Bbl 2001 1715 - admin.ch
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00.094<br />
Bots<strong>ch</strong>aft<br />
zur Volksinitiative «Glei<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te für Behinderte»<br />
und zum Entwurf eines Bundesgesetzes über die Beseitigung<br />
von Bena<strong>ch</strong>teiligungen behinderter Mens<strong>ch</strong>en<br />
vom 11. Dezember 2000<br />
Sehr geehrter Herr Präsident,<br />
sehr geehrte Frau Präsidentin,<br />
sehr geehrte Damen und Herren,<br />
wir unterbreiten Ihnen zusammen mit der vorliegenden Bots<strong>ch</strong>aft den Entwurf zu<br />
einem Bes<strong>ch</strong>luss über die Volksinitiative «Glei<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te für Behinderte». Wir beantragen<br />
Ihnen, diese Volk und Ständen mit der Empfehlung auf Ablehnung zur Abstimmung<br />
ohne direkten Gegenvors<strong>ch</strong>lag zu unterbreiten.<br />
Ferner unterbreiten wir Ihnen den Entwurf zu einem Bundesgesetz über die Beseitigung<br />
von Bena<strong>ch</strong>teiligungen von Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen sowie einen Entwurf<br />
zu einem Bundesbes<strong>ch</strong>luss über die Finanzierung der Massnahmen im öffentli<strong>ch</strong>en<br />
Verkehr zu Gunsten behinderter Mens<strong>ch</strong>en, beide Entwürfe mit Antrag auf<br />
Zustimmung.<br />
Wir s<strong>ch</strong>lagen Ihnen die Abs<strong>ch</strong>reibung des folgenden parlamentaris<strong>ch</strong>en Vorstosses<br />
vor:<br />
1999 M 99.3192 Glei<strong>ch</strong>stellungsgesetz für Behinderte<br />
(N 8.10.99, Jost Gross; S 06.06.00).<br />
Wir versi<strong>ch</strong>ern Sie, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr<br />
geehrte Damen und Herren, unserer vorzügli<strong>ch</strong>en Ho<strong>ch</strong>a<strong>ch</strong>tung.<br />
11. Dezember 2000 Im Namen des S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Bundesrates<br />
11303<br />
Der Bundespräsident: Adolf Ogi<br />
Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz<br />
2000-2479 <strong>1715</strong>
Übersi<strong>ch</strong>t<br />
Die Frage der Glei<strong>ch</strong>stellung der behinderten mit den ni<strong>ch</strong>t behinderten Personen<br />
ist eines der besonders wi<strong>ch</strong>tigen politis<strong>ch</strong>en Anliegen der letzten Jahre. Eng verknüpft<br />
mit der Politik der Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te, fügt es si<strong>ch</strong> nahtlos in die Perspektive<br />
einer Politik der gegenseitigen Toleranz und Solidarität zwis<strong>ch</strong>en allen Mitgliedern<br />
der Gesells<strong>ch</strong>aft ein. In diesem Sinne verdient das eigentli<strong>ch</strong>e Anliegen der Volksinitiative<br />
«Glei<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te für Behinderte» unsere Unterstützung. Überdies hat bereits<br />
die neue Bundesverfassung vom 18. April 1999 si<strong>ch</strong> diese Idee zu eigen gema<strong>ch</strong>t<br />
und die Gesetzgeber von Bund und Kantonen beauftragt, die Bena<strong>ch</strong>teiligungen<br />
zu beseitigen, wel<strong>ch</strong>e behinderte Personen beeinträ<strong>ch</strong>tigen (geltender Art. 8<br />
Abs. 4). Da das Ziel ni<strong>ch</strong>t in Frage gestellt wird, muss das zur Umsetzung einer Politik<br />
zu Gunsten der Glei<strong>ch</strong>stellung der Behinderten am besten geeignete Instrument<br />
gefunden werden.<br />
Die Volksinitiative ist am 14. Juni 1999 bei der Bundeskanzlei in Form eines ausgearbeiteten<br />
Entwurfs eingerei<strong>ch</strong>t worden. Sie verlangt die Ergänzung der Bundesverfassung<br />
mit einer neuen Bestimmung, die einen Gesetzgebungsauftrag erteilt, für<br />
die Glei<strong>ch</strong>stellung zu sorgen, und die Massnahmen im Hinblick auf die Beseitigung<br />
und den Ausglei<strong>ch</strong> bestehender Bena<strong>ch</strong>teiligungen verlangt. Ferner gewährleistet<br />
sie direkt, soweit wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> zumutbar, den Zugang zu Bauten und Anlagen oder<br />
die Inanspru<strong>ch</strong>nahme von Einri<strong>ch</strong>tungen und Leistungen, die für die Öffentli<strong>ch</strong>keit<br />
bestimmt sind.<br />
Die Formulierung des von der Initiative vorgesehenen Gesetzgebungsauftrags ist<br />
offen gehalten. Von daher unters<strong>ch</strong>eidet er si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t wesentli<strong>ch</strong> von demjenigen,<br />
wie er bereits in Artikel 8 Absatz 4 der neuen Bundesverfassung niedergelegt ist.<br />
Anders verhält es si<strong>ch</strong> hingegen bezügli<strong>ch</strong> der Gewährleistung des Zugangs zu<br />
Bauten oder der Inanspru<strong>ch</strong>nahme von Leistungen. Diese Gewährleistung bringt<br />
auf Verfassungsebene ein subjektives Re<strong>ch</strong>t, das sowohl an die Privatpersonen als<br />
au<strong>ch</strong> an die Gemeinwesen geri<strong>ch</strong>tet ist. Sie bes<strong>ch</strong>lägt alle öffentli<strong>ch</strong> zugängli<strong>ch</strong>en<br />
Bauten und Anlagen, seien sie neu oder bereits bestehend. Sie umfasst Leitungen<br />
jegli<strong>ch</strong>er Art, seien sie vom Staat oder von Privatpersonen erbra<strong>ch</strong>t. Sie bringt eine<br />
identis<strong>ch</strong>e Regelung für die Bauten und die Leistungen. Die Regelung umfasst somit<br />
eine Verpfli<strong>ch</strong>tung zur Anpassung, die mit dem Inkrafttreten der Verfassungsbestimmung<br />
vollzogen werden muss. Die einzige S<strong>ch</strong>ranke, die anerkannt wird, ist das<br />
Verhältnismässigkeitsprinzip, namentli<strong>ch</strong> in Bezug auf seinen wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />
Aspekt.<br />
Da das Re<strong>ch</strong>t auf Zugang oder Inanspru<strong>ch</strong>nahme direkt anwendbar ist, obläge seine<br />
Umsetzung den Geri<strong>ch</strong>ten, zumindest insoweit, als die Gesetzgeber ni<strong>ch</strong>t legiferiert<br />
hätten. Diese Umsetzung impliziert nun aber politis<strong>ch</strong>e Ents<strong>ch</strong>eidungen, die in<br />
demokratis<strong>ch</strong>en Gesetzgebungsverfahren getroffen werden sollten. Ferner hätte ein<br />
derart offen formuliertes Re<strong>ch</strong>t auf Zugang erhebli<strong>ch</strong>e finanzielle Auswirkungen für<br />
den Einzelnen und die betroffenen Privatunternehmen sowie für das Gemeinwesen.<br />
Aus diesen Gründen beantragen wir, die Volksinitiative «Glei<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te für Behin-<br />
1716
derte» Volk und Ständen mit der Empfehlung auf Ablehnung zur Abstimmung zu<br />
unterbreiten.<br />
Der geltende Artikel 8 Absatz 4 der Bundesverfassung erteilt den vers<strong>ch</strong>iedenen Gesetzgebern<br />
den verbindli<strong>ch</strong>en Auftrag, die Bena<strong>ch</strong>teiligungen der Behinderten zu<br />
beseitigen. Um diesen Auftrag der neuen Verfassung umzusetzen, sowie als Antwort<br />
auf eine in den Räten im Juni 2000 überwiesene parlamentaris<strong>ch</strong>e Motion<br />
(99.3192), haben wir uns an die Erarbeitung eines Gesetzesentwurfs gema<strong>ch</strong>t. Der<br />
Erlass eines Gesetzes s<strong>ch</strong>eint uns der beste Weg zu sein, um das Hauptanliegen der<br />
Volksinitiative, das heisst die Förderung der Glei<strong>ch</strong>stellung zu Gunsten der Behinderten,<br />
erfüllen zu können. Was das subjektive Re<strong>ch</strong>t anbelangt, hat ein Bundesgesetz<br />
gegenüber einer verfassungsmässigen Gewährleistung den Vorteil, dass die Berei<strong>ch</strong>e,<br />
in denen Massnahmen erforderli<strong>ch</strong> sind, genau bezei<strong>ch</strong>net, das Ausmass dieser<br />
Massnahmen definiert, der Grundsatz der Verhältnismässigkeit konkretisiert und<br />
der Rhythmus der Anpassungen festgelegt werden können.<br />
Der Gesetzesentwurf ist auf den öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr, die für die Öffentli<strong>ch</strong>keit bestimmten<br />
Bauten, die Wohngebäude mit mehr als a<strong>ch</strong>t Wohneinheiten sowie die Gebäude<br />
mit vielen Arbeitsplätzen geri<strong>ch</strong>tet, unabhängig davon, ob sie Privatpersonen<br />
oder dem Gemeinwesen gehören. Was andere Bauten als diejenigen des öffentli<strong>ch</strong>en<br />
Verkehrs angeht, betrifft die Regelung nur die neuen oder erneuerten Objekte und<br />
sieht somit keine generelle Verpfli<strong>ch</strong>tung zur Anpassung vor; hingegen werden die<br />
Bauten für den Betrieb des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs (soweit wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> vertretbar)<br />
einer Sonderregelung unterworfen, die eine sol<strong>ch</strong>e Verpfli<strong>ch</strong>tung vorsieht. Dieser<br />
Unters<strong>ch</strong>ied re<strong>ch</strong>tfertigt es, dass der Bund an den dur<strong>ch</strong> den Gesetzesentwurf verursa<strong>ch</strong>ten<br />
zusätzli<strong>ch</strong>en Kosten nur bezügli<strong>ch</strong> des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs und ni<strong>ch</strong>t bezügli<strong>ch</strong><br />
der Bauten im Allgemeinen partizipiert. Der Entwurf soll si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> auf die<br />
der Öffentli<strong>ch</strong>keit angebotenen Dienstleistungen des Staates, konzessionierter Unternehmen<br />
oder Privater erstrecken. Au<strong>ch</strong> hier unters<strong>ch</strong>eidet die Regelung je na<strong>ch</strong><br />
der Eigens<strong>ch</strong>aft des Leistungserbringers; für die Privatpersonen sieht das Gesetz<br />
nur ein Diskriminierungsverbot im Sinne von Artikel 8 Absatz 2 der Bundesverfassung<br />
vor, währenddem sie den Gemeinwesen oder den konzessionierten Unternehmen<br />
die Verpfli<strong>ch</strong>tung auferlegt, ihre Leistungen behindertengere<strong>ch</strong>t zu erbringen.<br />
Ausserdem sieht der Gesetzesentwurf beim Zugang zu Bauten und Leistungen subjektive<br />
Re<strong>ch</strong>te vor. In Übereinstimmung mit dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit<br />
werden diese subjektiven Re<strong>ch</strong>te indessen nur dann anerkannt, wenn das konkrete<br />
Interesse der behinderten Person hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> des Zugangs zu Bauten oder<br />
Leistungen höher zu gewi<strong>ch</strong>ten ist als die entgegenstehenden Interessen einer anderen<br />
Privatperson oder andere öffentli<strong>ch</strong>e Interessen. Für die Anpassung der Infrastrukturen<br />
im Berei<strong>ch</strong> des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs bestimmt der Entwurf eine Frist von<br />
20 Jahren. Er ermä<strong>ch</strong>tigt ferner den Bund, den Unternehmen des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs<br />
Beiträge zu gewähren, um die dur<strong>ch</strong> den Entwurf verursa<strong>ch</strong>ten zusätzli<strong>ch</strong>en<br />
Kosten teilweise zu finanzieren.<br />
S<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> sieht der Gesetzentwurf Änderungen des geltenden Re<strong>ch</strong>ts bei den Steuern,<br />
dem Strassenverkehr sowie dem Fernmeldewesen vor.<br />
Die finanziellen Auswirkungen des Gesetzes sind si<strong>ch</strong>er bedeutend, do<strong>ch</strong> deutli<strong>ch</strong><br />
kleiner als diejenigen im Fall der Annahme der Initiative. Diese erhebli<strong>ch</strong>e Diffe-<br />
1717
enz ist vor allem auf den unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en materiellen Geltungsberei<strong>ch</strong>, die geforderten<br />
Anpassungs-Standards sowie den für die Umsetzung bes<strong>ch</strong>lossenen Rhythmus<br />
zurückzuführen. Der Gesetzesentwurf zei<strong>ch</strong>net si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> folgende Grundzüge<br />
aus: Leistungen Privater sind nur erfasst, wenn eine Diskriminierung vorliegt; hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong><br />
der Bauten besteht, mit Ausnahme des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs, keine Verpfli<strong>ch</strong>tung<br />
zur Anpassung; die Anpassungsfristen für den öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr betragen<br />
20 und 10 Jahre; erweisen si<strong>ch</strong> die Kosten der Infrastrukturanpassung im<br />
Verglei<strong>ch</strong> zum individuellen Nutzen für eine behinderte Person als unverhältnismässig,<br />
sind Ersatzmassnahmen erlaubt. Der Berei<strong>ch</strong> des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs hat<br />
die Verpfli<strong>ch</strong>tung zur Anpassung, was ihn von den anderen Berei<strong>ch</strong>en unters<strong>ch</strong>eidet.<br />
Dort sind deshalb au<strong>ch</strong> die hö<strong>ch</strong>sten Mehrkosten zu erwarten. Aus diesem Grund<br />
beantragen wir, dass der Bund si<strong>ch</strong> an der Finanzierung dieser Kosten bis zu einem<br />
Betrag von 300 Millionen Franken beteiligt, und zwar während einer Periode von<br />
20 Jahren. Die jährli<strong>ch</strong>en Kosten, die dem Bund aus den im Gesetzesentwurf vorgesehenen<br />
Massnahmen erwa<strong>ch</strong>sen, weisen die Grössenordnung von 31–47 Millionen<br />
Franken auf.<br />
Der Gesetzesentwurf setzt den geltenden Artikel 8 Absatz 4 der Bundesverfassung<br />
um, soweit er gewisse unbestimmte Begriffe des Gesetzgebungsauftrags konkretisiert.<br />
Er stützt si<strong>ch</strong> ferner auf vers<strong>ch</strong>iedene materielle Kompetenzzuweisungen an<br />
den Bund, vor allem im Berei<strong>ch</strong> des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs und der Förderungsmassnahmen<br />
zur Integration der behinderten Personen.<br />
1718
Bots<strong>ch</strong>aft<br />
1 Text und Entstehungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Volksinitiative<br />
1.1 Form und Gültigkeit<br />
1.1.1 Wortlaut<br />
Die Volksinitiative hat folgenden Wortlaut 1:<br />
Art. 4bis (neu)<br />
1 Niemand darf diskriminiert werden, namentli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t wegen der<br />
Herkunft, der Rasse, des Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ts, der Spra<strong>ch</strong>e, des Alters, der sozialen<br />
Stellung, der Lebensform, der religiösen, weltans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>en<br />
oder politis<strong>ch</strong>en Überzeugung oder wegen einer körperli<strong>ch</strong>en, geistigen<br />
oder psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Behinderung.<br />
2 Das Gesetz sorgt für die Glei<strong>ch</strong>stellung behinderter Mens<strong>ch</strong>en. Es<br />
sieht Massnahmen zur Beseitigung und zum Ausglei<strong>ch</strong> bestehender<br />
Bena<strong>ch</strong>teiligungen vor.<br />
3 Der Zugang zu Bauten und Anlagen oder die Inanspru<strong>ch</strong>nahme von<br />
Einri<strong>ch</strong>tungen und Leistungen, die für die Öffentli<strong>ch</strong>keit bestimmt<br />
sind, ist soweit wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> zumutbar gewährleistet.<br />
1.1.2 Zustandekommen<br />
Die Volksinitiative «Glei<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te für Behinderte» wurde am 14. Juni 1999 eingerei<strong>ch</strong>t.<br />
Am 4. August 1999 stellte die Bundeskanzlei fest, dass die Initiative mit<br />
120 455 gültigen Unters<strong>ch</strong>riften zu Stande gekommen ist 2.<br />
1.1.3 Gültigkeit<br />
1.1.3.1 Einheit der Form<br />
Gemäss Artikel 139 Absatz 2 der Bundesverfassung (BV; Art. 121 Abs. 4 der alten<br />
Bundesverfassung vom 29. Mai 1874, aBV) kann die Volksinitiative auf Teilrevision<br />
der Bundesverfassung die Form der allgemeinen Anregung oder des ausgearbeiteten<br />
Entwurfs haben. Gemäss Artikel 139 Absatz 3 und 194 Absatz 3 BV muss die<br />
Initiative den Grundsatz der Einheit der Form wahren. Dieser Grundsatz gebietet,<br />
dass die Volksinitiative entweder in die eine oder die andere der beiden vorerwähnten<br />
Formen gekleidet ist 3, was bedeutet, dass eine Vermis<strong>ch</strong>ung der beiden Formen<br />
1 Zur Anpassung an die neue Bundesverfassung vgl. Ziff. 3.2.<br />
2 BBl 1999 7312, 1998 3964<br />
3 Art. 75 Abs. 3 des Bundesgesetzes vom 17. Dezember 1976 über die politis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>te<br />
(BPR, SR 161.1).<br />
1719
unzulässig ist. Die Volksinitiative «Glei<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te für Behinderte» hat die Form eines<br />
in allen Teilen ausgearbeiteten Entwurfs für einen Verfassungsartikel. Sie respektiert<br />
somit die Einheit der Form.<br />
1.1.3.2 Einheit der Materie<br />
Gemäss Artikel 139 Absatz 3 und 194 Absatz 3 BV (Art. 121 Abs. 3 aBV) muss die<br />
Volksinitiative auf Teilrevision ferner die Einheit der Materie wahren. Dieser<br />
Grundsatz wird erfüllt, wenn zwis<strong>ch</strong>en den einzelnen Teilen einer Initiative ein<br />
sa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er Zusammenhang besteht4. Die Volksinitiative «Glei<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te für Behinderte» s<strong>ch</strong>lägt die Einführung eines<br />
neuen Verfassungsartikels vor, wel<strong>ch</strong>er drei Absätze umfasst. Die Bestimmung zielt<br />
in ihrer Gesamtheit darauf ab, in der Verfassung spezifis<strong>ch</strong> zu Gunsten der Mens<strong>ch</strong>en<br />
mit Behinderungen5 einen Glei<strong>ch</strong>stellungsgrundsatz zu verankern. Zu diesem<br />
Zweck werden bestimmte Instrumente einer Glei<strong>ch</strong>stellungs-Politik genannt (Diskriminierungsverbot,<br />
Gesetzgebungsauftrag, Gewährleistung eines Re<strong>ch</strong>ts auf Zugang<br />
zu Anlagen und Leistungen, die für die Öffentli<strong>ch</strong>keit bestimmt sind). Die Initiative<br />
besteht somit aus Elementen, wel<strong>ch</strong>e unter si<strong>ch</strong> in einem direkten Zusammenhang<br />
stehen und si<strong>ch</strong> gegenseitig ergänzen. Sie respektiert somit die Einheit der<br />
Materie.<br />
1.1.3.3 Dur<strong>ch</strong>führbarkeit der Initiative<br />
Der Verfassungsgeber hat den Grundsatz der Dur<strong>ch</strong>führbarkeit der Initiative ni<strong>ch</strong>t<br />
ausdrückli<strong>ch</strong> stipuliert, dies weil er erwog, dass diese materielle S<strong>ch</strong>ranke der Teilrevision<br />
der Verfassung selbstverständli<strong>ch</strong> sei6. Die Unmögli<strong>ch</strong>keit, eine Volksinitiative<br />
dur<strong>ch</strong>zuführen, ist jedo<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> der Praxis der zuständigen Behörden ein<br />
Ni<strong>ch</strong>tigkeitsgrund. Der Grundsatz der Dur<strong>ch</strong>führbarkeit gebietet, dass eine Initiative<br />
ni<strong>ch</strong>t ohne weiteres und zwangsläufig als offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> unrealisierbar ers<strong>ch</strong>eint.<br />
Einfa<strong>ch</strong>e materielle S<strong>ch</strong>wierigkeiten genügen ni<strong>ch</strong>t, um auf die Undur<strong>ch</strong>führbarkeit<br />
zu s<strong>ch</strong>liessen7. Die Volksinitiative «Glei<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te für Behinderte» s<strong>ch</strong>lägt im Berei<strong>ch</strong> der Glei<strong>ch</strong>behandlung<br />
der Behinderten ein spezifis<strong>ch</strong>es Grundre<strong>ch</strong>t vor. Wie bei den anderen<br />
Grundre<strong>ch</strong>ten und ihrer Funktion in der Gesamtheit der Re<strong>ch</strong>tsordnung soll dieses<br />
Re<strong>ch</strong>t in erster Linie die vers<strong>ch</strong>iedenen Staatsgewalten in der Erfüllung ihrer Aufgaben<br />
binden und ihnen die Pfli<strong>ch</strong>t auferlegen, Massnahmen zu ergreifen, um es zu<br />
verwirkli<strong>ch</strong>en (Art. 35 Abs. 1 und 2 BV). Die Tatsa<strong>ch</strong>e, dass die Verwirkli<strong>ch</strong>ung<br />
dieses Re<strong>ch</strong>ts au<strong>ch</strong> (aber ni<strong>ch</strong>t auss<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong>) von einem Gesinnungswandel abhängt,<br />
der vom Staat nur sehr bes<strong>ch</strong>ränkt beeinflusst werden kann, ma<strong>ch</strong>t die Volksinitiative<br />
deswegen ni<strong>ch</strong>t undur<strong>ch</strong>führbar. Sie erteilt jedenfalls eine Anordnung, der<br />
die Behörden na<strong>ch</strong>leben können, indem sie ihr Handeln mit dem erklärten Grundsatz<br />
in Übereinstimmung bringen, und sie können in den Berei<strong>ch</strong>en, die ihrem direkten<br />
4 Art. 75 Abs. 2 BPR<br />
5 Im Folgenden wird in der Regel – im Einklang mit der Volksinitiative – der Begriff<br />
«Behinderte» verwendet.<br />
6 BBl 1997 I 433<br />
7 Etienne Grisel, Initiative et référendum populaires, 2. Auflage, Bern 1997, S. 241.<br />
1720
Einfluss entzogen sind, dur<strong>ch</strong> Information und dur<strong>ch</strong> den politis<strong>ch</strong>en Diskurs handeln.<br />
Die Volksinitiative «Glei<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te für Behinderte» respektiert somit die Bedingung<br />
der Dur<strong>ch</strong>führbarkeit, wie sie die Praxis der Bundesbehörden verlangt.<br />
1.1.3.4 Übereinstimmung mit den zwingenden<br />
Bestimmungen des Völkerre<strong>ch</strong>ts<br />
Gemäss den Artikeln 139 Absatz 3 und 194 Absatz 2 BV muss eine Initiative die<br />
zwingenden Bestimmungen des Völkerre<strong>ch</strong>ts respektieren. Dieser Grundsatz verlangt,<br />
dass eine Initiative auf Teilrevision der Verfassung keine Bestimmung des<br />
Völkerre<strong>ch</strong>ts verletzt, deren Bedeutung absolut ist (jus cogens). Es handelt si<strong>ch</strong> dabei<br />
um diejenigen Bestimmungen, wel<strong>ch</strong>e allen Staaten – seien sie dur<strong>ch</strong> einen Vertrag<br />
gebunden oder ni<strong>ch</strong>t8 – zwingend auferlegt sind, weil sie die Grundlagen für das<br />
Verhalten der Nationen in ihren gegenseitigen Beziehungen bilden und für das<br />
friedli<strong>ch</strong>e Zusammenleben der Völker und die Mens<strong>ch</strong>enwürde unabdingbar sind<br />
(so zum Beispiel der Kern des humanitären Völkerre<strong>ch</strong>ts, die Verbote von Gewalt,<br />
Folter, Aggression, Völkermord).<br />
Die Volksinitiative «Glei<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te für Behinderte» verstösst offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> gegen<br />
keine dieser Bestimmungen. Sie respektiert somit die Bedingung der Übereinstimmung<br />
mit den zwingenden Bestimmungen des Völkerre<strong>ch</strong>ts.<br />
1.2 Entstehungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te und Zweck der Initiative<br />
1.2.1 Die Lancierung der Initiative<br />
Die Volksinitiative «Glei<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te für Behinderte» wurde im August 1998 lanciert.<br />
Die Eidgenössis<strong>ch</strong>en Räte hatten in den vorangegangenen Monaten im Rahmen der<br />
Verfassungsreform insbesondere über die Einführung einer neuen Bestimmung debattiert,<br />
wel<strong>ch</strong>e die Glei<strong>ch</strong>behandlung der Behinderten ausdrückli<strong>ch</strong> vors<strong>ch</strong>reibt.<br />
Parallel dazu hatte der Nationalrat über eine von Nationalrat Marc Suter am 5. Oktober<br />
1995 eingerei<strong>ch</strong>te parlamentaris<strong>ch</strong>e Initiative zu befinden9. S<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> ist<br />
darauf hinzuweisen, dass die Unters<strong>ch</strong>riftensammlung für die Volksinitiative glei<strong>ch</strong>zeitig<br />
mit dem Referendumsverfahren bezügli<strong>ch</strong> der Änderung des Bundesgesetzes<br />
über die Invalidenversi<strong>ch</strong>erung vom 26. Juni 1998 stattfand; diese Revision<br />
sah unter anderem die Aufhebung der Viertelsrenten vor. Am 13. Juni 1999 hat das<br />
S<strong>ch</strong>weizer Volk diese Änderung mit grosser Mehrheit abgelehnt10. Tags darauf wurde<br />
die Volksinitiative bei der Bundeskanzlei eingerei<strong>ch</strong>t.<br />
Wie dieser Rückblick auf die erwähnten vers<strong>ch</strong>iedenen Gesetzgebungsverfahren<br />
zeigt, erfolgte die Lancierung der Volksinitiative in einem politis<strong>ch</strong>en Umfeld, das<br />
für die Probleme der Behinderten sensibilisiert war, und die Volksinitiative trägt zur<br />
Ergänzung eines bereits auf breiter Ebene laufenden Gesetzgebungs-Verfahrens bei.<br />
In weniger als einem Jahr war die erforderli<strong>ch</strong>e Anzahl Unters<strong>ch</strong>riften gesammelt,<br />
8 BBl 1997 I 362, 433 mit Hinweisen.<br />
9 Siehe Ziffer 2.4.1<br />
10 Siehe die Ergebnisse der Volksabstimmung vom 13. Juni 1999, BBl 1999 7293.<br />
1721
weshalb die Volksinitiative ras<strong>ch</strong> eingerei<strong>ch</strong>t werden konnte. Die gesammelten Unters<strong>ch</strong>riften<br />
stammen aus allen Teilen der S<strong>ch</strong>weiz11. Das Initiativ-Komitee setzt si<strong>ch</strong> vorwiegend aus Vertretern von privaten Behindertenorganisationen<br />
und aus Mitgliedern der im Bundesrat vertretenen politis<strong>ch</strong>en<br />
Parteien zusammen.<br />
1.2.2 Der Gesi<strong>ch</strong>tspunkt der Urheber der Initiative<br />
Die Urheber der Initiative prangern die unzähligen Hindernisse an, die si<strong>ch</strong> den Behinderten<br />
in wi<strong>ch</strong>tigen Lebensberei<strong>ch</strong>en, wie der S<strong>ch</strong>ule, der Ausbildung, der Arbeit<br />
und dem Reisen, entgegenstellen12. Sie fordern, dass diese Personen, wie dies für<br />
die Ni<strong>ch</strong>tbehinderten zutrifft, in den Genuss aller anerkannten Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te<br />
kommen, und sie verlangen eine bessere Integration der Behinderten in das tägli<strong>ch</strong>e<br />
Leben.<br />
Die Initianten sind zwar der Meinung, dass der neue Artikel 8 BV bezügli<strong>ch</strong> der von<br />
ihnen vertretenen Sa<strong>ch</strong>e einen wi<strong>ch</strong>tigen Forts<strong>ch</strong>ritt darstellt, betra<strong>ch</strong>ten ihn aber insofern<br />
als zu wenig weit gehend, als er kein Re<strong>ch</strong>t auf direkten Zugang zu Anlagen<br />
und Bauten gewährleistet, die für die Öffentli<strong>ch</strong>keit bestimmt sind. Na<strong>ch</strong> ihrer Meinung<br />
ist aber ein sol<strong>ch</strong>es Re<strong>ch</strong>t wesentli<strong>ch</strong>, um den Glei<strong>ch</strong>stellungsgrundsatz ras<strong>ch</strong><br />
und effizient umzusetzen; es würde den betroffenen Personen denn au<strong>ch</strong> erlauben,<br />
grobe Verletzungen des Glei<strong>ch</strong>stellungsanspru<strong>ch</strong>s geri<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> geltend zu ma<strong>ch</strong>en,<br />
und zwar ohne auf den Erlass von eidgenössis<strong>ch</strong>en oder kantonalen Gesetzen warten<br />
zu müssen. Dabei sind die Urheber der Initiative überzeugt, dass dieses Instrument<br />
massvoll eingesetzt würde, und dass die Re<strong>ch</strong>tswege nur in Fällen offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>er<br />
und lei<strong>ch</strong>t zu korrigierender Unglei<strong>ch</strong>heiten überhaupt bes<strong>ch</strong>ritten würden.<br />
S<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> sehen die Initianten in der verfassungsmässigen Garantie eines Re<strong>ch</strong>ts<br />
auf Zugang zu Anlagen und Leistungen, die für die Öffentli<strong>ch</strong>keit bestimmt sind, einen<br />
Ansporn für die Gesetzgeber, den Erlass griffiger Gesetze zu Gunsten der<br />
Glei<strong>ch</strong>stellung von Behinderten voranzutreiben. Mit anderen Worten: Diese Garantie<br />
würde Bund und Kantone anhalten, ihrer Aufgabe als Gesetzgeber ohne Verzug<br />
na<strong>ch</strong>zukommen. Diese We<strong>ch</strong>selwirkung zwis<strong>ch</strong>en Gesetzgebungsauftrag und Garantie<br />
eines direkten subjektiven Re<strong>ch</strong>ts würde ausserdem dazu beitragen, den Gesetzgebungsprozess<br />
positiv zu beeinflussen, indem zukunftsgeri<strong>ch</strong>tet realitätsbezogene<br />
Lösungen und viel verspre<strong>ch</strong>ende Perspektiven aufgezeigt würden.<br />
1.3 Behandlungsfristen<br />
Gemäss Artikel 29 Absatz 1 und 2 des Bundesgesetzes vom 23. März 1962 13 über<br />
den Ges<strong>ch</strong>äftsverkehr der Bundesversammlung muss der Bundesrat seine Bots<strong>ch</strong>aft<br />
der Bundesversammlung innerhalb von 18 Monaten na<strong>ch</strong> Einrei<strong>ch</strong>ung der Initiative<br />
vorlegen, wenn er dem Parlament einen mit dieser Initiative eng zusammenhängen-<br />
11 BBl 1999 7312<br />
12 Siehe das Dossier des Vereins Volksinitiative zur Glei<strong>ch</strong>stellung Behinderter, das der<br />
Presse anlässli<strong>ch</strong> der Einrei<strong>ch</strong>ung der Initiative übergeben wurde: «Information für die<br />
Medien – Einrei<strong>ch</strong>ung der Volksinitiative ‹Glei<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te für Behinderte› vom 14. Juni<br />
1999» (na<strong>ch</strong>stehend, Dossier Verein Volksinitiative).<br />
13 Ges<strong>ch</strong>äftsverkehrsgesetz; SR 171.11<br />
1722
den Erlass unterbreitet. Im vorliegenden Fall läuft diese Frist am 14. Dezember 2000<br />
ab.<br />
Gemäss Artikel 27 Absatz 1 Ges<strong>ch</strong>äftsverkehrsgesetz bes<strong>ch</strong>liesst die Bundesversammlung<br />
innert 30 Monaten na<strong>ch</strong> Einrei<strong>ch</strong>ung der Initiative, ob sie der Initiative<br />
zustimmt oder ni<strong>ch</strong>t; im vorliegenden Fall hat dies bis spätestens am 14. Dezember<br />
<strong>2001</strong> zu ges<strong>ch</strong>ehen. Diese Frist kann allerdings gemäss Artikel 27 Absatz 5 bis um ein<br />
Jahr verlängert werden, wenn mindestens ein Rat über einen mit der Volksinitiative<br />
eng zusammenhängenden Erlass Bes<strong>ch</strong>luss gefasst hat. In einem sol<strong>ch</strong>en Fall würde<br />
die Frist vorliegend am 14. Dezember 2002 ablaufen.<br />
2 Allgemeines<br />
2.1 Zur Situation der Behinderten in der S<strong>ch</strong>weiz<br />
2.1.1 Der Begriff der Behinderung<br />
Lange Zeit galt Behinderung als eine individuelle Abwei<strong>ch</strong>ung von der Norm eines<br />
gesunden, leistungsfähigen Mens<strong>ch</strong>en. Die medizinis<strong>ch</strong>e und ökonomis<strong>ch</strong>e Betra<strong>ch</strong>tungsweise<br />
führte zu einer Individualisierung der Behindertenproblematik. Jedo<strong>ch</strong><br />
ist au<strong>ch</strong> die sozio-kulturelle Dimension der Behinderung in die Betra<strong>ch</strong>tungsweise<br />
einzubeziehen. Unter dem Blickwinkel eines ganzheitli<strong>ch</strong>en Ansatzes ist Behinderung<br />
ni<strong>ch</strong>t nur ein individuelles Problem, sondern ein Lebensbewältigungsproblem<br />
in einer bestimmten Gesells<strong>ch</strong>aft und in einer bestimmten historis<strong>ch</strong>en Entwicklungsphase.<br />
Die kulturelle Dimension von Behinderung zeigt si<strong>ch</strong> darin, dass<br />
somatis<strong>ch</strong>e, psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e und psy<strong>ch</strong>osomatis<strong>ch</strong>e Krankheitsbilder innerhalb einer<br />
Kultur und Sozialstruktur einer Gesells<strong>ch</strong>aft bewertet und entspre<strong>ch</strong>end dieser Bewertung<br />
institutionell erkannt oder au<strong>ch</strong> negiert, ja gar verdrängt werden14. Entspre<strong>ch</strong>end<br />
der Bewertung gestaltet si<strong>ch</strong> das individuelle und gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Handeln.<br />
Behinderung muss gesehen werden als das Resultat eines komplexen Zusammenwirkens<br />
von individuellen, familiären, sozialen, ökonomis<strong>ch</strong>en, kulturellen und juristis<strong>ch</strong>en<br />
Gegebenheiten und Kräften. Als systemis<strong>ch</strong>e Hindernisse erweisen si<strong>ch</strong> ar<strong>ch</strong>itektonis<strong>ch</strong>e<br />
Barrieren, fehlende behindertengere<strong>ch</strong>te hygienis<strong>ch</strong>e Einri<strong>ch</strong>tungen,<br />
mangelnde Berücksi<strong>ch</strong>tigung spezieller Bedürfnisse von Mens<strong>ch</strong>en mit Wahrnehmungss<strong>ch</strong>wierigkeiten<br />
in den Medien und in öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrsmitteln, ungenügende<br />
Teilzeitbes<strong>ch</strong>äftigungsmögli<strong>ch</strong>keiten usw. Soziale Strukturen tragen dazu bei,<br />
die Behinderung zu s<strong>ch</strong>affen oder zu verstärken.<br />
Wie jeder Mens<strong>ch</strong> lebt au<strong>ch</strong> der Mens<strong>ch</strong> mit einer Behinderung als Individuum und<br />
als Mitglied der Gesells<strong>ch</strong>aft. Der mit einer Behinderung belastete Mens<strong>ch</strong> muss<br />
si<strong>ch</strong> zwei existenzielle Fragen stellen: Wel<strong>ch</strong>e Anforderungen ri<strong>ch</strong>tet die Gesells<strong>ch</strong>aft<br />
an mi<strong>ch</strong> und wie komme i<strong>ch</strong> mit meiner Behinderung zure<strong>ch</strong>t. Im Spannungsfeld<br />
von Normalität und Abwei<strong>ch</strong>ung wird Behinderung definiert und bewertet.<br />
«Die Frage bleibt offen, wieweit Behinderung eine Eigens<strong>ch</strong>aft, vor allem ein<br />
Mangel, ein Defizit in körperli<strong>ch</strong>er oder psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>er (oder geistiger) Hinsi<strong>ch</strong>t des<br />
Mens<strong>ch</strong>en sei, der als behindert gilt, oder wieweit Behinderung ein gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>es<br />
Konstrukt darstellt, das zur Ausgrenzung bestimmt gearteter Mens<strong>ch</strong>en führt» 15<br />
14 Adriano Previtali, Handicap e diritto, Fribourg 1998, S. 44 sowie S. 82, Fussnote 290.<br />
15 Jörg Paul Müller, Diskriminierung behinderter Personen de constitutione lata et ferenda,<br />
in: Erwin Murer (Hrsg.), Eingliederung vor Rente – Eingliederung in die Sackgasse, Bern<br />
1998, S. 1–15, S. 6.<br />
1723
oder führen kann16. «Mit dem Begriff der Behinderung wird ni<strong>ch</strong>t der Gesundheitszustand<br />
an si<strong>ch</strong> bes<strong>ch</strong>rieben, sondern der aus einer bestimmten somatis<strong>ch</strong>en oder<br />
psy<strong>ch</strong>o-mentalen Verfassung resultierende Kompetenz- oder Funktionsverlust. Diese<br />
Störung oder Eins<strong>ch</strong>ränkung der Funktionsfähigkeit kann auss<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> für das<br />
betroffene Individuum eine Beeinträ<strong>ch</strong>tigung darstellen, oder aber, was in der Regel<br />
der Fall ist, si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> auf Dritte auswirken» 17.<br />
Ein neues, ganzheitli<strong>ch</strong>es Konzept versu<strong>ch</strong>t die Weltgesundheitsorganisation<br />
(WHO) für die Beurteilung von Behinderung zu entwickeln. Ihr bisheriges Klassifikationssystem,<br />
die «International Classification of Impairments, Disabilities and<br />
Handicaps» wird aus einer neuen Si<strong>ch</strong>tweise heraus uminterpretiert und umgearbeitet<br />
in ein erweitertes Gedankengebäude. Das neue Klassifikationssystem18 orientiert<br />
si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t nur an den Defiziten der Person, sondern erfasst au<strong>ch</strong> die soziale Dimension<br />
des mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Lebens. Es unters<strong>ch</strong>eidet vier Ebenen und verbindet damit<br />
folgende Fragestellungen:<br />
1. S<strong>ch</strong>aden (impairment): Wel<strong>ch</strong>e Körperfunktionen und -strukturen sind beeinträ<strong>ch</strong>tigt?<br />
2. Aktivitäten (disabilities): Wel<strong>ch</strong>e Eins<strong>ch</strong>ränkungen der Aktivitäten und des<br />
selbst bestimmten, autonomen Handelns ergeben si<strong>ch</strong> aus dem S<strong>ch</strong>aden?<br />
3. Partizipation (handicap): Es geht um das Ausmass des Einbezogenseins einer<br />
Person in vers<strong>ch</strong>iedenen Lebensberei<strong>ch</strong>en. In wel<strong>ch</strong>er Weise und in wel<strong>ch</strong>em<br />
Ausmass wirken si<strong>ch</strong> Gesundheitsstörungen, körperli<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>äden oder<br />
Aktivitätseins<strong>ch</strong>ränkungen auf die Teilnahme an öffentli<strong>ch</strong>en, gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en,<br />
kulturellen Aufgaben, Angeboten und Errungens<strong>ch</strong>aften aus?<br />
4. Kontextfaktoren: Wie (in wel<strong>ch</strong>er Weise und in wel<strong>ch</strong>em Ausmass) wirken<br />
si<strong>ch</strong> persönli<strong>ch</strong>e Faktoren sowie die Lebensumstände, die Lebens- und Familienges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te,<br />
die Gesamtheit der Umweltfaktoren, in denen der Mens<strong>ch</strong><br />
eingebettet ist und mit denen er si<strong>ch</strong> auseinander setzt und interagiert, hinderli<strong>ch</strong><br />
oder förderli<strong>ch</strong> auf die Partizipationsmögli<strong>ch</strong>keiten aus?<br />
Dieses neue Klassifikationssystem ist ni<strong>ch</strong>t auf die Ursa<strong>ch</strong>en, sondern auf die Folgen<br />
von Gesundheitsstörungen ausgeri<strong>ch</strong>tet und versteht si<strong>ch</strong> als Hilfsmittel für die Erkennung<br />
sozialer Folgen. Damit soll es den Blick öffnen für den Einzelnen wie für<br />
Gesells<strong>ch</strong>aft, S<strong>ch</strong>ritte zu wagen in Ri<strong>ch</strong>tung mehr Selbstbestimmung, mehr Teilnahmemögli<strong>ch</strong>keiten<br />
in allen Lebensberei<strong>ch</strong>en. Anzei<strong>ch</strong>en für den Mentalitätswandel,<br />
wona<strong>ch</strong> Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen ni<strong>ch</strong>t mehr nur als Objekte der Fürsorge<br />
und Pflege, sondern vermehrt au<strong>ch</strong> als Subjekte der eigenen Lebensgestaltung und<br />
Lebensbewältigung gesehen werden, sind unverkennbar.<br />
16 Vgl. Erwin Murer, Vom S<strong>ch</strong>utz des Starken im S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en oder das Bild des S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en<br />
im Sozialversi<strong>ch</strong>erungsre<strong>ch</strong>t, in: Peter Gau<strong>ch</strong> (Hrsg.), Das Mens<strong>ch</strong>enbild im Re<strong>ch</strong>t,<br />
Mélanges, Universität Freiburg, 1999, S. 359–382.<br />
17 Markus Buri/Walter Weiss, Behinderung, in: Walter Weiss (Hrsg.), Gesundheit in der<br />
S<strong>ch</strong>weiz, Züri<strong>ch</strong> 1993, S. 73.<br />
18 Dargestellt in Anlehnung an Christoph Heinz, Anderer Blick – freiere Si<strong>ch</strong>t. INFORUM<br />
2, 1998, S. 8–13 sowie in Anlehnung an Judith Hollenweger, «Behinderung» neu denken:<br />
Ein S<strong>ch</strong>ritt na<strong>ch</strong> vorne? S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>e Zeits<strong>ch</strong>rift für Heilpädagogik 12/1998, S. 24–29.<br />
1724
2.1.2 Behinderung als existenzielle Beeinträ<strong>ch</strong>tigung und<br />
besondere Herausforderung an die Lebensbewältigung<br />
Die Definition der Behinderung als existenzielle Beeinträ<strong>ch</strong>tigung geht aus von der<br />
Vorstellung, dass die primäre Aufgabe des Mens<strong>ch</strong>en darin besteht, zu überleben,<br />
au<strong>ch</strong> wenn er ni<strong>ch</strong>t im Vollbesitz all seiner physis<strong>ch</strong>en und psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Kräfte ist.<br />
Gestützt auf diese Si<strong>ch</strong>tweise entstanden vers<strong>ch</strong>iedene Kategorisierungen der Behinderung<br />
mit unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Kriterien, wel<strong>ch</strong>e teils zu statistis<strong>ch</strong>en Zwecken<br />
(z.B. jährli<strong>ch</strong>e IV-Statistik, erstellt vom Bundesamt für Sozialversi<strong>ch</strong>erung), teils für<br />
die Ums<strong>ch</strong>reibung der gesetzli<strong>ch</strong>en Anspru<strong>ch</strong>svoraussetzungen na<strong>ch</strong> dem Bundesgesetz<br />
über die Invalidenversi<strong>ch</strong>erung vom 19. Juni 195919 verwendet werden (siehe<br />
Anhänge 1 und 2).<br />
Die IV-Statistik unters<strong>ch</strong>eidet – neben dem gesetzli<strong>ch</strong>en Kriterium des Invaliditätsgrades<br />
– na<strong>ch</strong> drei Ursa<strong>ch</strong>en (Geburtsgebre<strong>ch</strong>en, Krankheit, eins<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>er<br />
Leiden, Unfall) sowie in Anlehnung an medizinis<strong>ch</strong>e Kriterien na<strong>ch</strong> Gebre<strong>ch</strong>ensgruppen<br />
und Funktionsausfällen. Sodann untersu<strong>ch</strong>t sie die Invaliditätswahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit,<br />
d.h. die Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit, im Verlaufe des Lebens von Invalidität<br />
betroffen zu sein (siehe Graphik 1 im Anhang 1).<br />
Das Gesetz über die Invalidenversi<strong>ch</strong>erung definiert in Art. 4 IVG Invalidität ursa<strong>ch</strong>en-<br />
und wirkungsbezogen als «die dur<strong>ch</strong> einen körperli<strong>ch</strong>en oder geistigen Gesundheitss<strong>ch</strong>aden<br />
als Folge von Geburtsgebre<strong>ch</strong>en, Krankheit oder Unfall verursa<strong>ch</strong>te,<br />
voraussi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> bleibende oder längere Zeit dauernde Erwerbsunfähigkeit.»<br />
Im Vernehmlassungsentwurf zur vierten IV-Revision werden die Formen der Behinderung<br />
präzisiert: neben den körperli<strong>ch</strong>en oder geistigen Gesundheitss<strong>ch</strong>äden<br />
werden die psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Gesundheitss<strong>ch</strong>äden als eigene Kategorie aufgezählt20. Die<br />
IV-Gesetzgebung betra<strong>ch</strong>tet Behinderung unabhängig von den Ursa<strong>ch</strong>en und Formen<br />
als ein vornehmli<strong>ch</strong> ökonomis<strong>ch</strong>es Lebensbewältigungsproblem. Das Ausmass<br />
der Behinderung bestimmt si<strong>ch</strong> deshalb na<strong>ch</strong> den ökonomis<strong>ch</strong>en Auswirkungen der<br />
Behinderung im Erwerbsleben.<br />
In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass Behinderung ni<strong>ch</strong>t glei<strong>ch</strong>gesetzt werden<br />
darf mit Erwerbsbehinderung oder mit ökonomis<strong>ch</strong>er Unselbständigkeit. Beispiele<br />
ho<strong>ch</strong>begabter Mens<strong>ch</strong>en, wel<strong>ch</strong>e sinnesbehindert oder mobilitätsbehindert<br />
sind und erfolgrei<strong>ch</strong> eine berufli<strong>ch</strong>e oder akademis<strong>ch</strong>e Laufbahn einges<strong>ch</strong>lagen haben,<br />
ma<strong>ch</strong>en dies deutli<strong>ch</strong>. Behinderung kann gerade ein Anreiz sein, seine Lebensbewältigungsaufgabe<br />
in hervorragender und eindrückli<strong>ch</strong>er Weise im persönli<strong>ch</strong>en<br />
und gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Berei<strong>ch</strong> zu erfüllen. Zum Bild des S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en gehört au<strong>ch</strong><br />
dessen (verbleibende) Stärke21, wel<strong>ch</strong>e dur<strong>ch</strong> eine körperli<strong>ch</strong>e oder psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Verletzung<br />
in besondere Weise mobilisiert und dur<strong>ch</strong> die Entwicklung besondere Fähigkeiten<br />
kompensiert werden kann. Allerdings: Zur Realisierung der (verbleibenden)<br />
Lebens<strong>ch</strong>ancen bedarf es neben der subjektiven Anstrengung au<strong>ch</strong> ob-<br />
19 IVG, SR 831.20<br />
20 Vgl. Vernehmlassungsentwurf über die vierte IV-Revision vom 4. Juli 2000. Das<br />
Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversi<strong>ch</strong>erungsre<strong>ch</strong>ts<br />
(ATSG) gelangt dur<strong>ch</strong> die Verbindung seines Art. 8 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1<br />
des IVG, den es abändert (vgl. Ziff. 8 des Anhangs) zu einem verglei<strong>ch</strong>baren Ergebnis<br />
(BBl 2000 5041).<br />
21 Vgl. Erwin Murer, Vom S<strong>ch</strong>utz des Starken im S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en oder das Bild des S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en<br />
im Sozialversi<strong>ch</strong>erungsre<strong>ch</strong>t, in: Peter Gau<strong>ch</strong> (Hrsg.), Das Mens<strong>ch</strong>enbild im Re<strong>ch</strong>t,<br />
Mélanges, Universität Freiburg, 1999, S. 359–382.<br />
1725
jektiver, au<strong>ch</strong> materieller,Voraussetzungen, die ausserhalb der Ma<strong>ch</strong>tsphäre des Einzelnen<br />
liegen. (Verglei<strong>ch</strong>e Anhang 3 Abs<strong>ch</strong>nitt 2.2: Die Deckung des Invaliditätsrisikos).<br />
2.1.3 Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen im Arbeitsprozess<br />
2.1.3.1 Allgemeines<br />
Die meisten Mens<strong>ch</strong>en in der S<strong>ch</strong>weiz si<strong>ch</strong>ern ihre wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Existenz dur<strong>ch</strong><br />
ein Arbeitseinkommen. Für sie ist die Arbeitswelt ein bedeutender Lebensberei<strong>ch</strong>.<br />
Zugang zum Arbeitsmarkt und Werts<strong>ch</strong>ätzung der eigenen Arbeitskraft ist daher von<br />
vitaler Bedeutung, wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> und sozial. Die allgemeine Arbeitsmarktsituation,<br />
das Ausmass von Angebot und Na<strong>ch</strong>frage, die spezifis<strong>ch</strong>en Qualifikationen, na<strong>ch</strong><br />
denen na<strong>ch</strong>gefragt wird, die Eins<strong>ch</strong>ätzung der Leistungsfähigkeit, die Beurteilung<br />
der fa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en und sozialen Eignung dur<strong>ch</strong> den na<strong>ch</strong>fragenden Arbeitgeber oder die<br />
na<strong>ch</strong>fragende Arbeitgeberin bestimmen die Marktzutritts<strong>ch</strong>ancen bzw. die Anstellungs<strong>ch</strong>ancen.<br />
Dies trifft au<strong>ch</strong> für Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen zu. Der Arbeitsmarkt<br />
ist für Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen ein Kristallisationspunkt der gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />
Akzeptanz. Dabei ist zu bedenken, dass die individuellen Verhältnisse<br />
sehr unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> sind was die Behinderungsart (physis<strong>ch</strong>, psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong> oder geistig)<br />
und deren Grad (lei<strong>ch</strong>t, mittel, s<strong>ch</strong>wer, Einfa<strong>ch</strong>- und Mehrfa<strong>ch</strong>behinderung) sowie<br />
deren Augenfälligkeit betrifft. Lebensges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te und bisherige Einbettung in Familie,<br />
Arbeitswelt und Gesells<strong>ch</strong>aft vor Eintritt der Behinderung spielen ebenfalls eine<br />
ents<strong>ch</strong>eidende Rolle für die Integrationsfähigkeit. In diesem Zusammenhang ist daran<br />
zu erinnern, dass die Ursa<strong>ch</strong>e einer Behinderung in der Mehrzahl der Fälle ni<strong>ch</strong>t<br />
ein Geburtsgebre<strong>ch</strong>en oder ein Unfall, sondern eine Krankheit ist, die im Laufe des<br />
Lebens eintritt 22. Mit zunehmendem Alter steigt die Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit, von einer<br />
Behinderung betroffen zu sein und infolgedessen im Erwerbsleben ni<strong>ch</strong>t mehr die<br />
volle Leistung erbringen zu können oder den Anforderungen gar ni<strong>ch</strong>t mehr zu genügen<br />
23.<br />
2.1.3.2 Ges<strong>ch</strong>ützte Werkstätten<br />
Da Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen auf dem freien Arbeitsmarkt geringe Anstellungs<strong>ch</strong>ancen<br />
haben, wurden ges<strong>ch</strong>ützte Werkstätten ges<strong>ch</strong>affen. Anfang der Neunzigerjahre<br />
fanden gegen 20 000 Personen mit s<strong>ch</strong>weren Behinderungen in ca. 300 ges<strong>ch</strong>ützten<br />
Werkstätten eine ihrer Behinderung angemessene Tätigkeit. Für die Hälfte<br />
dieser Personen ist in angegliederten Wohnheimen au<strong>ch</strong> für Unterkunft und na<strong>ch</strong><br />
Mögli<strong>ch</strong>keit für ein Freizeitangebot gesorgt. Dieser Einri<strong>ch</strong>tungstyp entspri<strong>ch</strong>t dem<br />
erweiterten Leistungsauftrag des Bundesamtes für Sozialversi<strong>ch</strong>erung, wona<strong>ch</strong> die<br />
22 Siehe dazu die Ausführungen unter 2.1.4.3.<br />
23 Einer von fünf Männern kurz vor der Pensionierung ist IV-Rentner. Der Eintritt in die<br />
Gruppe der IV-Rentner und IV-Rentnerinnen erfolgt hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> auf Grund von<br />
Krankheit. Der Bezug einer Invalidenrente ist ein Phänomen, das ebenso wie die Vers<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>terung<br />
des Gesundheitszustandes hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> mit dem Alter zusammenhängt.<br />
Verglei<strong>ch</strong>e dazu die Ausführungen unter 2.1.4.4 sowie die Graphik 1 im Anhang 1.<br />
1726
Integration Behinderter über die Berei<strong>ch</strong>e Arbeit, Wohnen und Freizeit zu erfolgen<br />
hat 24.<br />
2.1.3.3 Neue Integrationsformen<br />
Die Situation Behinderter am Arbeitsplatz ist seit Anfang der Neunzigerjahre im<br />
Wandel begriffen. Während bis Ende der A<strong>ch</strong>tzigerjahre mit der S<strong>ch</strong>affung der gesetzli<strong>ch</strong>en<br />
Grundlagen zur sozialen Si<strong>ch</strong>erheit Behinderter (Invalidenversi<strong>ch</strong>erungsgesetz,<br />
zwei IVG-Revisionen) die S<strong>ch</strong>affung behindertengere<strong>ch</strong>ter Institutionen mit<br />
Arbeitsplätzen im Vordergrund gestanden hatte und dementspre<strong>ch</strong>end die kollektiven<br />
Leistungen der Invalidenversi<strong>ch</strong>erung stark angestiegen sind, kommt heute der<br />
Integration in quantitativer, besonders aber au<strong>ch</strong> in qualitativer Hinsi<strong>ch</strong>t eine zunehmende<br />
Bedeutung zu. Das Augenmerk ist vermehrt auf die Mögli<strong>ch</strong>keiten des<br />
Einzelnen und der Si<strong>ch</strong>erung seiner Autonomie geri<strong>ch</strong>tet. Den Auss<strong>ch</strong>lag zu dieser<br />
veränderten Si<strong>ch</strong>tweise gaben einerseits negative Erfahrungen mit Ausgrenzungseffekten<br />
und andererseits positive Erfahrungen mit neuen Formen der Integration25. Die im Rahmen der 4. IV-Revision vorgelegte Einführung einer Assistenzents<strong>ch</strong>ädigung<br />
zwis<strong>ch</strong>en 10 und 70 Franken pro Tag soll es zahlrei<strong>ch</strong>en Behinderten ermögli<strong>ch</strong>en,<br />
anstatt in Wohnheimen zu Hause – im Kreise ihrer Familie oder als alleinstehende<br />
Person – in ihrer gewohnten Umgebung zu verbleiben. Die Direktzahlungen<br />
sollen an die Betroffenen fliessen, die ihren Alltag selbstverantwortli<strong>ch</strong> organisieren.<br />
Das private Umfeld wird dadur<strong>ch</strong> zu Hilfestellungen vor Ort ermutigt, und das<br />
Selbstwertgefühl der Betroffenen wird gestärkt.<br />
Was die berufli<strong>ch</strong>e und soziale Wiedereingliederung von verunfallten oder s<strong>ch</strong>wer<br />
erkrankten, jedo<strong>ch</strong> genesenden Personen anbelangt, wird die Integration in die Arbeitswelt<br />
je na<strong>ch</strong> Art und Ausmass der psy<strong>ch</strong>ophysis<strong>ch</strong>en Beeinträ<strong>ch</strong>tigung über<br />
spezialisierte Einri<strong>ch</strong>tungen (z.B. Rehabilitationsklinik der SUVA in Bellikon, AG)<br />
bewerkstelligt. Unter den angewandten Massnahmen nimmt die Berufsfindungsabklärung<br />
einen hohen Stellenwert ein. Dies entspri<strong>ch</strong>t dem Grundsatz der Invalidenversi<strong>ch</strong>erung<br />
«Eingliederung vor Rente.»<br />
Da die Erwerbsarbeit für die meisten Mens<strong>ch</strong>en die wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Existenz si<strong>ch</strong>ert,<br />
sollen au<strong>ch</strong> Jugendli<strong>ch</strong>e mit Lernbehinderungen26 eine berufli<strong>ch</strong>e Ausbildung absolvieren<br />
können. Die laufende Revision des Bundesgesetzes über die Berufsbildung27 sieht deshalb eine fa<strong>ch</strong>kundige individuelle Begleitung von Personen mit Lerns<strong>ch</strong>wierigkeiten<br />
vor. Der Bund kann diese individuelle Unterstützung fördern (Art.<br />
24 Uli S<strong>ch</strong>waninger, Behinderte Personen im Arbeitsprozess, in: Walter Weiss (Hrsg.),<br />
Gesundheit in der S<strong>ch</strong>weiz, Züri<strong>ch</strong> 1993, S. 82.<br />
25 Uli S<strong>ch</strong>waninger, a.a.O., S. 83. Verglei<strong>ch</strong>e dazu Katharina Kanka und Marc F. Suter,<br />
Persönli<strong>ch</strong>e Assistenz für Behinderte, S<strong>ch</strong>lüssel zur Selbstverantwortung und<br />
Glei<strong>ch</strong>stellung, NZZ, 6. Oktober 2000, Nr. 233, S. 16.<br />
26 Als lernbehindert gelten Kinder und Jugendli<strong>ch</strong>e, wel<strong>ch</strong>e zwar Lerns<strong>ch</strong>wierigkeiten<br />
haben, jedo<strong>ch</strong> hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> ihrer intellektuellen Fähigkeiten im Streuberei<strong>ch</strong> der<br />
Normalverteilung der intellektuellen Leistungsfähigkeit einer Bevölkerung liegen, d.h.<br />
mindestens einen Intelligenzquotient von 75 Prozent und höher aufweisen, mitunter au<strong>ch</strong><br />
überdur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong> begabt sind, jedo<strong>ch</strong> aus vers<strong>ch</strong>iedenen Gründen (beispielsweise<br />
soziale oder persönli<strong>ch</strong>e Reifemängel und mangelnde Lernbereits<strong>ch</strong>aft usw.) geringe<br />
s<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>e Leistungen erbringen (vgl. weitere Ausführungen über Lernbehinderung in<br />
Ziffer 2.4.1.6).<br />
27 Die Bots<strong>ch</strong>aft wurde vom Bundesrat am 6. September 2000 verabs<strong>ch</strong>iedet; BBl 2000<br />
5686.<br />
1727
28 und Art. 54 Abs. 2 Bst. a Ziff. 5 des Entwurfes). Die Vorlage sieht eine berufspraktis<strong>ch</strong>e<br />
Bildung mit einem gesamts<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Abs<strong>ch</strong>luss vor, der den<br />
Zugang zur Arbeitswelt eröffnen soll. Diese berufspraktis<strong>ch</strong>e Bildung löst die bisherige<br />
Anlehre ab. Auf der Basis dieser ersten Qualifikationsstufe kann, bei entspre<strong>ch</strong>enden<br />
Fähigkeiten des Jugendli<strong>ch</strong>en, na<strong>ch</strong>trägli<strong>ch</strong> ein ordentli<strong>ch</strong>er Lehrabs<strong>ch</strong>luss<br />
mit eidgenössis<strong>ch</strong>em Fähigkeitsausweis – unter teilweiser Anre<strong>ch</strong>nung der berufspraktis<strong>ch</strong>en<br />
Bildung – erfolgen.<br />
2.1.4 Das statistis<strong>ch</strong>e Bild von Mens<strong>ch</strong>en<br />
mit Behinderungen in der S<strong>ch</strong>weiz<br />
2.1.4.1 Zur Datenlage<br />
Es existieren keine genauen Daten zur Anzahl behinderter Personen in der S<strong>ch</strong>weiz.<br />
Hingegen ist bekannt, wie viele Personen Leistungen der Invalidenversi<strong>ch</strong>erung beziehen.<br />
Die IV-Statistik gibt jährli<strong>ch</strong> darüber Auskunft. Jedo<strong>ch</strong> ist dabei zu bedenken,<br />
dass die Daten der IV-Versi<strong>ch</strong>erung kein vollständiges Bild vermitteln: Sie erfassen<br />
– neben den Kindern und Jugendli<strong>ch</strong>en – zwar Invalide im erwerbsfähigen<br />
Alter mit einer Invalidität von mindestens 40% (Anspru<strong>ch</strong>svoraussetzung für eine<br />
IV-Rente) sowie Invalide, wel<strong>ch</strong>e eine andere individuelle Leistung der Invalidenversi<strong>ch</strong>erung<br />
erhalten (Abklärungsmassnahmen, medizinis<strong>ch</strong>e, s<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>e oder berufli<strong>ch</strong>e<br />
Massnahmen und Hilfsmittel). Hingegen fehlen in dieser Statistik all jene<br />
Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen, wel<strong>ch</strong>e die Anspru<strong>ch</strong>svoraussetzungen der Invalidenversi<strong>ch</strong>erung<br />
ni<strong>ch</strong>t erfüllen und deshalb keine IV-Leistungen beziehen können.<br />
Der Bezügerkreis der IV wird au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> die zeitli<strong>ch</strong> limitierten Leistungsanspru<strong>ch</strong>svoraussetzungen<br />
einges<strong>ch</strong>ränkt. So werden Personen mit Behinderungen,<br />
wel<strong>ch</strong>e dank einer berufli<strong>ch</strong>en Ums<strong>ch</strong>ulung ni<strong>ch</strong>t mehr auf die Unterstützung der IV<br />
angewiesen sind, ni<strong>ch</strong>t mehr von der IV-Statistik erfasst. Die Statistik der Invalidenversi<strong>ch</strong>erung<br />
erfasst ledigli<strong>ch</strong> die Mens<strong>ch</strong>en, wel<strong>ch</strong>e eine Leistung der IV zugespro<strong>ch</strong>en<br />
erhalten, hingegen ni<strong>ch</strong>t all die Mens<strong>ch</strong>en, denen es gelungen ist, ihre Behinderung<br />
dur<strong>ch</strong> private Massnahmen und besondere Anstrengungen ohne die Hilfe der<br />
IV soweit zu überwinden, dass sie einer Erwerbstätigkeit na<strong>ch</strong>gehen können.<br />
Die Statistik der Invalidenversi<strong>ch</strong>erung weist die Zahlen aus über Personen, wel<strong>ch</strong>e<br />
si<strong>ch</strong> dank einer dur<strong>ch</strong> die IV unterstützten Erstausbildung oder dur<strong>ch</strong> eine berufli<strong>ch</strong>e<br />
Ums<strong>ch</strong>ulung in die Arbeitswelt eingliedern konnten28. Die IV-Statistik erfasst au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t die Zahl der Arbeitgeber, wel<strong>ch</strong>e freiwillig, aus<br />
sozialer Rücksi<strong>ch</strong>tnahme oder auf Grund betriebswirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er Überlegungen bereit<br />
sind, Mens<strong>ch</strong>en trotz einges<strong>ch</strong>ränkter Leistungsmögli<strong>ch</strong>keiten anzustellen oder<br />
weiterhin zu bes<strong>ch</strong>äftigen.<br />
Eine weitere Eins<strong>ch</strong>ränkung der Aussagekraft der IV-Statistik ergibt si<strong>ch</strong> aus dem<br />
System der Sozialversi<strong>ch</strong>erung AHV/IV. Die IV zahlt na<strong>ch</strong> dem Übertritt ins Rentenalter<br />
keine Leistungen aus, weil mit dem Eintritt ins Rentenalter diese Form der<br />
Sozialversi<strong>ch</strong>erung abgelöst wird dur<strong>ch</strong> die AHV. Einzig die Anzahl der ausbezahlten<br />
Hilflosenents<strong>ch</strong>ädigungen, wel<strong>ch</strong>e au<strong>ch</strong> an die AHV-Rentenbezüger und Ren-<br />
28 Die IV hat im Jahre 1999 5104 Erstausbildungen unterstützt und für 11 471 Personen<br />
dank einer Ums<strong>ch</strong>ulung die berufli<strong>ch</strong>e Wiedereingliederung ermögli<strong>ch</strong>t: siehe IV-<br />
Statistik 1999, Tabelle 6.2., S. 40.<br />
1728
tenbezügerinnen entri<strong>ch</strong>tet werden, ist bekannt. Die Statistik über die Hilflosenents<strong>ch</strong>ädigungen<br />
erfasst jene betagten Behinderten, wel<strong>ch</strong>e in der Alltagsbewältigung<br />
so einges<strong>ch</strong>ränkt sind, dass sie regelmässig auf Dritthilfe angewiesen sind. Im Jahre<br />
1998 waren es 37 781 Personen, wel<strong>ch</strong>e zusätzli<strong>ch</strong> zur AHV-Rente eine Hilflosenents<strong>ch</strong>ädigung<br />
erhielten29. Diese Zahl widerspiegelt jedo<strong>ch</strong> nur einen Bru<strong>ch</strong>teil<br />
der Behinderten im AHV-Rentenalter, weil sie all diejenigen Personen ni<strong>ch</strong>t eins<strong>ch</strong>liesst,<br />
wel<strong>ch</strong>e zwar behindert sind, jedo<strong>ch</strong> für alltägli<strong>ch</strong>e Verri<strong>ch</strong>tungen keine<br />
Dritthilfe benötigen.<br />
Die Datenlücke im Berei<strong>ch</strong> der Behinderung wurde vom Parlament als unbefriedigend<br />
erkannt. In diesem Sinn haben beide Räte ein Postulat überwiesen und den<br />
Bundesrat aufgefordert, entspre<strong>ch</strong>ende S<strong>ch</strong>ritte in die Wege zu leiten (97.3393). Der<br />
Bundesrat nahm inzwis<strong>ch</strong>en die Entwicklung einer Behindertenstatistik als neues<br />
Vorhaben in das statistis<strong>ch</strong>e Mehrjahresprogramm 1999–2003 auf. Die dafür notwendigen<br />
Mittel von 200 000 Franken jährli<strong>ch</strong> sind im Finanzplan ab 2002 eingestellt.<br />
Die Realisierung einer Behindertenstatistik wird voraussi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> finanzielle<br />
Mittel von etwa 1,2 Millionen Franken und personelle Mittel von 1–2 Stellen erfordern.<br />
2.1.4.2 Gesamtzahl der behinderten Personen<br />
Gemäss S<strong>ch</strong>ätzungen aus den Jahren 1991 und 1992 leben in der S<strong>ch</strong>weiz rund<br />
650 000 Personen mit Behinderungen. Darunter sind rund 80 000 Sehbehinderte<br />
und Blinde, 51 000 Hörbehinderte und Gehörlose, 10 000 geistig Behinderte sowie<br />
510 000 Mens<strong>ch</strong>en mit anderen Behinderungen. Die S<strong>ch</strong>ätzung beruht auf einer<br />
groben Annahme, dass jeweils 10 Prozent einer Bevölkerung von einer lei<strong>ch</strong>ten,<br />
mittleren oder s<strong>ch</strong>weren Behinderung betroffen sind. Dana<strong>ch</strong> müsste die Gesamtzahl<br />
im jetzigen Zeitpunkt auf 700 000 erhöht werden, da im Juni 2000 in der S<strong>ch</strong>weiz<br />
7 243 600 Bewohner gezählt wurden 30. Eine andere S<strong>ch</strong>ätzung spri<strong>ch</strong>t von einer<br />
halben Million Mens<strong>ch</strong>en, wel<strong>ch</strong>e in der S<strong>ch</strong>weiz in einem lei<strong>ch</strong>ten, mittleren oder<br />
s<strong>ch</strong>weren Grad behindert sind. 31<br />
2.1.4.3 Ursa<strong>ch</strong>en der Behinderungen<br />
Der Eintritt in die Gruppe der IV-Rentner und IV-Rentnerinnen erfolgt hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong><br />
auf Grund von Krankheit (142 000 Personen oder 76%), wogegen Eintritte<br />
auf Grund von Geburtsgebre<strong>ch</strong>en (26 000 Personen oder 14 %) und Unfällen<br />
(20 000 Personen oder 11%) im Gesamtverglei<strong>ch</strong> nur eine untergeordnete Rolle<br />
spielen 32.<br />
29 IV-Statistik 1999, Tabelle 6.1.1. S. 37. Vgl. au<strong>ch</strong> die summaris<strong>ch</strong>e Darstellung über die<br />
von der Invalidenversi<strong>ch</strong>erung erbra<strong>ch</strong>ten Leistungen im Jahre 1998 in Anhang 2.<br />
30 Uli S<strong>ch</strong>waninger, Behinderte Personen im Arbeitsprozess, in: Walter Weiss (Hrsg.),<br />
Gesundheit in der S<strong>ch</strong>weiz, Züri<strong>ch</strong> 1993, S. 82–85, S. 82. Die Volkswirts<strong>ch</strong>aft,<br />
Nr. 7/20000, S. 20.<br />
31 Verglei<strong>ch</strong>e Ruedi Prerost, Das Hauptziel heisst selbstbestimmtes Leben. Behinderten-<br />
Glei<strong>ch</strong>stellung in der S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Bundesverfassung, in: Judith Hollenweger/Heinz<br />
Bättig (Hrsg.), Bildungswege zur Selbstbestimmung. Ers<strong>ch</strong>werungen für Studierende mit<br />
Behinderungen, Luzern, 1997, S. 27–34, S. 27.<br />
32 Siehe Übersi<strong>ch</strong>t im Anhang 1.<br />
1729
Die IV-Statistik des Jahres 1999 unters<strong>ch</strong>eidet 13 Gebre<strong>ch</strong>ensgruppen, deren Ursa<strong>ch</strong>e<br />
eine Krankheit ist. Unter den Krankheiten gehören vor allem die psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en<br />
Störungen zu den häufigsten Invaliditätsursa<strong>ch</strong>en. Mehr als eine von drei Renten<br />
infolge Krankheit wird auf Grund dieser Diagnose zugespro<strong>ch</strong>en33. Sie verursa<strong>ch</strong>en<br />
unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Funktionsausfälle. Weil deren ökonomis<strong>ch</strong>e Auswirkungen einen<br />
Invaliditätsgrad von mindestens 40 Prozent zur Folge haben, lösen diese Krankheiten<br />
im Einzelfall eine IV-Rente aus34. Ein Blick auf die Statistik der Unfallversi<strong>ch</strong>erung (UVG) zeigt, dass 1993 rund<br />
300 000 Fälle von Berufsunfällen und Berufskrankheiten gemeldet wurden, 30 000<br />
Fälle weniger als 1992. Der seit einigen Jahrzehnten beoba<strong>ch</strong>tete Rückgang der<br />
Unfälle, der Fälle von Invalidität und der Todesfälle in der S<strong>ch</strong>weiz im Berei<strong>ch</strong> der<br />
Arbeitswelt ist – unter anderem – auf die Wirksamkeit von Präventionsmassnahmen<br />
sowie auf eine tief greifende Umstrukturierung des Arbeitsmarktes zurückzuführen.<br />
Allerdings ereignen si<strong>ch</strong> in gewissen Bran<strong>ch</strong>en wie der Forstwirts<strong>ch</strong>aft, dem Bauhauptgewerbe,<br />
dem Ausbaugewerbe, den Steinbrü<strong>ch</strong>en/Gruben sowie der Holz- und<br />
Möbelindustrie überdur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong> viele s<strong>ch</strong>were Unfälle35. Die Verkehrsunfälle bilden eine wi<strong>ch</strong>tige Kategorie der Ni<strong>ch</strong>tbetriebsunfälle (rund<br />
120 000 bzw. 16% aller Ni<strong>ch</strong>tbetriebsunfälle). Die polizeili<strong>ch</strong> erfassten Unfälle fordern<br />
30 000 Verletzte pro Jahr. Verkehrsunfälle verursa<strong>ch</strong>en oft s<strong>ch</strong>were Verletzungen<br />
und hohe Kosten. Die Gesamtsumme der dur<strong>ch</strong> Unfälle verursa<strong>ch</strong>ten sozialen<br />
Kosten wurde im Jahre 1988 auf 5700 Millionen Franken ges<strong>ch</strong>ätzt, wovon<br />
316 Millionen Heilungskosten und 2 142 Millionen Produktionsausfallkosten sind.<br />
Wieviele der Verletzten eine dauernde Invalidität erleiden, geht aus der Statistik<br />
ni<strong>ch</strong>t hervor36. 2.1.4.4 Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit des Bezugs einer IV-Rente<br />
Die Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit, eine IV-Rente zu beziehen, liegt bei 4,2% der Bevölkerung<br />
im erwerbsfähigen Alter. Mit zunehmendem Alter steigt die Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit<br />
ras<strong>ch</strong> an und weist bezügli<strong>ch</strong> der Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ter erhebli<strong>ch</strong>e Unters<strong>ch</strong>iede auf. So weist<br />
die Bevölkerungsgruppe der älteren Männer im erwerbsfähigen Alter ein maximales<br />
Risiko auf: einer von fünf Männern kurz vor der Pensionierung ist IV-Rentner. Der<br />
Eintritt in die Gruppe der IV-Rentner und IV-Rentnerinnen erfolgt hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> auf<br />
Grund von Krankheit. Der Bezug einer Invalidenrente ist ein Phänomen, das ebenso<br />
wie die Vers<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>terung des Gesundheitszustandes hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> mit dem Alter<br />
zusammenhängt37. 58% aller IV-Rentner und IV-Rentnerinnen in der S<strong>ch</strong>weiz sind Männer. Deren<br />
Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit, eine IV-Rente zu beziehen, liegt gesamthaft um ein Drittel hö-<br />
33 IV-Statistik 1999, S. 21.<br />
34 Siehe die Tabellen 1 und 2 im Anhang 1.<br />
35 Hans Ulri<strong>ch</strong> Debrunner, Marcel Jost, Peter Wüthri<strong>ch</strong>, Berufsunfälle und<br />
Berufskrankheiten, In: Walter Weiss (Hrsg.), Gesundheit in der S<strong>ch</strong>weiz, Züri<strong>ch</strong> 1993,<br />
S. 357.<br />
36 Calmonte Roland, Brigitte Herren, Thomas Spuhler, Christophe Koller, Gesundheit und<br />
Gesundheitsverhalten in der S<strong>ch</strong>weiz, Detailergebnisse der 1. S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Gesundheitsbefragung<br />
1992/93 des Bundesamtes für Statistik, Neu<strong>ch</strong>âtel 1998, S. 62 und 63.<br />
Hingegen sind die Todesfälle bekannt: An den Folgen von Strassenunfällen sterben in der<br />
S<strong>ch</strong>weiz jährli<strong>ch</strong> zwis<strong>ch</strong>en 800 und 900 Mens<strong>ch</strong>en.<br />
37 Vgl. dazu die Grafik 1 im Anhang 1.<br />
1730
her als jene der Frauen. Wenn man die Hauptrisikofaktoren «Mann» und «erhöhtes<br />
Alter» verbindet, stellt man fest, dass ein Drittel aller IV-Rentenbezüger der Gruppe<br />
der über 50 Jahren alten Männer angehören 38. Ob si<strong>ch</strong> diese Risikofaktoren au<strong>ch</strong> im<br />
AHV-Alter fortsetzen, ist aus der IV-Statistik ni<strong>ch</strong>t ersi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>, da mit dem Eintritt<br />
ins AHV-Rentenalter die IV-Rente dur<strong>ch</strong> die AHV-Rente abgelöst wird.<br />
2.1.4.5 Entwicklung der Invalidität seit 1992<br />
Das jährli<strong>ch</strong>e Wa<strong>ch</strong>stum der Anzahl der IV-Leistungsbezüger und -bezügerinnen<br />
betrug in der S<strong>ch</strong>weiz in den letzten se<strong>ch</strong>s Jahren (1992–1998) dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong><br />
3,7% (+ 77 000 Personen). Glei<strong>ch</strong>zeitig stieg die Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit, eine IV-<br />
Leistung zu beziehen, von 5,4% auf 6,6% der versi<strong>ch</strong>erten Bevölkerung. Die Differenz<br />
von 1,2 Punkten entspri<strong>ch</strong>t einem Anstieg von 20% seit dem Jahre 1992.<br />
Dieses Wa<strong>ch</strong>stum kann ni<strong>ch</strong>t nur auf das Phänomen der Alterung der versi<strong>ch</strong>erten<br />
Bevölkerung zurückgeführt werden. Es ist au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t bloss eine direkte Folge der<br />
s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en Wirts<strong>ch</strong>aftskonjunktur: Die Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit, von Invalidität betroffen<br />
zu sein, ist seit 1992 ausnahmslos in allen Altersklassen gestiegen39. Da mit zunehmendem<br />
Alter das Invaliditätsrisiko zunimmt, wirkt si<strong>ch</strong> die Vers<strong>ch</strong>iebung der Alterspyramide<br />
in einer Zunahme der Invalidisierungen aus. Ein Fünftel der zwis<strong>ch</strong>en<br />
1985 und 1995 gemeldeten neuen Fälle der IV ist auf diese Entwicklung zurückzuführen40.<br />
Im zeitli<strong>ch</strong>en Verglei<strong>ch</strong> zeigt si<strong>ch</strong>, dass bei den Personen, wel<strong>ch</strong>e auf<br />
Grund von Krankheit als invalid anerkannt werden (80% der Neuzugänge), immer<br />
häufiger «Beeinträ<strong>ch</strong>tigungen der Kno<strong>ch</strong>en oder Bewegungsorgane» sowie «psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e<br />
Erkrankungen» (Psy<strong>ch</strong>osen, Psy<strong>ch</strong>oneurosen und Persönli<strong>ch</strong>keitsstörungen) als<br />
Krankheitsursa<strong>ch</strong>e angegeben werden. Während 1958 bei 5 von 10 Fällen diese<br />
zwei Krankheitsbilder anzutreffen waren, sind es 1995 s<strong>ch</strong>on 7 von 10.<br />
2.1.4.6 Kinder und minderjährige Jugendli<strong>ch</strong>e<br />
mit Behinderungen<br />
Bei Kindern und Jugendli<strong>ch</strong>en mit Behinderungen unters<strong>ch</strong>eidet man folgende Kategorien41:<br />
Blinde und Sehbehinderte, Gehörlose und S<strong>ch</strong>werhörige, Körperbehinderte<br />
und <strong>ch</strong>ronis<strong>ch</strong> Kranke, Lernbehinderte, geistig Behinderte, Spra<strong>ch</strong>behinderte<br />
und Verhaltensgestörte.<br />
Die s<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>en Förderungsbedürfnisse der Behinderten können jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t einfa<strong>ch</strong><br />
na<strong>ch</strong> Behindertenkategorien definiert werden. Neuere Definitionsbemühungen<br />
gehen dahin, die Zusammenhänge zwis<strong>ch</strong>en der spezifis<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>ädigung und den<br />
mögli<strong>ch</strong>en Aktivitäten sowie die individuellen Partizipationsmögli<strong>ch</strong>keiten jedes<br />
einzelnen Kindes zu berücksi<strong>ch</strong>tigen.<br />
Viele körperbehinderte Kinder und Jugendli<strong>ch</strong>e können in Regelklassen integriert<br />
werden, sofern die bauli<strong>ch</strong>en Bedingungen dies zulassen. Andere Kinder mit Behin-<br />
38 IV-Statistik 1999, S. 20.<br />
39 IV-Statistik 1999, S. 12.<br />
40 Verglei<strong>ch</strong>e François Donini, Nicolas Es<strong>ch</strong>mann, Anstieg der IV-Rentenbezüger:<br />
Erklärungsansätze. In: Soziale Si<strong>ch</strong>erheit, Nr. 4, 1998, S. 202–207, S. 204.<br />
41 Angaben der S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Zentralstelle für Heilpädagogik vom 7. Oktober 2000.<br />
1731
derungen brau<strong>ch</strong>en eine zusätzli<strong>ch</strong>e Unterstützung, zum Teil s<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>e Unterstützung,<br />
zum Teil aber au<strong>ch</strong> eine breit gefä<strong>ch</strong>erte Unterstützung in s<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>en wie<br />
au<strong>ch</strong> in aussers<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>en Lebensberei<strong>ch</strong>en (Wohnen, Körperpflege, Freizeit,<br />
Transport usw.).<br />
Kinder mit besonderen Förderbedürfnissen werden in der S<strong>ch</strong>weiz auf drei Arten<br />
ges<strong>ch</strong>ult: in IV-subventionierten Sonders<strong>ch</strong>ulen, in speziellen Kleinklassen42 und in<br />
Regelklassen unter Beizug heilpädagogis<strong>ch</strong>er Fa<strong>ch</strong>personen oder spezialisierter<br />
Dienste (integrative S<strong>ch</strong>ulungsformen).<br />
In Sonders<strong>ch</strong>ulen, wel<strong>ch</strong>e von der IV unterstützt sind, werden in unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en<br />
Klassen bzw. Lerngruppen unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> bildungsfähige Kinder gefördert. Man<br />
unters<strong>ch</strong>eidet s<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong> bildungsfähige Kinder, wel<strong>ch</strong>e einen reduzierten S<strong>ch</strong>ulstoff<br />
bewältigen (Erlernen der grundlegenden Kulturte<strong>ch</strong>niken Lesen, S<strong>ch</strong>reiben und<br />
Re<strong>ch</strong>nen), praktis<strong>ch</strong> bildungsfähige Kinder (Einüben von praktis<strong>ch</strong>em Alltagskönnen),<br />
rudimentär bildungsfähige Kinder im Einzelunterri<strong>ch</strong>t (z.B. Orientierung im<br />
Raum, Wahrnehmungstraining, Differenzierung der Reaktionen auf Umweltreize).<br />
Die beiden Kategorien Sonderklassen (Klassen der Sonders<strong>ch</strong>ulen im Sinne der IV<br />
und Kleinklassen im Rahmen der ordentli<strong>ch</strong>en Grunds<strong>ch</strong>ule) fasst das Bundesamt<br />
für Statistik zusammen und bezei<strong>ch</strong>net sie als «Klassen mit besonderem Lehrplan».<br />
Damit fallen in dieses breite statistis<strong>ch</strong>e «Gefäss» sowohl das lei<strong>ch</strong>t entwicklungsverzögerte<br />
Kind, das den S<strong>ch</strong>ulstart in einer Einführungsklasse vollzieht, wie au<strong>ch</strong><br />
ein mehrfa<strong>ch</strong>behindertes Kind, das in einer Sonders<strong>ch</strong>ule alltagspraktis<strong>ch</strong>es Können<br />
erwirbt. Währenddem in Kleinklassen die Kinder s<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong> bildungsfähig sind, d.h.<br />
fähig sind, si<strong>ch</strong> die grundlegenden Kulturte<strong>ch</strong>niken anzueignen, finden si<strong>ch</strong> in den<br />
IV-Sonders<strong>ch</strong>ulen neben Lerngruppen mit s<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong> bildungsfähigen Kindern au<strong>ch</strong><br />
Lerngruppen mit Kindern, wel<strong>ch</strong>e ledigli<strong>ch</strong> praktis<strong>ch</strong> bildungsfähig sind. Das Invalidenversi<strong>ch</strong>erungsgesetz<br />
ums<strong>ch</strong>reibt die Sonders<strong>ch</strong>ulung wie folgt: Zur Sonders<strong>ch</strong>ulung<br />
gehört die eigentli<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>ulausbildung sowie, falls ein Unterri<strong>ch</strong>t in den<br />
Elementarfä<strong>ch</strong>ern ni<strong>ch</strong>t oder nur bes<strong>ch</strong>ränkt mögli<strong>ch</strong> ist, die Förderung in manuellen<br />
Belangen, in den Verri<strong>ch</strong>tungen des tägli<strong>ch</strong>en Lebens und in der Fähigkeit des<br />
Kontaktes mit der Umwelt (Art. 19 Abs. 1 Satz 2 IVG).<br />
Im S<strong>ch</strong>uljahr 1997/98 besu<strong>ch</strong>ten insgesamt 792 954 S<strong>ch</strong>ülerinnen und S<strong>ch</strong>üler die<br />
Klassen der obligatoris<strong>ch</strong>en Volkss<strong>ch</strong>ule. Davon waren 44 447 (d.h. über 5 %) der<br />
S<strong>ch</strong>ülerinnen und S<strong>ch</strong>üler in Klassen mit besonderem Lehrplan eingeteilt43. Mehr<br />
als 34 000 Kinder haben im S<strong>ch</strong>uljahr 1998/99 Sonders<strong>ch</strong>ulbeiträge der Invalidenversi<strong>ch</strong>erung<br />
erhalten. Ungefähr die Hälfte dieser Kinder besu<strong>ch</strong>ten eine Klasse mit<br />
besonderem Lehrplan, während die andere Hälfte entweder im Vors<strong>ch</strong>ulalter oder<br />
parallel zum Volkss<strong>ch</strong>ulunterri<strong>ch</strong>t pädagogis<strong>ch</strong>-therapeutis<strong>ch</strong>e Massnahmen in Anspru<strong>ch</strong><br />
nahm44. 42 Kleinklassen sind Bestandteil der Volkss<strong>ch</strong>ule. Bei den Kleinklassen unters<strong>ch</strong>eidet man<br />
5 Kategorien, wel<strong>ch</strong>e jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t in allen Kantonen in dieser Ausprägung vorhanden<br />
sind und teilweise unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> benannt werden: Einführungsklassen (Vermittlung des<br />
Stoffes der ersten Primars<strong>ch</strong>ulklasse während zweier S<strong>ch</strong>uljahre), Fremdspra<strong>ch</strong>enklassen<br />
als Integrationshilfe, Kleinklassen für Lernbehinderte, Kleinklassen für Verhaltensauffällige<br />
sowie Werkklassen (Kleinklasse auf der Sekundarstufe I). Angaben vom<br />
Heilpädagogis<strong>ch</strong>en Institut der Universität Freiburg vom 20. Oktober 2000.<br />
43 Im S<strong>ch</strong>uljahr 1998/99 besu<strong>ch</strong>ten gesamthaft 47 013 Kinder eine Klasse mit besonderem<br />
Lehrplan, wovon 45% ausländis<strong>ch</strong>e Kinder waren. Statistis<strong>ch</strong>es Jahrbu<strong>ch</strong> der S<strong>ch</strong>weiz<br />
2000, 107. Jahrgang, Züri<strong>ch</strong> 1999, S. 398.<br />
44 IV-Statistik 1999, S. 14.<br />
1732
Mehr als die Hälfte der Kinder, wel<strong>ch</strong>e eine Klasse mit besonderem Lehrplan besu<strong>ch</strong>en,<br />
fällt in die Kategorie der S<strong>ch</strong>üler mit Lernbehinderungen. Es sind Kinder,<br />
wel<strong>ch</strong>e trotz S<strong>ch</strong>uls<strong>ch</strong>wierigkeiten fähig sind, die grundlegenden Kulturte<strong>ch</strong>niken<br />
Lesen, S<strong>ch</strong>reiben und Re<strong>ch</strong>nen zu erlernen. Die zweitgrösste Gruppe bilden die<br />
Kinder mit einer geistigen Behinderung (18,6%). Diese Kinder sind u.U. praktis<strong>ch</strong><br />
bildungsfähig, jedo<strong>ch</strong> erlauben es ihre einges<strong>ch</strong>ränkten intellektuellen Mögli<strong>ch</strong>keiten<br />
ni<strong>ch</strong>t, einem Unterri<strong>ch</strong>t in den Elementarfä<strong>ch</strong>ern zu folgen. Unter die Gruppe der<br />
geistig Behinderten fallen au<strong>ch</strong> Kinder mit s<strong>ch</strong>werer Mehrfa<strong>ch</strong>behinderung, wel<strong>ch</strong>e<br />
rudimentär bildungsfähig sind. Minderjährige, wel<strong>ch</strong>e bei den alltägli<strong>ch</strong>en Lebensverri<strong>ch</strong>tungen<br />
(wie Ankleiden oder Essen) in erhebli<strong>ch</strong>er Weise auf die Hilfe Dritter<br />
angewiesen sind, haben Anspru<strong>ch</strong> auf einen Pflegebeitrag für hilflose Minderjährige,<br />
wel<strong>ch</strong>er bei einem Heimaufenthalt um ein Kostgeld von 56 Franken pro Überna<strong>ch</strong>tung<br />
erhöht wird (Art. 13 IVV) 45.<br />
Der Verglei<strong>ch</strong> mit früheren Jahren zeigt, dass der prozentuale Anteil der Gruppe von<br />
S<strong>ch</strong>ülern und S<strong>ch</strong>ülerinnen, die als lernbehindert angesehen werden, wä<strong>ch</strong>st. Im<br />
Verglei<strong>ch</strong> zwis<strong>ch</strong>en den Kantonen sind zudem erhebli<strong>ch</strong>e Unters<strong>ch</strong>iede in der kantonalen<br />
Zuweisungspraxis feststellbar, wel<strong>ch</strong>e vermeintli<strong>ch</strong> exakte Definitionen in<br />
Frage stellen. Ausländis<strong>ch</strong>e Kinder sind in Kleinklassen mit 44,6 Prozent – im Verglei<strong>ch</strong><br />
zum gesamts<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nitt von 22 Prozent ausländis<strong>ch</strong>er Kinder<br />
in der Volkss<strong>ch</strong>ule – überproportional vertreten46. Der hohe Anteil an ausländis<strong>ch</strong>en<br />
Kindern in den Kleinklassen weist darauf hin, dass im s<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>en Berei<strong>ch</strong> die<br />
sozial und kulturell bedingten Lernbehinderungen, namentli<strong>ch</strong> fehlende Spra<strong>ch</strong>kenntnisse,<br />
von Bedeutung sind.<br />
2.1.4.7 Mobilitätsbehinderung<br />
Die Mobilität stellt einen zentralen Aspekt des Gesundheitszustandes und der gesundheitli<strong>ch</strong>en<br />
Lebensqualität dar, da sie den Autonomiegrad bzw. die Abhängigkeit<br />
von anderen Personen ums<strong>ch</strong>reibt. Die Mobilität kann vor allem dur<strong>ch</strong> körperli<strong>ch</strong>e,<br />
aber au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> andere Behinderungen beeinträ<strong>ch</strong>tigt sein. Die na<strong>ch</strong>folgenden Zahlen<br />
über Mens<strong>ch</strong>en mit körperli<strong>ch</strong>en Behinderungen lassen erahnen, wie gross der<br />
Anteil der Mobilitätsbehinderten an der gesamten Bevölkerung ist. 15,2 Prozent der<br />
Männer und 13,4 Prozent der Frauen im Alter zwis<strong>ch</strong>en 25 und 69 Jahren sind permanent<br />
körperli<strong>ch</strong> behindert 47. Wie viele Mens<strong>ch</strong>en davon in ihrer Fortbewegung<br />
einges<strong>ch</strong>ränkt sind, ist ni<strong>ch</strong>t genau bekannt. Geht man davon aus, dass etwa die<br />
Hälfte davon, d.h. 7 %, mobilitätsbehindert sind, bedeutet dies eine Anzahl von rund<br />
300 000 Mens<strong>ch</strong>en. Was dies im konkreten Alltag bedeutet, mag folgende Untersu<strong>ch</strong>ung<br />
der Da<strong>ch</strong>organisationenkonferenz der privaten Behindertenhilfe verans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>en:<br />
Na<strong>ch</strong> dieser Erhebung sind nur 20 bis 30 Prozent der öffentli<strong>ch</strong>en Gebäude<br />
45 Das Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des<br />
Sozialversi<strong>ch</strong>erungsre<strong>ch</strong>ts (ATSG) enthält eine lei<strong>ch</strong>t andere Definition (vgl. Art. 9 und<br />
die Aufhebung von Art. 42 Abs. 2 IVG; BBl 2000 5041).<br />
46 Gabriel Sturni-Bossart, Angaben der S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Zentralstelle für Heilpädagogik mit<br />
Hinweisen auf Angaben des Bundesamtes für Statistik sowie auf Kormann, R. Burgard,<br />
P. Ei<strong>ch</strong>ling H.-M: Zur Überrepräsentation von ausländis<strong>ch</strong>en Kindern und Jugendli<strong>ch</strong>en<br />
in S<strong>ch</strong>ulen für Lernbehinderte. In: Zeits<strong>ch</strong>rift für Heilpädagogik, Nr. 3, 1999,<br />
S. 106–109.<br />
47 Roland Calmonte, Brigitte Herren, Thomas Spuhler, Chrisophe Koller: Gesundheit und<br />
Gesundheitsverhalten in der S<strong>ch</strong>weiz. Detailergebnisse der 1. S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en<br />
Gesundheitsbefragung 1992/93, Bundesamt für Statistik, Neu<strong>ch</strong>âtel 1998, S. 117.<br />
1733
wie Poststellen, Kir<strong>ch</strong>en, öffentli<strong>ch</strong>e Verkehrsmittel, Restaurants für Gehbehinderte<br />
überhaupt zugängli<strong>ch</strong> 48.<br />
2.2 Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen als Träger<br />
von spezifis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en- und Freiheitsre<strong>ch</strong>ten<br />
2.2.1 Allgemeine Re<strong>ch</strong>tsentwicklung<br />
Die Allgemeine Erklärung der Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te vom 10. Dezember 1948 und die<br />
Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>tspakte der Vereinten Nationen (Internationaler Pakt über bürgerli<strong>ch</strong>e<br />
und politis<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te vom 16.12.1966 und Internationaler Pakt über wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e,<br />
soziale und kulturelle Re<strong>ch</strong>te vom 16.12.196649, beide in der S<strong>ch</strong>weiz in Kraft seit<br />
dem 18. September 1992) beziehen si<strong>ch</strong> auf die allgemeinen Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te. Sie<br />
sind in den vergangenen Jahrzehnten na<strong>ch</strong> und na<strong>ch</strong> ergänzt worden dur<strong>ch</strong> weitere<br />
Instrumente, die den spezifis<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>utzbedürfnissen bestimmter Personenkategorien<br />
in differenzierter Weise Re<strong>ch</strong>nung tragen. Diese Ausdifferenzierung erfolgt u.a.<br />
deshalb, weil der Mens<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mehr nur als abstraktes Gattungswesen, sondern in<br />
der Besonderheit seiner konkreten Lebensumstände in der Gesells<strong>ch</strong>aft als Kind, als<br />
Frau, als alter oder kranker Mens<strong>ch</strong>, als Angehöriger einer ethnis<strong>ch</strong>en oder spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en<br />
Minderheit usw. betra<strong>ch</strong>tet wird.<br />
Die Entwicklung sol<strong>ch</strong>er ergänzender Instrumente des internationalen S<strong>ch</strong>utzes der<br />
Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te widerspiegelt die S<strong>ch</strong>ärfung des re<strong>ch</strong>tssoziologis<strong>ch</strong>en Blickes für<br />
die Vielfalt der Lebensumstände in einer Gesells<strong>ch</strong>aft, glei<strong>ch</strong>zeitig aber au<strong>ch</strong> die<br />
Mühe, Re<strong>ch</strong>te unbesehen vom sozialen Status allen Mens<strong>ch</strong>en zuzugestehen: 1952<br />
die Konvention über die politis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>te der Frau, 1959 die Erklärung der Re<strong>ch</strong>te<br />
des Kindes50, 1965 die Konvention über die Beseitigung der Rassendiskriminierung51,<br />
1971 die Erklärung der Re<strong>ch</strong>te der geistig Behinderten, 1975 die Erklärung<br />
der Re<strong>ch</strong>te der Behinderten, 1981 Internationales UNO-Jahr der Behinderten, 1982<br />
Weltkongress in Wien über die Re<strong>ch</strong>te der Alten, 1993 der Erlass von Standardregeln<br />
der Vereinten Nationen zur Glei<strong>ch</strong>stellung von Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen,<br />
wel<strong>ch</strong>e im Ingress der Salamanca-Erklärung über Prinzipien, Politik und Praxis der<br />
Pädagogik für besondere Bedürfnisse angerufen werden52. Au<strong>ch</strong> wenn die S<strong>ch</strong>weiz ni<strong>ch</strong>t alle Konventionen ratifiziert hat, nimmt sie aktiv an<br />
dieser allgemeinen Re<strong>ch</strong>tsentwicklung teil. Die genannten Konventionen und UNO-<br />
Deklarationen bekräftigen das Re<strong>ch</strong>t, trotz Anderssein, trotz einer Existenz mit physis<strong>ch</strong>en<br />
oder psy<strong>ch</strong>o-mentalen S<strong>ch</strong>wierigkeiten, Krankheiten und Defiziten, wel<strong>ch</strong>e<br />
man als Behinderung bezei<strong>ch</strong>net, glei<strong>ch</strong> wie die andern Mens<strong>ch</strong>en behandelt zu<br />
werden bzw. besonderen S<strong>ch</strong>utz und besondere Unterstützung zu erhalten. Gemeinsam<br />
ist den Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>tskonventionen das Anliegen der gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Integration<br />
dur<strong>ch</strong> Verbesserung der Lebens<strong>ch</strong>ancen.<br />
48 Allgemein zum Problem, siehe den Diskriminationsberi<strong>ch</strong>t der DOK, 2.Aufl., Züri<strong>ch</strong><br />
1998.<br />
49 SR 0.103.1 und SR 0.103.2<br />
50 In der S<strong>ch</strong>weiz in Kraft seit 26. März 1997 (SR. 0.107, BBl 1994 V 1).<br />
51 In der S<strong>ch</strong>weiz in Kraft seit 29. Dezember 1994 (SR. 0.104, BBl 1992 III 269–331)<br />
52 Salamanca-Erklärung und der Aktionsrahmen zur Pädagogik für besondere Bedürfnisse,<br />
hersg. von der österrei<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en UNESCO-Kommission, übergeben dur<strong>ch</strong>: DOMINO,<br />
Verein für behinderte Mens<strong>ch</strong>en, Linz, 1. Aufl., 1996.<br />
1734
2.2.2 Besondere Gefahr der Diskriminierung<br />
Typisierungen und Kategorisierungen haben eine für die Wahrnehmung bedeutsame<br />
Entlastungsfunktion. Die Tendenz zu typisieren und zu kategorisieren erklärt si<strong>ch</strong><br />
dadur<strong>ch</strong>, dass sie dem Einzelnen wie der Gesells<strong>ch</strong>aft helfen, die Vielfalt und Fülle<br />
der Lebensers<strong>ch</strong>einungen überblickbar und lei<strong>ch</strong>t kommunizierbar zu ma<strong>ch</strong>en. Problematis<strong>ch</strong><br />
werden Vorgänge, dur<strong>ch</strong> wel<strong>ch</strong>e Mens<strong>ch</strong>engruppen unter ein bestimmtes<br />
Etikett oder Klis<strong>ch</strong>ee fallen, sodass das einzelne Mitglied einer sol<strong>ch</strong>en Gruppe nur<br />
no<strong>ch</strong> in einem verengten Blickwinkel als «typis<strong>ch</strong>er» Gruppenvertreter und ni<strong>ch</strong>t<br />
mehr als Individuum mit spezifis<strong>ch</strong>en Eigens<strong>ch</strong>aften und Bedürfnissen wahrgenommen<br />
wird. Eine sol<strong>ch</strong> reduzierte Wahrnehmung birgt die Gefahr in si<strong>ch</strong>, dass si<strong>ch</strong><br />
die Beziehung ni<strong>ch</strong>t mehr offen und unvoreingenommen gestaltet. Mit den vorgeformten<br />
Gruppenbildern lassen si<strong>ch</strong> die auf das «Typis<strong>ch</strong>e» reduzierten, überaus<br />
komplexen Verhältnisse der gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en und individuellen Realitäten gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong><br />
und individuell einfa<strong>ch</strong>er, vor allem bequemer, bewältigen. Die Tendenz<br />
zu Klassifizierungen mittels lei<strong>ch</strong>t anwendbarer Gegensatzpaare wie Frau–Mann,<br />
jung–alt, gesund–krank, normal–abwei<strong>ch</strong>end ist verführeris<strong>ch</strong> und verhängnisvoll,<br />
wenn damit unbesonnen Bewertungen getroffen werden, wel<strong>ch</strong>e dem einzelnen<br />
Mens<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t gere<strong>ch</strong>t werden und ihn gar auss<strong>ch</strong>liessen aus Kontakt- und Entfaltungsmögli<strong>ch</strong>keiten.<br />
Die Auswirkungen sol<strong>ch</strong>er Vereinfa<strong>ch</strong>ungen auf der Ebene der<br />
Wahrnehmung verfestigen si<strong>ch</strong> in Einstellungen und Verhaltensdispositionen. Sie<br />
werden wirksam bis in die feinsten Verästelungen der Organisation von Staat und<br />
Gesells<strong>ch</strong>aft, deren Entwicklungsdynamik stets auf Grund von Wertungen und Bewertungen<br />
erfolgt. «Derartige (verengte, wertungsmässig vorgegebene und unreflektiert<br />
übernommene) Behandlungen oder Annäherungen werden diskriminierend,<br />
wenn sie aus dem Gesi<strong>ch</strong>tswinkel re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>er oder ethis<strong>ch</strong>er (gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er)<br />
Werte als negativ eingestuft werden müssen und ni<strong>ch</strong>t allgemein gelten, sondern bestimmte<br />
soziale Gruppen spezifis<strong>ch</strong> treffen53.» Das Re<strong>ch</strong>t versu<strong>ch</strong>t, sol<strong>ch</strong>en Diskriminierungen Einhalt zu gebieten. Es ist in der<br />
Re<strong>ch</strong>tslehre anerkannt, dass Wertungen einfliessen in der Beurteilung dessen, was<br />
als glei<strong>ch</strong> und was als unglei<strong>ch</strong> anzusehen ist und demzufolge entweder glei<strong>ch</strong> oder<br />
unglei<strong>ch</strong> zu behandeln ist. In allen Fällen der Güterabwägung zwis<strong>ch</strong>en öffentli<strong>ch</strong>en<br />
und individuellen Interessen, zwis<strong>ch</strong>en den Interessen des Einzelnen und des Gemeinwesens<br />
fliessen Wertungen zur Re<strong>ch</strong>tfertigung der Andersbehandlung ein.<br />
Werthaltungen sind Ausdruck eines bestimmten Weltbildes, einer bestimmten kulturellen<br />
Tradition und Verwurzelung, eines bestimmten Mens<strong>ch</strong>enbildes. Eine Geisteshaltung,<br />
wel<strong>ch</strong>e gewisse Mens<strong>ch</strong>en in ihren Re<strong>ch</strong>ten und Entfaltungsmögli<strong>ch</strong>keiten<br />
bes<strong>ch</strong>neidet, sei es bewusst oder unbewusst, direkt oder indirekt, ist unvereinbar<br />
mit dem Ideal einer offenen, toleranten Gesells<strong>ch</strong>aft. Dieses Ideal basiert in der Leitidee<br />
der Würde des Mens<strong>ch</strong>en (Art. 7 BV) als hö<strong>ch</strong>stem Wert und auf den individuellen<br />
Grund- und Freiheitsre<strong>ch</strong>ten. Damit verpfli<strong>ch</strong>tet si<strong>ch</strong> das Gemeinwesen, allen<br />
Mens<strong>ch</strong>en ein Optimum an Lebens<strong>ch</strong>ancen zu gewähren54. Die Anerkennung und S<strong>ch</strong>affung von Bedingungen zur Optimierung von Lebens<strong>ch</strong>ancen<br />
au<strong>ch</strong> für Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen ist keine Selbstverständli<strong>ch</strong>keit. Gerade<br />
in der heutigen Zeit, in wel<strong>ch</strong>er der Wert eines Mens<strong>ch</strong>en in Gefahr steht, vor-<br />
53 Regula Kägi-Diener, Medienma<strong>ch</strong>t und Diskriminierung gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er Gruppen am<br />
Beispiel des Bildes der Frau in den Medien, AJP 9/1994, S. 1129.<br />
54 Vgl. Previtali, a.a.O., S. 164.<br />
1735
angig na<strong>ch</strong> ökonomis<strong>ch</strong>en Leistungskriterien und/oder na<strong>ch</strong> medizinis<strong>ch</strong>gesundheitli<strong>ch</strong>en<br />
Ideal- und Ma<strong>ch</strong>barkeitsvorstellungen bemessen und bewertet zu<br />
werden, ist der Staat verpfli<strong>ch</strong>tet, mit gezielten Massnahmen Abwertungstendenzen<br />
und Ausgrenzungsme<strong>ch</strong>anismen entgegenzutreten. Der Gesetzgeber kann mit seiner<br />
Autorität dokumentieren, dass diskriminierende Ausgrenzung ni<strong>ch</strong>t tolerierbar ist.<br />
Er kann eine wirksame Politik betreiben und neue Zugangsmögli<strong>ch</strong>keiten für Mens<strong>ch</strong>en<br />
mit Behinderungen s<strong>ch</strong>affen. Glei<strong>ch</strong>zeitig kann er dadur<strong>ch</strong> einen Bewusstseinswandel<br />
anregen.<br />
2.3 Re<strong>ch</strong>tsverglei<strong>ch</strong><br />
2.3.1 Verglei<strong>ch</strong> mit den Re<strong>ch</strong>tsordnungen ausgewählter<br />
Staaten<br />
2.3.1.1 Besondere Verfassungsbestimmungen<br />
und besondere Behindertengesetze<br />
Deuts<strong>ch</strong>land<br />
Das Grundgesetz kennt mit Artikel 3 seit 1994 eine Bestimmung über die Re<strong>ch</strong>tsglei<strong>ch</strong>heit,<br />
die mit Artikel 8 BV verglei<strong>ch</strong>bar ist. Das Grundgesetz bes<strong>ch</strong>reibt die<br />
Behinderung als Auswirkung einer ni<strong>ch</strong>t nur vorübergehenden Funktionsbeeinträ<strong>ch</strong>tigung,<br />
die auf einem regelwidrigen körperli<strong>ch</strong>en, geistigen oder seelis<strong>ch</strong>en Zustand<br />
beruht. Das Bundesverfassungsgeri<strong>ch</strong>t hat si<strong>ch</strong> mit der Frage auseinander gesetzt,<br />
wie behinderte Kinder zu unterri<strong>ch</strong>ten sind. Es hat gestützt auf das Grundgesetz<br />
einen individuellen Anspru<strong>ch</strong> auf «integrative Bes<strong>ch</strong>ulung» im Rahmen des tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong><br />
Ma<strong>ch</strong>baren bejaht (BVR 9/97 vom 8.10.97). Auf Grund der bisherigen<br />
Re<strong>ch</strong>tspre<strong>ch</strong>ung ist unklar, wieweit Artikel 3 Grundgesetz eine Drittwirkung entfaltet.<br />
Frankrei<strong>ch</strong><br />
In Frankrei<strong>ch</strong> ist seit 1990 ein Antidiskriminierungsgesetz in Kraft, das die Glei<strong>ch</strong>stellung<br />
der Behinderten regelt. Dieses Gesetz bietet eine Reihe von Sanktionsmögli<strong>ch</strong>keiten<br />
im Falle von Diskriminierungen (Geldstrafen und in besonderen Fällen<br />
au<strong>ch</strong> Haftstrafen). Gastwirte, die si<strong>ch</strong> weigern, behinderte Gäste zu bewirten, müssen<br />
si<strong>ch</strong> seit der Verabs<strong>ch</strong>iedung dieses Gesetzes im Falle einer Klage vor Geri<strong>ch</strong>t<br />
verantworten, ähnli<strong>ch</strong> wie Taxifahrer oder andere Dienstleistungsanbieter, die si<strong>ch</strong><br />
weigern, Behinderte zu bedienen. Neben der individuellen Klage gibt es die Mögli<strong>ch</strong>keit<br />
des Verbandsklagere<strong>ch</strong>tes, wobei als einzige Voraussetzung gilt, dass der<br />
Verband bereits fünf Jahre lang ges<strong>ch</strong>äftsfähig sein muss.<br />
Italien<br />
Die Verfassung Italiens erfasst Behinderte mit dem Glei<strong>ch</strong>stellungsgebot (Art. 3)<br />
sowie mit einer Bestimmung, die allen arbeitsunfähigen und nur bes<strong>ch</strong>ränkt arbeitsfähigen<br />
Personen ein Re<strong>ch</strong>t auf Erziehung, Berufsausbildung und Sozialhilfe gewährt<br />
(Artikel 38).<br />
Österrei<strong>ch</strong><br />
Das Bundesbehindertengesetz von 1990 sieht vers<strong>ch</strong>iedene Massnahmen (Behindertenpass,<br />
Fahrvergünstigungen, Befreiung von Gebühren, Hilfsmittel usw.)<br />
vor, die die bestmögli<strong>ch</strong>e Teilnahme am gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Leben si<strong>ch</strong>ern sollen.<br />
1736
Spanien<br />
Die Verfassung Spaniens enthält seit 1992 einen besonderen Artikel über Behinderte<br />
(Art. 49), der den Staat verpfli<strong>ch</strong>tet, auf Behinderte besonders Rücksi<strong>ch</strong>t zu<br />
nehmen hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> Vorsorge, Behandlung, Rehabilitation und Eingliederung körperli<strong>ch</strong><br />
und geistig Behinderter. Ein Gesetz zur sozialen Integration behinderter Personen<br />
(13/1982 vom 7.04.1983) konkretisiert diese Bestimmung unter anderem in<br />
den Berei<strong>ch</strong>en Arbeit, Bildung, Bauten und Verkehr.<br />
USA<br />
Bereits in den Siebzigerjahren wurden umfassende gesetzli<strong>ch</strong>e Regelungen für die<br />
Glei<strong>ch</strong>stellung Behinderter verabs<strong>ch</strong>iedet. Im Jahre 1990 verabs<strong>ch</strong>iedete der Kongress<br />
der USA ein weiteres, viel umfassenderes Glei<strong>ch</strong>stellungsgesetz für Behinderte,<br />
den «Americans with Disabilities Act (ADA)». Es verbietet Diskriminierungen<br />
von Behinderten bei der Einstellung und Bes<strong>ch</strong>äftigung, bei der Inanspru<strong>ch</strong>nahme<br />
von öffentli<strong>ch</strong>en Einri<strong>ch</strong>tungen und Dienstleistungen, bei der Benutzung des öffentli<strong>ch</strong>en<br />
Personenverkehrs und bei der Inanspru<strong>ch</strong>nahme von telekommunikativen<br />
Einri<strong>ch</strong>tungen. Überdies ma<strong>ch</strong>t es Vors<strong>ch</strong>riften für die Aktivitäten der Bundesstaaten<br />
und Gemeinden. Klagen gegen die Verletzung des ADA können sowohl von<br />
Privatpersonen als au<strong>ch</strong> von staatli<strong>ch</strong>er Seite eingerei<strong>ch</strong>t werden. Einri<strong>ch</strong>tungen, die<br />
finanzielle Unterstützungen dur<strong>ch</strong> die Bundesregierung erhalten, können die Zus<strong>ch</strong>üsse<br />
dur<strong>ch</strong> den Bund entzogen werden, wenn sie Bestimmungen des ADA verletzen.<br />
Vers<strong>ch</strong>iedene staatli<strong>ch</strong>e Kommissionen sind als Bes<strong>ch</strong>werdestelle tätig.<br />
Kanada<br />
Kanada hat seine Verfassung mit einer Bestimmung über Behinderte erweitert und<br />
1982 in Artikel 15 der Grundre<strong>ch</strong>ts<strong>ch</strong>arta festges<strong>ch</strong>rieben, dass «Mens<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t auf<br />
Grund ihrer Rasse, ihrer nationalen oder ethnis<strong>ch</strong>en Zugehörigkeit, ihrer Hautfarbe,<br />
ihrer Religion, ihres Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ts, ihres Alters, ihrer geistigen oder körperli<strong>ch</strong>en<br />
S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>en diskriminiert werden dürfen».<br />
2.3.1.2 Arbeitsre<strong>ch</strong>t<br />
Deuts<strong>ch</strong>land<br />
Das S<strong>ch</strong>werbehindertengesetz vom 26. August 1986 soll die Integration von Personen<br />
mit einem Behinderungsgrad von über 50% in Arbeit, Beruf und Gesells<strong>ch</strong>aft<br />
si<strong>ch</strong>ern. Hauptinstrument des Gesetzes ist die Pfli<strong>ch</strong>t der privaten und öffentli<strong>ch</strong>en<br />
Arbeitgeber mit mindestens 16 Arbeitnehmern, auf mindestens 6% der Arbeitsplätze<br />
S<strong>ch</strong>werbehinderte zu bes<strong>ch</strong>äftigen. Für ni<strong>ch</strong>t besetzte Pfli<strong>ch</strong>tarbeitsplätze haben die<br />
Arbeitgeber eine monatli<strong>ch</strong>e Abgabe von DM 200.– zu entri<strong>ch</strong>ten. S<strong>ch</strong>werbehinderte<br />
geniessen zudem einen besonderen arbeitsre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Kündigungss<strong>ch</strong>utz und<br />
können die Nahverkehrsmittel unentgeltli<strong>ch</strong> benützen (Kosten gehen zu Lasten des<br />
Bundes). Für behinderte Personen, die auf dem Arbeitsmarkt keine Bes<strong>ch</strong>äftigung<br />
finden, existieren ges<strong>ch</strong>ützte Werkstätten, wel<strong>ch</strong>e berufli<strong>ch</strong>e Ausbildung und angemessene<br />
Bes<strong>ch</strong>äftigungsmögli<strong>ch</strong>keiten bieten.<br />
Frankrei<strong>ch</strong><br />
Für den privatre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Berei<strong>ch</strong> sieht das Gesetz No. 87–157 vom 10. Juli 1987<br />
(Art. L 323-1 ff. des Code de la Santé publique) für Betriebe mit mehr als 20 Ange-<br />
1737
stellten eine Einstellungspfli<strong>ch</strong>t für Behinderte im Ausmass von 6% vor; die Sanktion<br />
besteht in einer «freiwilligen» Abgabe, die als Vielfa<strong>ch</strong>es des Minimalstundenlohnes<br />
(SMIC) bestimmt wird. Im öffentli<strong>ch</strong>-re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Berei<strong>ch</strong> bestimmen besondere<br />
Kommissionen (cotorep) die Personen, die als Behinderte zur Arbeit in der<br />
Verwaltung zugelassen werden können, sei es in besonderen Kategorien (emplois<br />
réservés), auf dem Weg über besonders ausgestaltete Ausleseverfahren (concours<br />
aménagés) oder in einem vorläufigen Vertragsverhältnis, na<strong>ch</strong> dessen Ablauf unter<br />
bestimmten Bedingungen eine definitive Anstellung in Betra<strong>ch</strong>t kommt.<br />
Italien<br />
Ein neues Gesetz No. 68 vom 12. März 1999 hat eine na<strong>ch</strong> Betriebsgrösse abgestufte<br />
Einstellungspfli<strong>ch</strong>t eingeführt (bzw. frühere in dieselbe Ri<strong>ch</strong>tung zielende<br />
Bestimmungen revidiert): in Betrieben mit über 50 Bes<strong>ch</strong>äftigten beträgt die «Behindertenquote»<br />
7%, in Betrieben mit 35–50 Angestellten müssen mindestens zwei<br />
und in Betrieben mit 15–30 Bes<strong>ch</strong>äftigten mindestens eine behinderte Person arbeiten<br />
können. Arbeitgeber, die Behinderte einstellen, haben Anspru<strong>ch</strong> auf Prämien<br />
und gewisse andere Vorteile.<br />
Österrei<strong>ch</strong><br />
Das Behinderteneinstellungsgesetz von 1970 verpfli<strong>ch</strong>tet Arbeitgeber mit mehr als<br />
25 Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen, auf 25 Bes<strong>ch</strong>äftigte mindestens eine behinderte<br />
Person mit einem Behinderungsgrad von mindestens 50% anzustellen. Wer<br />
diese Quote ni<strong>ch</strong>t einhält, muss eine Ausglei<strong>ch</strong>staxe entri<strong>ch</strong>ten. Für die Ausbildung<br />
von im Betrieb bes<strong>ch</strong>äftigten Behinderten sowie für Aufträge an Behinderteninstitutionen<br />
gibt es Prämien und Förderungsbeiträge. Das Behinderteneinstellungsgesetz<br />
sieht zudem einen besonderen Kündigungss<strong>ch</strong>utz zu Gunsten der Behinderten vor<br />
(Zustimmung des Behindertenauss<strong>ch</strong>usses beim Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen).<br />
Spanien<br />
Das Integrationsgesetz (13/1982) befasst si<strong>ch</strong> mit Fragen der berufli<strong>ch</strong>en Ausbildung<br />
und (Wieder-)Eingliederung Behinderter und mit Massnahmen zur Integration<br />
dieser Personen in die Arbeitswelt, insbesondere dur<strong>ch</strong> eine Einstellungspfli<strong>ch</strong>t zu<br />
Lasten der Betriebe mit mehr als 50 Bes<strong>ch</strong>äftigten («Behindertenquote» 2 %) sowie<br />
mittels Ni<strong>ch</strong>tigerklärung von diskriminierenden Klauseln in den (individuellen und<br />
kollektiven) Arbeitsverträgen. Die Arbeitsämter führen eine Liste mit arbeitsu<strong>ch</strong>enden<br />
Behinderten. Im Übrigen werden die Integrationsmassnahmen dur<strong>ch</strong> Subventionen<br />
unterstützt, und für ni<strong>ch</strong>t vermittelbare Personen ist die S<strong>ch</strong>affung ges<strong>ch</strong>ützter<br />
Arbeitsplätze vorgesehen. Arbeitslose Behinderte haben Anspru<strong>ch</strong> auf ein Mindesteinkommen.<br />
Grossbritannien<br />
Mit dem Disability Discrimination Act hat Grossbritannien 1995 die obligatoris<strong>ch</strong>en<br />
Bes<strong>ch</strong>äftigungsquoten (Disabled Persons Employment Act 1944) abges<strong>ch</strong>afft. Für<br />
Arbeitgeber gilt nun ein allgemeines Diskriminierungsverbot gegenüber Behinderten,<br />
wel<strong>ch</strong>es in Betrieben mit mehr als 15 Bes<strong>ch</strong>äftigten au<strong>ch</strong> positive Massnahmen<br />
(reasonable adjustments) zur Glei<strong>ch</strong>stellung dieser Personen mit den übrigen Angestellten<br />
erfordern kann. Gegen Diskriminierung besteht die Mögli<strong>ch</strong>keit einer (gesetzli<strong>ch</strong><br />
limitierten) S<strong>ch</strong>adenersatzklage beim County Court. Im Übrigen kann der<br />
zuständige Minister Mittel zur Verfügung stellen, um die Bes<strong>ch</strong>äftigung einer be-<br />
1738
hinderten Person zu ermögli<strong>ch</strong>en oder ihr eine entspre<strong>ch</strong>ende Ausbildung zu vers<strong>ch</strong>affen.<br />
S<strong>ch</strong>weden<br />
Dur<strong>ch</strong> das Gesetz 1970:663 werden die Gemeinden ermä<strong>ch</strong>tigt, rein kommerziell<br />
geführte Unternehmungen zu betreiben, in denen Behinderte bes<strong>ch</strong>äftigt werden,<br />
wenn für diese Personen auf dem lokalen Arbeitsmarkt keine anderen Einsatzmögli<strong>ch</strong>keiten<br />
bestehen. Der neue Erlass 1999:132 betreffend das Verbot der Diskriminierung<br />
Behinderter in der Arbeitswelt regelt unter diesem Gesi<strong>ch</strong>tspunkt sowohl die<br />
direkte wie die indirekte Diskriminierung (z.B. s<strong>ch</strong>einbar neutrale Anstellungs- bzw.<br />
Arbeitsbedingungen, dur<strong>ch</strong> wel<strong>ch</strong>e aber Behinderte de facto von der Bewerbung<br />
ausges<strong>ch</strong>lossen werden). Sanktioniert wird die Diskriminierung dur<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>adenersatzansprü<strong>ch</strong>e,<br />
zu deren Geltendma<strong>ch</strong>ung der Bere<strong>ch</strong>tigte si<strong>ch</strong> allenfalls vom Ombudsmann<br />
für Behinderte vertreten lassen kann. Bes<strong>ch</strong>äftigungsquoten sind im<br />
s<strong>ch</strong>wedis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t vorgesehen.<br />
USA<br />
Der «Americans with Disabilities Act» (ADA) von 1990 verbietet unter anderem<br />
Diskriminierungen von Behinderten bei der Einstellung und Bes<strong>ch</strong>äftigung. Na<strong>ch</strong><br />
dem ADA ist es privaten und staatli<strong>ch</strong> unterstützten Arbeitgebern mit mehr als<br />
15 Arbeitnehmern verboten, qualifizierte Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen auf Grund<br />
ihrer Behinderung bei der Bewerbung, der Einstellung, Beförderung, Entlassung,<br />
Entlöhnung, Aus- und Fortbildung sowie hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> der Arbeitsbedingungen zu<br />
diskriminieren. Die Arbeitgeber sind angewiesen, hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> der Anforderungen<br />
und der Strukturen einer Arbeitsstelle angemessene Bedingungen zu s<strong>ch</strong>affen, die es<br />
Behinderten erlauben, die betreffende Tätigkeit auszuüben. Über die Einhaltung dieser<br />
Bestimmungen wa<strong>ch</strong>t eine spezielle Kommission, der au<strong>ch</strong> Individualbes<strong>ch</strong>werden<br />
vorzulegen sind. Darüber hinaus müssen Arbeitgeber mit mehr als 50 Angestellten,<br />
die Staatsaufträge von über 50 000 $ erhalten, positive Massnahmen treffen,<br />
um qualifizierte Behinderte bes<strong>ch</strong>äftigen zu können (Rehabilitation Act von 1973).<br />
Kanada<br />
Eine spezielle Kommission wa<strong>ch</strong>t über die Dur<strong>ch</strong>setzung der in der Verfassung und<br />
im Gesetz über die Persönli<strong>ch</strong>keitsre<strong>ch</strong>te von 1977 enthaltenen Bestimmungen gegen<br />
Diskriminierung. Im Arbeitsberei<strong>ch</strong> werden diese Bestimmungen konkretisiert<br />
dur<strong>ch</strong> ein Gesetz und ein Reglement über die «Billigkeit» im Arbeitsre<strong>ch</strong>t<br />
(Loi sur l’équité en matière d’emploi/1995; Règlement sur l’équité en matière<br />
d’emploi/1996), wel<strong>ch</strong>e sowohl für den privaten wie den öffentli<strong>ch</strong>en Sektor gelten.<br />
Die Arbeitgeber werden angehalten, Hindernisse für die berufli<strong>ch</strong>e Laufbahn Behinderter<br />
zu eliminieren. Zentralregierung und Provinzen oder Territorien teilen si<strong>ch</strong> in<br />
die Finanzierung von Institutionen und Programmen zur Förderung der Eingliederung<br />
Behinderter. Ausserdem besteht beim Ministerium für Human Ressources<br />
ein spezieller Integrationsfonds, aus wel<strong>ch</strong>em Förderungsmassnahmen finanziert<br />
werden. Für Angestellte im öffentli<strong>ch</strong>en Dienst sind besondere te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>e und andere<br />
Hilfsmassnahmen vorgesehen; eine «Commission de la fonction publique» mit<br />
individuellem Beratungsdienst ist für diesen Berei<strong>ch</strong> zuständig. Für junge Personen<br />
mit Behinderungen läuft in Zusammenarbeit mit der Privatwirts<strong>ch</strong>aft ein Programm<br />
«Pathway», in dessen Rahmen si<strong>ch</strong> Kaderleute darum kümmern, für diese Jungen<br />
Bes<strong>ch</strong>äftigungsmögli<strong>ch</strong>keiten als stagiaires zu finden.<br />
1739
2.3.1.3 Bauli<strong>ch</strong>e Anpassungen von Gebäuden<br />
Deuts<strong>ch</strong>land<br />
Au<strong>ch</strong> in Deuts<strong>ch</strong>land ist das Baure<strong>ch</strong>t Ländersa<strong>ch</strong>e. Die Bauordnungen der Länder<br />
enthalten Vors<strong>ch</strong>riften über die behindertengere<strong>ch</strong>te Gestaltung bauli<strong>ch</strong>er Anlagen.<br />
Frankrei<strong>ch</strong><br />
Ein spezielles Gesetz (Loi d’orientation en faveur des personnes handicapées<br />
no.75-335 vom 30. Juni 1975) s<strong>ch</strong>reibt vor, dass die ar<strong>ch</strong>itektonis<strong>ch</strong>en Dispositionen<br />
und die Ausgestaltung der Räume in Wohnbauten und in öffentli<strong>ch</strong>en Gebäuden<br />
so bes<strong>ch</strong>affen sein müssen, dass sie für Behinderte zugängli<strong>ch</strong> sind. Dur<strong>ch</strong> zwei<br />
Dekrete (no. 78-109 vom 1. Februar 1978 und no. 78-1167 vom 8. Dezember 1978)<br />
werden diese Bestimmungen konkretisiert, insbesondere bezügli<strong>ch</strong> Rollstuhlgängigkeit,<br />
und auf alle neuen privaten und staatli<strong>ch</strong>en Anlagen anwendbar erklärt. Dur<strong>ch</strong><br />
ein weiteres Gesetz (Loi no. 91-663 du 13 juillet 1991) und entspre<strong>ch</strong>ende Ausführungserlasse<br />
ist eine präventive Kontrolle eingeführt und der Code de la construction,<br />
de l’habitation et de l’urbanisme, etwa im Bezug auf die Baubewilligungen und<br />
die Eröffnung von Gebäuden mit Publikumsverkehr, entspre<strong>ch</strong>end ergänzt worden.<br />
In einem jüngsten Erlass (Décret no. 99-756 du 31. August 1999) werden detaillierte<br />
Vors<strong>ch</strong>riften über die behindertengere<strong>ch</strong>te Anlage von öffentli<strong>ch</strong>en sowie privaten,<br />
aber der Öffentli<strong>ch</strong>keit zugängli<strong>ch</strong>en Strassen, Plätzen und Örtli<strong>ch</strong>keiten aufgestellt.<br />
Für Massnahmen zur Verbesserung des Zugangs von Behinderten zu Verwaltungsstellen<br />
in älteren Gebäuden steht ein interministerieller Fonds (Fonds interministériel<br />
pour l’accessibilité aux personnes handicapées des bâtiments anciens ouverts au<br />
public qui appartiennent à l’Etat) zur Verfügung, der von einer speziellen Commission<br />
interministérielle de la Politique immobilière de l’Etat (CPIE) verwaltet wird.<br />
Italien<br />
In zwei glei<strong>ch</strong>namigen Gesetzen (Legge no. 118 vom 30. März 1971, Legge no. 13<br />
vom 9. Januar 1989, modifiziert dur<strong>ch</strong> Legge no. 62 vom 27. Februar 1989) und ergänzenden<br />
Erlassen sind Massnahmen für den öffentli<strong>ch</strong>en und privaten Berei<strong>ch</strong><br />
vorgesehen, insbesondere Beihilfen für bauli<strong>ch</strong>e Anpassungen. Mit einem weiteren<br />
Gesetz (Legge no. 49/1997) werden für sol<strong>ch</strong>e Arbeiten Steuervergünstigungen gewährt.<br />
Österrei<strong>ch</strong><br />
Das Bauwesen steht in Österrei<strong>ch</strong> in der Kompetenz der Länder. Es bestehen deshalb<br />
in diesem Berei<strong>ch</strong> keine Normen auf Bundesebene.<br />
Spanien<br />
Das Integrationsgesetz (13/1982) enthält für den Bauberei<strong>ch</strong> Vors<strong>ch</strong>riften über die<br />
behindertengere<strong>ch</strong>te Neukonstruktion, Renovation oder Vergrösserung von öffentli<strong>ch</strong>en<br />
und privaten Gebäuden und hält die zuständigen Stellen dazu an, private Bauherren<br />
bei der Dur<strong>ch</strong>führung sol<strong>ch</strong>er Arbeiten zu unterstützen und unter gewissen<br />
Umständen au<strong>ch</strong> zu subventionieren. Beim subventionierten Wohnungsbau werden<br />
direkt entspre<strong>ch</strong>ende Auflagen (Beispiel: Einbau rollstuhlgängiger Aufzüge) gema<strong>ch</strong>t.<br />
1740
Grossbritannien<br />
Es gibt in Grossbritannien keine gesetzli<strong>ch</strong>en Bestimmungen, wel<strong>ch</strong>e bestimmte<br />
Massnahmen zur behindertengere<strong>ch</strong>ten Anlage und Ausstattung von Gebäuden vors<strong>ch</strong>reiben.<br />
Hingegen können die lokalen Wohnungsämter (local housing authorities)<br />
privaten Bauherren Finanzierungsbeihilfen zur Dur<strong>ch</strong>führung entspre<strong>ch</strong>ender Anpassungen<br />
gewähren. Eine Ausnahme ma<strong>ch</strong>t der Chronically Sick and Disabled Persons<br />
Act 1970, der in § 8 vors<strong>ch</strong>reibt, dass Ausbildungsstätten für Behinderte zugängli<strong>ch</strong><br />
gema<strong>ch</strong>t werden müssen.<br />
S<strong>ch</strong>weden<br />
Ein Gesetz 1987:10 s<strong>ch</strong>reibt für den Siedlungsbau in Artikel 4 eine behindertengere<strong>ch</strong>te<br />
Anlage vor. Na<strong>ch</strong> einem neueren Erlass 1993:387 über die Unterstützung Behinderter<br />
wird diesen das Re<strong>ch</strong>t zugespro<strong>ch</strong>en, in Privatwohnungen untergebra<strong>ch</strong>t<br />
zu werden, die ihrer Behinderung angepasst sind, oder – falls es si<strong>ch</strong> um eine sehr<br />
s<strong>ch</strong>were Behinderung handelt – gar in Wohnungen, in denen für ihre elementaren<br />
Bedürfnisse (Haushaltführung, Mahlzeitenabgabe usw.) gesorgt wird.<br />
USA<br />
Die Fair Housing Act Amendments von 1988 verbieten die Diskriminierung Behinderter.<br />
Zudem sind Vermieter verpfli<strong>ch</strong>tet, angemessene Anpassungen der von Behinderten<br />
gemieteten Wohnungen an deren Bedürfnisse zu tolerieren. Für Wohngebäude<br />
mit mehr als drei Wohnungen und Aufzug, die na<strong>ch</strong> 1991 in Betrieb genommen<br />
wurden, besteht die Verpfli<strong>ch</strong>tung zu positiven Massnahmen, die Behinderten<br />
den Zugang zu Gemeins<strong>ch</strong>aftsräumen ermögli<strong>ch</strong>en und au<strong>ch</strong> die einzelnen Wohnungen<br />
rollstuhlgängig ma<strong>ch</strong>en sollen.<br />
Alle neuen Bauten, die von öffentli<strong>ch</strong>en Einri<strong>ch</strong>tungen in Anspru<strong>ch</strong> genommen<br />
werden, müssen für Behinderte zugängli<strong>ch</strong> sein. Vom ADA als öffentli<strong>ch</strong>e Einri<strong>ch</strong>tungen<br />
und Dienstleistungen erfasst werden Ges<strong>ch</strong>äfte, Hotels, Restaurants, Theater,<br />
Versammlungsräume, Büros, Museen, Parks, S<strong>ch</strong>ulen, Sportstätten, Ämter usw. Wie<br />
Studien gezeigt haben, werden dur<strong>ch</strong> diese Vors<strong>ch</strong>riften die Baukosten dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong><br />
ledigli<strong>ch</strong> um ½ Prozent erhöht. Bei bestehenden Gebäuden müssen Veränderungen<br />
vorgenommen werden, wenn diese lei<strong>ch</strong>t zu verwirkli<strong>ch</strong>en und ohne<br />
grössere S<strong>ch</strong>wierigkeiten oder Kosten umsetzbar sind. Die Barrieren müssen aber<br />
ni<strong>ch</strong>t nur für Rollstuhlbenutzer beseitigt werden, sondern au<strong>ch</strong> für andere Behindertengruppen<br />
wie die Sehges<strong>ch</strong>ädigten und die Hörbehinderten. So sind öffentli<strong>ch</strong>e<br />
Einri<strong>ch</strong>tungen dazu verpfli<strong>ch</strong>tet, au<strong>ch</strong> akustis<strong>ch</strong>e Hilfsmittel und Dienstleistungen<br />
bereitzustellen, um Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen die Nutzung der angebotenen<br />
Güter oder Dienstleistungen zu ermögli<strong>ch</strong>en. Dies umfasst sowohl die Bereitstellung<br />
von qualifizierten Gebärdendolmets<strong>ch</strong>ern oder anderen Hilfen für Hörbehinderte als<br />
au<strong>ch</strong> die Bereitstellung von Materialien in Grosss<strong>ch</strong>rift, Brailles<strong>ch</strong>rift oder auf Kassette<br />
für Sehbehinderte und Blinde. Wo sol<strong>ch</strong>e Massnahmen eine «unangemessene<br />
Bürde» bedeuten würden, genügt es, dass Personal bereitsteht, um auf die speziellen<br />
Bedürfnisse behinderter Benutzer der Einri<strong>ch</strong>tung einzugehen. So muss etwa das<br />
Personal in Gaststätten bereit sein, Sehbehinderten die Speisekarte vorzulesen.<br />
Kanada<br />
Das Wohnungswesen ist in Kanada grundsätzli<strong>ch</strong> Sa<strong>ch</strong>e der Provinzen. Das Gesetz<br />
über die Persönli<strong>ch</strong>keitsre<strong>ch</strong>te enthält aber in den Art. 5 und 6 Diskriminationsverbote,<br />
die si<strong>ch</strong> ausdrückli<strong>ch</strong> (au<strong>ch</strong>) auf die Beherbergung und das Zurverfügungstellen<br />
von Wohn- und Ges<strong>ch</strong>äftsräumen beziehen. Ausserdem hat das zuständige Mi-<br />
1741
nisterium über eine besondere Organisation, die Société canadienne d’hypothèque et<br />
de logement, Wohnungshilfe- und Anpassungsprogramme für behinderte Personen<br />
eingeleitet.<br />
2.3.1.4 Erziehungswesen<br />
Deuts<strong>ch</strong>land<br />
Die Erziehung ist Sa<strong>ch</strong>e der Länder. Alle Bundesländer haben Sonders<strong>ch</strong>ulen für<br />
Behinderte eingeri<strong>ch</strong>tet.<br />
Frankrei<strong>ch</strong><br />
Für behinderte Kinder sind Sonderklassen vorgesehen, die je na<strong>ch</strong> der Pflegebedürftigkeit<br />
der Kinder dem Erziehungs- oder dem Sozialministerium zugeordnet<br />
sind. Zum Gesundheitsministerium gehören weitere Sondereinri<strong>ch</strong>tungen für die<br />
Aufnahme beziehungsgestörter sowie motoris<strong>ch</strong> oder sensoris<strong>ch</strong> behinderter Kinder.<br />
Auf Departements- und Bezirksebene bestehen besondere Kommissionen, die si<strong>ch</strong><br />
mit der Betreuung und Unterbringung der Kinder (Stipendiengewährung, Befreiung<br />
von Unterbringungs- und Behandlungskosten in spezialisierten Einri<strong>ch</strong>tungen,<br />
Übernahme von Transportkosten usw.) befassen. Das Gesetz No. 87-157 vom 10.<br />
Juli 1987 enthält Anreize für die Unternehmen, wel<strong>ch</strong>e Lehrstellen für behinderte<br />
Jugendli<strong>ch</strong>e anbieten. Weitere Erlasse betreffen die Gewährung von Stipendien für<br />
höhere S<strong>ch</strong>ulen, von denen insbesondere au<strong>ch</strong> behinderte Personen aus weniger begüterten<br />
Kreisen profitieren können; ihnen können au<strong>ch</strong> Ausnahmen von der Verpfli<strong>ch</strong>tung<br />
zugestanden werden, si<strong>ch</strong> hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> und vollzeitli<strong>ch</strong> dem Studium zu<br />
widmen (etwa wenn medizinis<strong>ch</strong>e Notwendigkeiten dem entgegenstehen). Besondere<br />
Bestimmungen bestehen au<strong>ch</strong> hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> der Dur<strong>ch</strong>führung von Examen für behinderte<br />
Kandidaten und Kandidatinnen.<br />
Italien<br />
Auf der Primars<strong>ch</strong>ulstufe sind besondere Betreuer eingesetzt, wel<strong>ch</strong>e si<strong>ch</strong> um die<br />
Integration behinderter Kinder und die Dur<strong>ch</strong>führung der für sie bestimmten Lehrprogramme<br />
kümmern. Ein Gesetz vom 5. Februar 1993 Nr.104 statuiert das grundsätzli<strong>ch</strong>e<br />
Re<strong>ch</strong>t aller minderjährigen Behinderten auf s<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>e Ausbildung und<br />
sieht vers<strong>ch</strong>iedene Massnahmen zur Förderung der S<strong>ch</strong>ulung behinderter Personen<br />
vor: Koordination der Lehrpläne mit aussers<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>en Aktivitäten, sonderpädagogis<strong>ch</strong>e<br />
Lehrveranstaltungen usw. Au<strong>ch</strong> in Italien existieren besondere Bestimmungen<br />
für die Dur<strong>ch</strong>führung von Examina mit behinderten S<strong>ch</strong>ülerinnen und S<strong>ch</strong>ülern.<br />
Bei den S<strong>ch</strong>ulämtern der Provinzen sind besondere Arbeitsgruppen mit der Dur<strong>ch</strong>führung<br />
dieser Massnahmen sowie der entspre<strong>ch</strong>enden Beratung der betroffenen<br />
Personen betraut; diese Arbeitsgruppen können au<strong>ch</strong> Vors<strong>ch</strong>läge für weitere Massnahmen<br />
und Verbesserungen einbringen. Für die Ho<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ulstufe bestehen besondere<br />
Regeln.<br />
Österrei<strong>ch</strong><br />
Beim S<strong>ch</strong>ulberei<strong>ch</strong> handelt es si<strong>ch</strong> – abgesehen von bundesre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Regeln über<br />
die Pfli<strong>ch</strong>ts<strong>ch</strong>ulen – um eine Kompetenz der Länder.<br />
1742
Spanien<br />
Das Integrationsgesetz (13/1982) sieht in den Artikel 23 ff. Massnahmen zur Integration<br />
Behinderter in das allgemeine Erziehungssystem vor, wel<strong>ch</strong>es au<strong>ch</strong> sonderpädagogis<strong>ch</strong>e<br />
Einri<strong>ch</strong>tungen zur Verfügung zu stellen hat, denen die Kinder auf<br />
Grund einer pluridisziplinären Diagnose individuell zugewiesen werden. Darüber<br />
hinaus können für Personen mit s<strong>ch</strong>weren Behinderungen au<strong>ch</strong> spezielle Betreuungszentren<br />
ges<strong>ch</strong>affen werden. Interessant ist die Vors<strong>ch</strong>rift, wona<strong>ch</strong> öffentli<strong>ch</strong>e<br />
Spitäler und private Krankenhäuser, in wel<strong>ch</strong>en mehr als 50% der Betten von der<br />
öffentli<strong>ch</strong>en Hand subventioniert sind, eine pädagogis<strong>ch</strong>e Abteilung einzuri<strong>ch</strong>ten<br />
haben, die si<strong>ch</strong> um die S<strong>ch</strong>ulung hospitalisierter S<strong>ch</strong>üler kümmert. Behinderte Studenten<br />
sind von den Studiengebühren befreit. Sie können verlangen, dass die Examina<br />
in behindertengere<strong>ch</strong>ter Weise abgenommen werden.<br />
Grossbritannien<br />
Na<strong>ch</strong> dem Education Act 1977 ist es primär Sa<strong>ch</strong>e der Eltern, dafür zu sorgen, dass<br />
ihre Kinder, au<strong>ch</strong> behinderte, eine angemessene Ausbildung erhalten. Für die Erziehung<br />
behinderter Kinder existiert immerhin ein Code of practice, der vom Staatssekretariat<br />
erstellt und periodis<strong>ch</strong> revidiert wird und von den beiden Parlamentskammern<br />
genehmigt werden muss. Dana<strong>ch</strong> sollen behinderte Kinder so weit mögli<strong>ch</strong> –<br />
und wenn dies dem Wuns<strong>ch</strong> der Eltern entspri<strong>ch</strong>t – zusammen mit gesunden die<br />
S<strong>ch</strong>ulen besu<strong>ch</strong>en. Die zuständigen Behörden sind gehalten, behinderte Kinder zu<br />
erfassen, ihren Zustand zu evaluieren und darüber einen Beri<strong>ch</strong>t zu verfassen. Eltern<br />
können eine sol<strong>ch</strong>e Evaluation oder Reevalution au<strong>ch</strong> verlangen und haben, falls sie<br />
mit dem Ergebnis ni<strong>ch</strong>t einverstanden sind, ein Bes<strong>ch</strong>werdere<strong>ch</strong>t, das bei einem<br />
Spezialgeri<strong>ch</strong>t geltend gema<strong>ch</strong>t werden kann. Die Behörden sind ferner aufgerufen,<br />
ihr Mögli<strong>ch</strong>stes zu tun, um besonderen Bedürfnissen Behinderter entgegenzukommen<br />
und dafür zu sorgen, dass sie in den normalen S<strong>ch</strong>ulbetrieb eingegliedert<br />
werden. Wer eine S<strong>ch</strong>ule, ein College oder eine Universität betreibt, ist verpfli<strong>ch</strong>tet,<br />
die entspre<strong>ch</strong>enden Gebäude und deren Umgebung für Behinderte zugängli<strong>ch</strong> zu<br />
ma<strong>ch</strong>en, soweit dies mit zumutbarem Aufwand mögli<strong>ch</strong> ist.<br />
S<strong>ch</strong>weden<br />
Das s<strong>ch</strong>wedis<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>t sieht eine Vielzahl von Massnahmen mit dem Zweck vor,<br />
behinderten Kindern mögli<strong>ch</strong>st glei<strong>ch</strong>wertige Ausbildungsbedingungen zu bieten<br />
wie gesunden. Sie rei<strong>ch</strong>en von Gratistransporten über den Einsatz von Tutoren bis<br />
zur S<strong>ch</strong>affung von Sonderklassen.<br />
USA<br />
Der Rehabilitation Act 1973 verbietet jegli<strong>ch</strong>e Diskriminierung behinderter Personen,<br />
au<strong>ch</strong> im S<strong>ch</strong>ulwesen. Zusammen mit dem Individuals with Disabilities Education<br />
Act und zahlrei<strong>ch</strong>en Ausführungsvors<strong>ch</strong>riften gewährleistet er für jedes behinderte<br />
Kind in den Vereinigten Staaten eine unentgeltli<strong>ch</strong>e und angemessene Ausbildung.<br />
Dazu gehören unter Umständen au<strong>ch</strong> therapeutis<strong>ch</strong>e Massnahmen, Sondertransporte,<br />
Beratungen, Übersetzerdienste, te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>e Hilfsmittel usw. Die Eltern<br />
werden in das Individual Education Program einbezogen. Ziel der entspre<strong>ch</strong>enden<br />
Bemühungen ist, den Kindern eine Erziehung in einem Umfeld zu vers<strong>ch</strong>affen, das<br />
mögli<strong>ch</strong>st nahe an dasjenige herankommt, in wel<strong>ch</strong>em gesunde Kinder ihre Erziehung<br />
erhalten.<br />
1743
Kanada<br />
Für das Erziehungswesen sind au<strong>ch</strong> in Kanada primär die Provinzen zuständig. Die<br />
Bundesregierung unterstützt deren Bemühungen jedo<strong>ch</strong> über ein Stipendienprogramm,<br />
innerhalb dessen für Behinderte ein Sonderregime vorgesehen ist. Insbesondere<br />
können behinderte Studierende auf Gymnasialstufe als Vollzeitstudierende<br />
au<strong>ch</strong> anerkannt werden, wenn ihr Pensum ledigli<strong>ch</strong> 40% eines normalen Vollzeitstudiums<br />
beträgt. Ausserdem kann invaliden Absolventen die Rückerstattung der<br />
als Darlehen ausgestalteten Stipendien erlassen werden, wenn deren Tilgung ihnen<br />
nur mit unverhältnismässigen Anstrengungen mögli<strong>ch</strong> wäre.<br />
2.3.1.5 Öffentli<strong>ch</strong>er Verkehr<br />
Deuts<strong>ch</strong>land<br />
Das S<strong>ch</strong>werbehindertengesetz verpfli<strong>ch</strong>tet Unternehmen des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs,<br />
erhebli<strong>ch</strong> behinderte Personen gegen Vorzeigen eines entspre<strong>ch</strong>enden Ausweises<br />
unentgeltli<strong>ch</strong> zu befördern. Einzelheiten sind in einem besonderen Gesetz über die<br />
unentgeltli<strong>ch</strong>e Beförderung S<strong>ch</strong>werbehinderter (UnBefG vom 9. Juli 1979) geregelt.<br />
Frankrei<strong>ch</strong><br />
Die Loi d’orientation en faveur des personnes handicapées enthält Bestimmungen,<br />
wel<strong>ch</strong>e die Mobilität Behinderter begünstigen sollen, namentli<strong>ch</strong> hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> entspre<strong>ch</strong>ender<br />
Konstruktion der öffentli<strong>ch</strong>en Transportmittel, S<strong>ch</strong>affung besonderer<br />
Transportmögli<strong>ch</strong>keiten usw. Im Übrigen übernimmt der Staat die Kosten für individuelle<br />
Transporte von behinderten S<strong>ch</strong>ülern und Studenten von und zu ihren Ausbildungsstätten.<br />
Italien<br />
In einem Gesetz No. 21 vom 15. Januar 1992 werden die Regionen und Gemeinden<br />
angehalten, Massnahmen zu treffen, um einen Taxi- und Mietwagendienst für Behinderte<br />
zu organisieren. Ein weiterer Erlass No. 104 vom 5. Februar 1992 will die<br />
Zugängli<strong>ch</strong>keit der öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrsmittel für Behinderte si<strong>ch</strong>erstellen und<br />
sieht Steuervergünstigungen für behindertengere<strong>ch</strong>te Fahrzeuge und die S<strong>ch</strong>affung<br />
reservierter Parkplätze vor.<br />
Österrei<strong>ch</strong><br />
Was den Strassenverkehr betrifft, stellen vers<strong>ch</strong>iedene Bestimmungen der Strassenverkehrsordnung<br />
si<strong>ch</strong>er, dass für Behinderte sog. S<strong>ch</strong>utzwege mit Behindertenrampen<br />
ges<strong>ch</strong>affen und dass diese Zonen von den übrigen Verkehrsteilnehmern freigehalten<br />
werden; ferner haben die zuständigen Behörden dafür zu sorgen, dass für<br />
Behinderte spezielle Parkflä<strong>ch</strong>en, insbesondere in der Nähe von Verwaltungsgebäuden,<br />
Spitälern usw. zur Verfügung stehen. Auf den Eisenbahnlinien der Österrei<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en<br />
Bundesbahnen kann Behinderten eine Fahrpreisermässigung gewährt werden.<br />
Spanien<br />
Im Integrationsgesetz (13/1982) wird au<strong>ch</strong> der Verkehr angespro<strong>ch</strong>en: Die öffentli<strong>ch</strong>en<br />
Verkehrsmittel sollen behindertengere<strong>ch</strong>t konstruiert bzw. angepasst werden.<br />
1744
Grossbritannien<br />
Dur<strong>ch</strong> Reglemente des Staatssekretariats, dem eine Konsultativkommission beigegeben<br />
ist, werden Minimalanforderungen für die behindertengere<strong>ch</strong>te Ausstattung<br />
neuer Taxis aufgestellt und den Chauffeuren Anweisungen für den Transport Behinderter<br />
erteilt. Entspre<strong>ch</strong>ende Bestimmungen betreffen die public service vehicles<br />
sowie die rail services. Die zuständigen Behörden können Massnahmen zur Verbesserung<br />
der Transportmögli<strong>ch</strong>keiten für Behinderte subventionieren.<br />
S<strong>ch</strong>weden<br />
Zwei Gesetze aus dem Jahre 1977 sehen vor, dass Transportkosten für Behinderte<br />
na<strong>ch</strong> Massgabe der Tarife der öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrsmittel, wenn nötig aber au<strong>ch</strong><br />
darüber hinaus (z. B. für eine notwendige Begleitperson), von der öffentli<strong>ch</strong>en Hand<br />
übernommen werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Transportmittel aus zwingenden<br />
oder rein privaten Gründen (Ferien u dgl.) benützt werden. Ausserdem kann<br />
die öffentli<strong>ch</strong>e Hand an die Ans<strong>ch</strong>affung von Spezialfahrzeugen für Behinderte Beiträge<br />
leisten oder au<strong>ch</strong> die gesamten Kosten übernehmen.<br />
USA<br />
Au<strong>ch</strong> im öffentli<strong>ch</strong>en Personenverkehr wurden mit der Verabs<strong>ch</strong>iedung des ADA<br />
erhebli<strong>ch</strong>e Verbesserungen errei<strong>ch</strong>t. Seit August 1990 dürfen die öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrsbetriebe<br />
nur no<strong>ch</strong> Busse in Betrieb setzen, die Behinderten zugängli<strong>ch</strong> sind.<br />
Studien haben gezeigt, dass die Kosten für den Einbau von Hubliften den Kaufpreis<br />
um ni<strong>ch</strong>t mehr als 5 Prozent übersteigen. Au<strong>ch</strong> die Busse von privaten Firmen im<br />
Überlandverkehr müssen für Behinderte zugängli<strong>ch</strong> sein, wobei ihnen jedo<strong>ch</strong> eine<br />
Frist von sieben Jahren eingeräumt wurde. Den Betreibern von Eisenbahnen wurde<br />
eine Frist von fünf Jahren gewährt, innert der sie mindestens einen Waggon pro Zug<br />
für Behinderte zugängli<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>en müssen; Neuans<strong>ch</strong>affungen müssen ausnahmslos<br />
rollstuhlgängig sein. Besondere Bestimmungen bestehen für die Luftfahrt, indem ein<br />
Air Carrier Access Act 1986 den Fluggesells<strong>ch</strong>aften jegli<strong>ch</strong>e Diskriminierung behinderter<br />
Personen untersagt. Sie sind darüber hinaus gehalten, positive Massnahmen<br />
zu treffen, um diesen Personen – grundsätzli<strong>ch</strong> ohne zusätzli<strong>ch</strong>es Entgelt – den<br />
Zugang zum Flugzeug und den Aufenthalt in demselben zu gestatten, und haben ihr<br />
Kabinenpersonal entspre<strong>ch</strong>end auszubilden.<br />
Kanada<br />
Das kanadis<strong>ch</strong>e (Bundes-)Transportgesetz statuiert ausdrückli<strong>ch</strong> die Verpfli<strong>ch</strong>tung<br />
des Staates, ein effizientes Verkehrsnetz zu betreiben, wel<strong>ch</strong>es au<strong>ch</strong> für «Personen<br />
mit einem Defekt» zugängli<strong>ch</strong> sein soll. Der Vollzug dieser Bestimmungen ist dem<br />
Office des Transports du Canada übertragen, wel<strong>ch</strong>es au<strong>ch</strong> Bes<strong>ch</strong>werden Behinderter<br />
behandelt. Dieses Amt hat mehrere Reglemente für die Sees<strong>ch</strong>ifffahrt und den<br />
Bahnverkehr sowie für die Luftfahrt erlassen, wel<strong>ch</strong>e eine behindertengere<strong>ch</strong>te Gestaltung<br />
der Verkehrsmittel vors<strong>ch</strong>reiben. Ein weiteres Reglement betrifft die Ausbildung<br />
der Begleitpersonals für Hilfeleistungen an behinderte Passagiere.<br />
2.3.1.6 Kommunikation<br />
Deuts<strong>ch</strong>land<br />
Au<strong>ch</strong> in Deuts<strong>ch</strong>land gibt es diese Gebührenbefreiung bzw. -ermässigung von Radio-,<br />
Fernseh- und Telefongebühren für bestimmte Behindertengruppen, die wegen<br />
1745
ihres Handicaps ni<strong>ch</strong>t in der Lage sind, öffentli<strong>ch</strong>e Veranstaltungen zu besu<strong>ch</strong>en<br />
(namentli<strong>ch</strong> Seh- und Hörbehinderte). Für das Fernsehen wird gegenwärtig über eine<br />
bestimmte Quote von Sendungen verhandelt, die untertitelt bzw. mit Erklärungen<br />
in Gebärdenspra<strong>ch</strong>e versehen werden sollen.<br />
Frankrei<strong>ch</strong><br />
Von der Fernsehgebühr sind unter bestimmten Voraussetzungen Personen befreit,<br />
deren Behinderung es ihnen verunmögli<strong>ch</strong>t, selber für ihren Lebensunterhalt zu sorgen.<br />
Ebenso wird die Carte France Télécom Blinden zu Vorzugsbedingungen abgegeben.<br />
Mit te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>en Massnahmen (Blinkli<strong>ch</strong>ter, zusätzli<strong>ch</strong>e Klingelzei<strong>ch</strong>en, Verstärker<br />
usw.) sorgt France-Télécom ferner dafür, dass Seh- und/oder Hörbehinderten<br />
der Gebrau<strong>ch</strong> des Telefons ermögli<strong>ch</strong>t bzw. erlei<strong>ch</strong>tert wird. Im Fernsehen sind gewisse<br />
Sendungen bereits seit 1983 im Interesse der hörbehinderten Zus<strong>ch</strong>auer untertitelt.<br />
Für die Angebote der öffentli<strong>ch</strong>en Verwaltung und anderer öffentli<strong>ch</strong>er Anstalten<br />
im Internet sind in einem Runds<strong>ch</strong>reiben der Regierung vom Oktober 1999<br />
besondere Empfehlungen an die Webmasters für eine behindertengere<strong>ch</strong>te Ausgestaltung<br />
ihrer Informationen formuliert worden.<br />
Italien<br />
Ausser einer Befreiung von den Gebühren auf Vertragsabs<strong>ch</strong>lüssen in der Mobiltelefonie<br />
sind keine besonderen Massnahmen zu Gunsten Behinderter vorgesehen.<br />
Österrei<strong>ch</strong><br />
Behinderte sind unter gewissen Voraussetzungen von Telefon-, Radio- und Fernsehgebühren<br />
befreit.<br />
Spanien<br />
Ein Königli<strong>ch</strong>es Dekret 1736/1998 mit wel<strong>ch</strong>em das Telekommunikationsgesetz genehmigt<br />
wurde, s<strong>ch</strong>reibt vor, dass Behinderte die Fernmeldedienste zu den glei<strong>ch</strong>en<br />
Bedingungen in Anspru<strong>ch</strong> nehmen können wie andere Benützer. Für Andalusien<br />
s<strong>ch</strong>reibt ein regionales Gesetz den öffentli<strong>ch</strong>en Sendeunternehmen vor, te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>e<br />
Massnahmen zu treffen, um die Übersetzung ihrer Sendungen in S<strong>ch</strong>rift oder Gebärden<br />
zu gewährleisten. Privaten Sendern werden entspre<strong>ch</strong>ende Vorkehren empfohlen.<br />
Grossbritannien<br />
Das Staatssekretariat kann in Übereinstimmung mit dem S<strong>ch</strong>atzkanzleramt finanzielle<br />
Beihilfen für die Entwicklung von behindertengere<strong>ch</strong>ten Telekommunikationseinri<strong>ch</strong>tungen<br />
oder die Verbesserung bestehender Anlagen ausri<strong>ch</strong>ten. Eine<br />
im Broadcasting Act 1996 eingesetzte Kommission wird zudem beauftragt, einen<br />
Kodex über die Anpassung der Radio- und Fernsehdienste an die Bedürfnisse Behinderter<br />
auszuarbeiten. Als Minimum wird die Verpfli<strong>ch</strong>tung vorgesehen, dass innerhalb<br />
von 10 Jahren seit Beginn der Digitalisierung der Ausstrahlungen 50% der<br />
für Hörbehinderte geeigneten Programme zu untertiteln sind und 10% der Programme<br />
mit Erläuterungen für Sehbehinderte versehen werden.<br />
S<strong>ch</strong>weden<br />
Das s<strong>ch</strong>wedis<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>t sieht finanzielle Unterstützungsmassnahmen für die Ausrüstung<br />
mit Teletext, für die Übersetzung in Brailles<strong>ch</strong>rift sowie in Gebärdenspra<strong>ch</strong>e<br />
vor.<br />
1746
USA<br />
Um Hörbehinderten den Gebrau<strong>ch</strong> der telekommunikativen Einri<strong>ch</strong>tungen zu ermögli<strong>ch</strong>en,<br />
wurden die Telefongesells<strong>ch</strong>aften angewiesen, in den ganzen USA Hörund<br />
Spra<strong>ch</strong>behinderten rund um die Uhr zur Verfügung zu stehen und ihnen die Inanspru<strong>ch</strong>nahme<br />
des Telefons ohne Mehrkosten zuzusi<strong>ch</strong>ern. Dur<strong>ch</strong> die mit dem Telecommunications<br />
Act 1996 modifizierten Bestimmungen des Communications Act<br />
1934 wird den Herstellern von Telekommunikationsgeräten und den Dienstleistungsunternehmungen<br />
in diesem Sektor eine behindertengere<strong>ch</strong>te Konstruktion ihrer<br />
Apparate bzw. Ausgestaltung ihrer Dienste vorges<strong>ch</strong>rieben. Die Umsetzung dieser<br />
Vors<strong>ch</strong>riften – zunä<strong>ch</strong>st dur<strong>ch</strong> Ri<strong>ch</strong>tlinien, jetzt mit einem Verordnungsentwurf – ist<br />
im Gange. Eine Federal Communications Commission (FCC) wa<strong>ch</strong>t über die Implementation<br />
der Regelung. Für den Berei<strong>ch</strong> des Internet sind von der zuständigen<br />
Agentur (Access Board) eine Reihe von Normen (zur entspre<strong>ch</strong>enden Revision des<br />
Rehabilitation Act 1973/98) vorges<strong>ch</strong>lagen worden, wel<strong>ch</strong>e eine behindertengere<strong>ch</strong>te<br />
Ausgestaltung der Websites gewährleisten sollen. Weitere, seit Beginn 1998<br />
in Kraft stehende Regeln s<strong>ch</strong>reiben den Fernsehunternehmen zunehmend vor, das<br />
close captionning ihrer Sendungen (Untertitelung, bzw. Bes<strong>ch</strong>reibung von Hintergrundgeräus<strong>ch</strong>en<br />
usw.) mittels kodierter Signale, die mit den Sendesignalen ausgestrahlt<br />
werden, zu ermögli<strong>ch</strong>en.<br />
Kanada<br />
Ein Gesetz über den Zugang zu Informationen begründet ein generelles Re<strong>ch</strong>t auf<br />
Zugang zu allen Informationen, wel<strong>ch</strong>e von Bundesstellen ausgehen. Ein besonderer,<br />
vom Parlament gewählter und regierungsunabhängiger Commissaire à l’information<br />
wa<strong>ch</strong>t über die Dur<strong>ch</strong>setzung dieses Re<strong>ch</strong>ts. Der «Conseil de la radiodiffusion<br />
et des télécommunications canadiennes» verlangt im Übrigen von den grossen<br />
Rundfunkanstalten, dass alle lokalen Informationssendungen (au<strong>ch</strong> die live ausgestrahlten)<br />
untertitelt werden.<br />
2.3.2 Das Re<strong>ch</strong>t der Kantone<br />
2.3.2.1 Allgemeines<br />
Bereits heute verfügt die Mehrheit der Kantone über spezifis<strong>ch</strong> auf die Behinderten<br />
zuges<strong>ch</strong>nittene Bestimmungen. Allerdings ist man no<strong>ch</strong> weit von einem «kantonalen<br />
Standard» entfernt. Während zwar wohl praktis<strong>ch</strong> alle Kantone in ihren Verfassungen<br />
die Pfli<strong>ch</strong>t des Staates stipulieren, die besonderen Bedürfnisse der Behinderten<br />
zu berücksi<strong>ch</strong>tigen, sehen do<strong>ch</strong> nur einzelne von ihnen für diese Gruppe besondere<br />
Bestimmungen in ihren Gesetzgebungen vor. Es sind vor allem drei Kantone (TI,<br />
GR, VS), wel<strong>ch</strong>e diesbezügli<strong>ch</strong>e Spezialgesetze erlassen haben. Diese Gesetze haben<br />
allerdings ni<strong>ch</strong>t die glei<strong>ch</strong>e Tragweite; zwei von ihnen sind auf eine mehr allgemeine<br />
Integration geri<strong>ch</strong>tet (VS 55 und GR 56), während das dritte Gesetz gezielter<br />
auf bestimmte Berei<strong>ch</strong>e anwendbar ist (TI 57; hier sieht das Gesetz die Verpfli<strong>ch</strong>tung<br />
55 Gesetz über die Eingliederung behinderter Mens<strong>ch</strong>en vom 31. Januar 1991, Gesetzessammlung,<br />
Bd. V, 1850.<br />
56 Gesetz über die Förderung Behinderter vom 18. Februar 1979, Systematis<strong>ch</strong>e Gesetzessammlung<br />
des Kantons Graubünden, Band II, 440.000.<br />
57 Legge sull’integrazione sociale e professionale degli invalidi (LISPI) vom 14. März 1979,<br />
6.4.7.1.<br />
1747
des Staates vor, Massnahmen im Hinblick auf die Eingliederung von Behinderten<br />
auf sozialer und berufli<strong>ch</strong>er Ebene zu ergreifen).<br />
2.3.2.2 Bes<strong>ch</strong>äftigung<br />
Die Berücksi<strong>ch</strong>tigung der Interessen der behinderten Personen ist von Kanton zu<br />
Kanton stark unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>. Die Spanne rei<strong>ch</strong>t von blosser Ermutigung bis zur Bes<strong>ch</strong>äftigung<br />
und Eingliederung von Behinderten als Bestandteil der Personalpolitik<br />
des Regierungsrates (wie in ZH58), oder von der Bereitstellung von Stellen für Behinderte<br />
(wie in LU59), bis zur Verpfli<strong>ch</strong>tung, ehemalige, invalid gewordene Mitarbeiter<br />
oder andere invalide Personen zu bes<strong>ch</strong>äftigen (wie in FR60). In BS61 und<br />
LU62 wurde die Verpfli<strong>ch</strong>tung eingeführt, die mit Behinderten vorgesehenen Lehrverträge<br />
zu melden. Die zuständige Behörde muss ans<strong>ch</strong>liessend klären, ob es si<strong>ch</strong><br />
um eine Lehre oder eine Grundausbildung im Sinne des Bundesgesetzes über die<br />
Berufsbildung63 handelt. Mehrere kantonale Gesetzgebungen sehen eine besondere<br />
Unterstützung des Kantons für die Berufsausbildung der behinderten Lehrlinge vor<br />
(unter anderem diejenigen von TG64, JU65 und BE66). Ferner sei erwähnt, dass in<br />
BS67 im Berei<strong>ch</strong> Arbeitsvermittlung besondere Sektionen zu Gunsten von Behinderten<br />
ges<strong>ch</strong>affen werden können.<br />
In gewissen Kantonen ist die Palette der mögli<strong>ch</strong>en Massnahmen zur Förderung der<br />
berufli<strong>ch</strong>en Eingliederung der Behinderten sehr breit: So verfügt beispielsweise das<br />
VS 68 über eine ganze Reihe von Mögli<strong>ch</strong>keiten, darunter die Einführung von Anreizen<br />
im Privatberei<strong>ch</strong>, die Unterstützung von spezialisierten Organisationen, die<br />
Bereitstellung von halbges<strong>ch</strong>ützten Arbeitsstellen in der kantonalen Verwaltung<br />
usw. Es handelt si<strong>ch</strong> um Massnahmen im Sinne von Anreizen (beispielsweise Bereitstellen<br />
von Krediten für die Bezahlung der Löhne von Personen, wel<strong>ch</strong>e im<br />
halbges<strong>ch</strong>ützten Dienst in der kantonalen Verwaltung bes<strong>ch</strong>äftigt werden, oder<br />
Mögli<strong>ch</strong>keit, behinderte Lehrlinge ausserhalb der erlaubten Kontingente anzustel-<br />
58 Par. 5, lit. I, des Gesetzes über das Arbeitsverhältnis des Staatspersonals vom 27. September<br />
1998 (177.10), das im Programm der Personalpolitik des Staatsrates die Förderung<br />
der Anstellung und der Integration von behinderten Personen vorsieht.<br />
59 Par. 82a des Gesetzes über das öffentli<strong>ch</strong>-re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Dienstverhältnis (Personalgesetz)<br />
vom 13. September 1988 (SRL Nr. 51).<br />
60 Bes<strong>ch</strong>luss vom 25. Februar 1992 über die Anstellung invalider Personen (122.70.43), er<br />
zielt auf die berufli<strong>ch</strong>e Wiedereingliederung von Behinderten, unter besonderer Berücksi<strong>ch</strong>tigung<br />
ehemaliger, invalid gewordener Mitarbeiter.<br />
61 Par. 15 des kantonalen Gesetzes über die Berufsbildung vom 21. Februar 1985<br />
(SG 420.200).<br />
62 Par. 40 der Vollzugsverordnung zum Bundesgesetz über die Berufsbildung vom 24. Mai<br />
1982 (SRL Nr. 425).<br />
63 SR 412.10<br />
64 Par. 10 des Gesetzes über die Berufsbildung vom 4. November 1985 (412.11).<br />
65 Art. 13 de la Loi sur la formation professionnelle vom 13. Dezember 1990 (413.11).<br />
66 Art. 18 Abs. 1 des Gesetzes über die Berufsbildung vom 9. November 1981 (435.11).<br />
67 Par. 1 Abs. 2 des Gesetzes betreffend die Einführung des Bundesgesetzes über die<br />
Arbeitsvermittlung vom 22. November 1951 (SG 819.500).<br />
68 Art. 11 bis 17 des Gesetzes über die Eingliederung behinderter Mens<strong>ch</strong>en vom 31. Januar<br />
1991 (1850). Es ist darauf hinzuweisen, dass Art. 14 dieses Gesetzes die Bereitstellung<br />
von Bes<strong>ch</strong>äftigungsmögli<strong>ch</strong>keiten für die behinderten Personen im normalen und im ges<strong>ch</strong>ützten<br />
Milieu vorsieht: Es kommt somit der Wille, die berufli<strong>ch</strong>e Eingliederung dieser<br />
Personen selbst in der «normalen» Berufswelt zu fördern, klar zum Ausdruck.<br />
1748
len). Die Tessiner Gesetzgebung 69 ihrerseits sieht ebenfalls eine grosse Vielfalt von<br />
Massnahmen zur Förderung der berufli<strong>ch</strong>en Integration Behinderter vor. Der Gesetzgeber<br />
unters<strong>ch</strong>eidet vers<strong>ch</strong>iedene Massnahmen, wel<strong>ch</strong>e im Berei<strong>ch</strong> der berufli<strong>ch</strong>en<br />
Integration zu ergreifen sind: Beispielsweise die direkte Anstellung von Behinderten<br />
dur<strong>ch</strong> die Gemeinwesen 70, oder aber die Ausri<strong>ch</strong>tung von Beiträgen oder<br />
die Vergabe von öffentli<strong>ch</strong>en Arbeiten an Arbeitgeber verbunden mit der Bedingung,<br />
sol<strong>ch</strong>e Personen zu bes<strong>ch</strong>äftigen 71. Ferner präzisiert das Gesetz, dass bei der<br />
Wahl der anzuwendenden Massnahmen denjenigen der Vorzug zu geben ist, die für<br />
die Integration des Individuums in die Gesells<strong>ch</strong>aft am besten geeignet sind 72. Was<br />
s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> GR 73 anbelangt, erstellt das Gesetz eine Art Hierar<strong>ch</strong>ie der Massnahmen,<br />
die der Kanton ergreifen muss: Wenn mögli<strong>ch</strong>, Behinderte bes<strong>ch</strong>äftigen, andernfalls<br />
die privaten Unternehmen, die ihnen Ausbildungs- und Arbeitsplätze anbieten,<br />
dur<strong>ch</strong> Finanzhilfen und Beratung unterstützen.<br />
2.3.2.3 Bauten<br />
Die meisten Kantone sehen in diesem Berei<strong>ch</strong> Bestimmungen betreffend die Bedürfnisse<br />
der Behinderten vor. Es gibt Kantone, die diesem Anliegen nur mit allgemeinen<br />
Begriffen Re<strong>ch</strong>nung tragen, während andere versu<strong>ch</strong>en, präzisere Antworten<br />
auf die besonderen Bedürfnisse der Behinderten zu geben. Immerhin muss in fast<br />
allen Kantonen der Zugang zu Bauten und Anlagen, die für die Öffentli<strong>ch</strong>keit bestimmt<br />
sind74, au<strong>ch</strong> für die Behinderten gewährleistet sein. Es handelt si<strong>ch</strong> um<br />
quantitative Kriterien (wie Gebäudeflä<strong>ch</strong>e oder Anzahl Wohnungen), die erlauben<br />
zu sagen, ob eine Baute oder eine Anlage für die Öffentli<strong>ch</strong>keit bestimmt ist. In diesem<br />
Berei<strong>ch</strong> gibt es Kantone, wel<strong>ch</strong>e sogar sehr detaillierte Bestimmungen zu Gunsten<br />
der Behinderten kennen (beispielsweise NE 75).<br />
Mehrere Kantone s<strong>ch</strong>reiben vor, dass die Bedürfnisse der Behinderten bei der Erstellung<br />
oder der Erneuerung von Gebäuden oder Ges<strong>ch</strong>äftslokalen oder von Wohnblöcken<br />
berücksi<strong>ch</strong>tigt werden müssen. Zur Definition der Wohnblöcke werden<br />
au<strong>ch</strong> quantitative Kriterien herangezogen: So präzisieren beispielsweise gewisse<br />
kantonale Gesetzgebungen (BL76 oder SG77), dass es si<strong>ch</strong> hierbei um Häuser mit<br />
mindestens se<strong>ch</strong>s Wohnungen handelt. Ferner kommt es vor, dass der Staat gehalten<br />
69 Legge sull’integrazione sociale e professionale degli invalidi vom 14. März 1979<br />
(6.4.7.1).<br />
70 Art. 9 des Gesetzes<br />
71 Art. 10 des Gesetzes<br />
72 Art. 11 des Gesetzes<br />
73 Art. 35 des Behindertengesetzes (440.000).<br />
74 Einkaufszentren, Verwaltungsgebäude, Geri<strong>ch</strong>te, Kir<strong>ch</strong>en, S<strong>ch</strong>ulen, Spitäler, Sportanlagen,<br />
Warenhäuser, Parkplätze usw.<br />
75 Die Art. 20–22 des «Loi sur les constructions» vom 25 März 1996 (RSN 720.0) und die<br />
Art. 9–25 der dazugehörigen Vollzugsbestimmungen («Règlement d’exécution») vom<br />
16. Oktober 1996 (RSN 720.1) sehen vor, dass der Zugang zu Bauten für die an einer<br />
körperli<strong>ch</strong>en oder wahrnehmungsbedingten Beeinträ<strong>ch</strong>tigung leidenden Personen grundsätzli<strong>ch</strong><br />
gewährleistet sein muss.<br />
76 Par. 108 Abs. 2 des Raumplanungs- und Baugesetzes vom 8. Januar 1998 (400).<br />
77 Art. 55 bis des Gesetzes über die Raumplanung und das öffentli<strong>ch</strong>e Baure<strong>ch</strong>t vom 6. Juni<br />
1972 (sGS 731.1).<br />
1749
ist, diese Wohnungspolitik dur<strong>ch</strong> finanzielle Anreize zu ermutigen (beispielsweise<br />
GR und TI78). Diese Garantien zu Gunsten der Behinderten erfahren Differenzierungen unter dem<br />
Aspekt des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes: Dies bedeutet, dass darauf verzi<strong>ch</strong>tet<br />
werden kann, den Zugang zu einer Baute zu gewährleisten, wenn dies mit unverhältnismässig<br />
hohen Kosten verbunden ist, oder wenn andere s<strong>ch</strong>ützenswerte Interessen<br />
betroffen sind.<br />
Aus dieser Übersi<strong>ch</strong>t der vers<strong>ch</strong>iedenen kantonalen Regelungen im Bauberei<strong>ch</strong> geht<br />
eine Gemeinsamkeit hervor: Die Massnahmen zu Gunsten der Behinderten sind in<br />
der Mehrzahl klar zwingend (sodass bei ihrer Missa<strong>ch</strong>tung die Behörde die Baubewilligung<br />
verweigern kann). Den Behinderten selbst steht indessen oft keine Mögli<strong>ch</strong>keit<br />
offen, si<strong>ch</strong> zu wehren, da die kantonalen Gesetze ihnen keine subjektiven<br />
Re<strong>ch</strong>te einräumen. Kantone, die ein Bes<strong>ch</strong>werdere<strong>ch</strong>t vorsehen, sind selten: Dazu<br />
gehört der Kanton LU, der vorsieht, dass einem mit der Interessenwahrung der Behinderten<br />
im Bauberei<strong>ch</strong> beauftragten privaten Organ («Beratungsstelle für behindertengere<strong>ch</strong>tes<br />
Bauen») das Re<strong>ch</strong>t zukommt, Rekurs zu führen, wenn die Bauten<br />
den gesetzli<strong>ch</strong>en Anforderungen ni<strong>ch</strong>t genügen79. Desglei<strong>ch</strong>en auferlegt ein Gesetzesentwurf<br />
von BS «Entwurf eines Bau- und Planungsgesetzes», dem Staatsrat die<br />
Verpfli<strong>ch</strong>tung, ein Organ glei<strong>ch</strong>er Art zu bestimmen (ebenfalls «Beratungsstelle für<br />
behindertengere<strong>ch</strong>tes Bauen» genannt), mit ebenfalls analogem Bes<strong>ch</strong>werdere<strong>ch</strong>t.<br />
2.3.2.4 Ausbildung<br />
Im Erziehungsberei<strong>ch</strong> wird in fast allen Kantonen ein minimaler Standard gewährleistet,<br />
und zwar dank Staatsbeiträgen an Sonders<strong>ch</strong>ulen oder Heime.<br />
Ferner kennen die kantonalen Gesetzgebungen vers<strong>ch</strong>iedene Massnahmen im Hinblick<br />
auf eine mehr oder weniger klare Integration der behinderten Kinder in die ordentli<strong>ch</strong>en<br />
S<strong>ch</strong>ulklassen. Die Mehrheit der Kantone hat eine «gemis<strong>ch</strong>te» Lösung<br />
gewählt: Diese Kantone sehen die Gewährung einer besonderen Unterstützung an<br />
diese Kinder vor, um ihnen so die Integration in die Regelklassen zu ermögli<strong>ch</strong>en.<br />
Diese Regelung entspri<strong>ch</strong>t bis zu einem gewissen Grad dem Lösungsansatz, wie er<br />
etwa Anwendung findet, um die Integration von Kindern aus einer anderen Spra<strong>ch</strong>region<br />
zu erlei<strong>ch</strong>tern Es handelt si<strong>ch</strong> um besondere Kurse, die eine künftige Integration<br />
erlei<strong>ch</strong>tern sollen. Allerdings findet die Politik der Integration von behinderten<br />
Kindern allemal ihre Grenze im Umstand, dass die S<strong>ch</strong>were der Behinderung dem<br />
Unterri<strong>ch</strong>t der anderen S<strong>ch</strong>üler ni<strong>ch</strong>t ernstli<strong>ch</strong> entgegenstehen darf.<br />
Zu den Kantonen, wel<strong>ch</strong>e die s<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>e Integration der behinderten Kinder am<br />
stärksten vorantreiben, gehört beispielsweise SG80, der den Grundsatz der Subsidiarität<br />
der Spezialklassen aufgestellt hat. Der Spezialunterri<strong>ch</strong>t ist bestimmt für die<br />
geistig, psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>, physis<strong>ch</strong>, wahrnehmungs- oder artikulationsbehinderten Kinder<br />
78 GR: Art. 38 des Behindertengesetzes und TI: Art. 8b der LISPI sehen vor, dass der Kanton<br />
Beiträge an die behindertengere<strong>ch</strong>te Gestaltung von Wohnungsbauten leisten kann.<br />
79 Par. 157 und Par. 20 Abs. 1, lit. d des Planungs- und Baugesetzes vom 7. März 1989<br />
(SRL Nr. 735).<br />
80 Art. 37 des Volkss<strong>ch</strong>ulgesetzes vom 13. Januar 1983 (213.1) sieht die getrennte S<strong>ch</strong>ulung<br />
vor, do<strong>ch</strong> präzisiert Art. 40, dass der S<strong>ch</strong>ulrat jedes Jahr die Mögli<strong>ch</strong>keit prüfen muss, die<br />
S<strong>ch</strong>üler einer Sonders<strong>ch</strong>ule in einer Regels<strong>ch</strong>ule zu integrieren (respektive diejenigen einer<br />
Kleinklasse in einer Regelklasse).<br />
1750
oder Jugendli<strong>ch</strong>en, do<strong>ch</strong> muss die S<strong>ch</strong>uldirektion periodis<strong>ch</strong> überprüfen, ob diese<br />
Art S<strong>ch</strong>ulung weiterhin erforderli<strong>ch</strong> ist81. Au<strong>ch</strong> im Kanton TG82 ist vorgesehen, dass<br />
ein Kind nur dann gesondert ges<strong>ch</strong>ult wird, wenn seine S<strong>ch</strong>wierigkeiten, dem normalen<br />
Unterri<strong>ch</strong>t zu folgen, anders ni<strong>ch</strong>t gelöst werden können. Im Kanton TI83 wurden Stellen zur pädagogis<strong>ch</strong>en Unterstützung («servizi di sostegno pedadogico»)<br />
ges<strong>ch</strong>affen, mit dem Ziel, den Kindern, wel<strong>ch</strong>e besondere S<strong>ch</strong>wierigkeiten aufweisen,<br />
beim Unterri<strong>ch</strong>t zu helfen; do<strong>ch</strong> wird der S<strong>ch</strong>üler, sofern es die Art der Behinderung<br />
(«la natura dell invalidità») erlaubt, in eine Regelklasse mit besonderer Unterstützung<br />
aufgenommen84. LU und ZH85 gehen in die glei<strong>ch</strong>e Ri<strong>ch</strong>tung, sehen sie<br />
do<strong>ch</strong> vor, dass die S<strong>ch</strong>üler und S<strong>ch</strong>ülerinnen der Sonders<strong>ch</strong>ulen in die Regelklassen<br />
integriert werden müssen, sobald dies mögli<strong>ch</strong> ist. In der Gesetzgebung des Kantons<br />
VS86 wird sogar präzisiert, dass die vollständige oder teilweise Integration der Lernenden<br />
in die ordentli<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>ulstrukturen angestrebt wird: Die Integration wird<br />
dadur<strong>ch</strong> (im Rahmen des Mögli<strong>ch</strong>en) zu einer langfristig angestrebten Lösung.<br />
Die meisten Kantone s<strong>ch</strong>einen also die behinderten S<strong>ch</strong>üler, sobald als mögli<strong>ch</strong>, in<br />
die Regelklassen oder (-s<strong>ch</strong>ulen) integrieren zu wollen (wobei wohlverstanden nur<br />
diejenigen Behinderungen gemeint sind, wel<strong>ch</strong>e die Lernfähigkeit der betroffenen<br />
Behinderten ni<strong>ch</strong>t zu stark beeinträ<strong>ch</strong>tigen).<br />
Was die Kindergärten anbelangt, kann auf GR87 verwiesen werden, wel<strong>ch</strong>er präzisiert,<br />
dass die Integration der behinderter Kinder bereits ab dem Kindergarten zu<br />
fördern ist.<br />
Hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> des Lehrpersonals s<strong>ch</strong>reibt die Gesetzgebung von BE88 vor, dass die<br />
Grundausbildung den Lehrkörper ebenfalls darauf vorbereiten muss, die Eingliederung<br />
der behinderten Kinder und Jugendli<strong>ch</strong>en in die Regelklasse und den Regelunterri<strong>ch</strong>t<br />
zu erlei<strong>ch</strong>tern.<br />
2.3.2.5 Öffentli<strong>ch</strong>er Verkehr<br />
Au<strong>ch</strong> in diesem Berei<strong>ch</strong> wird den Bedürfnissen der behinderten Personen in den<br />
Kantonen sehr unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> Re<strong>ch</strong>nung getragen. Mehrere Kantone haben einen<br />
gezielten Lösungsansatz gewählt, indem sie vorsehen, dass die Fahrzeuge und Anlagen<br />
so bes<strong>ch</strong>affen sein müssen, dass sie au<strong>ch</strong> von den Behinderten benutzt werden<br />
81 Art. 20 des Gesetzes<br />
82 Par. 9 des Gesetzes über die Volkss<strong>ch</strong>ule und den Kindergarten vom 23. Mai 1995 (411.11).<br />
83 Art. 63 de la Legge della scuola vom 1.2.1990 (5.1.1.1)<br />
84 Art. 18 des Regolamento per l’educazione speciale vom 9.7.1975 (5.1.2.1). Ferner präzisiert<br />
Art. 29, dass diese pädagogis<strong>ch</strong>-therapeutis<strong>ch</strong>en Massnahmen dem behinderten<br />
S<strong>ch</strong>üler im Rahmen des Mögli<strong>ch</strong>en erlauben, die Normals<strong>ch</strong>ule zu besu<strong>ch</strong>en. Diese<br />
Massnahmen umfassten Therapien für die sensoris<strong>ch</strong>en, motoris<strong>ch</strong>en, wahrnehmungsbedingten<br />
und spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Probleme.<br />
85 LU: Par. 14 Abs. 1 der Verordnung über die Sonders<strong>ch</strong>ulung vom 21. Dezember 1999<br />
(SRL Nr. 409), der vorsieht, dass die behinderten Kinder, wel<strong>ch</strong>e fähig sind, dem Unterri<strong>ch</strong>t<br />
in einer Normalklasse mit besonderen integrativen pädagogis<strong>ch</strong>en Massnahmen zu<br />
folgen, dort integriert werden können. Im glei<strong>ch</strong>en Sinne ZH: Par. 13, Par. 14, Par. 18,<br />
Par. 23 und Par. 27 des Reglements über die Sonderklassen, die Sonders<strong>ch</strong>ulung und<br />
Stütz- und Förderungsmassnahmen vom 3. Mai 1984 (412.13).<br />
86 Art. 2 des Dekrets über die Sonders<strong>ch</strong>ulung vom 25. Juni 1986 (1083)<br />
87 Art. 1 des Gesetzes über die Kindergärten im Kanton Graubünden vom 17. Mai 1992 (420.500).<br />
88 Art. 9 Abs. 2 lit. A des Gesetzes über die Lehrerinnen- und Lehrerausbildung vom 9. Mai<br />
1995 (LLBG, 430.210.1).<br />
1751
können (Beispiel: BE89). Andere Kantone haben einen anderen Ansatz gewählt, und<br />
zwar insofern, als die besonderen Bedürfnisse der behinderten Personen beim Abs<strong>ch</strong>luss<br />
von Leistungsvereinbarungen berücksi<strong>ch</strong>tigt werden (so im Fall von ZH und<br />
LU90). Wieder andere Kantone sehen finanzielle Anreize von Seiten des Staates in<br />
Form von Subventionen für den Erwerb von Fahrzeugen dur<strong>ch</strong> Institutionen vor,<br />
wel<strong>ch</strong>e den Transport von behinderten Personen bezwecken (Beispiele: FR und<br />
SG91). Hinzuweisen ist no<strong>ch</strong> auf die von BS und BL bes<strong>ch</strong>lossene Lösung: Diese beiden<br />
Kantone haben am 13. Oktober 1998 eine «Vereinbarung über die Beitragsleistung<br />
an Fahrten von Behinderten» (BS, SG 953.930) abges<strong>ch</strong>lossen, wona<strong>ch</strong> sie für die<br />
Einri<strong>ch</strong>tung eines Angebots im Sinne eines Behindertentransportes sorgen (das<br />
heisst eine Art Taxi-Dienst, einen mit Privatmitteln organisierten öffentli<strong>ch</strong>en<br />
Transportdienst).<br />
2.3.2.6 Steuern<br />
In gewissen Kantonen sind für den steuerpfli<strong>ch</strong>tigen Behinderten oder für Personen,<br />
wel<strong>ch</strong>e ein behindertes Familienmitglied finanziell unterstützen, Steuererlei<strong>ch</strong>terungen<br />
vorgesehen. Im Allgemeinen sind diejenigen Kosten abziehbar, wel<strong>ch</strong>e si<strong>ch</strong> aus<br />
der Behinderung ergeben: In LU92 sind die mit der Invalidität verbundenen Kosten<br />
begrenzt abziehbar; in BS93 sind Abzüge für diejenigen Personen vorgesehen, wel<strong>ch</strong>e<br />
der Pflege bedürfen (für si<strong>ch</strong> selbst oder für einen Angehörigen); das Glei<strong>ch</strong>e<br />
gilt für den Kanton JU94, dessen Gesetzgebung bestimmt, dass die Behinderung der<br />
steuerpfli<strong>ch</strong>tigen Person oder ihres Ehegatten Anspru<strong>ch</strong> auf Abzüge gibt.<br />
Gewisse Kantone erlauben besondere Abzüge für die Motorfahrzeuge der behinderten<br />
Personen. So sehen mehrere Kantone die Befreiung von der Fahrzeugsteuer vor:<br />
Dies ist der Fall in BS95 sowie in NE96, wo die Personen mit einer s<strong>ch</strong>weren physi-<br />
89 Art. 5 Abs. 2 des Gesetzes über den öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr vom 16. September 1993<br />
(762.4), wona<strong>ch</strong> Fahrzeuge und Anlagen grundsätzli<strong>ch</strong> so zu gestalten sind, dass ihre Benützung<br />
au<strong>ch</strong> den Behinderten offen steht.<br />
90 ZH: Par. 13a der Verordnung über das Angebot im öffentli<strong>ch</strong>en Personenverkehr vom<br />
14. Dezember 1988 (740.3), wona<strong>ch</strong> die besonderen Bedürfnisse der behinderten Personen<br />
zu berücksi<strong>ch</strong>tigen und ihre Mobilität zu verbessern ist. LU: Par. 10 Abs. 2 des Gesetzes<br />
über den öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr und den s<strong>ch</strong>ienengebundenen Güterverkehr vom<br />
21. Mai 1996 (775), wona<strong>ch</strong> das Angebot der Verkehrsunternehmen auf die Bedürfnisse<br />
der mobilitätsbehinderten Personen Rücksi<strong>ch</strong>t nehmen muss.<br />
91 In FR bestimmt das Transportgesetz vom 20. September 1994 (780.1) in Art. 43, dass der<br />
Staatsrat Institutionen, die im Dienste des Behindertentransports stehen, einen Beitrag<br />
zur Ans<strong>ch</strong>affung von Spezialfahrzeugen gewähren kann. Desglei<strong>ch</strong>en sieht die sanktgallis<strong>ch</strong>e<br />
Gesetzgebung in Art. 15 des Gesetzes zur Förderung des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs vom<br />
25. September 1988 (sGS 710.5) die Mögli<strong>ch</strong>keit der Gewährung von Staatsbeiträgen im<br />
Falle von besonderen te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>en Massnahmen zu Gunsten der Behinderten vor; ein<br />
Grundsatz, der in Art. 2 bis des Einführungsgesetzes zum eidgenössis<strong>ch</strong>en Eisenbahngesetz<br />
vom 7. Februar 1971 wiederaufgenommen wurde (sGS 713.1).<br />
92 Par. 40 lit. h des Steuergesetzes (SRL Nr. 620)<br />
93 Par. 44 Abs. 1 Ziff. 4 des Gesetzes über die direkten Steuern vom 22. Dezember 1949<br />
(SG 640.100) und Par. 22a der dazugehörigen Verordnung (vom 30. Januar 1990,<br />
SG 64.110)<br />
94 Art. 34 Abs. 1 lit. g und 47 lit. d de la Loi d’impôt vom 26. Mai 1988 (RSJU 641.11)<br />
95 Gesetz über die Besteuerung der Motorfahrzeuge vom 17. November 1966 (SG 650.500)<br />
96 Art. 2 Ziff. 8 Loi sur la taxe des véhicules automobiles, des remorques et des bateaux<br />
vom 6. Oktober 1992 (RSN 761.20)<br />
1752
s<strong>ch</strong>en Behinderung keine Fahrzeugsteuer bezahlen, wenn das Fahrzeug für ihre<br />
Fortbewegung unabdingbar ist.<br />
S<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> finden si<strong>ch</strong> Gesetzgebungen, wel<strong>ch</strong>e eine Befreiung von der Blindenhundetaxe<br />
vorsehen: dies beispielsweise in BS97 und in TG98. 2.4 Die Initiative Suter und die Vernehmlassung<br />
von 1999<br />
2.4.1 Die parlamentaris<strong>ch</strong>e Initiative Suter<br />
Am 5. Oktober 1995 hat Nationalrat Marc Suter die parlamentaris<strong>ch</strong>e Initiative<br />
«Glei<strong>ch</strong>stellung der Behinderten» (95.418) eingerei<strong>ch</strong>t. Der Nationalrat hiess sie<br />
gut99 und verabs<strong>ch</strong>iedete eine neue Bestimmung (Art. 4 Abs. 3 aBV), die drei Elemente<br />
enthielt: ein Diskriminierungsverbot gegenüber körperli<strong>ch</strong>, geistig oder psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong><br />
behinderten Personen, den Gesetzgebungsauftrag, Bena<strong>ch</strong>teiligungen behinderter<br />
Personen dur<strong>ch</strong> Massnahmen und Anreize zu beseitigen oder auszuglei<strong>ch</strong>en,<br />
sowie ein subjektives Re<strong>ch</strong>t auf Zugang zu öffentli<strong>ch</strong>en Bauten, Anlagen und<br />
Dienstleistungen100. Im Ständerat wurde dieses Ges<strong>ch</strong>äft von der Kommission für<br />
soziale Si<strong>ch</strong>erheit und Gesundheit beraten. Sie beauftragte den Bundesrat mit der<br />
Dur<strong>ch</strong>führung einer Vernehmlassung zum Problem der Glei<strong>ch</strong>stellung behinderter<br />
und ni<strong>ch</strong>tbehinderter Personen (Vernehmlassung von 1999101; vgl. na<strong>ch</strong>folgende<br />
Ziffer). Na<strong>ch</strong> dem Vorliegen der Vernehmlassungsergebnisse und auf Grund des<br />
Vorents<strong>ch</strong>eides des Bundesrates, der Volksinitiative «Glei<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te für Behinderte»<br />
einen Gegenentwurf gegenüberzustellen, bes<strong>ch</strong>loss der Ständerat am 6. Juni<br />
2000, auf den aus der parlamentaris<strong>ch</strong>en Initiative Suter hervorgegangenen Verfassungsartikel<br />
ni<strong>ch</strong>t einzutreten102. Wir betra<strong>ch</strong>ten diese Initiative in der Fassung, wie sie der Nationalrat 1998 angenommen<br />
hat, als zu weit gehend, da sie wie die Volksinitiative s<strong>ch</strong>on auf Verfassungsstufe<br />
ein subjektives Re<strong>ch</strong>t einräumt103. Ein sol<strong>ch</strong>es Re<strong>ch</strong>t wirft hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong><br />
der Anwendung zahlrei<strong>ch</strong>e Fragen auf; wir verweisen hier auf die Begründung, die<br />
uns zur Ablehnung der Volksinitiative veranlasst104. Wir ziehen die Idee eines Gesetzes,<br />
das den Grundsatz der Glei<strong>ch</strong>stellung Behinderter und ni<strong>ch</strong>t Behinderter umsetzt,<br />
einer kaum justiziablen Verfassungsbestimmung vor105. 97 Par. 6 lit. b des Gesetzes betreffend das Halten von Hunden vom 21. Januar 1982<br />
(SG 365.100)<br />
98 Par. 9 lit. g der Verordnung des Regierungsrates über das Halten von Hunden vom<br />
16. Oktober 1984 (641.21)<br />
99 AB 1996 N 1160<br />
100 AB 1998 N 1794; Beri<strong>ch</strong>t und Bes<strong>ch</strong>lussesentwurf der Kommission für soziale Si<strong>ch</strong>erheit<br />
und Gesundheit, BBl 1998 2437<br />
101 BBl 1999 5316<br />
102 AB 2000 S 269 ff. Im Zeitpunkt der Verabs<strong>ch</strong>iedung dieser Bots<strong>ch</strong>aft war die Differenz<br />
zwis<strong>ch</strong>en Ständerat und Nationalrat zu diesem Ges<strong>ch</strong>äft no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t bereinigt.<br />
103 Mündli<strong>ch</strong>e Stellungnahme des Bundesrates anlässli<strong>ch</strong> der Behandlung der<br />
parlamentaris<strong>ch</strong>en Initiative im Plenum des Nationalrates; AB 1998 NR 1794 ff.<br />
104 Vgl. Ziff. 3, insbesondere 3.3 und 3.4<br />
105 AB 1998 NR 1800 f.<br />
1753
2.4.2 Die Vernehmlassung von 1999<br />
2.4.2.1 Allgemeines<br />
Die im Herbst 1999 dur<strong>ch</strong>geführte Vernehmlassung zur Frage der Glei<strong>ch</strong>stellung der<br />
Behinderten diente dazu, den Handlungsbedarf und die gewüns<strong>ch</strong>te Regelungsebene<br />
abzuklären sowie erste Anhaltspunkte zu den finanziellen Auswirkungen neuer<br />
Massnahmen zu erhalten. Insgesamt haben 74 von 164 anges<strong>ch</strong>riebenen Institutionen<br />
Stellung genommen. Die Ergebnisse wurden im Beri<strong>ch</strong>t des EJPD vom 28. Januar<br />
2000 «Glei<strong>ch</strong>stellung der Behinderten, Auswertung der Vernehmlassung vom<br />
Herbst 1999» zusammengefasst 106.<br />
2.4.2.2 Re<strong>ch</strong>tsgrundlagen auf Verfassungsstufe<br />
Die Volksinitiative «Glei<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te für Behinderte» oder eine inhaltli<strong>ch</strong> ähnli<strong>ch</strong>e<br />
Regelung gemäss parlamentaris<strong>ch</strong>er Initiative Suter (vgl. Ziff. 2.4.1) wurden von der<br />
SP sowie von zehn Organisationen befürwortet. Für subjektive Re<strong>ch</strong>te auf Verfassungsstufe<br />
traten ferner die Kantone GL und BE sowie 15 Organisationen ein.<br />
Zahlrei<strong>ch</strong>e Vernehmlasser waren demgegenüber ausdrückli<strong>ch</strong> der Meinung, Artikel<br />
8 BV biete eine genügende Re<strong>ch</strong>tsgrundlage für ein Gesetzgebungsprogramm<br />
über die Beseitigung von Bena<strong>ch</strong>teiligungen Behinderter (ZH, BL, SH, VD, FR,<br />
AR, GE, UR, SZ, TG, NE, TI; FDK, SDK; CVP, SVP, LPS; 6 Organisationen).<br />
Auf Ablehnung stiess ein subjektives Re<strong>ch</strong>t im Sinne der Volksinitiative bei bürgerli<strong>ch</strong>en<br />
Parteien (FDP, CVP, SVP) sowie in Wirts<strong>ch</strong>aftskreisen (6 Organisationen).<br />
Etli<strong>ch</strong>e Vernehmlasser äusserten si<strong>ch</strong> gegen eine Verfassungsreform, solange Artikel<br />
8 BV no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t umgesetzt ist.<br />
2.4.2.3 Künftige Gesetzgebung<br />
Die ständerätli<strong>ch</strong>e Kommission spra<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong> in ihrem Beri<strong>ch</strong>t für die sofortige Erarbeitung<br />
eines konkreten Gesetzgebungsprogramms in der Form eines indirekten Gegenvors<strong>ch</strong>lags<br />
zur Volksinitiative «Glei<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te für Behinderte» aus. Diese Eins<strong>ch</strong>ätzung<br />
teilten zahlrei<strong>ch</strong>e Vernehmlasser (SH, ZG, ZH, SZ, TG; FDK, SDK;<br />
FDP, SVP, CVP, LPS; 4 Organisationen). Weitere Vernehmlasser befürworteten ein<br />
Gesetzgebungsprogramm (BL, TG, SZ, NE, TI, VD, LU; SP; 18 Organisationen),<br />
wobei die meisten Vernehmlasser ein ras<strong>ch</strong>es Vorgehen wüns<strong>ch</strong>ten. Eine Mehrheit<br />
der Vernehmlasser spra<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong> für ein Spezialgesetz, allenfalls kombiniert mit der<br />
Revision bestehender Gesetze, aus.<br />
Der Handlungsbedarf wurde von einer Mehrheit der Vernehmlasser bejaht. Im Vordergrund<br />
standen die Berei<strong>ch</strong>e öffentli<strong>ch</strong>er Verkehr, Bauten (verbesserter Vollzug,<br />
evtl. Bes<strong>ch</strong>werdere<strong>ch</strong>t für Behindertenorganisationen), Wohnen (u.a. Assistenzents<strong>ch</strong>ädigung),<br />
Arbeit (mit S<strong>ch</strong>werpunkt auf Anreizsystemen), Kommunikation, Berufsbildung<br />
und S<strong>ch</strong>ulwesen (integrierte S<strong>ch</strong>ulung).<br />
106 Dieser Beri<strong>ch</strong>t kann auf der Internetseite des Bundesamtes für Justiz konsultiert werden<br />
(http://www.bj.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>).<br />
1754
Bei der Frage, ob Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen besondere subjektive Re<strong>ch</strong>te einzuräumen<br />
seien, waren die Meinungen geteilt. Etli<strong>ch</strong>e Vernehmlasser befürworteten<br />
subjektive Re<strong>ch</strong>te grundsätzli<strong>ch</strong>, andere nur auf Gesetzesstufe. Andere wiederum<br />
spra<strong>ch</strong>en si<strong>ch</strong> für ein subjektives Re<strong>ch</strong>t auf Zugang zu Bauten und Anlagen aus.<br />
Au<strong>ch</strong> in der Frage, ob subjektive Re<strong>ch</strong>te erst na<strong>ch</strong> einer Übergangsfrist eingeführt<br />
werden sollten, waren die Meinungen geteilt. Eine weitere Gruppe von Vernehmlassern<br />
lehnte eine Drittwirkung subjektiver Re<strong>ch</strong>te gegenüber Privaten ab.<br />
Zahlrei<strong>ch</strong>e Vernehmlasser wiesen darauf hin, dass die Kostenfolgen im damaligen<br />
Zeitpunkt no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t abs<strong>ch</strong>ätzbar waren. Einige Vernehmlasser gingen von verhältnismässig<br />
bes<strong>ch</strong>eidenen Mehrkosten (2–5% der Gesamtkosten) für Neubauten aus.<br />
Je na<strong>ch</strong> Ausbaustandard wurden die Kosten für den öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr auf<br />
75 Millionen bis gegen 4 Milliarden Franken ges<strong>ch</strong>ätzt. Na<strong>ch</strong> Ansi<strong>ch</strong>t einiger Vernehmlasser<br />
würden die Mehrkosten einer stärkeren s<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>en Integration dur<strong>ch</strong><br />
Einsparungen bei den Sonders<strong>ch</strong>ulen kompensiert. Viele Vernehmlasser gingen davon<br />
aus, dass eine stärkere Integration der Behinderten zu volkswirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />
Einsparungen oder mindestens zu keinen Mehrkosten führt.<br />
3 Analyse und Würdigung der Volksinitiative<br />
3.1 Re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Analyse<br />
3.1.1 Auslegung des Initiativtextes<br />
3.1.1.1 Allgemeines<br />
Die Initiative s<strong>ch</strong>lägt die Einführung eines neuen Artikels 4bis 107 in der Bundesverfassung<br />
vor, wel<strong>ch</strong>er in drei Absätzen ein Grundre<strong>ch</strong>t auf Glei<strong>ch</strong>stellung formuliert,<br />
das vorbehältli<strong>ch</strong> von Absatz 1 besonders auf die behinderten Personen geri<strong>ch</strong>tet ist.<br />
Dieser Artikel 4bis stipuliert somit, gemessen am allgemeinen Glei<strong>ch</strong>stellungsgrundsatz<br />
von Artikel 4 aBV, eine Spezialgarantie zu Gunsten der Behinderten.<br />
Dur<strong>ch</strong> seine Platzierung (ans<strong>ch</strong>liessend an den Art. 4 aBV), seinen Geltungsberei<strong>ch</strong><br />
(S<strong>ch</strong>utz der Person, Wirkungen, die direkt auf der Verfassung gründen), seinen<br />
Wortlaut (Diskriminierung, Glei<strong>ch</strong>stellung, Gewährleistung) sowie dur<strong>ch</strong> den Initiativtitel<br />
selbst («Glei<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te für Behinderte») postuliert der Artikel die Einführung<br />
eines Grundre<strong>ch</strong>ts. Dieses Re<strong>ch</strong>t ist dazu bestimmt, diejenigen Wirkungen auf<br />
den politis<strong>ch</strong>en Prozess zu entfalten, wel<strong>ch</strong>e die Verfassung den Grundre<strong>ch</strong>ten im<br />
Allgemeinen zuerkennt: Es soll in der ganzen Re<strong>ch</strong>tsordnung zur Geltung kommen<br />
(Art. 35 Abs. 1 BV); es ist allen Behörden der vers<strong>ch</strong>iedenen Gemeinwesen (Bund,<br />
Kantonen, Gemeinden) sowie den privaten Personen, die staatli<strong>ch</strong>e Aufgaben erfüllen,<br />
aufgegeben (Art. 35 Abs. 2 BV); und es ist, so weit es si<strong>ch</strong> dazu eignet,<br />
s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> auf die Beziehungen unter Privaten wirksam (Art. 35 Abs. 3 BV).<br />
107 Die Frage der formellen Integration der neuen Bestimmung in die neue Bundesverfassung,<br />
eins<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> das Problem von Platzierung und Nummerierung, wird in Ziff. 3.2<br />
betreffend die Auswirkungen der neuen Verfassung auf die Initiative behandelt.<br />
1755
3.1.1.2 Das Diskriminierungsverbot (Abs. 1)<br />
Absatz 1 stipuliert den Grundsatz, wona<strong>ch</strong> niemand diskriminiert werden darf, und<br />
zählt neun Tatbestände (oder Kriterien) auf, die geeignet sind, zu Diskriminierungen<br />
zu führen, das heisst, Herkunft, Rasse, Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t, Spra<strong>ch</strong>e, Alter, soziale Stellung,<br />
Lebensform, religiöse, weltans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>e oder politis<strong>ch</strong>e Überzeugung, körperli<strong>ch</strong>e,<br />
geistige oder psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Behinderung.<br />
Der persönli<strong>ch</strong>e Geltungsberei<strong>ch</strong> von Absatz 1 ist allgemein und bezieht si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />
nur auf die Behinderten. Der Vors<strong>ch</strong>lag, eine sol<strong>ch</strong>e Generalklausel einzuführen, erklärt<br />
si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> die Tatsa<strong>ch</strong>e, dass die Initiative no<strong>ch</strong> vor dem Hintergrund der alten<br />
Bundesverfassung von 1874, die keine verglei<strong>ch</strong>bare Formulierung kannte.<br />
Da die Liste mit den Kriterien, die geeignet sind, zu Diskriminierungen zu führen,<br />
mit der Formulierung «namentli<strong>ch</strong>» beginnt, ist sie ni<strong>ch</strong>t abs<strong>ch</strong>liessend. Sie führt<br />
einfa<strong>ch</strong> Kriterien auf, wel<strong>ch</strong>e erfahrungsgemäss oft Ursa<strong>ch</strong>en für Diskriminierungen<br />
sind. Ferner s<strong>ch</strong>afft die Aufzählung keine Prioritäten zwis<strong>ch</strong>en den vers<strong>ch</strong>iedenen<br />
Kriterien, wel<strong>ch</strong>e somit grundsätzli<strong>ch</strong> glei<strong>ch</strong>wertig sind.<br />
Was den Begriff der Diskriminierung anbelangt, wird er in der Bestimmung selbst<br />
ni<strong>ch</strong>t definiert. Allerdings haben wir keine Anhaltspunkte für die Annahme, die Urheber<br />
der Initiative würden dieser Begriffsbestimmung einen Sinn verleihen, der<br />
vom allgemein übli<strong>ch</strong>en Begriff abwi<strong>ch</strong>e. Im Gegenteil: Angesi<strong>ch</strong>ts des Werdegangs<br />
der Initiative muss angenommen werden, dass der Begriff der Diskriminierung im<br />
Sinne der Volksinitiative demjenigen von Artikel 8 Absatz 2 der Verfassung entspri<strong>ch</strong>t.<br />
Es geht somit um qualifizierte, mithin offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e oder besonders s<strong>ch</strong>ockierende,<br />
die eine herabwürdigende Wirkung haben können.<br />
Absatz 1 ist eine direkt anwendbare Bestimmung, das heisst, er kann vor dem Ri<strong>ch</strong>ter<br />
angerufen werden, ohne dass dazu no<strong>ch</strong> ein gesetzli<strong>ch</strong>er Erlass zur Umsetzung<br />
erforderli<strong>ch</strong> wäre.<br />
3.1.1.3 Der Gesetzgebungsauftrag (Abs. 2)<br />
Absatz 2 setzt si<strong>ch</strong> aus zwei Sätzen zusammen: Der erste erteilt dem Gesetzgeber<br />
den klaren Auftrag, für die Glei<strong>ch</strong>stellung der Behinderten zu sorgen; der zweite<br />
sieht Massnahmen zur Beseitigung und zum Ausglei<strong>ch</strong> bestehender Bena<strong>ch</strong>teiligungen<br />
vor.<br />
3.1.1.3.1 Erster Satz<br />
Der erste Satz hat die Gesetzgeber der vers<strong>ch</strong>iedenen Gemeinwesen im Auge. Er<br />
enthält keinerlei Zuordnung materieller Gesetzgebungskompetenz und bringt somit<br />
keine Veränderung der verfassungsmässigen Kompetenzaufteilung mit si<strong>ch</strong>108. Dieser Satz stellt ein erstes Auslegungsproblem, und zwar wegen der Divergenz<br />
zwis<strong>ch</strong>en dem deuts<strong>ch</strong>en Text, der den Ausdruck «Glei<strong>ch</strong>stellung» 109 verwendet,<br />
108 Vgl. Au<strong>ch</strong> BBl 1997 III 568, I 136/137, 1993 I 1321 f., 1980 I 132; vgl. au<strong>ch</strong> Ziff. 8.1.1.<br />
109 Vgl. den Wortlaut der Volksinitiative in der deuts<strong>ch</strong>en Fassung im Bundesblatt, BBl<br />
1999 7312, 1998 3967.<br />
1756
und dem französis<strong>ch</strong>en und dem italienis<strong>ch</strong>en Text, die auf den Ausdruck «égalité de<br />
droit» 110 bzw. «parità dei diritti» 111 zurückgreifen. Der Titel der Initiative «Glei<strong>ch</strong>e<br />
Re<strong>ch</strong>te für Behinderte» («Droits égaux pour les personnes handicapées» / « Parità di<br />
diritti per i disabili») könnte vorerst nahe legen, dass nur eine re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Glei<strong>ch</strong>stellung<br />
anvisiert wird. Der Titel einer Volksinitiative muss jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t notwendigerweise<br />
über alle ihre inhaltli<strong>ch</strong>en Elemente Auskunft geben, sondern kann si<strong>ch</strong> darauf<br />
bes<strong>ch</strong>ränken, die hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Idee auszudrücken112. Wie wir in der Folge sehen<br />
werden, besteht die eigentli<strong>ch</strong>e Idee der Initiative in einer spezifis<strong>ch</strong>en Gewährleistung<br />
des Glei<strong>ch</strong>stellungsprinzips, eins<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> die tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Glei<strong>ch</strong>stellung.<br />
Dazu kommt, dass die Initiative in der deuts<strong>ch</strong>en Fassung vorgestellt wurde, während<br />
die französis<strong>ch</strong>e und die italienis<strong>ch</strong>e Fassung Übersetzungen sind113. Für die<br />
Interpretation des Textes ist somit die deuts<strong>ch</strong>e Version massgebli<strong>ch</strong>, und es ist zu<br />
bedenken, dass Artikel 4bis Absatz 2 erster Satz die Glei<strong>ch</strong>stellung, und ni<strong>ch</strong>t nur die<br />
Glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigung, gewährleistet.<br />
Ein zweites Auslegungsproblem betrifft den Gehalt selbst des Begriffs der Glei<strong>ch</strong>stellung<br />
(égalité) im Kontext der Initiative. Gemäss einer gängigen Auslegung unters<strong>ch</strong>ied<br />
si<strong>ch</strong> der Begriff «Glei<strong>ch</strong>stellung» («égalité» / «uguaglianza») von demjenigen<br />
der «Glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigung» und meinte bis zur Annahme der neuen Verfassung eine<br />
tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Glei<strong>ch</strong>stellung. Diese Unters<strong>ch</strong>eidung ging aus Artikel 4 Absatz 2 aBV<br />
(Glei<strong>ch</strong>stellung der Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ter) klar hervor, wona<strong>ch</strong> der erste Satz die Glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigung<br />
(«… glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigt»), der zweite die tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Glei<strong>ch</strong>stellung<br />
(«Glei<strong>ch</strong>stellung») gewährleistete114. Mit dem Inkrafttreten der neuen Verfassung<br />
haben si<strong>ch</strong> die Dinge jedo<strong>ch</strong> geändert. Artikel 8 Absatz 3 zweiter Satz präzisiert nun<br />
den Begriff «Glei<strong>ch</strong>stellung» im Sinne einer «re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en und tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Glei<strong>ch</strong>stellung»<br />
(«egalité de droit et de fait» / «uguaglianza di diritto e di fatto»). Dies führt<br />
zur Feststellung, dass die Einfügung dieser beiden Begriffe (re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> und tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>)<br />
zu einer Neutralisierung des Hauptbegriffs (Glei<strong>ch</strong>stellung) geführt hat, der<br />
seither ni<strong>ch</strong>t mehr darauf bes<strong>ch</strong>ränkt ist, einzig die tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Glei<strong>ch</strong>stellung zu<br />
bezei<strong>ch</strong>nen. Im Zeitpunkt der Lancierung der Volksinitiative (Sommer 1998) bestand<br />
zwis<strong>ch</strong>en den beiden Räten bezügli<strong>ch</strong> Artikel 8 Absatz 3 zweiter Satz BV jedo<strong>ch</strong><br />
no<strong>ch</strong> eine Differenz hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> der Bedeutung des Begriffs der Glei<strong>ch</strong>stellung115.<br />
Somit bestand, was die Tragweite des Begriffs der «Glei<strong>ch</strong>stellung» betraf,<br />
keine Gewissheit. Daher muss Artikel 4bis Absatz 2 unabhängig von der in Artikel 8<br />
Absatz 3 zweiter Satz BV verwendeten Terminologie ausgelegt werden.<br />
Nun zeigt eine unabhängige und systematis<strong>ch</strong>e Auslegung des Initiativtextes, dass<br />
Absatz 2 auf eine Glei<strong>ch</strong>stellung zielt, wel<strong>ch</strong>e si<strong>ch</strong> von der blossen Glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>ti-<br />
110 Vgl. oben Ziff. 1.1.1<br />
111 Vgl. den Wortlaut der Volksinitiative in der italienis<strong>ch</strong>en Fassung im Bundesblatt,<br />
FF 1999, 6256, 1998 3117.<br />
112 Soweit er nur die Behinderten erwähnt, trägt der Titel der Initiative au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t dem allgemeinen<br />
Charakter des Diskriminierungsverbots von Abs. 1 Re<strong>ch</strong>nung. Aber es ist klar,<br />
dass die allgemeine Tragweite dieser Klausel ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> den eins<strong>ch</strong>ränkenden Initiativtitel<br />
in Frage gestellt werden darf. Es sei no<strong>ch</strong> angefügt, dass der Titel einer Volksinitiative<br />
in seinem allgemein verständli<strong>ch</strong>en Sinn zu begreifen ist. So umfasst die Formulierung<br />
«Glei<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te für Behinderte» für viele Leser au<strong>ch</strong> die materiellen Mittel,<br />
deren diese Personen bedürfen, um ihre Re<strong>ch</strong>te auszuüben.<br />
113 In Übereinstimmung mit Art. 23 Abs. 2 der Verordnung vom 24. Mai 1978 über die politis<strong>ch</strong>en<br />
Re<strong>ch</strong>te (SR 161.11) wurden die Übersetzungen von den Initianten genehmigt.<br />
114 BGE 125 I 21, Erw. 3a, 24 f., mit zahlrei<strong>ch</strong>en Hinweisen auf Re<strong>ch</strong>tspre<strong>ch</strong>ung und Doktrin;<br />
BBl 1993 I 1262, 1320 f.<br />
115 AB NR 1998 1756–1765, 2364–2366; SR 1998 691.<br />
1757
gung unters<strong>ch</strong>eidet, und zwar aus folgenden Gründen: Erstens fliesst die von der Initiative<br />
vorges<strong>ch</strong>lagene Garantie der «Glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigung» s<strong>ch</strong>on aus dem allgemeinen<br />
Glei<strong>ch</strong>stellungsgrundsatz von Artikel 4 aBV und dem in Artikel 4 bis Absatz 1<br />
verankerten, von der Initiative postulierten Diskriminierungsverbot; mit Artikel 4 bis<br />
Absatz 2 erster Satz muss somit logis<strong>ch</strong>erweise etwas anderes als die Glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigung<br />
gemeint sein, ansonsten die Bestimmung s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> dreifa<strong>ch</strong> wiederholt<br />
würde; s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> implizieren die gewählten Begriffe, wona<strong>ch</strong> das Gesetz Massnahmen<br />
zur Beseitigung und zum Ausglei<strong>ch</strong> bestehender Bena<strong>ch</strong>teiligungen vorsieht<br />
(«Elle prévoit des mesures en vue de l élimination et de la correction des inégalités<br />
existantes» / «Prevede provvedimenti per eliminare e compensare svantaggi nei loro<br />
confronti»), eine von der blossen re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Glei<strong>ch</strong>stellung unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e<br />
Glei<strong>ch</strong>stellung, verlangen do<strong>ch</strong> Beseitigung und Ausglei<strong>ch</strong>116 von re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> diskriminierenden<br />
Bestimmungen keine «Massnahmen», sondern ganz einfa<strong>ch</strong> die Ersetzung<br />
dieser fehlerhaften Bestimmungen dur<strong>ch</strong> sol<strong>ch</strong>e, die mit dem Grundsatz der<br />
re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Glei<strong>ch</strong>stellung vereinbar sind; ferner sind die Absi<strong>ch</strong>ten der Urheber der<br />
Initiative klar: Sie zielen au<strong>ch</strong> auf die Garantie einer tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Glei<strong>ch</strong>stellung117. Was die anvisierten Berei<strong>ch</strong>e anbelangt, ist der Initiativtext offen. Er konzentriert<br />
si<strong>ch</strong> auf keinen bestimmten Berei<strong>ch</strong> gesetzgeberis<strong>ch</strong>er Tätigkeit, s<strong>ch</strong>liesst aber au<strong>ch</strong><br />
keinen aus; ebenso wenig legt er bestimmte Prioritäten fest. Mit anderen Worten:<br />
Die Gesetzgeber sind dazu aufgerufen, in allen Re<strong>ch</strong>tsberei<strong>ch</strong>en zu legiferieren, einges<strong>ch</strong>lossen<br />
diejenigen, wel<strong>ch</strong>e die Beziehungen zwis<strong>ch</strong>en den Privaten normieren<br />
(indirekte Drittwirkung der Grundre<strong>ch</strong>te). Angesi<strong>ch</strong>ts des offenen Charakters dieses<br />
Auftrags verfügen die Gesetzgeber jedo<strong>ch</strong> über ein grosses Ermessen, was Rangordnung<br />
und Rhythmus in der Umsetzung der Verfassungsbestimmung anbelangt. Je<br />
na<strong>ch</strong> politis<strong>ch</strong>en Kräfteverhältnissen wird dieser Spielraum somit von Behörde zu<br />
Behörde unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> genutzt werden.<br />
3.1.1.3.2 Zweiter Satz<br />
Der zweite Satz präzisiert den Inhalt des ersten insofern, als er den Grundsatz der<br />
Gewährung von Massnahmen zur Beseitigung oder zum Ausglei<strong>ch</strong> 118 von Bena<strong>ch</strong>teiligungen<br />
stipuliert. Dadur<strong>ch</strong> unterstrei<strong>ch</strong>t der Initiativtext ausdrückli<strong>ch</strong> einen<br />
wi<strong>ch</strong>tigen Aspekte der Politik bei der Verwirkli<strong>ch</strong>ung der Grundre<strong>ch</strong>te: Die Gemeinwesen<br />
müssen ni<strong>ch</strong>t nur ein Verhalten an den Tag legen, das der Glei<strong>ch</strong>stellung<br />
ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>adet (Pfli<strong>ch</strong>t zur Enthaltung), sondern sie müssen darüber hinaus ein aktives<br />
Verhalten entwickeln, um die Glei<strong>ch</strong>stellung zu verwirkli<strong>ch</strong>en. Indem die Beseitigung<br />
(besser: der Ausglei<strong>ch</strong>) bestehender Bena<strong>ch</strong>teiligungen verlangt wird,<br />
116 Siehe zu diesem Begriff Ziff. 3.1.1.3.2 und die diesbezügli<strong>ch</strong>e Bemerkung.<br />
117 In den auf den Unters<strong>ch</strong>riftenbögen aufgedruckten Kommentaren war ausdrückli<strong>ch</strong> die<br />
Rede von «Chancenglei<strong>ch</strong>heit» («Dirittto di avere pari opportunita»). Zur Frage der formellen<br />
Anpassung des Textes der Volksinitiative an die neue Verfassung und zum Problem<br />
der französis<strong>ch</strong>en und italienis<strong>ch</strong>en Übersetzung konsultiert, hat das Initiativkomitee<br />
ausdrückli<strong>ch</strong> präzisiert, dass «das von der Volksinitiative angestrebte Ziel klar die<br />
Verwirkli<strong>ch</strong>ung der Glei<strong>ch</strong>stellung ist, und zwar glei<strong>ch</strong>zeitig in re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>er und in tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er<br />
Hinsi<strong>ch</strong>t».<br />
118 Der deuts<strong>ch</strong>e Text als Originaltext verwendet das Substantiv «Ausglei<strong>ch</strong>» (im Italienis<strong>ch</strong>en<br />
übersetzt mit «compensare»). Der französis<strong>ch</strong>e Text, wel<strong>ch</strong>er den Begriff «correction»<br />
verwendet, drückt die Idee des Ausglei<strong>ch</strong>s aber nur annähernd aus. Um diese Bestimmung<br />
zu begreifen, ist es deshalb erforderli<strong>ch</strong>, die Idee des «Ausglei<strong>ch</strong>s» vor Augen<br />
zu haben.<br />
1758
muss der Staat unter Umständen sogar positive Massnahmen zur Förderung der<br />
Glei<strong>ch</strong>stellung ergreifen. Der Artikel belässt dem Gesetzgeber, was die Wahl der<br />
Mittel anbelangt, allerdings einen grossen Spielraum, umfasst do<strong>ch</strong> der Begriff<br />
«Massnahmen» sowohl Zwangsmittel (Verpfli<strong>ch</strong>tung, na<strong>ch</strong> den Bedürfnissen der<br />
unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> Behinderten zu bauen, Bes<strong>ch</strong>äftigtenquote usw.) als au<strong>ch</strong> Vorkehren<br />
rein anregender Natur (Direkthilfen, Steuererlei<strong>ch</strong>terungen oder -vorteile usw.). Die<br />
Wahl der Mittel hängt ab vom Ermessensspielraum der Gesetzgeber und bleibt ein<br />
politis<strong>ch</strong>er Ents<strong>ch</strong>eid.<br />
3.1.1.4 Gewährleistung eines subjektiven Re<strong>ch</strong>ts (Abs. 3)<br />
Absatz 3 gewährleistet, soweit wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> zumutbar, den Zugang zu Bauten und<br />
Anlagen oder die Inanspru<strong>ch</strong>nahme von Einri<strong>ch</strong>tungen und Leistungen, die für die<br />
Öffentli<strong>ch</strong>keit bestimmt sind.<br />
Selbst wenn diese Bestimmung einen eigenen Absatz in der Verfassungsnorm bildet,<br />
stellt sie eine Konkretisierung des Absatzes 2 von Artikel 4bis und ni<strong>ch</strong>t von Absatz<br />
1 dar. Diese Auffassung wird gestützt dur<strong>ch</strong> den Umstand, dass der Initiativtext einer<br />
Logik folgt, wel<strong>ch</strong>e vom Allgemeinen (Abs. 1) zum Besonderen (Abs. 2) geht.<br />
Davon ausgehend, ers<strong>ch</strong>eint es klar, dass die Gewährleistung des Zugangs nur die<br />
Behinderten im Auge hat119 und ni<strong>ch</strong>t alle Personen, wel<strong>ch</strong>e mögli<strong>ch</strong>erweise unter<br />
Diskriminierungen gemäss Absatz 1 zu leiden haben.<br />
Wörtli<strong>ch</strong> genommen gewährleistet Absatz 3 des Initiativtextes ni<strong>ch</strong>t ausdrückli<strong>ch</strong><br />
das Re<strong>ch</strong>t auf den Zugang120, sondern bloss den Zugang zu Anlagen und Leistungen,<br />
die für die Öffentli<strong>ch</strong>keit bestimmt sind. Obwohl der Begriff «Re<strong>ch</strong>t» selbst<br />
fehlt, darf denno<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t in Abrede gestellt werden, dass diese Bestimmung den Behinderten<br />
ein subjektives, direkt auf die Verfassung gestütztes Re<strong>ch</strong>t einräumt. Im<br />
Grundre<strong>ch</strong>tsberei<strong>ch</strong> kommt die Garantie eines Grundsatzes des materiellen Re<strong>ch</strong>ts<br />
nämli<strong>ch</strong> in Wirkli<strong>ch</strong>keit der S<strong>ch</strong>affung eines subjektiven Re<strong>ch</strong>ts glei<strong>ch</strong>: Den Zugang<br />
zu gewährleisten heisst, ein Re<strong>ch</strong>t auf Zugang anzuerkennen. Dasselbe gilt bei der<br />
Gewährleistung der Eigentumsgarantie gemäss Artikel 26 Absatz 1 BV, der den Begriff<br />
«Re<strong>ch</strong>t» ebenfalls ni<strong>ch</strong>t erwähnt. Dazu kommt, dass die Urheber der Initiative<br />
ihre Auffassung betreffend subjektives Re<strong>ch</strong>t in Absatz 3, den sie zum Kernstück ihrer<br />
Initiative erhoben haben, unmissverständli<strong>ch</strong> dargetan haben121. Was den materiellen Geltungsberei<strong>ch</strong> dieses Re<strong>ch</strong>ts anbelangt, ist er ebenfalls offen,<br />
wie wir das bereits weiter oben hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> des Auftrags gesehen haben; der Initiativtext<br />
s<strong>ch</strong>liesst keine Kategorie von Leistungen aus, zieht aber au<strong>ch</strong> keine vor.<br />
Anvisiert sind Werke aller Art (Häuser, Gebäude, Läden, Bahnhöfe, Säle, Stadien,<br />
S<strong>ch</strong>wimmbäder, Denkmäler, Parks, Anlagen usw.) sowie au<strong>ch</strong> alle Arten von<br />
119 Vgl. au<strong>ch</strong> das Dossier des Vereins Volksinitiative, «Der Zugang zu Bauten und Anlagen<br />
oder die Inanspru<strong>ch</strong>nahme von Einri<strong>ch</strong>tungen und Leistungen, die für die Öffentli<strong>ch</strong>keit<br />
bestimmt sind …».<br />
120 Im Gegensatz zum Anspru<strong>ch</strong> auf glei<strong>ch</strong>en Lohn gemäss Art. 8 Abs. 3 dritter Satz BV<br />
(Art. 4 Abs. 2 dritter Satz aBV).<br />
121 Dossier des Vereins Volksinitiative, insbesondere: «Ni<strong>ch</strong>t auf halbem Wege stehen bleiben<br />
– Warum wir heute unsere Volksinitiative «Glei<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te für Behinderte» und «Zugang<br />
zu Bauten und Anlagen oder Inanspru<strong>ch</strong>nahme von Einri<strong>ch</strong>tungen und Leistungen,<br />
die für die Öffentli<strong>ch</strong>keit bestimmt sind …»; siehe au<strong>ch</strong> die parlamentaris<strong>ch</strong>en Beratungen<br />
zur Initiative Suter (vgl. Ziff. 2.4.1), die eine Klausel enthielt, wel<strong>ch</strong>e derjenigen von<br />
Abs. 3 des Textes der Volksinitiative sehr ähnli<strong>ch</strong> ist.<br />
1759
Dienstleistungen (Verkehr, Fernmeldewesen, Restaurants, Reisen, Darbietungen,<br />
Vergnügungen usw.). Es fällt auf, dass Absatz 3 ni<strong>ch</strong>t nur auf die staatli<strong>ch</strong>en Werke<br />
und Dienstleistungen, sondern au<strong>ch</strong> auf sol<strong>ch</strong>e von Privaten geri<strong>ch</strong>tet ist (direkte<br />
Drittwirkung). Die Begriffsbestimmung «für die Öffentli<strong>ch</strong>keit bestimmt» umfasst in<br />
der Tat ni<strong>ch</strong>t nur die Anlagen und Leistungen von Gemeinwesen, sondern au<strong>ch</strong> diejenigen,<br />
wel<strong>ch</strong>e von den Privaten angeboten werden. Es sei jedo<strong>ch</strong> darauf hingewiesen,<br />
dass der Begriff «für die Öffentli<strong>ch</strong>keit bestimmt» der Auslegung bedarf und,<br />
namentli<strong>ch</strong> was die Privatpersonen anbelangt, ni<strong>ch</strong>t den gesamten privaten Sektor<br />
umfasst. Der Begriff könnte beispielsweise mit dem in Artikel 261bis StGB122 verwendeten<br />
(«Leistung, die für die Allgemeinheit bestimmt ist») zusammenfallen,<br />
womit der quasi-öffentli<strong>ch</strong>e Berei<strong>ch</strong> gemeint ist, der ni<strong>ch</strong>t den der Privatsphäre zustehenden<br />
S<strong>ch</strong>utz geniesst.<br />
Absatz 3 kann in seiner Eigens<strong>ch</strong>aft als subjektives Re<strong>ch</strong>t direkt vor re<strong>ch</strong>tsanwendenden<br />
Behörden angerufen werden, und zwar ohne dass der Gesetzgeber verpfli<strong>ch</strong>tet<br />
wäre, seinen Gegenstand, seine Tragweite und seine Grenzen, die berufungsbere<strong>ch</strong>tigten<br />
Personen, Prozessvoraussetzungen usw. zu definieren. Die Regelung<br />
aller dieser Fragen, die normalerweise dem Gesetzgeber zukommt, wird hier<br />
grundsätzli<strong>ch</strong> den re<strong>ch</strong>tsanwendenden Behörden überlassen. Allerdings ist es<br />
s<strong>ch</strong>wierig, generell den Grad der Justiziabilität von Absatz 3 vorauszusehen. Dies<br />
hängt stark von den Umständen des Einzelfalles ab, namentli<strong>ch</strong> von dessen Natur<br />
(ri<strong>ch</strong>tige Handhabung von bereits bestehenden Leistungen oder S<strong>ch</strong>affung neuer<br />
Leistungen). Es kann in der Tat angenommen werden, dass eine re<strong>ch</strong>tsanwendende<br />
Behörde dur<strong>ch</strong>aus und ohne si<strong>ch</strong> gesetzgeberis<strong>ch</strong>e Kompetenzen anzumassen, einen<br />
Dienstleistungsanbieter anhält, seine Leistungen im Sinne der Interessen der Behinderten<br />
zu erbringen; damit ersetzte er ni<strong>ch</strong>t den Gesetzgeber, sondern präzisierte<br />
vielmehr die Bedingungen für die Gewährung bereits definierter Leistungen. Umgekehrt<br />
verlöre die in Absatz 3 der Initiative enthaltene Garantie viel von ihrer Substanz,<br />
sollte die verlangte Leistung ein derart erhebli<strong>ch</strong>es Engagement implizieren,<br />
dass der Rahmen der herkömmli<strong>ch</strong>erweise gewährten Leistungen gesprengt würde,<br />
sodass ni<strong>ch</strong>t auszus<strong>ch</strong>liessen wäre, dass die Bestimmung ohne gesetzli<strong>ch</strong>e Stütze<br />
toter Bu<strong>ch</strong>stabe bleiben könnte123. S<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> ordnet Absatz 3 das Bestehen eines Re<strong>ch</strong>ts auf Zugang ausdrückli<strong>ch</strong><br />
seinem wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> zumutbaren Charakter unter. Diese Klausel orientiert si<strong>ch</strong> offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong><br />
am Prinzip der Verhältnismässigkeit. Na<strong>ch</strong> der Meinung einiger Initianten<br />
hätte sie sogar zum Ziel, die Gründe, weswegen eine Leistung abgelehnt werden<br />
könnte, auss<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> auf wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Erwägungen zu begrenzen124. Das<br />
würde bedeuten, dass beispielsweise psy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>e Gründe oder Erwägungen im<br />
Zusammenhang mit der Lands<strong>ch</strong>aft oder mit der Ästhetik oder Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te eines Ortes<br />
bei der Beurteilung des zumutbaren Charakters einer Leistung ni<strong>ch</strong>t berücksi<strong>ch</strong>tigt<br />
werden könnten. Was uns angeht, sind wir im Gegenteil der Meinung, dass die<br />
Klausel des zumutbaren wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Opfers bloss einen Aspekt des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes<br />
ausma<strong>ch</strong>t, und dass der Initiativtext, au<strong>ch</strong> wenn er nur diesen<br />
einen Aspekt erwähnt, ni<strong>ch</strong>t als die anderen auss<strong>ch</strong>liessend verstanden werden<br />
122 SR 311.0; BBl 1992 III 314<br />
123 Siehe eine Analyse zum Problem der Justiziabilität im Verhältnis zum Anspru<strong>ch</strong> auf positive<br />
Leistungen, der si<strong>ch</strong> direkt aus einem Grundre<strong>ch</strong>t ergibt, bei Caroline Klein, La<br />
discrimination des personnes handicapées, Diss. 2000, S. 98–112.<br />
124 Siehe im Beri<strong>ch</strong>t über die Auswertung der Ergebnisse der Vernehmlassung von 1999<br />
(vgl. Ziff. 2.4.1 oben), die Antworten der vers<strong>ch</strong>iedenen Behinderten-Organisationen,<br />
Mitglieder des Unterstützungskomitees der Initiative.<br />
1760
darf. Aus der Einfügung von gewissen Präzisierungen in eine re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Bestimmung<br />
kann nämli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t abgeleitet werden, dass alles, was darin ni<strong>ch</strong>t ausdrückli<strong>ch</strong><br />
vorkommt, ausges<strong>ch</strong>lossen ist (Umkehrs<strong>ch</strong>luss). Wir s<strong>ch</strong>liessen daraus, dass das unzumutbare<br />
wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Opfer ni<strong>ch</strong>t das einzige Kriterium ist, unter dessen Aspekt<br />
die Garantie des Re<strong>ch</strong>ts auf Zugang, wie es die Volksinitiative formuliert, geprüft<br />
werden muss.<br />
3.1.2 Direkte Anwendung<br />
Während Absatz 2 der Initiative eine Umsetzung dur<strong>ch</strong> den Gesetzgeber erfordert,<br />
sind die Absätze 1 und 3 direkt anwendbar. So können das Diskriminierungsverbot<br />
und die Klausel betreffend die Gewährleistung eines direkten Zugangs auf Leistungen<br />
Wirkungen entfalten, ohne dass eine Vollzugsgesetzgebung erforderli<strong>ch</strong> wäre.<br />
Allerdings bedeutet die direkte Anwendbarkeit ni<strong>ch</strong>t, dass der Gesetzgeber seiner<br />
Gesetzgebungskompetenz beraubt ist. So ist es dur<strong>ch</strong>aus mögli<strong>ch</strong>, dass er das Re<strong>ch</strong>t<br />
auf Zugang zu Anlagen und Leistungen in einem Gesetz konkretisieren könnte, sofern<br />
die Verwirkli<strong>ch</strong>ung dieses Re<strong>ch</strong>ts es erforderte (wie dies bei der Glei<strong>ch</strong>stellung<br />
von Mann und Frau der Fall war, namentli<strong>ch</strong> hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> des Anspru<strong>ch</strong>s auf glei<strong>ch</strong>en<br />
Lohn) 125.<br />
3.2 Anpassung an die neue Verfassung<br />
3.2.1 Eingliederung in die neue verfassungsmässige<br />
Systematik<br />
Als Folge des Inkrafttretens der neuen Bundesverfassung muss die Volksinitiative<br />
«Glei<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te für Behinderte» an die neue verfassungsmässige Systematik angepasst<br />
werden. Gemäss Ziffer III des Bundesbes<strong>ch</strong>lusses vom 18. Dezember 1998<br />
über eine neue Bundesverfassung126 werden Änderungen der Bundesverfassung vom<br />
29. Mai 1874 von der Bundesversammlung formal an die neue Verfassung angepasst;<br />
der Bundesbes<strong>ch</strong>luss, den sie zu diesem Zweck erlässt, unterliegt ni<strong>ch</strong>t dem<br />
Referendum.<br />
Da die Volksinitiative ein Grundre<strong>ch</strong>t für die Glei<strong>ch</strong>stellung der Behinderten vorsieht,<br />
hat sie einen direkten Bezug zu Artikel 8 BV. Diese Bestimmung stipuliert<br />
nämli<strong>ch</strong> den generellen Grundsatz der Re<strong>ch</strong>tsglei<strong>ch</strong>heit (Abs. 1), konkretisiert eine<br />
der daraus fliessenden re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Konsequenzen (Abs. 2), und gewährleistet in den<br />
beiden letzten Absätzen spezifis<strong>ch</strong> die Glei<strong>ch</strong>stellung von Mann und Frau (Abs. 3)<br />
und die Glei<strong>ch</strong>stellung der Behinderten (Abs. 4). So wie die neue Bundesverfassung<br />
für die Glei<strong>ch</strong>stellung von Mann und Frau keine gesonderte Bestimmung vorsieht,<br />
so ist es unseres Era<strong>ch</strong>tens au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t erforderli<strong>ch</strong>, eine gesonderte Bestimmung<br />
über die Glei<strong>ch</strong>stellung der Behinderten darin zu verankern. War eine gesonderte<br />
Bestimmung in der Systematik der alten Verfassung von 1874 no<strong>ch</strong> gere<strong>ch</strong>tfertigt<br />
(sie enthielt keinerlei Spezialnorm über die Behinderten), trifft dies für die neue<br />
Verfassung ni<strong>ch</strong>t mehr zu, ansonsten zwei Verfassungsbestimmungen (der aus der<br />
Volksinitiative stammende Artikel sowie Artikel 8 Absatz 4, dessen Aufhebung die<br />
Initiative ni<strong>ch</strong>t verlangt) Gegenstände der glei<strong>ch</strong>en Art mit unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Be-<br />
125 BBl 1993 I 1321<br />
126 AS 1999 2555<br />
1761
griffen regeln würden. Eine derartige Wirkung wäre unerwüns<strong>ch</strong>t und wird von den<br />
Initianten au<strong>ch</strong> gar ni<strong>ch</strong>t verlangt. Ferner ist ni<strong>ch</strong>t einzusehen, warum von zwei Spezialtexten<br />
über die Glei<strong>ch</strong>stellung der Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ter und der Behinderten der eine in<br />
Artikel 8 figurieren würde, der andere ausserhalb bliebe. Wir sind deshalb der Meinung,<br />
dass der Sinn der Volksinitiative s<strong>ch</strong>on in Artikel 8 BV enthalten ist.<br />
3.2.2 Eingliederung von Absatz 1<br />
Absatz 1 des Initiativtexts übernimmt inhaltli<strong>ch</strong> den Text von Artikel 8 Absatz 2<br />
BV. Da die Aufzählung der Kriterien bekanntli<strong>ch</strong> keinerlei Prioritäten setzt, hat die<br />
Tatsa<strong>ch</strong>e, dass, im Gegensatz zur Volksinitiative, das Alter im Text der neuen Verfassung<br />
vor der Spra<strong>ch</strong>e erwähnt wird, keine Bedeutung.<br />
Da Absatz 1 der Volksinitiative im geltenden Verfassungsre<strong>ch</strong>t bereits verankert ist,<br />
wird er somit gegenstandslos und kann aus dem Text, wel<strong>ch</strong>er dem Referendum unterstellt<br />
wird, gestri<strong>ch</strong>en werden.<br />
3.2.3 Eingliederung von Absatz 2<br />
Dieser Absatz erteilt dem Gesetzgeber den Auftrag, für die Glei<strong>ch</strong>stellung behinderter<br />
Mens<strong>ch</strong>en zu sorgen (erster Satz), und Massnahmen zur Beseitigung und zum<br />
Ausglei<strong>ch</strong> bestehender Bena<strong>ch</strong>teiligungen vorzusehen (zweiter Satz). In materieller<br />
Hinsi<strong>ch</strong>t gehört Absatz 2 in den Kontext von Artikel 8 Absatz 4 BV. Da der erste<br />
Satz von Absatz 2 der Initiative jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t ausdrückli<strong>ch</strong> in Artikel 8 Absatz 4 BV<br />
steht, muss er in diese Bestimmung eingefügt werden, und zwar als erster Satz von<br />
Artikel 8 Absatz 4 BV. Der zweite Satz von Absatz 2 der Initiative entspri<strong>ch</strong>t praktis<strong>ch</strong><br />
ganz dem geltenden Artikel 8 Absatz 4; da er jedo<strong>ch</strong> detaillierter ist, weil er<br />
ni<strong>ch</strong>t nur die Beseitigung, sondern au<strong>ch</strong> den Ausglei<strong>ch</strong> bestehender Bena<strong>ch</strong>teiligungen<br />
vorsieht, muss er den geltenden verfassungsmässigen Text ersetzen.<br />
Was die fehlerhaften Übersetzungen des Begriffs der Glei<strong>ch</strong>stellung im französis<strong>ch</strong>en<br />
und im italienis<strong>ch</strong>en Initiativtext angeht127, sind wir der Meinung, dass sie<br />
dur<strong>ch</strong> das vorliegende Verfahren ni<strong>ch</strong>t ri<strong>ch</strong>tiggestellt werden können. Es wurde<br />
nämli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t ges<strong>ch</strong>affen, um Irrtümer in den bereits von den Wählern unterzei<strong>ch</strong>neten<br />
Initiativtexten zu korrigieren. Umgekehrt ergibt si<strong>ch</strong> aus der Auslegung des<br />
Textes im Hinblick auf seine Entstehungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te selbst, dass Absatz 2 erster Satz<br />
die Glei<strong>ch</strong>stellung und ni<strong>ch</strong>t nur die Glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigung meint128. 3.2.4 Eingliederung von Absatz 3<br />
Dieser Absatz garantiert neu ein subjektives Re<strong>ch</strong>t auf Zugang zu Anlagen und Leistungen,<br />
die für die Öffentli<strong>ch</strong>keit bestimmt sind. Da er nur die Behinderten meint 129,<br />
muss er, was die Systematik anbelangt, in diejenige Bestimmung integriert werden,<br />
127 Vgl. Ziff. 3.1.1.3.1<br />
128 Vgl. Ziff. 3.1.1.3.1 in fine<br />
129 Vgl. Ziff. 3.1.1.4<br />
1762
wel<strong>ch</strong>e spezifis<strong>ch</strong> die Glei<strong>ch</strong>stellung der Behinderten garantiert, das heisst in Artikel<br />
8 Absatz 4.<br />
3.2.5 An die neue Verfassung angepasster Text<br />
Im Einverständnis mit dem Initiativkomitee s<strong>ch</strong>lagen wir vor, dass die Volksinitiative,<br />
integriert in die neue Verfassung an Stelle des geltenden Artikels 8 Absatz 4,<br />
Volk und Ständen mit folgendem Wortlaut zur Abstimmung unterbreitet wird:<br />
Art. 8 Absatz 4 BV<br />
4 Das Gesetz sorgt für die Glei<strong>ch</strong>stellung behinderter Mens<strong>ch</strong>en. Es<br />
sieht Massnahmen zur Beseitigung und zum Ausglei<strong>ch</strong> bestehender<br />
Bena<strong>ch</strong>teiligungen vor. Der Zugang zu Bauten und Anlagen oder die<br />
Inanspru<strong>ch</strong>nahme von Einri<strong>ch</strong>tungen und Leistungen, die für die Öffentli<strong>ch</strong>keit<br />
bestimmt sind, ist soweit wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> zumutbar gewährleistet.<br />
3.3 Folgen der Initiative<br />
3.3.1 Positive Aspekte<br />
Ein positiver Aspekt der Initiative besteht in der Einführung eines besonderen und<br />
detaillierten Glei<strong>ch</strong>stellungsgrundsatzes zu Gunsten der Behinderten, wodur<strong>ch</strong> die<br />
Notwendigkeit einer Politik der Förderung der Glei<strong>ch</strong>stellung unterstri<strong>ch</strong>en wird.<br />
Eine sol<strong>ch</strong>e Garantie kann eine dynamis<strong>ch</strong>e und stimulierende Wirkung auf die<br />
Entwicklung der vers<strong>ch</strong>iedenen künftigen Gesetzgebungen (von Bund und Kantonen)<br />
ausüben.<br />
Ferner könnte, zumindest beim ersten Hinsehen, angenommen werden, dass die Gewährleistung<br />
eines subjektiven Re<strong>ch</strong>ts auf Zugang zu Bauten und Leistungen, die<br />
für die Öffentli<strong>ch</strong>keit bestimmt sind – dies ist die primäre Stossri<strong>ch</strong>tung der Initiative<br />
–, den Vorteil einer gewissen Einfa<strong>ch</strong>heit und Effizienz für si<strong>ch</strong> beanspru<strong>ch</strong>en<br />
kann. Einfa<strong>ch</strong>heit insofern, als dieses subjektive Re<strong>ch</strong>t dazu beitragen könnte, die<br />
Zahl der Erlasse einzudämmen. Effizient insofern, als es geeignet wäre, eine gezielte<br />
Verbesserung der Lage der behinderten Personen zu bewirken, das heisst in Fällen<br />
offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>er Mängel.<br />
3.3.2 Negative Aspekte<br />
Die negativen Aspekte ergeben si<strong>ch</strong> primär aus der verfassungsmässigen Gewährleistung<br />
einer Re<strong>ch</strong>ts auf Zugang zu Bauten und Leistungen, die für die Öffentli<strong>ch</strong>keit<br />
bestimmt sind. Denn, wie man bereits bei der verfassungsmässigen Garantie des<br />
glei<strong>ch</strong>en Lohns für glei<strong>ch</strong>wertige Arbeit (Art. 8 Absatz 3 BV) gesehen hat, ist die<br />
Umsetzung von direkt auf der Verfassung basierenden Re<strong>ch</strong>tsansprü<strong>ch</strong>en dur<strong>ch</strong> die<br />
re<strong>ch</strong>tsanwendenden Behörden ni<strong>ch</strong>t einfa<strong>ch</strong>: Bis zum Inkrafttreten des Bundesgeset-<br />
1763
zes über die Glei<strong>ch</strong>stellung von Mann und Frau vom 24. März 1995130 haben die<br />
Geri<strong>ch</strong>te oft gezögert, ja si<strong>ch</strong> geweigert, aus dem subjektiven Re<strong>ch</strong>t auf glei<strong>ch</strong>en<br />
Lohn zwingende Wirkungen namentli<strong>ch</strong> bezügli<strong>ch</strong> der Privaten zu ziehen131. Einer<br />
der Gründe für diese Zurückhaltung ist die stark verankerte Auffassung, dass es, getreu<br />
der Gewaltenteilung im Innern des Staates, Sa<strong>ch</strong>e des Gesetzgebers ist, politis<strong>ch</strong>e<br />
Fragen zu ents<strong>ch</strong>eiden. In dieser Eigens<strong>ch</strong>aft obliegt es ihm, den Anwendungsberei<strong>ch</strong><br />
und die Tragweite einer Bestimmung, die Anspru<strong>ch</strong>sbere<strong>ch</strong>tigten, die<br />
S<strong>ch</strong>uldner einer Verpfli<strong>ch</strong>tung, die Grenzen eines Re<strong>ch</strong>ts, die massgebenden Kriterien<br />
bei der Abwägung divergierender Interessen, festzulegen. Alle diese Fragen harren<br />
der ausgewogenen Lösungen, die das Gesetz demokratis<strong>ch</strong> formuliert. Wenn das<br />
Postulat der Glei<strong>ch</strong>stellung zu Gunsten der Behinderten die blosse re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e<br />
Glei<strong>ch</strong>stellung übers<strong>ch</strong>reitet und auf positive Leistungen abzielt, die sowohl von den<br />
Privatpersonen als au<strong>ch</strong> von den Gemeinwesen erbra<strong>ch</strong>t werden müssen, verlangen<br />
demokratis<strong>ch</strong>e Legitimierung und Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit, dass diese Fragen vom Gesetzgeber<br />
gelöst werden . Der Bundesrat hat immer s<strong>ch</strong>on die Idee unterstützt, dass ein<br />
Gesetz, wel<strong>ch</strong>es den Glei<strong>ch</strong>stellungsgrundsatz zu Gunsten der Behinderten umsetzt,<br />
einer s<strong>ch</strong>wierig anzuwendenden verfassungsmässigen Bestimmung vorzuziehen<br />
ist132. Zur Illustration seien hier einige Fragen aufgeworfen, worauf die Verfassungsbestimmung<br />
keine Antwort gibt und die von der Re<strong>ch</strong>tspre<strong>ch</strong>ung gelöst werden müssten:<br />
Wer gilt als behinderte Person? Handelt es si<strong>ch</strong> um invalide Personen im Sinne<br />
des Bundesgesetzes über die Invalidenversi<strong>ch</strong>erung, oder ist der Kreis der anvisierten<br />
Personen grösser? Was ist unter Bauten, was unter Anlagen, was unter Leistungen<br />
zu verstehen, die für die Öffentli<strong>ch</strong>keit bestimmt sind, und sind mit der Bestimmung<br />
alle diese Einri<strong>ch</strong>tungen und Leistungen gemeint, oder gibt es Grenzen bezügli<strong>ch</strong><br />
Volumen und Kapazität, ausserhalb deren die Verfassungsbestimmung ni<strong>ch</strong>t<br />
anwendbar ist? Wel<strong>ch</strong>es ist die Art des gewährleisteten Zugangs, und zu wel<strong>ch</strong>en<br />
Bedingungen wird dieser Zugang gewährt? Wel<strong>ch</strong>e anderen Interessen sind zu berücksi<strong>ch</strong>tigen,<br />
und wel<strong>ch</strong>es sind die Kriterien, die geeignet sind, um in die Abwägung<br />
der gegenteiligen Interessen einzufliessen? Ist eine Übergangsfrist einzuhalten,<br />
bevor von den Gemeinwesen oder von den Privatpersonen verlangt wird, dass sie<br />
den Anforderungen an die Verfassungsbestimmung Folge leisten? Wer ist gehalten,<br />
einen den Bedürfnissen der Behinderten angepassten Zugang zu gewährleisten? An<br />
wel<strong>ch</strong>e Behörde muss man si<strong>ch</strong> wenden und in wel<strong>ch</strong>em Zeitpunkt oder bei wel<strong>ch</strong>er<br />
Gelegenheit? Wer hat ein Bes<strong>ch</strong>werdere<strong>ch</strong>t? Wie man sieht, können alle diese Fragen<br />
ganz unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> beantwortet werden, und zwar ohne dass damit gegen die<br />
Idee der Glei<strong>ch</strong>stellung verstossen würde. Ist ein derart grosser Auslegungsspielraum<br />
gegeben, obliegt es mithin dem Gesetzgebers, eine angemessene Auswahl zu<br />
treffen und die Grenzen des Re<strong>ch</strong>ts auf Glei<strong>ch</strong>stellung festzulegen.<br />
Alle diese Unsi<strong>ch</strong>erheiten haben einen starken Einfluss auf die Beurteilung der wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />
und finanziellen Konsequenzen der Volksinitiative. Wir bes<strong>ch</strong>ränken<br />
uns hier darauf, sie aufzuzeigen, und verweisen im Übrigen auf das Kapital der Bots<strong>ch</strong>aft,<br />
worin die wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en und finanziellen Konsequenzen des Gesetzesentwurfs<br />
behandelt werden133. 130 SR 151.1<br />
131 FF 1993 I 1248<br />
132 AB 1998 NR 1801<br />
133 Vgl. Ziff. 5<br />
1764
Überdies hätten die Verwaltungs- und Geri<strong>ch</strong>tsbehörden mit einer Mehrbelastung zu<br />
re<strong>ch</strong>nen, da die Umsetzung der Initiative in hohem Masse von der Re<strong>ch</strong>tspre<strong>ch</strong>ung<br />
dieser Behörden abhängt.<br />
Die Initiative erfasst bezügli<strong>ch</strong> Bauten alle für die Öffentli<strong>ch</strong>keit bestimmten Gebäude,<br />
eins<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> der bereits bestehenden. Sie verlangt also die Anpassung der<br />
Infrastrukturen vom Zeitpunkt an, in dem die Initiative dur<strong>ch</strong> Volk und Stände angenommen<br />
wird.<br />
Si<strong>ch</strong>er ist weiter, dass die Initiative Privatpersonen weit stärker in die Pfli<strong>ch</strong>t nimmt<br />
als der Gegenentwurf: Privatpersonen sind derselben Anpassungspfli<strong>ch</strong>t unterstellt<br />
wie die Gemeinwesen. Die einzige Begrenzung des Geltungsberei<strong>ch</strong>s ist dur<strong>ch</strong> das<br />
Kriterium der Bestimmung für die Öffentli<strong>ch</strong>keit gegeben. Wie na<strong>ch</strong>folgend dargelegt,<br />
differenziert demgegenüber der Gesetzesentwurf zwis<strong>ch</strong>en Dienstleistungen,<br />
die von Privaten angeboten werden (Art. 7 Abs. 3), oder von einem Gemeinwesen<br />
(Art. 7 Abs. 2). Private unterliegen nur einem Diskriminierungsverbot, während die<br />
Gemeinwesen verpfli<strong>ch</strong>tet sind, ihre Dienstleistungen auf die Bedürfnisse der Behinderten<br />
auszuri<strong>ch</strong>ten134. Genaue Kostens<strong>ch</strong>ätzungen für die Eigentümer von Gebäuden und Anlagen sowie<br />
die Anbieter von Dienstleistungen lassen si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t anstellen, da ni<strong>ch</strong>t vorweggenommen<br />
werden kann, wie der Begriff der wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Zumutbarkeit dur<strong>ch</strong> die<br />
re<strong>ch</strong>tsanwendenden Behörden ausgelegt würde.<br />
Eine sofortige und umfassende Anpassung des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs würde Zusatzkosten<br />
von rund 4 Milliarden Franken verursa<strong>ch</strong>en. Die sofortige Umstellung ohne<br />
Rücksi<strong>ch</strong>t auf bestehende Infrastrukturen und Ersatzzyklen für Fahrzeuge wäre si<strong>ch</strong>er<br />
für zahlrei<strong>ch</strong>e Verkehrsunternehmen wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t zumutbar. Zu wel<strong>ch</strong>er<br />
Etappierung der Anpassungen die Re<strong>ch</strong>tspre<strong>ch</strong>ung auf Grund des Verhältnismässigkeitsprinzips<br />
führen würde, lässt si<strong>ch</strong> indessen zahlenmässig ni<strong>ch</strong>t festlegen. Für<br />
weitere Einzelheiten der Kostens<strong>ch</strong>ätzung im Verkehrsberei<strong>ch</strong> wird auf die Ausführungen<br />
in Ziffer 5.4.2 verwiesen.<br />
Ausgehend von den finanziellen Auswirkungen des Gesetzesentwurfs s<strong>ch</strong>eint es offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>,<br />
dass die Volksinitiative wesentli<strong>ch</strong> höhere Kosten verursa<strong>ch</strong>en würde.<br />
Hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> des von der Volksinitiative vorges<strong>ch</strong>lagenen Gesetzgebungsauftrags<br />
(Art. 8 Abs. 4 neu) sind wir der Meinung, dass er im Verglei<strong>ch</strong> zum geltenden Artikel<br />
8 Absatz 4 BV keine ents<strong>ch</strong>eidende qualitative Änderung mit si<strong>ch</strong> bringt. Die<br />
geltende Bestimmung ist genügend weit und offen gehalten, um eine die Glei<strong>ch</strong>stellung<br />
Behinderter begünstigende Gesetzgebung zu erlauben. Vor allem erlaubt sie<br />
au<strong>ch</strong>, auf Gesetzesebene Re<strong>ch</strong>tsansprü<strong>ch</strong>e zu formulieren; damit werden den behinderten<br />
Personen die erforderli<strong>ch</strong>en Mittel eingeräumt, um den im Gesetz stipulierten<br />
Re<strong>ch</strong>ten Na<strong>ch</strong>a<strong>ch</strong>tung zu vers<strong>ch</strong>affen. Zu diesem Punkt sei auf das Kapitel über die<br />
Verfassungsmässigkeit des Gesetzesentwurfs verwiesen135. 134 Vgl. Erläuterungen in Ziff. 4.3.2.<br />
135 Vgl. Ziff. 8.1<br />
1765
3.4 Antrag: Ablehnung der Initiative und Vorlage<br />
eines indirekten Gegenentwurfs<br />
Wie wir weiter oben gesehen haben, würde die Umsetzung des subjektiven Re<strong>ch</strong>ts,<br />
das, vorbehältli<strong>ch</strong> der Zumutbarkeit, einen Zugang zu Bauten und Anlagen oder die<br />
Inanspru<strong>ch</strong>nahme von Einri<strong>ch</strong>tungen und Leistungen, die für die Öffentli<strong>ch</strong>keit bestimmt<br />
sind, gewährleistet, praktis<strong>ch</strong>e, s<strong>ch</strong>wierig zu lösende Probleme stellen; damit<br />
verbunden wären gravierende Kostenfolgen für viele Privatpersonen, Firmen und<br />
private Organisationen, sowie s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> für die Gemeinden, die Kantone und<br />
den Bund. Ferner s<strong>ch</strong>afft die Unbere<strong>ch</strong>enbarkeit der Verpfli<strong>ch</strong>tungen, wel<strong>ch</strong>e die<br />
Re<strong>ch</strong>tspre<strong>ch</strong>ung allenfalls aus diesem Re<strong>ch</strong>t ableiten würde, eine Re<strong>ch</strong>tsunsi<strong>ch</strong>erheit,<br />
die Eigentümern und Leistungserbringern, seien sie nun Privatpersonen oder<br />
Gemeinwesen, kaum zumutbar wäre. Die Gewährleistung eines subjektiven Re<strong>ch</strong>ts<br />
auf Stufe Verfassung ist in einem derart komplexen Berei<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t der ri<strong>ch</strong>tige Weg,<br />
um die Glei<strong>ch</strong>stellung zu fördern. Genau diese Überlegungen haben uns im Übrigen<br />
bewogen, bei den parlamentaris<strong>ch</strong>en Beratungen zu Artikel 8 Absatz 4 BV denjenigen<br />
Anträgen zu opponieren, die auf die Einführung eines subjektives Re<strong>ch</strong>ts auf<br />
Verfassungsebene abzielten136. Aus ähnli<strong>ch</strong>en Gründen wäre es ni<strong>ch</strong>t angemessen, der Volksinitiative einen direkten<br />
Gegenvors<strong>ch</strong>lag entgegenzusetzen, das heisst einen Text mit Verfassungsrang,<br />
na<strong>ch</strong>dem eine Gesetzgebung zu Gunsten der Glei<strong>ch</strong>stellung der Behinderten in der<br />
geltenden Verfassung bereits eine genügende Grundlage findet137. Um dem eigentli<strong>ch</strong>en Ziel der Volksinitiative, nämli<strong>ch</strong> die Förderung der Glei<strong>ch</strong>stellung<br />
der Behinderten – ein Ziel, wel<strong>ch</strong>es wir vollumfängli<strong>ch</strong> unterstützen – gere<strong>ch</strong>t<br />
zu werden, ers<strong>ch</strong>eint uns die Ausarbeitung eines Gesetzes die ri<strong>ch</strong>tige Lösung.<br />
Ein Bundesgesetz hat den Vorteil, dass es die Berei<strong>ch</strong>e, in wel<strong>ch</strong>en ein Handlungsbedarf<br />
gegeben ist, konkret festlegt; ferner definiert es die Tragweite der Massnahmen,<br />
konkretisiert den Grundsatz der Verhältnismässigkeit und bestimmt den<br />
Rhythmus der erforderli<strong>ch</strong>en Anpassungen. In allen diesen Fragen ergibt si<strong>ch</strong> politis<strong>ch</strong>er<br />
Handlungsbedarf, somit ist es au<strong>ch</strong> in erster Linie Sa<strong>ch</strong>e des Gesetzgebers,<br />
darüber zu befinden.<br />
Somit beantragen wir den Räten, die Volksinitiative «Glei<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te für Behinderte»<br />
abzulehnen, und einen indirekten Gegenvors<strong>ch</strong>lag in der Form eines Gesetzes,<br />
das den Gesetzgebungsauftrag von Artikel 8 Absatz 4 BV umsetzt, vorzulegen.<br />
4 Indirekter Gegenentwurf:<br />
Entwurf zu einem Bundesgesetz über die Beseitigung<br />
von Bena<strong>ch</strong>teiligungen von Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen<br />
(Behindertenglei<strong>ch</strong>stellungsgesetz)<br />
4.1 Vorentwurf und Vernehmlassung 2000<br />
4.1.1 Vorentwurf<br />
Im Dezember 1999 haben wir das EJPD beauftragt, den Vorentwurf für ein Gesetz<br />
auszuarbeiten, das den Gesetzgebungsauftrag von Art. 8 Abs. 4 BV konkretisiert.<br />
Der Vorentwurf wurde im Laufe der ersten Hälfte des Jahres vorbereitet und Anfang<br />
136 AB 1998 NR 678; SR 992<br />
137 Vgl. Ziff. 8.1.1<br />
1766
Juni 2000 in die Vernehmlassung ges<strong>ch</strong>ickt. Die Vernehmlassung wurde auf breiter<br />
Basis genutzt 138.<br />
4.1.2 Ergebnisse der Vernehmlassung<br />
Grundsatz eines Gesetzes und generelles Konzept des Entwurfs<br />
Der Vorentwurf wurde von der Mehrheit der befragten Kantone, politis<strong>ch</strong>en Parteien<br />
und Organisationen gut aufgenommen, und zwar was den Grundsatz eines Gesetzes<br />
an si<strong>ch</strong> als au<strong>ch</strong> dessen allgemeine Stossri<strong>ch</strong>tung und dessen Zweck anbelangt.<br />
Ferner wurde der ras<strong>ch</strong>e Vollzug des Verfassungsauftrags begrüsst. Die dem Vorentwurf<br />
zuteil gewordene Unterstützung hat vers<strong>ch</strong>iedene Gründe: Na<strong>ch</strong> Auffassung<br />
von drei Kantonen (GE, NW, VS) und zehn Organisationen entspri<strong>ch</strong>t der Vorentwurf<br />
einer Notwendigkeit; zwei Kantone (AG, OW) und eine Partei (FDP) unterstützen<br />
den Vorentwurf nur insoweit, als er einen indirekten Gegenvors<strong>ch</strong>lag zur<br />
Volksinitiative «Glei<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te für Behinderte» bildet. Vollumfängli<strong>ch</strong> abgelehnt in<br />
der aktuellen Form wird der Entwurf von drei Kantonen (AI, SH, SG). Zwei politis<strong>ch</strong>en<br />
Parteien (CSP, PdAS) und 10 Organisationen ziehen den Entwurf DOK<br />
vor139. Zweck (Art. 1)<br />
Zwei Kantone (AG, GE) und se<strong>ch</strong>s Organisationen billigen ausdrückli<strong>ch</strong> den Zweck<br />
des Vorentwurfs und seine Formulierung. Vers<strong>ch</strong>iedene Vernehmlasser verlangen,<br />
dass der Zweck präziser ums<strong>ch</strong>rieben wird. Zehn Fa<strong>ch</strong>- und andere interessierte Organisationen<br />
wüns<strong>ch</strong>en eine breitere Begriffsums<strong>ch</strong>reibung. Wieder andere wüns<strong>ch</strong>en<br />
eine eigentli<strong>ch</strong>e Generalklausel (keine abs<strong>ch</strong>liessende Aufzählung).<br />
Definition der behinderten Person (Art. 2)<br />
Zwei Kantone (GE, SO) und fünf Organisationen billigen ausdrückli<strong>ch</strong> den Grundsatz<br />
einer Definition oder die vorges<strong>ch</strong>lagene Formulierung. Hingegen ist für andere<br />
befragte Kreise die Definition zu weit und könnte Auslegung und Anwendung der<br />
Bestimmung ers<strong>ch</strong>weren. Während einige der befragten Kreise (vor allem die CVP<br />
und den Behinderten nahestehende Organisationen) die Tatsa<strong>ch</strong>e kritisieren, dass die<br />
Definition auf einer Aufzählung der Arten von Behinderungen (physis<strong>ch</strong>e, psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e,<br />
geistige) gründet, bedauern andere Kreise (vor allem AG, GR, VD und vers<strong>ch</strong>iedene<br />
Organisationen), dass der Vorentwurf die wahrnehmungs- und spra<strong>ch</strong>bedingten<br />
Behinderungen überhaupt ni<strong>ch</strong>t erwähnt. Mehrere Kreise s<strong>ch</strong>lagen eine offene<br />
Klausel vor, oder eine Klausel, wel<strong>ch</strong>e die Teilnahme am gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />
Leben generell vorsieht.<br />
138 Vgl. den Beri<strong>ch</strong>t vom 11. Dezember 2000 über die Auswertung der Ergebnisse der<br />
Vernehmlassung zum Vorentwurf des Bundesgesetzes über die Beseitigung von<br />
Bena<strong>ch</strong>teiligungen der Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen. Dieser Beri<strong>ch</strong>t kann auf der<br />
Internetseite des Bundesamtes für Justiz konsultiert werden (http://www/bj.<strong>admin</strong>.<strong>ch</strong>).<br />
139 Der Verein Volksinitiative «Glei<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te für Behinderte» und die Konferenz der<br />
Da<strong>ch</strong>organisationen der privaten Invalidenhilfe haben anlässli<strong>ch</strong> des Vernehmlassungsverfahrens<br />
zum Vorentwurf einen eigenen Gesetzesentwurf über die Glei<strong>ch</strong>stellung der<br />
Behinderten ausgearbeitet (Entwurf DOK).<br />
1767
Geltungsberei<strong>ch</strong> (Art. 3)<br />
Fünf Behinderten nahe stehende Organisationen billigen ausdrückli<strong>ch</strong> den vorges<strong>ch</strong>lagenen<br />
Geltungsberei<strong>ch</strong>, während vers<strong>ch</strong>iedene Vernehmlasser (vor allem GE,<br />
VS, SP, PdAS) ihn als zu einengend era<strong>ch</strong>ten. Umgekehrt finden ihn vers<strong>ch</strong>iedene,<br />
insbesondere den Verkehrsbetrieben und der Wirts<strong>ch</strong>aft nahe stehende Kreise als zu<br />
weit und zu wenig präzise gefasst. Gewisse Kreise bedauern ausdrückli<strong>ch</strong>, dass die<br />
Berei<strong>ch</strong>e Bes<strong>ch</strong>äftigung und Lehre vom Geltungsberei<strong>ch</strong> ausges<strong>ch</strong>lossen sind.<br />
Zwei Kantone (BE, ZG) und eine Fa<strong>ch</strong>organisation billigen ausdrückli<strong>ch</strong> die Anwendung<br />
des Gesetzesentwurfs auf die Bauten und Anlagen. Zwei Kantone (BS,<br />
AI), die S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>e Bau-, Planungs- und Umwelts<strong>ch</strong>utzdirektoren-Konferenz,<br />
die FDP und ein Spitzenverband haben die Verfassungsmässigkeit einer Bundesnorm<br />
in diesem Berei<strong>ch</strong> bezweifelt, sei es mit Blick auf die verfassungsmässige<br />
Aufgabenteilung zwis<strong>ch</strong>en Bund und Kantonen, sei es auf Grund von Artikel 8 Absatz<br />
4 BV bezügli<strong>ch</strong> der Drittwirkung. Für zahlrei<strong>ch</strong>e Kreise ist der Begriff «umfassend<br />
renoviert» zu unklar und führt entweder zu einer Re<strong>ch</strong>tsunsi<strong>ch</strong>erheit oder zu<br />
praktis<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>wierigkeiten. Dieser Begriff muss in einem Gesetz im formellen<br />
Sinne klar definiert werden. Die CVP und die FDP s<strong>ch</strong>lagen vor, den Begriff «umfassend»<br />
in Abhängigkeit zu den Renovationskosten respektive zum Verkehrswert<br />
der Baute oder der Anlage zu definieren. Was die Fa<strong>ch</strong>- oder anderen interessierten<br />
Organisationen anbelangt, finden sie den Geltungsberei<strong>ch</strong> zu restriktiv und wüns<strong>ch</strong>en,<br />
dass er auf alle Bauten und Anlagen ausgedehnt wird, die für die Öffentli<strong>ch</strong>keit<br />
zugängli<strong>ch</strong> sind; gewisse Organisationen verlangen au<strong>ch</strong> die Einführung einer<br />
maximalen Anpassungsfrist. S<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>lägt der Kanton Tessin die Einführung<br />
von Anreizmassnahmen im Gesetzesentwurf vor.<br />
Die Anwendung des Gesetzesentwurfs auf Einri<strong>ch</strong>tungen des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs,<br />
die für die Öffentli<strong>ch</strong>keit zugängli<strong>ch</strong> sind, wird von fünf Organisationen ausdrückli<strong>ch</strong><br />
gebilligt. Umgekehrt finden die Kantone GL und SH diese Massnahmen als viel<br />
zu restriktiv; der Kanton GR und drei interessierte Organisationen verlangen die<br />
Einführung von besonderen Massnahmen für die Zahnradbahnen, Standseilbahnen,<br />
Kabinenbahnen und die Skilifte. Einige befragte Kreise bedauern au<strong>ch</strong> das Fehlen<br />
eines «dies a quo», wie dies die Bu<strong>ch</strong>staben a und c vorsehen.<br />
Mit Ausnahme des Kantons ZG, der die Anwendung des Gesetzesentwurfs auf<br />
Wohngebäude mit mehr als a<strong>ch</strong>t Wohneinheiten ausdrückli<strong>ch</strong> billigt, traf diese Begrenzung<br />
auf a<strong>ch</strong>t Wohneinheiten auf zahlrei<strong>ch</strong>e Kritik. Der Kanton BS findet sie<br />
ungere<strong>ch</strong>tfertigt; drei Kantone (BE, NW, SO) und zehn Organisationen era<strong>ch</strong>ten sie<br />
als zu ho<strong>ch</strong>. Demgegenüber finden sie der Kanton GR, drei Spitzenverbände und eine<br />
andere interessierte Organisation als zu tief. Die FDP s<strong>ch</strong>lägt vor, Wohnbauten<br />
vom Geltungsberei<strong>ch</strong> auszunehmen.<br />
Die Anwendung des Gesetzesentwurfs auf Leistungen, die für die Öffentli<strong>ch</strong>keit bestimmt<br />
sind, wird von der FDP, der SVP und einer interessierten Organisation abgelehnt.<br />
Vers<strong>ch</strong>iedene Kreise sind der Meinung, dass die Beziehung zwis<strong>ch</strong>en dieser<br />
Bestimmung und denjenigen von Bu<strong>ch</strong>staben a und b des glei<strong>ch</strong>en Artikels vertieft<br />
werden muss.<br />
Was die übrigen quantitativen Begrenzungen anbelangt, die gewisse Zwecke vom<br />
Geltungsberei<strong>ch</strong> des Gesetzes ausnehmen (weniger als 50 Plätze oder Flä<strong>ch</strong>e von<br />
100 m 2 ), s<strong>ch</strong>lagen die Kantone BE, BL, SZ und VD sowie drei Fa<strong>ch</strong>organisationen<br />
und eine andere interessierte Organisation ihre Aufhebung vor. Die Kritiken betreffen<br />
vor allem den unangemessenen und unausgegli<strong>ch</strong>enen Charakter der zahlenmä-<br />
1768
ssigen Vorgaben sowie die Tatsa<strong>ch</strong>e, dass diese Eins<strong>ch</strong>ränkungen im Verglei<strong>ch</strong> mit<br />
den kantonalen Baugesetzgebungen einen S<strong>ch</strong>ritt rückwärts bedeuten. Diese Kreise<br />
s<strong>ch</strong>lagen vor, dass diese zahlenmässigen Begrenzungen entweder erhöht werden<br />
oder dass<br />
eine Generalklausel eingeführt wird, wel<strong>ch</strong>e die Respektierung des Verhältnismässigkeitsprinzips<br />
zur Pfli<strong>ch</strong>t ma<strong>ch</strong>t. Was den Auss<strong>ch</strong>luss der Dienstleistungen des<br />
Fernmeldewesens vom Geltungsberei<strong>ch</strong> anbelangt, wurde er von keinem Kanton<br />
und keinem der befragten Kreise gebilligt.<br />
Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit<br />
Die Respektierung des Verhältnismässigkeitsprinzips muss im Entwurf als Leitlinie<br />
dienen. Die im Gesetzesentwurf vorges<strong>ch</strong>lagenen Massnahmen müssen finanziell<br />
zumutbar und te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong> realisierbar sein. Die grosse Mehrheit der Vernehmlasser<br />
anerkennt die Notwendigkeit, den Verhältnismässigkeitsgrundsatz zu respektieren.<br />
Se<strong>ch</strong>s Fa<strong>ch</strong>organisationen oder den befragten Kreisen nahestehende Organisationen<br />
sind jedo<strong>ch</strong> der Auffassung, dass das Interesse an der Verwirkli<strong>ch</strong>ung des Grundre<strong>ch</strong>ts<br />
der Glei<strong>ch</strong>stellung der behinderten Personen den kostenbedingten Überlegungen<br />
vorzugehen habe.<br />
Probleme der subjektiven Re<strong>ch</strong>te: Variante 1 (ohne Art. 5a) und Variante 2 (mit Art. 5a)<br />
Einundzwanzig Kantone, vier politis<strong>ch</strong>e Parteien (CSP, LPS, FDP, SVP), vier Spitzenverbände,<br />
neun andere interessierte Organisationen, die Konferenz der kantonalen<br />
Direktoren des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs und die S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>e Bau-, Planungsund<br />
Umwelts<strong>ch</strong>utzdirektoren-Konferenz, der Rat der Eidgenössis<strong>ch</strong>en Te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>en<br />
Ho<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ulen, die Post, fünf besonders betroffene Organisationen des öffentli<strong>ch</strong>en<br />
Verkehrs oder der Eigentümer lehnen die subjektiven Re<strong>ch</strong>te ab. Gewisse Vernehmlasser<br />
lehnen sie ni<strong>ch</strong>t grundsätzli<strong>ch</strong>, sondern wegen der damit verbundenen<br />
Probleme ab (z.B. BE und SO). Hingegen sind vier Kantone (BL, FR, TI, VS), zwei<br />
politis<strong>ch</strong>e Parteien (CVP, SP), eine Eidgenössis<strong>ch</strong>e Kommission, drei Spitzenverbände,<br />
16 Fa<strong>ch</strong>organisationen und zehn weitere Organisationen dafür. Gesamthaft<br />
gesehen wird die Gewährung von subjektiven Re<strong>ch</strong>ten an die Behinderten mit 48<br />
gegen 36 verworfen. Die Gegner argumentieren vor allem, dass die subjektiven<br />
Re<strong>ch</strong>te zu unflexibel seien, dass sie Vollzugsprobleme und eine Überlastung der Geri<strong>ch</strong>te<br />
mit si<strong>ch</strong> brä<strong>ch</strong>ten. Zwei Kantone (GR, SH) und eine andere interessierte Organisation<br />
befür<strong>ch</strong>ten stark, dass der Vorentwurf den Behinderten einen Sonderstatus<br />
einräume; einige Kantone (AR, NE) sind sogar der Meinung, es handle si<strong>ch</strong> um<br />
unverhältnismässige Re<strong>ch</strong>te, verbunden mit einer Unglei<strong>ch</strong>behandlung. Was die finanziellen<br />
Konsequenzen der Gewährung dieser Re<strong>ch</strong>te betrifft, befür<strong>ch</strong>ten vier<br />
Kantone (AG, AR, SZ, TG), die SVP, ein Spitzenverband und eine andere interessierte<br />
Organisation, dass sie erhebli<strong>ch</strong> seien. Die Kantone AG und NE erwägen eine<br />
Überprüfung dieser Re<strong>ch</strong>te, wenn die wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Folgen bekannt sind. Das<br />
Hauptargument der Befürworter von subjektiven Re<strong>ch</strong>ten ist dasjenige der Unbrau<strong>ch</strong>barkeit<br />
des Gesetzesentwurfs, wenn er zwar die Bena<strong>ch</strong>teiligungen aufführt,<br />
glei<strong>ch</strong>zeitig aber keine Mögli<strong>ch</strong>keit gibt, sie zu bekämpfen. Die Kantone BE und SO<br />
sowie drei andere interessierte Organisationen ziehen eine Verstärkung des Bes<strong>ch</strong>werdere<strong>ch</strong>ts<br />
der Organisationen vor. Drei Fa<strong>ch</strong>organisationen und die FDP haben<br />
die S<strong>ch</strong>affung eines S<strong>ch</strong>iedsgeri<strong>ch</strong>ts oder einer Ombudsstelle vorges<strong>ch</strong>lagen.<br />
Auf der Ebene des Verfahrensre<strong>ch</strong>ts s<strong>ch</strong>lägt die CVP eine Umkehrung der Beweislast<br />
vor, wie dies Artikel 6 des Glei<strong>ch</strong>stellungsgesetzes vorsieht.<br />
1769
Massnahmen im Berei<strong>ch</strong> des Bundespersonals (Art. 6)<br />
Sieben Kantone (GE, NW, SO, SZ, VD, VS, ZG), drei politis<strong>ch</strong>e Parteien (CVP,<br />
SP, SVP), zwei Eidgenössis<strong>ch</strong>e Kommission, zwei Spitzenverbände, sieben Fa<strong>ch</strong>organisationen<br />
und vier andere interessierte Organisationen billigen ausdrückli<strong>ch</strong> die<br />
Massnahmen bezügli<strong>ch</strong> des Bundespersonals. Für die Mehrheit der konsultierten<br />
Kreise, die zu diesem Punkt Stellung bezogen haben, muss die Bestimmung umformuliert<br />
werden: Für die Kantone GR und VS, eine eidgenössis<strong>ch</strong>e Kommission, ein<br />
Spitzenverband, a<strong>ch</strong>t Fa<strong>ch</strong>- und eine weitere Organisationen ist Artikel 6 zu restriktiv<br />
und muss auf den ganzen öffentli<strong>ch</strong>en und privaten Sektor ausgedehnt werden.<br />
Hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> des Privatsektors müssen Anreizmassnahmen vorgesehen werden. Zwei<br />
politis<strong>ch</strong>e Parteien (LPS, FDP), drei Spitzenverbände und eine interessierte Organisation<br />
lehnen das System von Art. 6 hingegen ab. S<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> wird das Kriterium<br />
der «glei<strong>ch</strong>wertigen Qualifikationen» kritisiert; die SP, sieben Fa<strong>ch</strong>organisationen<br />
und vier andere interessierte Organisationen ziehen das Kriterium der «genügenden<br />
Qualifikationen» vor.<br />
Probleme der subjektiven Re<strong>ch</strong>te in Verbindung mit den Bestimmungen über<br />
die Massnahmen im Berei<strong>ch</strong> des Bundespersonals – Variante 1 (ohne Art. 6a)<br />
und Variante 2 (mit Art. 6a)<br />
A<strong>ch</strong>t Kantone (GL, GR, JU, OW, SO, TG, UR, ZH), drei politis<strong>ch</strong>e Parteien (LPS,<br />
FDP, SVP), eine eidgenössis<strong>ch</strong>e Kommission, drei Spitzenverbände, die Post und<br />
drei weitere Organisationen lehnen die vorges<strong>ch</strong>lagene Regelung des Re<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>utzes<br />
ab, der die Anstellung von Behinderten dur<strong>ch</strong> den Bund gewährleistet. Hingegen<br />
akzeptieren vier Kantone (GE, LU, NW, VD), drei politis<strong>ch</strong>e Parteien (CSP, CVP,<br />
SP), eine eidgenössis<strong>ch</strong>e Kommission, drei Spitzenverbände, 15 Fa<strong>ch</strong>- und a<strong>ch</strong>t andere<br />
interessierte Organisationen den vorges<strong>ch</strong>lagenen Re<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>utz; das Verhältnis<br />
beträgt insgeseamt 34 Befürworter zu 19 Gegnern. Die Gegner sind der Meinung,<br />
dass der Re<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>utz zu unflexibel ist, dass sie eine Überlastung der Geri<strong>ch</strong>te und<br />
Unglei<strong>ch</strong>behandlungen mit si<strong>ch</strong> bringen. Das Hauptargument der Befürworter entspri<strong>ch</strong>t<br />
demjenigen, wie es bei der Einführung von subjektiven Re<strong>ch</strong>ten im allgemeinen<br />
vorgebra<strong>ch</strong>t wurde (vgl. Ziffer 6, zu Art. 5a).<br />
Das Bes<strong>ch</strong>werdere<strong>ch</strong>t der Behindertenorganisationen (Art. 8)<br />
Se<strong>ch</strong>s Kantone (BE, GE, LU, NW, SO, TG), die SP, die Konferenz der kantonalen<br />
Direktoren des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs und die S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>e Bau-, Planungs- und<br />
Umwelts<strong>ch</strong>utzdirektoren-Konferenz, eine eidgenössis<strong>ch</strong>e Kommission, vier Spitzenverbände,<br />
zehn Fa<strong>ch</strong>- und drei andere Organisationen billigen ausdrückli<strong>ch</strong> die Anerkennung<br />
eines Bes<strong>ch</strong>werdere<strong>ch</strong>ts der Behindertenorganisationen. Die Konferenz<br />
der kantonalen Direktoren des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs und die S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>e Bau-,<br />
Planungs- und Umwelts<strong>ch</strong>utzdirektoren-Konferenz ma<strong>ch</strong>en den Vorteil dieses Instruments<br />
gegenüber subjektiven Re<strong>ch</strong>ten geltend. Ein Kanton (AG, mit Blick auf<br />
den Geltungsberei<strong>ch</strong> des Vorentwurfs und der verlangten Voraussetzungen), die<br />
FDP, die SVP, drei Spitzenverbände, sowie vier weitere Organisationen widersetzen<br />
si<strong>ch</strong> diesem Bes<strong>ch</strong>werdere<strong>ch</strong>t. Die Gegner sind der Auffassung, dass die Verwirkli<strong>ch</strong>ung<br />
von zahlrei<strong>ch</strong>en Projekten verzögert würde, die finanziellen Auswirkungen<br />
no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t bekannt seien und dass dieses Re<strong>ch</strong>t eine Überlastung der Geri<strong>ch</strong>te mit<br />
si<strong>ch</strong> bringen werde. Die FDP und eine Organisation aus Verkehrskreisen s<strong>ch</strong>lagen<br />
vor, dass dieses Bes<strong>ch</strong>werdere<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> ein Anhörungsre<strong>ch</strong>t ersetzt werde; die<br />
Kantone BE und SO hingegen fordern die Verstärkung des Bes<strong>ch</strong>werdere<strong>ch</strong>ts der<br />
Organisationen, damit es als Alternative zu den subjektiven Re<strong>ch</strong>ten gemäss Artikel<br />
1770
5a dienen könne. Auf Verfahrensebene s<strong>ch</strong>lagen zwei Fa<strong>ch</strong>- und drei andere Organisationen<br />
eine Umkehr der Beweislast zu Gunsten der behinderten Person vor. Die<br />
Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit der Bena<strong>ch</strong>teiligung soll genügen. Fünf Fa<strong>ch</strong>- und vier andere<br />
interessierte Organisationen missbilligen die dem Bundesrat übertragene Kompetenz,<br />
die bes<strong>ch</strong>werdelegitimierten Organisationen zu bezei<strong>ch</strong>nen, ebenso wie die<br />
Bedingung fünfjähriger Tätigkeit; diese Frist muss verkürzt werden. Zahlrei<strong>ch</strong>e<br />
Kreise fordern eine Überprüfung der Bestimmung, um sie praktikabler zu ma<strong>ch</strong>en<br />
oder ihren Geltungsberei<strong>ch</strong> auszudehnen. Mehrere befragte Kreise s<strong>ch</strong>lagen vor,<br />
dass dieses Bes<strong>ch</strong>werdere<strong>ch</strong>t in das kantonale Verfahrensre<strong>ch</strong>t eingebaut werde.<br />
Finanzhilfen für die Förderung von Programmen (Art. 9 Abs. 3)<br />
Vers<strong>ch</strong>iedene Vernehmlasser haben das Fehlen einer Koordination oder einer klaren<br />
Abgrenzung dieser Bestimmung mit den Artikel 73 und 74 IVG kritisiert oder darauf<br />
hingewiesen, dass eine Abstimmung der vers<strong>ch</strong>iedenen Massnahmen notwendig<br />
sei (so AR, BL, BS, FR, LU, NE, OW, TG, VD, VS; CVP, FDP und UVS).<br />
Besondere Bestimmungen für die Kantone (Art. 11)<br />
Diese Bestimmung gab Anlass zu zahlrei<strong>ch</strong>er Kritik: Mehrere Kantone (AG, BE,<br />
BL, BS, GL, NE OW, SZ, ZG) haben die Intervention des Gesetzesentwurfs in ihren<br />
Zuständigkeitsberei<strong>ch</strong> vehement kritisiert; andere Kreise hingegen sind der Meinung,<br />
dass der Bund zu vorsi<strong>ch</strong>tig sei und si<strong>ch</strong> zu stark begrenze.<br />
Für eine politis<strong>ch</strong>e Partei (CVP) und zahlrei<strong>ch</strong>e Fa<strong>ch</strong>organisationen oder interessierte,<br />
den Behinderten nahe stehende Organisationen muss der Entwurf den Grundsatz<br />
der integrierten S<strong>ch</strong>ulung einführen oder den freien Zugang zum Unterri<strong>ch</strong>t in<br />
den Regelklassen gewährleisten; für gewisse Kreise (insbesondere GR) ist dies bereits<br />
ab dem Kindergarten vorzusehen. Drei Fa<strong>ch</strong>- und drei andere interessierte Organisationen<br />
verlangen, dass der Entwurf die Kantone verpfli<strong>ch</strong>tet, aus personeller<br />
und organisatoris<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t die Bedingungen zu s<strong>ch</strong>affen, wel<strong>ch</strong>e einen Unterri<strong>ch</strong>t<br />
in den Regelklassen erlauben. Na<strong>ch</strong> dem Kanton TI, vier Fa<strong>ch</strong>- und zwei anderen<br />
interessierten Organisationen soll der Entwurf nur die Leitlinie der integrierten<br />
S<strong>ch</strong>ulung definieren und deren Vollzug den Kantonen überlassen. Au<strong>ch</strong> müssen<br />
Modalitäten für Koordination und Abgrenzungen mit Artikel 19 IVG gefunden werden<br />
(AR, BS, FR, NW, TG, UR; CVP; Konferenz der IV-Stellen). Die Tatsa<strong>ch</strong>e,<br />
dass nur zwei Arten von Behinderungen (Taubheit und Blindheit) oder eine einzige<br />
Kommunikationsmethode für die Gehörbehinderten (Gebärdenspra<strong>ch</strong>e) ins Auge<br />
gefasst werden, wird von zahlrei<strong>ch</strong>en befragten Kreisen kritisiert.<br />
Änderung geltenden Re<strong>ch</strong>ts (Art. 12)<br />
Die eingegangenen Antworten betreffen in erster Linie die vorges<strong>ch</strong>lagenen Änderungen<br />
im Berei<strong>ch</strong> der direkten Bundessteuern und der Harmonisierung der direkten<br />
Steuern (Verzi<strong>ch</strong>t auf Fran<strong>ch</strong>ise beim Abzug der Invaliditätskosten oder Einführung<br />
eines neuen Sozialabzugs für Betreuungsarbeit). Für die Kantone GR, AG, LU, NW,<br />
UR, SZ, ZG und ZH sowie für die CVP, FRSP und CP sind diese Änderungen ni<strong>ch</strong>t<br />
erwüns<strong>ch</strong>t, weil sie das Steuersystem für die Privaten und die Steuerverwaltungen<br />
no<strong>ch</strong> komplizierter ma<strong>ch</strong>en, weil sie neue Unglei<strong>ch</strong>heiten mit si<strong>ch</strong> bringen oder weil<br />
sie dem System der direkten Bundessteuer widerspre<strong>ch</strong>en, das si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> der wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />
Leistungsfähigkeit der Steuerpfli<strong>ch</strong>tigen und den effektiven Kosten,<br />
ni<strong>ch</strong>t dem entgangenen Verdienst ri<strong>ch</strong>tet. Na<strong>ch</strong> AG, GE und NE ist die Aufhebung<br />
der Fran<strong>ch</strong>ise zu wenig zielgenau, indem au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t behinderte Mens<strong>ch</strong>en davon<br />
1771
profitieren. Die Kantone NW und VD fordern ein System mit degressivem Abzug,<br />
während die Kantone BS und LU dies ausdrückli<strong>ch</strong> ablehnen.<br />
Anpassungsfristen für den öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr<br />
Die vorges<strong>ch</strong>lagenen Anpassungsfristen werden von se<strong>ch</strong>s insbesondere behinderten<br />
Kreisen nahe stehenden Organisationen ausdrückli<strong>ch</strong> gebilligt. Hingegen sind die<br />
Fristen für zahlrei<strong>ch</strong>e Kantone (AR, BE, BL, BS, FR, GE, GR, SH, SZ, UR, VD,<br />
ZH), die FDP, den S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Städteverband und eine andere interessierte Organisation<br />
zu kurz, und die Anpassungen wären nur unter Inkaufnahme unverhältnismässiger<br />
Kosten mögli<strong>ch</strong>. Die Änderungsvors<strong>ch</strong>läge bes<strong>ch</strong>lagen in erster Linie<br />
die Verlängerung und die Flexibilität der Fristen (vor allem BL, BE, GR, OW, UR,<br />
VD, ZG, ZH), den Verzi<strong>ch</strong>t auf eine Anpassungspfli<strong>ch</strong>t für Bauten, Anlagen und<br />
Fahrzeuge im öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr und die Einführung einer Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en<br />
den vers<strong>ch</strong>iedenen Fahrzeugtypen (vor allem FR). S<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>lagen der<br />
Kanton SH, die Konferenz der kantonalen Direktoren des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs, die<br />
SVP und zwei interessierte Organisationen vor, dass der Entwurf überhaupt keine<br />
Anpassungsfrist vors<strong>ch</strong>lägt.<br />
4.1.3 Überarbeitungen des Vorentwurfs<br />
Vergli<strong>ch</strong>en mit dem Vorentwurf bringt der Gesetzesentwurf zwei Neuerungen: Die<br />
Re<strong>ch</strong>tsansprü<strong>ch</strong>e (Art. 7, vorgesehen erst bei Variante 2 des Vorentwurfs) und die<br />
Finanzhilfen des Bundes an die dur<strong>ch</strong> den Gesetzesentwurf verursa<strong>ch</strong>ten zusätzli<strong>ch</strong>en<br />
Kosten (Art. 17).<br />
Im Übrigen wurde der Vorentwurf namentli<strong>ch</strong> in den folgenden Punkten überarbeitet:<br />
– Er wurde mit einem neuen, kurzen Titel versehen, der auf den Gesetzeszweck<br />
hinweist (Glei<strong>ch</strong>stellung zwis<strong>ch</strong>en Behinderten und Ni<strong>ch</strong>tbehinderten).<br />
– Die Definition des Gesetzeszwecks (Art. 1) wurde stärker an die Perspektive<br />
von Artikel 8 Absatz 4 BV angegli<strong>ch</strong>en (Glei<strong>ch</strong>stellung an Stelle von Integration).<br />
– Der Artikel über die Begriffsbestimmungen (Art. 2) umfasst nun au<strong>ch</strong> die<br />
Ums<strong>ch</strong>reibungen der Bena<strong>ch</strong>teiligung im Allgemeinen (alter Art. 4 Abs. 2),<br />
und im Besonderen (alter Art. 5 Abs. 1 und 2); er definiert ebenfalls den Begriff<br />
des Erneuerns (bislang ni<strong>ch</strong>t definiert).<br />
– Der Artikel über den Geltungsberei<strong>ch</strong> (Art. 3) wurde einerseits in dreierlei<br />
Hinsi<strong>ch</strong>t ausgeweitet: 1. Er zählt aus Gründen der Systemlogik alle vom<br />
Entwurf anvisierten und seinen allgemeinen Prinzipien unterstellten Berei<strong>ch</strong>e<br />
auf (somit au<strong>ch</strong> die Zivilluftfahrt, die Arbeitsverhältnisse des Bundespersonals);<br />
2. Er umfasst Gebäude mit mehr als 50 Arbeitsplätzen; 3. Er hebt<br />
die quantitativen Restriktionen bezügli<strong>ch</strong> Grösse und Anzahl Plätze auf, da<br />
für die Mehrheit der befragten Stellen sie ni<strong>ch</strong>t als gere<strong>ch</strong>tfertigt oder geeignet<br />
fanden; anderseits wurde der Geltungsberei<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> begrenzt, und zwar<br />
insofern, als das Gesetz Skilifte sowie Sesselbahnen und Gondelbahnen mit<br />
weniger als 9 Plätzen ni<strong>ch</strong>t mehr einbezieht.<br />
– Ein neuer Artikel behält weitergehende kantonale Bestimmungen vor (Art. 3a).<br />
1772
– Die Bestimmungen, die das Verhältnismässigkeitsprinzip konkretisieren<br />
(Art. 5a Abs. 3 und 4), werden nun in einer eigenständigen Bestimmung<br />
aufgeführt (Art. 8).<br />
– Die Bestimmung betreffend die Massnahmen im Berei<strong>ch</strong> des Bundespersonals<br />
(Art. 9) wurde geändert.<br />
– Die Bestimmung, wel<strong>ch</strong>e in diesem glei<strong>ch</strong>en Berei<strong>ch</strong> Re<strong>ch</strong>tsansprü<strong>ch</strong>e vorsieht<br />
(Art. 6a), wurde gestri<strong>ch</strong>en.<br />
– Der Artikel über das Bes<strong>ch</strong>werdere<strong>ch</strong>t von Behindertenorganisationen (Art. 11)<br />
wurde insofern geändert, als das Bes<strong>ch</strong>werdere<strong>ch</strong>t an die Verfügung über die<br />
Plangenehmigung geknüpft wurde (dort, wo ein sol<strong>ch</strong>es Verfahren besteht).<br />
– Der Artikel, der Finanzhilfen für die Förderung der Glei<strong>ch</strong>stellung der Behinderten<br />
vorsieht (Art. 12 Abs. 3) wurde im Sinne der dur<strong>ch</strong> den NFA entwickelten<br />
Grundsätze präzisiert.<br />
– Der Artikel über den Grunds<strong>ch</strong>ulunterri<strong>ch</strong>t (Art. 14) wurde in dem Sinne revidiert,<br />
als ni<strong>ch</strong>t nur die s<strong>ch</strong>werhörigen und sehs<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en Personen, sondern<br />
au<strong>ch</strong> die anderen behinderten Kinder und Jugendli<strong>ch</strong>en miteinbezogen<br />
werden.<br />
– Der Artikel über die Anpassungsfristen für den öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr<br />
(Art. 16) wurde revidiert und die Fristen verlängert (20 und 10 Jahre).<br />
– Auf die Änderung der Artikel 35 Absatz 1 Bu<strong>ch</strong>stabe b und 213 Absatz 1<br />
Bu<strong>ch</strong>stabe b des Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer (Einführung<br />
eines neuen Sozialabzugs) wurde aus steuerre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Überlegungen verzi<strong>ch</strong>tet.<br />
– Die Änderung von Artikel 3 Absatz 4 des Radio- und Fernsehgesetzes (Verpfli<strong>ch</strong>tung,<br />
einen repräsentativen Teil der Sendezeit behindertengere<strong>ch</strong>t auszustrahlen)<br />
sowie von Artikel 13 Absatz 2bis des Bundesgesetzes über die<br />
Arbeitslosenversi<strong>ch</strong>erung (Berücksi<strong>ch</strong>tigung der Betreuungsaufgaben für die<br />
Bere<strong>ch</strong>nung der Dauer der Beitragsperiode) wurden mit Blick auf die umfassenden<br />
Revisionen dieser Gesetze fallen gelassen.<br />
Im Übrigen verweisen wir auf die Kommentare zu den einzelnen Bestimmungen.<br />
4.2 Ansatz des Gesetzesentwurfs<br />
Wie bereits in der Einführung erwähnt, kann das Problem der Behinderung und der<br />
Integration behinderter Personen auf unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Weise angegangen werden 140.<br />
Man kann auf die persönli<strong>ch</strong>e Situation Behinderter einwirken in der Absi<strong>ch</strong>t, ihnen<br />
verglei<strong>ch</strong>bare oder glei<strong>ch</strong>wertige Lebensbedingungen zu vers<strong>ch</strong>affen wie ni<strong>ch</strong>t behinderten<br />
Personen und ihre Situation jener ni<strong>ch</strong>t behinderter Mitglieder der Gesells<strong>ch</strong>aft<br />
anzunähern. Gemäss diesem Ansatz zielt eine staatli<strong>ch</strong>e Massnahme direkt auf<br />
die behinderte Person ab und der Gesetzgeber versu<strong>ch</strong>t, deren persönli<strong>ch</strong>e Situation<br />
zu verbessern oder zu verändern, beispielsweise dur<strong>ch</strong> Auszahlung von Renten zur<br />
Abdeckung des behinderungsbedingten Ausfalls von Erwerbseinkommen, dur<strong>ch</strong><br />
Sonders<strong>ch</strong>ulen, dur<strong>ch</strong> Förderung der berufli<strong>ch</strong>en Wiedereingliederung usw. Diesen<br />
Ansatz hat der Gesetzgeber mit der Sozialversi<strong>ch</strong>erung, insbesondere der Invaliden-<br />
140 Vgl. Ziff. 2.1<br />
1773
versi<strong>ch</strong>erung und der berufli<strong>ch</strong>en Vorsorge, gewählt. Sie dient namentli<strong>ch</strong> der Gewährleistung<br />
eines würdigen Lebens und entspri<strong>ch</strong>t dem Empfinden sozialer Gere<strong>ch</strong>tigkeit.<br />
Diese soziale Säule ist als Massnahme zur «Beseitigung von Bena<strong>ch</strong>teiligungen<br />
der behinderten Personen» zu betra<strong>ch</strong>ten und sie erfüllt bereits einen wi<strong>ch</strong>tigen<br />
Teil des Auftrags von Artikel 8 Absatz 4 BV.<br />
Diesem ersten Ansatz muss ein zweiter beigestellt werden, der den umgebenden<br />
Rahmen betrifft, um die Umstände und Hindernisse des Umfeldes, die Behinderte<br />
belasten, zu bekämpfen. Gemäss diesem zweiten Ansatz zielen die staatli<strong>ch</strong>en Massnahmen<br />
auf die Gesells<strong>ch</strong>aft insgesamt und die von ihr ges<strong>ch</strong>affenen Rahmenbedingungen.<br />
Die Massnahmen zielen darauf, die Rahmenbedingungen zu beeinflussen<br />
und die Bedürfnisse aller Mitglieder der Gesells<strong>ch</strong>aft zu berücksi<strong>ch</strong>tigen und zu verhindern,<br />
dass jene Personen, die ni<strong>ch</strong>t in jeder Hinsi<strong>ch</strong>t den allgemeinen Normen<br />
entspre<strong>ch</strong>en, marginalisiert und ausges<strong>ch</strong>lossen werden. Mit andern Worten zielt der<br />
«umgebungsbezogene» Ansatz auf den allgemeinen Rahmen des gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />
Lebens. Von den Massnahmen, die gestützt auf diesen Ansatz ergriffen werden,<br />
profitieren im Übrigen ni<strong>ch</strong>t nur dauerhaft behinderte Personen, sondern au<strong>ch</strong> alle<br />
jene, die alters-, unfall- oder krankheitsbedingt vorübergehend einen Teil ihrer Fähigkeiten<br />
verlieren.<br />
Der vorliegende Gesetzesentwurf gründet auf diesem zweiten Ansatz. Er strebt namhafte<br />
Verbesserungen an, namentli<strong>ch</strong> betreffend des Zugangs zu Bauten, die für die<br />
Öffentli<strong>ch</strong>keit bestimmt sind, des Transportwesens und der Dienstleistungen. Gestützt<br />
auf die Überprüfung der Wirksamkeit des Gesetzes ist eine Weiterentwicklung<br />
dieser Politik denkbar.<br />
S<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> ist festzustellen, dass der Entwurf eine gemis<strong>ch</strong>te Lösung darstellt, der<br />
einerseits den Erlass eines Spezialgesetzes vorsieht, das wi<strong>ch</strong>tige Begriffe ums<strong>ch</strong>reibt<br />
und einige Massnahmen im Berei<strong>ch</strong> der Bundeskompetenzen vorsieht, anderseits<br />
ändert er aber au<strong>ch</strong> geltende Gesetze.<br />
4.3 Erläuterungen zum Entwurf<br />
4.3.1 Allgemeine Präsentation<br />
Der Gesetzesentwurf ist in fünf Abs<strong>ch</strong>nitte unterteilt.<br />
Der 1. Abs<strong>ch</strong>nitt enthält allgemeine Bestimmungen, die insbesondere der Auslegung<br />
des Gesetzes dienen und den Geltungsberei<strong>ch</strong> ums<strong>ch</strong>reiben.<br />
Der 2. Abs<strong>ch</strong>nitt enthält die zentralen Bestimmungen des Entwurfs: Artikel 5 konkretisiert<br />
die Aufgaben von Bund und Kantonen und präzisiert, bezügli<strong>ch</strong> der allgemeinen<br />
Definition der Bena<strong>ch</strong>teiligung, dass die Förderungsmassnahmen selbst keine<br />
Diskriminierungen darstellen; Artikel 6 weitet das Prinzip des Diskriminierungsverbots<br />
(besonders s<strong>ch</strong>were Unglei<strong>ch</strong>behandlung) auf die Privaten aus, die ihre<br />
Dienstleistungen öffentli<strong>ch</strong> anbieten; s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> Artikel 7, der den Angelpunkt des<br />
Gesetzesentwurfs bildet; er sieht Re<strong>ch</strong>tsansprü<strong>ch</strong>e zur Dur<strong>ch</strong>setzung der gesetzli<strong>ch</strong>en<br />
Glei<strong>ch</strong>stellungsverpfli<strong>ch</strong>tungen vor, während Artikel 8 das Verhältnismässigkeitsprinzip<br />
konkretisiert und damit die Wirkung von Artikel 7 begrenzt. Diese Instrumente<br />
sollen die mit dem Vollzug des Re<strong>ch</strong>ts zusammenhängenden, oft als unüberwindbar<br />
gehaltenen S<strong>ch</strong>wierigkeiten zu meistern erlauben und ein vernünftiges<br />
Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t zwis<strong>ch</strong>en den vers<strong>ch</strong>iedenen Interessen gewährleisten.<br />
1774
Der 3. Abs<strong>ch</strong>nitt enthält die Bestimmungen, die nur den Bund betreffen, sei es, dass<br />
er eine Vorreiterrolle bei der eigenen Bes<strong>ch</strong>äftigungspolitik spielt, wel<strong>ch</strong>e die Anstellung<br />
von Behinderten fördert, sei es, dass die Bestimmungen Massnahmen der<br />
Glei<strong>ch</strong>stellung in seinen Kompetenzberei<strong>ch</strong>en enthalten (te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>e Normen für<br />
Bauten des Bundes oder für vom Bund subventionierte Bauten, Personentransport<br />
dur<strong>ch</strong> Konzessionäre). Dieser Abs<strong>ch</strong>nitt umfasst au<strong>ch</strong> einige Anreizsysteme, insbesondere<br />
finanzieller Art, die dazu beitragen sollen, die Bevölkerung für die Integration<br />
der Behinderten zu sensibilisieren.<br />
Der 4. Abs<strong>ch</strong>nitt enthält einen Artikel, der die Kantone verpfli<strong>ch</strong>tet, behinderten<br />
Kindern und Jugendli<strong>ch</strong>en eine ihren Bedürfnissen angepasste Grunds<strong>ch</strong>ulung zukommen<br />
zu lassen, die es ihnen au<strong>ch</strong> erlaubt, Kommunikationste<strong>ch</strong>niken zu erlernen,<br />
die ihrer Behinderung angemessen sind.<br />
Der 5. Abs<strong>ch</strong>nitt enthält die S<strong>ch</strong>lussbestimmungen: Artikel 16 sieht Anpassungsfristen<br />
im Berei<strong>ch</strong> des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs vor, die eine s<strong>ch</strong>rittweise Anwendung<br />
der neuen Grundsätze im Glei<strong>ch</strong>stellungsberei<strong>ch</strong> ermögli<strong>ch</strong>en; Artikel 17 ermä<strong>ch</strong>tigt<br />
den Bund, an öffentli<strong>ch</strong>e Transportunternehmen Finanzhilfen auszuri<strong>ch</strong>ten, um die<br />
Finanzierung der erhebli<strong>ch</strong>en Zusatzkosten als Folge des Gesetzesentwurfs zu erlei<strong>ch</strong>tern.<br />
Der Gesetzesentwurf sieht s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> die Anpassung vers<strong>ch</strong>iedener Bundesgesetze<br />
vor: Vorges<strong>ch</strong>lagen wird insbesondere eine Besserstellung der Behinderten im<br />
Steuerre<strong>ch</strong>t, da sie ihre vielfältigen behinderungsbedingten Unkosten nie ganz ersetzt<br />
erhalten und weil die direkten und indirekten Steuern sie aus psy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>er<br />
Si<strong>ch</strong>t stärker belasten können als ni<strong>ch</strong>t behinderte Steuerpfli<strong>ch</strong>tige; die anderen Gesetzesanpassungen<br />
beseitigen Bena<strong>ch</strong>teiligungen behinderter Personen in den Berei<strong>ch</strong>en<br />
Strassenverkehr und Fernmeldewesen.<br />
4.3.2 Die einzelnen Bestimmungen<br />
Titel<br />
Der Titel des Gesetzesentwurfs übernimmt wörtli<strong>ch</strong> Ausdrücke von Artikel 8 Absatz<br />
4 BV und gibt damit die Zielri<strong>ch</strong>tung der Normen an. Im Kurztitel wird das<br />
Anliegen der Glei<strong>ch</strong>stellung aufgegriffen, au<strong>ch</strong> wenn in dieser verkürzten Darstellung<br />
ni<strong>ch</strong>t gesagt werden kann, mit wem die Behinderten glei<strong>ch</strong>zustellen sind.<br />
Ingress<br />
Der Ingress verweist auf vier Verfassungsbestimmungen, auf die si<strong>ch</strong> der Gesetzesentwurf<br />
hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> stützt. In Ziffer 8 sind nähere Ausführungen zur Verfassungsmässigkeit<br />
der Vorlage enthalten.<br />
1. Abs<strong>ch</strong>nitt: Allgemeine Bestimmungen<br />
Art. 1 Zweck<br />
Die Verfassung beauftragt den Bund in Artikel 8 Absatz 4, Bena<strong>ch</strong>teiligungen dur<strong>ch</strong><br />
gesetzli<strong>ch</strong>e Massnahmen zu verringern oder zu beseitigen. Das vorliegende Gesetz<br />
dient der Erfüllung dieses Auftrags (Abs. 1). Werden die Anliegen Behinderter frühzeitig<br />
in die Planung einbezogen, können Bena<strong>ch</strong>teiligungen meist verhindert wer-<br />
1775
den, ohne dass ein (grosser) Zusatzaufwand entsteht. Der Sensibilisierung kommt<br />
für die Anliegen der Behinderten deshalb besonders grosse Bedeutung zu. Beispielhaft<br />
werden die wi<strong>ch</strong>tigsten Berei<strong>ch</strong>e genannt, die für die Teilnahme Behinderter am<br />
gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Leben und die Integration in die Gesells<strong>ch</strong>aft einen zentralen<br />
Stellenwert einnehmen: die sozialen Kontakte, die Bildung sowie die berufli<strong>ch</strong>e Tätigkeit,<br />
die eine mögli<strong>ch</strong>st ungehinderte Kommunikation und Mobilität voraussetzen<br />
(Abs. 2).<br />
Behinderte betra<strong>ch</strong>ten in der Regel behinderungsbedingte Eins<strong>ch</strong>ränkungen ihrer<br />
selbstbestimmten Lebensgestaltung als Bena<strong>ch</strong>teiligung. Als politis<strong>ch</strong>es Ziel soll<br />
deshalb wenn immer mögli<strong>ch</strong> und wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> verantwortbar die Beseitigung sol<strong>ch</strong>er<br />
Bena<strong>ch</strong>teiligungen angestrebt werden. Normalerweise dürften gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e<br />
Rahmenbedingungen, wel<strong>ch</strong>e die Unabhängigkeit Behinderter von der Hilfe dur<strong>ch</strong><br />
Drittpersonen erlauben und damit vom Gefühl befreien, von anderen Personen abhängig<br />
zu sein, oberstes Ziel bleiben. In vers<strong>ch</strong>iedenen Berei<strong>ch</strong>en werden Behinderte<br />
allerdings weiterhin auf die heute vielerorts gut funktionierende und wertvolle<br />
persönli<strong>ch</strong>e Hilfeleistung angewiesen sein. Sol<strong>ch</strong>e private Hilfen sollen dur<strong>ch</strong> das<br />
Gesetz ni<strong>ch</strong>t konkurrenziert werden.<br />
Art. 2 Begriffe<br />
Artikel 2 definiert die wi<strong>ch</strong>tigsten Begriffe für den Anwendungsberei<strong>ch</strong> dieses Gesetzesentwurfs.<br />
Er ums<strong>ch</strong>reibt in Absatz 1 den Begriff «Mens<strong>ch</strong> mit Behinderung».<br />
Die Invalidenversi<strong>ch</strong>erung definiert ni<strong>ch</strong>t die Behinderung allgemein, sondern verwendet<br />
den Begriff «Invalidität». Das Bundesgesetz über die Invalidenversi<strong>ch</strong>erung<br />
versteht darunter:<br />
«die dur<strong>ch</strong> einen körperli<strong>ch</strong>en oder geistigen Gesundheitss<strong>ch</strong>aden als Folge<br />
von Geburtsgebre<strong>ch</strong>en, Krankheit oder Unfall verursa<strong>ch</strong>te, voraussi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong><br />
bleibende oder längere Zeit dauernde Erwerbsunfähigkeit». 141<br />
Diese Ums<strong>ch</strong>reibung ist hier aus zwei Gründen ni<strong>ch</strong>t zweckmässig: Zum einen wird<br />
an die Erwerbsfähigkeit angeknüpft. Dieser Ansatz ist zu eng; die gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e<br />
Stellung der Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen darf ni<strong>ch</strong>t bloss über die Erwerbsfähigkeit<br />
definiert werden. Zudem interessiert hier die Ursa<strong>ch</strong>e der Behinderung ni<strong>ch</strong>t.<br />
Im deuts<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>werbehindertengesetz wird die Behinderung wie folgt ums<strong>ch</strong>rieben<br />
(§ 3):<br />
«Behinderung im Sinne dieses Gesetzes ist die Auswirkung einer ni<strong>ch</strong>t nur<br />
vorübergehenden Funktionsbeeinträ<strong>ch</strong>tigung, die auf einem regelwidrigen<br />
körperli<strong>ch</strong>en, geistigen oder seelis<strong>ch</strong>en Zustand beruht. Regelwidrig ist der<br />
Zustand, der von dem für das Lebensalter typis<strong>ch</strong>en abwei<strong>ch</strong>t. ....».<br />
141 BG vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversi<strong>ch</strong>erung, SR 831.20, Art. 4 Abs. 1. Zuvor<br />
ist die Änderung vom 26. Juni 1998, die eine Ausdehnung auf psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Erkrankungen<br />
vorsah, in der Volksabstimmung ges<strong>ch</strong>eitert (BBl 1998 3479, 1999 7293). Die 4. IV-<br />
Revision greift diesen Punkt wieder auf und soll damit die heutige Praxis verankern. Das<br />
Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversi<strong>ch</strong>erungsre<strong>ch</strong>ts<br />
(ATSG) gelangt dur<strong>ch</strong> die Verbindung seines Art. 8 in Verbindung mit Art. 4<br />
Abs. 1 des IVG, den es abändert (vgl. Ziff. 8 des Anhangs) zu einem verglei<strong>ch</strong>baren Ergebnis<br />
(BBl 2000 5041).<br />
1776
Altersbedingte Gebre<strong>ch</strong>en fallen damit ni<strong>ch</strong>t unter die gesetzli<strong>ch</strong>e Definition. Eine<br />
interessante Definition enthält der «Americans with disabilities Act» von 1990 in<br />
Section 3:<br />
«The term ‹disability› means, with respect to an individual:<br />
a. a physical or mental impairment that substantially limits one or more of<br />
the major life activities of su<strong>ch</strong> individual;<br />
b. a record of su<strong>ch</strong> an impairment; or<br />
c. being regarded as having su<strong>ch</strong> an impairment.»<br />
In dieser Ums<strong>ch</strong>reibung fehlt eine Unters<strong>ch</strong>eidung von geistiger und psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>er<br />
Behinderung; es ist unklar, ob psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Behinderungen au<strong>ch</strong> erfasst werden.<br />
Mit dem Gesetzesentwurf werden vers<strong>ch</strong>iedenste Sa<strong>ch</strong>berei<strong>ch</strong>e angespro<strong>ch</strong>en. Der<br />
Begriff der Behinderung muss dementspre<strong>ch</strong>end vielfältige Sa<strong>ch</strong>verhalte abdecken<br />
und ist deshalb in Absatz 1 in eigenständiger und umfassender Art ums<strong>ch</strong>rieben. Das<br />
Invalidenversi<strong>ch</strong>erungsgesetz definiert heute eine besondere Form der Erwerbsunfähigkeit<br />
und bezei<strong>ch</strong>net sie als Invalidität. Im Behindertenglei<strong>ch</strong>stellungsgesetz werden<br />
demgegenüber Funktionsverluste des Mens<strong>ch</strong>en ums<strong>ch</strong>rieben und als Behinderung<br />
bezei<strong>ch</strong>net. Diese Ums<strong>ch</strong>reibung erfasst eine grössere Mens<strong>ch</strong>engruppe: im<br />
Unters<strong>ch</strong>ied zur IV sind au<strong>ch</strong> Personen erfasst, die no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t oder ni<strong>ch</strong>t mehr im<br />
erwerbsfähigen Alter stehen. Erfasst werden vom Gesetz also insbesondere au<strong>ch</strong><br />
betagte Mens<strong>ch</strong>en, bei denen auf Grund des Alters dauerhafte Funktionsausfälle<br />
(z.B. verminderte Gehfähigkeit) eingetreten sind. Während die Invalidenversi<strong>ch</strong>erung<br />
den Verlust eines Einkommens dur<strong>ch</strong> eine individuelle Rente an eine bestimmte<br />
Person ausglei<strong>ch</strong>t, verbessert das Behindertenglei<strong>ch</strong>stellungsgesetz die allgemeinen<br />
gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Rahmenbedingungen, die (au<strong>ch</strong> wenn sie gestützt auf<br />
Art. 7 dur<strong>ch</strong> eine Klage oder Bes<strong>ch</strong>werde einer behinderten Person erzwungen wird)<br />
einer unbestimmten Vielzahl von Personen zugute kommt142. Absatz 2 ums<strong>ch</strong>reibt, wann im Allgemeinen eine Bena<strong>ch</strong>teiligung Behinderter vorliegt.<br />
Sie liegt vor, wenn zwis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en mit und ohne Behinderung differenziert<br />
wird, ohne dass sa<strong>ch</strong>gere<strong>ch</strong>te Kriterien dies verlangen, oder wenn eine Glei<strong>ch</strong>behandlung<br />
von Mens<strong>ch</strong>en mit und ohne Behinderungen vorgesehen ist, obs<strong>ch</strong>on<br />
eine Differenzierung aus sa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Gründen angezeigt wäre. Die Bena<strong>ch</strong>teiligung<br />
umfasst ni<strong>ch</strong>t nur die re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>terstellung, sondern au<strong>ch</strong> faktis<strong>ch</strong>e Verhältnisse.<br />
Die Bena<strong>ch</strong>teiligung ist von der Diskriminierung (vgl. Art. 6) abzugrenzen.<br />
Absatz 2 konkretisiert damit insbesondere den Begriff der Bena<strong>ch</strong>teiligung von Artikel<br />
8 Absatz 4 BV143. Laut Absatz 3 wird der ers<strong>ch</strong>werte Zugang zu Bauten sowie zu Einri<strong>ch</strong>tungen des<br />
öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs als Bena<strong>ch</strong>teiligung ums<strong>ch</strong>rieben. Es müssen ni<strong>ch</strong>t sämtli<strong>ch</strong>e<br />
Zugänge behindertengere<strong>ch</strong>t gestaltet sein; es genügt, wenn der Haupteingang die<br />
Anforderungen erfüllt. Unstatthaft wäre hingegen beispielsweise der Zugang über<br />
einen Warenlift eines Hintereingangs. Ein öffentli<strong>ch</strong>es Verkehrsmittel ist dann behindertengere<strong>ch</strong>t,<br />
wenn es wenigstens über eine Mögli<strong>ch</strong>keit der Benützung eines<br />
Personenwagens verfügt; es muss also ni<strong>ch</strong>t jedes Fahrzeug einer Zugskomposition<br />
über einen behindertengere<strong>ch</strong>ten Zugang verfügen. Es genügt, wenn pro Zug<br />
wenigstens ein Personenwagen entspre<strong>ch</strong>end ausgerüstet ist. Was die Bahnhöfe anbelangt,<br />
wird auf Verordnungsebene festzulegen sein, wel<strong>ch</strong>e Bahnhöfe neben den<br />
142 Vgl. dazu au<strong>ch</strong> Ziff. 4.2.<br />
143 Verglei<strong>ch</strong>e dazu ausführli<strong>ch</strong>er Ziffer 8.1.<br />
1777
wi<strong>ch</strong>tigsten Bahnhöfen, den sog. Stützbahnhöfen, in wel<strong>ch</strong>em Umfang anzupassen<br />
sind. Wie in den Erläuterungen zu Artikel 1 dargelegt, werden Rahmenbedingungen<br />
angestrebt, die Hilfe dur<strong>ch</strong> Drittpersonen mögli<strong>ch</strong>st erübrigen. Für die Benützung<br />
öffentli<strong>ch</strong>er Verkehrsmittel gilt dies nur bedingt. Die autonome Benützung öffentli<strong>ch</strong>er<br />
Verkehrsmittel s<strong>ch</strong>liesst die Beanspru<strong>ch</strong>ung des Personals der Verkehrsunternehmen,<br />
beispielsweise für die Benützung eines Mobilifts, ni<strong>ch</strong>t aus. Die Anwesenheit<br />
von Personal ist für viele Behinderte von uns<strong>ch</strong>ätzbarem Wert. Hingegen soll<br />
vermieden werden, dass au<strong>ch</strong> Mitreisende beigezogen werden müssen. Bei Wohnbauten<br />
muss der Zugang zu den einzelnen Wohnungen si<strong>ch</strong>ergestellt sein. Die behindertengere<strong>ch</strong>te<br />
Ausgestaltung des Wohnungsinneren wird ni<strong>ch</strong>t erfasst; dieser<br />
Berei<strong>ch</strong> ist von den Kantonen zu regeln.<br />
Absatz 4 ums<strong>ch</strong>reibt die ers<strong>ch</strong>werte Inanspru<strong>ch</strong>nahme von Dienstleistungen. Zu diesen<br />
Dienstleistungen gehören etwa jene von Amtsstellen mit Publikumsverkehr<br />
(Grundbu<strong>ch</strong>, Handelsregister usw.), regelmässige politis<strong>ch</strong>e, kulturelle oder sportli<strong>ch</strong>e<br />
Veranstaltungen, Einkaufszentren, Dienstleistungen der Banken usw. Au<strong>ch</strong> erfasst<br />
sind der Fernmeldeberei<strong>ch</strong> sowie Radio und Fernsehen. Diese beiden Berei<strong>ch</strong>e<br />
entwickeln si<strong>ch</strong> sehr dynamis<strong>ch</strong>. Dur<strong>ch</strong> Überarbeitung der spezialgesetzli<strong>ch</strong>en<br />
Grundlagen soll diesen Veränderungen Re<strong>ch</strong>nung getragen werden. Je na<strong>ch</strong> Forts<strong>ch</strong>reiten<br />
der Arbeiten und je na<strong>ch</strong> Ergebnis werden die Anliegen der Behinderten<br />
im Rahmen des vorliegenden Gesetzesentwurfs oder im Rahmen der Revisionen der<br />
beiden Spezialgesetze in anderer als der hier vorges<strong>ch</strong>lagenen Weise umgesetzt werden<br />
müssen144. Absatz 5 ums<strong>ch</strong>reibt, was unter «Erneuern» verstanden wird. Die Konkretisierung<br />
dur<strong>ch</strong> die Nennung einer Verhältniszahl entspri<strong>ch</strong>t der Forderung vers<strong>ch</strong>iedener<br />
Vernehmlasser.<br />
Art. 3 Geltungsberei<strong>ch</strong><br />
Der Gesetzesentwurf erfasst zunä<strong>ch</strong>st all jene Bauten und Anlagen, zu denen grundsätzli<strong>ch</strong><br />
jeder Zugang hat, sofern er die allenfalls bestehenden Voraussetzungen<br />
(Eintritts- oder Benützungsgebühr, s<strong>ch</strong>ickli<strong>ch</strong>e Kleidung usw.) erfüllt (Bst. a). Es<br />
gilt also beispielsweise für Ges<strong>ch</strong>äfte, Banken, Restaurants, Hotels, Veranstaltungsräume,<br />
Museen, Bibliotheken, Parkhäuser, Parkanlagen, Hallen- und Strandbäder<br />
sowie Sportstadien. Ausgenommen vom Geltungsberei<strong>ch</strong> sind dagegen Bauten und<br />
Anlagen, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes erbaut wurden (massgebend ist der<br />
Zeitpunkt, in dem die Baubewilligung erteilt wurde) und die seit Inkrafttreten des<br />
Gesetzes nie erneuert wurden.<br />
Der Geltungsberei<strong>ch</strong> ums<strong>ch</strong>liesst im Weiteren den öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr soweit er<br />
den genannten Gesetzen unterstellt ist (Bst. b). Dazu gehören Bahnhöfe, Haltestellen,<br />
S<strong>ch</strong>iffsanlegestellen, Flugplätze sowie Anlagen (Kommunikationssysteme, Billettausgabe,<br />
usw.) und Fahrzeuge (Züge, Busse, Trolleybusse, Seilbahnen, S<strong>ch</strong>iffe,<br />
Flugzeuge). Die SBB werden deshalb besonders erwähnt, weil ihr Betrieb im Unters<strong>ch</strong>ied<br />
zu den anderen Unternehmen des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs keiner Infrastrukturkonzession<br />
bedarf und si<strong>ch</strong> auf ein Spezialgesetz stützt145. Ausgenommen sind ledigli<strong>ch</strong><br />
Skilifte sowie kleinere Sesselbahnen und Gondelbahnen mit weniger als<br />
neun Plätzen pro Transporteinheit.<br />
144 Fernmeldegesetz vom 30. April 1997, SR 784.10; Radio- und Fernsehgesetz vom<br />
21. Juni 1991, SR 784.40<br />
145 BG vom 20. März 1998 über die S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Bundesbahnen, SR 742.31<br />
1778
Ferner gilt der Gesetzesentwurf bei Wohngebäuden einer gewissen Grösse (Bst. c):<br />
Wohngebäude müssen mehr als a<strong>ch</strong>t Wohneinheiten umfassen. Nur der Zugang zum<br />
Gebäude und zu den einzelnen Stockwerken muss gewährleistet sein. Die Ausgestaltung<br />
des Wohnungsinnern ist demgegenüber ni<strong>ch</strong>t Gegenstand des Geltungsberei<strong>ch</strong>s<br />
des Gesetzesentwurfs. Wie für die Bauten na<strong>ch</strong> Bu<strong>ch</strong>stabe a sind hier nur die<br />
Wohnbauten erfasst, die neu sind oder die erneuert werden.<br />
In analoger Weise erfasst der Gesetzesentwurf Gebäude mit mehr als 50 Arbeitsplätzen,<br />
die neu sind oder erneuert werden (Bst. d). Nur der Zugang zum Gebäude muss<br />
den Ansprü<strong>ch</strong>en der Behinderten entspre<strong>ch</strong>en. Der Geltungsberei<strong>ch</strong> des Gesetzesentwurfs<br />
erstreckt si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t auf das Gebäudeinnere. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen,<br />
dass ein Arbeitgeber, der Behinderte bes<strong>ch</strong>äftigt, s<strong>ch</strong>on heute für die Anpassungen<br />
des Arbeitsplatzes (in der Regel mit finanzieller Unterstützung der Invalidenversi<strong>ch</strong>erung)<br />
sowie der Arbeitsräume und der sanitären Einri<strong>ch</strong>tungen sorgen<br />
muss, damit alle Angestellten davon Gebrau<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>en können. Diese Verpfli<strong>ch</strong>tung<br />
gründet ni<strong>ch</strong>t auf dem Gesetzesentwurf, sondern auf andern Bundesvors<strong>ch</strong>riften über<br />
den Arbeitnehmers<strong>ch</strong>utz. Bu<strong>ch</strong>stabe e erfasst die Dienstleistungen Privater und<br />
Dienstleistungen der S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Bundesbahnen (SBB), konzessionierter Unternehmen<br />
sowie der Gemeinden, der Kantone und des Bundes.<br />
In den Bu<strong>ch</strong>staben a, b und e von Artikel 3 des Gesetzesentwurfs werden nur jene<br />
Bauten, Anlagen, Einri<strong>ch</strong>tungen, Fahrzeuge und Dienstleistungen erfasst, die öffentli<strong>ch</strong><br />
zugängli<strong>ch</strong> sind. Eine Dienstleistung ist dann öffentli<strong>ch</strong>, wenn sie einer unbestimmten<br />
Zahl von Personen (beispielsweise mit Inseraten) angeboten wird.<br />
Bauten, die bei ihrer Erstellung oder bei ihrer Erneuerung auf die Anforderungen<br />
der Behinderten ausgeri<strong>ch</strong>tet werden, müssen dana<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t fortlaufend der te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>en<br />
Entwicklung angepasst werden. Erst wieder im Falle einer späteren Erneuerung<br />
gemäss Artikel 2 Absatz 5 muss die Frage geprüft werden, ob der Bau den<br />
Anforderungen der Behinderten entspri<strong>ch</strong>t.<br />
Der letzte Bu<strong>ch</strong>stabe (f) erwähnt der Vollständigkeit halber Arbeitsverhältnisse, die<br />
dem Bundespersonalgesetz unterstehen. Artikel 9 präzisiert die geltenden Verpfli<strong>ch</strong>tungen<br />
des Bundes in diesem Berei<strong>ch</strong>.<br />
Art. 4 Verhältnis zum kantonalen Re<strong>ch</strong>t<br />
Etli<strong>ch</strong>e Vernehmlasser haben kritisiert, der Entwurf gehe teilweise hinter kantonales<br />
Re<strong>ch</strong>t zurück. Es ist indessen ni<strong>ch</strong>t die Absi<strong>ch</strong>t des Bundesrates, forts<strong>ch</strong>rittli<strong>ch</strong>e Lösungen<br />
auf kantonaler Ebene zu verhindern. Deshalb wird hier festgehalten, dass das<br />
künftige Gesetz weitergehenden Bestimmungen des kantonalen oder kommunalen<br />
Re<strong>ch</strong>ts ni<strong>ch</strong>t entgegensteht.<br />
2. Abs<strong>ch</strong>nitt: Beseitigung von Bena<strong>ch</strong>teiligungen<br />
Art. 5 Massnahmen von Bund und Kantonen<br />
Absatz 1 ri<strong>ch</strong>tet si<strong>ch</strong> an Bund und Kantone und verpfli<strong>ch</strong>tet sie, jene Massnahmen<br />
zu ergreifen, die nötig sind, um Bena<strong>ch</strong>teiligungen aufzuheben oder – wo dies ni<strong>ch</strong>t<br />
ohne weiteres mögli<strong>ch</strong> ist – auszuglei<strong>ch</strong>en. Die Massnahmen sollen au<strong>ch</strong> präventiv<br />
wirken und verhindern, dass Bena<strong>ch</strong>teiligungen überhaupt entstehen. Der zweite<br />
Satzteil hält fest, dass diese Massnahmen die besonderen Bedürfnissen behinderter<br />
1779
Frauen zu bea<strong>ch</strong>ten haben. Damit soll der doppelten Bena<strong>ch</strong>teiligung Re<strong>ch</strong>nung getragen<br />
werden. Das Problem der doppelten Diskriminierung stellt si<strong>ch</strong> insbesondere<br />
bei der Berufsbildung (Abdrängung in typis<strong>ch</strong>e Frauenberufe) und den Leistungen<br />
der Sozialversi<strong>ch</strong>erungen (berufli<strong>ch</strong>e Wiedereingliederung von behinderten Frauen,<br />
die keine Erwerbstätigkeit ausüben).<br />
Absatz 2 sagt, dass sa<strong>ch</strong>gere<strong>ch</strong>te Privilegierungen der Behinderten erlaubt sind und<br />
ni<strong>ch</strong>t mit dem Hinweis auf die Re<strong>ch</strong>tsglei<strong>ch</strong>heit angefo<strong>ch</strong>ten werden können. Sol<strong>ch</strong>e<br />
Massnahmen werden in der Regel zeitli<strong>ch</strong> begrenzt sein oder auf andere Weise<br />
sa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> auf enge Anwendungsberei<strong>ch</strong>e bes<strong>ch</strong>ränkt bleiben. Diese Bestimmung lehnt<br />
si<strong>ch</strong> an Artikel 3 Absatz 3 des Glei<strong>ch</strong>stellungsgesetzes an146. Art. 6 Dienstleistungen Privater<br />
Die Bestimmung hält fest, dass Diskriminierungen im Sinne von Artikel 8 Absatz 2<br />
BV ni<strong>ch</strong>t nur im Verhältnis zwis<strong>ch</strong>en Staat und Behinderten, sondern au<strong>ch</strong> unter<br />
Privaten untersagt sind (Drittwirkung). Die Diskriminierung ist eine qualifizierte<br />
Bena<strong>ch</strong>teiligung, d.h. eine besonders krasse unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e, bena<strong>ch</strong>teiligende und<br />
meist au<strong>ch</strong> herabwürdigende Behandlung von Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen. Das<br />
Diskriminierungsverbot verpfli<strong>ch</strong>tet Privatpersonen aber ni<strong>ch</strong>t, bestimmte (positive)<br />
Massnahmen zur Beseitigung von tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Bena<strong>ch</strong>teiligungen Behinderter zu<br />
ergreifen. Es verpfli<strong>ch</strong>tet weder zu einem glei<strong>ch</strong>stellenden Verhalten no<strong>ch</strong> dazu, auf<br />
Differenzierungen zwis<strong>ch</strong>en Kunden zu verzi<strong>ch</strong>ten.<br />
Mit andern Worten soll diese Bestimmung segregierendem Verhalten von Dienstleistungsanbietern<br />
vorbeugen, das Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen von bestimmten<br />
Aktivitäten auss<strong>ch</strong>liessen will aus Angst, dass ihre Präsenz eine bestimmte Ruhe<br />
oder die sozialen Gewohnheiten der übrigen Kunden beeinträ<strong>ch</strong>tigen könnte. So darf<br />
einer geistig behinderten Person der Zugang zu einem Restaurant ni<strong>ch</strong>t aus der blossen<br />
Fur<strong>ch</strong>t verwehrt werden, sie vertreibe andere Gäste und ohne dass er genügend<br />
Hinweise darauf hat, dass diese Person die Atmosphäre und Ruhe seines Betriebs<br />
störe. Soweit ein Behinderter si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>ickli<strong>ch</strong> benimmt und er ni<strong>ch</strong>t andere Gäste<br />
stört, wäre es diskriminierend, ihn abzuweisen. Die Bestimmung zielt demna<strong>ch</strong> auf<br />
besonders stossendes Verhalten, das jene Toleranz, die si<strong>ch</strong> Mitglieder unserer Gesells<strong>ch</strong>aft<br />
gegenseitig s<strong>ch</strong>uldig sind, vermissen lässt. Andererseits verpfli<strong>ch</strong>tet Artikel<br />
6 Privatpersonen ni<strong>ch</strong>t dazu, ihre Dienstleistungen den Bedürfnissen Behinderter<br />
besonders anzupassen. So muss der Inhaber eines Restaurants, um no<strong>ch</strong>mals auf dieses<br />
Beispiel zurückspre<strong>ch</strong>en zu kommen, seine Speisekarte ni<strong>ch</strong>t in Blindens<strong>ch</strong>rift<br />
anbieten, um Personen mit Sehbehinderungen eine selbstständige Bestellung zu ermögli<strong>ch</strong>en.<br />
Es bleibt der privaten Autonomie und Initiative des einzelnen privaten<br />
Dienstleistungsanbieters überlassen, ob er seine Dienstleistung behindertengere<strong>ch</strong>t<br />
anbieten will. Wird er in diesem Sinn tätig, kann dies sein Angebot attraktiver ma<strong>ch</strong>en<br />
und ihm einen Wettbewerbsvorteil vers<strong>ch</strong>affen.<br />
Das Diskriminierungsverbot gilt für jene Privaten, die Dienstleistungen öffentli<strong>ch</strong>,<br />
d.h. grundsätzli<strong>ch</strong> jedermann, anbieten. Unter den Begriff Dienstleistungen fallen<br />
zahlrei<strong>ch</strong>e Leistungsangebote. Im Vordergrund stehen der Detailhandel, Restaurants,<br />
Hotels, Bäder sowie kulturelle Angebote.<br />
146 SR 151.1<br />
1780
Art. 7 Re<strong>ch</strong>tsansprü<strong>ch</strong>e<br />
Das kantonale Re<strong>ch</strong>t ist namentli<strong>ch</strong> im Bauberei<strong>ch</strong> re<strong>ch</strong>t forts<strong>ch</strong>rittli<strong>ch</strong>147, vielfa<strong>ch</strong><br />
besteht aber ein Vollzugsdefizit. Mit einem Bes<strong>ch</strong>werde- und Klagere<strong>ch</strong>t können<br />
Behinderte das geltende Re<strong>ch</strong>t besser dur<strong>ch</strong>setzen. Die Vollzugskontrolle wird damit<br />
zu einem wesentli<strong>ch</strong>en Teil dur<strong>ch</strong> die Betroffenen selbst erfolgen. Dadur<strong>ch</strong> sinkt<br />
der Aufwand staatli<strong>ch</strong>er Vollzugskontrollen mit entspre<strong>ch</strong>endem Verwaltungsaufwand.<br />
Absatz 1 gibt Anspru<strong>ch</strong> auf Beseitigung von Behinderungen beim Zugang zu Bauten,<br />
Anlagen, Wohnungen sowie auf Verordnungsstufe gestützt auf Artikel 10 Absatz<br />
1 zu bestimmende Einri<strong>ch</strong>tungen und Fahrzeugen des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs.<br />
Beim Zugang zu Gebäuden ist der Eigentümer in die Pfli<strong>ch</strong>t zu nehmen. Sie trifft<br />
au<strong>ch</strong> Privatpersonen, die das Gebäude oder Teile davon an das Gemeinwesen oder<br />
konzessionierte Unternehmen als Dienstleistungsanbieter vermieten.<br />
Absatz 2 räumt ein Bes<strong>ch</strong>werde- und Klagere<strong>ch</strong>t ein für Personen mit Behinderungen,<br />
die Dienstleistungen der SBB, konzessionierter Unternehmen oder des Gemeinwesens<br />
selbst in Anspru<strong>ch</strong> nehmen wollen und dabei bena<strong>ch</strong>teiligt werden.<br />
Absatz 3 regelt das Bes<strong>ch</strong>werde- und Klagere<strong>ch</strong>t Behinderter, die eine Dienstleistung,<br />
die von Privatpersonen angeboten wird, beanspru<strong>ch</strong>en mö<strong>ch</strong>ten und dabei wegen<br />
ihrer Behinderung diskriminiert werden. Ein Klagere<strong>ch</strong>t auf Grund dieser Bestimmung<br />
besteht beispielsweise dann, wenn ein Hallenbadbetreiber Behinderten<br />
grundsätzli<strong>ch</strong> keinen Zutritt gewähren will. Der Gesetzesentwurf sieht im Fall einer<br />
Diskriminierung eine Ents<strong>ch</strong>ädigungspfli<strong>ch</strong>t vor.<br />
Für die Bes<strong>ch</strong>werde- und Klagelegitimation gelten die übli<strong>ch</strong>en Regeln. Wer ein<br />
subjektives Re<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong> Artikel 7 geltend ma<strong>ch</strong>en will, muss na<strong>ch</strong>weisen, dass er im<br />
Sinne des Gesetzesentwurfs behindert ist (Art. 2 Abs. 1) und dass er auf Grund dieser<br />
Behinderung im vorliegenden Fall persönli<strong>ch</strong> bena<strong>ch</strong>teiligt oder diskriminiert ist.<br />
Das Klage- und Bes<strong>ch</strong>werdere<strong>ch</strong>t gilt mit Inkrafttreten des Gesetzes für den ganzen<br />
Geltungsberei<strong>ch</strong>, also grundsätzli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> für den öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr. Mit Blick<br />
auf die besonders hohen Mehrkosten in diesem Berei<strong>ch</strong> ist in Artikel 16 jedo<strong>ch</strong> für<br />
die Verkehrsunternehmen eine Übergangsfrist von 20 beziehungsweise 10 Jahren<br />
vorgesehen, die ihnen eine Etappierung der notwendigen Anpassungen erlaubt. Es<br />
wird Sa<strong>ch</strong>e der re<strong>ch</strong>tsanwendenden Behörden sein, im Einzelfall mit Blick auf den<br />
Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu ents<strong>ch</strong>eiden, ob eine Anpassung der Bauten,<br />
Anlagen oder Fahrzeuge einem Verkehrsunternehmen s<strong>ch</strong>on vor Ablauf der Übergangsfrist<br />
zuzumuten ist oder ob das Anbieten einer Ersatzmassnahme na<strong>ch</strong> Artikel<br />
8 Absatz 2 genügt.<br />
Art. 8 Verhältnismässigkeit<br />
Diese Bestimmung konkretisiert das Verhältnismässigkeitsprinzip und erlaubt den<br />
re<strong>ch</strong>tsanwendenden Behörden, einen strengen Prüfungsmassstab anzulegen. Sie<br />
dient au<strong>ch</strong> dazu, die zeitli<strong>ch</strong>e Dimension (vgl. die Fristen in Art. 16) in die Interessenabwägung<br />
einzubeziehen. Insbesondere im öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr hängt die Zumutbarkeit<br />
von Anpassungen wesentli<strong>ch</strong> vom Faktor Zeit ab. Ganz allgemein muss<br />
die Beseitigung einer Bena<strong>ch</strong>teiligung wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> in einem vernünftigen Verhältnis<br />
zum Nutzen für Behinderte stehen (Abs. 1 Bst. a). Au<strong>ch</strong> überwiegende Interes-<br />
147 Vgl. Ziff. 2.3.2<br />
1781
sen des Umwelts<strong>ch</strong>utzes und des Natur- und Heimats<strong>ch</strong>utzes, eins<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> der<br />
Denkmalpflege (Abs. 1 Bst. b) oder der Verkehrs- und Betriebssi<strong>ch</strong>erheit (Abs. 1<br />
Bst. c) können der Dur<strong>ch</strong>setzung der Re<strong>ch</strong>tsansprü<strong>ch</strong>e Grenzen setzen. Wird ein<br />
säumiger Grundeigentümer eines Neubaus oder eines erneuerten Gebäudes eingeklagt,<br />
ist in der Interessenabwägung na<strong>ch</strong> Absatz 1 Bu<strong>ch</strong>stabe a darauf abzustellen,<br />
wie ho<strong>ch</strong> die zusätzli<strong>ch</strong>en Kosten bei der Erstellung bzw. Erneuerung des Gebäudes<br />
ausgefallen wären. Diese Kosten dürften regelmässig deutli<strong>ch</strong> tiefer liegen als die<br />
na<strong>ch</strong>trägli<strong>ch</strong>en Anpassungskosten.<br />
Gemäss Absatz 2 werden bei der Interessenabwägung die dem öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr<br />
in Artikel 16 eingeräumte Frist und die gestützt darauf festgelegten Programme zur<br />
Anpassung des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs an die Bedürfnisse der Behinderten einbezogen.<br />
Diese Bestimmung verstärkt den Gedanken der Verhältnismässigkeit, um der<br />
Tatsa<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>nung zu tragen, dass die Unternehmen des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs im<br />
Unters<strong>ch</strong>ied zu den anderen vom Gesetz betroffenen Gebäudeeigentümern oder<br />
Dienstleistungserbringern ihre bestehenden Infrastrukturen in den ersten zwanzig<br />
Jahren na<strong>ch</strong> Inkrafttreten des Gesetzes anpassen müssen. Diese Relativierung ist nötig,<br />
weil die subjektiven Re<strong>ch</strong>te ni<strong>ch</strong>t den Zweck der Übergangsbestimmung vereiteln<br />
sollen. Die subjektiven Re<strong>ch</strong>te haben in Bezug auf die bestehenden Infrastrukturen<br />
vor allem, wenn ni<strong>ch</strong>t auss<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong>, den Zweck zu verhindern, dass einfa<strong>ch</strong><br />
vorzunehmende Anpassungen verzögert werden. Sie sollen also ni<strong>ch</strong>t das vom Bund<br />
im Rahmen der Finanzhilfen (Art. 17 Abs. 3) entwickelte Umsetzungskonzept oder<br />
die entspre<strong>ch</strong>enden Investitionspläne der Unternehmen in Frage stellen. In diesem<br />
Sinn muss die re<strong>ch</strong>tsanwendende Behörde die Übergangsfristen in ihren Ents<strong>ch</strong>eid<br />
einbeziehen. Sie soll ni<strong>ch</strong>t Investitionen veranlassen oder Ersatzlösungen anordnen,<br />
die ni<strong>ch</strong>t im Einklang mit der Betriebs- und Investitionsplanung des Unternehmens<br />
stehen. Die Wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>keitsüberlegungen werden gegenüber dem Interesse an der<br />
Beseitigung einer Bena<strong>ch</strong>teiligung kurz na<strong>ch</strong> dem Inkrafttreten mehr Gewi<strong>ch</strong>t haben<br />
als gegen Ende der Übergangsfrist. Ersatzlösungen sind dann gutzuheissen, wenn sie<br />
billiger zu stehen kommen als die wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t zumutbare vollständige Beseitigung<br />
einer Bena<strong>ch</strong>teiligung und sie denno<strong>ch</strong> die Situation der Behinderten zu<br />
verbessern vermögen.<br />
Absatz 3 verstärkt den Grundsatz der Verhältnismässigkeit, indem es den re<strong>ch</strong>tsanwendenden<br />
Behörden erlaubt, beim Verzi<strong>ch</strong>t auf eine vollständige Beseitigung einer<br />
Bena<strong>ch</strong>teiligung eine differenzierte, auf die konkreten Verhältnisse zuges<strong>ch</strong>nittene<br />
Zwis<strong>ch</strong>enlösung gutzuheissen. Absatz 3 s<strong>ch</strong>reibt in diesem Sinne vor, dass das Gemeinwesen,<br />
die SBB oder eines anderen konzessionierten Unternehmens den Behinderten<br />
eine Ersatzlösung anbieten muss, wenn deren Re<strong>ch</strong>tsanspru<strong>ch</strong> aus Verhältnismässigkeitsgründen<br />
ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong>setzbar ist. Damit sollen jene Bena<strong>ch</strong>teiligungen,<br />
die mit vernünftigem Aufwand ni<strong>ch</strong>t beseitigt werden können, wenigstens soweit<br />
mögli<strong>ch</strong>, ausgegli<strong>ch</strong>en werden. Privatpersonen sind ni<strong>ch</strong>t verpfli<strong>ch</strong>tet, Ersatzmassnahmen<br />
zu ergreifen, wenn eine re<strong>ch</strong>tsanwendende Behörde feststellt, dass die<br />
Beseitigung einer Bena<strong>ch</strong>teiligung beim Zugang zu Gebäuden unverhältnismässig<br />
ist.<br />
Absatz 4 hält fest, dass der Ri<strong>ch</strong>ter eine Ents<strong>ch</strong>ädigung gestützt auf Artikel 7 Absatz<br />
3 na<strong>ch</strong> den konkreten Umständen, der S<strong>ch</strong>were der Diskrimination und dem<br />
Wert der fragli<strong>ch</strong>en Dienstleistung festlegt. Er ist dabei an die Hö<strong>ch</strong>stgrenze von<br />
5000 Franken gebunden.<br />
1782
3. Abs<strong>ch</strong>nitt: Besondere Bestimmungen für den Bund<br />
Allgemeines zu den Artikeln 9–13<br />
Dem Bund wird in Artikel 8 Absatz 4 BV keine neue Gesetzgebungskompetenz eingeräumt,<br />
sondern ledigli<strong>ch</strong> ein Gesetzgebungsauftrag erteilt. Er kann deshalb in den<br />
angestammten Zuständigkeitsberei<strong>ch</strong>en der Kantone keine Vors<strong>ch</strong>riften über die<br />
Glei<strong>ch</strong>stellung der Behinderten erlassen. Hingegen kann er in seinen Berei<strong>ch</strong>en –<br />
vorbildhaft – re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e und tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Bena<strong>ch</strong>teiligungen ausräumen. In Frage<br />
kommen Regeln insbesondere dort, wo er als Arbeitgeber und Bauherr auftritt, sowie<br />
dort, wo er dur<strong>ch</strong> von ihm kontrollierte Betriebe Dienstleistungen (Personentransport,<br />
Post) anbietet.<br />
Art. 9 Massnahmen im Personalberei<strong>ch</strong><br />
Der Bund übt eine Vorbildfunktion aus. Er soll deshalb als Arbeitgeber zu einer behindertenfreundli<strong>ch</strong>en<br />
Anstellungspraxis verpfli<strong>ch</strong>tet werden. Der Bundesrat hat<br />
bewusst keine Quote gewählt, um das Anliegen flexibel umsetzen zu können.<br />
Im Unters<strong>ch</strong>ied zu der hier vorges<strong>ch</strong>lagenen Lösung kennt Deuts<strong>ch</strong>land eine weitaus<br />
s<strong>ch</strong>ärfere Regelung mit einer zahlenmässig im Gesetz festgelegten Mindestquote:<br />
Private und öffentli<strong>ch</strong>e Arbeitgeber mit mehr als 16 Arbeitsplätzen müssen mindestens<br />
6 % S<strong>ch</strong>werbehinderte bes<strong>ch</strong>äftigen. Wird die Quote ni<strong>ch</strong>t errei<strong>ch</strong>t, ist für jeden<br />
ni<strong>ch</strong>t angestellte Behinderten monatli<strong>ch</strong> DM 200.– in einen Fonds zu bezahlen148. Wir betra<strong>ch</strong>ten eine derart eins<strong>ch</strong>neidende Regelung, die au<strong>ch</strong> private Arbeitgeber<br />
erfasst, ni<strong>ch</strong>t als zweckmässig.<br />
Die Regelung findet im Berei<strong>ch</strong> des Bundespersonalgesetzes vom 24. März 2000149 Anwendung (Art. 3).<br />
Weitere Ausführungen zu diesem Berei<strong>ch</strong> vgl. Ziffer 5.2.1.<br />
Art. 10 Vors<strong>ch</strong>riften über te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>e Normen<br />
Absatz 1 verpfli<strong>ch</strong>tet den Bundesrat, Vors<strong>ch</strong>riften über die behindertengere<strong>ch</strong>te Gestaltung<br />
der Einri<strong>ch</strong>tungen des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs, also der Haltestellen, Bahnhöfe,<br />
Flugplätze, Fahrzeuge, aber au<strong>ch</strong> der Kommunikations- und der Billettausgabesysteme<br />
zu erlassen. In diesen Ausführungsbestimmungen wird es unter anderem<br />
darum gehen zu ums<strong>ch</strong>reiben, wel<strong>ch</strong>e Bahnhöfe in wel<strong>ch</strong>em Umfang den Anliegen<br />
der Behinderten anzupassen sind. Eine te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>e Harmonisierung ist beste Gewähr<br />
für mögli<strong>ch</strong>st lückenfreie Transportketten und universell einsetzbare Hilfsmittel. Die<br />
betroffenen Kreise werden beim Erlass dieser Vors<strong>ch</strong>riften selbstverständli<strong>ch</strong> beigezogen.<br />
Mit Absatz 2 erhalten die bestehenden bundesrätli<strong>ch</strong>en Weisungen über bauli<strong>ch</strong>e<br />
Vorkehren für Behinderte vom 6. März 1989150 eine ausdrückli<strong>ch</strong>e gesetzli<strong>ch</strong>e Verankerung.<br />
148 Vgl. Ziff. 2.3.1.2<br />
149 BBl 2000 2208; AS ...; SR ...<br />
150 BBl 1989 I 1508<br />
1783
Angesi<strong>ch</strong>ts der ras<strong>ch</strong>en te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>en Entwicklung ist es notwendig, sol<strong>ch</strong>e Normen<br />
periodis<strong>ch</strong> dem Stand der Te<strong>ch</strong>nik anzupassen (Abs. 3). Soweit es zweckmässig ist,<br />
wird der Bundesrat auf Normen privater Organisationen verweisen.<br />
Absatz 4 erlaubt dem Bundesrat, differenzierte Lösungen für bestehende und neue<br />
Bauten, Anlagen und Fahrzeuge vorzusehen.<br />
Art. 11 Bes<strong>ch</strong>werdere<strong>ch</strong>t von Behindertenorganisationen<br />
Diese Bestimmung regelt das Bes<strong>ch</strong>werdere<strong>ch</strong>t von Organisationen, die si<strong>ch</strong> statutengemäss<br />
den Anliegen Behinderter widmen. Zur Bes<strong>ch</strong>werde zugelassen sind<br />
gesamts<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong> tätige Organisationen, die seit mindestens zehn Jahren existieren.<br />
Der Bundesrat bezei<strong>ch</strong>net die zur Bes<strong>ch</strong>werde bere<strong>ch</strong>tigten Organisationen, um<br />
Klarheit über die Bes<strong>ch</strong>werdelegitimation zu s<strong>ch</strong>affen (Abs. 1).<br />
Die Verfahrensbestimmungen bes<strong>ch</strong>ränken si<strong>ch</strong> auf bundesre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Verfahren, in<br />
denen eine Plangenehmigung oder eine Konzession erteilt werden (Abs. 2 und 3).<br />
Anfe<strong>ch</strong>tungsobjekt sind Verfügungen, die eine Bena<strong>ch</strong>teiligung im Sinne von Artikel<br />
2 des Gesetzesentwurfs zum Gegenstand haben. Angefo<strong>ch</strong>ten werden können<br />
insbesondere Verfügungen in den Berei<strong>ch</strong>en Kommunikation (Radio und Fernsehen)<br />
und öffentli<strong>ch</strong>er Verkehr (Plangenehmigungen für Bauten und Anlagen sowie<br />
Fahrzeugzulassungen).<br />
Die Absätze 4 und 5 enthalten Regeln über die Eröffnung von Verfügungen und andere<br />
verfahrensre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Details analog dem Bes<strong>ch</strong>werdeverfahren im Umwelts<strong>ch</strong>utzgesetz<br />
vom 7. Oktober 1983151. Allgemeines betreffend die Artikel 12 und 13<br />
Wie das s<strong>ch</strong>on in den beiden Vernehmlassungsverfahren betont wurde152, können<br />
gesetzli<strong>ch</strong>e Bestimmungen ni<strong>ch</strong>t alle Aspekte der Stellung behinderter Mens<strong>ch</strong>en in<br />
der Gesells<strong>ch</strong>aft regeln. Die Forts<strong>ch</strong>ritte in diesem Punkt hängen stark von der Entwicklung<br />
der Geisteshaltung der Bevölkerung ab und die Gesells<strong>ch</strong>aft muss wieder<br />
vermehrt lernen, mit Unters<strong>ch</strong>ieden in einer gemis<strong>ch</strong>ten Gesells<strong>ch</strong>aft zu leben, deren<br />
Mitglieder ni<strong>ch</strong>t immer über die glei<strong>ch</strong>en Mögli<strong>ch</strong>keiten verfügen. Dieser Prozess<br />
geht im Übrigen weit über die Frage der behinderten Mens<strong>ch</strong>en hinaus und bes<strong>ch</strong>lägt<br />
au<strong>ch</strong> Fragen der ethnis<strong>ch</strong>en Zugehörigkeit, der Kulturen, der Spra<strong>ch</strong>en und<br />
Nationalitäten; es geht im weitesten Sinn um Fragen der kollektiven Toleranz153. Diese Bestimmungen über die Förderungsmassnahmen sollen zu einem Mentalitätswandel<br />
beitragen und eine Politik unterstützen, die Einzelnen diese Entwicklung<br />
ermögli<strong>ch</strong>t. Die erwähnten Programme sollen innovatoris<strong>ch</strong>e Modelle der Gesells<strong>ch</strong>aftsorganisation<br />
und der Integration Behinderter ermögli<strong>ch</strong>en.<br />
Die Artikel 12 und 13 bilden die gesetzli<strong>ch</strong>e Grundlage, die Integration Behinderter<br />
dur<strong>ch</strong> den Bund zu fördern und Beiträge auszuri<strong>ch</strong>ten. Sie erlauben jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t den<br />
Erlass von Organisationsvors<strong>ch</strong>riften. Soweit die neue Aufgabe einer Einheit der<br />
Zentralverwaltung zukommt, ist die Frage der Zuordnung ni<strong>ch</strong>t im Gesetz im formellen<br />
Sinne, sondern auf der Stufe einer bundesrätli<strong>ch</strong>en Verordnung154 zu regeln.<br />
151 Art. 55, SR 814.01<br />
152 Vgl. Ziff. 2.4.2 und 4.4.1<br />
153 Vgl. Ziff. 2.1<br />
154 Vgl. Ziff. 4.3.5<br />
1784
Art. 12 Programme zur Integration von Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen<br />
Artikel 12 sieht die Mögli<strong>ch</strong>keit des Bundes vor, Programme für die Integration Behinderter<br />
dur<strong>ch</strong>zuführen. Die Umsetzung der Programme setzt das Einverständnis<br />
der Betroffenen voraus. Es kann ni<strong>ch</strong>t um zwangsweise Integrationsmassnahmen<br />
gehen. Um der Klarheit willen nennt Absatz 2 die wi<strong>ch</strong>tigsten Berei<strong>ch</strong>e; es handelt<br />
si<strong>ch</strong> aber ni<strong>ch</strong>t um eine abs<strong>ch</strong>liessende Aufzählung. Das Ziel dieser Programme ist<br />
es, mit der Unterstützung der Behörden neue Massnahmen und Formen der Integration<br />
Behinderter zu testen. Wir denken dabei an die Integration geistig oder psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong><br />
behinderter Kinder und Jugendli<strong>ch</strong>er in den Regelklassen mittels Unterstützung<br />
der Lehrkräfte und angemessener pädagogis<strong>ch</strong>er Betreuung. Andere Programme<br />
könnten die Integration Behinderter im Berufsleben fördern, au<strong>ch</strong> da mit psy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>er<br />
Betreuung am Arbeitsplatz und unter Einbezug der Verhältnisse am<br />
Arbeitsplatz. S<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> können sol<strong>ch</strong>e Programme Behinderte in ihrer autonomen<br />
Lebensweise unterstützen. Die Massnahmen zielen beispielsweise darauf, Haus- und<br />
Quartierbewohner dafür zu gewinnen, behinderten Mens<strong>ch</strong>en in ihrer Umgebung zu<br />
helfen, ein autonomes Leben zu führen und das Verantwortungs- und Solidaritätsgefühl<br />
gegenüber behinderten Mitmens<strong>ch</strong>en zu stärken. Wieder andere Programme<br />
können der Förderung der aktiven Präsenz behinderter Personen im Rahmen allgemein<br />
bekannter Veranstaltungen dienen, statt dass entspre<strong>ch</strong>ende Parallelveranstaltungen<br />
dur<strong>ch</strong>geführt werden (z.B. Sportwettkämpfe).<br />
Absatz 3 erlaubt dem Bund, si<strong>ch</strong> an der Erarbeitung sol<strong>ch</strong>er Programme zu beteiligen.<br />
Angesi<strong>ch</strong>ts des hohen Sa<strong>ch</strong>wissens der privaten Behindertenorganisationen ist<br />
es denkbar, dass si<strong>ch</strong> der Bund s<strong>ch</strong>wergewi<strong>ch</strong>tig darauf konzentriert, si<strong>ch</strong> bloss an<br />
Programmen zu beteiligen. Dies entspri<strong>ch</strong>t übrigens au<strong>ch</strong> dem Gedanken der Subsidiarität<br />
staatli<strong>ch</strong>er Massnahmen. Unter Beteiligung sind die Zusammenarbeit bei der<br />
Entwicklung von Konzepten, die Bereitstellung von Infrastrukturen oder finanzielle<br />
Beihilfen zu verstehen. Für Subventionen gelten die allgemeinen Regeln, insbesondere<br />
die Pfli<strong>ch</strong>t der Programmverantwortli<strong>ch</strong>en, eine Eigenleistung zu erbringen, die<br />
ihnen auf Grund ihrer wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Leistungsfähigkeit zugemutet werden kann<br />
(Art. 7 des Subventionsgesetzes vom 5. Oktober 1990155). Die Subventionsempfänger<br />
können das Gemeinwesen selbst oder ihre Dienststellen und Betriebe sein oder<br />
private Organisationen der Behindertenhilfe. Ferner werden die Finanzhilfen in<br />
Übereinstimmung mit den im Rahmen des neuen Finanzausglei<strong>ch</strong>s entwickelten<br />
Grundsätzen nur an die gesamts<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong> oder spra<strong>ch</strong>regional tätigen Organisation<br />
ausgeri<strong>ch</strong>tet. Privatpersonen und Unternehmen hingegen, die selbst Programme<br />
zur Integration Behinderter entwerfen, können keine Finanzhilfen des Bundes gestützt<br />
auf diese Bestimmung erhalten. Die Bestimmung gibt keinen Anspru<strong>ch</strong> auf<br />
Subventionen.<br />
Die Finanzhilfen sind mit jenen der Invalidenversi<strong>ch</strong>erung zu koordinieren (Förderung<br />
der Invalidenhilfe, Art. 73 f. IVG) und die Invalidenversi<strong>ch</strong>erung wird weiterhin<br />
– dem in Artikel 75 Absatz 2 IVG erwähnten Grundsatz gemäss – nur greifen,<br />
wenn keine anderen Bundeshilfen ausgeri<strong>ch</strong>tet werden. Artikel 12 des vorliegenden<br />
Entwurfs ändert an dieser Situation ni<strong>ch</strong>ts. Im Übrigen sind die Koordinationsfragen<br />
zwis<strong>ch</strong>en den vers<strong>ch</strong>iedenen Hilfen auf der Ebene von Bundesratsverordnungen zu<br />
lösen.<br />
155 SR 616.1<br />
1785
Art. 13 Information, Beratung und Überprüfung der Wirksamkeit<br />
Diese Bestimmung liefert die gesetzli<strong>ch</strong>e Grundlage, damit der Bund eine Informations-<br />
und Beratungspolitik zu Gunsten Behinderter führen kann. Absatz 1 handelt<br />
von der allgemeinen Information, mit der die Öffentli<strong>ch</strong>keit für die besonderen<br />
Probleme der Behinderten sensibilisiert und die Ents<strong>ch</strong>eidungsträger angeregt werden<br />
sollen, re<strong>ch</strong>tzeitig bere<strong>ch</strong>tigte Anliegen der behinderten Mens<strong>ch</strong>en einzubeziehen.<br />
In Absatz 2 wird die Beratung von einzelnen Privatpersonen geregelt. Absatz 3<br />
enthält ein für alle Politikberei<strong>ch</strong>e unentbehrli<strong>ch</strong>es Instrument, die Evaluation von<br />
bes<strong>ch</strong>lossenen Massnahmen. Diese Evaluationen erlauben eine Überprüfung der<br />
Stossri<strong>ch</strong>tung und führen nötigenfalls zu einer Korrektur oder zur Aufhebung<br />
einer Massnahme. Der Bund soll au<strong>ch</strong> Massnahmen anderer Instanzen, insbesondere<br />
jener Organisationen, deren Massnahmen er finanziell unterstützt, evaluieren<br />
können.<br />
4. Abs<strong>ch</strong>nitt: Besondere Bestimmungen für die Kantone<br />
Art. 14<br />
Der Bund kann im Berei<strong>ch</strong> der Grunds<strong>ch</strong>ule nur ums<strong>ch</strong>reiben, was der grundre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e<br />
Anspru<strong>ch</strong> auf «ausrei<strong>ch</strong>enden» Unterri<strong>ch</strong>t bedeutet156. Absatz 1 hält fest, dass die Kantone verpfli<strong>ch</strong>tet sind, Kindern und Jugendli<strong>ch</strong>en mit<br />
Behinderungen eine Grunds<strong>ch</strong>ulung zu offerieren, die den spezifis<strong>ch</strong>en Bedürfnissen<br />
ihrer Behinderung Re<strong>ch</strong>nung trägt. Der Gesetzesentwurf lässt jedo<strong>ch</strong> offen, in wel<strong>ch</strong>em<br />
Rahmen allfällige Sondermassnahmen zu ergreifen sind. Den Kantonen bleibt<br />
weiterhin – unter Wahrung der Interessen der behinderten S<strong>ch</strong>ülerinnen und S<strong>ch</strong>üler<br />
– die Wahl zwis<strong>ch</strong>en integrierter S<strong>ch</strong>ulung in der Regels<strong>ch</strong>ule und der Sonders<strong>ch</strong>ulung.<br />
Zu einem ausrei<strong>ch</strong>enden Unterri<strong>ch</strong>t gehört aus inhaltli<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t die Ausbildung der<br />
Fähigkeiten, einen Beruf erlernen und ausüben zu können und die Anforderungen<br />
des modernen Lebens selbstständig zu meistern, wozu au<strong>ch</strong> die Ausdrucksfähigkeit<br />
gehört157. Für Mens<strong>ch</strong>en mit Hör- und Spre<strong>ch</strong>behinderungen bestehen für die direkte<br />
Kommunikation vers<strong>ch</strong>iedene Hilfsmittel und Te<strong>ch</strong>niken wie beispielsweise<br />
die Gebärdenspra<strong>ch</strong>e oder die Blindens<strong>ch</strong>rift. Diese Kommunikationste<strong>ch</strong>niken sind<br />
für die Betroffenen zentrale Instrumente für die Integration in die Gesells<strong>ch</strong>aft. Der<br />
Umgang mit diesen Te<strong>ch</strong>niken gehört deshalb für sie zum Pfli<strong>ch</strong>tstoff ihrer Grundbildung,<br />
die dur<strong>ch</strong> Artikel 62 BV garantiert wird. Absatz 2 verpfli<strong>ch</strong>tet die Kantone<br />
deshalb zu einem entspre<strong>ch</strong>enden S<strong>ch</strong>ulungsangebot.<br />
5. Abs<strong>ch</strong>nitt: S<strong>ch</strong>lussbestimmungen<br />
Änderung bisherigen Re<strong>ch</strong>ts gemäss Art. 15<br />
Vgl. Ziff. 4.3.3<br />
156 Art. 62 Abs. 2 BV, vgl. au<strong>ch</strong> Ziff. 8.1.<br />
157 Borghi in Kommentar BV zu Art. 27, Rz. 33 f.<br />
1786
Art. 16 Anpassungsfristen für den öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr<br />
Beim öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr wird differenziert zwis<strong>ch</strong>en den festen Bauten und den<br />
Fahrzeugen sowie der Art und Weise, wie Informationen und Billette erhältli<strong>ch</strong> sind.<br />
Die in der Vernehmlassung vorges<strong>ch</strong>lagene Übergangsfrist für Bauten und Fahrzeuge<br />
von 10 Jahren wurde von zahlrei<strong>ch</strong>en Vernehmlassern, namentli<strong>ch</strong> von Kantonen<br />
und Verkehrsunternehmen, als unrealistis<strong>ch</strong> beurteilt. Auf Grund der Langlebigkeit<br />
der Infrastruktur und der Fahrzeuge ers<strong>ch</strong>eint eine Anpassungsfrist von 20 Jahren<br />
angemessen (Abs. 1). Zur Auswirkung des Zeitfaktors auf die Höhe der zusätzli<strong>ch</strong>en<br />
Kosten verglei<strong>ch</strong>e au<strong>ch</strong> Ziffer 5.4.2.<br />
Für die Umstellung der Kommunikationssysteme und der Billettausgabe lässt si<strong>ch</strong><br />
eine kürzere Frist von zehn Jahren re<strong>ch</strong>tfertigen (Abs. 2).<br />
Erwähnt sei s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> in diesem Zusammenhang, dass während der Übergangsfrist<br />
subjektive Re<strong>ch</strong>te geltend gema<strong>ch</strong>t werden können, wenn au<strong>ch</strong> in bes<strong>ch</strong>ränktem<br />
Umfang (vgl. Art. 8 Abs. 2). Absatz 3 konkretisiert diese Bes<strong>ch</strong>ränkung. Bei der Interessenabwägung<br />
muss die re<strong>ch</strong>tsanwendende Behörde dem Umsetzungskonzept<br />
und den für die Ausri<strong>ch</strong>tung von Finanzhilfen festgelegten Prioritäten (Art. 17 Abs. 3)<br />
sowie der Investitions- und Betriebspolitik der Unternehmen Re<strong>ch</strong>nung tragen.<br />
Art. 17 Finanzhilfen des Bundes<br />
Die Verkehrsunternehmen des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs sind einem harten Wettbewerb<br />
mit dem Privatverkehr ausgesetzt. Sie können anfallende Mehrkosten nur zu einem<br />
geringen Teil auf die Kunden überwälzen, weil diese sonst auf den Privatverkehr<br />
auswei<strong>ch</strong>en. Ein Leistungsabbau hätte dieselbe unerwüns<strong>ch</strong>te Wirkung. Es ist deshalb<br />
unumgängli<strong>ch</strong>, dass si<strong>ch</strong> der Bund im Verkehrsberei<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> finanziell engagiert<br />
und damit eine bes<strong>ch</strong>leunigte Umstellung auf behindertengere<strong>ch</strong>te Infrastrukturen<br />
ermögli<strong>ch</strong>t (Abs. 1).<br />
Diese Finanzhilfen sind gemäss Absatz 2 für alle Massnahmen na<strong>ch</strong> Artikel 16<br />
mögli<strong>ch</strong>, jedo<strong>ch</strong> nur für die Übergangs- und Anpassungszeit, wie sie in den beiden<br />
Absätzen dieser Bestimmung enthalten sind. Dana<strong>ch</strong> entfallen sie automatis<strong>ch</strong>. Absatz<br />
2 sieht einen Zahlungsrahmen für die Finanzhilfen des Bundes vor. Die Höhe<br />
des Zahlungsrahmens ist von der Bundesversammlung in einem Bundesbes<strong>ch</strong>luss<br />
festzulegen. Laut dem Entwurf dieses Bundesbes<strong>ch</strong>lusses, der mit diesem Gesetz<br />
unterbreitet wird, wird der Zahlungsrahmen auf 300 Millionen Franken festgelegt,<br />
verteilt auf die Frist von 20 Jahren für Massnahmen na<strong>ch</strong> Artikel 16 Absatz 1 und<br />
von 10 Jahren für Massnahmen na<strong>ch</strong> Artikel 16 Absatz 2. In interdepartementaler<br />
Zusammenarbeit wird eine Prioritätenliste erstellt werden, gemäss der die Finanzhilfen<br />
gewährt werden.<br />
1787
4.3.3 Anpassungen geltenden Re<strong>ch</strong>ts<br />
1. Bundesgesetz vom 14. Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer 158<br />
Art. 33 Abs. 1 Bst. hbis (neu)<br />
Die Behindertenkreise verlangen, dass alle dur<strong>ch</strong> die Invalidität verursa<strong>ch</strong>ten Kosten<br />
vom steuerbaren Einkommen abziehbar sind (vollständiger Verzi<strong>ch</strong>t auf einen<br />
Selbstbehalt), da dieser Selbstbehalt, der übrigens von Kanton zu Kanton variiert,<br />
als «Bestrafung» der Behinderten empfunden wird: Behinderte sind dauerhaft mit<br />
höheren Kosten als ni<strong>ch</strong>t behinderte Personen konfrontiert. Um dieser besonderen<br />
Situation Behinderter besser Re<strong>ch</strong>nung zu tragen, s<strong>ch</strong>lagen wir vor, die im Sinne<br />
dieses Gesetzes behinderten Steuerpfli<strong>ch</strong>tigen teilweise oder ganz vom Selbstbehalt<br />
zu befreien, wie er in Artikel 33 Absatz 1 Bu<strong>ch</strong>stabe h des Bundesgesetzes über die<br />
direkte Bundessteuer vorgesehen ist. Die vorges<strong>ch</strong>lagene Lösung sieht zwei Stufen<br />
vor: Wenn die entstandenen Kosten 8–10% des steuerbaren Einkommens betragen,<br />
sind sie bis zu 2/3 abziehbar; übersteigen sie 10% des Einkommens, sind sie vollständig<br />
abziehbar (Aufhebung des Selbstbehaltes). Insgesamt erlaubt das gewählte<br />
System Behinderten folgende Abzüge:<br />
– Kosten, die dur<strong>ch</strong> Krankheit, Unfall oder Invalidität entstehen, sind nur abziehbar,<br />
wenn sie mindestens 5% des reinen Einkommens übersteigen (maximaler<br />
Selbstbehalt);<br />
– übersteigen die Kosten 8%, aber ni<strong>ch</strong>t 10% des reinen Einkommens, sind sie<br />
zu 2/3 abziehbar (reduzierter Selbstbehalt);<br />
– die Kosten sind vollständig abziehbar, wenn sie 10% des reinen Einkommens<br />
übersteigen (Selbstbehalt aufgehoben).<br />
Diese Lösung erlaubt es, die Steuerbelastung der besonders stark betroffenen Behinderten<br />
zu erlei<strong>ch</strong>tern, d. h. all jener, die auf Dauer einen wesentli<strong>ch</strong>en Teil ihres<br />
Einkommens für Kosten aufwenden müssen, die mit ihrer Behinderung zusammenhängen.<br />
Die vorges<strong>ch</strong>lagene Formulierung erlaubt es, nur jene vom neuen System<br />
profitieren zu lassen, die die Voraussetzungen von Artikel 2 Absatz 1 erfüllen.<br />
Im Vorentwurf eines Behindertengesetzes, das am 4. Juni 2000 in die Vernehmlassung<br />
ges<strong>ch</strong>ickt wurde, haben wir vorges<strong>ch</strong>lagen, einen Sozialabzug für Betreuungsarbeit<br />
vorzusehen (Änderung der Art. 35 Abs. 1 Bst. b und 213 Abs. 1 Bst. b<br />
DBG159). Wir haben auf diesen Vors<strong>ch</strong>lag verzi<strong>ch</strong>tet, weil si<strong>ch</strong> dieser Vors<strong>ch</strong>lag<br />
s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t mit der geltenden steuerre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Systematik verträgt, die verlangt, dass<br />
Abzüge auf tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Kosten Bezug nehmen und ni<strong>ch</strong>t auf hypothetis<strong>ch</strong>e wie der<br />
Verzi<strong>ch</strong>t auf Einkommen.<br />
158 DBG; SR 642.11<br />
159 Vgl. Ziff. 1 von Art. 12 (Änderung bisherigen Re<strong>ch</strong>ts) des Vernehmlassungsentwurfs<br />
1788
2. Bundesgesetz vom 14. Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten<br />
Steuern der Kantone und Gemeinden 160<br />
Art. 9 Abs. 2 Bst. h<br />
Diese Änderung entspri<strong>ch</strong>t der Revision von Artikel 33 Absatz 1 Bu<strong>ch</strong>stabe hbis DBG (vgl. Ziff. 1). Es liegt an den Kantonen zu ents<strong>ch</strong>eiden, wie sie die Abzüge des<br />
Selbstbehaltes abstufen wollen.<br />
3. Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 161<br />
Art. 8 Abs. 2, 2. Satz<br />
Die Zweckbestimmung wird erweitert und umfasst neu ausdrückli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> die Bedürfnisse<br />
der Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen. Diese Revision erlaubt Anpassungen<br />
des Verordnungsre<strong>ch</strong>ts, z. B. der Verordnung über die te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>en Anforderungen<br />
an Strassenfahrzeuge162. 4. Fernmeldegesetz vom 30. April 1997 163<br />
Art. 16 Abs. 1e und 1bis (neu)<br />
Eine Auslegung des geltenden Gesetzestextes im Sinne der neuen Verfassung (Art. 8)<br />
würde wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> erlauben, diese neuen Verpfli<strong>ch</strong>tungen im Verordnungsre<strong>ch</strong>t<br />
auszuführen. Es s<strong>ch</strong>eint aber zweckmässig, den Willen, die Infrastrukturen und<br />
Dienste na<strong>ch</strong> dem neuen Gedanken der Glei<strong>ch</strong>stellung der Behinderten auszuri<strong>ch</strong>ten,<br />
deutli<strong>ch</strong> zum Ausdruck zu bringen. Der Inhalt des bisherigen Absatz 1 Bu<strong>ch</strong>stabe e<br />
wird Teil des umfassenderen neuen Absatzes 1 bis . Diese Bestimmung garantiert, dass<br />
die Grundversorgung in der ganzen S<strong>ch</strong>weiz Behinderten und ni<strong>ch</strong>t Behinderten zu<br />
verglei<strong>ch</strong>baren Bedingungen angeboten wird. Zum einen geht es darum, die te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>e<br />
Qualität si<strong>ch</strong>erzustellen und laufend dem te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>en Forts<strong>ch</strong>ritt anzupassen,<br />
andererseits sollen Zusatzgebühren wegen Mehrkosten verhindert werden. Diese<br />
Bestimmung gilt für die Grundversorgungskonzessionäre. Anpassungen sind unter<br />
anderem bei den öffentli<strong>ch</strong>en Spre<strong>ch</strong>stellen notwendig. Es ist jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t erforderli<strong>ch</strong>,<br />
jede Spre<strong>ch</strong>stelle den Bedürfnissen der Behinderten anzupassen. Dort, wo wegen<br />
grosser Na<strong>ch</strong>frage mehrere Spre<strong>ch</strong>stellen glei<strong>ch</strong>zeitig angeboten werden (wie<br />
beispielsweise in Bahnhöfen), genügt es, wenn wenigstens eine behindertenkonform<br />
ausgerüstet ist.<br />
4.3.4 Bundesbes<strong>ch</strong>luss über die Finanzierung<br />
der Massnahmen im öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr<br />
zu Gunsten von Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen<br />
Artikel 17 des Gesetzesentwurfs sieht vor, dass si<strong>ch</strong> der Bund mit Finanzhilfen an<br />
den Mehrkosten beteiligt, die si<strong>ch</strong> aus der Anpassung des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs an<br />
160 SR 642.14<br />
161 SR 741.01<br />
162 SR 741.41<br />
163 SR 784.10<br />
1789
die Bedürfnisse der Behinderten ergeben. Der Zahlungsrahmen wird in einem separaten<br />
Bundesbes<strong>ch</strong>luss festgelegt. Verglei<strong>ch</strong>e im Übrigen die Erläuterungen zu Artikel<br />
17 des Gesetzesentwurfs in Ziffer 4.3.2.<br />
4.3.5 Organisatoris<strong>ch</strong>e Fragen<br />
Wir haben geprüft, ob es erforderli<strong>ch</strong> ist, ein unabhängiges Organ einzusetzen, und<br />
zwar im Sinne einer ständigen Verwaltungskommission, eines oder einer Delegierten<br />
bzw. eines oder einer Behindertenbeauftragten (dezentralisierte Lösung).<br />
Die den Behinderten nahestehenden Kreise wüns<strong>ch</strong>en ein Organ dieser Art. Es<br />
müsste aus formellen Gründen im Gesetz vorgesehen sein.<br />
Andere Kreise verlangen die S<strong>ch</strong>affung einer mit der neuen Aufgabe betrauten Spezialstelle<br />
in der zentralen Bundesverwaltung (zentrale Lösung). Im Gegensatz zur<br />
dezentralen bedarf die zentrale Lösung keiner gesetzli<strong>ch</strong>en Grundlage.<br />
Es sei vorerst darauf hingewiesen, dass das mit der neuen Aufgabe befasste, wie<br />
au<strong>ch</strong> immer bes<strong>ch</strong>affene Organ eng mit den bereits bestehenden kantonalen und privaten<br />
Organisationen zusammenarbeiten wird, verfügen do<strong>ch</strong> diese Organisationen<br />
über das Wissen, die Erfahrung und die Kenntnisse, die für eine wirksame Förderungspolitik<br />
zu Gunsten der Behinderten unbedingt erforderli<strong>ch</strong> sind.<br />
Die dezentrale Lösung hätte den Vorteil, dass sie der neuen Aufgabe, deren Bedeutung<br />
und Einsatz für die Behinderten wesentli<strong>ch</strong> sind, eine besondere Legitimität<br />
verleihen würde. Um einsatzfähig zu sein, sollte ein dezentralisiertes Organ über ein<br />
gut dotiertes Sekretariat verfügen. Die dezentralisierte Lösung hat allerdings folgende<br />
Na<strong>ch</strong>teile: Verzettelung der Kräfte und Gefahr von Doppelspurigkeiten mit den<br />
Verwaltungsstellen, die si<strong>ch</strong> bereits mit der Förderung der Behinderteninteressen<br />
befassen (beispielsweise das Bundesamt für Sozialversi<strong>ch</strong>erungen, das Eidgenössis<strong>ch</strong>e<br />
Personalamt, das Bundesamt für Verkehr), Aufblähen des Verwaltungsapparates<br />
und s<strong>ch</strong>werfällige Führung, wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> höhere Kosten.<br />
Die zentrale Lösung (selbstständige Stelle oder Anbindung an eine bestehende Einheit)<br />
bietet folgende Vorteile: erlei<strong>ch</strong>terter Zugang zu Informationen, Mögli<strong>ch</strong>keit,<br />
frühzeitig und konkret in das Gesetzgebungs- oder Bes<strong>ch</strong>lussfassungsverfahren einzugreifen,<br />
fortges<strong>ch</strong>rittene Zusammenarbeit, Nähe zu den mit den Dossiers befassten<br />
Verwaltungsorganen (Verkehr, Kommunikation, Bauwesen).<br />
Angesi<strong>ch</strong>ts dieser Umstände optieren wir für die zentrale Lösung, die eine umfassendere<br />
Problemlösung erlaubt.<br />
Für den Fall, dass diese Lösung getroffen wird, obliegt die interne Zuordnung der<br />
Aufgaben und der Ents<strong>ch</strong>eidkompetenzen dem Bundesrat (Art. 43 und 47 des Regierungs-<br />
und Verwaltungsorganisationsgesetzes164). Aus einem ersten Gedankenaustaus<strong>ch</strong><br />
in der Verwaltung geht hervor, dass bei der Integration der Behinderten erhebli<strong>ch</strong>e<br />
Übers<strong>ch</strong>neidungen mit den traditionellen Politikberei<strong>ch</strong>en des Eidgenössis<strong>ch</strong>en<br />
Departements des Innern bestehen, dem unter anderem die Verbesserung der<br />
sozialen Bedingungen für das Wohlbefinden der Mens<strong>ch</strong>en in der S<strong>ch</strong>weiz aufgetragen<br />
ist. Unter diesem Titel wa<strong>ch</strong>t es, in Übereinstimmung mit Artikel 1 der Organisationsverordnung<br />
für das Eidgenössis<strong>ch</strong>e Departement des Innern vom 28. Juni<br />
164 SR 172.010<br />
1790
2000165, über den S<strong>ch</strong>utz der sozialen Risiken sowie über den Kampf gegen die Diskriminierung<br />
und die Förderung der Chancenglei<strong>ch</strong>heit (Art. 1 Abs. 2 lit. a und f).<br />
Ferner weisen die Aufgaben, deren Vollzug dem Bund obliegen sollen (Informationskampagnen,<br />
Förderung der Glei<strong>ch</strong>stellung mit Programmen, die auf die Integration<br />
der Behinderten in die sozialen Strukturen geri<strong>ch</strong>tet sind, Beratungstätigkeit),<br />
Ähnli<strong>ch</strong>keiten mit sol<strong>ch</strong>en auf, die in die Vollzugskompetenz des Departements<br />
des Innern gehören; dies könnte willkommene Synergien freisetzen und zwis<strong>ch</strong>en<br />
den betroffenen Verwaltungen eine optimale Koordination gewährleisten. So<br />
ist vorgesehen, den Vollzug der neuen Aufgaben dem Bundesamt für Sozialversi<strong>ch</strong>erung<br />
zu übertragen, was erlaubt, die Koordination der beiden politis<strong>ch</strong>en Ansatzpunkte<br />
bei der Beseitigung von Bena<strong>ch</strong>teiligungen Behinderter (individueller<br />
Ansatz, Rahmenbedingungen) si<strong>ch</strong>erzustellen. Dieses Amt wird au<strong>ch</strong> für die Koordination<br />
der Ents<strong>ch</strong>eide anderer Amtsstellen besorgt sein.<br />
Für die finanziellen und personellen Auswirkungen dieser neuen Aufgaben wird auf<br />
die Ziffer 5.2.2 verwiesen.<br />
4.4 Weitere Gesetzesrevisionen<br />
4.4.1 Allgemeines<br />
Weitere, zur Zeit laufende Gesetzesrevisionen, tragen zur Umsetzung einer Politik<br />
der Glei<strong>ch</strong>stellung und der Integration der Behinderten bei. Wir rufen an dieser<br />
Stelle die wi<strong>ch</strong>tigen Revisionen kurz in Erinnerung, die bereits Gegenstand von Anträgen<br />
im Parlament waren oder die no<strong>ch</strong> in dieser Legislatur zur Beratung gelangen.<br />
Ferner werden zur Zeit im Arbeitsberei<strong>ch</strong> Massnahmen auf ihre Eignung zur<br />
Integration von Behinderten geprüft.<br />
4.4.2 Revision des Bundesgesetzes über die Berufsbildung<br />
Der Entwurf zu einem neuen Bundesgesetz über die Berufsbildung 166, das unter anderem<br />
zum Ziel hat, den Ausglei<strong>ch</strong> der Bildungs<strong>ch</strong>ancen zu fördern und zu entwickeln<br />
(Art. 3 lit. c), bildet die re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Grundlagen im Hinblick auf vollständige<br />
und gezielte Bildungsangebote. So erlaubt die verbesserte Differenzierung zwis<strong>ch</strong>en<br />
Grundbildung (Berufslehre, berufspraktis<strong>ch</strong>e Ausbildung, Berufsfa<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ulen, Berufsmaturität),<br />
der höheren Berufsbildung (Berufsprüfungen, höhere Fa<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ulen)<br />
und der berufsorientierten Weiterbildung eine angemessenere Antwort auf die unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en<br />
Bedürfnisse und Forderungen. Die Gestaltung einer grösseren Dur<strong>ch</strong>lässigkeit<br />
zwis<strong>ch</strong>en den vers<strong>ch</strong>iedenen Bildungsri<strong>ch</strong>tungen (Grundsatz, wona<strong>ch</strong> es<br />
kein Diplom ohne Ans<strong>ch</strong>luss gibt), die Einführung vers<strong>ch</strong>iedener Bewertungsmethoden<br />
und -instrumente (Verzi<strong>ch</strong>t auf Prüfung im strengen Sinne des Wortes zu<br />
Gunsten von Qualifikationsverfahren) und die Mögli<strong>ch</strong>keit, von der übli<strong>ch</strong>en Bildungsdauer<br />
abzuwei<strong>ch</strong>en (Art. 14 Abs. 2) sind ebenfalls Bestimmungen, die zur Anpassungsfähigkeit<br />
der neuen Regelung über die Berufsbildung beitragen. Diese Regelung<br />
ist au<strong>ch</strong> zum Vorteil der behinderten Personen, deren Bildungsweg oft<br />
165 SR 172.212.1; AS 2000 1837<br />
166 Bots<strong>ch</strong>aft vom 6. September 2000 zu einen neuen Gesetz über die Berufsbildung,<br />
BBl 2000 5686.<br />
1791
zwangsläufig ni<strong>ch</strong>t linear oder in einem anderen Rhythmus verläuft als derjenige<br />
Ni<strong>ch</strong>tbehinderter.<br />
Überdies erlaubt der Gesetzentwurf dem Bund, Paus<strong>ch</strong>alen an die Kantone auszuri<strong>ch</strong>ten,<br />
namentli<strong>ch</strong> für die fa<strong>ch</strong>kundige individuelle Begleitung (Art. 54 Abs. 2 Bst. a<br />
Ziff. 5 in Verbindung mit Art. 28), sowie Beiträge für besondere Leistungen im öffentli<strong>ch</strong>en<br />
Interesse, insbesondere für Leistungen zu Gunsten von bena<strong>ch</strong>teiligten<br />
Gruppen (Art. 56 Abs. 1 lit. d in Verbindung mit Art. 7), oder s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> für Massnahmen<br />
zu Gunsten des Verbleibs im Beruf und des berufli<strong>ch</strong>en Wiedereinstiegs<br />
(Art. 56 Abs. 1 lit. e in Verbindung mit Art. 36 Abs. 2).<br />
Die neue vorges<strong>ch</strong>lagene Regelung will somit einen angemessenen Ausglei<strong>ch</strong><br />
s<strong>ch</strong>affen zwis<strong>ch</strong>en der Sorge, die Bildungen je na<strong>ch</strong> den unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Bedürfnissen<br />
der Mens<strong>ch</strong>en zu individualisieren, und der Sorge, die Qualität der Bildung<br />
zu gewährleisten. Das neue vorges<strong>ch</strong>lagene Gesetz entspri<strong>ch</strong>t somit dem Geist von<br />
Art. 8 Abs. 4, und bildet in diesem Sinne eine derjenigen Massnahmen, die geeignet<br />
sind, die Bena<strong>ch</strong>teiligungen der Behinderten zu beseitigen.<br />
4.4.3 Revision der Invalidenversi<strong>ch</strong>erung<br />
Eines der mit dieser Revision verfolgten Ziele besteht in der Verbesserung der Leistungen<br />
der Invalidenversi<strong>ch</strong>erung, insbesondere dur<strong>ch</strong> die Einführung einer Assistenzents<strong>ch</strong>ädigung.<br />
In unserer Bots<strong>ch</strong>aft zum ersten Teil167 der 4. Revision der<br />
Invalidenversi<strong>ch</strong>erung haben wir die Einführung einer Ents<strong>ch</strong>ädigung dieser Art bereits<br />
angekündigt168. Wir haben diesen Antrag im Rahmen des am 4. Juli 2000<br />
eröffneten Vernehmlassungsverfahrens zum Revisionsentwurf der IV aufre<strong>ch</strong>terhalten169.<br />
Die Assistenzents<strong>ch</strong>ädigung ist laut dem Vernehmlassungsentwurf dafür bestimmt,<br />
die heutige Hilflosenents<strong>ch</strong>ädigung, die Pflegebeiträge für die minderjährigen Hilflosen<br />
sowie die Ents<strong>ch</strong>ädigung für Hauspflege zu ersetzen. Sie zielt darauf ab, die<br />
Selbstständigkeit von Behinderten, die eine Assistenz benötigen, zu erhöhen, indem<br />
ihnen die erforderli<strong>ch</strong>en finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt werden, um ein<br />
eigenständiges Leben zu führen. Es handelt si<strong>ch</strong> dabei somit um eine wi<strong>ch</strong>tige<br />
Massnahme, um den behinderten Personen die Integration in das tägli<strong>ch</strong>e soziale<br />
Leben zu erlei<strong>ch</strong>tern.<br />
Na<strong>ch</strong> dem vorgesehenen Modell hat die behinderte Person im Sinne von Artikel 4<br />
IVG Anspru<strong>ch</strong> auf die Assistenzents<strong>ch</strong>ädigung, sofern die gesetzli<strong>ch</strong>en Bedingungen,<br />
das heisst ein Assistenzbedürfnis, eine einjährige Karenzfrist und Wohnsitz in<br />
der S<strong>ch</strong>weiz, erfüllt sind.<br />
Der Betrag der Ents<strong>ch</strong>ädigung variiert je na<strong>ch</strong> der S<strong>ch</strong>were des Assistenzerfordernisses,<br />
das heisst in Abhängigkeit von der Fähigkeit, die alltägli<strong>ch</strong>en Lebensverri<strong>ch</strong>tungen<br />
ohne Dritthilfe zu bewältigen oder in Abhängigkeit von der Überwa<strong>ch</strong>ungsbedürftigkeit<br />
der betroffenen Person. An Erwa<strong>ch</strong>sene wird die Ents<strong>ch</strong>ädigung<br />
167 Ursprüngli<strong>ch</strong> in zwei Teile getrennt, wurde die IV-Revision na<strong>ch</strong> der Ablehnung des Gesetzes<br />
vom 26. Juni 1998 in einem einzigen Verfahren vereint (BBl 1998 3479; 1999<br />
7293).<br />
168 BBl 1997 IV 149, 162<br />
169 BBl 2000 3775; siehe die Art. 42 bis 42 quater des Vorentwurfs zur IVG-Revision und die<br />
Erläuterungen vom Juni 2000, Ziffer 231, S. 26 ff.<br />
1792
in Form einer monatli<strong>ch</strong>en Paus<strong>ch</strong>ale in Prozenten des Betrags der Altersrente ausgeri<strong>ch</strong>tet;<br />
an Minderjährige für jeden zu Hause verbra<strong>ch</strong>ten Tag.<br />
Die Verbesserung der Leistungen, die si<strong>ch</strong> aus der vorges<strong>ch</strong>lagenen Assistenzents<strong>ch</strong>ädigung<br />
ergibt, kommt vor allem den Kindern und Jugendli<strong>ch</strong>en zu Gute, die in<br />
ihren Familien leben, sowie den erwa<strong>ch</strong>senen Behinderten und den Behinderten, die<br />
an einer lei<strong>ch</strong>ten psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en oder geistigen Eins<strong>ch</strong>ränkung leiden und zu Hause leben.<br />
Der Betrag der Assistenzents<strong>ch</strong>ädigung wird für Personen, die zu Hause leben,<br />
im Verglei<strong>ch</strong> zur heutigen Hilflosenents<strong>ch</strong>ädigung generell erhöht (die Zulage wird<br />
verdoppelt). Ferner sieht der Vorentwurf für s<strong>ch</strong>wer behinderte Minderjährige, deren<br />
Zustand eine dauernde Pflege erfordert, eine besondere Ents<strong>ch</strong>ädigung vor. Für<br />
Behinderte, die an einer lei<strong>ch</strong>ten psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en oder geistigen Behinderung leiden,<br />
würde ebenfalls eine Assistenzents<strong>ch</strong>ädigung eingeführt.<br />
Die zusätzli<strong>ch</strong>en Kosten für die Einführung der Assistenzents<strong>ch</strong>ädigung werden auf<br />
153 Millionen Franken ges<strong>ch</strong>ätzt (bezogen auf den Preis von 2000). Sie werden<br />
wohl – wie dies s<strong>ch</strong>on das Abkommen vom 8. Oktober 1999 zwis<strong>ch</strong>en der S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en<br />
Eidgenossens<strong>ch</strong>aft einerseits und der Europäis<strong>ch</strong>en Gemeins<strong>ch</strong>aft sowie<br />
ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit170 bezügli<strong>ch</strong> die Hilflosenents<strong>ch</strong>ädigung<br />
vorsieht – ganz von der öffentli<strong>ch</strong>en Hand getragen werden, das<br />
heisst zu 87,5% dur<strong>ch</strong> den Bund und zu 12,5% dur<strong>ch</strong> die Kantone (vgl. Art. 77<br />
Abs. 2 und 78 Abs. 2 des Vorentwurfs der IVG-Revision). Diese Regelung der<br />
Finanzierung soll vermeiden, dass Geldleistungen im Fall von Alter und Invalidität<br />
in die Länder der EU geleistet werden müssen, die dur<strong>ch</strong> Beiträge der Arbeitgeberinnen<br />
und Arbeitgeber sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer finanziert<br />
werden171. 4.4.4 Anreizme<strong>ch</strong>anismen zur Bes<strong>ch</strong>äftigung<br />
Die Integration von Behinderten in die Gesells<strong>ch</strong>aft hängt wesentli<strong>ch</strong> von ihrer<br />
Integration in das Berufsleben ab. Nun hat eine behinderte Person beim Zugang zum<br />
Arbeitsmarkt oder beim Start zu einer berufli<strong>ch</strong>en Karriere oft wesentli<strong>ch</strong> grössere<br />
Hindernisse zu überwinden als eine ni<strong>ch</strong>t behinderte Person. Diese S<strong>ch</strong>wierigkeiten<br />
sind teilweise auf weit verbreitete Vorurteile zurückzuführen, und nur eine Politik<br />
der Anreize lässt darauf hoffen, dass sie aus der Welt ges<strong>ch</strong>afft werden können.<br />
Wie bereits im Begleitberi<strong>ch</strong>t zum Vorentwurf für die 4. IVG-Revision dargetan, hat<br />
eine interne Arbeitsgruppe unter der Leitung des Eidgenössis<strong>ch</strong>en Departements des<br />
Innern (BSV) vers<strong>ch</strong>iedene Me<strong>ch</strong>anismen geprüft, um behinderte Personen zur Bes<strong>ch</strong>äftigung<br />
zu ermuntern172. Vorerst haben wir gestützt auf diese Arbeiten festgestellt,<br />
dass sol<strong>ch</strong>e Me<strong>ch</strong>anismen, die wesentli<strong>ch</strong>e den Arbeitgebern insbesondere in<br />
Form von Finanzhilfen oder Steuerabzügen zugestandene Gegenleistungen bedingen,<br />
ni<strong>ch</strong>t im Rahmen der 4. IVG-Revision bewerkstelligt werden können173. Do<strong>ch</strong><br />
verdient das Problem, aus der breiteren Perspektive des neuen Gesetzgebungs-<br />
170 BBl 1999 8643<br />
171 Vgl. erläuternden Beri<strong>ch</strong>t vom Juni 2000 zur 4. IV-Revision, Ziffer 77, S. 84<br />
172 «Anreizme<strong>ch</strong>anismen zur Bes<strong>ch</strong>äftigung von Behinderten», Beri<strong>ch</strong>t der Arbeitsgruppe<br />
«Anreizsysteme» vom 26. März 1999. Dieser Beri<strong>ch</strong>t, wel<strong>ch</strong>er vom BSV veröffentli<strong>ch</strong>t<br />
wurde, war Gegenstand einer kurzen Zusammenfassung in der «Zeits<strong>ch</strong>rift für Soziale<br />
Si<strong>ch</strong>erheit» 6/1999, S. 293 ff.<br />
173 4. IV-Revision, Beri<strong>ch</strong>t vom Juni 2000, Ziffer 261. S.60.<br />
1793
Auftrags gemäss Artikel 8 Absatz 4 BV vertieft zu werden. Zu diesem Zweck haben<br />
wir das Eidgenössis<strong>ch</strong>e Volkswirts<strong>ch</strong>aftsdepartement (Seco/Direktion für Arbeit)<br />
beauftragt, zusammen mit dem Eidgenössis<strong>ch</strong>en Departement des Innern, dem Eidgenössis<strong>ch</strong>en<br />
Justiz- und Polizeidepartement sowie dem Eidgenössis<strong>ch</strong>en Finanzdepartement<br />
dieses Thema weiter zu verfolgen und bis Sommer <strong>2001</strong> einen ergänzenden<br />
Beri<strong>ch</strong>t über die Notwendigkeit von Anreizme<strong>ch</strong>anismen zur Bes<strong>ch</strong>äftigung und<br />
über die Analyse dieser Me<strong>ch</strong>anismen vorzulegen, dies in Berücksi<strong>ch</strong>tigung der zur<br />
Zeit bestehenden wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en und strukturellen Daten des Arbeitsmarktes. Auf<br />
der Grundlage dieses Beri<strong>ch</strong>ts werden wir dann ents<strong>ch</strong>eiden, ob den Räten beantragt<br />
werden soll, ergänzende gesetzgeberis<strong>ch</strong>e Massnahmen zu bes<strong>ch</strong>liessen, um den<br />
Glei<strong>ch</strong>stellungsauftrag zu Gunsten der behinderten Personen im Berei<strong>ch</strong> von Bes<strong>ch</strong>äftigung<br />
und Arbeit zu konkretisieren.<br />
4.4.5 Revision des Radio- und Fernsehgesetzes<br />
Fernsehen ist ein besonders verbreitetes Kommunikationsmittel unserer modernen<br />
Gesells<strong>ch</strong>aft und ein wirksames Kommunikations- und Integrationsmittel. Behindertenkreise<br />
verlangen denn au<strong>ch</strong> mit Na<strong>ch</strong>druck, dass ihren besonderen Bedürfnissen<br />
bei der Programmproduktion Re<strong>ch</strong>nung getragen wird. Gegenwärtig wird etwa<br />
die Hälfte der Kosten für Untertitelung von Sendungen der SRG indirekt von der<br />
Invalidenversi<strong>ch</strong>erung getragen. Diese zahlt gestützt auf Artikel 74 des IVG Beiträge<br />
an die Organisationen der privaten Invalidenhilfe, die einen Teil dieser Mittel für<br />
die Finanzierung der Untertitelung von SRG-Sendungen einsetzen. Die Untertitelung<br />
eines angemessenen Teils der Sendungen muss Teil der Grundversorgung bleiben.<br />
In diesem Sinne s<strong>ch</strong>lugen wir im Vorentwurf eines Behindertengesetzes, das am<br />
4. Juni 2000 in die Vernehmlassung ges<strong>ch</strong>ickt wurde, eine Änderung des Radio- und<br />
Fernsehgesetzes vom 21. Juni 1991174 vor. Diese Änderung sah die Pfli<strong>ch</strong>t für nationale<br />
und spra<strong>ch</strong>regionale Programmveranstalter vor, einen angemessenen Teil der<br />
Programme behindertengere<strong>ch</strong>t auszugestalten (Art. 3 Abs. 4 neu) 175. Da dieses Gesetz<br />
gegenwärtig totalrevidiert wird, haben wir hier auf eine Änderung verzi<strong>ch</strong>tet.<br />
Wir werden bei der Revision des RTVG aber den Gedanken aufnehmen, die Pfli<strong>ch</strong>ten<br />
der Grundversorgungs-Konzessionäre und der Zugangsbere<strong>ch</strong>tigten, die si<strong>ch</strong> aus<br />
dem Grundsatz der Glei<strong>ch</strong>stellung der Behinderten ergeben, genau festzulegen.<br />
4.4.6 Revision des Bundesgesetzes<br />
über die Arbeitslosenversi<strong>ch</strong>erung<br />
Im Unters<strong>ch</strong>ied zum AHV-Gesetz 176 zählt das Arbeitslosenversi<strong>ch</strong>erungsgesetz 177<br />
für die Beitragszeit jene Zeit ni<strong>ch</strong>t, während der ein Versi<strong>ch</strong>erter si<strong>ch</strong> der Betreuung<br />
Angehöriger widmet, die Empfänger einer Hilflosenents<strong>ch</strong>ädigung sind (Betreuungsguts<strong>ch</strong>riften).<br />
Es kennt nur eine Guts<strong>ch</strong>rift für Erziehungsaufgaben (Art. 13<br />
Abs. 2 bis). Da diese Betreuungsaufgaben unzweifelhaft als eine wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Leis-<br />
174 RTVG, SR 784.40<br />
175 Vgl. Ziff. 5 von Art. 12 (Änderung geltenden Re<strong>ch</strong>ts) des Vernehmlassungsentwurfs.<br />
176 SR 831.10, Art. 29 septies<br />
177 AVIG, SR 837.0<br />
1794
tung zu betra<strong>ch</strong>ten sind, au<strong>ch</strong> wenn sie keine entlöhnte Erwerbstätigkeit darstellen,<br />
sollen die damit befassten Personen im Verhältnis zu anderen Arbeitnehmern ni<strong>ch</strong>t<br />
bena<strong>ch</strong>teiligt werden. Das Fehlen einer sol<strong>ch</strong>en Betreuungsguts<strong>ch</strong>rift kann au<strong>ch</strong> eine<br />
abs<strong>ch</strong>reckende Wirkung haben, indem gewisse Personen auf die Betreuung behinderter<br />
Angehöriger verzi<strong>ch</strong>ten. Die geltende Regelung muss deshalb im Li<strong>ch</strong>te des<br />
Auftrags von Artikel 8 Absatz 4 BV überda<strong>ch</strong>t werden.<br />
Im Vorentwurf des am 4. Juni 2000 in die Vernehmlassung ges<strong>ch</strong>ickten Behindertenglei<strong>ch</strong>stellungsgesetzes<br />
haben wir beantragt, Artikel 13 Absatz 2bis AVIG mit einer<br />
neuen Bestimmung zu ergänzen, wel<strong>ch</strong>e die für Betreuungsaufgaben aufgewendete<br />
Zeit ausdrückli<strong>ch</strong> der Erziehungsarbeit glei<strong>ch</strong>stellt178. Wir haben au<strong>ch</strong> die<br />
Mögli<strong>ch</strong>keit erwähnt, auf dem Wege der Auslegung von Artikel 14 Absatz 2 AVIG<br />
(Befreiung von der Erfüllung der Beitragszeit) 179 vorzugehen.<br />
Soweit die befragten Kreise zur Frage Stellung bezogen haben180, haben sie si<strong>ch</strong><br />
überwiegend positiv zur Änderung von Artikel 13 Absatz 2 bis AVIG ausgespro<strong>ch</strong>en.<br />
Diese Lösung wird derjenigen der Auslegung aus offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Gründen der<br />
Transparenz und Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit vorgezogen181. Wir haben denno<strong>ch</strong> ents<strong>ch</strong>ieden, die Prüfung dieser Frage im Rahmen des vorliegenden<br />
Gesetzesentwurfs fallen zu lassen und diesbezügli<strong>ch</strong> im Rahmen der AVIG-<br />
Revision 2003182 na<strong>ch</strong> einer angemessenen Antwort zu su<strong>ch</strong>en.<br />
4.4.7 Arbeiten an einem Bundesgesetz über die<br />
Amtsspra<strong>ch</strong>en des Bundes und über die Förderung<br />
der Verständigung zwis<strong>ch</strong>en den spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en und<br />
kulturellen Gemeins<strong>ch</strong>aften der S<strong>ch</strong>weiz<br />
Eine paritätis<strong>ch</strong>e Arbeitsgruppe aus Vertretern des Bundes und der Kantone ist beauftragt,<br />
einen Vorentwurf eines Bundesgesetzes zu erarbeiten, das den Auftrag von<br />
Artikel 70 BV erfüllt. Dieser Vorentwurf soll im ersten Quartal <strong>2001</strong> in die Vernehmlassung<br />
ges<strong>ch</strong>ickt werden.<br />
Na<strong>ch</strong> den ersten Ergebnissen der Arbeitsgruppe könnten Förderungsmassnahmen<br />
ergriffen werden zur Unterstützung der Kantone im Berei<strong>ch</strong> der s<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>en und berufli<strong>ch</strong>en<br />
Bildung von Kindern und Jugendli<strong>ch</strong>en mit Seh- und Hörbehinderungen<br />
(beispielsweise Förderung der Gebärdenspra<strong>ch</strong>e oder der Blindens<strong>ch</strong>rift) oder zur<br />
Unterstützung von privaten Organisationen, die das Erlernen der vers<strong>ch</strong>iedenen an<br />
die Bedürfnisse seh- und hörbehinderter Personen angepassten Spra<strong>ch</strong>en fördern.<br />
178 Vgl. Ziffer 6 zu Art. 12 (Änderung des geltenden Re<strong>ch</strong>ts) des Vorentwurfs des Behindertengesetzes.<br />
179 Vgl. die Erläuterungen zum Vorentwurf , S. 23.<br />
180 Die meisten der befragten Kreise haben keine Antwort zum Teil des Vorentwurfs des Gesetzes<br />
geliefert, der die Änderungen des geltenden Re<strong>ch</strong>ts betrifft (vgl. au<strong>ch</strong> Ziff. 4.1.2).<br />
181 Zu Gunsten dieser Änderung haben si<strong>ch</strong> die Kantone LU, ZG, GR, GE, das Eidgenössis<strong>ch</strong>e<br />
Versi<strong>ch</strong>erungsgeri<strong>ch</strong>t, die Kommission für Frauenfragen (unter Vorbehalt einer<br />
Textanpassung) und zwei Organisationen ausgespro<strong>ch</strong>en. Nur eine Organisation hat verlangt,<br />
auf diese Änderung zu verzi<strong>ch</strong>ten.<br />
182 Der Vorentwurf der AVIG-Revision befindet si<strong>ch</strong> bis zum 7. Dezember 2000 in der Vernehmlassung.<br />
Er sieht keine Änderung von Art. 13 Abs. 2 bis vor, wie sie vorliegend diskutiert<br />
wird. Die diesbezügli<strong>ch</strong>e Prüfung erfolgt bei der Vorbereitung der Bots<strong>ch</strong>aft und<br />
des Gesetzesentwurfs zum AVIG.<br />
1795
4.4.8 Neuer Finanzausglei<strong>ch</strong><br />
Mit Bezug auf den neuen Finanzausglei<strong>ch</strong> (NFA) erfordert der vorliegende Gesetzesentwurf<br />
insbesondere in einem Punkt eine Prüfung, und zwar hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> der Finanzhilfen<br />
für die Programme zur besseren Integration von Personen mit Behinderungen<br />
in die Gesells<strong>ch</strong>aft (Art. 12 Abs. 3 des Gesetzesentwurfs). Im Übrigen haben<br />
au<strong>ch</strong> die Artikel 4 (Verhältnis zum kantonalen Re<strong>ch</strong>t) und 14 (Besondere Bestimmung<br />
für die Kantone) Bezug zum NFA.<br />
Gemäss seinem globalen Ansatz erstreckt si<strong>ch</strong> die Politik der Integration der Behinderten<br />
auf zahlrei<strong>ch</strong>e Gesetzgebungsberei<strong>ch</strong>e, und die Idee der Integration muss in<br />
jedem dieser Berei<strong>ch</strong>e konkretisiert werden (Quers<strong>ch</strong>nittaufgabe). Im Sinne des<br />
NFA stellt sie zum Teil eine Verbundaufgabe (gemeinsame Erledigung) von Bund<br />
und Kantonen dar. Eine teilweise Entfle<strong>ch</strong>tung ist mögli<strong>ch</strong>. So wird der Bund im<br />
Berei<strong>ch</strong> der Finanzhilfen für die Integrationsprogramme nur die gesamts<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en<br />
Programme unterstützen und si<strong>ch</strong> an der Finanzierung von öffentli<strong>ch</strong>en oder<br />
privaten Organisationen nur dann beteiligen, wenn sie auf Landesebene oder spra<strong>ch</strong>regional<br />
tätig sind. Diese Lösung entspri<strong>ch</strong>t derjenigen im Berei<strong>ch</strong> der kollektiven<br />
Leistungen der IV183. Die verfassungsmässige Grundlage (zur Zeit Art. 112 Abs. 6<br />
BV), worauf die in Artikel 12 Absatz 3 des Entwurfs vorgesehenen Förderungsmassnahmen<br />
beruhen, findet si<strong>ch</strong> in Artikel 112ter des NFA-Entwurfs (Subventionierung<br />
der privaten Alters- und Invalidenhilfe) 184.<br />
Was die Finanzhilfen zu Gunsten der Unternehmen des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs anbelangt<br />
(Art. 17 des Entwurfs), handelt es si<strong>ch</strong> um Hilfen an die Transportunternehmen,<br />
und in diesem Sinne gehören sie ni<strong>ch</strong>t direkt zum NFA.<br />
5 Auswirkungen des indirekten Gegenentwurfs<br />
5.1 Allgemeines<br />
Die Angaben zu den finanziellen Auswirkungen basieren mehrheitli<strong>ch</strong> auf groben<br />
S<strong>ch</strong>ätzungen und ni<strong>ch</strong>t auf genauen Bere<strong>ch</strong>nungen. Der Grund dafür liegt zum einen<br />
in der knappen Zeit, die dem Bundesrat für die Ausarbeitung des indirekten Gegenentwurfs<br />
zur Volksinitiative zur Verfügung stand. Zudem fehlen no<strong>ch</strong> Ausführungbestimmungen<br />
über te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>e Normen, die als Grundlage für Bere<strong>ch</strong>nungen<br />
unabdingbar sind. S<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> lässt das gewählte Konzept nur S<strong>ch</strong>ätzungen zu, weil<br />
das Behindertengesetz zu einem wi<strong>ch</strong>tigen Teil nur ein Ziel, nämli<strong>ch</strong> die behindertengere<strong>ch</strong>te<br />
Ausgestaltung von Bauten und Dienstleistungen, vorgibt, den Anbietern<br />
aber keine Vors<strong>ch</strong>riften ma<strong>ch</strong>t über die Art und Weise, wie dieses Ziel zu errei<strong>ch</strong>en<br />
ist.<br />
Na<strong>ch</strong> dem Konzept des Behindertengesetzes tragen die Kosten der Massnahmen zu<br />
Gunsten Behinderter grundsätzli<strong>ch</strong> jene, die sie dur<strong>ch</strong>führen. Insbesondere den Eigentümern<br />
öffentli<strong>ch</strong> zugängli<strong>ch</strong>er Bauten und Anlagen sowie den Anbietern von<br />
Dienstleistungen fallen deshalb in bestimmten Fällen zusätzli<strong>ch</strong>e Kosten an. Nutz-<br />
183 Siehe «Der neue Finanzausglei<strong>ch</strong> zwis<strong>ch</strong>en Bund und Kantonen»; S<strong>ch</strong>lussberi<strong>ch</strong>t der<br />
vom Eidgenössis<strong>ch</strong>en Finanzdepartement und der Konferenz der Kantonsregierungen<br />
gemeinsam getragenen Projektorganisation vom 31. März 1999, Ziffer 4.4.3, S. 72 ff.<br />
184 Siehe S. 12 von Anhang A des NFA-Beri<strong>ch</strong>ts.<br />
1796
niesser der vorges<strong>ch</strong>lagenen Massnahmen sind zunä<strong>ch</strong>st Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen,<br />
daneben aber au<strong>ch</strong> zahlrei<strong>ch</strong>e andere Personen, namentli<strong>ch</strong> die Betagten und<br />
die Erwa<strong>ch</strong>senen mit Kleinkindern. Es handelt si<strong>ch</strong> dabei um namhafte Bevölkerungsgruppen:<br />
Im Jahr 1998 zählte die S<strong>ch</strong>weiz 325 800 Kleinkinder bis zu 4 Jahren.<br />
Die Zahl der 65–79-Jährigen betrug in diesem Jahr 798 143, jene der über<br />
80-Jährigen 281 655. Es ist davon auszugehen, dass die Zahl der Betagten im Verhältnis<br />
zu jener jüngerer Personen und die Lebenserwartung in den kommenden Jahren<br />
zunehmen wird. S<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> ist zu bea<strong>ch</strong>ten, dass grundsätzli<strong>ch</strong> alle Personen<br />
dem Risiko ausgesetzt sind, dur<strong>ch</strong> Krankheit, Unfall oder andere Umstände behindert<br />
zu werden. Dieses Risiko erhöht si<strong>ch</strong> stark mit zunehmendem Alter (vgl. Grafik 1<br />
zum Invaliditätsrisiko im Anhang 1). Neben der in erster Linie anvisierten Zielgruppe<br />
der Behinderten wird demna<strong>ch</strong> ein grosser zusätzli<strong>ch</strong>er Teil unserer Bevölkerung<br />
in hohem Masse von den Verbesserungen der Infrastrukturen und der Dienstleistungsangebote,<br />
wie sie mit dem Gesetzesentwurf vorges<strong>ch</strong>lagen werden, profitieren.<br />
5.2 Auswirkungen auf den Bund<br />
5.2.1 Finanzielle Auswirkungen<br />
Bauli<strong>ch</strong>e Anpassung von Gebäuden und Anlagen<br />
Der Bundesrat hat am 6. März 1989 Weisungen über bauli<strong>ch</strong>e Vorkehren für Behinderte<br />
erlassen185. Darin wird die Norm SN 521 500/1988 «Behindertengere<strong>ch</strong>tes<br />
Bauen» der S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Zentralstelle für Baurationalisierung (CRB) für Bauten<br />
und Anlagen, die der Bund baut oder subventioniert, verbindli<strong>ch</strong> erklärt. Die Normen<br />
sind sowohl für Neubauten als au<strong>ch</strong> für Erweiterungsbauten und grössere Umbauten<br />
massgebli<strong>ch</strong>. Die erwähnten Weisungen finden im Behindertengesetz nun eine<br />
ausdrückli<strong>ch</strong>e Grundlage (Art. 10 Abs. 2). Für Bundesbauten und für die dur<strong>ch</strong><br />
den Bund subventionierten Bauten ist deshalb mit einer Zunahme von 2–5% der<br />
Umbau- und Renovationskosten zu re<strong>ch</strong>nen.<br />
Die öffentli<strong>ch</strong>e Hand hat 1998 insgesamt 6,7 Milliarden Franken für den Ho<strong>ch</strong>bau<br />
ausgegeben. Davon entfielen 343 Millionen Franken auf Gebäude mit Wohnungen.<br />
Das Bauvolumen des Bundes s<strong>ch</strong>wankt von Jahr zu Jahr und beträgt im Dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nitt<br />
etwa 200 Millionen Franken, sodass in diesem Berei<strong>ch</strong> zusätzli<strong>ch</strong>e Kosten<br />
von rund 4–10 Millionen Franken anfallen. Bei den wenigen Genossens<strong>ch</strong>aftswohnungen<br />
des Bundespersonals, die mehr als 8 Wohneinheiten aufweisen, dürften die<br />
Mehrkosten im Renovationsfall etwa 10–20% betragen. Der Bund subventioniert<br />
jährli<strong>ch</strong> Bauten mit einer gesamten Bausumme von etwa 800 Millionen Franken.<br />
Der Anteil des Bundes variiert je na<strong>ch</strong> Berei<strong>ch</strong> und beträgt im Dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nitt etwa<br />
20%, sodass si<strong>ch</strong> in diesem Berei<strong>ch</strong> jährli<strong>ch</strong>e Mehrkosten von etwa 3–8 Millionen<br />
Franken ergeben. Von den insgesamt rund 15 000 Genossens<strong>ch</strong>aftswohnungen des<br />
Bundes für seine Angestellten befinden si<strong>ch</strong> etwa drei Viertel in Gebäuden mit mehr<br />
als a<strong>ch</strong>t Wohneinheiten. Die jährli<strong>ch</strong>en Umbauten und Renovationen in diesen Gebäuden<br />
kosten im Dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nitt 20 Millionen Franken. Die dur<strong>ch</strong> die behindertengere<strong>ch</strong>te<br />
Anpassung bedingten Mehrkosten werden auf 2–4 Millionen ges<strong>ch</strong>ätzt.<br />
185 BBl 1989 I 1508, vgl. Ziff. 4.3.2 (zu Art. 10)<br />
1797
Für die behindertengere<strong>ch</strong>te Ausgestaltung der Bauten, die dem Rat der Eidgenössis<strong>ch</strong>en<br />
Te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>en Ho<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ulen unterstellt sind, ist mit bauli<strong>ch</strong>en Anpassungen in<br />
der Höhe von rund 10 Millionen Franken zu re<strong>ch</strong>nen 186. Diese Kosten verteilen<br />
si<strong>ch</strong> auf eine Zeitperiode, deren Dauer vom Renovationsrhythmus abhängt.<br />
Bei der Erfüllung seiner Aufgaben hat der Bund sowohl die Anliegen der Behinderten<br />
als au<strong>ch</strong> die Interessen der Denkmalpflege zu berücksi<strong>ch</strong>tigen. Im Einzelfall<br />
können dem Bund deshalb bei der behindertengere<strong>ch</strong>ten Ausgestaltung von Bauten<br />
zusätzli<strong>ch</strong>e Kosten dur<strong>ch</strong> die Bea<strong>ch</strong>tung denkmalpflegeris<strong>ch</strong>er Aspekte entstehen.<br />
Das Ausmass dieser Kosten lässt si<strong>ch</strong> nur im konkreten Einzelfall beziffern.<br />
Für künftige Strassenbauten ergeben si<strong>ch</strong> für den Bund in der Regel keine nennenswerten<br />
Mehrkosten. Eine behindertengere<strong>ch</strong>te Ausgestaltung der Flu<strong>ch</strong>twege in<br />
Tunnels könnte hingegen die Baukosten spürbar erhöhen.<br />
Die erwähnten Kosten sind im Rahmen der bewilligten Kredite dur<strong>ch</strong> die Verlagerung<br />
von Prioritäten aufzufangen.<br />
Anpassung der Dienstleistungen des Bundes<br />
Der Bund erbringt vers<strong>ch</strong>iedene Dienstleistungen, die einem breiten Publikum angeboten<br />
werden. Zu erwähnen sind beispielsweise die Landesbibliothek, das Landesmuseum<br />
in Züri<strong>ch</strong> und Prangins, das Eidgenössis<strong>ch</strong>e Handelsregister, das Bundesar<strong>ch</strong>iv,<br />
die Eidgenössis<strong>ch</strong>e Sports<strong>ch</strong>ule Magglingen sowie die Eidgenössis<strong>ch</strong>en<br />
Te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>en Ho<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ulen (ETH) in Züri<strong>ch</strong> und Lausanne. Die Dienstleistungen dieser<br />
Institutionen müssen Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen grundsätzli<strong>ch</strong> zugängli<strong>ch</strong><br />
sein. Es ist ni<strong>ch</strong>t mit umfangrei<strong>ch</strong>en Anpassungen und deshalb au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mit nennenswerten<br />
Mehrauslagen zu re<strong>ch</strong>nen.<br />
Personalkosten<br />
Das Behindertengesetz wirkt si<strong>ch</strong> für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Behinderungen<br />
insofern positiv aus, als sie beim Bund verbesserte Anstellungs<strong>ch</strong>ancen<br />
erhalten. Die vermehrte Anstellung von Mens<strong>ch</strong>en, die trotz Behinderung voll leistungsfähig<br />
sind, führt mögli<strong>ch</strong>erweise zu erhöhten Kosten für die Ausgestaltung und<br />
Anpassung der Arbeitsplätze. Die Mehraufwendungen lassen si<strong>ch</strong> jedo<strong>ch</strong> zur Zeit<br />
ni<strong>ch</strong>t beziffern.<br />
Mit der Anstellung von Personen, die wegen ihrer Behinderung kein volles Arbeitspensum<br />
erbringen können (so genannte Erwerbsbehinderte), entstehen zusätzli<strong>ch</strong>e<br />
Kosten. Zurzeit wendet der Bund für rund 160 sol<strong>ch</strong>e Personen 7,5 Millionen<br />
Franken jährli<strong>ch</strong> auf. Da si<strong>ch</strong> kaum abs<strong>ch</strong>ätzen lässt, wie stark si<strong>ch</strong> der Anteil dieser<br />
Personen am Gesamtbestand des Personals steigern lässt, können die finanziellen<br />
Folgen in dieser Hinsi<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t näher konkretisiert werden.<br />
Die erwähnten Kosten sind im Rahmen der bewilligten Kredite dur<strong>ch</strong> die Verlagerung<br />
von Prioritäten aufzufangen.<br />
Verfahrenskosten<br />
Mit dem subjektiven Bes<strong>ch</strong>werdere<strong>ch</strong>t werden säumige Eigentümer oder Dienstleistungsanbieter<br />
zum Handeln gezwungen. In wel<strong>ch</strong>em Umfang vom Bes<strong>ch</strong>werdere<strong>ch</strong>t<br />
Gebrau<strong>ch</strong> gema<strong>ch</strong>t werden wird, lässt si<strong>ch</strong> zur Zeit ni<strong>ch</strong>t abs<strong>ch</strong>ätzen. Das Behindertengesetz<br />
sieht vers<strong>ch</strong>iedene Übergangsfristen für den öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr<br />
186 Wi<strong>ch</strong>tigste Positionen: ETH Züri<strong>ch</strong> (5,3 Mio. Franken), Eidg. Materialprüfungs- und<br />
Fors<strong>ch</strong>ungsanstalt (3 Mio. Franken)<br />
1798
vor, sodass den dur<strong>ch</strong> das Gesetz Verpfli<strong>ch</strong>teten angemessene Zeit zum Handeln zur<br />
Verfügung steht. Der Re<strong>ch</strong>tsanspru<strong>ch</strong> auf Beseitigung der Bena<strong>ch</strong>teiligung bzw. auf<br />
eine Ersatzlösung besteht jedo<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on ab Inkrafttreten des Gesetzes. Es wird ab Inkrafttreten<br />
glei<strong>ch</strong>zeitig au<strong>ch</strong> eine präventive Wirkung auf Anbieter von Dienstleistungen<br />
und auf Grundeigentümer haben. Damit dürfte das Konfliktpotential eher<br />
gering sein; es ist ni<strong>ch</strong>t mit einer Flut von Bes<strong>ch</strong>werden zu re<strong>ch</strong>nen.<br />
Das Bes<strong>ch</strong>werdere<strong>ch</strong>t, das den Behindertenorganisationen eingeräumt wird, ermögli<strong>ch</strong>t<br />
den Bere<strong>ch</strong>tigten, in einem frühen Verfahrensstadium (Plangenehmigung,<br />
Fahrzeugzulassung) einzugreifen. Es gewährleistet, dass die Anliegen Behinderter<br />
von Anfang an in die Ausgestaltung von Dienstleistungen einbezogen werden. Dadur<strong>ch</strong><br />
kann die Zahl der Bes<strong>ch</strong>werden betroffener Personen im Zeitpunkt der Inanspru<strong>ch</strong>nahme<br />
der Dienstleistungen (subjektive Re<strong>ch</strong>te gemäss Art. 7) auf einem sehr<br />
tiefen Niveau gehalten werden. Quantitative S<strong>ch</strong>ätzungen über die Zahl der zu erwartenden<br />
Bes<strong>ch</strong>werden und die dadur<strong>ch</strong> bedingte Mehrbelastung der Bes<strong>ch</strong>werdeinstanzen<br />
sind in diesem Berei<strong>ch</strong> zur Zeit zwar ni<strong>ch</strong>t mögli<strong>ch</strong>. Die Erfahrungen<br />
mit der Verbandsbes<strong>ch</strong>werde im Umwelts<strong>ch</strong>utzberei<strong>ch</strong> zeigt indessen, dass von diesem<br />
Instrument massvoll und überdur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong> oft mit Re<strong>ch</strong>t Gebrau<strong>ch</strong> gema<strong>ch</strong>t<br />
wird 187. Mit dem Bes<strong>ch</strong>werdere<strong>ch</strong>t wird im Übrigen ein Instrument eingesetzt, an<br />
dessen Stelle sonst entspre<strong>ch</strong>ende Konstrollinstanzen der Verwaltung aufgebaut<br />
werden müssten.<br />
Programme und Beratung<br />
Mit Artikel 12 und 13 soll der Bund beauftragt werden, in den vers<strong>ch</strong>iedenen Berei<strong>ch</strong>en<br />
Programme zur Integration Behinderter selbst zu lancieren und dur<strong>ch</strong>zuführen<br />
wie au<strong>ch</strong> mit Dritten gemeinsam an die Hand zu nehmen. Erfahrungsgemäss sind für<br />
eine na<strong>ch</strong>haltige Integrationspolitik au<strong>ch</strong> entspre<strong>ch</strong>ende Informations- und Sensibilisierungsmassnahmen<br />
erforderli<strong>ch</strong>. Um hier eine wirkungsvolle Aufbauarbeit leisten<br />
zu können, sind anfängli<strong>ch</strong> finanzielle Mittel von rund 5–8 Millionen Franken jährli<strong>ch</strong><br />
zur Verfügung zu stellen.<br />
Evaluationen<br />
Die ergriffenen Massnahmen sollen periodis<strong>ch</strong> in einer Evaluationsexpertise auf ihre<br />
Wirksamkeit und Treffgenauigkeit untersu<strong>ch</strong>t werden. Die Ergebnisse dieser Untersu<strong>ch</strong>ungen<br />
werden es den politis<strong>ch</strong>en Organen erlauben, die Behindertenpolitik<br />
zielgeri<strong>ch</strong>tet weiterzuentwickeln. Für die Evaluation ist mit jährli<strong>ch</strong>en Kosten von<br />
etwa Fr. 250 000.– zu re<strong>ch</strong>nen.<br />
Öffentli<strong>ch</strong>er Verkehr<br />
Vom Behindertenglei<strong>ch</strong>stellungsgesetz soll ein Impuls ausgehen, der eine bes<strong>ch</strong>leunigte<br />
Anpassung der Infrastrukturen namentli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> im öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr bewirkt.<br />
Die ordentli<strong>ch</strong>en Ersatz- und Renovationsrhythmen sind in diesem Berei<strong>ch</strong><br />
mit bis zu 50 Jahren eindeutig zu langsam. Der öffentli<strong>ch</strong>e Verkehr ist über weite<br />
Strecken auf die finanzielle Unterstützung dur<strong>ch</strong> die öffentli<strong>ch</strong>e Hand angewiesen.<br />
Deshalb werden si<strong>ch</strong> Bund und Kantone au<strong>ch</strong> an den Mehrkosten beteiligen müssen,<br />
die dur<strong>ch</strong> die Umstellung auf behindertengere<strong>ch</strong>tere Bauten, Anlagen und Fahrzeuge<br />
in der Übergangsphase na<strong>ch</strong> Artikel 16 entstehen.<br />
187 Vgl. die Untersu<strong>ch</strong>ung von A. Flückiger, Ch. A. Morand, Th. Tanquerel, Evaluation du<br />
droit de recours des organisations de protection de l’environnement, BUWAL, Bern 2000<br />
1799
Am Verteils<strong>ch</strong>lüssel der Kosten im öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr zwis<strong>ch</strong>en Bund und<br />
Kantonen soll im Rahmen dieser Vorlage grundsätzli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts geändert werden. Artikel<br />
17 verpfli<strong>ch</strong>tet in diesem Sinn sowohl den Bund als au<strong>ch</strong> die Kantone, den<br />
Verkehrsunternehmen im Berei<strong>ch</strong> ihrer Zuständigkeit Finanzhilfen zu gewähren. Für<br />
den Bund wird ein Zahlungsrahmen von 300 Millionen Franken verteilt auf die<br />
Dauer von 20 Jahren vorgesehen. Weitere Ausführungen zu den Kosten im öffentli<strong>ch</strong>en<br />
Verkehr vgl. Ziff. 5.4.2.<br />
Sozialversi<strong>ch</strong>erung<br />
Die individuellen Leistungen na<strong>ch</strong> den Artikeln 16–19 und 21 des Bundesgesetzes<br />
über die Invalidenversi<strong>ch</strong>erung 188 werden dur<strong>ch</strong> den bundesrätli<strong>ch</strong>en Gegenentwurf<br />
ni<strong>ch</strong>t tangiert. Hingegen ergeben si<strong>ch</strong> Übers<strong>ch</strong>neidungen des kollektiven Berei<strong>ch</strong>s<br />
der Invalidenversi<strong>ch</strong>erung (Art. 73 f. IVG) und den in den Artikeln 12 und 13 des<br />
Gesetzesentwurfs vorgesehenen Massnahmen (Programme, Information und Beratung).<br />
Da mit dem Gegenentwurf eine Ergänzung der IVG-Massnahmen angestrebt<br />
wird, ergeben si<strong>ch</strong> keine finanziellen Auswirkungen auf die Invalidenversi<strong>ch</strong>erung.<br />
Auf Verordnungsebene ist indessen für die Koordination der Massnahmen zu sorgen,<br />
die si<strong>ch</strong> auf diese beiden Gesetze stützen189. Mit einer stärkeren Integration Behinderter im Arbeitsprozess wird unter Umständen<br />
ni<strong>ch</strong>t nur die Invalidenversi<strong>ch</strong>erung entlastet, sondern au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t unwesentli<strong>ch</strong> die<br />
Arbeitslosenversi<strong>ch</strong>erung. Stellenlose Behinderte, die vermittlungsfähig sind, gelten<br />
wie au<strong>ch</strong> Ni<strong>ch</strong>tbehinderte als arbeitslos und haben somit Anspru<strong>ch</strong> auf Leistungen<br />
der Arbeitslosenversi<strong>ch</strong>erung.<br />
Steuereinnahmen<br />
Die vorges<strong>ch</strong>lagenen Änderungen im Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer<br />
führen zu einer Steuerentlastung behinderter Steuerpfli<strong>ch</strong>tiger. Es fehlen die statistis<strong>ch</strong>en<br />
Grundlagen, um die Grössenordnung dieser Entlastung genau zu quantifizieren.<br />
Der Ausfall von Steuereinnahmen dürfte jedo<strong>ch</strong> insgesamt sehr gering sein.<br />
Die vers<strong>ch</strong>iedenen im Behindertengesetz vorgesehenen Massnahmen sollen dazu<br />
führen, dass Behinderte vermehrt in die Gesells<strong>ch</strong>aft und damit au<strong>ch</strong> in den Arbeitsprozess<br />
integriert werden können. Die damit erzielten Einkommen werden eine Zunahme<br />
der Einnahmen bei den direkten und indirekten Steuern bewirken. Au<strong>ch</strong> hier<br />
lassen si<strong>ch</strong> zur Zeit keine verlässli<strong>ch</strong>en quantitativen Angaben ma<strong>ch</strong>en.<br />
Informatik<br />
Auf die Informatik sind keine Auswirkungen zu erwarten.<br />
5.2.2 Personelle Auswirkungen<br />
Vers<strong>ch</strong>iedene Verwaltungseinheiten haben bereits Fa<strong>ch</strong>stellen für Behindertenfragen<br />
eingeri<strong>ch</strong>tet, so beispielsweise das Bundesamt für Verkehr. Für umfassende Fragen<br />
und Aufgaben (Vollzug im Allgemeinen, Beratung, Betreuung der Förderungsprogramme)<br />
drängt si<strong>ch</strong> indessen eine neue, in der allgemeinen Bundesverwaltung<br />
integrierte Verwaltungsstelle auf, der unter anderem au<strong>ch</strong> die Koordination der Ar-<br />
188 IVG, SR 831.20<br />
189 Vgl. au<strong>ch</strong> Ziff. 4.3 (zu Art. 12) und Ziff. 4.3.5<br />
1800
eiten und der Kriterien in den vers<strong>ch</strong>iedenen s<strong>ch</strong>on bestehenden Fa<strong>ch</strong>stellen obliegen<br />
müsste. Die Bewältigung dieser Aufgaben verlangt die S<strong>ch</strong>affung zusätzli<strong>ch</strong>er<br />
drei bis vier Stellen. Es ist vorgesehen, diese Verwaltungseinheit dem EDI (wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong><br />
dem Bundesamt für Sozialversi<strong>ch</strong>erung) anzugliedern, das mit den entspre<strong>ch</strong>enden<br />
Mitteln auszustatten ist 190.<br />
5.2.3 Übersi<strong>ch</strong>t über die finanziellen Auswirkungen<br />
Die jährli<strong>ch</strong>en finanziellen Mehraufwendungen des Bundes lassen si<strong>ch</strong> wie folgt zusammenfassen:<br />
Massnahmen Kostens<strong>ch</strong>ätzung<br />
(in Mio. Fr. jährli<strong>ch</strong>)<br />
Bauten des Bundes 4–10<br />
Subventionen für die vom Bund mitfinanzierten Bauten 3–8<br />
Genossens<strong>ch</strong>aftswohnungen des Bundes 2–4<br />
Bauten, die der ETH unterstellt sind191 2<br />
Programme und Beratung 5–8<br />
Evaluationen 0,25<br />
Finanzhilfen an den öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr192 15<br />
Total 31,25–47,25<br />
5.2.4 Ausgabenbremse<br />
Artikel 159 Absatz 3 Bu<strong>ch</strong>stabe b BV sieht zum Zweck der Ausgabenbegrenzung<br />
vor, dass Subventionsbestimmungen sowie Verpfli<strong>ch</strong>tungskredite und Zahlungsrahmen,<br />
die neue einmalige Ausgaben von mehr als 20 Millionen Franken oder wiederkehrende<br />
Ausgaben von mehr als zwei Millionen Franken na<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong> ziehen, in<br />
jedem der beiden Räte der Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder bedürfen. Artikel<br />
17 des Gesetzes und der Bundesbes<strong>ch</strong>luss über die Finanzierung der Massnahmen<br />
im öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr zu Gunsten von Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen unterstehen<br />
demzufolge der Ausgabenbremse.<br />
5.3 Auswirkungen auf die Kantone und die Gemeinden<br />
5.3.1 Finanzielle Auswirkungen<br />
190 Vgl. au<strong>ch</strong> Ziff. 4.3.5<br />
191 Es sind Gesamtkosten von 10 Millionen Franken zu erwarten, die si<strong>ch</strong> je na<strong>ch</strong><br />
Renovationsrhythmus auf die nä<strong>ch</strong>sten Jahren verteilen. In der Tabelle wird von der<br />
Verteilung auf 5 Jahre ausgegangen.<br />
192 Vorgesehen ist ein Zahlungsrahmen von 300 Millionen Franken für eine Zeitspanne von<br />
20 Jahren (vgl. Art. 16 f.)<br />
1801
Bauli<strong>ch</strong>e Anpassung der Gebäude und Anlagen<br />
Die Baugesetzgebung der Kantone ist in Bezug auf die Berücksi<strong>ch</strong>tigung der Anliegen<br />
Behinderter forts<strong>ch</strong>rittli<strong>ch</strong>193. Es kann davon ausgegangen werden, dass für die<br />
Anpassung der öffentli<strong>ch</strong> zugängli<strong>ch</strong>en Bauten der Kantone und Gemeinden keine<br />
grossen Zusatzkosten entstehen, da die Baugesetze bereits heute für Neubauten und<br />
oft au<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on für Renovationen die Bea<strong>ch</strong>tung der Anliegen der Behinderten vorsehen.<br />
Dasselbe gilt für die Anlagen, für die die Kantone oder die Gemeinden verantwortli<strong>ch</strong><br />
sind (Parks, S<strong>ch</strong>wimmbäder, Stadien usw.).<br />
Ein gewisser Handlungsbedarf ist bei den Fusswegen gegeben. Das Behindertengesetz<br />
greift aber au<strong>ch</strong> hier nur bei Neubauten und bei umfassenden Sanierungen.<br />
Kantone und Gemeinden sind also ni<strong>ch</strong>t gezwungen, die bestehenden Fusswege sofort<br />
den Bedürfnissen Behinderter anzupassen.<br />
Es ist absehbar, dass künftig immer mehr Dienstleistungen elektronis<strong>ch</strong> angeboten<br />
werden (Handelsregisterauskünfte, Kontakte mit der Einwohnerkontrolle, elektronis<strong>ch</strong>e<br />
Abstimmungen usw.). Diese Entwicklung wird die Situation hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> der<br />
no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t behindertengere<strong>ch</strong>t gestalteten Altbauten ents<strong>ch</strong>ärfen.<br />
Anpassung der Dienstleistungen der Kantone<br />
Die Kantone und Gemeinden erbringen vers<strong>ch</strong>iedene Dienstleistungen, die einem<br />
breiten Publikum angeboten werden. Zu erwähnen sind beispielsweise die Registerämter<br />
(Grundbu<strong>ch</strong>, Handelsregister, Zivilstandsregister), Freizeit- und Sportanlagen,<br />
Museen, Theater usw. Die Dienstleistungen dieser Institutionen müssen Mens<strong>ch</strong>en<br />
mit Behinderungen grundsätzli<strong>ch</strong> zugängli<strong>ch</strong> sein. Quantitative Angaben für allfällige<br />
Anpassungen lassen si<strong>ch</strong> im heutigen Zeitpunkt ni<strong>ch</strong>t ma<strong>ch</strong>en.<br />
S<strong>ch</strong>ulen<br />
Das Behindertengesetz verlangt von den Kantonen insbesondere, dass sie hör- und<br />
sehbehinderten Kindern im Rahmen des Grunds<strong>ch</strong>ulunterri<strong>ch</strong>ts die Gebärdenspra<strong>ch</strong>e<br />
beziehungsweise die Blindens<strong>ch</strong>rift lehren. Au<strong>ch</strong> hier soll die Integration in die Gesells<strong>ch</strong>aft<br />
im Normalfall Vorrang haben vor mögli<strong>ch</strong>erweise kostengünstigeren Lösungen<br />
dur<strong>ch</strong> Sonders<strong>ch</strong>ulung.<br />
Verfahrenskosten<br />
Für die Auswirkungen der neu eingeführten Klage- und Bes<strong>ch</strong>werdemögli<strong>ch</strong>keiten<br />
im Sinne von Artikel 7 kann auf die Aussagen in Ziff. 5.2.1 verwiesen werden.<br />
Öffentli<strong>ch</strong>er Verkehr<br />
Wie s<strong>ch</strong>on in Ziffer 5.2.1 dargelegt, sind im Berei<strong>ch</strong> des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs zusätzli<strong>ch</strong>e<br />
Mittel der Gemeinwesen nötig, um den gewüns<strong>ch</strong>ten Erneuerungsimpuls<br />
verwirkli<strong>ch</strong>en zu können. Am Verteils<strong>ch</strong>lüssel der Kosten im öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr<br />
zwis<strong>ch</strong>en Bund und Kantonen soll im Rahmen dieser Vorlage jedo<strong>ch</strong> grundsätzli<strong>ch</strong><br />
ni<strong>ch</strong>ts geändert werden. Artikel 17 verpfli<strong>ch</strong>tet in diesem Sinn sowohl den Bund als<br />
au<strong>ch</strong> die Kantone, den Verkehrsunternehmen im Berei<strong>ch</strong> ihrer Zuständigkeit Finanzhilfen<br />
zu gewähren. Die Höhe der Mehrkosten dürfte si<strong>ch</strong> für die Kantone bei<br />
einer Übergangsfrist von 20 Jahren in einer ähnli<strong>ch</strong>en Höhe bewegen wie für den<br />
Bund, also etwa 300 Millionen Franken, verteilt auf diese Übergangsfrist. Weitere<br />
Ausführungen zu den Kosten im öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr vgl. Ziff. 5.4.2.<br />
193 Vgl. Ziff. 2.3.2.3<br />
1802
5.3.2 Personelle Auswirkungen<br />
Das Behindertengesetz setzt keine besonderen Verwaltungseinheiten in den Kantonen<br />
oder Gemeinden voraus. Es ist mit keinen nennenswerten Mehrbelastungen zu<br />
re<strong>ch</strong>nen.<br />
5.4 Volkswirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Auswirkungen<br />
5.4.1 Zugang zu Gebäuden und Anlagen<br />
Die bauli<strong>ch</strong>e Anpassung öffentli<strong>ch</strong> zugängli<strong>ch</strong>er Gebäude und Anlagen kommt in<br />
erster Linie den mobilitäts- und sehbehinderten Personen, die im Sinne des Gesetzesentwurfs<br />
als Personen mit Behinderungen zu betra<strong>ch</strong>ten sind, zugute. Darüber<br />
hinaus dienen diese Änderungen au<strong>ch</strong> Betagten, deren Geh- und Sehfähigkeit abgenommen<br />
hat, sowie Erwa<strong>ch</strong>senen mit Kleinkindern.<br />
Zu bea<strong>ch</strong>ten ist, dass das Baure<strong>ch</strong>t in fast allen Kantonen s<strong>ch</strong>on heute Vors<strong>ch</strong>riften<br />
für behindertengere<strong>ch</strong>tes Bauen kennt194. Mit dem Behindertengesetz wird also<br />
ni<strong>ch</strong>t ein Bauteuerungss<strong>ch</strong>ub in der vollen Höhe der Kosten ausgelöst, die dur<strong>ch</strong><br />
bauli<strong>ch</strong>e Massnahmen zu Gunsten Behinderter verursa<strong>ch</strong>t werden; der Zusatzaufwand<br />
dürfte si<strong>ch</strong> angesi<strong>ch</strong>ts der forts<strong>ch</strong>rittli<strong>ch</strong>en kantonalen Gesetzgebung auf einen<br />
Bru<strong>ch</strong>teil dieser Summe bes<strong>ch</strong>ränken.<br />
Der vom Bund geförderte Wohnungsbau entspri<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>on seit den A<strong>ch</strong>tzigerjahren<br />
weitgehend den Anforderungen an behindertengere<strong>ch</strong>tes Bauen. Deshalb ergeben<br />
si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> die Vorlage nur bes<strong>ch</strong>eidene Mehrkosten. Betroffen sind etwa 20% der<br />
Gebäude. In diesen Bauten ist mit zusätzli<strong>ch</strong>en Kosten vor allem dur<strong>ch</strong> den Einbau<br />
von Aufzügen (4% Mehrkosten) sowie dur<strong>ch</strong> Umgebungsarbeiten bei Bauten in<br />
Hanglagen oder bei speziellen Baugrundverhältnissen (felsiger Untergrund, hoher<br />
Grundwasserspiegel usw.; 4–6% Mehrkosten) zu re<strong>ch</strong>nen. Mehr Gebäude sind im<br />
freitragenden Wohnungsbau betroffen, der staatli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mitfinanziert wird: Handlungsbedarf<br />
besteht bei etwa 60% der Gebäude, da in diesem Segment die Norm<br />
SN 521 500 bis heute nur zögerli<strong>ch</strong> umgesetzt wurde. Im Einzelfall dürften dieselben<br />
Mehrkosten anfallen wie beim geförderten Wohnungsbau (bis 4–10%). Zusammenfassend<br />
und gesamthaft betra<strong>ch</strong>tet kann festgehalten werden, dass si<strong>ch</strong> die Anlagekosten<br />
(Kosten inklusive Land) von Neubauten und umfassenden Renovationen<br />
dur<strong>ch</strong> die bauli<strong>ch</strong>en Massnahmen zu Gunsten Behinderter im Wohnungsbau um<br />
dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong> 2½% verteuern.<br />
Die Verpfli<strong>ch</strong>tung, öffentli<strong>ch</strong> zugängli<strong>ch</strong>e Bauten behindertengere<strong>ch</strong>t auszugestalten,<br />
erhöht die Baukosten der betroffenen Gebäude um 1–5%, wovon die Bauwirts<strong>ch</strong>aft<br />
(Baumeister, Aufzughersteller, Gartenbauer, Umgebungsgestalter) profitiert.<br />
Mieterinnen und Mieter von Wohnungen in Gebäuden mit mehr als a<strong>ch</strong>t Wohneinheiten<br />
kommen in den Genuss von Komfortsteigerungen (Liftanlagen, s<strong>ch</strong>wellenund<br />
treppenfreie Zugänge). Der Vermieter kann die Mehrkosten für die Anpassung<br />
an die Bedürfnisse der Behinderten grundsätzli<strong>ch</strong>, und soweit es die Marktlage erlaubt,<br />
auf die Mieten überwälzen.<br />
Vermieter sind vom Behindertengesetz insofern betroffen, als Ersteller von Wohnbauten<br />
mit mehr als a<strong>ch</strong>t Wohneinheiten verpfli<strong>ch</strong>tet werden, diese behindertengere<strong>ch</strong>t<br />
zugängli<strong>ch</strong> zu ma<strong>ch</strong>en. Die glei<strong>ch</strong>e Pfli<strong>ch</strong>t gilt für umfassende Renovationen.<br />
194 Vgl. Ziff. 2.3.2.3<br />
1803
Dies wird si<strong>ch</strong> tendenziell preiserhöhend auswirken. Für den privaten Wohnungsbau<br />
wurden etwa 17 Milliarden Franken, für den übrigen privaten Bau 10 Milliarden<br />
Franken aufgewendet. 1998 wurden 3437 Mehrfamilienhäuser mit insgesamt<br />
20 305 Wohnungen erstellt.<br />
Wer als Eigentümer ein Hotel, ein Restaurant, ein Tearoom oder eine Bar betreibt<br />
oder betreiben lässt 195, wird dur<strong>ch</strong> die Pfli<strong>ch</strong>t belastet, neue oder total erneuerte<br />
Bauten und Anlagen behindertengere<strong>ch</strong>t auszugestalten. In wel<strong>ch</strong>em Ausmass die<br />
Gastwirts<strong>ch</strong>aftsbetriebe dur<strong>ch</strong> die verbesserten Angebote neue Gäste gewinnen und<br />
wegen der Überwälzung der Mehrkosten Kunden verlieren, lässt si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t genau<br />
s<strong>ch</strong>ätzen.<br />
Eigentümer von anderen öffentli<strong>ch</strong> zugängli<strong>ch</strong>en Gebäuden (z.B. Einkaufszentren,<br />
Gebäude für öffentli<strong>ch</strong>e Veranstaltungen, Banken) unterliegen ebenfalls der Pfli<strong>ch</strong>t,<br />
diese behindertengere<strong>ch</strong>t zu bauen bzw. bei Totalsanierungen behindertengere<strong>ch</strong>t zu<br />
ers<strong>ch</strong>liessen. Ni<strong>ch</strong>t angepasste Bauten werden mit der Zeit als ni<strong>ch</strong>t mehr zeitund<br />
standardgemäss beurteilt werden und entspre<strong>ch</strong>end s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tere Markt<strong>ch</strong>ancen<br />
haben.<br />
Das verarbeitende Gewerbe dürfte vom Behindertengesetz dur<strong>ch</strong> Zusatzaufträge zusätzli<strong>ch</strong><br />
Aufträge an die Betriebe, die im Mas<strong>ch</strong>inenbau (z. B. Lifte), in der Herstellung<br />
von elektris<strong>ch</strong>en und elektronis<strong>ch</strong>en Geräten zur Folge haben.<br />
5.4.2 Zugang zu öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrsmitteln<br />
Zentraler Wirkungsberei<strong>ch</strong> des Behindertengesetzes ist der öffentli<strong>ch</strong>e Verkehr.<br />
Oftmals sind Lösungen mit individuellen statt öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrsmitteln denkbar.<br />
Ziel des Gesetzes ist es jedo<strong>ch</strong>, die Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen in der Gesells<strong>ch</strong>aft<br />
mögli<strong>ch</strong>st den ni<strong>ch</strong>t Behinderten glei<strong>ch</strong>zustellen und sie zu integrieren. Soweit es<br />
wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> vertretbar ist, sollen deshalb Transporte mit dem öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr<br />
bevorzugt werden, au<strong>ch</strong> wenn die direkten Kosten mit speziellen individuellen Verkehrsmitteln<br />
mögli<strong>ch</strong>erweise tiefer wären.<br />
Die konzessionierten Eisenbahnen eins<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> der SBB haben 1996 329,6 Millionen<br />
Personen befördert, mit den Spezialbahnen zusätzli<strong>ch</strong>e 183,7 Millionen. Auf<br />
der Strasse werden mit öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrsmitteln jährli<strong>ch</strong> etwa 1,1 Milliarden<br />
Personen befördert. Der Gesamtaufwand der SBB belief si<strong>ch</strong> 1997 auf 6631,4 Millionen<br />
Franken, wobei die Abgeltungen 2360,6 Millionen Franken ausma<strong>ch</strong>ten. Der<br />
Gesamtaufwand der konzessionierten Bahnen betrug 1997 1552,8 Millionen Franken,<br />
die Abgeltungen beliefen si<strong>ch</strong> auf 640,2 Millionen Franken.<br />
Zur Abs<strong>ch</strong>ätzung der Gesamtkosten im Berei<strong>ch</strong> öffentli<strong>ch</strong>er Verkehr hat das Bundesamt<br />
für Verkehr eine Umfrage bei den Transportunternehmen aller Kategorien<br />
(Eisenbahnen mit Normal- und S<strong>ch</strong>malspur, Busse, Tram, Seilbahnen, S<strong>ch</strong>iffe)<br />
dur<strong>ch</strong>geführt. Die weitaus hö<strong>ch</strong>sten Kosten entstehen bei den Eisenbahnen. Die<br />
na<strong>ch</strong>folgenden Zahlen basieren auf der Annahme, dass pro Zug ein Fahrzeug behindertengere<strong>ch</strong>t<br />
ausgerüstet ist, dass die Perrons in den Stützbahnhöfen sowie in<br />
ausgewählten Bahnhöfen und Haltestellen bei Normalspurbahnen eine Höhe von<br />
55 cm, bei S<strong>ch</strong>malspurbahnen von 35 cm aufweisen. Im Weiteren wird davon aus-<br />
195 Anzahl Hotels (1999): 5826 Betriebe; Anzahl Restaurants, Tearooms und Bars (1998):<br />
20 577.<br />
1804
gegangen, dass Fahrzeuge mit geringer Laufleistung (Reserve) ni<strong>ch</strong>t besonders ausgerüstet<br />
werden. Unter diesen Annahmen sind für die Umsetzung des beantragten<br />
Gesetzes Gesamtkosten für alle Verkehrskategorien zusammen in der Grössenordnung<br />
von zwis<strong>ch</strong>en 264 Millionen Franken (25-jährige Anpassungsfrist) und 985<br />
Millionen Franken (15-jährige Anpassungsfrist) zu erwarten 196. Die Anpassungen<br />
der Haltestellen allein beträgt dabei je na<strong>ch</strong> Frist etwa 185 bzw. 488 Millionen<br />
Franken, die Verbesserung der Informationssysteme 2,5 bzw. 20 Millionen Franken.<br />
Diese Zahlen verans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>en, dass die erwähnten Anpassungskosten stark davon<br />
abhängen, in wel<strong>ch</strong>em Zeitrahmen die Anpassungen vorgenommen werden. Sie<br />
steigen oder fallen mit einer Verkürzung beziehungsweise einer Verlängerung des<br />
Zeitraumes überproportional. Ohne zusätzli<strong>ch</strong>e Finanzhilfen des Bundes an die Verkehrsunternehmen<br />
müssten diese die Zusatzkosten dur<strong>ch</strong> weitere Rationalisierungsmassnahmen,<br />
vermutli<strong>ch</strong> aber au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> Leistungsabbau und/oder Erhöhung der<br />
Billettpreise auffangen. Damit würde der öffentli<strong>ch</strong>e Verkehr im Verhältnis zum<br />
Privatverkehr an Attraktivität verlieren.<br />
Die Pfli<strong>ch</strong>t zur behindertengere<strong>ch</strong>ten Ausgestaltung von Bauten gilt au<strong>ch</strong> für den<br />
Zugang zu Dienstleistungen des Flugverkehrs. Dem Flugverkehr und dem Betrieb<br />
der Flughäfen erwa<strong>ch</strong>sen aus dem vorges<strong>ch</strong>lagenen Gesetz keine nennenswerten<br />
Mehrkosten. Alle Fluggesells<strong>ch</strong>aften haben ein besonderes Konzept für den Empfang<br />
und die Betreuung behinderter Flugpassagiere. Die Flughafengebäude sind<br />
s<strong>ch</strong>on heute weitgehend behindertengere<strong>ch</strong>t ausgestaltet.<br />
5.4.3 Bau und Ausrüstung der Fahrzeuge<br />
Neu wird der Bund die Strassenverkehrsgesetzgebung, namentli<strong>ch</strong> die Vors<strong>ch</strong>riften<br />
über den Bau und die Ausrüstung von Fahrzeugen, besser auf die Bedürfnisse ausri<strong>ch</strong>ten<br />
können.<br />
Die behindertengere<strong>ch</strong>te Ausgestaltung von neuen Fahrzeugen des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs<br />
auf der Strasse (seitli<strong>ch</strong>es Absenken, elektris<strong>ch</strong>e Behindertenrampe, Rollstuhlplatz)<br />
verursa<strong>ch</strong>en zusätzli<strong>ch</strong>e Kosten in der Grösse von ca. Fr. 15 000.– pro Fahrzeug.<br />
Bei einem Fahrzeugbestand von rund 5000 Bussen und 900 Tramfahrzeugen<br />
mit einer Lebenserwartung von 15 Jahren hätte dies Kosten von jährli<strong>ch</strong> etwa 6 Millionen<br />
Franken zur Folge. Eine Anpassung bestehender Fahrzeuge wäre teurer und<br />
aus ökonomis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t kaum verhältnismässig.<br />
Das verarbeitende Gewerbe dürfte vom Behindertengesetz dur<strong>ch</strong> Zusatzaufträge<br />
profitieren. Die behindertengere<strong>ch</strong>te Ausgestaltung von Fahrzeugen wird zusätzli<strong>ch</strong>e<br />
Aufträge an die Betriebe, die im Mas<strong>ch</strong>inenbau, in der Herstellung von elektris<strong>ch</strong>en<br />
und elektronis<strong>ch</strong>en Geräten sowie im Fahrzeugbau (S<strong>ch</strong>ienenfahrzeuge, Busse) tätig<br />
sind, zur Folge haben.<br />
196 Mit 25-jähriger Anpassungsfrist entfallen davon 8,8 Mio. Fr. auf die Busunternehmungen,<br />
1 Mio. Fr. auf die Post, 190 Mio. Fr. auf die Normalspurbahnen, 59,7 Mio.<br />
Fr. auf S<strong>ch</strong>malspurbahnen, 4 Mio. Fr. auf die Seilbahnen, 720 000 Fr. auf die S<strong>ch</strong>iffe.<br />
Mit 15-jähriger Anpassungsfrist entfallen davon 48 Mio. Fr. auf die Busunternehmungen,<br />
19,2 Mio. Fr. auf die Post, 3,9 Mio. Fr. auf Tramunternehmungen, 609 Mio. Fr. auf die<br />
Normalspurbahnen, 294,2 Mio. Fr. auf S<strong>ch</strong>malspurbahnen, 8 Mio. Fr. auf die Seilbahnen,<br />
2,4 Mio. Fr. auf die S<strong>ch</strong>iffe.<br />
1805
5.4.4 Dienstleistungen<br />
Das Behindertengesetz hat Auswirkungen auf die privaten Anbieter allgemein zugängli<strong>ch</strong>er<br />
kommerzieller und kultureller Dienstleistungen (Kinos, Theater, Restaurants,<br />
Hotels, Fernsehen, Sportstadien, Detailhändler, Internetprovider usw.). Vom<br />
Geltungsberei<strong>ch</strong> erfasst werden unter anderem die über 20 regelmässig subventionierten<br />
Theater, die rund 450 kommerziellen Kinoräume und die gut 900 Museen.<br />
Wer entspre<strong>ch</strong>ende Dienstleistungen öffentli<strong>ch</strong> anbietet, darf Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen<br />
ni<strong>ch</strong>t auf Grund ihrer Behinderung bena<strong>ch</strong>teiligen und ihnen beispielsweise<br />
generell den Zutritt verweigern. Die Dienstleistung selbst muss ni<strong>ch</strong>t behindertengere<strong>ch</strong>t<br />
ausgestaltet werden. Dies bedeutet beispielsweise, dass ein Film weder<br />
untertitelt gezeigt no<strong>ch</strong> der Vorführraum mit akustis<strong>ch</strong>en Hilfsmitteln für Mens<strong>ch</strong>en<br />
mit Hörbehinderung versehen werden muss. Ebenso wenig müssen Zeitungen au<strong>ch</strong><br />
in Brailles<strong>ch</strong>rift angeboten werden.<br />
Die Bauten, in denen Dienstleistungen angeboten werden, sind vom Eigentümer bei<br />
ihrer Erstellung oder bei Totalsanierungen behindertengere<strong>ch</strong>t auszugestalten. Zur<br />
bauli<strong>ch</strong>en Seite gehören neben der Gestaltung des Eingangs au<strong>ch</strong> die Ers<strong>ch</strong>liessung<br />
aller dem Publikum zugängli<strong>ch</strong>en Berei<strong>ch</strong>e wie Foyer, Toilettenanlagen usw. Eigentümer<br />
von Bauten, in denen Detailhandel betrieben wird, müssen beispielsweise<br />
dafür sorgen, dass die Verkaufsräume und die Kassen eines Warenhauses rollstuhlgängig<br />
sind und die Liftanlage eines Einkaufszentrums au<strong>ch</strong> für Mens<strong>ch</strong>en mit Sehbehinderungen<br />
taugli<strong>ch</strong> ist.<br />
Die Tourismusbran<strong>ch</strong>e wird dur<strong>ch</strong> die Verbesserungen beim öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr<br />
von der erhöhten Mobilität Behinderter indirekt profitieren, andererseits wegen erhöhter<br />
Kosten mögli<strong>ch</strong>erweise andere Kunden verlieren.<br />
Zu den Dienstleistungen des Gemeinwesens vgl. Ziff. 5.2.1 und 5.3.1.<br />
5.4.5 Informatik<br />
Die wa<strong>ch</strong>sende Verlagerung von Dienstleistungen auf informatiklastige Infrastrukturen<br />
wie das Internet bieten für viele Behinderte Erlei<strong>ch</strong>terungen im Alltag. Die Informatik<br />
eröffnet neue Mögli<strong>ch</strong>keiten der Kommunikation und der Bes<strong>ch</strong>affung von<br />
Gütern, was insbesondere Mobilitätsbehinderten zugute kommt. Über besondere<br />
Hilfsmittel sind au<strong>ch</strong> Sehbehinderte grundsätzli<strong>ch</strong> in der Lage, Bilds<strong>ch</strong>irmtexte zu<br />
lesen und zu verfassen. Der Dienstleistungsbegriff des Behindertengesetzes erfasst<br />
au<strong>ch</strong> Internet-Dienstleistungen. Bei entspre<strong>ch</strong>enden Angeboten ist deshalb darauf zu<br />
a<strong>ch</strong>ten, dass diese ni<strong>ch</strong>t auss<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> über die Bildspra<strong>ch</strong>e aufgebaut werden, die<br />
si<strong>ch</strong> für sehbehinderte Personen kaum ers<strong>ch</strong>liessen lässt. Au<strong>ch</strong> im Berei<strong>ch</strong> der Informatik<br />
gilt für das Gemeinwesen die Pfli<strong>ch</strong>t, seine Dienstleistungen behindertengere<strong>ch</strong>t<br />
anzubieten, während Private Anbieter bloss das Diskriminierungsverbot zu<br />
bea<strong>ch</strong>ten haben. Die s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>tsordnung stösst beim international aufgebauten<br />
Internet zudem s<strong>ch</strong>nell an ihre Grenzen.<br />
5.4.6 Fernmeldedienstleistungen<br />
Die Einri<strong>ch</strong>tungen der Telekommunikation sind gerade au<strong>ch</strong> für Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen<br />
von grosser Bedeutung; sie sollen deshalb mögli<strong>ch</strong>st unbehinderten<br />
1806
Zugang zu entspre<strong>ch</strong>enden Dienstleistungen haben. Wer die Dienste der Grundversorgung<br />
anbietet, muss ein Netz von öffentli<strong>ch</strong>en Spre<strong>ch</strong>stellen betreiben. Zurzeit<br />
findet eine Konzentration und eine Verdünnung des Angebots statt. Ein minimales<br />
Angebot soll aber bestehen bleiben. Die Verordnung vom 6. Oktober 1997 über<br />
Fernmeldedienste (FDV) sieht vor, dass öffentli<strong>ch</strong>e Spre<strong>ch</strong>stellen an Orten aufgestellt<br />
werden, an denen ein ausgewiesenes Bedürfnis besteht, mindestens aber in jeder<br />
politis<strong>ch</strong>en Gemeinde eine197. Diese Spre<strong>ch</strong>stellen sollen auf die Bedürfnisse<br />
sensoris<strong>ch</strong> oder Bewegungsbehinderter ausgeri<strong>ch</strong>tet werden, soweit dies ni<strong>ch</strong>t ohnehin<br />
s<strong>ch</strong>on ges<strong>ch</strong>ehen ist.<br />
Die öffentli<strong>ch</strong>en Spre<strong>ch</strong>stellen der Swisscom sind alle mit Hörverstärkern ausgerüstet<br />
und erlauben die induktive Ankoppelung von akustis<strong>ch</strong>en Hörgeräten sowie<br />
die Benützung eines Telefons<strong>ch</strong>reibgerätes. Ein Defizit besteht ledigli<strong>ch</strong> hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong><br />
der Ausrüstung Bewegungsbehinderter in Rollstühlen: Zurzeit sind etwa 30% der<br />
öffentli<strong>ch</strong>en Spre<strong>ch</strong>stellen für Personen im Rollstuhl zugängli<strong>ch</strong>. Würden im übli<strong>ch</strong>en<br />
Ersatzrhythmus jährli<strong>ch</strong> 300 der etwa 5700 sanierungsbedürftigen Spre<strong>ch</strong>stellen<br />
erneuert, so wäre erst in knapp 20 Jahren ein flä<strong>ch</strong>endeckendes Angebot von behindertengere<strong>ch</strong>ten<br />
Spre<strong>ch</strong>stellen vorhanden. Eine umgehende Sanierung dieser<br />
Spre<strong>ch</strong>stellen würde etwa 35 Millionen kosten. Denkbar wäre au<strong>ch</strong>, Mobilitätsbehinderte<br />
mit einem Mobiltelefon auszurüsten. Die entspre<strong>ch</strong>enden Kosten für eine<br />
Erstausrüstung belaufen si<strong>ch</strong> – geht man von etwa 35 000 anspru<strong>ch</strong>sbere<strong>ch</strong>tigten<br />
Personen aus – auf rund 10 Millionen Franken. Da die Mobiltelefone aber ni<strong>ch</strong>t von<br />
allen Behinderten glei<strong>ch</strong>ermassen gut benützt werden können und höhere Gesprä<strong>ch</strong>staxen<br />
anfallen, dienen sie nur bedingt als Alternative. Dazu kommen verglei<strong>ch</strong>sweise<br />
hohe Kosten für den Unterhalt und den Ersatz dieser Geräte.<br />
5.4.7 Sendungen für Hörges<strong>ch</strong>ädigte<br />
Um Sendungen des Fernsehens au<strong>ch</strong> Mens<strong>ch</strong>en mit Hörbehinderungen zugängli<strong>ch</strong><br />
zu ma<strong>ch</strong>en, soll eine repräsentative Auswahl der Sendungen der nationalen oder<br />
spra<strong>ch</strong>regionalen Fernsehveranstalter mit Untertiteln versehen werden oder simultan<br />
in die Gebärdenspra<strong>ch</strong>e übersetzt werden. Die Kosten für die Untertitelung bei der<br />
SRG von 2,55 Millionen Franken werden heute zum Teil (1,15 Mio. Fr.) von der<br />
Invalidenversi<strong>ch</strong>erung übernommen. Die Ausdehnung des Angebots von Sendungen<br />
für Mens<strong>ch</strong>en mit Hörbehinderung auf alle Veranstalter mit nationalen und spra<strong>ch</strong>regionalen<br />
Programmen (Ziff. 4.4.5) würde diesen Veranstaltern Mehrkosten verursa<strong>ch</strong>en,<br />
die si<strong>ch</strong> mit jenen der SRG verglei<strong>ch</strong>en lassen.<br />
5.4.8 Auswirkungen auf private Arbeitgeber<br />
Der bundesrätli<strong>ch</strong>e Entwurf eines Behindertengesetzes sieht no<strong>ch</strong> keine Massnahmen<br />
vor, wel<strong>ch</strong>e die privaten Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber verpfli<strong>ch</strong>ten, Mens<strong>ch</strong>en<br />
mit Behinderungen zu bes<strong>ch</strong>äftigen, oder dur<strong>ch</strong> Anreize dazu anregen. In dieser<br />
Fassung sind deshalb vom Behindertengesetz keine nennenswerten Auswirkungen<br />
auf die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber zu erwarten. Im Rahmen der IV-<br />
197 Art. 15 Bst. e, SR 784.101.1<br />
1807
Revision sind bereits Anreizsysteme geprüft 198, in diesem Zusammenhang jedo<strong>ch</strong><br />
vor allem aus Kostengründen und wegen Unklarheit über die Wirkung der Instrumente<br />
ni<strong>ch</strong>t weiterverfolgt worden. Eine interdepartementale Arbeitsgruppe prüft die<br />
Frage vertieft und wird im Sommer <strong>2001</strong> einen Beri<strong>ch</strong>t zu dieser Thematik vorlegen<br />
199.<br />
5.5 Praktis<strong>ch</strong>e Aspekte des Vollzugs<br />
Das neue Gesetz definiert die Minimalstandards für Sa<strong>ch</strong>berei<strong>ch</strong>e (öffentli<strong>ch</strong>er Verkehr,<br />
Bauwesen, Fernmeldewesen, S<strong>ch</strong>ulwesen), die bereits einer staatli<strong>ch</strong>en Regelung<br />
von Bund oder Kantonen unterworfen sind. Es erfasst weder neue Berei<strong>ch</strong>e<br />
no<strong>ch</strong> definiert es neue Verfahren. So bringt die Definition der Bena<strong>ch</strong>teiligungen,<br />
au<strong>ch</strong> wenn sie den bestehenden Regelungen eine offenere Perspektive verleiht, weil<br />
ihre Anwendung inskünftig au<strong>ch</strong> den Bedürfnissen der Behinderten Re<strong>ch</strong>nung tragen<br />
muss, keine neuen Verfahren, sondern perfektioniert die bereits bestehenden.<br />
Der Gesetzesvollzug erfordert somit keine besonderen Verwaltungsinstanzen oder<br />
-verfahren; sie würden bloss Doppelspurigkeiten zu den bereits bestehenden verursa<strong>ch</strong>en.<br />
Im Gegenteil, die Interessen der Behinderten werden im Rahmen der ordentli<strong>ch</strong>en<br />
Verfahren berücksi<strong>ch</strong>tigt, namentli<strong>ch</strong> bei den Baubewilligungs- und<br />
Plangenehmigungsverfahren sowie bei der Konzessionserteilung. Der Grundsatz der<br />
Koordination der Verfahren wird insofern gewahrt, als die mit der Grundsatzfrage<br />
befasste Behörde au<strong>ch</strong> die Angemessenheit und die Konformität der Anlagen hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong><br />
der Bedürfnisse der Behinderten zu prüfen hat.<br />
Was die Verfahrensdauer anbelangt, sollte sie na<strong>ch</strong> einer gewissen Übergangszeit<br />
ni<strong>ch</strong>t allein deswegen länger werden, weil den neuen gesetzli<strong>ch</strong>en Erfordernissen im<br />
Bauberei<strong>ch</strong> oder im Berei<strong>ch</strong> des Leistungsangebots Re<strong>ch</strong>nung zu tragen ist. In dieser<br />
Hinsi<strong>ch</strong>t erlaubt die Handhabung der grosszügigen Übergangsfristen den Unternehmern,<br />
die konkret zu ergreifenden Massnahmen vorzuziehen, um ihre Bauten re<strong>ch</strong>tzeitig<br />
den Bedürfnissen der Behinderten anzupassen.<br />
Es ist vorgesehen, dass der Bund neue te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>e Normen erlässt. Diese Bestimmungen<br />
werden na<strong>ch</strong> Anhörung mit den betroffenen Kreisen (Kantone, Transportunternehmen,<br />
Behindertenorganisationen) ausgearbeitet. Der Bund kann au<strong>ch</strong> auf<br />
te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>e Normen privater Organisationen verweisen.<br />
Was die subjektiven Re<strong>ch</strong>te anbelangt, ist ihre Umsetzung Sa<strong>ch</strong>e der ordentli<strong>ch</strong>en<br />
zuständigen Behörden na<strong>ch</strong> den Verfahren der vers<strong>ch</strong>iedenen betroffenen Gemeinwesen<br />
(kantonale Geri<strong>ch</strong>te, Verwaltungsbehörden der Kantone oder des Bundes).<br />
Das Gesetz verlangt keine S<strong>ch</strong>affung einer besonderen Vollzugsinstanz. Auf Bundesebene<br />
obliegt der Vollzug in erster Linie den Stellen der zentralen Verwaltung<br />
im Rahmen ihres ordentli<strong>ch</strong>en Zuständigkeitsberei<strong>ch</strong>s (Verkehr, Bau und Logistik,<br />
Fernmeldeberei<strong>ch</strong>, sozialer S<strong>ch</strong>utz, Bundespersonal usw.).<br />
S<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> sei darauf hingewiesen, dass das den Behindertenorganisationen eingeräumte<br />
Bes<strong>ch</strong>werdere<strong>ch</strong>t es erlauben wird, die Verfahren auf die zentralen Fragen zu<br />
198 «Mécanisme d’incitation à l’emploi des personnes handicapées», Rapport du groupe de<br />
travail «Anreizsysteme» vom 26.3.1999<br />
199 Vgl. Ziff. 4.4.4<br />
1808
konzentrieren; dies wird dazu beitragen, eine Flut von Einzelklagen und die Verzettelung<br />
der Anstrengungen zu verhindern.<br />
6 Legislaturplanung<br />
Die re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Glei<strong>ch</strong>stellung zwis<strong>ch</strong>en den behinderten Personen und den anderen<br />
Mitgliedern unserer Gesells<strong>ch</strong>aft sowie die Beseitigung der Bena<strong>ch</strong>teiligungen, wel<strong>ch</strong>e<br />
die Behinderten beeinträ<strong>ch</strong>tigen, bilden Gegenstand der Ri<strong>ch</strong>tlinien R20 der<br />
Legislaturplanung 1999–2003 200, und die Präsentation von Gesetzesentwurf und<br />
Bots<strong>ch</strong>aft ist im Anhang 2 (Abs<strong>ch</strong>nitt 3.1 «Soziale Si<strong>ch</strong>erheit und Gesundheit»,<br />
Rubrik «Ri<strong>ch</strong>tlinienges<strong>ch</strong>äfte») 201 angekündigt worden.<br />
7 Völkerre<strong>ch</strong>t<br />
7.1 UNO<br />
7.1.1 Empfehlungen und Programme<br />
Die Re<strong>ch</strong>te der Behinderten bes<strong>ch</strong>äftigen die Vereinten Nationen und andere internationale<br />
Organisationen s<strong>ch</strong>on seit längerem. In den Siebzigerjahren verabs<strong>ch</strong>iedete<br />
die Generalversammlung der UNO zwei Deklarationen202 zu den Re<strong>ch</strong>ten Behinderter.<br />
Ein Jahr na<strong>ch</strong> dem internationalen Jahr der Behinderten (1981) nahm sie das<br />
«Weltaktionsprogramm für behinderte Personen» 203 (Programme Mondial d’Action<br />
(PMA) concernant les personnes handicapées) an.<br />
Um den Staaten und Organisationen einen zeitli<strong>ch</strong>en Rahmen zur Umsetzung des<br />
Weltaktionsprogramms zu geben, proklamierte die Generalversammlung die Jahre<br />
1983–1992 zur «Dekade der Vereinten Nationen für die Behinderten» 204. Eines der<br />
wesentli<strong>ch</strong>sten Ergebnisse der Dekade war die Verabs<strong>ch</strong>iedung der «Grundsätze für<br />
die Glei<strong>ch</strong>stellung Behinderter» 205 (Règles Standards sur l’Egalisation des Opportunités<br />
pour les Personnes Handicapées) dur<strong>ch</strong> die Generalversammlung im Jahre<br />
1993. Diese Grundsätze sind zwar re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> unverbindli<strong>ch</strong>, do<strong>ch</strong> verpfli<strong>ch</strong>ten sie die<br />
Regierungen zumindest politis<strong>ch</strong> und moralis<strong>ch</strong>, Massnahmen zur Glei<strong>ch</strong>stellung<br />
Behinderter zu treffen.<br />
7.1.2 Konventionen<br />
7.1.2.1 Allgemeine Diskriminierungsverbote der UNO-Pakte<br />
Es gibt heute kein re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> verbindli<strong>ch</strong>es internationales Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>tsinstrument,<br />
wel<strong>ch</strong>es si<strong>ch</strong> auss<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> den Re<strong>ch</strong>ten der Behinderten widmet. Vor allem<br />
200 BBl 2000 2299; vgl. au<strong>ch</strong> 2315<br />
201 BBl 2000 2327<br />
202 «Declaration on the Rights of Disables Persons» vom 9. Dezember 1975 (Resolution 3447<br />
(XXX)) und «Declaration on the Rights of Mentally Retarded Persons» vom<br />
20. Dezember 1971 (Resolution 2856 (XXVI).<br />
203 Von der Generalversammlung verabs<strong>ch</strong>iedet am 3. Dezember 1982, Resolution A/37/52.<br />
204 Resolution 37/53<br />
205 Annex zur Resolution A/48/96 der Generalversammlung vom 20. Dezember 1993.<br />
1809
neuere Übereinkommen nehmen aber punktuell Bezug auf die Behinderten. Die älteren<br />
UNO-Pakte aus dem Jahre 1966 enthalten no<strong>ch</strong> keine Bestimmung, die si<strong>ch</strong> ausdrückli<strong>ch</strong><br />
mit den Re<strong>ch</strong>ten Behinderter auseinander setzt. Die Artikel, die das allgemeine<br />
Diskriminierungsverbot beinhalten 206, nennen die Behinderung ni<strong>ch</strong>t ausdrückli<strong>ch</strong><br />
unter den Diskriminierungsmerkmalen, do<strong>ch</strong> können si<strong>ch</strong> selbstverständli<strong>ch</strong><br />
au<strong>ch</strong> die Behinderten darauf berufen.<br />
7.1.2.2 Internationaler Pakt über wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e, soziale<br />
und kulturelle Re<strong>ch</strong>te (Pakt I)<br />
Der Auss<strong>ch</strong>uss für wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e, soziale und kulturelle Re<strong>ch</strong>te verabs<strong>ch</strong>iedete<br />
1994 zum Internationalen Pakt über wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e, soziale und kulturelle Re<strong>ch</strong>te207 eine Allgemeine Bemerkung, die si<strong>ch</strong> mit den Re<strong>ch</strong>ten Behinderter befasst208. Mehrere<br />
der dort formulierten Forderungen werden dur<strong>ch</strong> den Entwurf erfüllt.<br />
Im Zusammenhang mit Artikel 6, der das Re<strong>ch</strong>t jedes Einzelnen garantiert, seinen<br />
Lebensunterhalt dur<strong>ch</strong> frei gewählte oder angenommene Arbeit verdienen zu können,<br />
wird in Anlehnung an die oben erwähnten Grundsätze gefordert, dass den Behinderten<br />
die glei<strong>ch</strong>en Mögli<strong>ch</strong>keiten einer produktiven und entlöhnten Arbeit auf<br />
dem Arbeitsmarkt offen stehen müssen. Damit dies zutreffe, müssten zuerst die Hindernisse<br />
beseitigt werden, wel<strong>ch</strong>e den Zugang zu einer Arbeitsstelle verhinderten<br />
(Ziff. 22). Dabei wird ni<strong>ch</strong>t bloss die Rollstuhlgängigkeit des Arbeitsplatzes genannt,<br />
sondern die Regierungen werden au<strong>ch</strong> aufgefordert, darauf zu a<strong>ch</strong>ten, dass<br />
die Transportmittel den an einer Behinderung leidenden Personen zugängli<strong>ch</strong> sind.<br />
Denn der Zugang zu geeigneten und allenfalls den individuellen Bedürfnissen speziell<br />
angepassten Transportmitteln sei für an einer Behinderung leidende Personen<br />
zur Verwirkli<strong>ch</strong>ung praktis<strong>ch</strong> aller im Pakt anerkannten Re<strong>ch</strong>te unerlässli<strong>ch</strong><br />
(Ziff. 23).<br />
Bezügli<strong>ch</strong> Artikel 7, der das Re<strong>ch</strong>t auf gere<strong>ch</strong>te und günstige Arbeitsbedingungen<br />
festhält, stellt der Auss<strong>ch</strong>uss fest, dass die an einer Behinderung leidenden Arbeitnehmerinnen<br />
und -nehmer in keiner Weise diskriminiert werden dürften, weder bezügli<strong>ch</strong><br />
des Lohnes no<strong>ch</strong> bezügli<strong>ch</strong> der anderen Arbeitsbedingungen, wenn sie glei<strong>ch</strong>e<br />
Arbeit ausführen wie die übrigen Arbeitnehmer (Ziff. 25).<br />
Ein anderes wi<strong>ch</strong>tiges Re<strong>ch</strong>t im Zusammenhang mit dem vorliegenden Entwurf ist<br />
das Re<strong>ch</strong>t auf Teilnahme am kulturellen Leben und auf Teilhabe am wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />
Forts<strong>ch</strong>ritt (Art. 15). S<strong>ch</strong>on die Grundsätze sahen vor, dass «die Staaten dafür<br />
besorgt sein sollten, dass die Behinderten die Mögli<strong>ch</strong>keit haben, ihr s<strong>ch</strong>öpferis<strong>ch</strong>es,<br />
206 Art. 2 des Internationalen Paktes über wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e, soziale und kulturelle Re<strong>ch</strong>te<br />
(Pakt I) sowie Art. 2 und 26 des Internationalen Paktes über bürgerli<strong>ch</strong>e und politis<strong>ch</strong>e<br />
Re<strong>ch</strong>te (Pakt II).<br />
207 Pakt I, SR 0.103.1<br />
208 Allgemeine Bemerkung 5 [11] (1994). Der Auss<strong>ch</strong>uss nennt darin die Verpfli<strong>ch</strong>tung der<br />
Vertragsstaaten, «konkrete Massnahmen zur Verminderung struktureller Na<strong>ch</strong>teile zu<br />
treffen und den an einer Behinderung leidenden Personen eine geeignete bevorzugte<br />
Behandlung zukommen zu lassen, um zu errei<strong>ch</strong>en, dass diesen Personen die volle,<br />
uneinges<strong>ch</strong>ränkte Teilnahme und die Glei<strong>ch</strong>behandlung im Rahmen der Gesells<strong>ch</strong>aft<br />
gewährleistet wird» (Ziff. 9). Dabei strei<strong>ch</strong>t er hervor, dass ni<strong>ch</strong>t nur der öffentli<strong>ch</strong>e<br />
Sektor, sondern au<strong>ch</strong> der private Sektor in geeignetem Umfang einer Regelung unterstellt<br />
ist, wel<strong>ch</strong>e die Glei<strong>ch</strong>behandlung der an einer Behinderung leidenden Personen<br />
garantieren soll (Ziff. 11).<br />
1810
künstleris<strong>ch</strong>es und intellektuelles Potenzial zur Geltung zu bringen». Die Staaten<br />
müssen ferner darauf a<strong>ch</strong>ten, dass die Behinderten Zugang zu den kulturellen Aktivitäten<br />
haben sowie zu den Freizeit-, Sport- und Tourismusanlagen (Ziff. 36). Zudem<br />
muss die Bevölkerung allgemein darauf aufmerksam gema<strong>ch</strong>t werden, dass die<br />
an einer Behinderung leidenden Personen dieselben Re<strong>ch</strong>te wie alle anderen haben,<br />
Restaurants, Hotels, Freizeitanlagen und kulturelle Stätten aufzusu<strong>ch</strong>en (Ziff. 39).<br />
7.1.2.3 Übereinkommen über die Re<strong>ch</strong>te des Kindes<br />
Das Übereinkommen vom 20. November 1989 über die Re<strong>ch</strong>te des Kindes 209 nennt<br />
in Artikel 2 ausdrückli<strong>ch</strong> die Behinderung als diskriminierendes Motiv. Zusätzli<strong>ch</strong><br />
bestimmt Artikel 23, dass «ein geistig oder körperli<strong>ch</strong> behindertes Kind ein erfülltes<br />
und mens<strong>ch</strong>enwürdiges Leben führen soll unter Bedingungen, wel<strong>ch</strong>e die Würde<br />
des Kindes wahren, seine Selbstständigkeit fördern und seine aktive Teilnahme am<br />
Leben der Gemeins<strong>ch</strong>aft erlei<strong>ch</strong>tern».<br />
7.1.3 Internationale Arbeitsorganisation<br />
Die Internationale Arbeitsorganisation hat bezügli<strong>ch</strong> der Re<strong>ch</strong>te der Behinderten im<br />
Berei<strong>ch</strong> der Arbeit insbesondere das Übereinkommen Nr. 159 und die Empfehlung<br />
Nr. 168 über die berufli<strong>ch</strong>e Rehabilitation und die Bes<strong>ch</strong>äftigung der Behinderten<br />
verabs<strong>ch</strong>iedet 210. Die S<strong>ch</strong>weiz hat das Übereinkommen am 20. Juni 1985 ratifiziert<br />
und es ist ein Jahr später für die S<strong>ch</strong>weiz in Kraft getreten 211. Dur<strong>ch</strong> den vorliegenden<br />
Gesetzesentwurf wird ein bea<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>er Beitrag zur Erfüllung des Ziels dieses<br />
Übereinkommens geleistet, nämli<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong>erzustellen, «dass geeignete Massnahmen<br />
der berufli<strong>ch</strong>en Rehabilitation allen Gruppen von Behinderten offen stehen, und Bes<strong>ch</strong>äftigungsmögli<strong>ch</strong>keiten<br />
für Behinderte auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gefördert<br />
werden» (Art. 3).<br />
7.2 Europarat<br />
7.2.1 Empfehlung<br />
Au<strong>ch</strong> der Europarat hat si<strong>ch</strong> mit den Re<strong>ch</strong>ten der Behinderten auseinander gesetzt.<br />
So verabs<strong>ch</strong>iedete das Ministerkomitee 1992 die Empfehlung Nr. R (92) 6 bezügli<strong>ch</strong><br />
kohärenten Politik für Behinderte. Darin werden die Regierungen u.a. aufgefordert,<br />
die Behinderten soweit als mögli<strong>ch</strong> in die Berufswelt sowie in das soziale und kultu-<br />
209 SR 0.107<br />
210 Vgl. au<strong>ch</strong> Empfehlung Nr. 99 (1955) über die berufli<strong>ch</strong>e Rehabilitation und die<br />
Bes<strong>ch</strong>äftigung der Invaliden.<br />
211 SR 0.822.725.9, Bots<strong>ch</strong>aft in BBl 1984 II 419.<br />
1811
elle Leben zu integrieren, was au<strong>ch</strong> den Zugang zu Gebäuden und Transportmitteln<br />
beinhaltet 212.<br />
7.2.2 Europäis<strong>ch</strong>e Konvention zum S<strong>ch</strong>utze<br />
der Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te und Grundfreiheiten und<br />
Zusatzprotokoll Nr. 12<br />
Der Europäis<strong>ch</strong>e Geri<strong>ch</strong>tshof für Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te hatte im Fall Botta gegen Italien213<br />
die Frage zu beurteilen, ob Italien verpfli<strong>ch</strong>tet sei, dafür zu sorgen, dass eine<br />
private Badeanstalt Behinderten den Zugang zu Strand und Meer ermögli<strong>ch</strong>t und die<br />
sanitären Anlagen für Behinderte zugängli<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>t. Der Geri<strong>ch</strong>tshof verneinte eine<br />
sol<strong>ch</strong>e Verpfli<strong>ch</strong>tung aus Artikel 8 der Europäis<strong>ch</strong>en Konvention zum S<strong>ch</strong>utze der<br />
Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te und Grundfreiheiten (EMRK) 214, dem Anspru<strong>ch</strong> auf A<strong>ch</strong>tung des<br />
Privat- und Familienlebens215. Im Fall X. und Y. gegen die Niederlanden216 hingegen<br />
nahm er eine aus Artikel 8 EMRK fliessende sog. positive Verpfli<strong>ch</strong>tung des<br />
Staates in der Form an, dass der Gesetzgeber die Vergewaltigung geistig Behinderter<br />
unter Strafe stellen muss.<br />
Artikel 14 EMRK verbietet die Diskriminierung bei der Ausübung der dur<strong>ch</strong> die<br />
EMRK und ihren Zusatzprotokollen garantierten Re<strong>ch</strong>ten. Die dort genannten Diskriminierungsmerkmale<br />
sind nur Beispiele. Eine Differenzierung auf Grund einer<br />
Behinderung, die ni<strong>ch</strong>t sa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> gere<strong>ch</strong>tfertigt ist, würde unter den generalklauselartigen<br />
Begriff «sonstiger Status» fallen, der si<strong>ch</strong> auf alle individuellen Anknüpfungsmerkmale<br />
bezieht. Diese Bestimmung hat keinen selbstständigen Charakter und<br />
kann daher nur im Zusammenhang mit anderen in der Konvention und in den Zusatzprotokollen<br />
garantierten Re<strong>ch</strong>ten angerufen werden. Bis heute hat si<strong>ch</strong> der Geri<strong>ch</strong>tshof<br />
unter dem Gesi<strong>ch</strong>tspunkt von Artikel 14 materiell no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mit Fällen<br />
von Diskriminierungen Behinderter auseinander gesetzt217. Dur<strong>ch</strong> das Zusatzprotokoll Nr. 12 zur EMRK soll nun aber der Anwendungsberei<strong>ch</strong><br />
von Artikel 14 EMRK verallgemeinert werden. Es wurde am 27. Juni 2000 dur<strong>ch</strong><br />
das Ministerkomitee verabs<strong>ch</strong>iedet und liegt seit dem 4. November 2000 zur Unters<strong>ch</strong>rift<br />
bereit. Es wird na<strong>ch</strong> einer Ratifikation dur<strong>ch</strong> 10 Mitgliedstaaten in Kraft<br />
treten. Im heutigen Zeitpunkt ist no<strong>ch</strong> offen, wie si<strong>ch</strong> der Geri<strong>ch</strong>tshof in Anwendung<br />
des 12. Zusatzprotokolls zu den Re<strong>ch</strong>ten behinderter Personen äussern wird. Im<br />
Hinblick auf eine künftige Unterzei<strong>ch</strong>nung und Ratifikation des Protokolls wird der<br />
212 Die Diskriminierung Behinderter ist au<strong>ch</strong> zur Zeit wieder Gegenstand von Arbeiten des<br />
Europarats. Der Lenkungsauss<strong>ch</strong>uss für die Wiedereingewöhnung und Integration<br />
behinderter Mens<strong>ch</strong>en (CD-P-RR) und eine seiner Arbeitsgruppen befassen si<strong>ch</strong> mit<br />
einer Zusammenstellung und verglei<strong>ch</strong>enden Analyse der eins<strong>ch</strong>lägigen Gesetzgebungen<br />
in den Mitgliedstaaten (die Arbeitsgruppe hat im Oktober 2000 einen Beri<strong>ch</strong>t dazu<br />
verabs<strong>ch</strong>iedet).<br />
213 Urteil vom 24. Februar 1998, Recueil des arrêts et décisions 1998, 412 ff.<br />
214 SR 0.101<br />
215 «Or en l'espèce, le droit revendiqué par M. Botta, à savoir celui de pouvoir accéder à la<br />
plage et à la mer loin de sa demeure habituelle pendant ses vacances, concerne des<br />
relations interpersonnelles d'un contenu si ample et indéterminé qu'aucun lien direct entre<br />
les mesures exigées de l'Etat pour remédier aux omissions des établissements de bains<br />
privés et la vie privée de l'intéressé, n'est envisageable» (Ziff. 35 des Urteils).<br />
216 Urteil vom 26. März 1985, Serie A Nr. 91.<br />
217 Au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t in den oben angeführten Urteilen, vgl. Urteil Botta c/Italien, Ziff. 39, sowie<br />
Urteil X. und Y. c/Niederlande, Ziff. 32.<br />
1812
Bundesrat eine genaue Analyse der Gesetzgebung vornehmen und gegebenenfalls<br />
bei den Kantonen eine Vernehmlassung dur<strong>ch</strong>führen. Si<strong>ch</strong>er ist aber, dass<br />
der vorliegende Gesetzesentwurf den heutigen Anforderungen der EMRK na<strong>ch</strong>kommt.<br />
7.2.3 Europäis<strong>ch</strong>e Sozial<strong>ch</strong>arta<br />
Die von der S<strong>ch</strong>weiz am 6. Mai 1976 unterzei<strong>ch</strong>nete, aber no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t ratifizierte Europäis<strong>ch</strong>e<br />
Sozial<strong>ch</strong>arta erwähnt die Behinderten ausdrückli<strong>ch</strong> im Zusammenhang mit<br />
dem Re<strong>ch</strong>t auf berufli<strong>ch</strong>e Ausbildung (Art. 10). Artikel 15 zählt die Massnahmen<br />
auf, die zu treffen sind, um das Re<strong>ch</strong>t der körperli<strong>ch</strong>, geistig oder seelis<strong>ch</strong> Behinderten<br />
auf berufli<strong>ch</strong>e Ausbildung sowie auf berufli<strong>ch</strong>e und soziale Eingliederung<br />
oder Wiedereingliederung zu gewährleisten.<br />
7.3 Europäis<strong>ch</strong>e Gemeins<strong>ch</strong>aft<br />
Das vom Bundesrat vorges<strong>ch</strong>lagene Behindertengesetz befindet si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> in weitgehender<br />
Übereinstimmung mit dem Re<strong>ch</strong>t der Europäis<strong>ch</strong>en Gemeins<strong>ch</strong>aft (EG), wel<strong>ch</strong>es<br />
seit Inkrafttreten des Unionsvertrags von Amsterdam im Jahre 1999 über eine<br />
ausdrückli<strong>ch</strong>e Kompetenzbefugnis im Behindertenberei<strong>ch</strong> verfügt218 und dabei von<br />
einem neuen mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>tsbezogenen Behindertenkonzept ausgeht219. Im Unters<strong>ch</strong>ied<br />
zum früher geltenden Fürsorgeprinzip sollen na<strong>ch</strong> diesem neuen Ansatz, wel<strong>ch</strong>er<br />
sowohl auf Prävention als au<strong>ch</strong> auf die Beseitigung von konkreten Hindernissen<br />
abstellt, Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen dieselben Grundre<strong>ch</strong>te wie andere Bürgerinnen<br />
und Bürger sowie Chancenglei<strong>ch</strong>heit hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> ihrer Teilhabe am Gemeins<strong>ch</strong>aftsleben<br />
haben.<br />
Gemäss der neuen Ni<strong>ch</strong>t-Diskriminierungsklausel von Art. 13 EG-Vertrag kann der<br />
Rat auf Vors<strong>ch</strong>lag der Kommission und na<strong>ch</strong> Anhörung des Europäis<strong>ch</strong>en Parlaments<br />
einstimmig geeignete Vorkehren treffen, um Diskriminierungen unter anderem<br />
aus Gründen einer Behinderung zu bekämpfen. Gemäss der zum Amsterdamer<br />
Vertrag abgegebenen Erklärung Nr. 22 zu Personen mit einer Behinderung soll zudem<br />
bei der Anglei<strong>ch</strong>ung von Re<strong>ch</strong>tsvors<strong>ch</strong>riften zur Verwirkli<strong>ch</strong>ung des Binnenmarkts<br />
den Bedürfnissen von Personen mit einer Behinderung Re<strong>ch</strong>nung getragen<br />
werden.<br />
218 Die zahlrei<strong>ch</strong>en früheren Ents<strong>ch</strong>liessungen, Bes<strong>ch</strong>lüsse, Ents<strong>ch</strong>eidungen, Beri<strong>ch</strong>te,<br />
S<strong>ch</strong>lussfolgerungen und Mitteilungen der Gemeins<strong>ch</strong>aftsorgane zur Beseitigung von<br />
Diskriminierungen und zur besseren Integration und Förderung von Behinderten waren<br />
ni<strong>ch</strong>t re<strong>ch</strong>tsverbindli<strong>ch</strong>. Vgl. Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäis<strong>ch</strong>e<br />
Parlament, den Wirts<strong>ch</strong>afts- und Sozialauss<strong>ch</strong>uss und den Auss<strong>ch</strong>uss der Regionen über<br />
bestimmte Massnahmen der Gemeins<strong>ch</strong>aft zur Bekämpfung von Diskriminierungen,<br />
KOM(1999) 564 endg. vom 25.11.1999, Anhang II.<br />
219 Vgl. die Ents<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>liessung des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der<br />
Regierungen der Mitgliedstaaten vom 20. Dezember 1996 zur Chancenglei<strong>ch</strong>heit für<br />
Behinderte, ABl 1997 C 12, S. 1. Gemäss diesem neuen Konzept sollen die<br />
vers<strong>ch</strong>iedenen Barrieren, die die Chancenglei<strong>ch</strong>heit behinderter Mens<strong>ch</strong>en und deren<br />
vollständige Teilhabe an allen Aspekten des Lebens verhindern, ermittelt und beseitigt<br />
werden.<br />
1813
Artikel 13 EG-Vertrag gibt damit einzelnen Behinderten keine direkten Ansprü<strong>ch</strong>e<br />
und Re<strong>ch</strong>te, auf die sie si<strong>ch</strong> vor Erlass entspre<strong>ch</strong>ender Bes<strong>ch</strong>lüsse vor nationalen<br />
Geri<strong>ch</strong>tsinstanzen berufen könnten. Demgegenüber gewährleistet nun der Entwurf<br />
für eine Europäis<strong>ch</strong>e Grundre<strong>ch</strong>ts<strong>ch</strong>arta in Artikel 21 ein allgemeines Diskriminierungsverbot<br />
unter anderem au<strong>ch</strong> mit Bezug auf Behinderungen, und Artikel 26 garantiert<br />
Behinderten ihre soziale und berufli<strong>ch</strong>e Integration sowie ihre Teilhabe am<br />
Gemeins<strong>ch</strong>aftsleben220. Bereits die Gemeins<strong>ch</strong>afts<strong>ch</strong>arta der sozialen Grundre<strong>ch</strong>te<br />
der Arbeitnehmer vom 9. Dezember 1989 sieht in Nummer 26 vor, dass alle Behinderten<br />
unabhängig von der Ursa<strong>ch</strong>e und der Art ihrer Behinderung konkrete ergänzende<br />
Massnahmen, die ihre berufli<strong>ch</strong>e und soziale Eingliederung fördern, in Anspru<strong>ch</strong><br />
nehmen können müssen, wobei si<strong>ch</strong> diese Massnahmen zur Verbesserung der<br />
Lebensbedingungen je na<strong>ch</strong> den Fähigkeiten der Betreffenden auf berufli<strong>ch</strong>e Bildung,<br />
Ergonomie, Zugängli<strong>ch</strong>keit, Mobilität, Verkehrsmittel und Wohnung erstrecken<br />
müssen. 221 Auslegungshilfen für die Ni<strong>ch</strong>t-Diskriminierung von Behinderten<br />
ergeben si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> aus der Sozialpolitik (Art. 136–145 EG-Vertrag) und<br />
dem Gesundheitss<strong>ch</strong>utz (Art. 152 EG-Vertrag).<br />
Gestützt auf Artikel 13 EG-Vertrag hat der Rat mit Datum vom 27. November 2000<br />
die Ri<strong>ch</strong>tlinie 2000/78/EG zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirkli<strong>ch</strong>ung<br />
der Glei<strong>ch</strong>behandlung in Bes<strong>ch</strong>äftigung und Beruf erlassen222. Diese<br />
neue Ri<strong>ch</strong>tlinie, wel<strong>ch</strong>e zusammen mit der Ri<strong>ch</strong>tlinie zur Bekämpfung von Diskriminierungen<br />
aus Gründen der Rasse oder der ethnis<strong>ch</strong>en Herkunft223 und einem Aktionsprogramm<br />
zur unionsweiten Bekämpfung von Diskriminierungen224 Teil eines<br />
entspre<strong>ch</strong>enden Massnahmepakts ist, gewährleistet na<strong>ch</strong> ihrer Umsetzung in nationales<br />
Re<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong> drei bzw. se<strong>ch</strong>s Jahren Personen in der EU ein einklagbares Re<strong>ch</strong>t<br />
auf Ni<strong>ch</strong>tdiskriminierung auf dem Arbeitsmarkt unabhängig von ihrer Religion oder<br />
Weltans<strong>ch</strong>auung, einer Behinderung, ihres Alters oder ihrer sexuellen Ausri<strong>ch</strong>tung225.<br />
Der Geltungsberei<strong>ch</strong> der Ri<strong>ch</strong>tlinie umfasst den Zugang zu einer Bes<strong>ch</strong>äftigung<br />
oder einem Beruf (Kriterien der Selektion und der Einstellung), die Beförderung,<br />
die Berufsausbildung und Weiterbildung, die Anstellungs- und Arbeitsbedingungen<br />
(Kündigung, Entlöhnung) sowie die Zugehörigkeit zu Arbeitnehmer- oder<br />
Arbeitgeberorganisationen, und zwar sowohl in öffentli<strong>ch</strong>en als au<strong>ch</strong> in privaten Berei<strong>ch</strong>en.<br />
Mit Bezug auf den Re<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>utz (Art. 9) wird Personen, die si<strong>ch</strong> in ihren<br />
Re<strong>ch</strong>ten verletzt fühlen, die Mögli<strong>ch</strong>keit gegeben, ihren Anspru<strong>ch</strong> auf Glei<strong>ch</strong>behandlung<br />
auf dem Geri<strong>ch</strong>ts- und/oder Verwaltungsweg sowie in S<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>tungsverfahren<br />
geltend zu ma<strong>ch</strong>en, selbst wenn das Bes<strong>ch</strong>äftigungsverhältnis beendet ist. Einzelstaatli<strong>ch</strong>e<br />
Vors<strong>ch</strong>riften über eine zeitli<strong>ch</strong>e Begrenzung des Re<strong>ch</strong>ts auf Klageerhebung<br />
werden jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t berührt226. Der Anspru<strong>ch</strong> auf Re<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>utz wird dur<strong>ch</strong> die<br />
220 «L'Union reconnaît et respecte le droit des personnes handicapées à bénéficier de mesures<br />
visant à assurer leur autonomie, leur intégration sociale et professionnelle et leur<br />
participation à la vie de la communauté.»<br />
221 Vgl. ABl 1997 C 12, S. 1<br />
222 ABl. 2000 L 303, S. 16<br />
223 Ri<strong>ch</strong>tlinie 2000/43/EG des Rates vom 29. Juni 2000 zur Anwendung des Glei<strong>ch</strong>behandlungsgrundsatzes<br />
ohne Unters<strong>ch</strong>ied der Rasse oder der ethnis<strong>ch</strong>en Herkunft,<br />
ABl. 2000 L 180, S. 22<br />
224 ABl. 2000 L 303, S. 23<br />
225 Ausgenommen bleibt ledigli<strong>ch</strong> die Diskriminierung auf Grund des Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ts, die<br />
bereits dur<strong>ch</strong> weitrei<strong>ch</strong>ende Re<strong>ch</strong>tsvors<strong>ch</strong>riften der Gemeins<strong>ch</strong>aft aus den Siebzigerjahren<br />
abgedeckt ist und eine spezifis<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>tsgrundlage für Massnahmen im Berei<strong>ch</strong> der<br />
Bes<strong>ch</strong>äftigung hat (Art. 141 EG-Vertrag).<br />
226 Vgl. das Urteil des EuGH in der Re<strong>ch</strong>tssa<strong>ch</strong>e C-185/97, Coote gegen Granada<br />
Hospitality Ltd., Slg. 1998, I–5199.<br />
1814
Mögli<strong>ch</strong>keit verstärkt, dass interessierte Organisationen die diesbezügli<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>te<br />
im Namen der bes<strong>ch</strong>werten Person ausüben können (Verbandsbes<strong>ch</strong>werdere<strong>ch</strong>t).<br />
Mit Bezug auf die Beweislast muss der Beklagte bei glaubhaft gema<strong>ch</strong>tem Vorliegen<br />
einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung seinerseits beweisen, dass<br />
keine Verletzung des Glei<strong>ch</strong>behandlungsgrundsatzes vorgelegen hat (Art. 10).<br />
Im Vordergrund der Bemühungen der Gemeins<strong>ch</strong>aftsorgane um eine Beseitigung<br />
von Diskriminierungen von Behinderten standen neben den allgemeinen Integrations-<br />
und Förderungsmassnahmen bis anhin die S<strong>ch</strong>affung glei<strong>ch</strong>er Bes<strong>ch</strong>äftigungs<strong>ch</strong>ancen<br />
und die Eingliederung in den Arbeitsmarkt227. Demgegenüber finden si<strong>ch</strong><br />
trotz zahlrei<strong>ch</strong>er parlamentaris<strong>ch</strong>er Anfragen nur wenige Massnahmen und Re<strong>ch</strong>tsgrundlagen<br />
zur Beseitigung der Diskriminierung bzw. zur Förderung der Mobilität<br />
von Behinderten im öffentli<strong>ch</strong>en und privaten Verkehr228. 8 Re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Grundlagen<br />
8.1 Verfassungsmässigkeit<br />
8.1.1 Artikel 8 Absatz 4<br />
Der Gesetzesentwurf setzt Artikel 8 BV um, d.h. den Auftrag an den Gesetzgeber in<br />
Absatz 4.<br />
Absatz 4 ri<strong>ch</strong>tet si<strong>ch</strong> sowohl an den kantonalen Gesetzgeber als au<strong>ch</strong> an den Bundesgesetzgeber;<br />
jeder ist beauftragt, in seinem Zuständigkeitsberei<strong>ch</strong> tätig zu werden.<br />
Eine bundesre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Garantie eines Grundre<strong>ch</strong>tes allein s<strong>ch</strong>afft hingegen na<strong>ch</strong><br />
herrs<strong>ch</strong>ender Praxis229 und Lehre230 keine neue Bundeskompetenz. Mit andern<br />
Worten: Soweit die Garantie eines Grundre<strong>ch</strong>ts als Auftrag an den Gesetzgeber zu<br />
betra<strong>ch</strong>ten ist – wie dies Artikel 35 Absatz 1 BV generell für alle Grundre<strong>ch</strong>te be-<br />
227 Vgl. die Ents<strong>ch</strong>liessung des Rates vom 17. Juni 1999 betreffend glei<strong>ch</strong>e Bes<strong>ch</strong>äftigungs<strong>ch</strong>ancen<br />
für behinderte Mens<strong>ch</strong>en (ABl 1999 C 186, S. 3); Ents<strong>ch</strong>liessung des Rates vom<br />
22. Februar 1999 zu den bes<strong>ch</strong>äftigungspolitis<strong>ch</strong>en Leitlinien für 1999 (ABl 1999 C 69,<br />
S. 2).<br />
228 Vgl. z.B. Empfehlung des Rates vom 4. Juni 1998 betreffend einen Parkausweis für<br />
Behinderte (ABl 1998 L 167, S. 25). Die Kommission arbeitet derzeit an der endgültigen<br />
Fassung eines Vors<strong>ch</strong>lags für eine Ri<strong>ch</strong>tlinie über Bauvors<strong>ch</strong>riften für Kraftomnibusse,<br />
wel<strong>ch</strong>e Vors<strong>ch</strong>riften über die bessere Zugängli<strong>ch</strong>keit für Personen mit einges<strong>ch</strong>ränkter<br />
Mobilität enthalten soll (vgl. ABl 1972 C 72, S. 22).<br />
229 Vgl. beispielsweise die bundesrätli<strong>ch</strong>e Bots<strong>ch</strong>aft zum BG über die Glei<strong>ch</strong>stellung von<br />
Frau und Mann (Glei<strong>ch</strong>stellungsgesetz) vom 24. Februar 1993, BBl 1993 I 1248, 1323<br />
(wo die Kompetenz des Bundesgesetzgebers au<strong>ch</strong> auf Art. 34 ter und 64 der alten BV<br />
gestützt wurde). Glei<strong>ch</strong>ermassen wurde festgehalten, dass ein Bundesgesetz über die<br />
Presseförderung si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t auf die Pressefreiheit stützen könne, sondern dass – um ihm<br />
eine Grundlage zu geben – eine neue Bestimmung einzufügen sei (was bis heute ni<strong>ch</strong>t der<br />
Fall war); vgl. D. Barrelet, Droit de la communication, 1998, S. 15–16, Rz. 46–48.<br />
230 Vgl. F. Fleiner / Z. Giacometti, S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>es Bundesstaatsre<strong>ch</strong>t, 1949, S. 90–91,<br />
242–243 (es stimmt, dass Z. Giacometti vom heute bestrittenen Gedanken ausging, dass<br />
ein Grundre<strong>ch</strong>t keiner Ausführungsgesetzgebung bedürfe, weil es direkt anwendbar sei);<br />
Y. Hangartner, Grundzüge des s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Staatsre<strong>ch</strong>ts, II, 1982, S. 55; U. Häfelin/<br />
W. Haller, S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>es Bundesstaatsre<strong>ch</strong>t, 4. Aufl., 1998, S. 99, Rz. 282. Eine<br />
differenziertere, weniger ablehnende Meinung findet man bei P. Saladin in Kommentar<br />
BV, zu Art. 3, Rz. 182; J. F. Aubert, S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>es Bundesstaatsre<strong>ch</strong>t, I, 1991,<br />
Rz. 699, S. 500–501; J.P. Müller, Elemente einer s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Grundre<strong>ch</strong>tstheorie,<br />
1982, S. 127.<br />
1815
stimmt231 –, ändert sie die Kompetenzverteilung zwis<strong>ch</strong>en Bund und Kantonen ni<strong>ch</strong>t<br />
und der Bundesgesetzgeber wird nur in jenen Berei<strong>ch</strong>en tätig, wel<strong>ch</strong>e die Bundesverfassung<br />
in seine Zuständigkeit verweist; es bleibt den kantonalen Gesetzgebern<br />
überlassen, in den übrigen Berei<strong>ch</strong>en tätig zu werden232. Diese Konzeption, die si<strong>ch</strong> aus der Sorge heraus erklärt, die Aufgabenteilung zwis<strong>ch</strong>en<br />
Bund und Kantonen ni<strong>ch</strong>t zu unterlaufen, bezieht si<strong>ch</strong> vor allem auf die traditionellen<br />
Grundre<strong>ch</strong>te (z.B. Pressefreiheit, Glaubensfreiheit, Versammlungsfreiheit,<br />
die ni<strong>ch</strong>t mit einem spezifis<strong>ch</strong>en Gesetzgebungsauftrag versehen sind. Für sie gilt<br />
nur der allgemeine Gesetzgebungsauftrag von Artikel 35 Absatz 1 BV. Ist das<br />
Grundre<strong>ch</strong>t hingegen von einem spezifis<strong>ch</strong>en, auf auslegungsbedürftigen Begriffen<br />
beruhenden Gesetzgebungsauftrag begleitet, die einer Interpretation bedürfen, kann<br />
es problematis<strong>ch</strong> sein, die Auslegung sol<strong>ch</strong>er Begriffe im konkreten Anwendungsfall<br />
den Organen der Re<strong>ch</strong>tsanwendung zu überlassen (kantonale Behörden, Geri<strong>ch</strong>te,<br />
Bundesrat im Rahmen seiner Aufsi<strong>ch</strong>tsbefugnisse). Es entspri<strong>ch</strong>t dem demokratis<strong>ch</strong>en<br />
Grundsatz, der Einheitli<strong>ch</strong>keit des Bundesre<strong>ch</strong>ts und seiner Vorhersehbarkeit<br />
besser, den Bundesgesetzgeber damit zu beauftragen.<br />
In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass das Parlament über die Frage der<br />
Konkretisierung eines Grundre<strong>ch</strong>ts in Verbindung mit einem Gesetzgebungsauftrag<br />
bereits im letzten Jahrhundert debattiert hat. Der Anlass dazu war der Begriff des<br />
«genügenden» Grunds<strong>ch</strong>ulunterri<strong>ch</strong>ts, wie er in Artikel 27 Absatz 2 aBV (Art. 19<br />
und 62 Abs. 2 BV: «ausrei<strong>ch</strong>end») verwendet wurde. Wenn 1874 die ausdrückli<strong>ch</strong>e<br />
Absi<strong>ch</strong>t einer Bundesregelung fallen gelassen wurde, dann aus dem Grunde, weil<br />
das Parlament aus politis<strong>ch</strong>en Gründen einen präventiven und zentralisierenden<br />
Eingriff befür<strong>ch</strong>tet und eine dur<strong>ch</strong> Ri<strong>ch</strong>ter und Aufsi<strong>ch</strong>tsbehörden ausgeübte Kontrolle<br />
einem derartigen Eingriff vorzog233. Die Frage wurde jedo<strong>ch</strong> ein paar Jahre<br />
später wieder aufgenommen. Ein Beri<strong>ch</strong>t des Eidgenössis<strong>ch</strong>en Departements des Innern<br />
von 1878 era<strong>ch</strong>tete eine wenigstens fakultative Gesetzgebungskompetenz des<br />
Bundes als gegeben. Der Bundesrat s<strong>ch</strong>loss si<strong>ch</strong> dieser Auffassung in einer Bots<strong>ch</strong>aft<br />
vom 3. Juni 1880 an, und die Bundesversammlung übernahm sie in einem<br />
Bes<strong>ch</strong>luss von allgemeiner Tragweite vom 14. Juni 1882234. Wohl wurde der Bes<strong>ch</strong>luss<br />
dann in einer Volksabstimmung vom 26. November 1882 verworfen, do<strong>ch</strong><br />
dieses negative Votum, wel<strong>ch</strong>es wiederum dur<strong>ch</strong> eine politis<strong>ch</strong>e Reaktion erklärbar<br />
ist (Befür<strong>ch</strong>tung dessen, was die Gegner den «S<strong>ch</strong>ulvogt» nannten), berührte die<br />
Frage der Verfassungsmässigkeit einer Bundesregelung keineswegs. Umgekehrt sind<br />
231 BBl 1997 I 191<br />
232 BBl 1997 I 136 f.<br />
233 W. Burckhardt, Kommentar der s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Bundesverfassung, 3. Auflage, 1931, zu<br />
Art. 27, S. 203 f.<br />
234 L.R. von Salis, S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>es Bundesre<strong>ch</strong>t, 2. Auflage 1904, Bd. V, Nr. 2460,<br />
S. 558–561: Der Beri<strong>ch</strong>t der Kommissionsmehrheit des Nationalrates ist zu diesem Thema<br />
sehr klar (in Ermangelung des Gesetzes können die ihrer Natur na<strong>ch</strong> zufälligen Bes<strong>ch</strong>lüsse<br />
im Einzelfall hö<strong>ch</strong>stens gewisse Verfassungsverletzungen korrigieren; sie genügen<br />
ni<strong>ch</strong>t, um die dur<strong>ch</strong> diese Verfassung vorges<strong>ch</strong>riebenen Verpfli<strong>ch</strong>tungen generell zu<br />
definieren).<br />
1816
in der Doktrin die Meinungen geteilt, was die Verfassungsmässigkeit einer Bundesregelung,<br />
die den Begriff des Grunds<strong>ch</strong>ulunterri<strong>ch</strong>ts konkretisiert, angeht235. Im vorliegenden Fall denken wir in Anbetra<strong>ch</strong>t der Auslegungsprobleme bezügli<strong>ch</strong><br />
der unbestimmten Re<strong>ch</strong>tsbegriffe von Artikel 8 Absatz 4 BV (insbesondere was die<br />
Begriffe «Behinderte» und «Bena<strong>ch</strong>teiligungen» anbelangt), dass es re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> mögli<strong>ch</strong><br />
ist, dass der Bundesgesetzgeber sie selbst und vorgängig konkretisiert. Wenn er<br />
sein Handeln jedo<strong>ch</strong> auf die Konkretisierungsarbeit begrenzt, greift er ni<strong>ch</strong>t in den<br />
Zuständigkeitsberei<strong>ch</strong> der Kantone ein, wel<strong>ch</strong>e ihre ursprüngli<strong>ch</strong>e Zuständigkeit<br />
bewahren, selbst eine mit den Grundre<strong>ch</strong>ten im Einklang stehende Ordnung aufzustellen.<br />
Artikel 8 Absatz 4 BV gibt dem Gesetzgeber den Auftrag, zu Gunsten einer bestimmten<br />
Gruppe von Personen tätig zu werden und Massnahmen zu ergreifen, die<br />
geeignet sind, die Bena<strong>ch</strong>teiligungen auszuräumen, deren Opfer sie sind. Zu diesem<br />
Zweck sollen Bedingungen ges<strong>ch</strong>affen werden, die den behinderten Personen gestatten,<br />
ein Leben zu führen, das mit demjenigen ni<strong>ch</strong>tbehinderter Personen verglei<strong>ch</strong>bar<br />
ist; das kann die Dur<strong>ch</strong>führung positiver Massnahmen mit si<strong>ch</strong> bringen.<br />
Diese Massnahmen, die mit dem Ziel ergriffen werden, bestehende Na<strong>ch</strong>teile auszuglei<strong>ch</strong>en<br />
oder zu beseitigen, stellen keine Verletzung der re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Glei<strong>ch</strong>stellung<br />
dar, selbst wenn riskiert wird, dass damit indirekt Na<strong>ch</strong>teile für andere Mitglieder<br />
der Gesells<strong>ch</strong>aft verbunden sind. Anreizmassnahmen können somit über eine einfa<strong>ch</strong>e<br />
Beseitigung eines Na<strong>ch</strong>teils hinausgehen: Sie können, wenn allenfalls au<strong>ch</strong> nur<br />
vorübergehend, in den Berei<strong>ch</strong>en, in wel<strong>ch</strong>en die Notwendigkeit von Ausglei<strong>ch</strong>smassnahmen<br />
besonders stark spürbar ist, eine Vorzugsbehandlung vorsehen. Dieser<br />
Glei<strong>ch</strong>stellungsaspekt wurde namentli<strong>ch</strong> bei der Glei<strong>ch</strong>stellung der Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ter<br />
untersu<strong>ch</strong>t236. 8.1.2 Andere Verfassungsgrundlagen<br />
Ohne dies im Ingress ausdrückli<strong>ch</strong> zu erwähnen, basiert der Gesetzesentwurf au<strong>ch</strong><br />
auf Artikel 62 Absatz 2 BV, um die Glei<strong>ch</strong>stellung der Behinderten im Berei<strong>ch</strong> des<br />
Grunds<strong>ch</strong>ulunterri<strong>ch</strong>ts zu konkretisieren. Beim Primars<strong>ch</strong>ulunterri<strong>ch</strong>t kann der Bund<br />
nur den Begriff des ausrei<strong>ch</strong>enden Grunds<strong>ch</strong>ulunterri<strong>ch</strong>ts präzisieren (vgl. oben). So<br />
wurden Bundesrat und Bundesgeri<strong>ch</strong>t mehrfa<strong>ch</strong> angerufen, dies zu tun. Wenn au<strong>ch</strong><br />
mit der gebotenen Zurückhaltung, haben sie si<strong>ch</strong> denno<strong>ch</strong> über die vernünftige<br />
Distanz von S<strong>ch</strong>ulwegen oder über die Angemessenheit einer Verfügung betreffend<br />
235 M. Borghi in Kommentar der Bundesverfassung, zu Art. 27 (1988), Rz. 83–84;<br />
J. S<strong>ch</strong>ollenberger, Kommentar der Bundesverfassung der s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Eidgenossens<strong>ch</strong>aft,<br />
1905, zu Art. 27, S. 260–261; F. Fleiner, S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>es Bundesstaatsre<strong>ch</strong>t,<br />
1923, S. 46, Rz 23; W. Burckhardt, Kommentar der s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Bundesverfassung,<br />
3. Auflage, 1931, zu Art. 27, S. 204; F. Fleiner – Z. Giacometti, S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>es<br />
Bundesstaatsre<strong>ch</strong>t, 1949, S. 90–91, Rz. 73 (der die von F. Fleiner 1923 geäusserte<br />
Meinung übernimmt).<br />
236 BGE 125 I 21, 25–26; für eine neuere Synthese dieser Probleme, siehe A. Auer,<br />
G. Malinverni, M. Hottelier, Droit constitutionnel suisse, Bd. II, Les droits fondamentaux,<br />
Bern 2000, N. 1069 ff.; vgl. au<strong>ch</strong> Caroline Klein, La discrimination des personnes<br />
handicapées, Diss. , S. 80–112<br />
1817
Sonders<strong>ch</strong>ulung ausgespro<strong>ch</strong>en237. Aus re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t dürfen die Bundesbehörden<br />
aber au<strong>ch</strong> die Verfassungsbestimmungen über andere Punkte konkretisieren.<br />
Die Artikel 87 und 92 Absatz 1 BV bilden die Verfassungsgrundlage für die Massnahmen<br />
im Berei<strong>ch</strong> der Eisenbahnen und des übrigen regelmässigen und gewerbsmässigen<br />
Personentransports. Es handelt si<strong>ch</strong> dabei um umfassende Bundeskompetenzen238.<br />
Der Gesetzesentwurf stützt si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> auf Artikel 112 Absatz 6 BV, soweit er den<br />
Bund ermä<strong>ch</strong>tigt, vers<strong>ch</strong>iedene Förderungsmassnahmen zu ergreifen. Diese Bestimmung<br />
entspri<strong>ch</strong>t Artikel 34quater Absatz 7 der alten Verfassung, der von Anbeginn an<br />
sehr weit ausgelegt wurde, und die Integration Behinderter ni<strong>ch</strong>t nur in berufli<strong>ch</strong>er<br />
Hinsi<strong>ch</strong>t, sondern au<strong>ch</strong> in der Gesells<strong>ch</strong>aft ganz allgemein erfasste239. Diese Massnahmen<br />
können ni<strong>ch</strong>t nur über die Sozialversi<strong>ch</strong>erung (Art. 112 Abs. 6 Satz 2), sondern<br />
au<strong>ch</strong> über die allgemeinen Bundesmittel finanziert werden (Art. 112 Abs. 6<br />
Satz 1). Die Bestimmung führt zusammen mit Artikel 8 Absatz 4 BV zur Bejahung<br />
einer Kompetenz des Bundes, Förderungsmassnahmen zu Gunsten der Behinderten<br />
in einem weiteren Anwendungsfeld als bloss der Invalidenversi<strong>ch</strong>erung finanziell zu<br />
unterstützen.<br />
Bestimmungen des Entwurfs, die Beziehungen zwis<strong>ch</strong>en Privatpersonen zum Gegenstand<br />
haben, stützen si<strong>ch</strong> auf Artikel 122 Absatz 1 BV, während die Regeln über das Bundespersonal<br />
als Bundeskompetenz kraft Sa<strong>ch</strong>zusammenhangs zu betra<strong>ch</strong>ten sind.<br />
8.2 Gesetzgebungsdelegationen<br />
Artikel 10 Absatz 1 und 2 des Gesetzesentwurfs sieht eine Gesetzgebungsdelegation<br />
an den Bundesrat vor; er wird ermä<strong>ch</strong>tigt, Vors<strong>ch</strong>riften über te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>e Normen zu<br />
erlassen, die auf Bauten, die dem Bund gehören oder die der Bund mitfinanziert,<br />
sowie auf Infrastrukturen des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs Anwendung finden. Der Bundesrat<br />
ist damit au<strong>ch</strong> ermä<strong>ch</strong>tigt festzulegen, wel<strong>ch</strong>e Bauten, Anlagen und Fahrzeuge in wel<strong>ch</strong>em<br />
Umfang anzupassen sind. Die Delegation re<strong>ch</strong>tfertigt si<strong>ch</strong> wegen des rein te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>en<br />
Charakters dieser Bestimmungen; es ist notwendig, dass sie ras<strong>ch</strong> an den jeweiligen<br />
Stand der Te<strong>ch</strong>nik und ihre s<strong>ch</strong>nellen Forts<strong>ch</strong>ritte angepasst werden können.<br />
8.3 Form des zu erlassenden Akts<br />
Im Bundesberei<strong>ch</strong> bestimmt Artikel 164 Absatz 1 BV, dass alle wi<strong>ch</strong>tigen re<strong>ch</strong>tsetzenden<br />
Bestimmungen in der Form des Bundesgesetzes zu erlassen sind. Das neue<br />
Gesetz über die Glei<strong>ch</strong>stellung der behinderten Personen muss somit na<strong>ch</strong> dem für<br />
die Bundesgesetze vorgesehenen Verfahren erlassen werden.<br />
237 Vgl. VPB 44.19; 56.38; 58.71; 63.59; BGE 117 Ia 27, Erw. 6, S. 31 ; A. Auer, G. Malinverni,<br />
M. Hottelier, Droit constitutionnel suisse, Bern 2000, Bd. II, S. 691ff.,<br />
N. 1519 bis 1522.<br />
238 Bots<strong>ch</strong>aft des Bundesrates vom 20. November 1996 über eine neue Bundesverfassung<br />
(BBl 1997 I 271)<br />
239 Vgl. Bots<strong>ch</strong>aft des Bundesrates vom 10. November 1971 zum Entwurf betreffend<br />
Änderung der Bundesverfassung auf dem Gebiete der Alter-, Hinterlassenen- und<br />
Invalidenvorsorge, BBl 1971 II 1597.<br />
1818
8.4 Re<strong>ch</strong>tsgrundlage des Bundesbes<strong>ch</strong>lusses über<br />
die Finanzierung der Massnahmen im öffentli<strong>ch</strong>en<br />
Verkehr zu Gunsten von Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen<br />
Der Entwurf des Bundesbes<strong>ch</strong>lusses stützt si<strong>ch</strong> auf Artikel 17 des Gesetzesentwurfs<br />
eines Behindertenglei<strong>ch</strong>stellungsgesetzes, das die Bundesversammlung ermä<strong>ch</strong>tigt,<br />
in der Form eines einfa<strong>ch</strong>en Bundesbes<strong>ch</strong>lusses den Hö<strong>ch</strong>stbetrag der Finanzhilfen<br />
im Berei<strong>ch</strong> des öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrs festzulegen, die für die Umsetzung der Massnahmen<br />
zur Beseitigung von Bena<strong>ch</strong>teiligungen Behinderter in den 20 Jahren na<strong>ch</strong><br />
Inkrafttreten des Gesetzes zur Verfügung gestellt werden.<br />
Dieser Bes<strong>ch</strong>luss ist ein blosser Kredit- und Finanzierungsbes<strong>ch</strong>luss. Er enthält keine<br />
re<strong>ch</strong>tsetzenden Normen. Die Zuständigkeit der eidgenössis<strong>ch</strong>en Räte ergibt si<strong>ch</strong><br />
aus der allgemeinen Budgetkompetenz na<strong>ch</strong> Artikel 167 BV.<br />
1819
1820<br />
Anhang 1<br />
Daten über Gebre<strong>ch</strong>ensgruppen, Funktionsausfälle und Ursa<strong>ch</strong>en<br />
Invalidenrenten-Bezügerinnen und -Bezüger in der S<strong>ch</strong>weiz im Januar 1999,<br />
na<strong>ch</strong> Gebre<strong>ch</strong>ensgruppen bei einem Invaliditätsgrad von mindestens 40%<br />
(IV-Statistik 1999, Tabelle 6.15.4, S. 67)<br />
Tabelle 1<br />
Gebre<strong>ch</strong>ensgruppen Anzahl Personen Prozent<br />
Haut 504 0,4<br />
Nervensystem 13 102 9,3<br />
Sinnesorgane 3 215 2,3<br />
Infektionen, Parasiten 2 606 1,8<br />
Neubildungen 5 455 3,9<br />
Allergien, Stoffwe<strong>ch</strong>sel, Innere Sekrete 3 300 2,3<br />
Blut, Blutbildende Organe 276 0,2<br />
Psy<strong>ch</strong>osen, Psy<strong>ch</strong>oneurosen 56 061 39,6<br />
Kreislaufsystem 11 232 7,9<br />
Atmungsorgane 1 930 1,4<br />
Verdauungsorgane 2 225 1,6<br />
Harn-, Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tsorgane 1 283 0,9<br />
Kno<strong>ch</strong>en, Bewegungsorgane 40 098 28,3<br />
ni<strong>ch</strong>t zuordnungsfähig 274 0,2<br />
Total 141 561 100<br />
Invalidenrenten-Bezügerinnen und -Bezüger in der S<strong>ch</strong>weiz im Januar 1999,<br />
na<strong>ch</strong> Funktionsausfällen bei einem Invaliditätsgrad von mindestens 40 %<br />
(IV-Statistik 1999, Tabelle 6.16.4, S. 79)<br />
Tabelle 2<br />
Gebre<strong>ch</strong>ensgruppen Anzahl Personen Prozent<br />
Keine 893 0,6<br />
Paraplegie, Tetraplegie 223 0,2<br />
Obere Extremitäten 2 285 1,6<br />
Untere Extremitäten 5 211 3,7<br />
Obere und untere Extremitäten 1 339 0,9<br />
Stamm 16 565 11,7<br />
Stütz- und Bewegungsapparat 3 560 2,5<br />
Allgemeinzustand 35 822 25,3<br />
Sehbehinderung 2 331 1,6<br />
Hörbehinderung 591 0,4<br />
Kiefer-, Mundfunktion 41 0,0<br />
Spra<strong>ch</strong>störungen 558 0,4<br />
Hirn, Motoris<strong>ch</strong>e Störungen 1 323 0,9<br />
Verhaltensstörungen 18 280 13,0<br />
Atem und Blutgasaustaus<strong>ch</strong> 1 729 1,2
Gebre<strong>ch</strong>ensgruppen Anzahl Personen Prozent<br />
Nieren 627 0,4<br />
Verdauungstrakt, Leber 966 0,7<br />
Mehrfa<strong>ch</strong>e Störungen körperli<strong>ch</strong>er Art 10 243 7,2<br />
Mehrfa<strong>ch</strong> geistige und körperli<strong>ch</strong>e Störungen 17 872 12,6<br />
Ni<strong>ch</strong>t definiert 1 0,0<br />
Unklar 21 101 14,9<br />
Total 141 561 100<br />
Ursa<strong>ch</strong>en der Gebre<strong>ch</strong>en bei den Bezügern und Bezügerinnen von IV-Renten<br />
(IV-Statistik 1999, Tabelle 3.4.5.1, S. 21)<br />
Tabelle 3:<br />
Invaliditätsursa<strong>ch</strong>en Männer Frauen Total Total in%<br />
Geburtsgebre<strong>ch</strong>en 14 000 12 000 26 000 14<br />
Krankheit 81 000 61 000 142 000 76<br />
– davon psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Leiden (30 000) (26 000) (56 000) (30)<br />
Unfälle 15 000 6 000 20 000 11<br />
Total 109 000 79 000 188 000 100<br />
Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit, eine IV-Rente zu beziehen, 1999 na<strong>ch</strong> Altersklassen<br />
in der S<strong>ch</strong>weiz (IV-Statistik 1999, Grafik 3.4.4.2, S. 21)<br />
Grafik 1<br />
Prozent<br />
18<br />
16<br />
14<br />
12<br />
10<br />
8<br />
6<br />
4<br />
2<br />
0<br />
M änner<br />
Frauen<br />
IV-Versi<strong>ch</strong>erte und erbra<strong>ch</strong>te Leistungen<br />
(Auszug aus der IV-Statistik 1999)<br />
1822<br />
Anhang 2<br />
Die Invalidenversi<strong>ch</strong>erung zählt fast 7,5 Millionen Versi<strong>ch</strong>erte, wovon 4,1 Millionen<br />
Versi<strong>ch</strong>erungsprämien einzahlen.<br />
1 Übersi<strong>ch</strong>t<br />
Im Jahre 1998 sind in fast 500 000 Fällen Invaliditätsleistungen erbra<strong>ch</strong>t worden<br />
(siehe IV-Statistik 1999, S. 37):<br />
Leistungen Bezüger und Bezügerinnen<br />
Abklärungsmassnahmen 64 331<br />
Individuelle Massnahmen 188 832<br />
Hilflosenents<strong>ch</strong>ädigung (der IV und der AHV) 36 791<br />
Renten 157 063<br />
Individuelle Massnahmen + Hilflosenents<strong>ch</strong>ädigung 3 609<br />
Individuelle Massnahmen + Renten 9 536<br />
Renten + Hilflosenents<strong>ch</strong>ädigung 14 942<br />
Alle Massnahmen + Renten 6 647<br />
Total 481 751<br />
Anmerkung zur obigen Tabelle:<br />
Diese Zahl kann ni<strong>ch</strong>t mit der Anzahl Personen glei<strong>ch</strong>gesetzt werden, wel<strong>ch</strong>e Leistungen<br />
erhalten haben, weil an einzelne Personen mehrere unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Leistungen, z.B. eine<br />
IV-Rente und eine Hilflosenents<strong>ch</strong>ädigung, ausgeri<strong>ch</strong>tet werden können.<br />
2 Anzahl der Bezüger und Bezügerinnen von Hilflosenents<strong>ch</strong>ädigung<br />
Die Hilflosenents<strong>ch</strong>ädigung (HE) ist eine Geldleistung für Invalide, die zwis<strong>ch</strong>en 18<br />
und 62/65 Jahre alt sind und die für die alltägli<strong>ch</strong>en Verri<strong>ch</strong>tungen auf die Hilfe<br />
Dritter angewiesen sind oder der persönli<strong>ch</strong>en Überwa<strong>ch</strong>ung bedürfen240. Die Hilflosenents<strong>ch</strong>ädigung<br />
wird ni<strong>ch</strong>t nur an Bezüger und Bezügerinnen von Leistungen<br />
der IV, sondern au<strong>ch</strong> an AHV-Rentner und rentnerinnen ausbezahlt. Unter der Altersgrenze<br />
von 65 Jahren (Männer) bzw. 62 Jahren (Frauen) waren es im Jahre 1998<br />
rund 23 000 Personen, wel<strong>ch</strong>e in ihrer Fähigkeit der Alltagsbewältigung so einges<strong>ch</strong>ränkt<br />
waren, dass sie mehr als zwei Stunden pro Tag regelmässig auf Hilfe angewiesen<br />
waren und eine Hilflosenents<strong>ch</strong>ädigung der IV bezogen.<br />
Die Anzahl der Personen, wel<strong>ch</strong>e im Sinne der Invalidenversi<strong>ch</strong>erung als hilflos gelten<br />
und auf Dritthilfe angewiesen sind, und deshalb eine Hilflosenents<strong>ch</strong>ädigung HE<br />
erhalten haben, belief si<strong>ch</strong> im Jahre 1998 auf total 55 342 Personen. Diese Gesamtzahl<br />
der Bezüger einer Hilflosenents<strong>ch</strong>ädigung ergibt si<strong>ch</strong> aus der Anzahl der Leis-<br />
240 Verglei<strong>ch</strong>e Art. 42 des Bundesgesetzes über die Invalidenversi<strong>ch</strong>erung (IVG; SR 831.20)<br />
sowie BGE 124 II S. 241 ff., Erw. 4c) S. 247 und 248. Das Bundesgesetz vom 6. Oktober<br />
2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversi<strong>ch</strong>erungsre<strong>ch</strong>ts (ATSG) sieht eine lei<strong>ch</strong>t<br />
geänderte Definition vor (vgl. Art. 9 und Aufhebung von Art. 42 Abs. 2 IVG;<br />
BBl 2000 5041).
tungsbezüger einer Hilflosenents<strong>ch</strong>ädigung (36 791) zuzügli<strong>ch</strong> der Anzahl Personen,<br />
wel<strong>ch</strong>e eine individuelle Leistung in Kombination mit einer Hilflosenents<strong>ch</strong>ädigung<br />
beziehen, nämli<strong>ch</strong> 3609 Personen, sowie zuzügli<strong>ch</strong> die Anzahl Personen,<br />
wel<strong>ch</strong>e eine IV-Rente in Kombination mit einer Hilflosenents<strong>ch</strong>ädigung erhalten.<br />
3 Bezüger und Bezügerinnen von Eingliederungsmassnahmen<br />
und Invalidenrenten<br />
Von den 390 000 in der S<strong>ch</strong>weiz wohnhaften IV-Leistungsbezügern und -bezügerinnen<br />
haben rund 50 000 Personen ledigli<strong>ch</strong> eine Abklärungsmassnahme ihres Falles<br />
in Anspru<strong>ch</strong> genommen. Die restli<strong>ch</strong>en 340 000 Personen teilen si<strong>ch</strong> zu je der<br />
Hälfte in Bezüger und Bezügerinnen von Eingliederungsmassnahmen sowie Rentner<br />
und Rentnerinnen auf241. Im Januar 1999 hatten in der S<strong>ch</strong>weiz 188 000 Personen<br />
Anspru<strong>ch</strong> auf eine Invalidenrente242. Die meisten Leistungsbezüger und Leistungsbezügerinnen<br />
von IV-Leistungen leben in der S<strong>ch</strong>weiz, 9 % der Bezüger und Bezügerinnen<br />
von Renten im Jahre 1999 hielten si<strong>ch</strong> im Ausland auf; IV-Statistik 1999,<br />
Tabelle 3.1, S. 3.<br />
241 Die am häufigsten angeordneten Eingliederungsmassnahmen waren die medizinis<strong>ch</strong>en<br />
(145 000), die seltensten die berufli<strong>ch</strong>en Massnahmen (11 000).<br />
242 Ungefähr drei Viertel davon bezogen eine ganze Rente. Die monatli<strong>ch</strong>e Summe dieser<br />
Leistung betrug ohne Einbezug allfälliger Zusatzrenten dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong> 1500 Franken.<br />
1823
1824<br />
Anhang 3<br />
Anspru<strong>ch</strong> auf Hilfe und Unterstützung für Mens<strong>ch</strong>en mit<br />
Behinderungen im Zivilre<strong>ch</strong>t und im Sozialversi<strong>ch</strong>erungsre<strong>ch</strong>t;<br />
Berücksi<strong>ch</strong>tigung der Behinderung im Steuerre<strong>ch</strong>t<br />
1 Ansprü<strong>ch</strong>e und Lebenshilfen im Zivilre<strong>ch</strong>t<br />
1.1 Allgemeine Lebenshilfen im Familienre<strong>ch</strong>t<br />
Die Familie ist eine Solidar- und Wirts<strong>ch</strong>aftsgemeins<strong>ch</strong>aft. Sie spielt für das physis<strong>ch</strong>e<br />
und psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Wohlbefinden, für die Si<strong>ch</strong>erheit und die Entfaltung wie au<strong>ch</strong><br />
für die Existenzsi<strong>ch</strong>erung des einzelnen Mens<strong>ch</strong>en eine zentrale Rolle. Insbesondere<br />
sind Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen auf die materielle und immaterielle Hilfe der<br />
Familie angewiesen. Die wertvollste und wi<strong>ch</strong>tigste Erfahrung für Kinder, namentli<strong>ch</strong><br />
au<strong>ch</strong> für Kinder mit Behinderungen, ist das Gefühl des Angenommen-Seins.<br />
Selbstwertgefühl und psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Stabilität können nur dur<strong>ch</strong> Bestätigung, mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e<br />
Wärme und Zuneigung wa<strong>ch</strong>sen. Familienre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Normen des Zivilre<strong>ch</strong>tes<br />
drücken diese Werte dur<strong>ch</strong> den Gedanken der Solidarität und der Beistandspfli<strong>ch</strong>t<br />
aus, wel<strong>ch</strong>e zwis<strong>ch</strong>en den Ehegatten sowie zwis<strong>ch</strong>en Eltern und Kindern ges<strong>ch</strong>uldet<br />
ist (Art. 159 Abs. 3 und Art. 272 ZGB). Die Verwandtenunterstützungspfli<strong>ch</strong>t dehnt<br />
die materielle Form der Solidarität generationenübergreifend auf Enkel und Grosseltern<br />
aus (Art. 328 ZGB). Materielle Hilfe sowie immaterielle Hilfe in Form von<br />
Kinderbetreuung kann gerade in Familien mit einem von einer Behinderung betroffenen<br />
Elternteil oder mit einem Kind mit Entwicklungss<strong>ch</strong>wierigkeiten geboten und<br />
lebensdienli<strong>ch</strong> sein. Die Grosseltern können unter Umständen die Rolle von Pflegeeltern<br />
übernehmen (Art. 300 ZGB). Andererseits pflegen Eltern betagte und behinderte<br />
Eltern oder S<strong>ch</strong>wiegereltern.<br />
Über die effektiv geleistete familieninterne Hauspflege aus gesundheitli<strong>ch</strong>en Gründen,<br />
bei zeitweiliger oder ständiger Invalidität eines Familienmitgliedes, hat das<br />
Bundesamt für Statistik auf Grund der 1. S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Gesundheitsbefragung<br />
1992/93 folgende Fakten veröffentli<strong>ch</strong>t243: Innerhalb der Familie wird im Bedarfsfall<br />
am häufigsten der Partner oder die Partnerin beigezogen, wobei zwis<strong>ch</strong>en den<br />
Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tern ein deutli<strong>ch</strong>er Unters<strong>ch</strong>ied festzustellen ist. 41,6% der befragten<br />
Männer nannten ihre Partnerin als Person, wel<strong>ch</strong>e die benötigte Hilfe leistet, während<br />
nur halb so viele Frauen – 19,1% – ihren Partner nannten. Was die Hilfeleistung<br />
dur<strong>ch</strong> Kinder betrifft, so hat die Gesundheitsbefragung Folgendes ergeben:<br />
Anteilsmässig werden mehr Mütter als Väter von ihren Kindern betreut (14% Mütter<br />
und 6,1% Väter). Weiter sind es vor allem die Tö<strong>ch</strong>ter, die den Müttern beistehen<br />
(9%). Die stärkere Betreuung dur<strong>ch</strong> die Tö<strong>ch</strong>ter nimmt bei den Müttern ab 55 Jahren<br />
no<strong>ch</strong> zu244. 243 Roland Calmonte, Brigitte Herren, Thomas Spuhler, Christophe Koller, Bundesamt<br />
für Statistik: Gesundheit und Gesundheitsverhalten in der S<strong>ch</strong>weiz. Detailergebnisse der<br />
1. S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Gesundheitsbefragung 1992/93 S. 96.<br />
244 Roland Calmonte u.a., a.a.O., S. 96. Ni<strong>ch</strong>t zu übersehen ist zudem der Zusammenhang<br />
zwis<strong>ch</strong>en Witwens<strong>ch</strong>aft und Betreuung der Mütter dur<strong>ch</strong> ihre Tö<strong>ch</strong>ter. Ab 65 Jahren<br />
leben die Frauen weitaus häufiger allein als die Männer, 47 % der Frauen im Verglei<strong>ch</strong><br />
zu 19,6 % der Männer (S. 95).
Die Pfli<strong>ch</strong>t zur Mithilfe an der Deckung des Lebensbedarfes in der eheli<strong>ch</strong>en Gemeins<strong>ch</strong>aft,<br />
eins<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> der Gesundheits- bzw. der Krankheitskosten, stellt die<br />
materielle Seite der Solidarität dar (Art. 163 ZGB). Massstab sind die persönli<strong>ch</strong>en<br />
Mögli<strong>ch</strong>keiten und die finanziellen Verhältnisse.<br />
Ausdrückli<strong>ch</strong> spri<strong>ch</strong>t das Kindesre<strong>ch</strong>t die Re<strong>ch</strong>tsstellung des behinderten Kindes an.<br />
Die Eltern sind gehalten, ni<strong>ch</strong>t nur die allgemeine Erziehungspfli<strong>ch</strong>t in körperli<strong>ch</strong>er,<br />
geistiger und sittli<strong>ch</strong>er Hinsi<strong>ch</strong>t zu erfüllen (Art. 302 Abs. 1 ZGB). Überdies obliegt<br />
ihnen die Pfli<strong>ch</strong>t, die für das Kind angemessene, seinen Fähigkeiten und Neigungen<br />
entspre<strong>ch</strong>ende allgemeine und berufli<strong>ch</strong>e Ausbildung zu vers<strong>ch</strong>affen, insbesondere<br />
au<strong>ch</strong> dem «körperli<strong>ch</strong> oder geistig gebre<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Kind» (Art. 302 Abs. 2 ZGB). Dabei<br />
müssen die Eltern das Anhörungsre<strong>ch</strong>t des Kindes respektieren und soweit tunli<strong>ch</strong><br />
auf die Meinung des Kindes Rücksi<strong>ch</strong>t nehmen (Art. 301 Abs. 2 ZGB). Das behinderte<br />
Kind hat grundsätzli<strong>ch</strong> den glei<strong>ch</strong>en Anspru<strong>ch</strong> auf allgemeine und berufli<strong>ch</strong>e<br />
Ausbildung wie das ni<strong>ch</strong>tbehinderte. Ist es ni<strong>ch</strong>t in der Lage, dem ordentli<strong>ch</strong>en<br />
S<strong>ch</strong>ulbetrieb zu folgen, so müssen die Eltern gegebenenfalls den Besu<strong>ch</strong> von Hilfskursen<br />
oder Spezials<strong>ch</strong>ulen ermögli<strong>ch</strong>en oder das Kind in einer besonderen Fördereinri<strong>ch</strong>tung<br />
unterbringen245. Zum Zwecke der Förderung des Kindes sollen die<br />
Eltern mit der S<strong>ch</strong>ule und, wo es die Umstände erfordern, mit der öffentli<strong>ch</strong>en und<br />
gemeinnützigen Jugendhilfe zusammenarbeiten (Art. 302 Abs. 3 ZGB). Diese<br />
Pfli<strong>ch</strong>t der Eltern zur Kooperation tritt ein, wenn si<strong>ch</strong> die Eltern untereinander oder<br />
mit dem Kind ni<strong>ch</strong>t einigen können oder wenn das behinderte Kind s<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>e oder<br />
erzieheris<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>wierigkeiten verursa<strong>ch</strong>t. Die Pfli<strong>ch</strong>t besteht namentli<strong>ch</strong> darin, si<strong>ch</strong><br />
mit der Lehrkraft in Kontakt zu setzen, den Rat fa<strong>ch</strong>kundiger Stellen der öffentli<strong>ch</strong>en<br />
und gemeinnützigen Jugendhilfe (z.B. heilpädagogis<strong>ch</strong>e Früherfassung) sowie<br />
der S<strong>ch</strong>ule (S<strong>ch</strong>ulpsy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>er Dienst, heilpädagogis<strong>ch</strong>e Unterstützung usw.)<br />
und der Vormunds<strong>ch</strong>aftsbehörde einzuholen246. Die elterli<strong>ch</strong>e Pfli<strong>ch</strong>t zur Zusammenarbeit mit öffentli<strong>ch</strong>en Institutionen ist gerade<br />
für die Früherfassung von körperli<strong>ch</strong> oder geistig behinderten Kindern von grosser<br />
Bedeutung, weil dur<strong>ch</strong> ein spezielles Training oder dur<strong>ch</strong> eine frühe Therapie si<strong>ch</strong><br />
Entwicklungsrückstände und Defizite effizienter und erfolgrei<strong>ch</strong>er auffangen lassen<br />
als in einem späteren Kindesalter.<br />
Hervorzuheben ist die glei<strong>ch</strong>e Stellung jedes Kindes innerhalb der Ges<strong>ch</strong>wisterreihe:<br />
Au<strong>ch</strong> das Kind mit einer Behinderung besitzt die glei<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>tsstellung in der Ges<strong>ch</strong>wisterreihe<br />
hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> seines Anspru<strong>ch</strong>es auf eine optimale, seinen Mögli<strong>ch</strong>keiten<br />
entspre<strong>ch</strong>ende Bildung und Ausbildung247. Die Frage der Angemessenheit<br />
der Ausbildung stellt si<strong>ch</strong> bei Kindern mit Behinderungen mindestens so ernsthaft<br />
245 BGE 117 Ia 34; RegRat AG AGVE 1991, 524 Nr. 26.<br />
246 Ingeborg S<strong>ch</strong>wenzer, Kommentar zu Art. 302 ZGB, in: Kommentar zum S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en<br />
Privatre<strong>ch</strong>t, S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>es Zivilgesetzbu<strong>ch</strong> I, Basel 1996, S. 1556.<br />
247 Was als «angemessene, berufli<strong>ch</strong>e Ausbildung» ers<strong>ch</strong>eint, muss im Einzelfall abgeklärt<br />
werden. Der Begriff unterliegt der Interpretation angesi<strong>ch</strong>ts dem gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />
Wandel, den neuen Anforderungen im Erwebsleben und den in den letzten Jahren<br />
erweiterten Ausbildungs- und Therapiemögli<strong>ch</strong>keiten. Verglei<strong>ch</strong>e ausführli<strong>ch</strong> zur Frage<br />
na<strong>ch</strong> der Angemessenheit der Ausbildung, Forni, S. 433 ff., in: Hausheer/Spy<strong>ch</strong>er/<br />
Ko<strong>ch</strong>er/Brunner, Handbu<strong>ch</strong> des Unterhaltsre<strong>ch</strong>ts, Bern 1997, S. 340 ff. Verglei<strong>ch</strong>e zur<br />
Problematik des Ausbildungsplanes und des berufli<strong>ch</strong>en Lebensplanes, zur Rücksi<strong>ch</strong>tsund<br />
Zusammenwirkungspfli<strong>ch</strong>t zwis<strong>ch</strong>en Eltern und Kind bei der Ausbildung: Peter<br />
Breits<strong>ch</strong>mid, Kommentar zu Art. 277 ZGB, in: Kommentar zum S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en<br />
Privatre<strong>ch</strong>t, S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>es Zivilgesetzbu<strong>ch</strong> I, Basel 1996, S. 1454–1460.<br />
1825
wie bei gesunden Kindern, weil ihnen eine spätere Ums<strong>ch</strong>ulung eher weniger lei<strong>ch</strong>t<br />
fallen dürfte als anderen Jugendli<strong>ch</strong>en.<br />
Die Familiensolidarität soll au<strong>ch</strong> in Krisensituationen wirksam sein. Spezielle Normen<br />
si<strong>ch</strong>ern vor allem die materielle Unterstützung zwis<strong>ch</strong>en den Ehegatten und<br />
zwis<strong>ch</strong>en den einzelnen Elternteilen und ihren Kindern. Im Vordergrund stehen die<br />
Unterhaltsregelungen während der Trennung als Massnahme des Ehes<strong>ch</strong>utzes<br />
(Art. 175 f. ZGB) und als vorsorgli<strong>ch</strong>e Massnahme während eines S<strong>ch</strong>eidungsverfahrens<br />
(Art. 137 ZGB). Wenn der Ri<strong>ch</strong>ter bzw. die Ri<strong>ch</strong>terin Ehes<strong>ch</strong>utzmassnahmen<br />
oder Massnahmen in einem S<strong>ch</strong>eidungsverfahren anordnet, muss bei der Zuteilung<br />
der Kinder und der Festlegung der Unterhaltsbeiträge das Geri<strong>ch</strong>t eine Behinderung<br />
und ihre konkreten Auswirkungen mit berücksi<strong>ch</strong>tigen. Über die Dauer<br />
einer Ehe hinaus, wel<strong>ch</strong>e dur<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>eidung aufgelöst wird, besteht die Familiensolidarität<br />
weiter. Dabei werden die Unterhaltsbeiträge für den unterstützungsbere<strong>ch</strong>tigten<br />
Ehegatten so festgelegt, dass seine Gesundheit, eins<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> einer allfälligen<br />
physis<strong>ch</strong>en oder psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Behinderung, berücksi<strong>ch</strong>tigt werden. Diese Rücksi<strong>ch</strong>tnahme<br />
wirkt in zweifa<strong>ch</strong>er Hinsi<strong>ch</strong>t: sowohl bei der Frage der Zumutbarkeit einer<br />
Erwerbstätigkeit wie au<strong>ch</strong> bei der Festlegung der Höhe des na<strong>ch</strong>eheli<strong>ch</strong>en Unterhaltsbeitrages248.<br />
Wenn ein Ehegatte in der Vereinbarung ganz oder teilweise auf<br />
seinen Anspru<strong>ch</strong> auf die zu teilenden Austrittsleistungen der berufli<strong>ch</strong>en Vorsorge<br />
verzi<strong>ch</strong>tet, prüft das Geri<strong>ch</strong>t von Amtes wegen, ob eine entspre<strong>ch</strong>ende Alters- und<br />
Invalidenvorsorge auf andere Weise gewährleistet ist (Art. 141 Abs. 3 ZGB).<br />
1.2 Besondere Lebenshilfen<br />
Das Vormunds<strong>ch</strong>aftsre<strong>ch</strong>t stellt eine Reihe von Massnahmen zur Verfügung, wel<strong>ch</strong>e<br />
für die betreute Person eine Lebenshilfe darstellen, um das Bestehen in unserer Gesells<strong>ch</strong>aft<br />
zu ermögli<strong>ch</strong>en. Jedo<strong>ch</strong> wird die Autonomie der betreffenden Person tangiert,<br />
vor allem wenn Massnahmen angeordnet werden, wel<strong>ch</strong>e die re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e<br />
Handlungsfreiheit bes<strong>ch</strong>ränken (Mitwirkungs- oder/und Verwaltungsbeirats<strong>ch</strong>aft<br />
Art. 395 Abs. 1 und 2 ZGB) oder die re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Handlungsfähigkeit dur<strong>ch</strong> die Entmündigung<br />
gar aufheben (Art. 368 ff. ZGB). Im Zusammenhang mit der Unterstützung<br />
von Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen stehen Kindess<strong>ch</strong>utzmassnahmen im Vordergrund,<br />
wel<strong>ch</strong>e im Sinne des Kindeswohls die Eltern in ihrer Erziehungsaufgabe<br />
unterstützen. Überdies bietet die Re<strong>ch</strong>tsgemeins<strong>ch</strong>aft dur<strong>ch</strong> das Vormunds<strong>ch</strong>aftsre<strong>ch</strong>t<br />
Lebenshilfen für Erwa<strong>ch</strong>sene an, wel<strong>ch</strong>e beispielsweise wegen ihrer Behinderung<br />
physis<strong>ch</strong>er, psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>er oder geistiger Art besondere Mühe bekunden, mit den<br />
Anforderungen des Lebens zu Rande zu kommen.<br />
248 Die ges<strong>ch</strong>uldeten Unterhaltsbeiträge werden entweder dur<strong>ch</strong> eine ri<strong>ch</strong>terli<strong>ch</strong> genehmigte<br />
Konvention vereinbart (Art. 140 f. ZGB) oder dur<strong>ch</strong> einen geri<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> festgesetzten<br />
na<strong>ch</strong>eheli<strong>ch</strong>en Unterhaltsbeitrag bestimmt, sofern es einem Ehegatten ni<strong>ch</strong>t zuzumuten<br />
ist, dass er für den ihm gebührenden Unterhalt unter Eins<strong>ch</strong>luss einer angemessenen<br />
Altersvorsorge selber aufkommt (Art. 125 f. ZGB). Beim Ents<strong>ch</strong>eid, ob ein Beitrag zu<br />
leisten sei und gegebenenfalls in wel<strong>ch</strong>er Höhe und wie lange, sind mehrere Umstände zu<br />
berücksi<strong>ch</strong>tigen, namentli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> Alter und Gesundheit des Ehegatten (Art. 125 Abs. 2<br />
Ziff. 4 ZGB). Die Unterhaltsregelungen für die Kinder bei der S<strong>ch</strong>eidung der Eltern<br />
finden si<strong>ch</strong> in Art. 133 Abs. 1 ZGB und Art. 143 Abs. 1 Ziff. 2 ZGB.<br />
1826
1.2.1 Kindess<strong>ch</strong>utzmassnahmen (Art. 307 ff. ZGB)<br />
Verna<strong>ch</strong>lässigen die Eltern die Erziehung ihrer Kinder im Sinne der Fürsorgepfli<strong>ch</strong>ten<br />
oder fühlen sie si<strong>ch</strong> in der Erziehung und Förderung eines behinderten<br />
Kindes überfordert, stellt si<strong>ch</strong> die Frage na<strong>ch</strong> dem Kindess<strong>ch</strong>utz. Dafür stellt das Zivilre<strong>ch</strong>t<br />
eine Stufenfolge von Massnahmen zur Verfügung. Die Vormunds<strong>ch</strong>aftsbehörde<br />
hat, wenn das Wohl des Kindes gefährdet ist und die Eltern (oder die Pflegeeltern)<br />
ni<strong>ch</strong>t für Abhilfe sorgen oder dazu ni<strong>ch</strong>t imstande sind, geeignete Vorkehren<br />
zu treffen (Art. 307 ZGB). Als erste Massnahme nennt das Gesetz Weisungen für<br />
die Pflege, Erziehung oder Ausbildung. Ein spra<strong>ch</strong>behindertes Kind sei beispielsweise<br />
einer fa<strong>ch</strong>ärztli<strong>ch</strong>en Behandlung oder einer entspre<strong>ch</strong>enden Therapie bei einer<br />
Logopädin oder bei einem Logopäden zu unterziehen. Es kann die Einsetzung eines<br />
Beistandes angeordnet werden, der die Eltern in ihrer Sorge um das Kind mit Rat<br />
und Tat unterstützt (Art. 308 ZGB). Als Beistand kommen beispielsweise Sozialarbeiter<br />
oder Sozialarbeiterinnen, Heilpädagogen und Heilpädagoginnen in Betra<strong>ch</strong>t.<br />
Die Beistands<strong>ch</strong>aft versteht si<strong>ch</strong> als Erziehungshilfe.<br />
Eins<strong>ch</strong>neidendere Kindess<strong>ch</strong>utzmassnahmen sind die Wegnahme des Kindes und<br />
die Unterbringung in ein geeignetes Heim (Aufhebung der elterli<strong>ch</strong>en Obhut,<br />
Art. 310 Abs. 1 ZGB). Bei besonderen s<strong>ch</strong>werwiegenden Versäumnissen oder wegen<br />
Unvermögens (z.B. wegen eines Gebre<strong>ch</strong>ens physis<strong>ch</strong>er oder psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>er Art)<br />
seitens der Eltern ist der Entzug der elterli<strong>ch</strong>en Sorge zu erwägen und – falls keine<br />
weniger eins<strong>ch</strong>neidende Massnahme mögli<strong>ch</strong> ist – von der vormunds<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />
Aufsi<strong>ch</strong>tsbehörde dur<strong>ch</strong>zuführen. Glei<strong>ch</strong>zeitig ist die elterli<strong>ch</strong>e Sorge auf einen gesetzli<strong>ch</strong>en<br />
Vormund zu übertragen (Art. 311 ZGB). Die Eltern können aus wi<strong>ch</strong>tigen<br />
Gründen von si<strong>ch</strong> aus darum ersu<strong>ch</strong>en (Art. 312 Ziff. 1 ZGB).<br />
1.2.2 Vormunds<strong>ch</strong>aftsre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Lebenshilfen für Erwa<strong>ch</strong>sene<br />
Das Vormunds<strong>ch</strong>aftsre<strong>ch</strong>t unters<strong>ch</strong>eidet drei Massnahmen, wel<strong>ch</strong>e als Lebenshilfen<br />
für Mens<strong>ch</strong>en geda<strong>ch</strong>t sind, wel<strong>ch</strong>e ohne diese Hilfe mit dem Leben ni<strong>ch</strong>t oder<br />
s<strong>ch</strong>werli<strong>ch</strong> zu Rande kommen: die Beistands<strong>ch</strong>aft, die Beirats<strong>ch</strong>aft und die Vormunds<strong>ch</strong>aft.<br />
Die Beistands<strong>ch</strong>aft belässt der Person die volle re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Handlungsfähigkeit,<br />
während die Beirats<strong>ch</strong>aft sie partiell eins<strong>ch</strong>ränkt. Die Vormunds<strong>ch</strong>aft ist<br />
die eins<strong>ch</strong>neidenste Massnahme insofern sie die re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Handlungsfähigkeit der<br />
betreffenden Person aufhebt. Nur unter bestimmten Voraussetzungen und unter Bea<strong>ch</strong>tung<br />
der Verhältnismässigkeit sowie bei Vorliegen bestimmter Gründe können<br />
Mündige unter Vormunds<strong>ch</strong>aft gestellt werden. Als ersten Grund nennt das Gesetz<br />
Geisteskrankheit und Geistess<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>e, wel<strong>ch</strong>e so ausgeprägt sein muss, dass die<br />
Person ihre Angelegenheiten ni<strong>ch</strong>t zu besorgen vermag, zu ihrem S<strong>ch</strong>utz dauernd<br />
des Beistandes und der Fürsorge bedarf oder die Si<strong>ch</strong>erheit anderer gefährdet<br />
(Art. 369) 249. Die Entmündigung kann au<strong>ch</strong> auf eigenes Begehren der betreffenden<br />
Person erfolgen, wenn sie infolge Alterss<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>e oder eines Gebre<strong>ch</strong>ens oder wegen<br />
Unerfahrenheit ihre Angelegenheiten ni<strong>ch</strong>t gehörig zu besorgen vermag<br />
(Art. 372 ZGB). Die Entmündigung führt zum vollständigen Entzug der Handlungsfähigkeit.<br />
In der Regel vertritt ein Vormund das Mündel in allen re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en<br />
249 Der im Zivilgesetzbu<strong>ch</strong> verwendete Begriff der Geisteskrankheit deckt si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mit der<br />
medizinis<strong>ch</strong>en Bezei<strong>ch</strong>nung, wel<strong>ch</strong>e als Sammelbegriff von «psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Krankheiten»<br />
spri<strong>ch</strong>t. Jede Person, wel<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> Art. 369 ZGB geisteskrank ist, ist im medizinis<strong>ch</strong>en<br />
Sinne psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong> krank, jedo<strong>ch</strong> ist ni<strong>ch</strong>t notwendigerweise jede psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong> kranke Person<br />
im medizinis<strong>ch</strong>en Sinne au<strong>ch</strong> re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> geisteskrank.<br />
1827
Angelegenheiten. Diese Form der Vormunds<strong>ch</strong>aft kommt für Mens<strong>ch</strong>en in Frage,<br />
wel<strong>ch</strong>e wegen ihrer s<strong>ch</strong>weren Geisteskrankheit oder Geistess<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>e ni<strong>ch</strong>t in der<br />
Lage sind, die Rahmenbedingungen ihres Lebens zu gestalten. Ni<strong>ch</strong>t einges<strong>ch</strong>ränkt<br />
werden können allerdings die hö<strong>ch</strong>stpersönli<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>te, die jedem Mens<strong>ch</strong>en zustehen.<br />
Darunter versteht man beispielsweise das Re<strong>ch</strong>t auf körperli<strong>ch</strong>e Unversehrtheit<br />
(Erfordernis der Zustimmung zu einem ärztli<strong>ch</strong>en Eingriff wie die Sterilisation)<br />
oder das Re<strong>ch</strong>t auf die Erri<strong>ch</strong>tung eines Testamentes. Diese Re<strong>ch</strong>te kann die betroffene<br />
Person in eigener Verantwortung wahrnehmen, soweit sie die Tragweite ihrer<br />
Handlung zu verstehen vermag, d.h. urteilsfähig ist. Da die absoluten hö<strong>ch</strong>stpersönli<strong>ch</strong>en<br />
Re<strong>ch</strong>te «vertretungsfeindli<strong>ch</strong>» sind, ist es ni<strong>ch</strong>t mögli<strong>ch</strong>, dass der Vormund<br />
stellvertretend für das Mündel sol<strong>ch</strong>e Ents<strong>ch</strong>eidungen trifft. Die Einwilligung in<br />
ärztli<strong>ch</strong>e Eingriffe zählt zu den relativ hö<strong>ch</strong>stpersönli<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>ten250. Das bedeutet,<br />
dass im Falle von Urteilsunfähigkeit eine Vertretung zugelassen ist251. Für die Ehes<strong>ch</strong>liessung<br />
brau<strong>ch</strong>t die entmündigte Person die Zustimmung des gesetzli<strong>ch</strong>en Vertreters<br />
(Art. 94 Abs. 2 Satz 1 ZGB). Dessen Verweigerungsre<strong>ch</strong>t, beispielsweise als<br />
Vormund, ist jedo<strong>ch</strong> bes<strong>ch</strong>ränkt; dies ergibt si<strong>ch</strong> aus dem wohlverstandenen Interesse<br />
des Mündels, wel<strong>ch</strong>es im Rahmen der Fürsorgepfli<strong>ch</strong>t des Vormundes strikte zu<br />
wahren ist. Die entmündigte Person kann gegen die Verweigerung dieser Zustimmung<br />
das Geri<strong>ch</strong>t anrufen (Art. 94 Abs. 2 Satz 2 ZGB). Gemäss hö<strong>ch</strong>stri<strong>ch</strong>terli<strong>ch</strong>er<br />
Re<strong>ch</strong>tspre<strong>ch</strong>ung dürfen die Anforderungen an die Urteilsfähigkeit für die Ehes<strong>ch</strong>liessung<br />
ni<strong>ch</strong>t allzu ho<strong>ch</strong> gesetzt werden252. Das Re<strong>ch</strong>t, um Aufhebung der Vormunds<strong>ch</strong>aft<br />
zu ersu<strong>ch</strong>en oder ein S<strong>ch</strong>eidungsbegehren geri<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> anhängig zu ma<strong>ch</strong>en<br />
sowie eine letztwillige Verfügung zu erlassen oder einen Erbvertrag abzus<strong>ch</strong>liessen,<br />
gehören zu den absolut persönli<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>ten253. Als ordentli<strong>ch</strong>e oder als dringende Massnahme kann dur<strong>ch</strong> eine vormunds<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e<br />
Behörde ein fürsorgeris<strong>ch</strong>er Freiheitsentzug geboten sein. Geisteskrankheit und<br />
Geistess<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>e, Su<strong>ch</strong>terkrankung, s<strong>ch</strong>were Verwahrlosung sind Gründe, wel<strong>ch</strong>e<br />
einen fürsorgeris<strong>ch</strong>en Freiheitsentzug und die Unterbringung in eine geeignete Anstalt<br />
re<strong>ch</strong>tfertigen, wenn der betroffenen Person die nötige persönli<strong>ch</strong>e Fürsorge<br />
ni<strong>ch</strong>t anders erwiesen werden kann (Subsidiarität des fürsorgeris<strong>ch</strong>en Freiheitsentzuges).<br />
Die Belastung der Umgebung ist bei der Beurteilung der Verhältnismässigkeit<br />
der Massnahme zu berücksi<strong>ch</strong>tigen (Art. 397a ZGB). Bei einer dauernden Anstaltsunterbringung<br />
kann für die fürsorgebedürftige Person ein Vormund (volle Bes<strong>ch</strong>ränkung<br />
der Handlungsfähigkeit Art. 367 Abs. 1 ZGB) oder ein Beirat (nur teilweise<br />
Bes<strong>ch</strong>ränkung der Handlungsfähigkeit Art. 395 ZGB) ernannt werden.<br />
In der Praxis wird heutzutage auf die Bevormundung verzi<strong>ch</strong>tet, weil sie als zu eins<strong>ch</strong>neidend<br />
empfunden wird (Entzug der re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Handlungsfähigkeit). Hingegen<br />
werden bei alterss<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en Personen oder bei Personen mit einer geistigen Behinderung<br />
Beistands<strong>ch</strong>aften angeordnet.<br />
In der laufenden Revision des Vormunds<strong>ch</strong>aftsre<strong>ch</strong>ts sind massges<strong>ch</strong>neiderte Massnahmen<br />
vorgesehen, wel<strong>ch</strong>e die individuelle Situation der betreffenden Person stärker<br />
berücksi<strong>ch</strong>tigen. Au<strong>ch</strong> im neuen «Erwa<strong>ch</strong>senens<strong>ch</strong>utzre<strong>ch</strong>t» wird das Verhältnismässigkeitsprinzip<br />
und das Prinzip der Subsidiarität der Massnahmen von Bedeutung<br />
sein.<br />
250 BGE 114 Ia 350.<br />
251 Vgl. Margrith Biggler-Eggenberger in: Kommentar zum S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Privatre<strong>ch</strong>t,<br />
S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>es Zivilgesetzbu<strong>ch</strong> I, Art. 19, N 37 und N 41, S. 187, Basel 1996.<br />
252 BGE 109 II 273 E. 2 und.3<br />
253 Biggler-Eggenberger, a.a.O., N 40.<br />
1828
1.3 Kein Anspru<strong>ch</strong> auf Anstellung im Arbeitsre<strong>ch</strong>t – Arbeitsre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e<br />
S<strong>ch</strong>utzvors<strong>ch</strong>riften<br />
Das Arbeitsre<strong>ch</strong>t befasst si<strong>ch</strong> als Sonderre<strong>ch</strong>t mit dem Lebenssa<strong>ch</strong>verhalt der abhängigen<br />
Arbeit, wel<strong>ch</strong>e auf Grund eines privatre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Verhältnisses erbra<strong>ch</strong>t<br />
wird254. Obs<strong>ch</strong>on im Arbeitsre<strong>ch</strong>t zwingende Bestimmungen zu bea<strong>ch</strong>ten sind, ist<br />
die Abs<strong>ch</strong>lussfreiheit bzw. die Vertragsfreiheit beider Vertragspartner gewährleistet.<br />
Sie wird als wesentli<strong>ch</strong>er Teil der persönli<strong>ch</strong>en Freiheit betra<strong>ch</strong>tet255. Sie umfasst<br />
neben der Freiheit zur Gestaltung des Vertragsinhaltes innerhalb der gesetzli<strong>ch</strong>en<br />
S<strong>ch</strong>ranken au<strong>ch</strong> die Abs<strong>ch</strong>lussfreiheit, d.h. die Freiheit, einen Vertrag abzus<strong>ch</strong>liessen<br />
oder ni<strong>ch</strong>t, sowie die Freiheit, den Vertragspartner auszuwählen. Die Gesetzgebung<br />
des Bundes s<strong>ch</strong>ränkt die Vertragsfreiheit und somit das Re<strong>ch</strong>t auf Wahlfreiheit<br />
des Arbeitgebers bei Vertragss<strong>ch</strong>luss ledigli<strong>ch</strong> punktuell ein. So verbieten beispielsweise<br />
die Bestimmungen des Artikels 3 Absatz 1 und 2 des Gesetzes über die<br />
Glei<strong>ch</strong>stellung von Mann und Frau vom 24. März 1995256 direkte oder indirekte<br />
Bena<strong>ch</strong>teiligungen auf Grund des Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ts bei der Anstellung257. Spezielle gesetzli<strong>ch</strong>e<br />
Rücksi<strong>ch</strong>tnahmen sind bei Anstellungen gegenüber Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen<br />
ni<strong>ch</strong>t geboten. Das Gemeinwesen vertraut auf die Freiheit des Arbeitgebers,<br />
si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> freiwillig zur Anstellung eines Mens<strong>ch</strong>en mit einem Handicap zu<br />
ents<strong>ch</strong>liessen oder einen sol<strong>ch</strong>en Arbeitnehmer bzw. eine sol<strong>ch</strong>e Arbeitnehmerin<br />
trotz einer eingetretenen Behinderung und allenfalls einges<strong>ch</strong>ränkter Leistungsfähigkeit<br />
weiterhin in geeigneter Weise zu bes<strong>ch</strong>äftigen.<br />
Um das Klis<strong>ch</strong>ee der Hilfsbedürftigkeit bei jedem Behinderungsfall zu dur<strong>ch</strong>bre<strong>ch</strong>en,<br />
ist zu unterstrei<strong>ch</strong>en, dass Behinderung ni<strong>ch</strong>t notwendigerweise eine Eins<strong>ch</strong>ränkung<br />
der kreativen und wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Leistungskraft bedeutet. Beispiele<br />
von Mens<strong>ch</strong>en, wel<strong>ch</strong>e trotz ihrer augenfälligen oder verborgenen Behinderung ihren<br />
Mann oder ihre Frau stellen, widerspre<strong>ch</strong>en den gängigen Vorurteilen von Hilflosigkeit<br />
und Abhängigkeit.<br />
Als eine der zwingenden Bestimmungen im Arbeitsre<strong>ch</strong>t gilt die Pfli<strong>ch</strong>t des Arbeitgebers,<br />
die Persönli<strong>ch</strong>keit der Arbeitnehmer zu s<strong>ch</strong>ützen (Art. 328 Abs. 1 OR). Die<br />
Arbeitgeber sind verpfli<strong>ch</strong>tet, präventiv und aktuell die Persönli<strong>ch</strong>keit jedes Arbeitnehmers<br />
und jeder Arbeitnehmerin zu s<strong>ch</strong>ützen und im Rahmen des Arbeitsverhältnisses<br />
entspre<strong>ch</strong>ende Eingriffe von Vorgesetzten, Mitarbeitern oder Dritten (Kunden,<br />
Lieferanten) abzuwehren. Zu den Persönli<strong>ch</strong>keitsgütern gehören insbesondere<br />
Leben und Gesundheit, körperli<strong>ch</strong>e und geistige Integrität, persönli<strong>ch</strong>e und berufli<strong>ch</strong>e<br />
Ehre, Stellung und Ansehen im Betrieb, Geheimsphäre, die Freiheit der persön-<br />
254 Dem Arbeitsre<strong>ch</strong>t kommt grosse Bedeutung zu, da die eigene Arbeitskraft für die meisten<br />
Mens<strong>ch</strong>en in der S<strong>ch</strong>weiz die Grundlage ihrer wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Existenz bildet. In der<br />
S<strong>ch</strong>weiz sind über 90% der Erwerbstätigen Arbeitnehmende. Vgl. Charlotte Gysin, Der<br />
S<strong>ch</strong>utz des Existenzminimums in der S<strong>ch</strong>weiz, Basel 1999, S. 210. Rehbinder bere<strong>ch</strong>net<br />
für das Jahr 1996 die Zahl von 3,8 Millionen, bzw. na<strong>ch</strong> Abzug des öffentli<strong>ch</strong>en Dienstes<br />
2,8 Millionen Mens<strong>ch</strong>en in der S<strong>ch</strong>weiz, die ihre Existenzgrundlage in abhängiger Arbeit<br />
fanden. Manfred Rehbinder, S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>es Arbeitsre<strong>ch</strong>t, 14. Aufl., Bern 1999, S. 19.<br />
255 BGE 80 II 39<br />
256 Glei<strong>ch</strong>stellungsgesetz (SR 151.1)<br />
257 Das Verbot der direkten und indirekten Bena<strong>ch</strong>teiligung erstreckt si<strong>ch</strong> überdies auf die<br />
Aufgabenzuteilung, Gestaltung der Arbeitsbedingungen, Entlöhnung, Aus- und<br />
Weiterbildung, Beförderung und Entlassung.<br />
1829
li<strong>ch</strong>en Meinungsäusserung und die Freiheit der gewerks<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Organisation258. Der Arbeitgeber hat die Pfli<strong>ch</strong>t, Verhaltensweisen, wel<strong>ch</strong>e gegenüber Mens<strong>ch</strong>en mit<br />
Behinderungen als verletzend, abwertend und ausgrenzend wirken, entgegenzutreten<br />
und zu unterbinden.<br />
Die Erfahrungstatsa<strong>ch</strong>e, dass der Eintritt in die Gruppe der IV-Rentener und IV-<br />
Rentnerinnen hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> auf Grund von Krankheit erfolgt (76% aller IV-Rentner<br />
und Rentnerinnen), deren Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit mit dem Alter ansteigt, wogegen Eintritte<br />
auf Grund von Geburtsgebre<strong>ch</strong>en (14%) und Unfällen (11%) nur eine untergeordnete<br />
Rolle spielen, unterstrei<strong>ch</strong>t die Bedeutung der präventiven Sorge um die Gesundheit<br />
zur Erhaltung der Erwerbskraft, sowohl von Seiten der Arbeitgeber und<br />
Arbeitgeberinnen wie au<strong>ch</strong> von Seiten der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen.<br />
Das Arbeitsre<strong>ch</strong>t verpfli<strong>ch</strong>tet die Arbeitgeber in Artikel 328 Abs. 2 OR, zum S<strong>ch</strong>utz<br />
von Leib und Leben geeignete Massnahmen zu treffen. Die Arbeitgeber müssen für<br />
die einwandfreie Bes<strong>ch</strong>affenheit der Arbeitsräume und anderer von den Arbeitnehmern<br />
und Arbeitnehmerinnen zu benutzender Räume sorgen, Mas<strong>ch</strong>inen und Geräte<br />
mit den erforderli<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>utzvorri<strong>ch</strong>tungen versehen lassen und den Arbeitsablauf<br />
mögli<strong>ch</strong>st gefahrenlos gestalten. Ferner müssen sie die Arbeitskräfte auf Gefahren<br />
hinweisen, sie instruieren und für geeignete Überwa<strong>ch</strong>ung auf Einhaltung der Si<strong>ch</strong>erheitsvorkehrungen<br />
sorgen259. Grenze dieser S<strong>ch</strong>utzpfli<strong>ch</strong>ten ist jedo<strong>ch</strong> das te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong><br />
Mögli<strong>ch</strong>e und wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> Zumutbare. Dieses ist als Mindeststandard<br />
ges<strong>ch</strong>uldet (Art. 362 Abs. 2 OR). In Arbeitsverhältnissen, die dem öffentli<strong>ch</strong>em<br />
Arbeitss<strong>ch</strong>utzre<strong>ch</strong>t unterliegen, ist das te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong> Mögli<strong>ch</strong>e und das wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong><br />
Zumutbare dort näher konkretisiert. Der Gesundheitss<strong>ch</strong>utz ist im Zuge der Revision<br />
des Arbeitsgesetzes260 verstärkt worden, so für s<strong>ch</strong>wangere Frauen (Art. 35ArG) und<br />
für Jugendli<strong>ch</strong>e261. 2 Ansprü<strong>ch</strong>e im Sozialversi<strong>ch</strong>erungsre<strong>ch</strong>t<br />
2.1 Das System der sozialen Si<strong>ch</strong>erheit im Sozialstaat<br />
und das Invaliditätsrisiko<br />
Die Sozialstaatli<strong>ch</strong>keit ist ein tragendes Strukturelement unseres Staates. Dies ergibt<br />
si<strong>ch</strong> aus Artikel 2 Abs. 2 und 3 der Bundesverfassung (Wohlfahrtsförderung und<br />
Chancenglei<strong>ch</strong>heit) sowie aus weiteren Sozialbestimmungen der Verfassung. Hauptpfeiler<br />
der Sozialstaatli<strong>ch</strong>keit sind die Alters- Hinterlassenen und Invalidenversi<strong>ch</strong>erung<br />
(Art. 111 und 112 BV), die berufli<strong>ch</strong>e Vorsorge (Art. 113 BV), die Arbeitslosenversi<strong>ch</strong>erung<br />
(Art. 114 BV), die Familienzulagen und die Mutters<strong>ch</strong>aftsversi<strong>ch</strong>erung<br />
(Art. 116 BV) 262, die Kranken- und Unfallversi<strong>ch</strong>erung (Art. 117 BV) sowie<br />
die kantonale Fürsorge (Art. 115 BV). Zu den typis<strong>ch</strong>en Risiken der Sozialversi<strong>ch</strong>e-<br />
258 Manfred Rehbinder, Kommentar zum S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Privatre<strong>ch</strong>t, Obligationenre<strong>ch</strong>t,<br />
Basel 1996, Art. 328, N 3, S. 1631 und 1632.<br />
259 BGE 102 II 18–22<br />
260 Bundesgesetz vom 13. März 1964 über die Arbeit in Industrie, Gewerbe und Handel<br />
(ArG, SR 822.111)<br />
261 Die Liste der für Jugendli<strong>ch</strong>e bis zum vollendeten 19. Lebensjahr und die Liste der für<br />
Jugendli<strong>ch</strong>e unter 16 Jahren verbotenen Tätigkeiten (vgl. die Verbotsliste in Art. 47 der<br />
Verordnung I) wurde erweitert. Lehrlinge bis zum vollendeten 20. Lebensjahr dürfen<br />
gewisse gefährli<strong>ch</strong>e Arbeiten ni<strong>ch</strong>t verri<strong>ch</strong>ten. Bei der Bes<strong>ch</strong>äftigung von Jugendli<strong>ch</strong>en<br />
unter 15 Jahren müssen erhebli<strong>ch</strong>e Eins<strong>ch</strong>ränkungen bea<strong>ch</strong>tet werden, bezügli<strong>ch</strong> der<br />
Dauer der Bes<strong>ch</strong>äftigung und der Art der Tätigkeit (vgl. Art. 52–55 der Verordnung 1).<br />
262 Die Mutters<strong>ch</strong>aftsversi<strong>ch</strong>erung ist bislang ni<strong>ch</strong>t verwirkli<strong>ch</strong>t worden.<br />
1830
ung wie Krankheit, Arbeitslosigkeit, Arbeitsunfälle, Berufskrankheiten, Familienlasten,<br />
Alter sowie Tod des Versorgers zählt die Invalidität. Das soziale Si<strong>ch</strong>erungssystem<br />
kommt zum Tragen, wenn ein bestimmtes Risiko eingetreten ist. Die Sozialversi<strong>ch</strong>erung<br />
knüpft «kausal» an der Ursa<strong>ch</strong>e für den Ausfall der Selbstversorgung<br />
an. Unabhängig von einer konkreten Bedürftigkeit entsteht ein Anspru<strong>ch</strong> auf eine<br />
typisierte, klar bestimmbare Versi<strong>ch</strong>erungsleistung 263. Bei der Invalidenversi<strong>ch</strong>erung<br />
wie au<strong>ch</strong> bei der Altersversi<strong>ch</strong>erung wird bei einer allfälligen Unterdeckung<br />
der Lebenshaltungskosten bis zu einem sozialen Existenzminimum die Rente aufgestockt<br />
(Ergänzungsleistungen).<br />
2.2 Die Deckung des Invaliditätsrisikos<br />
Das Risiko der Invalidität wird dur<strong>ch</strong> vers<strong>ch</strong>iedene Sozialversi<strong>ch</strong>erungen gedeckt:<br />
dur<strong>ch</strong> die Invalidenversi<strong>ch</strong>erung, die Unfallversi<strong>ch</strong>erung bei unfallbedingter Invalidität,<br />
die Militärversi<strong>ch</strong>erung und die berufli<strong>ch</strong>e Vorsorge. Im Vordergrund steht die<br />
Invaliditätsversi<strong>ch</strong>erung. Das Gesetz über die Invalidenversi<strong>ch</strong>erung definiert in Artikel<br />
4 IVG Invalidität ursa<strong>ch</strong>en- und wirkungsbezogen als «die dur<strong>ch</strong> einen körperli<strong>ch</strong>en<br />
oder geistigen Gesundheitss<strong>ch</strong>aden als Folge von Geburtsgebre<strong>ch</strong>en, Krankheit<br />
oder Unfall verursa<strong>ch</strong>te, voraussi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> bleibende oder längere Zeit dauernde<br />
Erwerbsunfähigkeit» 264. Im Vernehmlassungsentwurf der vierten IV-Revision werden<br />
die Formen der Behinderung präzisiert: neben den körperli<strong>ch</strong>en oder geistigen<br />
Gesundheitss<strong>ch</strong>äden werden die psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en als eigene Kategorie aufgezählt265. Die Gesetzgebung der Invalidenversi<strong>ch</strong>erung betra<strong>ch</strong>tet Behinderung unabhängig<br />
von den Ursa<strong>ch</strong>en und Formen als ein vornehmli<strong>ch</strong> ökonomis<strong>ch</strong>es Lebensbewältigungsproblem.<br />
Das Ausmass der Behinderung bestimmt si<strong>ch</strong> deshalb na<strong>ch</strong> den ökonomis<strong>ch</strong>en<br />
Auswirkungen im Erwerbsleben266. Die Renten werden für erwa<strong>ch</strong>sene<br />
Mens<strong>ch</strong>en na<strong>ch</strong> dem Ausmass der Behinderung bere<strong>ch</strong>net, wel<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> den ökonomis<strong>ch</strong>en<br />
Auswirkungen bemessen wird. Ist der Versi<strong>ch</strong>erte zu mindestens 40 Prozent<br />
invalid, so hat er Anspru<strong>ch</strong> auf eine Rente. Um den Invaliditätsgrad zu bestimmen,<br />
werden zwei hypothetis<strong>ch</strong>e Erwerbseinkommen zueinander in Beziehung gesetzt:<br />
Das hypothetis<strong>ch</strong>e Erwerbseinkommen na<strong>ch</strong> Eintritt der Invalidität wird ins<br />
Verhältnis gesetzt zum hypothetis<strong>ch</strong>en Erwerbseinkommen ohne Invalidität (vgl.<br />
Art. 28 Abs. 2 IVG) 267. Die Rente wird na<strong>ch</strong> dem Grad der Invalidität abgestuft und<br />
in drei Anspru<strong>ch</strong>skategorien unterteilt: ein Invaliditätsgrad von mindestens 40 Prozent<br />
ergibt eine Viertelsrente, ein Invaliditätsgrad von mindestens 50 Prozent bedeutet<br />
eine halbe Rente und ein Invaliditätsgrad von mindestens 662/3 Prozent löst<br />
eine ganze Rente aus (Art. 28 Abs. 1 IVG).<br />
263 Ledigli<strong>ch</strong> die Hilfe der kantonalen Fürsorge ist «final» ausgeri<strong>ch</strong>tet in dem Sinne, dass<br />
auss<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> die Bedürfnisse der antragsstellenden Person massgebli<strong>ch</strong> sind.<br />
264 BG vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversi<strong>ch</strong>erung, SR 831.20. Das Bundesgesetz<br />
vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversi<strong>ch</strong>erungsre<strong>ch</strong>ts (ATSG)<br />
gelangt dur<strong>ch</strong> die Verbindung seines Art. 8 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 des IVG,<br />
den es abändert (vgl. Ziff. 8 des Anhangs) zu einem verglei<strong>ch</strong>baren Ergebnis<br />
(BBl 2000 5041).<br />
265 Art. 5 Abs. 1 und Abs. 2 des Vernehmlassungsentwurfes über die vierte IV-Revision vom<br />
4. Juli 2000. Die Aufzählung der Diskriminierungstatbestände in Art. 8 Abs. 2 BV,<br />
wel<strong>ch</strong>e von Verfassungs wegen verboten sind, enthält ebenfalls die drei Behinderungsarten:<br />
körperli<strong>ch</strong>e, geistige und psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Behinderung.<br />
266 Verglei<strong>ch</strong>e dazu die Ausführungen in Ziff. 3.3 über den Wehrpfli<strong>ch</strong>tersatz.<br />
267 SR 831.20; vgl. au<strong>ch</strong>. Art. 16 ATSG und die Aufhebung von Art. 28 Abs. 2, IVG<br />
(Ziff. 8 des Anhangs; BBl 2000 5041.<br />
1831
Bei Invalidität, wel<strong>ch</strong>e dur<strong>ch</strong> einen Unfall verursa<strong>ch</strong>t wurde, kann au<strong>ch</strong> ein Anspru<strong>ch</strong><br />
auf eine Invalidenrente gemäss dem Bundesgesetz über die Unfallversi<strong>ch</strong>erung<br />
(UVG) 268 bestehen. Diese Renten werden au<strong>ch</strong> bei einem kleinen Invaliditätsgrad<br />
gewährt. Neben der medizinis<strong>ch</strong>en Grundversorgung sind 80 Prozent des versi<strong>ch</strong>erten<br />
Lohnes gedeckt. Das Taggeld beträgt bei voller Arbeitsunfähigkeit 80 Prozent<br />
des versi<strong>ch</strong>erten Verdienstes. Bei teilweiser Arbeitsunfähigkeit wird es entspre<strong>ch</strong>end<br />
gekürzt (Art. 17 Abs. 1 UVG). Die Invalidenrente beträgt bei Vollinvalidität<br />
80 Prozent des versi<strong>ch</strong>erten Verdienstes; bei Teilinvalidität wird sie entspre<strong>ch</strong>end<br />
gekürzt (Art. 20 Abs. 1 UVG). Als invalid gilt, wer voraussi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> bleibend oder für<br />
längere Zeit in seiner Erwerbsfähigkeit beeinträ<strong>ch</strong>tigt ist. Für die Bestimmung des<br />
Invaliditätsgrades wird das Erwerbseinkommen, das der Versi<strong>ch</strong>erte na<strong>ch</strong> Eintritt<br />
der unfallbedingten Invalidität und na<strong>ch</strong> Dur<strong>ch</strong>führung allfälliger Eingliederungsmassnahmen<br />
dur<strong>ch</strong> eine ihm zumutbare Tätigkeit bei ausgegli<strong>ch</strong>ener Arbeitsmarktlage<br />
erzielen könnte, in Beziehung gesetzt zum Erwerbseinkommen, das er erzielen<br />
könnte, wenn er ni<strong>ch</strong>t invalid geworden wäre (Art. 18 Abs. 2 UVG269). Der Plafond<br />
des versi<strong>ch</strong>erten Lohnes liegt bei Fr. 106 800.–.<br />
Der Anspru<strong>ch</strong> auf Invalidenleistungen na<strong>ch</strong> dem Gesetz über die berufli<strong>ch</strong>e Alters-,<br />
Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG) 270 haben Personen, die im Sinne der<br />
IV zu mindestens 50 Prozent invalid sind und bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, deren<br />
Ursa<strong>ch</strong>e zur Invalidität geführt hat, versi<strong>ch</strong>ert waren (Art. 23 BVG). Der Versi<strong>ch</strong>erte<br />
hat Anspru<strong>ch</strong> auf eine volle Invalidenrente, wenn er im Sinne der IV mindestens<br />
zu zwei Dritteln, auf eine halbe Rente, wenn er mindestens zur Hälfte invalid ist<br />
(Art. 24 Abs. 1 BVG).<br />
Hilflosigkeit im Sinne der Invalidenversi<strong>ch</strong>erung liegt vor, wenn die versi<strong>ch</strong>erte Person<br />
in mindestens zwei alltägli<strong>ch</strong>en Lebensverri<strong>ch</strong>tungen regelmässig in erhebli<strong>ch</strong>er<br />
Weise auf die Hilfe Dritter angewiesen ist oder einer dauernden persönli<strong>ch</strong>en Überwa<strong>ch</strong>ung<br />
bedarf. Daneben gibt es no<strong>ch</strong> Sonderfälle von Hilflosigkeit 271.<br />
3 Steuerre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Berücksi<strong>ch</strong>tigung der Invalidität<br />
3.1 Die Qualifizierung der IV-Leistungen und anderer<br />
Sozialversi<strong>ch</strong>erungsleistungen<br />
Für natürli<strong>ch</strong>e Personen (wie au<strong>ch</strong> für juristis<strong>ch</strong>e Personen) gilt das Prinzip der Besteuerung<br />
na<strong>ch</strong> der wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Leistungsfähigkeit. Die direkten Steuern für<br />
natürli<strong>ch</strong>e Personen werden auf allen wiederkehrenden und einmaligen Einkünften<br />
aus selbstständiger und unselbstständiger Erwerbstätigkeit sowie der Einkünfte aus<br />
Vorsorgeleistungen erhoben (Art. 16 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die direkte<br />
Bundessteuer, DBG 272; Art. 7 des Bundesgesetzes über die Harmonisierung der direkten<br />
Steuern der Kantone und Gemeinden, StHG 273). Kapitalleistungen aus Vorsorge<br />
(2. Säule, Säule 3a) sowie Zahlungen bei Tod oder für bleibende körperli<strong>ch</strong>e<br />
Na<strong>ch</strong>teile unterliegen einer vom übrigen Einkommen getrennt bere<strong>ch</strong>neten Jahressteuer<br />
zu einem privilegierten Satz (Art. 38 DBG und Art. 11 Abs. 3 StHG).<br />
268 SR 832.20<br />
269 Vgl. den neuen Art. 18 UVG, der dur<strong>ch</strong> das ATSG (Ziff. 12 des Anhangs) geändert<br />
wurde, und Art. 16 LPGA; BBl 2000 5041.<br />
270 SR 831.40<br />
271 Art. 36 IVV, SR 831.201<br />
272 SR 642.11<br />
273 SR 642.14<br />
1832
Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen sind, wenn sie ni<strong>ch</strong>t mehr in das Erwerbsleben integriert<br />
werden können, auf «Ersatzeinkommen» angewiesen, d.h. auf Geldleistungen,<br />
wel<strong>ch</strong>e als Ersatz oder als Ergänzung des Einkommens dienen. Als steuerbare Ersatzeinkünfte<br />
gelten auf Grund der Ums<strong>ch</strong>reibung der steuerbaren Einkünfte namentli<strong>ch</strong><br />
Taggelder und Renten der Sozialversi<strong>ch</strong>erungen, so der Militärversi<strong>ch</strong>erung, der<br />
AHV/IV, der Unfallversi<strong>ch</strong>erung sowie der berufli<strong>ch</strong>en Vorsorge. Einige wenige<br />
Einkünfte sind aus sozialpolitis<strong>ch</strong>en Gründen steuerfrei. So sind Einkünfte auf<br />
Grund der Bundesgesetzgebung über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen-<br />
und Invalidenversi<strong>ch</strong>erung steuerfrei (Art. 24 Bst. h DBG; Art. 7 Abs. 4 Bst. k<br />
StHG). Die Steuerbefreiung gilt au<strong>ch</strong> für Unterstützungen aus öffentli<strong>ch</strong>en oder privaten<br />
Mitteln (Art. 24 Bst. d DBG; Art. 7 Abs. 4 Bst. f StHG). Unterstützungsleistungen,<br />
wel<strong>ch</strong>e in Erfüllung familienre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>er Verpfli<strong>ch</strong>tungen geleistet werden,<br />
sind ebenfalls steuerfrei; ausgenommen sind die von ges<strong>ch</strong>iedenen, geri<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> oder<br />
tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> getrennt lebenden Ehegatten erhaltenen Unterhaltsbeiträge sowie die<br />
Unterhaltsbeiträge für die Kinder (Alimente), wel<strong>ch</strong>e ein Elternteil für die Kinder<br />
erhält, für die er die elterli<strong>ch</strong>e Sorge innehat (Besteuerung na<strong>ch</strong> dem Zuflussprinzip<br />
bei dem Elternteil, dem die Leistungen zufliessen; Art. 24 Bst. e DBG, Art. 7 Abs. 4<br />
Bst. g StHG).<br />
Zu den steuerfreien einmaligen Einkünften zählen au<strong>ch</strong> die Genugtuungsleistungen<br />
(Art. 24 Bst. g DBG; Art. 7 Abs. 4 Bst. 1 StHG). Sie werden ges<strong>ch</strong>uldet von Privaten,<br />
die Urheber einer widerre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Tötung eines Mens<strong>ch</strong>en, einer widerre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en<br />
Körperverletzung oder einer Verletzung der Persönli<strong>ch</strong>keit sind (Art. 47 und<br />
49 OR).<br />
Von der Steuerbefreiung na<strong>ch</strong> Artikel 24 Bst. g DBG und Artikel 7 Abs. 4 Bst. i<br />
StHG erfasst werden au<strong>ch</strong> Integritätsents<strong>ch</strong>ädigungen, wel<strong>ch</strong>e gestützt auf Artikel 24<br />
UVG oder Artikel 48–50 MVG ausgeri<strong>ch</strong>tet werden274. 3.2 Die Berücksi<strong>ch</strong>tigung der Krankheits- und Invaliditätskosten<br />
im Steuerre<strong>ch</strong>t<br />
Von den gesamten steuerbaren Einkünften werden die zur Erzielung notwendigen<br />
Aufwendungen und die allgemeinen Abzüge abgere<strong>ch</strong>net, um das Nettoeinkommen<br />
des Steuerpfli<strong>ch</strong>tigen zu ermitteln275. Die Auslagen, wel<strong>ch</strong>e eine Person mit Behinderung<br />
beispielsweise für den Transport zum Arbeitsort aufwendet, können als Gewinnungskosten<br />
von den Einkünften abgezogen werden. Zu den allgemeinen Abzügen<br />
zählen namentli<strong>ch</strong> die Krankheits-, Unfall- und Invaliditätskosten des Steuerpfli<strong>ch</strong>tigen<br />
und der von ihm unterhaltenen Personen, soweit der Steuerpfli<strong>ch</strong>tige die<br />
Kosten selber trägt, sie 5% des steuerbaren Einkommens übersteigen, und diese<br />
einen vom kantonalen Re<strong>ch</strong>t bestimmten Selbstbehalt übersteigen (Art. 33 Abs.1<br />
Bst. h DBG und Art. 9 Abs. 2 Bst. h StHG). Krankheits- und Invaliditätskosten sind<br />
also, abgesehen vom Selbstbehalt, in vollem Umfange abziehbar276. Von Gesetzes wegen sind sowohl bei den Steuern des Bundes wie der Kantone die<br />
mit dem Beruf zusammenhängenden Weiterbildungs- und Ums<strong>ch</strong>ulungskosten ab-<br />
274 Markus Rei<strong>ch</strong> in: Kommentar zum S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Steuerre<strong>ch</strong>t, I/1, Art.7 StHG, N. 105,<br />
S. 110.<br />
275 Die zur Erzielung des Einkommens notwendigen Auslagen werden au<strong>ch</strong> «Gewinnungskosten»<br />
genannt (Art. 26–32 DBG; Art. 9 Abs. 1 StHG).<br />
276 Markus Rei<strong>ch</strong> in: Kommentar zum S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Steuerre<strong>ch</strong>t, I/1, Art. 9 StHG, N.30,<br />
S. 145.<br />
1833
ziehbar (Art. 26 Abs. 1 Bst. d DBG; Art. 9 Abs.1 Satz 2 StHG). Die Vorbereitung<br />
auf einen anderen, neuen Beruf erfüllt das Erfordernis des Zusammenhanges der<br />
Bildungsmassnahme mit dem angestammten Beruf, soweit die Ums<strong>ch</strong>ulung auf<br />
Grund einer eingetretenen Behinderung notwendig und zur Erhaltung oder zur wesentli<strong>ch</strong>en<br />
Verbesserung der Erwerbsfähigkeit unabdingbar ist. Diese Kosten werden<br />
zusätzli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> von der IV unterstützt (Art. 17 IVG; Art. 6 Abs. 1 IVV). Wenn eine<br />
versi<strong>ch</strong>erte Person Anspru<strong>ch</strong> auf Ums<strong>ch</strong>ulung hat, so übernimmt die IV die Kosten<br />
für die Ausbildung sowie für die Unterkunft und die Verpflegung in der Ausbildungsstätte<br />
(vgl. Art. 6 IVV).<br />
3.3 Wehrpfli<strong>ch</strong>tersatz<br />
Grundsätzli<strong>ch</strong> müssen gemäss Artikel 1 des Bundesgesetzes über den Wehrpfli<strong>ch</strong>tersatz<br />
(WPEG) 277 alle S<strong>ch</strong>weizer Bürger, die ihre Wehrpfli<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t oder nur teilweise<br />
dur<strong>ch</strong> persönli<strong>ch</strong>e Dienstleistung (Militär oder Zivildienst) erfüllen, einen Ersatz in<br />
Geld leisten. Dies bedeutet, dass au<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>weizer Bürger mit Behinderungen, wel<strong>ch</strong>e<br />
den Militärdienst ni<strong>ch</strong>t leisten können, grundsätzli<strong>ch</strong> ersatzpfli<strong>ch</strong>tig werden. Dies<br />
erklärt si<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong>, dass der Militärdienst eine Grundpfli<strong>ch</strong>t für alle S<strong>ch</strong>weizer<br />
Bürger ist. Nur na<strong>ch</strong> den Voraussetzungen von Artikel 4 WPEG wird der Betroffene<br />
von der Ersatzpfli<strong>ch</strong>t befreit, so namentli<strong>ch</strong> wenn er von einer erhebli<strong>ch</strong>en körperli<strong>ch</strong>en<br />
oder geistigen Behinderung betroffen ist und wenn zuglei<strong>ch</strong> sein Einkommen<br />
das betreibungsre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Existenzminimum um ni<strong>ch</strong>t mehr als 100 Prozent übersteigt<br />
(vgl. Art. 4 Abs. 1 Bst. a WPEG), oder wenn er eine Rente oder eine Hilflosenents<strong>ch</strong>ädigung<br />
der IV oder der UV bezieht, oder wenn er zumindest eine der<br />
zwei erforderli<strong>ch</strong>en Voraussetzungen für eine Hilflosenents<strong>ch</strong>ädigung erfüllt (Art. 4<br />
Abs. 1 Bst. abis und ater WPEG).<br />
Anspru<strong>ch</strong> auf eine Hilflosenents<strong>ch</strong>ädigung der IV besteht, wenn der Versi<strong>ch</strong>erte «in<br />
mindestens zwei alltägli<strong>ch</strong>en Lebensverri<strong>ch</strong>tungen regelmässig in erhebli<strong>ch</strong>er Weise<br />
auf die Hilfe Dritter angewiesen ist» (Art. 36 der Verordnung über die Invalidenversi<strong>ch</strong>erung,<br />
IVV) 278. Für die Beurteilung, ob im Einzelfall eine erhebli<strong>ch</strong>e körperli<strong>ch</strong>e<br />
oder geistige Behinderung (Art. 4 Abs. 1 Bst. a WPEG) vorliegt, wird ni<strong>ch</strong>t auf<br />
den Mindestgrad an Invalidität abgestellt, wel<strong>ch</strong>er für die Zuspre<strong>ch</strong>ung einer Invalidenrente<br />
erforderli<strong>ch</strong> ist, weil es si<strong>ch</strong> beim Invaliditätsgrad im Sinne der IV um einen<br />
wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Begriff handelt279. Der Begriff ist im medizinis<strong>ch</strong>en Sinne zu<br />
verstehen280. In der Praxis gilt eine Behinderung, die einer Integritätsents<strong>ch</strong>ädigung von 40 und<br />
mehr Prozent entspri<strong>ch</strong>t, wenn sie unfallbedingt wäre (Art. 24 UVG und Art. 36<br />
UVV), als erhebli<strong>ch</strong>281. 11303<br />
277 SR 661<br />
278 SR 831.201. Als alltägli<strong>ch</strong>e Lebensverri<strong>ch</strong>tungen gelten na<strong>ch</strong> der Geri<strong>ch</strong>tspraxis im<br />
Sinne einer abs<strong>ch</strong>liessenden Aufzählung folgende Aktivitäten: 1. Ankleiden und<br />
Ausziehen; 2. Aufstehen, Absitzen, Abliegen; 3. Essen; 4 Körperpflege; 5. Verri<strong>ch</strong>ten der<br />
Notdurft; 6. Fortbewegung, Kontaktaufnahme. Verglei<strong>ch</strong>e BGE 121 V 88, 124 II 241,<br />
247 und 248.<br />
279 Verglei<strong>ch</strong>e dazu die Ausführungen weiter vorn in Anhang 3 unter 2.2: Die Deckung des<br />
Invaliditätsrisikos sowie Art. 28 Abs. 2 IVG (SR 831.20).<br />
280 BGE 124 II 247<br />
281 BGE 126 II 275<br />
1834
Inhaltsverzei<strong>ch</strong>nis<br />
Übersi<strong>ch</strong>t 1716<br />
1 Text und Entstehungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Volksinitiative 1719<br />
1.1 Form und Gültigkeit 1719<br />
1.1.1 Wortlaut 1719<br />
1.1.2 Zustandekommen 1719<br />
1.1.3 Gültigkeit 1719<br />
1.1.3.1 Einheit der Form 1719<br />
1.1.3.2 Einheit der Materie 1720<br />
1.1.3.3 Dur<strong>ch</strong>führbarkeit der Initiative<br />
1.1.3.4 Übereinstimmung mit den zwingenden Bestimmungen des<br />
1720<br />
Völkerre<strong>ch</strong>ts 1721<br />
1.2 Entstehungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te und Zweck der Initiative 1721<br />
1.2.1 Die Lancierung der Initiative 1721<br />
1.2.2 Der Gesi<strong>ch</strong>tspunkt der Urheber der Initiative 1722<br />
1.3 Behandlungsfristen 1722<br />
2 Allgemeines 1723<br />
2.1 Zur Situation der Behinderten in der S<strong>ch</strong>weiz 1723<br />
2.1.1 Der Begriff der Behinderung<br />
2.1.2 Behinderung als existenzielle Beeinträ<strong>ch</strong>tigung und besondere<br />
1723<br />
Herausforderung an die Lebensbewältigung 1725<br />
2.1.3 Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen im Arbeitsprozess 1726<br />
2.1.3.1 Allgemeines 1726<br />
2.1.3.2 Ges<strong>ch</strong>ützte Werkstätten 1726<br />
2.1.3.3 Neue Integrationsformen<br />
2.1.4 Das statistis<strong>ch</strong>e Bild von Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen in der<br />
1727<br />
S<strong>ch</strong>weiz 1728<br />
2.1.4.1 Zur Datenlage 1728<br />
2.1.4.2 Gesamtzahl der behinderten Personen 1729<br />
2.1.4.3 Ursa<strong>ch</strong>en der Behinderungen 1729<br />
2.1.4.4 Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit des Bezugs einer IV-Rente 1730<br />
2.1.4.5 Entwicklung der Invalidität seit 1992 1731<br />
2.1.4.6 Kinder und minderjährige Jugendli<strong>ch</strong>e mit Behinderungen 1731<br />
2.1.4.7 Mobilitätsbehinderung<br />
2.2 Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen als Träger von spezifis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en-<br />
1733<br />
und Freiheitsre<strong>ch</strong>ten 1734<br />
2.2.1 Allgemeine Re<strong>ch</strong>tsentwicklung 1734<br />
2.2.2 Besondere Gefahr der Diskriminierung 1735<br />
2.3 Re<strong>ch</strong>tsverglei<strong>ch</strong> 1736<br />
2.3.1 Verglei<strong>ch</strong> mit den Re<strong>ch</strong>tsordnungen ausgewählter Staaten<br />
2.3.1.1 Besondere Verfassungsbestimmungen und besondere<br />
1736<br />
Behindertengesetze 1736<br />
2.3.1.2 Arbeitsre<strong>ch</strong>t 1737<br />
2.3.1.3 Bauli<strong>ch</strong>e Anpassungen von Gebäuden 1740<br />
2.3.1.4 Erziehungswesen 1742<br />
1835
2.3.1.5 Öffentli<strong>ch</strong>er Verkehr 1744<br />
2.3.1.6 Kommunikation 1745<br />
2.3.2 Das Re<strong>ch</strong>t der Kantone 1747<br />
2.3.2.1 Allgemeines 1747<br />
2.3.2.2 Bes<strong>ch</strong>äftigung 1748<br />
2.3.2.3 Bauten 1749<br />
2.3.2.4 Ausbildung 1750<br />
2.3.2.5 Öffentli<strong>ch</strong>er Verkehr 1751<br />
2.3.2.6 Steuern 1752<br />
2.4 Die Initiative Suter und die Vernehmlassung von 1999 1753<br />
2.4.1 Die parlamentaris<strong>ch</strong>e Initiative Suter 1753<br />
2.4.2 Die Vernehmlassung von 1999 1754<br />
2.4.2.1 Allgemeines 1754<br />
2.4.2.2 Re<strong>ch</strong>tsgrundlagen auf Verfassungsstufe 1754<br />
2.4.2.3 Künftige Gesetzgebung 1754<br />
3 Analyse und Würdigung der Volksinitiative 1755<br />
3.1 Re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Analyse 1755<br />
3.1.1 Auslegung des Initiativtextes 1755<br />
3.1.1.1 Allgemeines 1755<br />
3.1.1.2 Das Diskriminierungsverbot (Abs. 1) 1756<br />
3.1.1.3 Der Gesetzgebungsauftrag (Abs. 2) 1756<br />
3.1.1.3.1 Erster Satz 1756<br />
3.1.1.3.2 Zweiter Satz 1758<br />
3.1.1.4 Gewährleistung eines subjektiven Re<strong>ch</strong>ts (Abs. 3) 1759<br />
3.1.2 Direkte Anwendung 1761<br />
3.2 Anpassung an die neue Verfassung 1761<br />
3.2.1 Eingliederung in die neue verfassungsmässige Systematik 1761<br />
3.2.2 Eingliederung von Absatz 1 1762<br />
3.2.3 Eingliederung von Absatz 2 1762<br />
3.2.4 Eingliederung von Absatz 3 1762<br />
3.2.5 An die neue Verfassung angepasster Text 1763<br />
3.3 Folgen der Initiative 1763<br />
3.3.1 Positive Aspekte 1763<br />
3.3.2 Negative Aspekte<br />
3.4 Antrag: Ablehnung der Initiative und Vorlage eines indirekten<br />
1763<br />
Gegenentwurfs<br />
4 Indirekter Gegenentwurf: Entwurf zu einem Bundesgesetz über die<br />
Beseitigung von Bena<strong>ch</strong>teiligungen von Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen<br />
1766<br />
(Behindertenglei<strong>ch</strong>stellungsgesetz) 1766<br />
4.1 Vorentwurf und Vernehmlassung 2000 1766<br />
4.1.1 Vorentwurf 1766<br />
4.1.2 Ergebnisse der Vernehmlassung 1767<br />
4.1.3 Überarbeitungen des Vorentwurfs 1772<br />
4.2 Ansatz des Gesetzesentwurfs 1773<br />
4.3 Erläuterungen zum Entwurf 1774<br />
1836
4.3.1 Allgemeine Präsentation 1774<br />
4.3.2 Die einzelnen Bestimmungen 1775<br />
4.3.3 Anpassungen geltenden Re<strong>ch</strong>ts<br />
4.3.4 Bundesbes<strong>ch</strong>luss über die Finanzierung der Massnahmen im<br />
1788<br />
öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr zu Gunsten von Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen1789<br />
4.3.5 Organisatoris<strong>ch</strong>e Fragen 1790<br />
4.4 Weitere Gesetzesrevisionen 1791<br />
4.4.1 Allgemeines 1791<br />
4.4.2 Revision des Bundesgesetzes über die Berufsbildung 1791<br />
4.4.3 Revision der Invalidenversi<strong>ch</strong>erung 1792<br />
4.4.4 Anreizme<strong>ch</strong>anismen zur Bes<strong>ch</strong>äftigung 1793<br />
4.4.5 Revision des Radio- und Fernsehgesetzes 1794<br />
4.4.6 Revision des Bundesgesetzes über die Arbeitslosenversi<strong>ch</strong>erung<br />
4.4.7 Arbeiten an einem Bundesgesetz über die Amtsspra<strong>ch</strong>en des<br />
Bundes und über die Förderung der Verständigung zwis<strong>ch</strong>en den<br />
1794<br />
spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en und kulturellen Gemeins<strong>ch</strong>aften der S<strong>ch</strong>weiz 1795<br />
4.4.8 Neuer Finanzausglei<strong>ch</strong> 1796<br />
5 Auswirkungen des indirekten Gegenentwurfs 1796<br />
5.1 Allgemeines 1796<br />
5.2 Auswirkungen auf den Bund 1797<br />
5.2.1 Finanzielle Auswirkungen 1797<br />
5.2.2 Personelle Auswirkungen 1800<br />
5.2.3 Übersi<strong>ch</strong>t über die finanziellen Auswirkungen 1801<br />
5.2.4 Ausgabenbremse 1801<br />
5.3 Auswirkungen auf die Kantone und die Gemeinden 1801<br />
5.3.1 Finanzielle Auswirkungen 1801<br />
5.3.2 Personelle Auswirkungen 1803<br />
5.4 Volkswirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Auswirkungen 1803<br />
5.4.1 Zugang zu Gebäuden und Anlagen 1803<br />
5.4.2 Zugang zu öffentli<strong>ch</strong>en Verkehrsmitteln 1804<br />
5.4.3 Bau und Ausrüstung der Fahrzeuge 1805<br />
5.4.4 Dienstleistungen 1806<br />
5.4.5 Informatik 1806<br />
5.4.6 Fernmeldedienstleistungen 1806<br />
5.4.7 Sendungen für Hörges<strong>ch</strong>ädigte 1807<br />
5.4.8 Auswirkungen auf private Arbeitgeber 1807<br />
5.5 Praktis<strong>ch</strong>e Aspekte des Vollzugs 1808<br />
6 Legislaturplanung 1809<br />
7Völkerre<strong>ch</strong>t<br />
7.1 UNO 1809<br />
1809<br />
7.1.1 Empfehlungen und Programme 1809<br />
7.1.2 Konventionen 1809<br />
7.1.2.1 Allgemeine Diskriminierungsverbote der UNO-Pakte<br />
7.1.2.2 Internationaler Pakt über wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e, soziale und<br />
1809<br />
kulturelle Re<strong>ch</strong>te (Pakt I) 1810<br />
1837
7.1.2.3 Übereinkommen über die Re<strong>ch</strong>te des Kindes 1811<br />
7.1.3 Internationale Arbeitsorganisation 1811<br />
7.2 Europarat 1811<br />
7.2.1 Empfehlung<br />
7.2.2 Europäis<strong>ch</strong>e Konvention zum S<strong>ch</strong>utze der Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te und<br />
1811<br />
Grundfreiheiten und Zusatzprotokoll Nr. 12 1812<br />
7.2.3 Europäis<strong>ch</strong>e Sozial<strong>ch</strong>arta 1813<br />
7.3 Europäis<strong>ch</strong>e Gemeins<strong>ch</strong>aft 1813<br />
8 Re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Grundlagen 1815<br />
8.1 Verfassungsmässigkeit 1815<br />
8.1.1 Artikel 8 Absatz 4 1815<br />
8.1.2 Andere Verfassungsgrundlagen 1817<br />
8.2 Gesetzgebungsdelegationen 1818<br />
8.3 Form des zu erlassenden Akts<br />
8.4 Re<strong>ch</strong>tsgrundlage des Bundesbes<strong>ch</strong>lusses über die Finanzierung der<br />
Massnahmen im öffentli<strong>ch</strong>en Verkehr zu Gunsten von Mens<strong>ch</strong>en mit<br />
1818<br />
Behinderungen<br />
Anhänge<br />
1819<br />
1 Daten über Gebre<strong>ch</strong>ensgruppen, Funktionsausfälle und Ursa<strong>ch</strong>en 1820<br />
2 IV-Versi<strong>ch</strong>erte und erbra<strong>ch</strong>te Leistungen (Auszug aus der IV-Statistik<br />
1999) 1822<br />
3 Anspru<strong>ch</strong> auf Hilfe und Unterstützung für Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen<br />
im Zivilre<strong>ch</strong>t und im Sozialversi<strong>ch</strong>erungsre<strong>ch</strong>t; Berücksi<strong>ch</strong>tigung der Behinderung<br />
im Steuerre<strong>ch</strong>t 1824<br />
Bundesbes<strong>ch</strong>luss betreffend die Volksinitiative «Glei<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>te für<br />
Behinderte» (Entwurf)<br />
Bundesgesetz über die Beseitigung von Bena<strong>ch</strong>teiligungen von Mens<strong>ch</strong>en<br />
1839<br />
mit Behinderungen (Behindertenglei<strong>ch</strong>stellungsgesetz, BehiG (Entwurf)<br />
Bundesbes<strong>ch</strong>luss über die Finanzierung der Massnahmen im öffentli<strong>ch</strong>en<br />
1840<br />
Verkehr zu Gunsten von Mens<strong>ch</strong>en mit Behinderungen (Entwurf) 1849<br />
1838