(Art. 94 Abs. 2 Satz 1 ZGB). Dessen Verweigerungsre<strong>ch</strong>t, beispielsweise als<br />

Vormund, ist jedo<strong>ch</strong> bes<strong>ch</strong>ränkt; dies ergibt si<strong>ch</strong> aus dem wohlverstandenen Interesse<br />

des Mündels, wel<strong>ch</strong>es im Rahmen der Fürsorgepfli<strong>ch</strong>t des Vormundes strikte zu<br />

wahren ist. Die entmündigte Person kann gegen die Verweigerung dieser Zustimmung<br />

das Geri<strong>ch</strong>t anrufen (Art. 94 Abs. 2 Satz 2 ZGB). Gemäss hö<strong>ch</strong>stri<strong>ch</strong>terli<strong>ch</strong>er<br />

Re<strong>ch</strong>tspre<strong>ch</strong>ung dürfen die Anforderungen an die Urteilsfähigkeit für die Ehes<strong>ch</strong>liessung<br />

ni<strong>ch</strong>t allzu ho<strong>ch</strong> gesetzt werden252. Das Re<strong>ch</strong>t, um Aufhebung der Vormunds<strong>ch</strong>aft<br />

zu ersu<strong>ch</strong>en oder ein S<strong>ch</strong>eidungsbegehren geri<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> anhängig zu ma<strong>ch</strong>en<br />

sowie eine letztwillige Verfügung zu erlassen oder einen Erbvertrag abzus<strong>ch</strong>liessen,<br />

gehören zu den absolut persönli<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>ten253. Als ordentli<strong>ch</strong>e oder als dringende Massnahme kann dur<strong>ch</strong> eine vormunds<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e<br />

Behörde ein fürsorgeris<strong>ch</strong>er Freiheitsentzug geboten sein. Geisteskrankheit und<br />

Geistess<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>e, Su<strong>ch</strong>terkrankung, s<strong>ch</strong>were Verwahrlosung sind Gründe, wel<strong>ch</strong>e<br />

einen fürsorgeris<strong>ch</strong>en Freiheitsentzug und die Unterbringung in eine geeignete Anstalt<br />

re<strong>ch</strong>tfertigen, wenn der betroffenen Person die nötige persönli<strong>ch</strong>e Fürsorge<br />

ni<strong>ch</strong>t anders erwiesen werden kann (Subsidiarität des fürsorgeris<strong>ch</strong>en Freiheitsentzuges).<br />

Die Belastung der Umgebung ist bei der Beurteilung der Verhältnismässigkeit<br />

der Massnahme zu berücksi<strong>ch</strong>tigen (Art. 397a ZGB). Bei einer dauernden Anstaltsunterbringung<br />

kann für die fürsorgebedürftige Person ein Vormund (volle Bes<strong>ch</strong>ränkung<br />

der Handlungsfähigkeit Art. 367 Abs. 1 ZGB) oder ein Beirat (nur teilweise<br />

Bes<strong>ch</strong>ränkung der Handlungsfähigkeit Art. 395 ZGB) ernannt werden.<br />

In der Praxis wird heutzutage auf die Bevormundung verzi<strong>ch</strong>tet, weil sie als zu eins<strong>ch</strong>neidend<br />

empfunden wird (Entzug der re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Handlungsfähigkeit). Hingegen<br />

werden bei alterss<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en Personen oder bei Personen mit einer geistigen Behinderung<br />

Beistands<strong>ch</strong>aften angeordnet.<br />

In der laufenden Revision des Vormunds<strong>ch</strong>aftsre<strong>ch</strong>ts sind massges<strong>ch</strong>neiderte Massnahmen<br />

vorgesehen, wel<strong>ch</strong>e die individuelle Situation der betreffenden Person stärker<br />

berücksi<strong>ch</strong>tigen. Au<strong>ch</strong> im neuen «Erwa<strong>ch</strong>senens<strong>ch</strong>utzre<strong>ch</strong>t» wird das Verhältnismässigkeitsprinzip<br />

und das Prinzip der Subsidiarität der Massnahmen von Bedeutung<br />

sein.<br />

250 BGE 114 Ia 350.<br />

251 Vgl. Margrith Biggler-Eggenberger in: Kommentar zum S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Privatre<strong>ch</strong>t,<br />

S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>es Zivilgesetzbu<strong>ch</strong> I, Art. 19, N 37 und N 41, S. 187, Basel 1996.<br />

252 BGE 109 II 273 E. 2 und.3<br />

253 Biggler-Eggenberger, a.a.O., N 40.<br />

1828


1.3 Kein Anspru<strong>ch</strong> auf Anstellung im Arbeitsre<strong>ch</strong>t – Arbeitsre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e<br />

S<strong>ch</strong>utzvors<strong>ch</strong>riften<br />

Das Arbeitsre<strong>ch</strong>t befasst si<strong>ch</strong> als Sonderre<strong>ch</strong>t mit dem Lebenssa<strong>ch</strong>verhalt der abhängigen<br />

Arbeit, wel<strong>ch</strong>e auf Grund eines privatre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Verhältnisses erbra<strong>ch</strong>t<br />

wird254. Obs<strong>ch</strong>on im Arbeitsre<strong>ch</strong>t zwingende Bestimmungen zu bea<strong>ch</strong>ten sind, ist<br />

die Abs<strong>ch</strong>lussfreiheit bzw. die Vertragsfreiheit beider Vertragspartner gewährleistet.<br />

Sie wird als wesentli<strong>ch</strong>er Teil der persönli<strong>ch</strong>en Freiheit betra<strong>ch</strong>tet255. Sie umfasst<br />

neben der Freiheit zur Gestaltung des Vertragsinhaltes innerhalb der gesetzli<strong>ch</strong>en<br />

S<strong>ch</strong>ranken au<strong>ch</strong> die Abs<strong>ch</strong>lussfreiheit, d.h. die Freiheit, einen Vertrag abzus<strong>ch</strong>liessen<br />

oder ni<strong>ch</strong>t, sowie die Freiheit, den Vertragspartner auszuwählen. Die Gesetzgebung<br />

des Bundes s<strong>ch</strong>ränkt die Vertragsfreiheit und somit das Re<strong>ch</strong>t auf Wahlfreiheit<br />

des Arbeitgebers bei Vertragss<strong>ch</strong>luss ledigli<strong>ch</strong> punktuell ein. So verbieten beispielsweise<br />

die Bestimmungen des Artikels 3 Absatz 1 und 2 des Gesetzes über die<br />

Glei<strong>ch</strong>stellung von Mann und Frau vom 24. März 1995256 direkte oder indirekte<br />

Bena<strong>ch</strong>teiligungen auf Grund des Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ts bei der Anstellung257. Spezielle gesetzli<strong>ch</strong>e<br />

Rücksi<strong>ch</strong>tnahmen sind bei Anstellungen gegenüber Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen<br />

ni<strong>ch</strong>t geboten. Das Gemeinwesen vertraut auf die Freiheit des Arbeitgebers,<br />

si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> freiwillig zur Anstellung eines Mens<strong>ch</strong>en mit einem Handicap zu<br />

ents<strong>ch</strong>liessen oder einen sol<strong>ch</strong>en Arbeitnehmer bzw. eine sol<strong>ch</strong>e Arbeitnehmerin<br />

trotz einer eingetretenen Behinderung und allenfalls einges<strong>ch</strong>ränkter Leistungsfähigkeit<br />

weiterhin in geeigneter Weise zu bes<strong>ch</strong>äftigen.<br />

Um das Klis<strong>ch</strong>ee der Hilfsbedürftigkeit bei jedem Behinderungsfall zu dur<strong>ch</strong>bre<strong>ch</strong>en,<br />

ist zu unterstrei<strong>ch</strong>en, dass Behinderung ni<strong>ch</strong>t notwendigerweise eine Eins<strong>ch</strong>ränkung<br />

der kreativen und wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Leistungskraft bedeutet. Beispiele<br />

von Mens<strong>ch</strong>en, wel<strong>ch</strong>e trotz ihrer augenfälligen oder verborgenen Behinderung ihren<br />

Mann oder ihre Frau stellen, widerspre<strong>ch</strong>en den gängigen Vorurteilen von Hilflosigkeit<br />

und Abhängigkeit.<br />

Als eine der zwingenden Bestimmungen im Arbeitsre<strong>ch</strong>t gilt die Pfli<strong>ch</strong>t des Arbeitgebers,<br />

die Persönli<strong>ch</strong>keit der Arbeitnehmer zu s<strong>ch</strong>ützen (Art. 328 Abs. 1 OR). Die<br />

Arbeitgeber sind verpfli<strong>ch</strong>tet, präventiv und aktuell die Persönli<strong>ch</strong>keit jedes Arbeitnehmers<br />

und jeder Arbeitnehmerin zu s<strong>ch</strong>ützen und im Rahmen des Arbeitsverhältnisses<br />

entspre<strong>ch</strong>ende Eingriffe von Vorgesetzten, Mitarbeitern oder Dritten (Kunden,<br />

Lieferanten) abzuwehren. Zu den Persönli<strong>ch</strong>keitsgütern gehören insbesondere<br />

Leben und Gesundheit, körperli<strong>ch</strong>e und geistige Integrität, persönli<strong>ch</strong>e und berufli<strong>ch</strong>e<br />

Ehre, Stellung und Ansehen im Betrieb, Geheimsphäre, die Freiheit der persön-<br />

254 Dem Arbeitsre<strong>ch</strong>t kommt grosse Bedeutung zu, da die eigene Arbeitskraft für die meisten<br />

Mens<strong>ch</strong>en in der S<strong>ch</strong>weiz die Grundlage ihrer wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Existenz bildet. In der<br />

S<strong>ch</strong>weiz sind über 90% der Erwerbstätigen Arbeitnehmende. Vgl. Charlotte Gysin, Der<br />

S<strong>ch</strong>utz des Existenzminimums in der S<strong>ch</strong>weiz, Basel 1999, S. 210. Rehbinder bere<strong>ch</strong>net<br />

für das Jahr 1996 die Zahl von 3,8 Millionen, bzw. na<strong>ch</strong> Abzug des öffentli<strong>ch</strong>en Dienstes<br />

2,8 Millionen Mens<strong>ch</strong>en in der S<strong>ch</strong>weiz, die ihre Existenzgrundlage in abhängiger Arbeit<br />

fanden. Manfred Rehbinder, S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>es Arbeitsre<strong>ch</strong>t, 14. Aufl., Bern 1999, S. 19.<br />

255 BGE 80 II 39<br />

256 Glei<strong>ch</strong>stellungsgesetz (SR 151.1)<br />

257 Das Verbot der direkten und indirekten Bena<strong>ch</strong>teiligung erstreckt si<strong>ch</strong> überdies auf die<br />

Aufgabenzuteilung, Gestaltung der Arbeitsbedingungen, Entlöhnung, Aus- und<br />

Weiterbildung, Beförderung und Entlassung.<br />

1829


li<strong>ch</strong>en Meinungsäusserung und die Freiheit der gewerks<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Organisation258. Der Arbeitgeber hat die Pfli<strong>ch</strong>t, Verhaltensweisen, wel<strong>ch</strong>e gegenüber Mens<strong>ch</strong>en mit<br />

Behinderungen als verletzend, abwertend und ausgrenzend wirken, entgegenzutreten<br />

und zu unterbinden.<br />

Die Erfahrungstatsa<strong>ch</strong>e, dass der Eintritt in die Gruppe der IV-Rentener und IV-<br />

Rentnerinnen hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> auf Grund von Krankheit erfolgt (76% aller IV-Rentner<br />

und Rentnerinnen), deren Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit mit dem Alter ansteigt, wogegen Eintritte<br />

auf Grund von Geburtsgebre<strong>ch</strong>en (14%) und Unfällen (11%) nur eine untergeordnete<br />

Rolle spielen, unterstrei<strong>ch</strong>t die Bedeutung der präventiven Sorge um die Gesundheit<br />

zur Erhaltung der Erwerbskraft, sowohl von Seiten der Arbeitgeber und<br />

Arbeitgeberinnen wie au<strong>ch</strong> von Seiten der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen.<br />

Das Arbeitsre<strong>ch</strong>t verpfli<strong>ch</strong>tet die Arbeitgeber in Artikel 328 Abs. 2 OR, zum S<strong>ch</strong>utz<br />

von Leib und Leben geeignete Massnahmen zu treffen. Die Arbeitgeber müssen für<br />

die einwandfreie Bes<strong>ch</strong>affenheit der Arbeitsräume und anderer von den Arbeitnehmern<br />

und Arbeitnehmerinnen zu benutzender Räume sorgen, Mas<strong>ch</strong>inen und Geräte<br />

mit den erforderli<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>utzvorri<strong>ch</strong>tungen versehen lassen und den Arbeitsablauf<br />

mögli<strong>ch</strong>st gefahrenlos gestalten. Ferner müssen sie die Arbeitskräfte auf Gefahren<br />

hinweisen, sie instruieren und für geeignete Überwa<strong>ch</strong>ung auf Einhaltung der Si<strong>ch</strong>erheitsvorkehrungen<br />

sorgen259. Grenze dieser S<strong>ch</strong>utzpfli<strong>ch</strong>ten ist jedo<strong>ch</strong> das te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong><br />

Mögli<strong>ch</strong>e und wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> Zumutbare. Dieses ist als Mindeststandard<br />

ges<strong>ch</strong>uldet (Art. 362 Abs. 2 OR). In Arbeitsverhältnissen, die dem öffentli<strong>ch</strong>em<br />

Arbeitss<strong>ch</strong>utzre<strong>ch</strong>t unterliegen, ist das te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong> Mögli<strong>ch</strong>e und das wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong><br />

Zumutbare dort näher konkretisiert. Der Gesundheitss<strong>ch</strong>utz ist im Zuge der Revision<br />

des Arbeitsgesetzes260 verstärkt worden, so für s<strong>ch</strong>wangere Frauen (Art. 35ArG) und<br />

für Jugendli<strong>ch</strong>e261. 2 Ansprü<strong>ch</strong>e im Sozialversi<strong>ch</strong>erungsre<strong>ch</strong>t<br />

2.1 Das System der sozialen Si<strong>ch</strong>erheit im Sozialstaat<br />

und das Invaliditätsrisiko<br />

Die Sozialstaatli<strong>ch</strong>keit ist ein tragendes Strukturelement unseres Staates. Dies ergibt<br />

si<strong>ch</strong> aus Artikel 2 Abs. 2 und 3 der Bundesverfassung (Wohlfahrtsförderung und<br />

Chancenglei<strong>ch</strong>heit) sowie aus weiteren Sozialbestimmungen der Verfassung. Hauptpfeiler<br />

der Sozialstaatli<strong>ch</strong>keit sind die Alters- Hinterlassenen und Invalidenversi<strong>ch</strong>erung<br />

(Art. 111 und 112 BV), die berufli<strong>ch</strong>e Vorsorge (Art. 113 BV), die Arbeitslosenversi<strong>ch</strong>erung<br />

(Art. 114 BV), die Familienzulagen und die Mutters<strong>ch</strong>aftsversi<strong>ch</strong>erung<br />

(Art. 116 BV) 262, die Kranken- und Unfallversi<strong>ch</strong>erung (Art. 117 BV) sowie<br />

die kantonale Fürsorge (Art. 115 BV). Zu den typis<strong>ch</strong>en Risiken der Sozialversi<strong>ch</strong>e-<br />

258 Manfred Rehbinder, Kommentar zum S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Privatre<strong>ch</strong>t, Obligationenre<strong>ch</strong>t,<br />

Basel 1996, Art. 328, N 3, S. 1631 und 1632.<br />

259 BGE 102 II 18–22<br />

260 Bundesgesetz vom 13. März 1964 über die Arbeit in Industrie, Gewerbe und Handel<br />

(ArG, SR 822.111)<br />

261 Die Liste der für Jugendli<strong>ch</strong>e bis zum vollendeten 19. Lebensjahr und die Liste der für<br />

Jugendli<strong>ch</strong>e unter 16 Jahren verbotenen Tätigkeiten (vgl. die Verbotsliste in Art. 47 der<br />

Verordnung I) wurde erweitert. Lehrlinge bis zum vollendeten 20. Lebensjahr dürfen<br />

gewisse gefährli<strong>ch</strong>e Arbeiten ni<strong>ch</strong>t verri<strong>ch</strong>ten. Bei der Bes<strong>ch</strong>äftigung von Jugendli<strong>ch</strong>en<br />

unter 15 Jahren müssen erhebli<strong>ch</strong>e Eins<strong>ch</strong>ränkungen bea<strong>ch</strong>tet werden, bezügli<strong>ch</strong> der<br />

Dauer der Bes<strong>ch</strong>äftigung und der Art der Tätigkeit (vgl. Art. 52–55 der Verordnung 1).<br />

262 Die Mutters<strong>ch</strong>aftsversi<strong>ch</strong>erung ist bislang ni<strong>ch</strong>t verwirkli<strong>ch</strong>t worden.<br />

1830


ung wie Krankheit, Arbeitslosigkeit, Arbeitsunfälle, Berufskrankheiten, Familienlasten,<br />

Alter sowie Tod des Versorgers zählt die Invalidität. Das soziale Si<strong>ch</strong>erungssystem<br />

kommt zum Tragen, wenn ein bestimmtes Risiko eingetreten ist. Die Sozialversi<strong>ch</strong>erung<br />

knüpft «kausal» an der Ursa<strong>ch</strong>e für den Ausfall der Selbstversorgung<br />

an. Unabhängig von einer konkreten Bedürftigkeit entsteht ein Anspru<strong>ch</strong> auf eine<br />

typisierte, klar bestimmbare Versi<strong>ch</strong>erungsleistung 263. Bei der Invalidenversi<strong>ch</strong>erung<br />

wie au<strong>ch</strong> bei der Altersversi<strong>ch</strong>erung wird bei einer allfälligen Unterdeckung<br />

der Lebenshaltungskosten bis zu einem sozialen Existenzminimum die Rente aufgestockt<br />

(Ergänzungsleistungen).<br />

2.2 Die Deckung des Invaliditätsrisikos<br />

Das Risiko der Invalidität wird dur<strong>ch</strong> vers<strong>ch</strong>iedene Sozialversi<strong>ch</strong>erungen gedeckt:<br />

dur<strong>ch</strong> die Invalidenversi<strong>ch</strong>erung, die Unfallversi<strong>ch</strong>erung bei unfallbedingter Invalidität,<br />

die Militärversi<strong>ch</strong>erung und die berufli<strong>ch</strong>e Vorsorge. Im Vordergrund steht die<br />

Invaliditätsversi<strong>ch</strong>erung. Das Gesetz über die Invalidenversi<strong>ch</strong>erung definiert in Artikel<br />

4 IVG Invalidität ursa<strong>ch</strong>en- und wirkungsbezogen als «die dur<strong>ch</strong> einen körperli<strong>ch</strong>en<br />

oder geistigen Gesundheitss<strong>ch</strong>aden als Folge von Geburtsgebre<strong>ch</strong>en, Krankheit<br />

oder Unfall verursa<strong>ch</strong>te, voraussi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> bleibende oder längere Zeit dauernde<br />

Erwerbsunfähigkeit» 264. Im Vernehmlassungsentwurf der vierten IV-Revision werden<br />

die Formen der Behinderung präzisiert: neben den körperli<strong>ch</strong>en oder geistigen<br />

Gesundheitss<strong>ch</strong>äden werden die psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en als eigene Kategorie aufgezählt265. Die Gesetzgebung der Invalidenversi<strong>ch</strong>erung betra<strong>ch</strong>tet Behinderung unabhängig<br />

von den Ursa<strong>ch</strong>en und Formen als ein vornehmli<strong>ch</strong> ökonomis<strong>ch</strong>es Lebensbewältigungsproblem.<br />

Das Ausmass der Behinderung bestimmt si<strong>ch</strong> deshalb na<strong>ch</strong> den ökonomis<strong>ch</strong>en<br />

Auswirkungen im Erwerbsleben266. Die Renten werden für erwa<strong>ch</strong>sene<br />

Mens<strong>ch</strong>en na<strong>ch</strong> dem Ausmass der Behinderung bere<strong>ch</strong>net, wel<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> den ökonomis<strong>ch</strong>en<br />

Auswirkungen bemessen wird. Ist der Versi<strong>ch</strong>erte zu mindestens 40 Prozent<br />

invalid, so hat er Anspru<strong>ch</strong> auf eine Rente. Um den Invaliditätsgrad zu bestimmen,<br />

werden zwei hypothetis<strong>ch</strong>e Erwerbseinkommen zueinander in Beziehung gesetzt:<br />

Das hypothetis<strong>ch</strong>e Erwerbseinkommen na<strong>ch</strong> Eintritt der Invalidität wird ins<br />

Verhältnis gesetzt zum hypothetis<strong>ch</strong>en Erwerbseinkommen ohne Invalidität (vgl.<br />

Art. 28 Abs. 2 IVG) 267. Die Rente wird na<strong>ch</strong> dem Grad der Invalidität abgestuft und<br />

in drei Anspru<strong>ch</strong>skategorien unterteilt: ein Invaliditätsgrad von mindestens 40 Prozent<br />

ergibt eine Viertelsrente, ein Invaliditätsgrad von mindestens 50 Prozent bedeutet<br />

eine halbe Rente und ein Invaliditätsgrad von mindestens 662/3 Prozent löst<br />

eine ganze Rente aus (Art. 28 Abs. 1 IVG).<br />

263 Ledigli<strong>ch</strong> die Hilfe der kantonalen Fürsorge ist «final» ausgeri<strong>ch</strong>tet in dem Sinne, dass<br />

auss<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> die Bedürfnisse der antragsstellenden Person massgebli<strong>ch</strong> sind.<br />

264 BG vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversi<strong>ch</strong>erung, SR 831.20. Das Bundesgesetz<br />

vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversi<strong>ch</strong>erungsre<strong>ch</strong>ts (ATSG)<br />

gelangt dur<strong>ch</strong> die Verbindung seines Art. 8 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 des IVG,<br />

den es abändert (vgl. Ziff. 8 des Anhangs) zu einem verglei<strong>ch</strong>baren Ergebnis<br />

(BBl 2000 5041).<br />

265 Art. 5 Abs. 1 und Abs. 2 des Vernehmlassungsentwurfes über die vierte IV-Revision vom<br />

4. Juli 2000. Die Aufzählung der Diskriminierungstatbestände in Art. 8 Abs. 2 BV,<br />

wel<strong>ch</strong>e von Verfassungs wegen verboten sind, enthält ebenfalls die drei Behinderungsarten:<br />

körperli<strong>ch</strong>e, geistige und psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Behinderung.<br />

266 Verglei<strong>ch</strong>e dazu die Ausführungen in Ziff. 3.3 über den Wehrpfli<strong>ch</strong>tersatz.<br />

267 SR 831.20; vgl. au<strong>ch</strong>. Art. 16 ATSG und die Aufhebung von Art. 28 Abs. 2, IVG<br />

(Ziff. 8 des Anhangs; BBl 2000 5041.<br />

1831


Bei Invalidität, wel<strong>ch</strong>e dur<strong>ch</strong> einen Unfall verursa<strong>ch</strong>t wurde, kann au<strong>ch</strong> ein Anspru<strong>ch</strong><br />

auf eine Invalidenrente gemäss dem Bundesgesetz über die Unfallversi<strong>ch</strong>erung<br />

(UVG) 268 bestehen. Diese Renten werden au<strong>ch</strong> bei einem kleinen Invaliditätsgrad<br />

gewährt. Neben der medizinis<strong>ch</strong>en Grundversorgung sind 80 Prozent des versi<strong>ch</strong>erten<br />

Lohnes gedeckt. Das Taggeld beträgt bei voller Arbeitsunfähigkeit 80 Prozent<br />

des versi<strong>ch</strong>erten Verdienstes. Bei teilweiser Arbeitsunfähigkeit wird es entspre<strong>ch</strong>end<br />

gekürzt (Art. 17 Abs. 1 UVG). Die Invalidenrente beträgt bei Vollinvalidität<br />

80 Prozent des versi<strong>ch</strong>erten Verdienstes; bei Teilinvalidität wird sie entspre<strong>ch</strong>end<br />

gekürzt (Art. 20 Abs. 1 UVG). Als invalid gilt, wer voraussi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> bleibend oder für<br />

längere Zeit in seiner Erwerbsfähigkeit beeinträ<strong>ch</strong>tigt ist. Für die Bestimmung des<br />

Invaliditätsgrades wird das Erwerbseinkommen, das der Versi<strong>ch</strong>erte na<strong>ch</strong> Eintritt<br />

der unfallbedingten Invalidität und na<strong>ch</strong> Dur<strong>ch</strong>führung allfälliger Eingliederungsmassnahmen<br />

dur<strong>ch</strong> eine ihm zumutbare Tätigkeit bei ausgegli<strong>ch</strong>ener Arbeitsmarktlage<br />

erzielen könnte, in Beziehung gesetzt zum Erwerbseinkommen, das er erzielen<br />

könnte, wenn er ni<strong>ch</strong>t invalid geworden wäre (Art. 18 Abs. 2 UVG269). Der Plafond<br />

des versi<strong>ch</strong>erten Lohnes liegt bei Fr. 106 800.–.<br />

Der Anspru<strong>ch</strong> auf Invalidenleistungen na<strong>ch</strong> dem Gesetz über die berufli<strong>ch</strong>e Alters-,<br />

Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG) 270 haben Personen, die im Sinne der<br />

IV zu mindestens 50 Prozent invalid sind und bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, deren<br />

Ursa<strong>ch</strong>e zur Invalidität geführt hat, versi<strong>ch</strong>ert waren (Art. 23 BVG). Der Versi<strong>ch</strong>erte<br />

hat Anspru<strong>ch</strong> auf eine volle Invalidenrente, wenn er im Sinne der IV mindestens<br />

zu zwei Dritteln, auf eine halbe Rente, wenn er mindestens zur Hälfte invalid ist<br />

(Art. 24 Abs. 1 BVG).<br />

Hilflosigkeit im Sinne der Invalidenversi<strong>ch</strong>erung liegt vor, wenn die versi<strong>ch</strong>erte Person<br />

in mindestens zwei alltägli<strong>ch</strong>en Lebensverri<strong>ch</strong>tungen regelmässig in erhebli<strong>ch</strong>er<br />

Weise auf die Hilfe Dritter angewiesen ist oder einer dauernden persönli<strong>ch</strong>en Überwa<strong>ch</strong>ung<br />

bedarf. Daneben gibt es no<strong>ch</strong> Sonderfälle von Hilflosigkeit 271.<br />

3 Steuerre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Berücksi<strong>ch</strong>tigung der Invalidität<br />

3.1 Die Qualifizierung der IV-Leistungen und anderer<br />

Sozialversi<strong>ch</strong>erungsleistungen<br />

Für natürli<strong>ch</strong>e Personen (wie au<strong>ch</strong> für juristis<strong>ch</strong>e Personen) gilt das Prinzip der Besteuerung<br />

na<strong>ch</strong> der wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Leistungsfähigkeit. Die direkten Steuern für<br />

natürli<strong>ch</strong>e Personen werden auf allen wiederkehrenden und einmaligen Einkünften<br />

aus selbstständiger und unselbstständiger Erwerbstätigkeit sowie der Einkünfte aus<br />

Vorsorgeleistungen erhoben (Art. 16 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die direkte<br />

Bundessteuer, DBG 272; Art. 7 des Bundesgesetzes über die Harmonisierung der direkten<br />

Steuern der Kantone und Gemeinden, StHG 273). Kapitalleistungen aus Vorsorge<br />

(2. Säule, Säule 3a) sowie Zahlungen bei Tod oder für bleibende körperli<strong>ch</strong>e<br />

Na<strong>ch</strong>teile unterliegen einer vom übrigen Einkommen getrennt bere<strong>ch</strong>neten Jahressteuer<br />

zu einem privilegierten Satz (Art. 38 DBG und Art. 11 Abs. 3 StHG).<br />

268 SR 832.20<br />

269 Vgl. den neuen Art. 18 UVG, der dur<strong>ch</strong> das ATSG (Ziff. 12 des Anhangs) geändert<br />

wurde, und Art. 16 LPGA; BBl 2000 5041.<br />

270 SR 831.40<br />

271 Art. 36 IVV, SR 831.201<br />

272 SR 642.11<br />

273 SR 642.14<br />

1832


Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen sind, wenn sie ni<strong>ch</strong>t mehr in das Erwerbsleben integriert<br />

werden können, auf «Ersatzeinkommen» angewiesen, d.h. auf Geldleistungen,<br />

wel<strong>ch</strong>e als Ersatz oder als Ergänzung des Einkommens dienen. Als steuerbare Ersatzeinkünfte<br />

gelten auf Grund der Ums<strong>ch</strong>reibung der steuerbaren Einkünfte namentli<strong>ch</strong><br />

Taggelder und Renten der Sozialversi<strong>ch</strong>erungen, so der Militärversi<strong>ch</strong>erung, der<br />

AHV/IV, der Unfallversi<strong>ch</strong>erung sowie der berufli<strong>ch</strong>en Vorsorge. Einige wenige<br />

Einkünfte sind aus sozialpolitis<strong>ch</strong>en Gründen steuerfrei. So sind Einkünfte auf<br />

Grund der Bundesgesetzgebung über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen-<br />

und Invalidenversi<strong>ch</strong>erung steuerfrei (Art. 24 Bst. h DBG; Art. 7 Abs. 4 Bst. k<br />

StHG). Die Steuerbefreiung gilt au<strong>ch</strong> für Unterstützungen aus öffentli<strong>ch</strong>en oder privaten<br />

Mitteln (Art. 24 Bst. d DBG; Art. 7 Abs. 4 Bst. f StHG). Unterstützungsleistungen,<br />

wel<strong>ch</strong>e in Erfüllung familienre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>er Verpfli<strong>ch</strong>tungen geleistet werden,<br />

sind ebenfalls steuerfrei; ausgenommen sind die von ges<strong>ch</strong>iedenen, geri<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> oder<br />

tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> getrennt lebenden Ehegatten erhaltenen Unterhaltsbeiträge sowie die<br />

Unterhaltsbeiträge für die Kinder (Alimente), wel<strong>ch</strong>e ein Elternteil für die Kinder<br />

erhält, für die er die elterli<strong>ch</strong>e Sorge innehat (Besteuerung na<strong>ch</strong> dem Zuflussprinzip<br />

bei dem Elternteil, dem die Leistungen zufliessen; Art. 24 Bst. e DBG, Art. 7 Abs. 4<br />

Bst. g StHG).<br />

Zu den steuerfreien einmaligen Einkünften zählen au<strong>ch</strong> die Genugtuungsleistungen<br />

(Art. 24 Bst. g DBG; Art. 7 Abs. 4 Bst. 1 StHG). Sie werden ges<strong>ch</strong>uldet von Privaten,<br />

die Urheber einer widerre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Tötung eines Mens<strong>ch</strong>en, einer widerre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en<br />

Körperverletzung oder einer Verletzung der Persönli<strong>ch</strong>keit sind (Art. 47 und<br />

49 OR).<br />

Von der Steuerbefreiung na<strong>ch</strong> Artikel 24 Bst. g DBG und Artikel 7 Abs. 4 Bst. i<br />

StHG erfasst werden au<strong>ch</strong> Integritätsents<strong>ch</strong>ädigungen, wel<strong>ch</strong>e gestützt auf Artikel 24<br />

UVG oder Artikel 48–50 MVG ausgeri<strong>ch</strong>tet werden274. 3.2 Die Berücksi<strong>ch</strong>tigung der Krankheits- und Invaliditätskosten<br />

im Steuerre<strong>ch</strong>t<br />

Von den gesamten steuerbaren Einkünften werden die zur Erzielung notwendigen<br />

Aufwendungen und die allgemeinen Abzüge abgere<strong>ch</strong>net, um das Nettoeinkommen<br />

des Steuerpfli<strong>ch</strong>tigen zu ermitteln275. Die Auslagen, wel<strong>ch</strong>e eine Person mit Behinderung<br />

beispielsweise für den Transport zum Arbeitsort aufwendet, können als Gewinnungskosten<br />

von den Einkünften abgezogen werden. Zu den allgemeinen Abzügen<br />

zählen namentli<strong>ch</strong> die Krankheits-, Unfall- und Invaliditätskosten des Steuerpfli<strong>ch</strong>tigen<br />

und der von ihm unterhaltenen Personen, soweit der Steuerpfli<strong>ch</strong>tige die<br />

Kosten selber trägt, sie 5% des steuerbaren Einkommens übersteigen, und diese<br />

einen vom kantonalen Re<strong>ch</strong>t bestimmten Selbstbehalt übersteigen (Art. 33 Abs.1<br />

Bst. h DBG und Art. 9 Abs. 2 Bst. h StHG). Krankheits- und Invaliditätskosten sind<br />

also, abgesehen vom Selbstbehalt, in vollem Umfange abziehbar276. Von Gesetzes wegen sind sowohl bei den Steuern des Bundes wie der Kantone die<br />

mit dem Beruf zusammenhängenden Weiterbildungs- und Ums<strong>ch</strong>ulungskosten ab-<br />

274 Markus Rei<strong>ch</strong> in: Kommentar zum S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Steuerre<strong>ch</strong>t, I/1, Art.7 StHG, N. 105,<br />

S. 110.<br />

275 Die zur Erzielung des Einkommens notwendigen Auslagen werden au<strong>ch</strong> «Gewinnungskosten»<br />

genannt (Art. 26–32 DBG; Art. 9 Abs. 1 StHG).<br />

276 Markus Rei<strong>ch</strong> in: Kommentar zum S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Steuerre<strong>ch</strong>t, I/1, Art. 9 StHG, N.30,<br />

S. 145.<br />

1833


ziehbar (Art. 26 Abs. 1 Bst. d DBG; Art. 9 Abs.1 Satz 2 StHG). Die Vorbereitung<br />

auf einen anderen, neuen Beruf erfüllt das Erfordernis des Zusammenhanges der<br />

Bildungsmassnahme mit dem angestammten Beruf, soweit die Ums<strong>ch</strong>ulung auf<br />

Grund einer eingetretenen Behinderung notwendig und zur Erhaltung oder zur wesentli<strong>ch</strong>en<br />

Verbesserung der Erwerbsfähigkeit unabdingbar ist. Diese Kosten werden<br />

zusätzli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> von der IV unterstützt (Art. 17 IVG; Art. 6 Abs. 1 IVV). Wenn eine<br />

versi<strong>ch</strong>erte Person Anspru<strong>ch</strong> auf Ums<strong>ch</strong>ulung hat, so übernimmt die IV die Kosten<br />

für die Ausbildung sowie für die Unterkunft und die Verpflegung in der Ausbildungsstätte<br />

(vgl. Art. 6 IVV).<br />

3.3 Wehrpfli<strong>ch</strong>tersatz<br />

Grundsätzli<strong>ch</strong> müssen gemäss Artikel 1 des Bundesgesetzes über den Wehrpfli<strong>ch</strong>tersatz<br />

(WPEG) 277 alle S<strong>ch</strong>weizer Bürger, die ihre Wehrpfli<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t oder nur teilweise<br />

dur<strong>ch</strong> persönli<strong>ch</strong>e Dienstleistung (Militär oder Zivildienst) erfüllen, einen Ersatz in<br />

Geld leisten. Dies bedeutet, dass au<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>weizer Bürger mit Behinderungen, wel<strong>ch</strong>e<br />

den Militärdienst ni<strong>ch</strong>t leisten können, grundsätzli<strong>ch</strong> ersatzpfli<strong>ch</strong>tig werden. Dies<br />

erklärt si<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong>, dass der Militärdienst eine Grundpfli<strong>ch</strong>t für alle S<strong>ch</strong>weizer<br />

Bürger ist. Nur na<strong>ch</strong> den Voraussetzungen von Artikel 4 WPEG wird der Betroffene<br />

von der Ersatzpfli<strong>ch</strong>t befreit, so namentli<strong>ch</strong> wenn er von einer erhebli<strong>ch</strong>en körperli<strong>ch</strong>en<br />

oder geistigen Behinderung betroffen ist und wenn zuglei<strong>ch</strong> sein Einkommen<br />

das betreibungsre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Existenzminimum um ni<strong>ch</strong>t mehr als 100 Prozent übersteigt<br />

(vgl. Art. 4 Abs. 1 Bst. a WPEG), oder wenn er eine Rente oder eine Hilflosenents<strong>ch</strong>ädigung<br />

der IV oder der UV bezieht, oder wenn er zumindest eine der<br />

zwei erforderli<strong>ch</strong>en Voraussetzungen für eine Hilflosenents<strong>ch</strong>ädigung erfüllt (Art. 4<br />

Abs. 1 Bst. abis und ater WPEG).<br />

Anspru<strong>ch</strong> auf eine Hilflosenents<strong>ch</strong>ädigung der IV besteht, wenn der Versi<strong>ch</strong>erte «in<br />

mindestens zwei alltägli<strong>ch</strong>en Lebensverri<strong>ch</strong>tungen regelmässig in erhebli<strong>ch</strong>er Weise<br />

auf die Hilfe Dritter angewiesen ist» (Art. 36 der Verordnung über die Invalidenversi<strong>ch</strong>erung,<br />

IVV) 278. Für die Beurteilung, ob im Einzelfall eine erhebli<strong>ch</strong>e körperli<strong>ch</strong>e<br />

oder geistige Behinderung (Art. 4 Abs. 1 Bst. a WPEG) vorliegt, wird ni<strong>ch</strong>t auf<br />

den Mindestgrad an Invalidität abgestellt, wel<strong>ch</strong>er für die Zuspre<strong>ch</strong>ung einer Invalidenrente<br />

erforderli<strong>ch</strong> ist, weil es si<strong>ch</strong> beim Invaliditätsgrad im Sinne der IV um einen<br />

wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Begriff handelt279. Der Begriff ist im medizinis<strong>ch</strong>en Sinne zu<br />

verstehen280. In der Praxis gilt eine Behinderung, die einer Integritätsents<strong>ch</strong>ädigung von 40 und<br />

mehr Prozent entspri<strong>ch</strong>t, wenn sie unfallbedingt wäre (Art. 24 UVG und Art. 36<br />

UVV), als erhebli<strong>ch</strong>281. 11303<br />

277 SR 661<br />

278 SR 831.201. Als alltägli<strong>ch</strong>e Lebensverri<strong>ch</strong>tungen gelten na<strong>ch</strong> der Geri<strong>ch</strong>tspraxis im<br />

Sinne einer abs<strong>ch</strong>liessenden Aufzählung folgende Aktivitäten: 1. Ankleiden und<br />

Ausziehen; 2. Aufstehen, Absitzen, Abliegen; 3. Essen; 4 Körperpflege; 5. Verri<strong>ch</strong>ten der<br />

Notdurft; 6. Fortbewegung, Kontaktaufnahme. Verglei<strong>ch</strong>e BGE 121 V 88, 124 II 241,<br />

247 und 248.<br />

279 Verglei<strong>ch</strong>e dazu die Ausführungen weiter vorn in Anhang 3 unter 2.2: Die Deckung des<br />

Invaliditätsrisikos sowie Art. 28 Abs. 2 IVG (SR 831.20).<br />

280 BGE 124 II 247<br />

281 BGE 126 II 275<br />

1834


Inhaltsverzei<strong>ch</strong>nis<br />

Übersi<strong>ch</strong>t 1716<br />

1 Text und Entstehungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Volksinitiative 1719<br />

1.1 Form und Gültigkeit 1719<br />

1.1.1 Wortlaut 1719<br />

1.1.2 Zustandekommen 1719<br />

1.1.3 Gültigkeit 1719<br />

1.1.3.1 Einheit der Form 1719<br />

1.1.3.2 Einheit der Materie 1720<br />

1.1.3.3 Dur<strong>ch</strong>führbarkeit der Initiative<br />

1.1.3.4 Übereinstimmung mit den zwingenden Bestimmungen des<br />

1720<br />

Völkerre<strong>ch</strong>ts 1721<br />

1.2 Entstehungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te und Zweck der Initiative 1721<br />

1.2.1 Die Lancierung der Initiative 1721<br />

1.2.2 Der Gesi<strong>ch</strong>tspunkt der Urheber der Initiative 1722<br />

1.3 Behandlungsfristen 1722<br />

2 Allgemeines 1723<br />

2.1 Zur Situation der Behinderten in der S<strong>ch</strong>weiz 1723<br />

2.1.1 Der Begriff der Behinderung<br />

2.1.2 Behinderung als existenzielle Beeinträ<strong>ch</strong>tigung und besondere<br />

1723<br />

Herausforderung an die Lebensbewältigung 1725<br />

2.1.3 Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen im Arbeitsprozess 1726<br />

2.1.3.1 Allgemeines 1726<br />

2.1.3.2 Ges<strong>ch</strong>ützte Werkstätten 1726<br />

2.1.3.3 Neue Integrationsformen<br />

2.1.4 Das statistis<strong>ch</strong>e Bild von Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen in der<br />

1727<br />

S<strong>ch</strong>weiz 1728<br />

2.1.4.1 Zur Datenlage 1728<br />

2.1.4.2 Gesamtzahl der behinderten Personen 1729<br />

2.1.4.3 Ursa<strong>ch</strong>en der Behinderungen 1729<br />

2.1.4.4 Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit des Bezugs einer IV-Rente 1730<br />

2.1.4.5 Entwicklung der Invalidität seit 1992 1731<br />

2.1.4.6 Kinder und minderjährige Jugendli<strong>ch</strong>e mit Behinderungen 1731<br />

2.1.4.7 Mobilitätsbehinderung<br />

2.2 Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen als Träger von spezifis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en-<br />

1733<br />

und Freiheitsre<strong>ch</strong>ten 1734<br />

2.2.1 Allgemeine Re<strong>ch</strong>tsentwicklung 1734<br />

2.2.2 Besondere Gefahr der Diskriminierung 1735<br />

2.3 Re<strong>ch</strong>tsverglei<strong>ch</strong> 1736<br />

2.3.1 Verglei<strong>ch</strong> mit den Re<strong>ch</strong>tsordnungen ausgewählter Staaten<br />

2.3.1.1 Besondere Verfassungsbestimmungen und besondere<br />

1736<br />

Behindertengesetze 1736<br />

2.3.1.2 Arbeitsre<strong>ch</strong>t 1737<br />

2.3.1.3 Bauli<strong>ch</strong>e Anpassungen von Gebäuden 1740<br />

2.3.1.4 Erziehungswesen 1742<br />

1835


2.3.1.5 Öffentli<strong>ch</strong>er Verkehr 1744<br />

2.3.1.6 Kommunikation 1745<br />

2.3.2 Das Re<strong>ch</strong>t der Kantone 1747<br />

2.3.2.1 Allgemeines 1747<br />

2.3.2.2 Bes<strong>ch</strong>äftigung 1748<br />

2.3.2.3 Bauten 1749<br />

2.3.2.4 Ausbildung 1750<br />

2.3.2.5 Öffentli<strong>ch</strong>er Verkehr 1751<br />

2.3.2.6 Steuern 1752<br />

2.4 Die Initiative Suter und die Vernehmlassung von 1999 1753<br />

2.4.1 Die parlamentaris<strong>ch</strong>e Initiative Suter 1753<br />

2.4.2 Die Vernehmlassung von 1999 1754<br />

2.4.2.1 Allgemeines 1754<br />

2.4.2.2 Re<strong>ch</strong>tsgrundlagen auf Verfassungsstufe 1754<br />

2.4.2.3 Künftige Gesetzgebung 1754<br />

3 Analyse und Würdigung der Volksinitiative 1755<br />

3.1 Re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Analyse 1755<br />

3.1.1 Auslegung des Initiativtextes 1755<br />

3.1.1.1 Allgemeines 1755<br />

3.1.1.2 Das Diskriminierungsverbot (Abs. 1) 1756<br />

3.1.1.3 Der Gesetzgebungsauftrag (Abs. 2) 1756<br />

3.1.1.3.1 Erster Satz 1756<br />

3.1.1.3.2 Zweiter Satz 1758<br />

3.1.1.4 Gewährleistung eines subjektiven Re<strong>ch</strong>ts (Abs. 3) 1759<br />

3.1.2 Direkte Anwendung 1761<br />

3.2 Anpassung an die neue Verfassung 1761<br />

3.2.1 Eingliederung in die neue verfassungsmässige Systematik 1761<br />

3.2.2 Eingliederung von Absatz 1 1762<br />

3.2.3 Eingliederung von Absatz 2 1762<br />

3.2.4 Eingliederung von Absatz 3 1762<br />

3.2.5 An die neue Verfassung angepasster Text 1763<br />

3.3 Folgen der Initiative 1763<br />

3.3.1 Positive Aspekte 1763<br />

3.3.2 Negative Aspekte<br />

3.4 Antrag: Ablehnung der Initiative und Vorlage eines indirekten<br />

1763<br />

Gegenentwurfs<br />

4 Indirekter Gegenentwurf: Entwurf zu einem Bundesgesetz über die<br />

Beseitigung von Bena<strong>ch</strong>teiligungen von Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen<br />

1766<br />

(Behindertenglei<strong>ch</strong>stellungsgesetz) 1766<br />

4.1 Vorentwurf und Vernehmlassung 2000 1766<br />

4.1.1 Vorentwurf 1766<br />

4.1.2 Ergebnisse der Vernehmlassung 1767<br />

4.1.3 Überarbeitungen des Vorentwurfs 1772<br />

4.2 Ansatz des Gesetzesentwurfs 1773<br />

4.3 Erläuterungen zum Entwurf 1774<br />

1836


4.3.1 Allgemeine Präsentation 1774<br />

4.3.2 Die einzelnen Bestimmungen 1775<br />

4.3.3 Anpassungen geltenden Re<strong>ch</strong>ts<br />

4.3.4 Bundesbes<strong>ch</strong>luss über die Finanzierung der Massnahmen im<br />

1788<br />

öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr zu Gunsten von Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen1789<br />

4.3.5 Organisatoris<strong>ch</strong>e Fragen 1790<br />

4.4 Weitere Gesetzesrevisionen 1791<br />

4.4.1 Allgemeines 1791<br />

4.4.2 Revision des Bundesgesetzes über die Berufsbildung 1791<br />

4.4.3 Revision der Invalidenversi<strong>ch</strong>erung 1792<br />

4.4.4 Anreizme<strong>ch</strong>anismen zur Bes<strong>ch</strong>äftigung 1793<br />

4.4.5 Revision des Radio- und Fernsehgesetzes 1794<br />

4.4.6 Revision des Bundesgesetzes über die Arbeitslosenversi<strong>ch</strong>erung<br />

4.4.7 Arbeiten an einem Bundesgesetz über die Amtsspra<strong>ch</strong>en des<br />

Bundes und über die Förderung der Verständigung zwis<strong>ch</strong>en den<br />

1794<br />

spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en und kulturellen Gemeins<strong>ch</strong>aften der S<strong>ch</strong>weiz 1795<br />

4.4.8 Neuer Finanzausglei<strong>ch</strong> 1796<br />

5 Auswirkungen des indirekten Gegenentwurfs 1796<br />

5.1 Allgemeines 1796<br />

5.2 Auswirkungen auf den Bund 1797<br />

5.2.1 Finanzielle Auswirkungen 1797<br />

5.2.2 Personelle Auswirkungen 1800<br />

5.2.3 Übersi<strong>ch</strong>t über die finanziellen Auswirkungen 1801<br />

5.2.4 Ausgabenbremse 1801<br />

5.3 Auswirkungen auf die Kantone und die Gemeinden 1801<br />

5.3.1 Finanzielle Auswirkungen 1801<br />

5.3.2 Personelle Auswirkungen 1803<br />

5.4 Volkswirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Auswirkungen 1803<br />

5.4.1 Zugang zu Gebäuden und Anlagen 1803<br />

5.4.2 Zugang zu öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrsmitteln 1804<br />

5.4.3 Bau und Ausrüstung der Fahrzeuge 1805<br />

5.4.4 Dienstleistungen 1806<br />

5.4.5 Informatik 1806<br />

5.4.6 Fernmeldedienstleistungen 1806<br />

5.4.7 Sendungen für Hörges<strong>ch</strong>ädigte 1807<br />

5.4.8 Auswirkungen auf private Arbeitgeber 1807<br />

5.5 Praktis<strong>ch</strong>e Aspekte des Vollzugs 1808<br />

6 Legislaturplanung 1809<br />

7Völkerre<strong>ch</strong>t<br />

7.1 UNO 1809<br />

1809<br />

7.1.1 Empfehlungen und Programme 1809<br />

7.1.2 Konventionen 1809<br />

7.1.2.1 Allgemeine Diskriminierungsverbote der UNO-Pakte<br />

7.1.2.2 Internationaler Pakt über wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e, soziale und<br />

1809<br />

kulturelle Re<strong>ch</strong>te (Pakt I) 1810<br />

1837


7.1.2.3 Übereinkommen über die Re<strong>ch</strong>te des Kindes 1811<br />

7.1.3 Internationale Arbeitsorganisation 1811<br />

7.2 Europarat 1811<br />

7.2.1 Empfehlung<br />

7.2.2 Europäis<strong>ch</strong>e Konvention zum S<strong>ch</strong>utze der Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te und<br />

1811<br />

Grundfreiheiten und Zusatzprotokoll Nr. 12 1812<br />

7.2.3 Europäis<strong>ch</strong>e Sozial<strong>ch</strong>arta 1813<br />

7.3 Europäis<strong>ch</strong>e Gemeins<strong>ch</strong>aft 1813<br />

8 Re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Grundlagen 1815<br />

8.1 Verfassungsmässigkeit 1815<br />

8.1.1 Artikel 8 Absatz 4 1815<br />

8.1.2 Andere Verfassungsgrundlagen 1817<br />

8.2 Gesetzgebungsdelegationen 1818<br />

8.3 Form des zu erlassenden Akts<br />

8.4 Re<strong>ch</strong>tsgrundlage des Bundesbes<strong>ch</strong>lusses über die Finanzierung der<br />

Massnahmen im öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr zu Gunsten von Mens<strong>ch</strong>en mit<br />

1818<br />

Behinderungen<br />

Anhänge<br />

1819<br />

1 Daten über Gebre<strong>ch</strong>ensgruppen, Funktionsausfälle und Ursa<strong>ch</strong>en 1820<br />

2 IV-Versi<strong>ch</strong>erte und erbra<strong>ch</strong>te Leistungen (Auszug aus der IV-Statistik<br />

1999) 1822<br />

3 Anspru<strong>ch</strong> auf Hilfe und Unterstützung für Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen<br />

im Zivilre<strong>ch</strong>t und im Sozialversi<strong>ch</strong>erungsre<strong>ch</strong>t; Berücksi<strong>ch</strong>tigung der Behinderung<br />

im Steuerre<strong>ch</strong>t 1824<br />

Bundesbes<strong>ch</strong>luss betreffend die Volksinitiative «Glei<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te für<br />

Behinderte» (Entwurf)<br />

Bundesgesetz über die Beseitigung von Bena<strong>ch</strong>teiligungen von Mens<strong>ch</strong>en<br />

1839<br />

mit Behinderungen (Behindertenglei<strong>ch</strong>stellungsgesetz, BehiG (Entwurf)<br />

Bundesbes<strong>ch</strong>luss über die Finanzierung der Massnahmen im öffentli<strong>ch</strong>en<br />

1840<br />

Verkehr zu Gunsten von Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen (Entwurf) 1849<br />

1838

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