Mitteilungen 49/2009 - Fachverband Philosophie e.v.
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Körper haben, insbesondere fernöstliche (z.B. bei den Balinesen wird ein Mensch<br />
als eines von fünf Geschwistern geboren: Fruchtwasser, Blut, Eihaut und Plazenta.<br />
Diese vier Geschwister sind immer anwesend, auch nachdem sie rituell begraben<br />
worden sind, und beeinflussen ihn das ganze Leben hindurch. Und: In östlichen<br />
und afrikanischen Ländern entscheidet nicht das Individuum über medizinische<br />
Eingriffe, sondern die Familie.) Forschung und Anwendung neuer (im Wesentlichen<br />
westlicher) Technologien sehen sich solchen Menschenbildern gegenüber vor besondere<br />
moralische Probleme gestellt. Es ist die Frage, warum wir annehmen sollten,<br />
dass westliche Konzepte von Individualität und Körperlichkeit überlegen sein<br />
sollten. Bioethik muss über die kulturellen Bedingungen eines moralischen Schutzes<br />
der Betroffenen nachdenken. Verantwortung ist entgrenzt, auch in Bezug auf<br />
die Zukunft.<br />
Dazu erörtert Düwell im vierten Teil die Dimensionen von Verantwortung: Wer?<br />
Wem gegenüber? Wofür? Aufgrund welches Kriteriums? Reichweite der Verantwortung?<br />
und diskutiert relevante Anwendungsbereiche bioethischer Theorie und Praxis.<br />
Während früher ärztliches Handeln durch den Heilungsauftrag des Arztes legitimiert<br />
war und nicht gegen den Willen des Patienten erfolgen durfte, ist dessen<br />
Grundprinzip jetzt die Autonomie des Patienten und die informierte Zustimmung<br />
(gemäß Erklärungen des Weltärztebundes von 1964 und 1975). Da die Fähigkeit<br />
zur Selbstbestimmung der Grund der Würde des Menschen ist, muss medizinisches<br />
Handeln deren Ermöglichung zum Ziel haben. (Wie verhält sich dieses Prinzip<br />
bei Menschen, die noch nicht oder nicht mehr die Fähigkeit zur Selbstbestimmung<br />
haben?)<br />
Diese Forderung wird angewandt auf die Probleme Sterbehilfe, Organtransplantation<br />
und Organgewinnung, auf Xenotransplantation (tierische Organe im menschlichen<br />
Körper), Embryonenforschung, pränatale Diagnostik, Tierethik, Tierversuche,<br />
also auf ein breites Spektrum von Forschungs- und Anwendungsbereichen.<br />
Der Verfasser argumentiert durchgängig gut informiert und vielschichtig, setzt sich<br />
kenntnisreich und begründend mit gängigen Konzeptionen auseinander und weist<br />
auf Grenzfälle und Problemüberhänge hin. Zugunsten einer immer philosophischen<br />
Argumentation verzichtet er z.T. auf eindeutige Entscheidungen. Manche philosophische<br />
Reflexion stehe noch aus, z.B. die Überlegung, dass Tierethik sich möglicherweise<br />
auf die Beschränkung von Freiheitsrechten des Menschen auswirken<br />
könnte; Tiere wären demnach Empfänger moralischer Handlungen (Rechte), ohne<br />
selbst moralisch zu handeln (Pflichten zu haben).<br />
Das Buch von Düwell ist sehr lesenswert, weil der Verfasser durchweg auf einer<br />
philosophischen Grundlage argumentiert, unterschiedliche gängige Positionen erörtert,<br />
so dass der Leser einen Überblick über die gesellschaftspolitische Bandbreite<br />
der Positionen erhält, und noch nicht gelöste Probleme aufweist. Es trägt sicherlich<br />
zur Klärung der eigenen Position bei. Das Buch ist m.E. auch für Laien gut lesbar;<br />
Fachtermini werden erklärt. Manches ist redundant, was angesichts des Umfangs<br />
des Buches z.T. notwendig ist. Leider sind der Druck sehr klein und die Zeilen sehr<br />
eng. (Marieluise Mutke)<br />
MITTEILUNGEN <strong>49</strong>/<strong>2009</strong><br />
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