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FINE Das Weinmagazin - 02/2015

Fine Das Weinmagazin ist in der Welt der großen Weine zu Hause. Hauptthema: SCHWEIZ

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Die neue<br />

Unübersichtlichkeit<br />

Gedanken über Stil und Stilistik des Weins<br />

Von Stefan Pegatzky<br />

Foto Guido Bittner<br />

Als der Wiener Musikwissenschaftler Guido Adler gegen Ende<br />

des 19. Jahrhunderts begann, intensiv und systematisch über die<br />

Geschichte der Musik nachzudenken, war er verzweifelt. Sie<br />

erschien ihm als bloßes »Knäuel künstlerischer Erscheinungen«<br />

und im Sprechen über sie würden »Wirrwarr« und »chaotische<br />

Zustände« herrschen. Also machte er sich Ge danken, die 1911 in<br />

das wegweisende Buch »Der Stil in der Musik: Arten und Prinzipien<br />

des musi kalischen Stils« münden sollten. Wer aufmerksam<br />

verfolgt, was zurzeit so alles rund um den Wein geschrieben wird,<br />

dem wird aufgefallen sein, dass, mit hundert Jahren Verspätung,<br />

auch hier viel die Rede vom »Stil« ist, und, eng damit zusammenhängend,<br />

von der »Stilistik«. <strong>Das</strong> liegt möglicherweise daran, dass<br />

auch die Weinwelt ziemlich unübersichtlich geworden ist.<br />

Die Aufgabe, eine Herkunft tatsächlich im<br />

Wein abzubilden, ist vermutlich die wichtigste<br />

überhaupt im modernen Weinbau.<br />

Was aber meinen wir, wenn wir von Weinstil<br />

sprechen oder von einer bestimmten<br />

Stilistik? Folgen wir der Kunst, in<br />

der Stil die Art und Weise bedeutet, wie ein Werk<br />

geschaffen ist, die »maniera« (was zugleich den<br />

Schaffensprozess wie das Resultat meint), dann<br />

bedeutet das für den Wein, wie er hergestellt wurde<br />

und wie er sich in der Degustation präsentiert. <strong>Das</strong><br />

ist nun offensichtlich ein weites Feld, aber es wird<br />

natürlich eingegrenzt durch eine Reihe vorstrukturierender<br />

Parameter, die einen Wein zunächst<br />

einmal ausmachen: Traube, Jahrgang, Herkunft.<br />

Aber, so im Standardwerk »Weinatlas Deutschland«,<br />

herausgegeben von Dieter Braatz, Ulrich<br />

Sautter und Ingo Swoboda, abseits dieser nicht<br />

zuletzt auch »gesetzlich definierten Bezeichnungen<br />

eröffnen sich die Fragen der Weinstilistik«.<br />

Freilich bestimmten diese Grundparameter<br />

bis in die siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts<br />

zumindest von der Idee her die Art und Weise, wie<br />

ein Wein gemacht wurde und wie er sich präsentierte.<br />

Ein Chianti, ein Rioja, ein Bordeaux, ein<br />

Moselriesling. Alle diese Wein wurden mehr oder<br />

weniger nach überlieferten Methoden gekeltert, die<br />

für die Region, aus der sie stammten, als typisch<br />

galten und die ihre Eigenart ausmachten. Von Stilistik<br />

hat damals kaum jemand gesprochen. Ende<br />

der 1970er, Anfang der 1980er Jahre begann dann<br />

allerdings an mehreren Orten eine Revolution, die<br />

eigentliche »Heldenzeit« der europäischen Weinkultur,<br />

die diese Situation von Grund auf ändern<br />

sollte.<br />

Denn tatsächlich waren seit Ende der 1950er<br />

Jahre die traditionell erzeugten Weine der renommiertesten<br />

Herkunftsregionen in das Visier einer<br />

unheiligen Allianz aus Politik und Großkellereien<br />

geraten, die den Aufsteigerschichten der Nachkriegszeit<br />

die süßen Früchte des vermeintlichen<br />

Luxus zu kleinstem Geld versprachen. Der deutsche<br />

Riesling verkommen zur Liebfrauenmilch; der<br />

Chianti entwürdigt als Pizzawein zum O-sole-mio.<br />

Die Revolution war entsprechend heftig. Sie fraß,<br />

wie alle anderen Revolutionen auch, zahl reiche ihrer<br />

eigenen Kinder und öffnete viele Türen, die besser<br />

verschlossen geblieben wären.<br />

Der Kampf, nicht zuletzt ein Echo der 68er-<br />

Bewegung, wurde in den verschiedenen Regionen<br />

je nach Gegebenheit unterschiedlich geführt. Im<br />

Piemont etwa, im Streit um den richtigen Barolo,<br />

war es der zwischen Traditionalisten und Modernen:<br />

Es ging im Kern um das Tannin­ Management<br />

der Nebbiolo-Traube, um Maischestandzeiten und<br />

Fassausbau. In Deutschland führten die Riesling-<br />

Rebellen den Kampf um trockne Weine gegen<br />

Neuzüchtungen, Süßreserve und das Diktat der<br />

»Geschmackspolizisten« in den staatlichen<br />

Prüfungskommissionen.<br />

Es war ein Kampf, der immer im Zeichen des<br />

Guten gegen das Schlechte und zumeist der<br />

Kleinen gegen die Großen geführt wurde.<br />

Manchmal, wie in Deutschland, wo das glorreiche<br />

weltweite Renommee des Rieslings der Vorkriegszeiten<br />

gegen die miserablen Zustände der Jetzt-Zeit<br />

ins Feld geführt wurde, war es auch ein Kampf des<br />

guten Gestern gegen das schlechte Heute. 1985 gab<br />

es kaum eine Weinregion, die von der Revolution<br />

unberührt geblieben wäre: <strong>Das</strong> Bordelais war durch<br />

Robert Parker durchgerüttelt, Burgund stand in<br />

Aufruhr wegen der radikalen Methoden des libanesischen<br />

Önologen Guy Accad, in Deutschland<br />

kamen die Burgundersorten ins neue Barrique, in<br />

der Toskana wurden Merlot und Syrah angepflanzt,<br />

und im Piemont gärte der Rotwein in australischen<br />

Rototanks. Junge Winzer zogen in ihren Lehr jahren<br />

um die Welt und wandten zuhause an, was sie in<br />

der Fremde gelernt hatten.<br />

Es war der Augenblick der Rulebreaker und die<br />

goldene Zeit der Wein-Presse, die zu deren mächtigem<br />

Sprachrohr wurde. Jeder guter Wein brauchte<br />

nun eine eigene Story. <strong>Das</strong> predigten auch die Weinbau-Universitäten,<br />

die den Winzern das Brand<br />

Building beibrachten: wie man, nicht zuletzt durch<br />

die Formulierung eines unverwechselbaren Alleinstellungsmerkmals<br />

(USP – von Unique Selling<br />

Point), zur Marke wurde. Und die Stil auf Lifestyle<br />

reduzierten, als bloße Individualisierungsgesten von<br />

Sinus-Milieus, soziologisch beschreibbaren gesellschaftlichen<br />

Gruppen mit vergleichbaren Wertvorstellungen,<br />

aus denen der Winzer seine Zielgruppe<br />

lediglich auszuwählen habe.<br />

Flankiert wurde dieser Aufbruch von zahlreichen<br />

Neuerungen der Kellertechnik. Durch<br />

Weinberater wie Emile Peynaud und seine Nachfolger<br />

wurde das Wissen um zentrale Schritte der<br />

Weinzubereitung wie die malolaktische Gärung oder<br />

die Wirkung von Barriques erheblich vertieft. Mit<br />

Umkehrosmose, Mikrooxydation und Schleuderkegel<br />

kolonne zogen High-Tech­ Verfahren in die<br />

Keller innovationswilliger (und finanzstarker)<br />

Wein güter. In vielen Regionen wurde Technik<br />

zum Schlüssel, für die Markenweine der globalen<br />

Weinmultis ebenso wie für die Spitzenchâteaus im<br />

Bordelais oder im Napa Valley. Mit dem von Ann<br />

Noble an der kalifornischen Weinbau-Universität<br />

in Davis entwickelten Weinaromenrad schienen<br />

zudem alle Aromen im Wein sensorisch abbildbar<br />

und auf weinbautechnisch reproduzierbare chemische<br />

Verbindungen reduzierbar zu sein. »Shape the<br />

flavour – Önologische Wege, Aroma und Stilistik<br />

des Weines zu formen« ist ganz zeitgemäß ein Vortrag<br />

bei der diesjährigen Fachtagung des Bundes<br />

Deutscher Oenologen in Deutschlands Weinbau-<br />

Mekka Geisen heim überschrieben.<br />

Kein Wunder, dass so mancher Rebell den Ausgangspunkt<br />

seiner Revolte aus den Augen verlor.<br />

Michael Broadbent beobachtete, dass sich der Wein in den fünfzig Jahren,<br />

in denen er im Fine Wine Department des Londoner Auktions hauses<br />

Christie’s gearbeitet hatte, mehr verändert habe, als in den sechstausend<br />

Jahren seiner Geschichte zuvor.<br />

Michael Broadbent beobachtete, dass sich der<br />

Wein in den fünfzig Jahren, in denen er im Fine<br />

Wine Department des Londoner Auktionshauses<br />

Christie’s gearbeitet hatte, mehr verändert habe,<br />

als in den sechstausend Jahren seiner Geschichte<br />

zuvor, und beklagte sich bitterlich über Weine, die<br />

vor allem vom »bombastischen Egotrip« ihrer<br />

Erzeuger kündeten. Mancher Winzer, so Decanter­<br />

Kolumnist Ch’ng Poh Tiong, benahm sich wie<br />

ein vorlautes Kind im Aufzug, das alle Knöpfe auf<br />

einmal drückt.<br />

Dennoch: Insgesamt wurden die Weine besser,<br />

keine Frage. Aber von nun an war Herkunft nicht<br />

mehr der Schlüssel zum Weinverständnis. Natürlich<br />

beanspruchten gute Winzer schon seit jeher eigene<br />

Interpretationen der Weine ihrer Region. Aber in<br />

zahlreichen hochkarätigen Blindproben machten<br />

erprobte Verkoster zunehmend die Er fahrung,<br />

dass sich viele große Weine nicht mehr über ihre<br />

Herkunft definieren ließen. An ihre Stelle trat −<br />

die Stilistik. Während zuvor die Herkunft immer<br />

einigermaßen genau über den zu erwarten den<br />

Geschmackskorridor Auskunft gab (die Eignung<br />

zum Essen, der Einsatz des Holzes, die un gefähre<br />

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<strong>FINE</strong> 2 | <strong>2015</strong> <strong>FINE</strong> Essay

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