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Mitteilungen 49/2009 - Fachverband Philosophie e.v.

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haupten, dass es ein Wissen gibt, welches man nur haben kann, nachdem man eine<br />

Fledermaus gewesen oder Farben empfunden hat. Ein Wissen, das sich aus der<br />

Perspektive dritter Person, also etwa des forschenden Neurowissenschaftlers nicht<br />

erschließen lässt. Erst dann sind die Argumente nicht mehr trivial – allerdings auch<br />

weniger schlagend. Denn nun stellt sich die Frage nach der Natur von „Wissen“:<br />

Gewinnt man aus der Perspektive der Fledermaus oder des rot empfindenden<br />

Menschen wirklich ein neues Wissen oder eben dasselbe Wissen aus einer anderen<br />

Perspektive (wie etwa Patricia Churchland sagen würde)? Könnte es nicht sein,<br />

dass Mary ihren Raum verlässt und sagt: Super, dass ich endlich mal selbst Farben<br />

sehe. Aber es ist exakt das, was ich aufgrund meines neurobiologischen Wissens<br />

erwartet hätte.<br />

Eliminativer Materialismus<br />

Dennoch scheint es so, als ob der Materialismus mit den Aspekten des Bewusstseins<br />

und der Subjektivität eben solche Probleme hätte wie der Dualismus mit jenen<br />

der Intentionalität und der mentalen Verursachung. Diese Probleme lassen sich<br />

auch in unzähligen Texten von Neurowissenschaftlern über die neurobiologischen<br />

Grundlagen mentaler Zustände wieder finden, so dass es genügend Möglichkeiten<br />

gibt, die Rekonstruktion und Kritik solcher Texte durch die Schülerinnen und Schüler<br />

erüben zu lassen. Als einen sehr konsequenten materialistischen Ansatz, der<br />

sich derartigen Kritikansätzen entzieht, lernen die Schülerinnen und Schüler darauf<br />

hin den eliminativen Materialismus von Patricia Churchland kennen. Dieser Ansatz<br />

bietet nicht zuletzt auch die Möglichkeit, Materialismus als Reduktionismus zu rekonstruieren<br />

und somit eine wissenschaftstheoretische Perspektive in die Diskussion<br />

des Körper-Geist-Problems einzubeziehen. Hierzu muss zunächst das Reduktionskonzept<br />

des Wiener Kreises eingeführt werden: Reduktionen betreffen eigentlich<br />

nicht Begriffe, sondern Theorien. Die Theorie eines komplexeren Phänomenbereiches<br />

wird reduziert, indem sie aus einer grundlegenden Theorie logisch abgeleitet<br />

wird. Im Zusammenhang dieser Ableitung können dann Begriffe der reduzierten<br />

Theorie mit Begriffen der grundlegenderen Theorie identifiziert werden. Die Schülerinnen<br />

und Schüler kennen aus dem naturwissenschaftlichen Unterricht in der Regel<br />

eine breite Palette solcher Reduktionen, auf die zur Verdeutlichung dieses Ansatzes<br />

Bezug genommen werden kann. Im Kontext des Körper-Geist-Problems ist<br />

nun klar, dass es sich bei der grundlegenderen Theorie um eine neurobiologische<br />

Theorie des Bewusstseins (oder auch einzelner mentaler Zustände) handelt. Die zu<br />

reduzierende Theorie ist nun nach Churchlands Auffassung in diesem Falle gar<br />

keine wissenschaftliche Theorie, sondern das komplexe System alltäglicher Annahmen<br />

über das menschliche „Seelenleben“, welches jedem von uns zur Vorhersage<br />

des Verhaltens anderer Menschen dient: die „folk psychology“ oder etwas abwertender<br />

„grandmother psychology“, deutsch meist übersetzt als „Alltagspsychologie“).<br />

Des weiteren macht Churchland darauf aufmerksam, dass kaum eine der erfolgreichen<br />

Reduktionen in der Wissenschaftsgeschichte dem Reduktionsschema<br />

des Wiener Kreises entspricht. Meist muss die zu reduzierende Theorie nach der<br />

Reduktion modifiziert, nicht selten sogar gänzlich verworfen (falsifiziert) werden. Die<br />

MITTEILUNGEN <strong>49</strong>/<strong>2009</strong><br />

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