CRUISER08
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Seite 8<br />
musik<br />
CRUISER 0708<br />
Friends of Dorothy<br />
Australische Schwule<br />
ermitteln die «50<br />
schwulsten Songs<br />
aller Zeiten»<br />
Böse Menschen haben keine<br />
Lieder. Wenn diese Volksweisheit<br />
stimmt, dann sind schwule Männer<br />
die besten Menschen der Welt. Die<br />
haben nämlich viele Lieder. Je kitschiger,<br />
gefühliger, herzschmerziger<br />
ein Schlager ist, desto grösser ist seine<br />
Chance, ein Hit in der Schwulenszene<br />
zu werden.<br />
Eine australische Schwulenwebseite<br />
hat jetzt die 50 «schwulsten Songs<br />
aller Zeiten» ermittelt. Begeistert haben<br />
mehr als 15 000 schwule Männer<br />
ihren persönlichen «gayest song<br />
of all times» angegeben. Dass «Dancing<br />
Queen» der schwedischen Poplegende<br />
ABBA mit Abstand auf den ersten<br />
Platz kam, wundert niemanden.<br />
Die sonst immer so kritische und oft<br />
zynische Mother Hell, eine «Nonne»<br />
der schwulen Aids-Aktivisten-Gruppe<br />
«Sisters of the Perpetual Indulgence»<br />
in Sydney, sagt: «Bevor ich<br />
überhaupt die Hitliste kannte, hätte<br />
ich auch sofort auf «Dancing Queen»<br />
getippt.»<br />
nen tanzen», sagt Tim Duggan, Mitbegründer<br />
von SameSame.com.au,<br />
nach eigener Aussage Australiens<br />
grösste schwul-lesbische Webseite.<br />
Aber es geht auch darum, sich angenommen<br />
und akzeptiert zu fühlen.<br />
Duggan betont: «Es gibt zwei Gemeinsamkeiten<br />
in den Songs – Spass<br />
und Selbstbewusstsein. In Liedern<br />
wie Gloria Gaynors «I will survive»<br />
und «I am what I am» wird vermittelt,<br />
dass man stolz auf sich selbst<br />
und das, was man ist, sein kann. Die<br />
Gay Community fühlt sich durch solche<br />
starken und machtvollen Lieder<br />
verstanden.»<br />
Bunt und überdreht<br />
Natürlich ist die SameSame-Hitparade<br />
nicht das letzte Wort in Sachen<br />
«gayest song» aller Zeiten. Zwar<br />
können sicher die meisten schwulen<br />
Männer auch in der Schweiz diese<br />
Liste unterschreiben. Aber jeder hat<br />
seinen persönlichen Geschmack und<br />
hinzu kommt noch lokales Liedgut.<br />
In Deutschland zum Beispiel würde<br />
garantiert Marianne Rosenberg<br />
mit «Er gehört zu mir» einen Spitzenplatz<br />
belegen. In den USA läge<br />
die legendäre Bette Middler ganz<br />
vorne, die ihren Aufstieg in den Pophimmel<br />
in den Schwulen-Bars von<br />
New York begann. Jan Feddersen,<br />
Taz-Redakteur und ausgewiesener<br />
Experte für das Schlagerwesen im<br />
Allgemeinen und den «Grand Prix…»<br />
im Besonderen outet seinen Lieblingssong:<br />
«Meine liebste schwule<br />
Schnulze war immer Frank Schöbels<br />
«Wie ein Stern.»<br />
In Schwulendiscos popularisiert<br />
Schwule Männer mögen das Positive,<br />
das Bunte, das Überdrehte.<br />
Feddersen sagt: «ABBA waren heiter,<br />
trugen verrückte Kostüme und waren<br />
dem Leben zugewandt. Die Linke<br />
redet ja gerne von letztgültigen<br />
Werten und von der grossen Chance<br />
des frühen Todes. ABBA waren<br />
das genaue Gegenteil. Ey-Leute-esgibt-ein-Leben-vor-dem-Tod<br />
war die<br />
Botschaft.» Zudem stellt Feddersen<br />
klar, dass Schwule immer die Ersten<br />
sind, die auf neue Musikstile abfahren.<br />
«Die entscheidenden Musikstile<br />
der letzten 30 Jahre, wie Phillysound<br />
oder letztlich auch Soul, wurden ja<br />
von Schwulen promoted. Die ganze<br />
Factory um Barry White zum Beispiel<br />
sind schwule DJs gewesen. In<br />
Motown sassen Schwule und der<br />
Background um Giorgio Moroder in<br />
München bestand nur aus Schwulen.<br />
Popularisiert wurden diese Musikrichtungen<br />
in den Schwulendiscos.»<br />
Abba, Village People...<br />
Die ultimative schwule Hitparade<br />
reicht von Madonna über Cher<br />
(Strong Enough), Barry Manilow (Copacabana),<br />
KD Lang (Constant Craving),<br />
Culture Club (Do You Really<br />
Want To Hurt Me), Diana Ross (I’m<br />
Coming Out), Barbra Streisand und<br />
Donna Summer (No More Tears), Sister<br />
Sledge (We are Family), Bronskie<br />
Beat (Smalltown Boy), Weather Girls<br />
(It’s raining men), Deborah Harry<br />
(I want that man), bis hin zu der<br />
in Australien unvermeidlichen Kylie<br />
Minogue (Your Disco needs you)<br />
und natürlich den unvergesslichen<br />
Village People, die mit «YMCY» in der<br />
Beliebtheitsskala gleich nach ABBA<br />
kommen. Mother Hell, alias Rik Gebalski,<br />
stöhnt auf: «Ich glaube, die<br />
meisten Schwulen würden vor Freude<br />
durchdrehen, wenn die gesamte<br />
Liste auf einer Party ohne Unterbrechung<br />
gespielt würde.»<br />
Gute Erinnerung an gute Zeiten<br />
«Die meisten der Songs auf der Liste<br />
sind Fun, Partyhymnen, die gute<br />
Erinnerungen an gute Zeiten wachrufen.<br />
Zudem kann man die Songs<br />
von Madonnas «Vogue» bis zu «9 to<br />
5» von Dolly Parton leicht mitsingen<br />
und selbst im Wohnzimmer zu ih-<br />
Poplegende ABBA ist mit «Dancing Queen» unbestritten auf Platz 1<br />
Judy Garland traf schon 1939 mit «Over the Rainbow» die Gefühle der Schwulen<br />
Judy Garlands «Over the Rainbow»<br />
Die Liste der 50 schwulsten Schlager<br />
aller Zeiten liest sich wie ein Whois-Who<br />
der internationalen Schlagerwelt<br />
der letzten 70 Jahre. Älteste<br />
Schwulenhymne ist Judy Garlands<br />
«Over the Rainbow» (Platz 15), jener<br />
Klassiker aus dem Film «Der Zauberer<br />
von Oz» aus dem Jahr 1939, dem<br />
Garland in der Rolle der kleinen Dorothy<br />
ihren Durchbruch als Superstar<br />
verdankt. In einem Zauberland<br />
jenseits des Regenbogens zu leben,<br />
in dem alles gut wird, ist der Traum<br />
der schwulen Männer, die weltweit<br />
in über 70 Ländern noch heute kriminalisiert<br />
und diskriminiert werden.<br />
Kein Wunder, dass in den USA<br />
und in Australien zu Zeiten, in denen<br />
Homosexualität noch illegal war,<br />
das Eingeständnis «Friends of Dorothy»<br />
zu sein das Codewort für «Ich<br />
bin schwul» war.<br />
Garland war bis zu ihrem Tode<br />
1969 durch eine Überdosis Schlaftabletten<br />
eine Ikone der Gay Community.<br />
Während einer Pressekonferenz<br />
fragte ein Re porter die Diva,<br />
ob sie sich ihrer treuen schwulen Gefolgschaft<br />
bewusst sei. «Mir ist das so<br />
was von egal», antwortete Garland,<br />
«ich singe für Menschen.»<br />
<br />
Von Michael Lenz