Mitteilungen 49/2009 - Fachverband Philosophie e.v.
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auch von vielen Kritikern des Chinese-Room-Argumentes gebracht wird. Von anderen<br />
Kritikern wurde darauf verwiesen, dass ein System, das das Verstehen von<br />
Chinesisch „simulieren“ würde, höchstkomplex sein müsste und durch Searles Darstellung<br />
hoffnungslos „verniedlicht“ wird. In einem solchen hochkomplexen System<br />
könnte man dann tatsächlich eine Verstehensleistung des gesamten Systems - und<br />
nicht des isolierten, rasend schnell agierenden „Sachbearbeiters“ - unterstellen.<br />
Andere Kritiker verweisen darauf, dass ein solches System spätestens dann „verstehen“<br />
würde, was die Symbole bedeuten, wenn es praktisch in seiner Umgebung<br />
zu handeln gezwungen wäre, also praktische Erfahrungen machen könnte, was die<br />
Symbole bedeuten – ein Denkansatz, der mit der „Embodied Artificial Intelligence“<br />
im Kontext der Robotik zu spannenden Entwicklungen geführt hat.<br />
Absent-Qualia- und Inverted-Qualia-Argumente<br />
Als explizit gegen den Funktionalismus gerichtete Kritikansätze behandeln wir verschiedene<br />
Argumente, die wiederum vom Qualia-Problem ausgehen. Eine Gruppe<br />
von ihnen zeigt eine gewisse Ähnlichkeit mit Searles Chinese-Room-Argument: die<br />
„Absent-Qualia“-Argumente. Sie beziehen sich auf die Denkmöglichkeit, dass ein<br />
System die gleichen kausalen Relationen zu Inputs, Outputs und anderen funktionalen<br />
Zuständen haben könnte wie ein System, das ein bestimmtes Quale empfindet,<br />
ohne selbst überhaupt Erlebnisse zu haben. Intensiver diskutieren wir jedoch<br />
jene antifunktionalistischen Argumente, die unter dem Schlagwort „inverted qualia“<br />
bekannt sind. Sie gehen auf ein Gedankenexperiment zurück, das wohl erstmals<br />
von John Locke formuliert wurde, und versuchen zu zeigen, dass funktional identische<br />
Systeme umgekehrte Qualia aufweisen könnten, um somit nachzuweisen,<br />
dass eine funktionale Charakterisierung mentaler Zustände für ihr Verständnis nicht<br />
hinreichend sein kann (M11). Ein beliebtes Beispiel sind dabei solche Argumente,<br />
die von einem „inverted spectrum“ ausgehen, also etwa von zwei Menschen, von<br />
denen ein Mensch gerade die spektral entgegen gesetzten Qualitäten erleben<br />
könnte als der andere – also beim Anblick eines roten Gegenstandes dieselbe<br />
Empfindung wie der andere beim Anblick eines grünen und umgekehrt. Da beide in<br />
ihrer individuellen Entwicklung hinsichtlich der Rot-Grün-Unterscheidung gleiche<br />
Lernvorgänge durchlaufen hätten und das gleiche nichtsprachliche und sprachliche<br />
Verhalten in Referenz auf farblich unterscheidbare Gegenstände entwickelt hätten,<br />
wären sie auf Grund der Kennzeichnung funktionaler Zustände ununterscheidbar.<br />
Trotz umgekehrter Farbwahrnehmung würden also beide Menschen auf einen Input<br />
wie den Anblick reifer Tomaten mit einem Output wie der sprachlichen Bezeichnung<br />
„rot“ oder genussvollem Zubeißen reagieren und als Beziehung zu anderen mentalen<br />
Zuständen die Überzeugung entwickeln, dass sie essbar wären. Sie würden unreife<br />
Tomaten „grün“ nennen, als Verhältnis zu anderen Zuständen die Überzeugung<br />
haben, dass sie ungenießbar wären, und sie als Verhalten verschmähen. Sie<br />
würden beide beim Input rote Ampel als Output anhalten und beim Input grüne Ampel<br />
als Output losfahren - und bei ersterem Reiz als Verhältnis zu anderen mentalen<br />
Zuständen die Furcht entwickeln, Knöllchen zu kassieren oder einen Unfall zu<br />
riskieren, wenn sie sich anders verhielten. Wenn man akzeptiert, dass es solche<br />
MITTEILUNGEN <strong>49</strong>/<strong>2009</strong><br />
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