JAHRESBERICHT 2002 - Gerda Henkel Stiftung
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STIPENDIATIN Kathrin Müller, Hamburg<br />
FÖRDERUNG Promotionsstipendium | Die <strong>Gerda</strong> <strong>Henkel</strong> <strong>Stiftung</strong> unterstützt das<br />
Dissertationsvorhaben durch die Gewährung eines Promotionsstipendiums<br />
und die Übernahme von Reisekosten.<br />
Wie ist der Kosmos im Bild darstellbar, wenn es um die intellektuelle Ergründung seiner<br />
Struktur und Funktionsweise geht, die Welt jedoch gleichzeitig als Selbstäußerung<br />
eines Gottes betrachtet wird, dessen Sein und Wirken für den menschlichen Verstand<br />
unfassbar sind? Insbesondere in der Zeit der Früh- und Hochscholastik standen<br />
christliche Autoren, die ihre naturphilosophischen Traktate, gelehrten Dialoge und<br />
enzyklopädischen Schriften zu Kosmologie und Astronomie mit Bildern ausstatteten,<br />
vor diesem Darstellungsproblem. Durch die intensive Diskussion neuplatonischer<br />
Konzepte im 12. Jahrhundert sowie dann die Rezeption aristotelischer Naturphilosophie<br />
und arabischer Wissenschaft war ein neues Wissen über das Universum verfügbar,<br />
das den Verstand anspornte, genauer hinter das Geheimnis der geschaffenen<br />
Natur zu gelangen, ohne sich dabei von Gott zu entfernen. In der Rezeption neuer<br />
Theorien – etwa über die Unendlichkeit der Welt, Gottes Sein in der Schöpfung, die<br />
Entstehung des Kosmos aus den vier Elementen und die Bewegung der himmlischen<br />
Sphären – kam es darauf an, die neuen Sichtweisen mit dem christlichen Verständnis<br />
von Raum und Zeit in Übereinstimmung zu bringen. Als Träger des neuen kosmologischen<br />
und astronomischen Wissens und seiner Interpretation fungierten in der illustrierten<br />
Wissensliteratur neben dem Text die Bilder. Sammelhandschriften,<br />
Lehrschriften und enzyklopädische Werke mit illustrierten Texten zu Kosmologie und<br />
Astronomie sind aus der Zeit des 12. und 13. Jahrhunderts in großer Zahl überliefert.<br />
Dabei wurden häufig Diagramme als Träger von Wissen eingesetzt. Die Analyse dieser<br />
Wissensbilder ist Gegenstand des Dissertationsvorhabens von Kathrin Müller.<br />
Ausgehend von der Analyse des Liber floridus des Lambert von Saint-Omer (vollendet<br />
ca. 1120) sollen in einem chronologischen Fortschreiten weitere Handschriften mit<br />
illustrierten Texten zu Kosmologie und Astronomie hinsichtlich der Frage untersucht<br />
werden, wie Bilder im 12. und 13. Jahrhundert genutzt wurden, um neue Erkenntnisse<br />
über den Kosmos darzustellen. In einer vielschichtigen Analyse des Bildmaterials<br />
wird es zunächst um die Frage nach dem Inhalt des einzelnen Diagramms gehen,<br />
außerdem um das Verhältnis des Bildes zum Text, um seine Placierung im Codex, das<br />
Zusammenwirken mit anderen Bildern der Handschrift sowie die Rezeptionsbedingungen.<br />
Da für das wissenschaftliche Bild dieser Zeit die Frage nach dem Naturverständnis<br />
und damit nach dem Offenbarungsbegriff relevant ist, werden in der<br />
Studie auch Aspekte der Theologie- und Dogmengeschichte berücksichtigt werden.<br />
Es ist ein Anliegen des Projekts, den kunstwissenschaftlichen Kanon der mittelalterlichen<br />
Denkmäler um die Gruppe der hochmittelalterlichen Wissensbilder in einem<br />
analytischen Zugriff zu ergänzen und gleichzeitig einen Beitrag zum differenzierten<br />
Verständnis von Funktion und Möglichkeit des Bildes im christlichen Mittelalter zu<br />
liefern.<br />
OFFENBARUNG UND WISSEN.<br />
BILDER ZU KOSMOLOGIE UND ASTRONOMIE<br />
IM 12. UND 13. JAHRHUNDERT<br />
Struktur und Formung der Weltseele nach Platon in der<br />
Kompilation »De ratione sperae« (Mitte 12. Jh.).<br />
Bodleian Library, University of Oxford,<br />
MS. Digby 83, fol. 4r.<br />
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