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144 DVDs: Miniaturen zur Filmgeschichte

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1922, DeutschlandNosferatu(Friedrich Wilhelm Murnau)Transit Classics 82876502899 [Region 2]Gut ein dutzendmal ist der expressionistischeStummfilmklassiker bereitsauf DVD erschienen, überzeugt hatkeine der bisherigen Ausgaben. Dankder Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftungliegt „Die Symphonie des Grauens“, soder Untertitel von „Nosferatu“, nun ineiner makellosen Version vor, komplettmit Booklet in der edlen Steelbox.„Die unheimliche Kutschenfahrt“,„Schreckensnacht“ oder „Das Liebesopfer“verheissen die Kapitelüberschriftender DVD, und die Erwartungenerfüllen sich auf’s schönste. DasFilmbild inklusive deutscher Zwischentitelwurde digital restauriert und vonColoristen neu visagiert, die Laufgeschwindigkeitdes Films ist auf18 Bilder angepasst und die wiedergefundeneOriginalmusik von HansErdmann wurde neu eingespielt.Schade bloss, dass im 53-minütigeBonusbeitrag „Die Sprache derSchatten“ der 1888 in Bielefeldgeborene und 1931 in Burbankverstorbene Friedrich W. Murnauweder als Filmschaffender noch alsMensch fassbar wird. Der Beitragwimmelt von Künstlernamen allerGattungen und verliert sich alsReisebericht über die Drehorte von„Nosferatu“ zwischen Lübeck und derHohen Tatra. Interessant sind einzigdie wenigen kurzen Ausschnitte ausden, im übrigen verschollenen, frühenFilmen Murnaus.NZZaS, 2. Dez. 2007


1924ff., Frankreich / USA /Niederlande u.a.Avant-Garde – ExperimentalCinema of the 1920s and ‘30s(Verschiedene)Kino Video 8 K402 [Region 1]Anzuzeigen ist eine veritable Fundgrubevon 24 Kurzfilmen, vereinigt auf einerDoppel-DVD mit allen grossen Namendes Experimentalfilms. Darunter findensich Germaine Dulacs „La coquille etle clergyman“ (1926) und FernandLégers „Ballet mécanique“ (1924)genauso wie Man Rays „L'étoile demer“ (1928), Jean Epsteins „La glace àtrois faces“ oder Herman G. Weinbergs„Autumn Fire“ (1931). Hans Richterist mit dem abstrakten Animationsfilm„Rhythmus 21“(1921) und mit „Vormittagsspuk“(1929) vertreten, einemdadaistischen Vexierspiel, welchesalsbald von den Nazis als Beispiel fürentartetes Kino gebrandmarkt wurde.Von Dimitri Kirsanoff gibt es denberühmten „Ménilmontant“ (1925) zusehen, dazu den nicht minder packendenTitel „Brumes d’automne“ (1928),beide mit Nadia Sibirskaja, die dann1934 im Wallis in Krisanoffs Ramuz-Verfilmung „Rapt“ eine Hauptrolleübernehmen sollte. Eher der AbteilungSkurrilitäten zu<strong>zur</strong>echnen sind „Heartsof Age“ (1934), der surrealistischeErstling von Orson Welles, und„Romance sentimentale“, mit demSergei Eisenstein und Grigori V.Alexandrov offensichtlich Anfang1930 einen Paris-Aufenthalt filmischüberbrückten. Beschlossen wird dieAusgabe von zwei bezauberndenKurzfilmen aus dem Jahr 1929 zumThema Wasser: „H 2 O“ des amerikanischenPhotographen Ralph Steinersowie „Regen“, mit dem der NiederländerJoris Ivens auf den Spurenvon Vermeer van Delft die Filmszenebetrat.NZZaS, 23. März 2008


1925, SowjetunionPanzerkreuzer Potemkin(Sergej M. Eisenstein)Transit Classics 8697099149 [Region 2]Der Ruhm von Eisensteins Revolutionseposist, namentlich wegen seinerbahnbrechenden Montagetechnik,legendär. Dennoch konnte bisherkaum jemand behaupten, „PanzerkreuzerPotemkin“ wirklich zu kennen.Der Film mitsamt Negativ wurde vonder Sowjetunion schon 1926 nachDeutschland verkauft, womit seinewechselvolle Geschichte begann.Einerseits hochgepriesen, wurde ermindestens ebenso oft zensuriert,umgeschnitten, gekürzt, gelegentlichauch verlängert, neu vertont oderschlicht verboten - im Westen genausowie nach seiner mysteriösen Rückkehrnach Moskau. Eine hervorragendrecherchierte Deluxe Edition (Hardcover-Bandmit DVD) zeichnet jetztdas dramatische Schicksal von„Panzerkreuzer Potemkin“ nach,mittels Text (Anna Bohn), Wort(Filmpublizist Gregor Patalas undNaum Kleeman vom MoskauerEisenstein-Archiv) und Bild. Selbstverständlichenthält die neue Ausgabeauch eine restaurierte Filmfassung(kontrastreiches Vollbild im Stummfilmformat,russisches Original mitzuschaltbaren deutschen Untertiteln).Als Motto ist dem Film wieder ein TextLeo Trotzkis vorangestellt, welcherspäter durch ein Lenin-Zitat ersetztwurde. Und selbstverständlich ist aufder DVD die Fahne, welche dieaufständischen Matrosen hissen, wiebei der Uraufführung rot eingefärbt.NZZaS, 9. Sept. 2007


1926 & 1928, SowjetunionŠestaja čast' mira [Ein Sechstelder Erde]& Odinnadcatyj [Das elfte Jahr](Dziga Vertov)Edition-Filmmuseum 53 [Region 2]Der sowjetische Filmtheoretiker undRegisseur Dziga Vertov verabscheuteemotionsgeladene Spielfilme, denener das Ideal eines „sujetlosen“ Filmsentgegensetzte. Eine soeben erschienene,sorgfältig gestaltete Editionmacht nun zwei seiner Titel erstmalsüberhaupt auf DVD zugänglich(russisches Original, deutsche undenglische Untertitel, ausführlichesBooklet). „Ein Sechstel der Erde“stimmt – nach einem ersten Rundschlaggegen die Klassengesellschaftdes Westens – eine ethnographischfundierte Hymne auf den Vielvölkerstaatder UdSSR an, welche inRegionen führt, die <strong>zur</strong> Entstehungszeitdes Films kaum bekannt,geschweige denn zugänglich waren.Der knapp einstündige „Odinnadcatyj“,uraufgeführt zum elften Jahrestagder Oktoberrevolution von 1917, istein filmisches Bijou. Es ist unmöglich,sich der rhythmischen Montage (schönmit einer neuen Tonspur von MichaelNyman untermalt) oder dem raffiniertenBildfluss mit Doppelbelichtungenund Überblendungen zu entziehen.Und doch lässt sich dieser meisterhafteBilderreigen von Stromschnellenund Telefonleitungen, von Landschaftenund Arbeiterkolonnen nicht vorbehaltlosgeniessen. Zwanzig Jahre nachdem Zusammenbruch der Sowjetunionschiebt sich immer wieder das Wissenum die menschlichen Opfer und dieökologischen Schäden der forciertenIndustrialisierung über die virtuoskomponierten Einstellungen.NZZaS, 20. März 2010


1927ff. / 2008, Sowjetunion /DeutschlandDas Kapital(Sergej M. Eisenstein)Nachrichten aus der ideologischenAntike(Alexander Kluge)Filmedition Suhrkamp fes 1 [Region 2]Seit kurzem hat auch der Suhrkamp-Verlag eine eigene DVD-Reihe. Derenerster Titel – mit gleich drei Discs undeinem reichhaltigen Booklet – istSergej M. Eisensteins ambitiösemVorhaben gewidmet, „Das Kapital“ vonKarl Marx zu „kinofizieren“. Eisenstein,1926 mit „Panzerkreuzer Potjomkin“ zuWeltruhm gelangt, 1927 indes bei denMontagearbeiten zu „Oktober“ in eineschöpferische und psychische Krisegeraten, versprach sich vom Marx-Projekt eine radikale Erneuerungdes Films. Achtzig Jahre danachgeleitet der deutsche Regisseur undMedienspezialist Alexander Klugedurch das (gescheiterte) Unterfangen.Anregend und anspruchsvoll verknüpfter verschiedene Ebenen: Textauszügeaus Eisensteins Tagebuch, die mittelszeitgenössischer Schrifttypen dialektischins Bild gesetzt werden; Collagenund dokumentarische Filmausschnitte;Lesungen aus den Schriften von KarlMarx in Verbindung mit philosophischenTraktaten und aktuellen Fernsehinterviews.Es ist nicht immerleichte Kost, die in insgesamt 570Minuten serviert wird (deutsch, keineUntertitel). Doch auf der dritten Disc –„Paradoxe der Tauschgesellschaft“ –kommen auch die Marx Brothers zuihrem Auftritt, und gleich zweimalfällt der Satz, der Karl Marx an AdamSmith, dem Urvater der modernenNationalökonomie, so gefiel: „Ich habenoch nie zwei Hunde einen Knochentauschen sehen.“ Wie wahr!NZZaS, 22. Feb. 2009


1928, USAThe Circus(Charles Chaplin)Warner Bros. Mk2 Z31 37644 [Region 2]„Endlich!“ ist man versucht aus<strong>zur</strong>ufen,denn Chaplins Klassiker wurden bisanhin auf DVD äusserst lieblosvermarktet. Dem hat nun „The ChaplinCollection“ abgeholfen, welche –vornehm im weissen Kartonschoberdaherkommend – sämtliche abendfüllendenSpielfilme anbietet. AlsBeispiel für die ganze Edition, derenzehn Titel auch einzeln erhältlichsind, sei „The Circus“ herausgegriffen:Das Bild, digital von einem Master inChaplins Privatarchiv gezogen, istvon phänomenaler Brillanz. Auchdie schnörkellose Menu-Steuerungüberzeugt und bietet auswählbareUntertitel gleich in 17 Idiomen.Besonders erfreulich: Zu jedemOriginalfilm wurde eine eigene BonusDisc angefertigt. Im Falle von „TheCircus“ kommen darauf die persönlichenund technischen Schwierigkeitenwährend der Dreharbeiten<strong>zur</strong> Sprache, namentlich die Boykottdrohungengegen Chaplin infolgeseiner Scheidung von Lita Grey,der Verlust des ersten Filmnegativsund der Brand auf dem Set in Hollywood.Sodann lernen wir Chaplin alsPerfektionisten kennen, der von eineranderthalbminütigen Sequenz in einemRestaurant 230 Versionen drehen liess(dreissig davon sind auf der BonusDisc versammelt), und als Multitalent,das den Hochseilakt auch dann nochmeistert, wenn es von einem Paarwilder Affen belästigt wird.NZZaS, 14. Dez. 2003


1928,FrankreichLa passion de Jeanne d‘Arc(Carl Theodor Dreyer)StudioCanal Arthaus 503390 SC[Region 2]„La passion de Jeanne d‘Arc“ zählt zuden späten Stummfilmklassikern. Ander Weltausstellung in Brüssel 1958und 1992 von der britischen Zeitschrift„Sight and Sound“ wurde er als einerder zwölf besten Filme aller Zeitenausgezeichnet, dies in erster Linieaufgrund seiner visuellen Qualitäten.Ausgehend von den historischenProzessakten entschied sich RegisseurDreyer für eine geradezuasketische Inszenierung: Es gibtlediglich drei Schauplätze (Gerichtssaal,Gefängniszelle und Scheiterhaufen),konsequent in Grossaufnahmenmit ungeschminktenGesichtern werden Verhör, Verurteilungund Verbrennung der Jeanned’Arc (1412-1431) dargestellt. Zum600. Geburtstag der „Jungfrau vonOrléans“ ist in Deutschland soebeneine Doppel-DVD (französischeZwischentitel, zuschaltbare deutscheUntertitel) erschienen. Sie bietet,erfreulicherweise mit der für Stummfilmeüblichen Abtastgeschwindigkeitvon zwanzig Bildern pro Sekunde,eine restaurierte Filmfassung inklusiveneu eingespielter Musikspur. Auf derzweiten Disc des Digi-Packs imKartonschober ist eine gut anderthalbstündigeDokumentation überFrankreichs Nationalheilige (Arte TV,deutsche Version) sowie ein ebensolanges Portrait des Regisseurs „CarlTh. Dreyer – My Metier“ zu sehen.Im 16-seitigen Booklet wird unteranderem berichtet, wie französischeKleriker und Nationalisten gegen denFilm Stimmung machten, weil er voneinem nicht katholischen Däneninszeniert wurde.NZZaS, 4. März 2012


1929, SowjetunionChelovek s kino-apparatom [Manwith the Movie Camera] (DzigaVertov)Image Entertainment ID4589DS[alle Regionen]Kaum jemand hat sich so ausführlichmit der Theorie des Kinos befasst, wiedie sowjetrussischen Filmschaffendenwährend der zwanziger Jahre. Eisensteinsberühmter „PanzerkreuzerPotjomkin“ stützte sich genauso aufdiese Auseinandersetzung wie DovzhenkosMeisterwerk „Erde“ oder ebenDziga Vertovs Dokumentarfilm „DerMann mit der Kamera“. Die aus denUSA stammende DVD „Man with theMovie Camera“ enthält das russischeOriginal und überzeugt auf Anhiebdurch das digital von einem 35mmNitratnegativ gezogene Bild. WeilVertovs Film ohne Zwischentitelauskam, gibt es nur ganz wenigeUntertitel, meist Übersetzungen vonInschriften an Gebäuden. Der Soundtrackwurde nach den ursprünglichenAnweisungen des Regisseurs neu inStereo eingespielt, und der Begleittextauf der aufklappbaren Kartonverpackunganalysiert kenntnisreich denÜbergang vom Stumm- zum Tonfilm inder Sowjetunion. Des weiteren kannman einen Audiokommentar anwählen,in dem von Professor Yuri Tsivian vonder Universität Chicago <strong>zur</strong>ückhaltend,aber äusserst anregend überInszenierung von Realität und überBilderwahrnehmung philosophiert.NZZaS, 26. Mai 2002


1929, FrankreichUn chien andalou(Luis Buñuel)Editions Montparnasse [Region 2]Die Zusammenarbeit von Luis Buñuelund Salvador Dalì am Drehbuch von„Un chien andalou“ bürgte und bürgtfür Irritation und Schockmomente. Derlediglich 16 Minuten lange Film gehörtzu den am häufigsten zitierten Werkender <strong>Filmgeschichte</strong>. Der Titel erschien2002 in Japan auf DVD, später auchin den USA und in Grossbritannien.Keine dieser Ausgaben vermochteindes zu befriedigen. Auf der japanischenDisc war die charakteristischeFilmmusik – ein argentinischer Tangosowie Wagners „Tristan und Isolde“ –durch Streicherklänge und einenCharleston ersetzt worden. Diebritische Ausgabe gab es nur alssperrige Kassette zusammen mitBuñuels nächstem Film „L’âge d’or“.Und alle drei Veröffentlichungen botenein Filmbild, dessen linker Rand starkbeschnitten war. Nicht nur dieserFehler ist auf der kürzlich in Frankreicherschienenen DVD (im schmuckenSchober mit einem komplettenSzenario auf Hochglanzpapier)behoben. Der ganze Film wurde digitalrestauriert und brilliert nun mit einemluziden Schwarzweiss. Leider hatman aber bei den Bonusbeiträgen –Gespräche der spanischen WeggefährtenBuñuels mit französischenMedienschaffenden - auf Untertitelverzichtet. Die Zwischentitel desHauptfilms im Stil von „Seize ansavant“ versteht man freilich auch ohneÜbersetzungshilfe, sofern bei diesemsurrealistischen Werk überhaupt von„Verständnis“ die Rede sein kann.NZZaS, 8. Okt. 2006


1929f., DeutschlandMenschen am Sonntag(Robert Siodmak & Edgar G.Ulmer)Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 2[Region 2]Nun hat auch die „FAZ“ ihre eigeneDVD-Reihe. An „Momente desdeutschen Films“ soll damit erinnertwerden, und als zweiter Titel derEdition ist soeben „Menschen amSonntag“ erschienen, ein semidokumentarischeSpielfilm, mit demsich am Ende der Stummfilmzeit einFilmkollektiv gegen die übermächtigeUfa zu behaupten hoffte. Das sympathischeWerk mit Laiendarstellernberuhte auf einem Script von BillyWilder: Fünf junge Leute – eineSchallplattenverkäuferin, ein Mannequin,ein Weinreisender, eine Film-Komparsin und ein Taxichauffeur –verbringen einen Sonntag an einemder Seen in der Nähe Berlins beimBaden, Faulenzen, Picknicken undFlirten. Beeindruckend sind dieImpressionen aus der 4-Millionen-Stadt (Kamera Eugen Schüftan).Die DVD wartet mit einer restauriertenFassung des Films auf, inklusive neugesetzter Zwischentitel und neuerMusikspur. Ein informatives, illustriertesBooklet und ein Bonusinterviewrunden die Ausgabe ab. Nicht zuletztwird in diesen Beigaben der Umstandbeklagt, dass die Eleganz und derZauber von „Menschen am Sonntag“faktisch folgenlos blieben. Drei Jahrenach der Filmpremiere gelangtendie Nationalsozialisten an die Macht,worauf sämtliche an der künstlerischenGestaltung des Films Beteiligten nachFrankreich oder in die USA emigrierten.NZZaS, 28. Nov. 2010


1930, SowjetunionZemlya [Earth / Soil / Erde](Alexander Dovzhenko)Image Entertainment ID1411DSDVD[Region 1]Wogende Kornfelder, Grossaufnahmenvon reifen Äpfeln oder riesigenSonnenblumen, es waren die optischenQualitäten, um derentwegendieser späte sowjetische Stummfilmanlässlich der Weltausstellung inBrüssel 1958 unter die zwölf bestenFilme aller Zeiten gewählt wurde.Diese Naturszenen und die respektvolleDarstellung der Landbevölkerungüberzeugen noch immer (sie trugenüberdies dem Regisseur nach Fertigstellungdes Films den nicht ungefährlichenVorwurf des ukrainischenNationalismus’ und des hinduistischenPantheismus’ ein). Die Veröffentlichungdes Titels auf DVD in den USA ist alsohöchst begrüssenswert, doch leiderschmälern die neu übersetztenZwischentitel den Filmgenusserheblich. So ist aus der Hauptfigur„Vassily“ - die Political Correctnesslässt grüssen – „Basil, the activist“geworden, wogegen Vassilys Vater imDVD-Vorspann zum Verwandten desRegieassistenten mutiert. Die Kulaken- nunmehr mit individuellen Fantasienamenwie „Arkhip Whitehorse“ ausgestattet- kommen als gesellschaftlicheKlasse nicht mehr vor; es ist lediglichvon „landowners“, allenfalls von „richfarmers“ die Rede. Immerhin hält dieDVD auch eine positive Überraschungbereit: Als Bonusbeitrag wird dasseltene Fragment „Die Beshin Wiese“von Sergej M. Eisenstein mitgeliefert.NZZaS, 5. Dez. 2004


1931, DeutschlandM – Eine Stadt sucht einenMörder(Fritz Lang)Ufa Klassiker 74321 95764 9 [Region 2]Warum diese DVD ausgerechnet miteinem verregneten Trailer für „Derblaue Engel“ eröffnet wird, bleibtmysteriös. Anschliessend ist nämlichdurchs Band weg Topqualitätangesagt. Fritz Langs Klassiker, derParallelen zwischen den Fahndungsmethodender Unterwelt und jener derPolizei offen legt (was ihm zwei Jahrenach Fertigstellung von „M“ bei denNazis umgehend ein Arbeitsverboteintrug), war seit den 1960er Jahrennur noch in einer stark gekürztenVersion verfügbar. Anhand des(unvollständigen) Originalnegativsund von Kopien, die in verschiedenenFilmarchiven lagerten (u.a. auch in derCinémathèque suisse in Lausanne),wurde der Film im Jahr 2000 rekonstruiert.Für die vorliegende DVD-Ausgabe wurde das Bild nochmalsdigital bearbeitet, mit sichtbaremResultat: Es übertrifft nun auch dieschon zuvor in den USA bei Criterionerschienene DVD. Selbst auf dem TV-Monitor gewinnen die Kellergewölbeund die Hinterhöfe dreidimensionaleTiefe. Auch das Bonusmaterial lässtsich sehen. Es bietet unter anderemein TV-Portrait des Regisseurs ausder Reihe „Kino, Kino“ des BayrischenRundfunks sowie Skizzen aus demDrehbuch, welchen direkt die entsprechendenSzenen aus dem Filmgegenüber gestellt werden.NZZaS, 1. Dez. 2002


1931, USAFrankenstein(James Whale)Universal 902978 2 [Region 2]Der amerikanische Horrorklassikerwurde für die DVD-Reihe „ClassicMonster Collection“ gründlichentstaubt. Das Bild, wohltuend imtraditionellen 4:3 Format, ist ohneKratzer oder Flimmern und verfügtüber einen angenehmen Hell-Dunkel-Kontrast. Der Ton (englisches Original,deutsche Synchronfassung; dazuzahlreiche Untertitel) ist für einenfrühen Tonfilm erstaunlich rauscharm.Erstmals wieder zu hören ist Dr.Frankensteins Ausruf „Now I knowwhat it feels like to be God“, der1936 der Zensurschere zum Opfer fiel.Schmuckstück der DVD sind zahlreicheExtras, darunter ein dreiviertelstündigerBeitrag „How HollywoodMade a Monster“ aus dem Jahr 1999(nur im Originalton ohne Untertitelverfügbar). Von „Faust“ über MaryShelleys „Frankenstein - The ModernPrometheus“ (1816 am Genferseeverfasst) bis zu Bühnenfassungendes ausgehenden 19. Jahrhundertskommen darin die literarischenVorlagen des Filmstoffs <strong>zur</strong> Sprache.Sodann werden die Einflüsse desdeutschen expressionistischen Filmsaufgezeigt, welche das anfänglichgeplante futuristische Dekor von"Frankenstein" verdrängten. ImZentrum steht natürlich Boris Karloffsstilbildende Interpretation desMonsters, namentlich die von„Der Golem“ beeinflusste Maskeoder das sensible Selbstverständnisdes Hauptdarstellers, das sich sehrschön in der Begegnung mit demMädchen am See zeigt, welche hiererstmals in voller Länge zu sehen ist.NZZaS, 2. Nov. 2003


1931, DeutschlandDie 3-Groschen-Oper(Georg Wilhelm Pabst)Absolut Medien Klassiker Edition 872[Region 2 / NTSC]„Frei nach Brecht“ heisst es im Vorspannder beachtenswerten Literaturverfilmung,die kürzlich zum 75-Jahr-Jubiläum digital restauriert wurde undnun auf DVD vorliegt. Die Querelenzwischen Brecht und der produzierendenNero-Film sind an mehrerenStellen Thema der DVD und desmitgelieferten Booklets, doch letztlichsind sie Schnee vom Vorjahr: Beide,Brechts 1928 uraufgeführtes Theaterstück„Die Dreigroschenoper“ undPabsts Filmversion, können problemlosnebeneinander bestehen. Diesmacht in einem halbstündigen Interviewauf der DVD der Sohn desFilmregisseurs, der KunsthistorikerMichael Pabst, deutlich. Wenigergeglückt ist der Audiokommentar zumHauptfilm, in dem Hans-Michael Bockseine liebe Mühe bekundet, mit den– vermutlich schriftlich vorbereiteten –Ausführungen des FilmhistorikersWolfgang Gersch mitzuhalten. Diezweite DVD enthält die integralefranzösische Fassung des Films,„L’Opéra de quat’sous“, eine spezielle,mit anderen Schauspielern undSchauspielerinnen auf dem Set inBerlin-Staaken gedrehten Exportversionfür den in der Frühzeit desTonfilms stark umkämpften französischsprachigenMarkt. Freilich wirdsich kaum jemand diese Version involler Länge anschauen, zumaldie DVD als weiteres Extra einenexzellenten 18-minütigen Quervergleichdes Originals mit dieserExportversion bereit hält.NZZaS, 23. Nov. 2008


1931–1936, FrankreichMarius, Fanny, César(Collection Marcel Pagnol)CMF Video EDV 171 [4 Disc Box ,Region 2]Fernweh und Heimweh: Die dreiPagnol-Verfilmungen mit Raimu,Pierre Fresnay und Orane Demazisgehörten in den sechziger und siebzigerJahren zum festen Sommerrepertoirehiesiger Studiokinos. Seithersind die Geschichten rund um denalten Marseiller Hafen nur noch seltenzu sehen gewesen. Um so grösser istdie Freude über eine vor kurzem inFrankreich erschienene DVD-Box mitder Trilogie, die alleine mit Kapitelüberschriftenwie „César sort naturellement“,“L'invitationau départ“ oder„Fermé pour correspondence“Erwartungen weckt. Das DVD-Schwarzweissbild ist kontrastreich,aber nicht ganz frei von Störungen.Auch der Ton verrät die Entstehungszeitder Filme, doch einblendbareUntertitel (französisch, deutschoder englisch) machen dieses Mankowett. Etwas langwierig wirkt ein fastneunzigminütiger AudiokommentarPagnols. Doch enthält die Box imhübschen marineblauen Schoberauch eine Bonusdisc mit aktuellenInterviews. Darin werden die Ankunftdes Tonfilms in den frühen dreissigerJahren oder der Transfer von derTheaterbühne auf die Kinoleinwanderörtert. Originalfilmplakate undhandkolorierte Standfotos rundendie Edition ab.NZZaS, 16.Okt. 2005


1932, FrankreichBoudu sauvé des eaux(Jean Renoir)Pathé Classique BFRS 1889148[Region 2]In den USA, in Grossbritannien oder inDeutschland gehören Untertitel in dereigenen Landessprache bei DVD-Ausgaben auch bei einheimischenFilmen zum Standardangebot, inFrankreich ist das leider nicht der Fall.Eine erfreuliche Ausnahme macht dieSerie „Pathé Classique“, sei’s auchbloss als Dienstleistung für Hörbehinderte.Im vergangenen Herbst ist in derReihe die anarchistische Komödie„Boudu sauvé des eaux“ mit MichelSimon erschienen, und auch wer gutFranzösisch versteht, wird in vielenFällen für die Transkription derkauzigen Sprüche dankbar sein, mitdenen der aus den Fluten der Seinegerettete Landstreicher Boudu seinegrossbürgerlichen Gastgeber plusDienstmädchen beinahe zum Wahnsinntreibt. Die DVD kommt alsaufklappbares Digipack daher mitdem Originalfilmplakat als Cover. DasFilmbild ist digital nachbearbeitet undsichtbar besser als auf der vor Jahrenin England erschienenen Ausgabe„Boudu – Saved from Drowning“. AlsBonusbeträge gibt es je zwei Interviewsmit Jean Renoir und MichelSimon (allerdings beide ohneUntertitel) sowie eine Fotogalerie zusehen. Damit erreicht die DVD dieSpieldauer von 1 Stunde 50 Minuten,welche im Booklet und auf demrückseitigen Umschlag angegebensind. Der Hauptfilm hingegen dauert,wie eh und je, knapp achtzig Minuten.NZZaS, 26. Mai 2007


1932, USAFreaks(Tod Browning)Warner Bros. Z5 65191 [Region 2]Um den „ultimativen Horrorfilm“ zuproduzieren, verpflichtete MGM 1932Tod Browning, der im Vorjahr bei„Dracula“ Regie geführt hatte.„Freaks“, ein selten gezeigter Kultfilm,spielt in einem Zirkus, der vornehmlichvon <strong>zur</strong> Schau gestellten Monstrositätenlebt. An der neuen, aus Deutschlandstammenden DVD gefallen daskontrastreiche Bild und der saubereTon. Auf eine Synchronfassung wurdeverzichtet, die Missgestaltetensprechen ihre eigene Sprache, fürderen Verständnis man gelegentlichgerne die englische Untertitelzuschaltet. Aber auch die sorgfältigedeutsche Untertitelung lässt sichsehen, keine Selbstverständlichkeit,nachdem der Umschlag der DVD auseiner „Sideshow“, also aus einerKuriositätenshow, eine Diashow(„Slideshow“) macht. Natürlich rief dieFilmstory – die Missgestalteten rächensich an der blonden TrapezkünstlerinCleopatra, welche den LiliputanerHans missbraucht – seinerzeit dieZensur auf den Plan. In einemBonusbeitrag der DVD erfahren wir,dass der Film für die Kinoauswertungum volle dreissig Minuten gekürztwurde. Nicht weniger als vierVersionen für das Filmende wurdengedreht. Drei davon sind auf der DVDzu sehen, die Urfassung lässt sichleicht vorstellen, wenn man „Freaks“gesehen hat.NZZaS, 20. März 2005


1935, DeutschlandTriumph des Willens(Leni Riefenstahl)DD Video 3878 [alle Regionen]Über eine obskure britische Homepagewird der berüchtigte Film über denNSDAP-Parteitag von 1934 in Nürnbergvertrieben, dessen öffentlicheVorführung in vielen Ländern nach wievor verboten ist. Die DVD basiert aufeiner wenig gespielten 35mm Filmkopiemit (ausblendbaren) englischenUntertiteln. Ein 16-seitiges Bookletenthält detaillierte Inhaltsangabeninklusive Rednerlisten zu den einzelnenKapiteln des Films. Somit lässtsich die lebenslange Behauptung derRegisseurin, sie habe mit ihrem Werkden Naziparteitag lediglich „dokumentiert“,praktisch Bild für Bild widerlegen.Die heiteren Trompetenklänge, dieliebevollen Kamerafahrten über dieNürnberger Altstadt, die kunstvollausgeleuchteten Gegenlichtaufnahmenund die Nahaufnahmen vonHitler – alles in „Triumph des Willens“steht im Zeichen der nationalsozialistischenVolksgemeinschaft und ihrerschleichenden Militarisierung. DerPropagandacharakter des Werks wirderst recht deutlich, wenn man den Filmmit den englischen „Movietone“-Wochenschauen über die NSDAP-Parteitage von 1935-1938 vergleicht,welche ebenfalls auf der DVD enthaltensind. Sie wirken mit ihrer monotonunterlegten Marschmusik und denstatischen Aufnahmen in Halbtotalerabsolut langweilig, während dieMontage von Riefenstahls Hauptwerknoch heute schwindlig macht.NZZaS, 3. Okt. 2004


1938ff., SchweizHeimkino – Private Filmschätzeder Schweiz(Verschiedene)Praesens 74328 [Region 2]Seit Anfang Juni dieses Jahres strahltdas Schweizer Fernsehen jeweils amSonntagabend unveröffentlichteprivate Filmaufnahmen aus den1930er und 1940er Jahren aus. DieFilmamateure und Pioniere, die dieseZeitdokumente schufen, bekleidetenganz unterschiedliche Berufe: Siewaren Bäckermeister, Pfarrer, Kinderarzt,Heizungstechniker, Landwirt oderFotograf. So verschieden die Herkunft,so vielseitig die Sujets der Filmschaffenden:Skispringen im Baselbiet,Kinderspital Aarau, Tour de Suisse1938, eine zürcherische Badeanstaltim Hitzesommer 1947, Eisgewinnungim Lauerzersee, Konfirmation inGränichen oder eine Alpenüberquerungmit Elefant auf den SpurenHannibals – neben vielen andernThemen. Die Privatfilme werfen einenungeschönten Blick auf den Alltag undsind gerade deshalb hochspannend.Die alten Filmstreifen sind hervorragendrestauriert sowie fachkundig undliebevoll kommentiert. Diese Sorgfaltzeichnet auch die DVD (mitsamtBooklet) aus, die in diesen Tagen mitsämtlichen dreizehn TV-Beiträgen inden Handel kommt. Erfreulicherweiseist bei der Basler FilmproduktionsfirmaTeamstratenwerth, die für „Heimkino“verantwortlich zeichnet, bereits eineFortsetzung geplant. Ganz bestimmtwartet noch auf manchem Estrich einprivater Filmschatz im 8mm-, 9.5mmoder16mm-Format darauf, gehobenzu werden.NZZaS, 24. Aug. 2008


1939, FrankreichLa règle du jeu(Jean Renoir)Montparnasse France [Regionen 2 – 6]Renoirs Gesellschaftskomödie mit denätzenden Untertönen fiel bei ihrerPremiere im Juli 1939 durch, wirdaber seit rund vier Jahrzehnten alsHöhepunkt des ohnehin reichenfranzösischen Films der dreissigerJahre verehrt. Die aus Frankreichstammende DVD enthält die im Jahre1959 rekonstruierte Fassung desFilms, der nach der Uraufführungzunächst um mehr als 15 Minutengekürzt worden war. Das Bild istkontrastreich, wenn auch nicht immerflimmerfrei. Die Tonspur wurde neuabgemischt, das für viele früheTonfilme übliche Knistern und Knackenentfällt. Begrüssen wird man in vielenFällen die einblendbaren deutschen(allenfalls englischen oder spanischen)Untertitel. Als Bonus bietet die DVDein 42-minütges „Image par image“Beiprogramm, das unter der Mithilfeder Cinémathèque française entstandenist. Fachgerecht wird hier RenoirsArbeitsweise analysiert, etwa der zudiesem Zeitpunkt bahnbrechendeEinsatz der Tiefenschärfe, mittelsderer die vielschichtige Handlungvorangetrieben wird, oder aber dieproduktive Anwendung von Schwenks,welche dazu dienen, das Geschehenoptisch zu kommentieren. Freundschaft,so zeigt sich, ist kaum mehr alsein Lockmittel, und das Bürgertum hatsich längst von seinen Idealen derGleichheit und Freiheit verabschiedet.Am Schluss des Films huscht diesogenannt bessere Gesellschaft, auchdarauf verweist „Image par Image“, nurnoch als flüchtige Schatten über dasSchlossgemäuer.NZZaS, 14. April 2002


1939, USAGone with the Wind(Victor Fleming)MGM 906311 [Region 1] /Warner Bros. Z5 65009 [Region 2]Mit Einspielergebnissen von überachtzig Millionen Dollar und zehnOscar-Auszeichnungen trug „VomWinde verweht“ jahrzehntelang dasPrädikat „erfolgreichster Film allerZeiten“. Das Südstaaten-Melodram mitClark Gable und Vivian Leigh, dieinfolge der Wirren des amerikanischenSezessionskriegs nicht zusammenfinden,wurde 1998 wieder ins Kinogebracht. In einem aufwendigenVerfahren wurden dafür die ausgewaschenenTechnicolor-Farbenrestauriert und die Tonspur neuabgemischt. Diese Qualitäten zeichnennun auch die DVD-Ausgabe aus.Allerdings steht man hier vor einemDilemma: Die europäische Versionverfügt neben dem englischen Originalüber eine deutsche Synchronfassung,dazu sind Untertitel in diesen beidenund in neun weiteren Sprachenanwählbar, aber die DVD läuft – wiein Europa üblich – mit 25 statt mit24 Bildern pro Sekunde. Für den reinenFilmgenuss muss man sich deshalban die amerikanische Ausgabe (miteinblendbaren englischen Untertiteln)halten. Beide Fassungen bieten denannähernd vierstündigen Filmerfreulicherweise auf einer einzigenDVD an, die beidseitig bespielt ist.Und zum Wenden der Scheibe bleibtgenügend Zeit: Während fast vierMinuten heisst es „Intermission“ –vor einem dunkelroten Theatervorhangund mit voller Orchesterbegleitung.NZZaS, 21. Dez. 2002


[1940 /] 2008, DeutschlandHarlan – Im Schatten von JudSüss(Felix Moeller)Edition Salzgeber D239. [Region 2]Dieser Film ist ein Ärgernis, und diesgilt nicht minder für die soebenveröffentlichte DVD. Der Name VeitHarlan ist eng verknüpft mit demnationalsozialistischen Propagandafilm„Jud Süss“ (1940). Wegen dieserRegiearbeit wurde Harlan nachKriegsende zweimal vor Gerichtgestellt. In der Folge konnte er seineKarriere in der Bundesrepublik nurunter erschwerten Bedingungenfortsetzen. Regisseur Felix Moeller,bis dato mit einigen wenigen TV-Biographienin Erscheinung getreten, rolltnun „Die Geschichte des umstrittenenRegisseurs“ nochmals auf und zwarmittels Erinnerungen von Familienangehörigen.Filmische Kenntnisseund politisches Bewusstsein derInterviewten sind unterschiedlich,dementsprechend variieren ihreAussagen zwischen punktuellinteressant und absolut belanglos.Moeller, glückbeseelt, den ganzenHarlan-Clan inklusive dreier knappdem Backfischalter entronnenerEnkelinnen vor die Kamera gebrachtzu haben, versäumt es Mal für Mal,an kritischen Stellen nachzuhaken.Diese Art von (Nicht-)Recherche führtim 45-minütigen Bonus-Beitrag derDVD zum Fiasko: Alexander Kluge,sonst filmtheoretisch und Gesellschaftspolitischkeineswegs blauäugig,verliert sich in seiner Interpretation vonHarlans Künstlerpersönlichkeit in einerbildungsbürgerlichen Endlosschlaufe.Spätestens wenn darin vom „Biedermeierlichenim Nazikino“ die Rede ist,schafft nur noch die Exit-Taste auf derFernbedienung Abhilfe.NZZaS, 28. Feb. 2010


1941, USACitizen Kane(Orson Welles)Warner Bros. T6565 [Region 1] /Arthaus D 1899 [Region 2]Der Erstling des Multi-Talents OrsonWelles landet bei der Umfrage nachdem „besten Film aller Zeiten“regelmässig auf einem der vorderstenPlätze. Zu Recht: Das Portrait desMoguls Charles Foster Kane bietetnach wie vor geistreiche und formalfulminante Unterhaltung. Zum 60-jährigen Jubiläum des Films wurde2001 eine neue digitale Kopie gezogen.Sie ist nun auch auf DVD zubewundern. Die „Arthaus“-Ausgabebietet „Citizen Kane“ in einer neuendeutschsprachigen Synchronfassungsowie als englischsprachiges Originalmit deutschen Untertiteln an (aufWunsch ausblendbar). Eine Serie vonSchrifttafeln informiert über Welles'bahnbrechenden Einsatz von Tiefenschärfe,Weitwinkelobjektiv undPlansequenzen. In den USA erschiendie DVD als Luxusausgabe. Zumlaufenden Film können gleich zweianregend fachsimpelnde Kommentare(Roger Ebert und Peter Bogdanovich)zugeschaltet werden. Die Bonusdisk„The Battle over Citizen Kane“, welchesich mit dem Streit zwischen OrsonWelles und dem Medienzar Hearstbefasst (auf dessen Lebenslauf derFilm zum Teil basiert), kommt hingegenlangfädig daher. Oder rührt dieserEindruck daher, dass diejenigen, dieeben „Citizen Kane“ gesehen haben,lineare TV-Dokumentationen schlichtnicht ertragen?NZZaS, 28. Juli 2002


1941, SchweizLandammann Stauffacher(Leopold Lindtberg)Praesens Film 24368 [Region 2]Der Jubiläumsfilm zum 650-jährigenBestehen der Eidgenossenschaft istein Schlüsselfilm der GeistigenLandesverteidigung mit der Coronader damaligen Schauspieler, eineGrossproduktion, für die in der Nähedes Lauerzersee ein eigenesmittelalterliches Dorf rekonstruiertwurde (brillant restauriertes Bild aufder eben erschienenen DVD).Ohne die aktuelle politische Lage jeexplizit zu nennen – die Schweiz warseit Frühjahr 1940 von den faschistischenMächten umzingelt –, blicktedas eingespielte Team der Praesens-Film in „Landammann Stauffacher“auf die Jahre 1314/15 <strong>zur</strong>ück, als dieEidgenossen durch die „Händel derfremden Welt“ in ihren Rechten undFreiheiten bedroht wurden. Es wirdviel geredet im Film (DVD mitOriginalversion, deutscher unditalienischer Synchronfassung, dazueinblendbare deutsche Untertitel), bisder Schwyzer Landammann (HeinrichGretler) schliesslich verkündet:„Bringed mer d’Rüschtig:“ Die eigentlicheSchlacht am Morgarten wird imFilm indes nicht gezeigt. Als Standfotografauf dem Set figurierte eingewisser Robert Frank und, wie einviertelstündiger Beitrag auf der DVDerstmals enthüllt, handelt es sich dabeium den nachmaligen Autor des epochalenFotobandes „The Americans“(1958) und Regisseur des nie offiziellgezeigten Rolling Stones-Films„Cocksucker Blues“ (1972/74).Morgarten und Mick Jagger? Fürwahreine unerwartete Kombination.NZZaS, 21. Jan. 2009


1942 / 2010, Deutschland /IsraelGeheimsache Ghettofilm(Yael Hersonski)Arte Edition Absolut Medien 544 [Region 2]Im Frühjahr 1942 begann ein nationalsozialistischesFilmteam im WarschauerGhetto mit den Dreharbeiten zueinem anti-jüdischen Propagandafilm.Die Liquidation des Ghettos wenigeMonate danach verhinderte dieFertigstellung des Werks. Erhaltengeblieben sind gut sechzig Minuteneiner Rohschnittfassung, die nachKriegsende ausschnittsweise inzahlreichen historischen Dokumentationenüber das Dritte Reich gezeigtwurden. Integral und digital restauriertsind die Filmaufnahmen nun auf derDVD „Geheimsache Ghettofilm“(deutsche und englische Fassung)zu sehen. Dazu hat Regisseurin YaelHersonski anhand von gerettetenTagebüchern aus dem Ghetto, inInterviews mit Überlebenden sowie ineinem anhand der Originalprotokollenachinszenierten Verhör mit einemKameramann die Entstehungsgeschichtedes tendenziösen Werksminutiös nachgezeichnet – ein keineswegsbloss historisch interessantesUnterfangen. Nicht ganz so originell,wie uns der Kommentar zu HersonskisFilm glauben machen will, sind dieAusführungen <strong>zur</strong> Machart desPropagandafilms: Die manipulativeBildinszenierung und die denunziatorischeMontagetechnik des WarschauerArchivmaterials wurden von ErwinLeiser bereits 1961 im Dokumentarfilm„Eichmann und das Dritte Reich“ und1968 in der Publikation „Deutschland,erwache!“ eingehend analysiert.NZZaS, 17. Juli 2011


1942, USAThe Ox-Bow Incident(William W. Wellman)Koch Media Western Legends Nr. 9[Region 2]In der Nähe eines abgelegenen Städtchensim Staat Nevada der 1880erJahre soll ein Farmer überfallen undsein Vieh gestohlen worden sein. InAbwesenheit des Sheriffs macht sichder Mob auf die Suche nach denvermeintlichen Dieben und spürt dreiVerdächtige auf. Sie werden kurzeinvernommen und nach einemMehrheitsentscheid der Menge imMorgengrauen gehängt. Henry Fonda,einer der beiden Cowboys, die sichnotgedrungen der aufgebrachtenMenge anschliessen, ist hier für einmalnicht der strahlende Draufgänger,sondern der Pragmatiker, der imPrivatleben genauso scheitert (seineFreundin hat ihn für einen reichenKalifornier verlassen) wie als Mahnergegenüber dem Lynchmob. Diesoeben erschienene DVD (englischsprachigesOriginal, deutscheSynchronfassung, englische Untertitel,digital restauriertes Bild) enthält alsBonusbeitrag ein 45-minütiges Portrait„Henry Fonda: Hollywood‘s QuietHero“ mit Jane und Peter Fonda sowieAnthony Quinn – der in „The Ox-BowIncident“ einen jungen Mexikaner spielt– und einen zuschaltbaren englischenAudiokommentar, in welchem WilliamWellman Jr., der Sohn des Regisseurs,und der Historiker und WesternspezialistDick Eulain auf den Autor derliterarischen Vorlage des Films, WalterVon Tilburg Clark, eingehen. Erbetonte zeitlebens, dass er in seinem1940 erschienenen Roman nicht blossden europäischen Faschismus,sondern durchaus amerikanischeMissstände im Auge gehabt habe.NZZaS, 30. Okt. 2011


1945, ItalienRoma – città aperta(Roberto Rossellini)Image Entertainment ID4102DS [Region 1] /Arthaus D 1870 [Region 2]Das frühe neorealistische Meisterwerk,das den Terror der nationalsozialistischendeutschen Besatzer unter derrömischen Zivilbevölkerung festhält,kam erst 1961 in die deutschen Kinos.Doch war die damalige synchronisierteFilmfassung stark zensuriert, wie nundie DVD aus dem Arthaus Verlag alsBonusbeitrag in einer spannendenGegenüberstellung belegt. So wurdenbeispielsweise die faschistischenVerbrecher zu „Militärstreifen“ umfunktioniert,„bei denen man sich nach derAusgangssperre eine Kugel holenkonnte“. Unverständlich bleibt indes,warum die DVD keine Alternative zudieser überholten Übersetzunganbietet. Zudem ist auch die parallelangebotene italienische Sprachfassunggeschnitten. Es fehlen darinmehrere Folterszenen und konkretepolitische Bezüge, etwa auf denSpanischen Bürgerkrieg. So hält mansich einstweilen am besten an dieamerikanische Ausgabe, obschonauch diese nicht ganz befriedigt: Wiehäufig bei NTSC-Transfers ist das Bildrelativ unscharf. Zudem sind dieenglischen Untertitel grafisch zu grossund oftmals recht fern von denitalienischen Dialogen. Auch stammendie Titelei und der lange Vorspannnicht vom Original, sondern von einemUS-Verleiher aus den fünfziger Jahren.NZZaS, 6. April 2003


1946, USAThe Big Sleep(Howard Hawks)Warner Bros. 65026 [Region 1] /Warner D2 65026 [Region 2]Vom legendären „schwarzen“ Hollywood-Krimimit Humphrey Bogart alsPrivatdetektiv Philip Marlowe existierenverschiedene DVD-Ausgaben, welcheoffensichtlich alle mit demselbenfeinkörnigen Schwarzweissbildaufwarten. Die deutsche DVD unterdem Titel „Tote schlafen fest“ enthältneben dem englischsprachigenOriginal eine deutsche Synchronfassung,dazu einblendbare Untertitel innicht weniger als zwanzig Sprachen.Die amerikanische Ausgabe (mitenglischen und französischenUntertiteln, angesichts der witzigenDialoge oftmals eine willkommeneHilfe) ist zwar um einiges teurer, bietetaber als Attraktion eine integrale,frühere Fassung von „The Big Sleep“,welche nie im Kino zu sehen war. Ein18-minütiges Special auf der <strong>DVDs</strong>tellt die Änderungen der beidenVersionen einander gegenüber.Namentlich Bogarts Film- undLebenspartnerin Lauren Bacall,welche unmittelbar nach Abschlussder Dreharbeiten von „The Big Sleep“mit „To Have and to Have not“ zuStarruhm gekommen war, ist mittelszahlreicher nachgedrehter Szenen inein prominenteres Licht gerücktworden. Dazu wurde die Handlunggestrafft. Nicht, dass nun alles am Filmdurchschaubar wäre. Dem Vernehmennach hat auch Regisseur Hawks niealle Details der Erpressungsgeschichtebegriffen, und selbst RaymondChandler, auf dessen Roman dasDrehbuch beruhte, musste passen,als er gefragt wurde, wer für den Todeines Chauffeurs verantwortlich sei.Doch derartige Ungereimtheitenschmälern das Schau- und Hörvergnügenin keiner Weise, sondernmehren letztlich nur den Kultstatusdieses Werks.NZZaS, 16. Juni 2002


1946, USAMy Darling Clementine(John Ford)20th Century Fox F2-SDE 0139807[Region 2]Die vor kurzem in Deutschlanderschienene Ausgabe des klassischenromantischen Westerns beruht aufeinem zuvor in den USA veröffentlichtenTitel der Reihe „Fox's StudioClassics“. Die markanten Landschaftsaufnahmenaus dem Monument Valleyund die gefühlsvollen Personenportraitskommen im makellosen Schwarzweissbildder DVD schön <strong>zur</strong> Geltung.Mit der englischen Original- und derdeutschen Synchronfassung sowieUntertiteln in beiden Sprachen sind dieüblichen Benutzerbedürfnissen gutabgedeckt. Auch das Bonus-Materialist klug zusammengestellt. Auf einerzweiten Disc gibt es eine „Pre-ReleaseVersion“ des Films zu sehen. Diesemusste auf Geheiss des ProduzentenDarryl F. Zanuck umgeschnitten undgekürzt werden, wobei eine vierzigminütigenDokumentation auf derBonus-DVD die Veränderungen imeinzelnen nachzeichnet. BeimHauptfilm lässt sich ein fundierterKommentar des Ford-BiographenScott Eyman zuschalten (englischesOriginal ohne Untertitel). Ein kleinerMakel an der DVD bleibt: DerOriginaltitel des Films findet sich aufder Hülle nirgends. Oder sollte manumgekehrt bedauern, dass bei„Faustrecht der Prärie“ die deutscheSynchronisation nicht noch einenSchritt weiter getrieben wurde, sodass man anstelle der Filmsongs imOriginal den Ohrwurm „Oh my DarlingClementine, wollte nie mehr von dirgehen, wollte immer bei dir sein“ zuhören gekriegt hätte?NZZaS, 19. Feb. 2006


1949, GrossbritannienThe Third Man(Carol Reed)Criterion [Region 1 ] /Arthaus D1862 [Region 2]Der Auftritt von Orson Welles alsPenicillinschieber Harry Lime, dersich im Nachkriegs-Wien mit einemvorgetäuschten Tod den Nachforschungendurch die Polizei zuentziehen sucht, hat seinen festenPlatz in der <strong>Filmgeschichte</strong>. Zumfünfzigjährigen Jubiläum von „TheThird Man“ wartete die amerikanischeCriterion Collection mit einer DVD(einblendbare englische Untertitel) auf,welche bezüglich Ton- und BildqualitätMassstäbe setzte. Mehr als 22'000Kratzer und Schmutzpartikel wurdenin einer digitalen Bildrestauration entfernt.Auch die Extras sind instruktiv,der direkte Vergleich des einleitendenKommentars in der amerikanischenund der britischen Fassung, sowieeine knappe Einführung durch denFilmhistoriker Peter Bogdanovich. Diejüngere europäische Arthaus-Ausgabekann mit der Criterion Disc nichtmithalten: Ihr einziger Vorteil liegt imdeutschen Synchronton und in dendeutschen Untertiteln. Doch das Bildwirkt hier geradezu verwaschen.Extras gibt es auch keine, und somitfehlt auch der Wochenschaubericht mitdem Auftritt des Zitherspielers AntonKaras in einem Wiener Kaffeehaus.NZZaS, 4. Sept. 2005


1951, USAStrangers on a Train(Alfred Hitchcock)Warner Bros. 15324 [Region 1]Im Luxuszug unterbreitet BrunoAnthony dem Tennisstar Guy Haineseinen makabren Vorschlag: „I kill yourwife, you kill my father“. Da die Polizeiden beiden kein Motiv nachweisenkönnte, würden die Mörder ungeschorendavonkommen. Alsbald wird GuysEhefrau von Bruno erdrosselt, einVerbrechen, welches Hitchcockraffiniert in einer heruntergefallenenBrille spiegelt. Sein Thriller beruht aufdem gleichnamigen Roman vonPatricia Highsmith und liegt nun aufeiner amerikanischen DVD vor. Nebstakzeptabler Bildqualität und einblendbarenenglischen Untertiteln enthält sieeine kürzlich entdeckte britischeFassung des Films, etwas grossspurigals „Alternative British Version“ angepriesen.So verschieden sind diebeiden Fassungen nicht. Die britischeVersion schliesst einige Dialoge mitein, die offensichtlich nicht der PoliticalCorrectness Hollywoods von damalsentsprachen, so etwa BrunosBemerkung „My theory is that everybodyis a potential murderer“ oder desTennisspielers Replik „You can't goround killing people just 'cause youthink they're useless“. Umgekehrt istder Schluss in der Hollywoodfassungein bisschen länger: Guy fährt mitseiner neuen Verlobten wiederum ineinem Luxuszug und wird dabei voneinem Geistlichen angesprochen, derin einer Sportzeitung blättert: „I begyour pardon, aren’t you Guy Haines?“NZZaS, 28. März 2004


1951, SchwedenFröken Julie(Alf Sjöberg)Criterion Collection 416 [Region 1]Die naturalistischen GesellschaftsdramenAugust Strindbergs geltenals Vorläufer des modernen Theaters,und „Fräulein Julie“, 1888 verfasst,ist, nach anfänglichen Verboten,mittlerweile das meistgespielte Stückdes schwedischen Dramatikers. AlfSjöbergs Adaption des Stoffes, die1951 den Grossen Preis am Filmfestivalvon Cannes gewann, ist weit mehrals eine Theaterverfilmung. Raffiniertwurden hier Innenaufnahmen einesGutshofs zu naturalistischen Aussenaufnahmeneines Sommernachtsfestesin Bezug gesetzt, ebenso gekonntfilmische Vergangenheit und Gegenwartverschachtelt. Die kürzlich in denUSA unter dem Titel „Miss Julie“erschienene DVD (digitaler Bildtransferund neue englische Untertitel) wirddem Rang des Films gerecht. Unterden Extras - Booklet, TV-Interviewmit Sjöberg, Videoessay von PeterCowie - sticht eine reichhaltige, knappeinstündige schwedische TV-Dokumentationaus dem Jahr 2006 heraus,die - ausgehend von einer Neuinszenierungam Königlichen DramatischenTheater in Stockholm - die überhundertjährige Wirkungsgeschichtevon „Fröken Julie“ aufrollt. Strindbergerscheint dabei in höchst unterschiedlichenRollen: als Opfer der Zensur,als Frauenverächter, als Moralist, alssexueller Befreier oder als Psychologeder ersten Stunde.NZZaS, 24. Feb. 2008


1952, ItalienLo sceicco bianco(Federico Fellini)Arthaus 502512 [Region 2]Die Hochzeitsreise führt Wanda undIvan von der italienischen Provinz nachRom, wo der Ehemann via seinenOnkel bereits eine Privataudienz beimPapst arrangiert hat. Der jungen Brautsteht der Sinn indes nach anderem:Sie möchte den „weissen Scheich“,den von ihr verehrten Helden zahlreicherFotoromane, persönlichkennenlernen und nach Möglichkeit mitihm durchbrennen. Fellinis Erstling isteine unterhaltsame Satire auf denMedien- und Kulturbetrieb, ein Spielum Illusion, Desillusion und Wirklichkeit,in welchem typische Figuren desFellinischen Panoptikums – inklusiveGiulietta Masina in einer Nebenrolleals Cabiria – und die unverkennbareMusikspur Nina Rotas bereits ihrenfesten Platz haben. Schliesslich wirddie geläuterte Braut nach einerdurchwachten Nacht als „Wanda,carissima“ von Ivans Verwandtschaftauf dem Petersplatz doch noch indie Arme geschlossen. Die soebenerschienene DVD „Der weisseScheich“ (italienisches Original,deutsche Synchronfassung beziehungsweiseUntertitel) bringt mit einemkontrastreichen Schwarzweissbild diefrühen 50er Jahre wunderbar <strong>zur</strong>Geltung. Die Bonusbeiträge sindwohldosiert und gehaltvoll: BuchautorinCharlotte Chandler und der Fellini-Experte Peter Bondanella warten mitDetailkenntnissen auf, als wären siebei den Dreharbeiten von „Lo sceiccobianco“ persönlich zugegen gewesen.NZZaS, 20. Feb. 2011


1953, JapanTokyo monogatari(Yasujirō Ozu)Criterion 217 [Region 1]Ab<strong>zur</strong>aten ist bei der vorliegenden Veröffentlichungeinzig vom zuschaltbarenAudiokommentar, der geschwätzigdurch die Innenräume des Films rast.Dieses Verfahren wirkt bei Ozu völligdeplaciert, weil der japanischeRegisseur vorzugsweise mit langen,ruhigen Kameraeinstellungen arbeitet,in denen er den Blick auf das Wesentlicherichtet. In „Tokyo monogatari“(englisch als „Tokyo Story“, deutschals „Die Reise nach Tokyo“ bekannt)bricht ein altes Ehepaar vom Land auf,um seine erwachsenen Kinder inTokyo zu besuchen. Doch diese sindalle anderweitig beschäftigt. Erst derTod der Mutter bringt die Familienmitgliederzusammen. Die sorgfältigrestaurierte Filmkopie mit neuenenglischen Untertiteln ist ein Festgericht,und die aus den U.S.A.stammende DVD wartet gleich nochmit einer Bonusdisc auf, einemzweistündigen Dokumentarfilm,konzipiert von Ozus Assistent KazuoInoue im Jahr 1983. Wunderbarwerden darin Leben und Werk desRegisseurs verknüpft, und immerwieder begegnen wir Ozus LieblingsschauspielerChishu Ryu, einerseitsals gewitzigtem Interviewpartner,andrerseits als Darsteller des jugendlichenStudenten, über den frischgebackenenFamilienvater bis hin zumhaltlosen Alten. Die Interpretationdes Witwers am Ende von „Tokyomonogatari“ indes markiert denHöhepunkt seiner und Ozus Karriere.NZZaS, 25. Jan. 2004


1954, ItalienLa strada(Federico Fellini)Arthaus D 1875 [Region 2]Wer sich über die Option „Hauptfilm“in diese aus Deutschland stammendeDisc einwählt, durchlebt bangeMomente: Fellinis Welterfolg mitAnthony Quinn als kettensprengendemZirkusartisten Zampano und GiuliettaMasina als dessen naiv-verträumteAssistentin Gelsomina startet mitverwaschenen und verregnetenBildern. Begleitet werden sie voneiner Synchrontonspur, auf derKinderstimmen kreischen undGelsominas Mutter aus unerfindlichenGründen ein Deutsch mit hartemslawischen Akzent spricht. Via „Extras“findet man aber doch <strong>zur</strong> italienischenOriginalversion. Sie ist fünf Minutenlänger, enthält ausblendbare deutscheUntertitel und brilliert mit einemscharfen, kontrastreichen Bild.Dennoch lassen sich die FahrtenZampanos, der mit seinem zumWohnwagen umgebauten Motorradunterwegs ist, auch hier nicht völligentspannt geniessen. Die DVD weistbeim Original keine Kapitelunterteilungauf, so dass man nur den Film „enbloc“ verfolgen kann oder abergezwungen ist, auf der Fernbedienungmit gedrückter Schnellvorlauftaste zuhantieren. Umgekehrt bietet diedeutsche Synchronfassung eine unterUmständen willkommene Zusatzfunktionin Form eines zuschaltbarenAudiokommentars für Sehbehinderte,in dem nicht nur das Geschehenreferiert wird, sondern auch Aussehenund Gestik der Akteure beschriebenwerden.NZZaS, 12. März 2006


1954, JapanSansho dayu(Kenji Mizoguchi)Trigon-Film 136 [Region 2]Das Werk des Japaners Kenji Mizoguchi(mit annähernd neunzig Filmen,von denen rund dreissig erhalten sind)ist von jenem des formal strengerenYasujirō Ozu und dem des actionhaltigerenAkira Kurosawa etwas in denHintergrund gedrängt worden – zuUnrecht: Auch „Sansho dayu“ bestichtdurch seine erlesenen Einstellungenvon teilweise ikonographischer Ausdruckskraft.Mit seinem Plädoyer fürMenschenwürde und Menschenrechtepasste der Film, obwohl in der Heinan-Zeit um die erste Jahrtausendwendeangesiedelt, gut ins Japan derunmittelbaren Nachkriegszeit unterUS-amerikanischer Besatzung. Dieeben erschienene DVD enthält denFilm in der japanischen Originalfassungmit zuschaltbaren deutschenoder französischen Untertiteln. Einehübsche Geste: Das Cover der DVDzeigt nicht Sansho, den brutalenLandvogt, welcher die beiden Kindereines aufsässigen Vasallen entführenliess und versklavte, sondern dasGeschwisterpaar Zushio und Anju,das im Erwachsenenalter seine Fluchtplant. Wer sich für mehr von diesemRegisseur interessiert, sei auf dieebenfalls bei Trigon-Film erschienene„Kenji Mizoguchi“ Box verwiesen. Hierwerden neben „Sansho“ fünf weitereFilme, worunter das Meisterwerk„Ugetsu monogatari“ (Erzählungenunter dem Regenmond, 1953), plus einsechzig Seiten starkes Begleitbuchangeboten.NZZaS, 5. Sept. 2010


1955, USARebel without a Cause(Nicholas Ray)Warner Bros. 1406996 [Region 2]Einziger Schönheitsfehler dieser ausDeutschland stammenden DVD ist,dass sich der Filmtitel auf der Kartonhüllenirgends im Original, sondernlediglich als „...Denn sie wissen nicht,was sie tun“ findet. Sonst bietet dieAusgabe den Film mit James Deanund der wohl berühmtesten Mutprobeder <strong>Filmgeschichte</strong> - wer beim RennenRichtung Klippe als Erster aus demAuto springt, ist ein Angsthase –sozusagen als erweitertes Original:Die fein abgestimmten Farben imBreitformat leuchten satt und flimmerfrei,an Sprachversionen stehen nebenEnglisch eine deutsche und einespanische Synchronfassung <strong>zur</strong>Auswahl. Dazu gibt es einblendbareUntertitel in gleich neunzehnSprachen, für den Hauptfilm genausowie für die zahlreichen Extras, mitdenen die DVD brilliert: Ein zehnminütigesSpecial „Re-discovering aRebel“ zeigt mehrere Castings, dieEröffnungssequenz einer früherenSchwarzweiss-Fassung des Films (inder James Dean eine Hornbrille trägt!)sowie einen alternativen Filmschlussim Griffith Planetarium von LosAngeles. Nachdenklich stimmt einInterview, in dem James Dean diejugendlichen Verkehrsteilnehmer zumvorsichtigen Fahren ermahnt: „Go easyon the road, the life you’re savingmight be meine“. Bekanntlich verunglückteder sensible, rebellischeHauptdarsteller noch vor der Premierevon „Rebel without a Cause“ im Altervon 24 Jahren mit seinem Porschetödlich, gerammt von einem aus einerSeitenstrasse kommenden Fahrer.NZZaS, 5. Mai 2003


1955, FrankreichLes grandes manœuvres(René Clair)TF1 Vidéo EDV 1102 - DIV 526 [F] /C’est la vie CLV 126 [GB]Sechs Wochen vor Ausbruch desErsten Weltkriegs: In einer französischenGarnisonsstadt wettet derDragonerleutnant Armand de la Verne,ein notorischer Schürzenjäger, mitseinen Kameraden, dass es ihmgelingt, vor Abmarsch in die Sommermanöverdas Herz jeder beliebigenEinwohnerin der Stadt zu brechen, diedas Los bestimme. Die Wahl fällt aufMarie-Louise Rivière, selbstbewusste,geschiedene Pariserin und Inhaberineines lokalen Modesalons. Die Komödiemit tragischen Untertönen, RenéClaires erster Film in Farbe (und wasfür Farben!), lebt zum einen von denDarstellern - Gérard Philipe undMichèle Morgan, des weiteren BrigitteBardot in einer Nebenrolle - zumandern von der leichtfüssigenStudioinszenierung, welche ganzeStrassenzüge, Pavillons und Ballsälezu schillerndem Leben erweckt.Farbsättigung und Bildschärfe der inFrankreich veröffentlichten DVD sindmakellos. Die aus Grossbritannienstammende Ausgabe bleibt in dieserHinsicht etwas <strong>zur</strong>ück, bietet dafüreinblendbare (englische) Untertitel. Sieenthält zudem als Bonusbeitrag Clairsdadaistischen Kurzfilm „Entre’acte“ ausdem Jahr 1924 mit einer Tonspur ErikSaties aus den sechziger Jahren, einefilmische Rarität, die sonst nirgendwoauf DVD lieferbar ist.NZZaS, 13. Juli 2008


1955, SchweizHeidi und Peter(Franz Schnyder)Praesens 24105 / Praesens 24155[alle Regionen]Der Zusammenarbeit zwischen demSchweizer Fernsehen, der CinémathèqueSuisse, der Stiftung Memoriavund der Praesens-Film ist es zuverdanken, dass „Heidi und Peter“,der erste Schweizer Spielfilm in Farbe,seit einiger Zeit in nicht weniger alsdrei Fassungen auf DVD greifbar ist.Die Dialektversion ist um gut vierMinuten länger als der bisher auf VHSvertriebene Titel. Die hochdeutsche,französische und italienische Fassungsind von Montage und Spieldauer heridentisch. Sie finden sich auf einerzweiten, separat lieferbaren DVD,deren Rückseite eine anders geschnittene,kürzere Version von UnitedArtists enthält (mit zuschaltbarenjapanischen Untertiteln ausgestattet).Sämtliche Versionen brillieren miteinem digital restaurierten Bild, dasnicht nur die Landschaftsaufnahmen,sondern auch die Interieurs sehr schön<strong>zur</strong> Geltung bringt. Bei der Dialektversionkann man einen Audiokommentarder drei jugendlichen Hauptdarstellervon damals – ElsbethSigmund, Thomas Klameth undIsa Günther – zuschalten. Der„Geissenpeter“ wartet dabei mitgeographischen Details zu denDrehorten auf und fügt schmunzelndan, dass man in der Schlussszene,in der ihm von Sebastian ein Schweinchenüberreicht wird, zunächst übersehenhabe, dass er seine Uhr amArm trug. Aus Zeitgründen habe manaber davon abgesehen, die Szenenachzudrehen.NZZaS, 17. Juni 2007


1956, USABus Stop(Joshua Logan)20th Century Fox F2-SDE 0103108[Region 2]Mindestens ein Film mit Marilyn Monroegehört zum kulturellen Gundinventareines jeden westlichen Haushalts, unddie Komödie „Bus Stop“, mitsamtRodeo in Arizona und Schneesturmauf dem Weg nach Montana, ist dafüreine mehr als valable Wahl. Marilynverkörpert in diesem Film eine„Chanteuse“ und Möchtegernschauspielerinnamens Cherie, die auf ihremWeg nach Hollywood in einer Bar imMittleren Westen stecken geblieben istund nun von einem hinterwäldlerischenCowboy bedrängt wird. FeministischesKino ist dabei nicht zu erwarten, dochMarilyn spielt ihre Rolle nicht nurerotisch und verführerisch, sondernauch mit Schalk und Sprachwitz. Undselbstredend kriegen auch die Machosihr Fett ab. Die aus Deutschlandstammende DVD ist bereits mehrereJahre im Handel, sie bietet fünfSprachversionen (worunter Englischund Deutsch) und einblendbareUntertitel in gleich 19 Idiomen. DasBild im Cinemascope-Breitleinwandformatist digital überarbeitet undwartet mit satten, flimmerfreien Farbenauf. An Extras gibt es den Original-Kinotrailer, eine minimale Dokumentationüber die Restaurationsarbeitensowie eine einzelne Postkarte und fünfBeispiele des ehemaligen Kinoaushangszu sehen. Doch all dies istbestenfalls Beigabe. Entscheidend istMM. Sie tritt in Kapitel 4 nach exakt14 Minuten 2 Sekunden auf.NZZaS, 13. Jan. 2008


1957, SchwedenSmultronstället(Ingmar Bergman)Criterion 139 [Region 1]Von Bergmans Klassiker ist vor allemdie Anfangssequenz unvergessen,in der Professor Isaak Borg seineneigenen Tod träumt. In gleissendemLicht geht der alte Mann eine verlasseneStrasse entlang, in der die Uhrendie Zeit nicht mehr anzeigen, und siehtsich am Ende der Strasse selber ineinem Sarg liegen. Borg wird vonVictor Sjöström gespielt, einembekannten schwedischen Stummfilmregisseur,der im Augenblick derDreharbeiten bereits 79 jährig war.Bergmans anspruchsvollem Werk, indem "die klare Wirklichkeit des Tagesin die noch klareren Bilder der Erinnerungübergeht", wird die aus den USAstammende DVD mit einem sehrschönen, digital restaurierten Bildund neu übersetzten (englischen)Untertiteln vollauf gerecht. Neben demHauptfilm bietet die DVD eine Serievon Standphotos, auf denen sogar,bei Bergman fürwahr eine Seltenheit,gescherzt und gelacht wird. PeterCowie, ausgewiesener Kenner desskandinavischen Films, steuerte denText zum ausführlichen Booklet beiund spricht überdies einen zuschaltbarenKommentar zum ganzen Film.Dabei tut er freilich des Guten zu viel:Die ausufernden Details zu Drehorten,Karrieren und Theaterkulissen nehmendem Film ein Stück seines Zaubers.Interessant und informativ ist dagegenein als Bonus mitgelieferter Dokumentarfilm,in dem sich Bergman währendanderthalb Stunden mit seinemRegiekollegen Jörn Donner unterhält.NZZaS, 2. Feb. 2003


1957, SchweizBäckerei Zürrer(Kurt Früh)Praesens 24343 [alle Regionen]Kurt Frühs Dialektfilm mit dem grossartigenEmil Hegetschweiler in derHauptrolle wurde vom FernsehenDRS für die DVD-Ausgabe digitalrestauriert. Bild und Ton lassen keineWünsche offen, und neben demOriginal stehen als Sprachen Hochdeutsch,Französisch oder Italienisch<strong>zur</strong> Auswahl. Speziell Letzteres erlaubtein paar witzige Verfremdungen, wennnicht nur beim Marronibrater Pizzani,sondern auch bei den Zürrers italienischgesprochen wird. Von denBonus-Beiträgen ist ein neues,einstündiges Portrait über Kurt Früherwähnenswert (Regie RenataMünzel). Gut gewählte Filmausschnittedokumentieren die Stellung desRegisseurs am Übergang vom „alten“zum „neuen“ Schweizer Film. FrühsTöchter Katja und Jessica schilderndie persönlichen und künstlerischenSchwankungen ihres Vaters, mehrereMitarbeiter von "Bäckerei Zürrer"berichten von den Dreharbeiten,und der Filmer Samir sucht dieSchauplätze von damals im heutigenLangstrassenquartier auf. Eine rundumgeglückte Sache also. Trotzdemwünscht man sich für die künftigenDVD-Titel der Praesens zweierlei:Dass sich die Discs nicht nur leicht ausden Halterungen lösen, sondern nachGebrauch ebensogut darin wiederfestklemmen lassen, und dass diegraphische Gestaltung der Reihenochmals überdacht wird.NZZaS, 9. Mai 2004


1957, FrankreichL’ascenseur pour l’échafaud(Louis Malle)Pierrot le Fou/Alive 64 0 1501 [Region 2]Ein „film noir“ in einem verregnetenParis mit einem perfekt umgesetztenMordplan, der dann aber daranscheitert, dass der Täter im Lift desBürohochhauses stecken bleibt, weilder Nachtwächter über’s Wochenendeden Strom abstellt. Louis MallesErstling, der mit einer Grossaufnahmeauf das Gesicht von Jeanne Moreaubeginnt, ist genauso arrangiert. Diesgilt auch für die kürzlich unter demTitel „Fahrstuhl zum Schafott“erschienene DVD. Sie brilliert miteinem digital restaurierten Schwarzweissbildund diversen Extras. AnSprachversionen stehen neben demfranzösischen Original eine deutscheSynchronfassung <strong>zur</strong> Verfügung; dazugibt es einblendbare deutscheUntertitel. In einem viertelstündigenInterview, aufgenommen Mitte der70er Jahre, das sich als Bonusbeitragauf der DVD findet, erzählt LouisMalle, dass er des traditionellen Paris-Bilds mit seinen Bistros, Taxis undBaskenmützen überdrüssig gewesensei. Stattdessen sehen wir in„L’ascenseur pour l’échaffaud“, einmodernes Bürohochhaus, schnittigeWagen, Autobahnen bei Nacht und einMotel (das einzige, das damals inFrankreich existierte). Legendär istder Soundtrack zum Film: „Jazz onthe Screen“, live eingespielt von MilesDavis, welcher die perfekte Entsprechungzu den kühl kalkuliertenFilmbildern schuf. Die limitierte DVDEdition von „Fahrstuhl zum Schafott“enthält als Bonus CD den gesamtenSoundtrack. Echt cool.NZZaS, 16. Juli 2006


1957, JapanKumonosu-jô(Akira Kurosawa)Criterion 190 [Region 1] /Pegasus N114 [Region 2]Die „Macbeth“-Verfilmung, welche dieHandlung vom schottischen Hochlandin die japanische Feudalzeit des 16.Jahrhunderts verlegte, gehört zu denklassischen Shakespeare-Adaptionender <strong>Filmgeschichte</strong>. Sie ist in verschiedenenAusgaben auf DVD erhältlich.Die deutsche, „Das Schloss im Spinnwebwald“,genügt mit einem sauberrestaurierten Bild den Ansprüchen desAlltags, zumal sie neben dem Originalund einer Synchronfassung – entgegenden Coverangaben – auch einblendbaredeutsche Untertitel enthält. Aufder amerikanischen, „Throne of Blood“,ist das Bild noch eine Spur klarer, wasman bei den zahlreichen Massenaufzügenin nebligen Landschaften gerneentgegennimmt. Zuschaltbar sind hierein durchlaufender Audiokommentarvon Michael Jeck, der sich in derjapanischen Schlossarchitekturoffensichtlich ebenso gut auskenntwie bei der Multikameraführung, sowieUntertitel in gleich zwei Versionen. IhreAutoren, Donald Richie und LindaHoaglund, legen die Überlegungenzu ihren Arbeiten im ausführlichenBooklet zum Film dar. Die Originalfassungvon „Macbeth“ wird bei derRückübersetzung allerdings in keinemder Fälle wiederhergestellt. Dieserstaunt nicht, denn Kurosawaorientierte sich für „Kumonosu-jô“ nichtallein an Shakespeare, sonderngenauso am japanischen Nô-Theater.NZZaS, 19. Nov. 2006


1958, USATouch of Evil(Orson Welles)Universal 20470 [Region 1] /Universal 820780 3 [Region 2]Der „film noir“ rund um Korruption,Drogenhandel und Erpressung an deramerikanisch-mexikanischen Grenzewurde nach Beendigung der Dreharbeitenvon der produzierendenUniversal-Film und nicht durch denRegisseur fertiggestellt. Umgehendverfasste Orson Welles, der im Filmselbst den korpulenten Fahnder HankQuinlan verkörpert, ein 58-seitigesMemorandum, in dem er gegendie Zensureingriffe und gegen dienachgedrehten Szenen protestierteund darum bat, seine ursprünglichenAbsichten zu verwirklichen. VierJahrzehnte später wurde - soweitmöglich - die Urversion des Filmserstmals produziert. Die DVD-Ausgabefolgt glücklicherweise dieser Re-Edition. Dabei fährt, wer nicht aufdie deutschen Untertitel oder dieSynchronversion angewiesen ist,einmal mehr mit der amerikanischenFassung besser: Das Breitleinwandbildist hier um eine Spur kontrastreicher.Zudem kann als Bonusmaterial inWelles' maschinengeschriebenem„Memo“ geblättert werden. Mitentscheidendaber fällt ins Gewicht, dassdie europäische Disc mit der falschenTV Geschwindigkeit läuft, was denvielschichtigen Thriller von 111 auf104 Minuten verkürzt.NZZaS, 14. Nov. 2004


1958, USAVertigo(Alfred Hitchcock)Universal 20183 [Region 1] /U1 20138-ST [Region 2]Hitchcocks irritierender Thriller, soebenvon der britischen Fachzeitschrift„Sight and Sound“ als zweitbester Filmaller Zeiten ausgezeichnet (hinter„Citizen Kane“), gelangte vor vierJahren in einer aufwendig restauriertenFassung wieder ins Kino. Sie ist nunmit ihren stupenden Farbtönen (manachte auf die Grünabstufungen!) undeiner neu erstellten Stereotonspur als„Collector’s Edition“ auch auf DVDerhältlich. Die europäische undamerikanische Ausgaben sind vomBildmaterial her praktisch identisch.Beide bieten den Hauptfilm im 16:9Format, dazu als Bonusmaterial einendurchlaufenden Kommentar, verschiedeneKinotrailers, Skizzen aus demStoryboard sowie ein halbstündigesSpecial „Obsessed with Vertigo“. Darinwerden nicht nur die Restaurationsarbeiten,sondern auch einige vonHitchcocks Qualitäten und Mackenoffengelegt. In puncto Sprachversionenund bei den Untertiteln bietetdie europäische Ausgabe mehr,namentlich natürlich eine deutscheSynchronfassung und deutscheUntertitel. Umgekehrt fehlen hierbeim Bonusmaterial die (englischen)Untertitel, die man bei der amerikanischenDVD wahlweise einblendenkann. So oder so: Hitchcocks Vexierspielum Doppelgängertum undHöhenangst (dies die wörtlicheÜbersetzung von „Vertigo“) erreichtals digitales Heimkino eine Qualität,wie sie die meisten von uns nochnie gesehen haben.NZZaS, 20. Okt. 2002


1959, IndienApur sansar(Satyajit Ray)Columbia TriStar 01808 [Region 1]Es ist keineswegs selbstverständlich,dass in den USA ein fast fünfzig Jahrealter indischer Film auf DVD veröffentlichtwird. Trotzdem wünscht mansich, dass diese Ausgabe liebevollergestaltet worden wäre. Gerne würdeman die Handlungen der ersten beidenTeile von Rays „Apu-Trilogie“, diediesem Film vorangingen, noch einmalnachlesen. Informativ wären auchAngaben <strong>zur</strong> Wirkungsgeschichtedieses Films gewesen, der im Westenüberhaupt erst auf das indischeFilmschaffen aufmerksam machteund umgekehrt auf dem indischenSubkontinent lange Zeit stilbildendwirkte. Auch das Lebenswerk vonSatyajit Ray (1921-1992) wäre einerWürdigung wert gewesen. Die Qualitätdes Films in sattem Schwarzweiss(bengalische Originalfassung mitenglischen Untertiteln) versöhnt trotzeiniger Drop-Outs mit diesen Mängeln.Die Flusslandschaften, aufgenommenals Indien an der Schwelle <strong>zur</strong> Modernisierungstand, kommen auch amTV-Monitor <strong>zur</strong> Geltung. Und wer sichnicht vom Optimismus der Hauptfiguranstecken lassen will, wird auf jedenFall von der Tonspur mit den pfeifendenDampfzügen, den prasselndenMonsunschauern und den KompositionenRavi Shankars in den Banngezogen.NZZaS, 3. Juli 2005


1959, FrankreichÀ bout de souffle(Jean-Luc Godard)Arthaus 500196 [Region 2]Selten hat ein Film die Erwartungender Branche und des Publikums derartkonsequent unterlaufen wie GodardsSpielfilmerstling. Und die anarchistischnihilistischeParodie auf den amerikanischenGangsterfilm mit (den sehrjungen) Jean-Paul Belmondo und JeanSeberg in den Hauptrollen funktioniertnoch immer. Die aus Deutschlandstammende DVD enthält nebendem Original eine deutsche Synchronfassungaus dem Jahr 1960. Dieeinblendbaren Untertitel (deutsch,holländisch, türkisch, spanisch oderportugiesisch) wurden, soweit sichdies beurteilen lässt, für die DVD neuübersetzt. Sie liegen nun bedeutendnäher am französischen Original undsorgen dafür, dass auch BelmondosBeiträge <strong>zur</strong> Frauenfrage der „PoliticalCorrectness“ genügen. Belustigt nimmtman einige Aktualisierungen <strong>zur</strong>Kenntnis, wenn etwa der „Schlitten“von damals <strong>zur</strong> „Karre“ von heutemutiert. Dank des gelungenen digitalenBildtransfers kommen die gemustertenVestons und die gestreiften T-Shirtsflimmerfrei auf den Heimmonitor <strong>zur</strong>Geltung. Einzig bei den Zugaben enttäuschtdie Disc: Neben dem obligatenKinotrailer gibt es lediglich eine kleineFotogalerie. Sie enthält sechs bunteFilmplakate im Midi-Format plus einDutzend Schwarzweiss-Photos,welche man sich indes mit derPausentaste bequem und erstnoch grösser aus dem Film selbstbeschaffen kann.NZZaS, 4. Jan. 2004


1959 [& 1925], USABen-Hur(William Wyler)Warner 6775795 [4-Discs Collector’sEdition, Region 2]Monumental war seinerzeit an „Ben-Hur“ fast alles, das üppige Budgetvon 15 Millionen Dollar, das 65mm-Filmformat, die Spiellänge von 213Minuten, der Kassaerfolg und dieAuszeichnungen mit elf Oscars.Und beinahe monumental nimmtsich auch die kürzlich in Deutschlanderschienene DVD-Ausgabe aus, einaufklappbares Digipack mit gleichvier Discs. Der Hauptfilm (Original plusdeutsche Synchronfassung, digitalrestauriertes Farbbild und einblendbareUntertitel in sechs Sprachen) istwegen neuer zuschaltbarer Audiospurenauf zwei Discs verteilt worden. Dieeine enthält ein angeregtes Gesprächdes Filmhistorikers T.G. Hatcher mitdem Hauptdarsteller Charlton Heston,auf der anderen (auf meinem Exemplarallerdings nicht ansteuerbar) findetsich eine reine Tonspur mit der Musikvon Miklós Rózsa. Ein wahres Highlightist Disc 3 in der Form des integralenStummfilms „Ben-Hur“ von FredNiblo aus dem Jahr 1925. Die vierteDisc bietet zweieinhalb StundenZusatzmaterialien aus verschiedenenEpochen zum Epos von 1959, Probeaufnahmen,eine Fotogalerie, Wochenschauenüber die Dreharbeiten undüber die Oskar-Verleihung sowie einenaktuellen Beitrag „The Epic ThatChanged Cinema“, worin verschiedeneFachleute darlegen, warum „Ben-Hur“in den USA filmgeschichtlich tatsächlichdie 2. Hälfte des 20. Jahrhundertseinläutete.NZZaS, 25. März 2007


1960, USAPsycho(Alfred Hitchcock)Universal 20251 [Region 1] /Universal 902 783 1 [Region 2]Der Psychothriller mit Anthony Perkinsals Motelbesitzer Norman Bates wirktestilbildend. Die zahlreichen Remakes,nicht zu reden von den Zitaten ausdem Film in andern Werken, lassensich kaum mehr überblicken. DochHitchcocks Original hat die Adoptionenbestens überlebt. DVD-Ausgaben desFilms liegen sowohl aus den USA alsauch aus Europa vor, und wieder einmalsollte, wer nicht auf die deutscheSprachversion angewiesen ist, auf dieamerikanische Edition <strong>zur</strong>ückgreifen.Die „Collector‘s Edition“ (Original miteinblendbaren englischen Untertiteln)bietet ein deutlich kontrastreichesSchwarzweiss-Bild und enthält auchmehr Zusatzmaterialien. Nur hier istdas „Making of“ zu sehen, einesorgfältig aufgebaute Dokumentationvon 94 Minuten Spieldauer, in deranhand von neuen Interviews, Fotosund kommentierten Filmausschnittenalle Stadien der Produktion von derEntstehung des Drehbuchs bis hin <strong>zur</strong>Vertonung mit den Stakkato-Streicherklängenvon Bernard Herrmann <strong>zur</strong>Sprache kommen. Schwierigkeiten mitder Zensur waren bei einem Stoff wie„Psycho“ vorprogrammiert, dochAnstoss erregte, wie die Garderobiereberichtet, nicht die berühmte Duschszene,sondern die Tatsache, dassHitchcock im Film eine Einstellungauf eine WC-Schüssel zeigte.NZZaS, 6. Nov. 2005


1960, ItalienRocco e i suoi fratelli(Luchino Visconti)Arthaus Premium 501390 [Region 2]Derart brillant hat man ViscontisDrama um den Zusammenbruch einersizilianischen Familie, welche bessererLebensbedingungen wegen nachMailand zieht, noch nie gesehen.Die Bildqualität des Hauptfilms alleinlohnt die Anschaffung der kürzlich inDeutschland veröffentlichten Doppel-DVD „Rocco und seine Brüder“.Zum makellosen Bild (unvergleichlichbesser als dasjenige der vor fünfJahren in den USA erschieneneAusgabe) gesellt sich die sorgfältigeSprachhandhabung in Synchronversion,Untertiteln und Schrifttafeln,etwa dem vielschichtigen PortraitAlain Delons, dem jugendlichenHauptdarsteller des Films. Auf derBonus Disc erhalten Viscontis DrehbuchautorinSuso Cecchi D’Amicound Kameramann Giuseppe Rotunnoausführlich das Wort, und ClaudiaCardinale berichtet augenzwinkerndvon ihren Weg zum Film – via einesSchönheitswettbewerb für „dieschönste Italienerin Tunesiens“,dem Land, in dem sie ihre Jugendverbrachte. Krönung der DVD ist eineinfühlsames, einstündiges FilmportraitViscontis von Carlo Lizzani, einemlangjährigen Weggefährten des Film-Theater und Opernregisseurs.Viscontis Beerdigung am 17. März1976 wird schliesslich ohne Kommentargezeigt, lediglich begleitet vonMahlers Adagio, der unverwechselbarenFilmmusik aus „Der Tod inVenedig“.NZZaS, 21. Jan. 2007


1960–1962, SchweizAnne Bäbi Jowäger(Franz Schnyder)Praesens Film 49910 [Region 2]Mehr als einmal hat der Berner Regisseurund Gotthelf-Spezialist FranzSchnyder einen Film nach der Erstaufführungüberarbeitet, so auch im Falleder zweiteiligen Verfilmung „Anne BäbiJowäger“: Der erste Teil „Wie Jakoblizu einer Frau kommt“ gelangte 1960in die Kinos und fand Anklang beimPublikum; die Fortsetzung „Jakobliund Meyeli“ folgte ein Jahr danachund gefiel der Kritik. Achtzehn Monatespäter kam eine „Gesamtfassung“<strong>zur</strong> Aufführung, 1978 eine abermalsradikal gekürzte „Neufassung“, der diemeisten Nebenhandlungen und damitauch die Tiefe der Figuren zum Opferfielen. Schlimmer noch: Schnydernahm diese Überarbeitung an denOriginalnegativen vor, die damit wohlfür alle Zeiten zerstört wurden. Diesoeben erschienene 2-Disc-Editionmacht das beste aus der Situation:Die 1978er Fassung wurde digitalrestauriert und als „Director’s Cut“neu im Breitleinwand-Format aufgezeichnet.Die beiden Originalfilmevon 1960 und 1961 wurden von35mm-Kopien übertragen und integralauf der zweiten Disc zugänglichgemacht (nicht restauriert). EineSzene hat glücklicherweise alleEingriffe ohne Verstümmelungenüberlebt: die Begegnung von Jakobliund Meyeli (Peter Brogle, KathrinSchmid – auch privat ein Paar) auf derTreppe <strong>zur</strong> Kathedrale von Solothurn.Sie entzückt genauso wie vor fünfzigJahren.NZZaS, 7. Nov. 2010


1961–2007, DDRDie Kinder von Golzow(Winfried und Barbara Junge)Arte Edition Absolut Medien 089 [Region 2Mehr als vierzig Stunden Dokumentarfilmaus fünf Jahrzehnten, spannenderund reichhaltiger, als es ein Drehbuchje hervorzubringen vermöchte: „DieKinder von Golzow“ tragen ihrenNamen nach einem Dorf im Oderbruchan der deutschen Grenze zu Polen, wo1961 – zwei Wochen nach dem Bauder Berliner Mauer – ein zehnminütigerDEFA-Beiprogrammfilm über eine neueingeschulte Klasse gedreht wurde.18 der Schulkinder von „damals“wurden in der Folge in regelmässigenAbständen filmisch portraitiert, waseinen ungewohnten und ungeschöntenBlick auf den Alltag in der DDR ergibt –einschliesslich Eisdiele an der Ecke,ländlicher Hochzeit, petrochemischerAnlage oder sowjetischer Kaserne.Regisseur Winfried Junge erweist sichals einfühlsamer, aber nicht minderbeharrlicher Fragesteller, der denoffiziösen Parteiblick genauso wieallfällige Ostalgie zu vermeidenversteht. Die Reihe, glücklicherweiseüber die Wende von 1989 hinausfortgesetzt, ist seit einem Jahr auf DVDlieferbar (18 Discs in drei Boxen zu6 <strong>DVDs</strong>, auch einzeln erhältlich, digitalrestauriertes Bild). Man braucht dabeinicht unbedingt mit dem frühesten Film„Wenn ich erst <strong>zur</strong> Schule gehe“ zubeginnen. Als Einstieg eignet sichebensogut die Doppel-DVD „Lebensläufe“aus dem Jahr 1980 oder derletzte Beitrag „...dann leben sie nochheute“. Aber Vorsicht: Wo auch immerman sich auf das Golzow-Projekteinlässt, es besteht Suchtgefahr.NZZaS, 27. Dez 2009


1961, Spanien / MexicoViridiana(Luis Buñuel)Pierrot Le Fou 858926505 [Region 2]Luis Buñuel war sich wohl bewusst,worauf er sich einliess, als er nacheinem Vierteljahrhundert Abwesenheitin Francos Spanien <strong>zur</strong>ückkehrte, umhier „Viridiana“ zu drehen. Geschicktumschiffte das Drehbuch rund um eineNovizin, die noch einmal ihren krankenOnkel auf dem Land besucht, bevorsie ins Kloster eintritt, die spanischenZensurvorschriften. Nicht durch dieHandlung, sondern durch die Bildspracheund die Inszenierung gewannder Film seine subversive Kraft: durchunterschwellige Erotik, blasphemischeMetaphern und die Fetischisierungvon Objekten – beispielsweise einesSpringseils, mit dem sich der enttäuschteOnkel dann erhängen wird.Eher abgestanden wirkt, abgesehenvom nachgestellten Abendmahl DaVincis, das Chaos, welches die vonViridiana eingelassenen Bettler imHerrenhaus veranstalten. Zum50-jährigen Jubiläum des Films, derin Cannes seinerzeit die GoldenePalme gewann (aber in Spanien wieauch vom Vatikan umgehend verbotenwurde), erschien soeben eine neueDVD. Sie bietet das spanische Originalmit digital restauriertem Bild (deutscheSynchronfassung beziehungsweiseUntertitel), enttäuscht aber bei denExtras. Der einzige filmische Bonusbeitrag,„Cinéastes de notre temps:Luis Buñuel“, reflektiert den Wissensstandder frühen sechziger Jahre,wenn Buñuels frühes Meisterwerk„L’age d’or“ (1930) darin als verschollengemeldet, zugleich aber im Bookletder Edition als DVD angezeigt wird.NZZaS, 12.Dez. 2011


1962 & 1982, Frankreich /JapanLa jetée / Sans soleil(Chris Marker)Arte Video EDV 236 [Region 2]Die Zuschauerterrasse des FlughafensParis-Orly an einem Sonntagnachmittag,eine stumpfe Abendsonne hinterdem Kontrolltower und das Antlitzeiner dunkelblonden Frau - dreiJugenderinnerungen, welche im Laufevon „La jetée“ zusammen mit weiterenSchwarzweissphotos eine globaleKatastrophe heraufbeschwören. ChrisMarkers halbstündiger Experimentalfilmist soeben in Frankreich in guterBild- und Tonqualität auf DVD erschienen(französisches Original plusenglische Synchronfassung, leiderohne Untertitel). Ein Bonusbeitrag„Autour la jetée“ befasst sich mit demEinfluss des Films auf das Rockvideo„Jump They Say“ von David Bowie undauf Terry Gilliams Thriller „TwelveMonkeys“. Aufschlussreicher ist einBericht über eine Chris-Marker-Retrospektive1999 in London, für die derfür seine Zurückgezogenheit bekannteFilmemacher offenbar seine Teilnahmezugesagt hatte, dann aber lediglichinkognito sein Autogramm im Gästebuchder Ausstellung hinterliess.Thematisch verwandt mit „La jetée“ist der zweite Film auf der DVD, derabendfüllende, farbige Dokumentarfilm„Sans soleil“. Darin kreisen im Offzitierte Briefe des KameramannsSandor Krasna um die Frage, was eineBildabfolge in einem Film angesichtsder Zerrissenheit der Welt überhauptvermag.NZZaS, 24. Okt. 2004


1962–1969, BrasilienVier Filme von Glauber RochaTrigon Film [Region 2]Der 1938 geborene Glauber Rochazählt zu den herausragenden Vertreterndes brasilianischen "CinemaNovo", welches die filmische Aufbruchsbewegungder 1960er Jahreentscheidend mitprägte. In denvergangenen zweieinhalb Jahren hatdie im aargauischen Ennetbadenbeheimatete Trigon-Film vier Hauptwerkedes 1981 verstorbenenRegisseurs auf DVD herausgebracht.Sehenswert sind sie allesamt: derErstling „Barravento“ (1962), der umAberglauben und soziale Konflikte ineinem Fischerdorf in Bahia kreist;„Deus e o diabo na terra do sol“(„Gott und Teufel im Land der Sonne“),mit dem Rocha 1964 der internationaleDurchbruch gelang; „Terra em transe“,eine Politparabel, mit der 1967 dieherrschende Militärdiktatur ausgetrickstwurde; und schliesslich „Antoniodas Mortes“ (1969), der opulenteFarbfilm um einen Auftragskiller imSertão, der die Seiten wechselt. DiePublikation dieser vier <strong>DVDs</strong> (alleTitel separat erhältlich, portugiesischesOriginal, deutsche und französischeUntertitel) ist eine editorische Meisterleistung,war doch das Originalmaterialin vielen Fällen verschollen. EineBonus-Disc zu „Terra em transe“dokumentiert die umfangreichenRestaurationsarbeiten und enthältüberdies eine packende Film- undBildcollage, welche auf einem kürzlichaufgetauchten mehrstündigen AudiointerviewRochas aus den frühen 70erJahren basiert.NZZaS, 13. Sept. 2009


1964, ItalienPrima della rivoluzione(Bernardo Bertolucci)Ripley's Home Video 02887 [Region 2]Ein starker Film in einer wunderbarenDVD-Ausgabe, welche für einmal ausItalien stammt, einem Land, das in derRegel nicht mit digitaler Pflege dereigenen Filmvergangenheit glänzt.„Prima della rivoluzione“, in grossartigemSchwarzweiss gefilmt, ist zeitlos:Fabrizio, Patriziersohn aus Parma,versucht, unter marxistischem Einflusseinen Weg ins eigene Leben zu finden.Er sagt sich von seiner VerlobtenClelia los und beginnt eine Beziehungmit seiner jungen Tante Gina. DerSelbstmord eines Freundes treibt ihnin eine Krise. Der Film ist das vielschichtige,hochsensible Portrait einerGeneration, an dem fast unglaublichanmutet, dass der Regisseur <strong>zur</strong> Zeitder Entstehung erst 22 Jahre zählte.Die DVD bietet ein mustergültigrestauriertes Bild sowie neueitalienische und englische Untertitel.Letztere sind auch für die zahlreichenExtras verfügbar, so für „Cinemad’oggi“, einen informativen Berichtvon den Dreharbeiten, sowie für eineganze Bonus-Disc, welche gut einDutzend neuerer Interviews mit denBeteiligten von damals enthält.Bernardo Bertolucci räumt dabei ein,dass „Prima della rivoluzione“durchaus autobiographische Zügeträgt. Er sieht jedoch den Film heutenicht mehr von innen heraus, sondernzeigt sich betroffen von der Trennungsangstund der Angst vor derEntfremdung, die das Werk durchzieht.NZZaS, 12. Juli 2009


1964 / 2002, SchweizSiamo italiani / Il vento disettembre(Alexander J. Seiler)Filmcoopi 2.0036 [Region 2]Im Off äussern sich Schweizerinnenund Schweizer in „Siamo italiani“ überAussehen und Verhalten der Italiener,und es wird bald einmal deutlich, dass„die Italiener“ seinerzeit keineswegsdie Vorzeigeimmigranten der Schweizwaren, zu denen sie später erklärtwurden. Erfreulicherweise enthält dieDoppel-DVD auch den fast vierzigJahre später entstandenen Film „Ilvento di settembre“, in dem einigeder damaligen Protagonisten erneutauftreten, sei es mit Kindern undEnkeln in der Schweiz integriert,sei es im Pensionsalter nach Italien<strong>zur</strong>ückgekehrt. Der historischeDokumentarfilm wurde für die DVDnicht digital bearbeitet, das Schwarzweissbildwird weiterhin von einemgroben Korn dominiert. Hingegenwurden beide Filme neu untertitelt(deutsch, französisch und englisch),und bei „Septemberwind“ finden sichdie Untertitel erfreulicherweiseunterhalb des Breitleinwandbildes.Ein Ärgernis sind die Menusteuerungund die Beschriftung der beiden Discs,die sich äusserlich um keinen Deutunterscheiden. Doch hat man sicheinmal <strong>zur</strong>echtgefunden, stösst manauf der ersten DVD auf ein echtesGlanzlicht. Peter Bichsel liest dasVorwort von Max Frisch zum Bildband„Siamo italiani“, in dem sich dieberühmten Zeilen finden: „Man hatArbeitskräfte gerufen, und es kommenMenschen.“NZZaS, 29. Okt. 2006


1965, JapanTokyo Olympiad(Kon Ichikawa)Criterion Collection 155 [Region 1]Weniger der Wettbewerb oder der Sieghätten ihn interessiert als vielmehr dieBegegnung der Athletinnen und Athleten,betont Regisseur Kon Ichikawa imBegleitinterview auf dieser DVD. Seinkaleidoskopartiger Dokumentarfilmüber die Olympischen Sommerspielevon 1964 in Tokio begeistert dennauch seit je Sportfans und Cineastengleichermassen. Die renommierteamerikanische Criterion-Reihe hat dasWerk vor ein paar Jahren in brillantrestaurierten Farben im Breitleinwandformatherausgebracht. Erstmalsist nun im Westen der japanischeOriginalton zu hören (englischeUntertitel), gleichzeitig wurde mit einerSpieldauer von 170 Minuten die Längeder „alten“ VHS-Kassette um eine volleDreiviertelstunde übertroffen. In einemzuschaltbaren Kommentar ordnet derFilmhistoriker Peter Cowie „TokyoOlympiad“ ins japanische Filmschaffender fünfziger und sechziger Jahre ein.Er verblüfft darüber hinaus mit Detailkenntnissen<strong>zur</strong> Geschichte Olympiasbis hin <strong>zur</strong> Briefmarkensammlung imUnterschoss des OlympischenMuseums in Lausanne. Wer sichschliesslich dafür interessiert, wie1964 die Medaillen verteilt wurden,wird im 48 Seiten starken Booklet<strong>zur</strong> DVD fündig.NZZaS, 14. Aug. 2005


1965, UngarnSzegénylegények(Miklós Jancsó)Second Run DVD029 [Region 2]Listig und hellwach berichtet der 87-jährige Regisseur Jancsó im neuenBonus-Interview, das allein dieAnschaffung dieser DVD lohnt,von seinen ungarisch-rumänischenWurzeln, von seinem Studium (Anwaltund danach Filmregie, untern anderenbei Béla Balázs) und von der Entstehungseines Meisterwerks „TheRound-Up“, zu deutsch „Die Hoffnungslosen“.Selbstredend waren die1860er Jahre, in denen der Film spielt,nur Vorwand: Es ging nicht um dasFort inmitten der unendlich weitenungarischen Ebene, in dem damalseine grössere Gruppe von angeblichenBanditen gefangen gehalten wurde.Kritiker und Publikum waren sichdurchaus bewusst, dass sich dieParabel von (Un-)Freiheit undUnterdrückung auf den ungarischenVolksaufstand vom Oktober 1956und dessen Niederschlagung durchdie Rote Armee bezog. Die kürzlichin England erschienene DVD enthältden schwarzweissen Breitleinwandfilmin einem digital restaurierten Bild undmit zuschaltbaren englischen Untertiteln.In einem 16-seitigen Bookletwürdigt John Cunningham, Autor einerneueren ungarischen <strong>Filmgeschichte</strong>,das Gesamtwerk Jancsós, bettet es indie Umbruchsphase der 1960er Jahreein und beschäftigt sich auch mit dencharakteristischen, oft minutenlangenEinstellungen, die dem Regisseurerlauben, die Motive in den Handlungenseiner Figuren aufzudecken.NZZaS, 12. Okt. 2008


1965, GrossbritannienRepulsion(Roman Polanski)Koch Vision KOC-DV-6405 [Region 1]An sich enthält diese nordamerikanischeDVD aus dem Jahr 2001 bereitsauf dem Umschlag eine Vorwarnung,nur erkennt man dies bei der On-LineBestellung noch nicht: In unglaublicherBuchstabenverwechslung wirdPolanskis Psycho-Schocker auf derRückkante der DVD als „Replusion“ mit„Catherine Denerve“ als Hauptdarstellerinetikettiert. Und, um denKalauer aufzunehmen, die Coverangabennerven gleich weiter, wenn sie denbritischen Film mit seinen beklemmendenSchwarzweissaufnahmen alsitalienische Farbproduktion anpreisen.Dürftig sind sodann die Zusatzfunktionender DVD: Synchronfassungenoder Untertitel gibt es keine, die Biographievon Catherine Deneuve reichtgenau bis zu „Belle de jour“ aus demJahr 1966. Dass die Bildqualität derDVD bestenfalls mittlere VHS-Qualitäterreicht, ist dann schon beinahe einabsehbares, wenn gleich zentralesÄrgernis. Der Film flimmert, und dieÜbergänge bei den Rollenwechselnsind unvollständig. So machen wederdie Londoner Strassenszenen nochdas abgestandene Kaninchen imKühlschrank Freude.NZZaS, 12. Jan. 2003


1966, DDRSpur der Steine(Frank Beyer)Süddeutsche Zeitung Cinemathek Nr. 65[Region 2]Ausgesprochen preisgünstig sind sie,die hundert <strong>DVDs</strong> aus der Reihe„Cinemathek“ der SüddeutschenZeitung, und schmuck kommen siedaher in den der Edition Suhrkampnachempfundenen Regenbogenfarben.Auch die Titelauswahl lässtsich vertreten. Dennoch ist die Editionbei Cineasten nicht sehr gefragt, wasdamit zusammenhängt, dass die Filmezwar jeweils im Original und in einerdeutschen Synchronfassung abspielbarsind, aus rechtlichen Gründenaber keine einblendbaren Untertitelenthalten. Bei der DDR-Produktion„Spur der Steine“ spielt dieser Einwandindes kaum eine Rolle. Manfred Kruggibt im Film des kürzlich verstorbenenFrank Beyer seine Paraderolle alssozialistischer Räuberhauptmann aufeiner Brigade-Baustelle. Gedrehtwurde im Cinemascope-Verfahren,allerdings in Schwarzweiss. Das DVD-Bild ist störungsfrei, jedoch ohnedigitale Nachbearbeitung. Eineaufklappbare Kartonhülle zeichnet inknapper Form das Schicksal des Filmsnach. Der unterschwellig politischbrisante Stoff ging zwar bei derAbnahme des Films noch durch, dochalsbald hielten die DDR-Kulturhüterdem Film „schädliche Tendenzen“ vor.Bei der Premiere Ende Juni 1966 inOstberlin kam es zum inszeniertenSkandal, und nach nur drei TagenLaufzeit in den Kinos wurde „Spurder Steine“ aus dem Verkehr gezogen,um für 23 Jahre im Archiv zu verschwinden.NZZaS, 10. Dez. 2006


1966, SchweizChicorée(Fredi M. Murer)www.artfilm.ch oder www.paranoiacity.chElf Fragmente aus dem Leben desZürcher Underground-Poeten UrbanGwerder, assoziativ und augenzwinkerndin Szene gesetzt in einem nichtganz halbstündigen Experimentalfilm.Fredi Murers „Chicorée“ ist ein Schlüsselwerkdes (damaligen) NeuenSchweizer Films, ein filmisches Bijouobendrein, welches glücklicherweiseseit kurzem auf DVD zugänglich ist.Es geht in diesem Film um Autonomieund Selbstverwirklichung, und gelegentlichbricht reine Anarchie durch,etwa in der Geschirrreinigungs-Sequenz im Schwarzweiss-Alltagdes Films oder im farbig gedrehtenAusschnitt aus einem Ostermarsch, indem sich Gwerder mit einer Schrifttafel„Wollt ihr den totalen Urban?“ alseinziger Teilnehmer der Kundgebungvorwärtsbewegt. Doch Fredi Murermacht kein kopflastiges Politkino, seinFilm lebt vom Bild und der Montage.Höhepunkt in dieser Hinsicht ist eine„Action Painting“-Szene gegen Endedes Films, die auch den grandiosmontierten Abspann von „Chicorée“enthält. Die relativ kurze Spieldauer(27 Minuten, Musiktonspur JellyPastorini, ohne Dialog) wird aufder DVD kompensiert durch einehervorragende Digitalisierung des16mm-Bildmaterials, durch eineansprechende Covergestaltung sowiedurch kunstvolle Tusch-Signaturendes Gespanns Murer/Gwerder, die denersten 300 Exemplaren der Ausgabebeiliegen.NZZaS, 19. April 2009


1966, ItalienLa battaglia di Algeri(Gillo Pontecorvo)Pierrot le Fou 858902660 [Region 2]Um das Thema des algerischenUnabhängigkeitskampfes authentischdarstellen zu können, verzichteteRegisseur Pontecorvo in seinemSpielfilm bewusst auf Farbe undauf berühmte Schauspielernamen. InAnlehnung an Wochenschauen undfrühe TV-Reportagen setzte er auf eingrobkörniges Schwarzweissbild mithäufigem Einsatz der Handkamera,Stilelemente, die auf der soebenerschienenen DVD (arabisch-französischesOriginal, deutsche Untertitelund deutsche Synchronfassung) gut<strong>zur</strong> Geltung kommen. Nicht zuletztdiese cineastischen Qualitäten trugendem Werk 1966 am Filmfestival vonVenedig den Goldenen Löwen sowiedanach drei Oscar-Nominationen ein.„Schlacht um Algier“ hat indes nichtnur aus formalen Gründen gut gealtert,sondern auch, weil auf schnelleAnalysen und billige Schuldzuweisungverzichtet wird: Die Franzosen in deralgerischen Hauptstadt sind nichtdurch’s Band weg bösartig, genausowenigwie die algerische Seite nuredelmütig handelt. – Das Echo desFilms war enorm: Die französischeRegierung verbot jahrelang jeglicheAufführung des Werks, welchesumgekehrt den „Black Panthers“ inden USA als Instruktionsfilm diente.Wie Produzent Yacef Saadi in einemkürzlich gedrehten Bonus-Interviewausführt, hat sich auch die Bush-Administration vor dem Einmarsch imIrak „La battaglia di Algeri“ vorführenlassen. Ob sie den Film verstandenhat, darf füglich bezweifelt werden.NZZaS, 7. Aug. 2011


1966–1970, Schweiz4 films de Michel SoutterDoriane Films 904410 [Region 2]Was für ein Festtag! Die vier erstenKinofilme des Genfers Michel Soutter –„La lune avec les dents“ (1966),„Hachisch“ (1967), „La pomme“ (1968),„James ou pas“ (1970) – vereint ineiner einzigen Edition bestehend ausvier <strong>DVDs</strong> mit brillant restauriertemSchwarzweissbild und neuen deutschenbeziehungsweise englischenUntertiteln. Die vier Werke, Meilensteinedes „Neuen“ Schweizer Filmsallesamt, haben gut gealtert. Das hatnicht zuletzt damit zu tun, dass Soutter– anders als seine Weggefährten AlainTanner oder Claude Goretta – kaumauf direkte politischen Aktionen setzt,sondern auf subversive Gedankenspielereienund utopische Gegenwelten,um seinen verlorenen Figureneine Heimat zu bieten. Genial ist die(kostengünstige!) Auswahl derSchauplätze, ob es sich nun um eineBowlingbahn, um die Abflughalle vonGenf-Cointrin oder um einenverschneiten Bahnviadukt handelt.Exzellent ist die Bildgestaltung mit dencharakteristischen Kamerafahrten,oftmals unter dem herbstlichenHochnebel inszeniert, der ein weichesLicht ohne Schattenwurf ermöglicht.Und blitzgescheit, mit feinem Humordurchsetzt sind die Dialoge. DieDVD-Ausgabe enthält nicht nur vierKinofilme, sondern auch siebenzwischen 1965 und 1972 für daswelsche Fernsehen gedrehteReportagen von oder mit MichelSoutter, diese allerdings ohneUntertitel.NZZaS, 15. Aug. 2010


1967, ČSSRHorí, má panenko(Milos Forman)Criterion Collection 145 [Region 1]Hier geht es um Brandschutz aufhöherer Ebene: Die eitlen, leichtvertrottelten und tendenziell überfordertenFeuerwehrmänner diesersarkastisch-zynischen Komödie stehenstellvertretend für das Politbüro dertschechoslowakischen KP. Und beimalljährlichen Ball mit Misswahl undTombola, den die Feuerwehrkameradenorganisieren, läuft denn auchpraktisch alles schief, was überhauptaus dem Ruder laufen kann: Diewackeren Mannen, die den Gabentischbewachen sollen, räumen diesengleich selber leer, getreu dem Motto„Wer nichts stiehlt, bestiehlt seineeigene Familie“, wie der Regisseur ineinem neuen Interview auf der in denUSA erschienenen DVD analysiert.Kein Wunder, dass die allmächtigePartei den Film sogleich nach derFertigstellung beschlagnahmte.Erstaunlicher schon eher, dass Co-Produzent Carlo Ponti, der, wie imBegleitheft <strong>zur</strong> DVD nachzulesen ist,65’000 Dollar beisteuerte, damitForman erstmals in Farbe drehenkonnte, im abgedrehten Film eineLächerlichmachung der Arbeiterklasseerblickte und sein Geld <strong>zur</strong>ückfordernwollte. Unterstützt von französischenCineasten erlebte „Der Ball derFeuerwehr“ während des PragerFrühlings doch noch seine Uraufführung,um wenig später nach demEinmarsch der Warschauer PaktTruppen „für immer verboten“ zuwerden. Schön, dass er nun in denPrager Barrandov Studios liebevolldigital restauriert wurde und mit neuenenglischen Untertiteln versehen aufDVD zugänglich ist.NZZaS, 27. April 2003


1967, FrankreichBelle de jour(Luis Buñuel)Miramax 24739 [Region 1] /StudioCanal REF 196 836-9 [Region 2]Buñuels erster Farbfilm kreiste um dieErlebnisse, die Obsessionen und dieTräume der Ärztegattin Séverine(Catherine Deneuve), welche nachmittagsals Prostituierte arbeitet. Die vorkurzem in Frankreich erschieneneDVD bietet ein makelloses Breitleinwandbildund einblendbare italienische(aber keine weiteren) Untertitel. AlsZugabe gibt es einen gut halbstündigenDokumentarbeitrag „Historie d'unfilm“ zu sehen, in dem die Beteiligtenvon damals zu Wort kommen. Eloquentberichtet Drehbuchautor Jean-Claude Carrière von der Zusammenarbeitmit Buñuel, welcher unbedingtvermeiden wollte, „in die Folklore derPariser Bordelle abzugleiten“. Dieetwas ältere amerikanische DVD (mitenglischen und spanischen Untertiteln)enthält einen zuschaltbaren Kommentarvon Julie Jones, einer Professorinvon der University of New Orleans. Sieordnet den Film in das GesamtwerkBuñuels ein und brilliert mit ihrerInterpretation von Metaphern. Witzigist eine Gegenüberstellung derverschiedenen Trailers auf den beiden<strong>DVDs</strong>: In Deutschland verkaufte man1967 die kritische Gesellschaftsstudieals französischen Thriller, und in denUSA war der Originaltrailer von 1967dank weissem Schlüpfer und Strapsenum einiges sexier als bei der Reéditionvon 1995.NZZaS, 16. Jan. 2005


1967, SowjetunionKomissar [Die Kommissarin](Alexander Askoldov)Ruscico [Region 2] via www.russiandvd.deNihilismus, Revanchismus und Zionismuswaren nur drei Vorwürfe, welchesich Regisseur Askoldov 1967 gefallenlassen musste, als sein Werk von dersowjetischen Filmzensur für mehr alszwei Jahrzehnte ins Archiv verbanntwurde. Das Thema des Films, noch inder Tauwetter-Phase angegangen, warin der Tat heikel: Eine Kommissarinder Roten Armee findet während desBürgerkriegs 1922 in einem Dorf dersüdlichen Ukraine bei einer jüdischenHandwerkersfamilie Unterschlupf,welche sich später auch um dasneugeborene Kind der Rotarmistinkümmert. Die aus Russland stammendeDVD (via Deutschland bequemüber’s Internet zu beziehen), bietetbeim Hauptfilm eine in Anbetrachtder Zeitumstände befriedigendeBildqualität. An Sprachen stehenneben dem russischen Original(reichlich akzentlastige) englischeund französische Over-Dubs <strong>zur</strong>Verfügung, dazu Untertitel aufEnglisch, Deutsch und Französisch.Die Ausgabe umfasst zwei Discs mitzahlreichen neuen Interviews. Nebenden Hauptdarstellern von damalskommt Regisseur Alexander Askoldovausführlich zu Wort. Er berichtet vonden stalinistischen Säuberungen1937 - welche ihn das Elternhauskosteten -, von seiner Verehrungfür den Schriftsteller Wassili Grossman- der mit einer Novelle dasDrehbuch von „Die Kommissarin“inspirierte -, vom Verbot des Filmsund von der verspäteten Uraufführungam Rand des Moskauers Filmfestivalsvon 1987.NZZaS, 3. Feb. 2008


1967, FrankreichMouchette(Robert Bresson)Criterion 363 [Region 1]Selten wurden Isolierung und psychischeGewalt so lapidar dargestelltwie in diesem Schwarzweissfilm:Die 14-jährige Mouchette lebt untermenschenunwürdigen Bedingungenin einem Dorf in Südfrankreich. Allenthalbenwird sie ausgegrenzt und ausgenutzt,in der Schule, in der eigenenFamilie und im Bekanntenkreis. RegisseurBresson, der auch in diesem Filmmit Laiendarstellern arbeitete, ist einMeister der verknappten Bildsprache.Wie er seelische Entwicklung alleindurch das Bild und kaum je durchSprache oder Handlung sichtbarmacht, sucht in der Geschichte desKinos seinesgleichen. Ein Kommentardes britischen Filmhistorikers TonyRayns geht einfühlsam der Verwendungvon Bildmotiven und Musikeinsätzenin „Mouchette“ nach. Dieserzuschaltbare Kommentar findet sichauf der amerikanischen DVD-Editiondes Films (französisches Original,einblendbare englische Untertitel),welche gegenüber den früher inFrankreich und in England erschienenenAusgaben die Nase vorn hat –nicht zuletzt wegen des digital nachbearbeitetenFilmbildes und wegenzusätzlicher Bonusmaterialien. DerFilm ist keine leichte Kost: Bresson,bekennender Christ, hält keinenversöhnlichen Schluss bereit undmacht gleichzeitig deutlich, dass derTod niemals eine (Er-) Lösung seinkann. „Mouchette“ aber, und dasmacht den Film zum Kunstwerk, isttrotz aller Grausamkeit getragen voneiner Sehnsucht nach Glück unddurchzogen von grosser Schönheit.NZZaS, 31. Mai 2009


1968, USARosmary’s Baby(Roman Polanski)Paramount 06831 (Region 1) /Paramount PMDVD 450410 (Region 2)Der „Horrorfilm ohne Horror“ (Polanskiim neuen „DVD Bonusdisc“-Interview),welcher mit Satanskult und Psychoterrorspielt, überzeugt auch nach überdreissig Jahren. Richtete sich dasAugenmerk seinerzeit auf die fürRosemary (Mia Farrow) unverständlichenZeichen und Vorkommnisse, sokonzentriert sich das Interesse beimWiedersehen eher auf die Figur vonRosemarys Ehemann Guy Woodhouse(John Cassavetes). Bekanntlich gingdieser im Verbund mit den Castevets,dem witzigen, etwas überfürsorglichenälteren Nachbarspaar aus dem NewYorker Apartmenthouse, den fatalenPakt ein, gemäss welchem Rosemarydem Teufel ein Kind gebärt.– Dieamerikanische DVD brilliert mit neuemdigitalen Bildtransfer. Die europäischeAusgabe stammt dagegen wohl voneinem TV-Band. Sie bietet neben demenglischen Original eine akzeptabledeutsche Synchronfassung plusanwählbare Untertitel in 16 Sprachen.Beide DVD-Ausgaben enthaltendasselbe 17-minütige „Making Of“.Es zeigt Roman Polanski, eben ausEuropa in die USA gekommen, vollerNeugier und Tatendrang (einen Skifilmwollte er drehen!), und Mia Farrow,angetan von der kalifornischen Flower-Power-Bewegung. In Kenntnis diesesSachverhalts werden die Hippie-Insignien auch im Hauptfilm unübersehbar.Doch sie durchbrechen diebeengende Grundstimmung von„Rosemary’s Baby“ nicht, sondernmachen sie nur noch beklemmender.NZZaS, 24. März 2002


1968, GrossbritannienYellow Submarine(George Dunning)MGM Z5 57508 (Region 2)Dass die Hülle dieser DVD im Gelbdes legendären U-Boots der Beatlesgehalten ist, entspringt keinem Zufall.Bei der DVD-Ausgabe des Trickfilmklassikersaus dem Jahr 1968 stimmtwirklich alles. Die digital aufgearbeitetenFarben haben eine Leuchtkraft,wie sie bestenfalls anlässlich derUraufführung des Films zu bewundernwar. Die Dolby-Qualität des Soundtracksübertrifft die CD, nicht zu redenvon der Original LP, bei weitem.Dem Sprachwitz des Unternehmens„Yellow Submarine“ wird auch diedeutsche Synchronfassung vollumfänglichgerecht. Die Menusteuerungder DVD ist effizient, das Booklet süffigund informativ. Zahlreiche Specials,Storyboards und Fotos dokumentierendie Dreharbeiten und widmen sich derSchwierigkeit, die Stimmen von John,Paul, George und Ringo zu imitieren(die in Natura nur ganz kurz amSchluss des Films zu sehen sind).Dazu gibt es einen Kommentar, unteranderem von Heinz Edelmann, dessenbahnbrechende Pop-Art- und Psychadelik-Grafikendie Bedenken derBeatles vor einer „Disneyfizierung“ihres Stoffes zu zerstreuen vermochte.Für alle 68er, 43er, 74er, 57er und dierestlichen Jahrgänge heisst es alsoumgehend Platz nehmen und abtauchenmit Pfarrer Rigby, mit demNowhere Man und mit „Lucy in theSky with Diamonds“.NZZaS, 29. Sept 2002


1968, ArgentinienLa hora de los hornos(Fernando E. Solanas)Trigon-Film 79 [Codefree]„Die Stunde der Hochöfen“, so derTitel dieses im EntstehungslandArgentinien verbotenen Films, verstandsich 1968 ausdrücklich alsBeitrag zum südamerikanischenBefreiungskampf. Und die revolutionäreWucht der Ton-, Bild- undTextmontage ist noch heute in jederSequenz greifbar. Erfreulicherweisehat die im aargauischen Ennetbadenbeheimatete Trigon-Film diesesSchlüsselwerk des lateinamerikanischenKinos kürzlich als Weltpremiereauf DVD veröffentlicht. Dabeiwurde bei der Bildrestauration keinAufwand gescheut. Auch die spanischenDialoge, Kommentare undSchrifttafeln wurden neu ins Deutschebeziehungsweise ins Französischeübertragen (einblendbare Untertitel).Schnickschnack findet man dagegenauf dieser Ausgabe keinen. Es gibtkeinen 16:9 Bild-Transfer, kein Dolby5.1 Home-Surround, kein farbigesBooklet und kein „Making of“. Der Filmmit einer Laufzeit von immerhin rundvier Stunden ist Bonus genug: dreiTeile revolutionären Kinos auf einerDoppel-DVD. Und spätestens imzweiten Teil mit dem Titel „Akt derBefreiung“, in dem Solanas und seineWeggefährten seinerzeit mit Kunstpausendas Publikum aufforderten, dieGeschichte des Films bis zu Ende zudenken, fragt man sich, was mit dieserGeschichte eigentlich falsch gelaufenist.NZZaS, 4. März 2007


1970, USAGimme Shelter(Albert and David Maysles,Charlotte Zwerin)Criterion Collection 99 [Region 1]Das von den Rolling Stones als Gegenpolzum „Peace, Love and Music“-Festival von Woodstock inszenierteGratiskonzert zum Abschluss der„US Tour 69“ mündete in ein Desaster.Bei Temperaturen um den Gefrierpunktwurde am 6. Dezember 1969der schwarze Meredith Hunter inSichtweite der Bühne niedergestochen."Gimme Shelter", einer dervielschichtigsten Musikfilme überhaupt,dokumentierte seinerzeit die Ereignisse.Bild und Ton des Films wurdendreissig Jahre danach für die DVD-Ausgabe liebevoll rekonstruiert. Dazugibt es auf der aus den USA stammendenDisc (nicht aber auf der europäischenDVD) zahlreiche Extras: einreich illustriertes Booklet im Umfangvon 50 Seiten, eine knappe, aber sehranschauliche Dokumentation derRestaurationsarbeiten, einen wohltuend<strong>zur</strong>ückhaltenden Off-Kommentarvon Albert Maysles und CharlotteZwerin sowie mehrere musikalischeLeckerbissen. Dazu gehören niegehörte Liveversionen von „Carol“und „Prodigal Son“, ein Blues, denMick Jagger im Madison SquareGarden back-stage für Ike & TinaTurner anstimmt und Studio Over-Dubs zu „Little Queenie“. Immerverfolgt die Kamera das Geschehenhautnah, so dass Gitarrist KeithRichards schliesslich entnervt dieFilmschaffenden vom Mischpultwegscheucht. Doch zu diesemZeitpunkt war das Filmmaterial zumGlück schon im Kasten.NZZaS, 20. Juli 2003


1970, SchweizDällebach Kari(Kurt Früh)Praesens 24243 [alle Regionen]Die Reihe „Schweizer Filmklassiker“wartet in kurzen Abständen mit digitalenRe-Editionen auf. Nicht immerkommen dabei so bedeutsame Titelans Tageslicht wie im Falle von KurtFrühs zweitletztem Spielfilm. DerRegisseur, in den 50er Jahren bekanntgeworden mit Studien aus demKleinbürgermilieu, unterrichtete von1967-69 im Filmkurs der ZürcherKunstgewerbeschule. „Dällebach Kari“,unmittelbar danach in Angriff genommen,stand im Zeichen des „Neuen“Schweizer Films. Mit einer vom FernsehenDRS makellos restauriertenKopie trägt die DVD den Qualitätendes Werks Rechnung. Walo Lüöndverkörperte seinerzeit den legendärenBerner Coiffeurmeister mit der Hasenscharte,welcher sich mit Witzen anseiner Umgebung schadlos hält, bevorer in der Aare den Tod sucht. In einemaktuellen Interview berichtet Lüöndauf der DVD über die Schwierigkeitenwährend der Dreharbeiten (der Produzentwar mit der Kasse untergetaucht)und über den Trick, mit demer das Handicap der berndeutschenSprache meisterte. Ein vergrösserbarerAusschnitt aus dem Drehplan,die Endabrechnung des Films lautendauf Fr. 615’296.10 sowie ein kurzesTV-Portrait zum dreissigsten Todestagvon Mani Matter (1936-1972), der denTitelsong komponierte, vervollständigendie gelungene Disc.NZZaS, 23. Nov. 2003


1971, USAThe Last Picture Show(Peter Bogdanovich)Columbia TriStar 50429 [Region 1]Die Träume in der texanischen Kleinstadt,in der nun auch das einzige Kinoschliesst, sind längst ausgeträumt.Konsequenterweise drehte PeterBogdanovich seinen Film 1971 inSchwarzweiss, denn, so der Regisseur,„Farben romantisieren allzusehr“. Das feinkörnige, kontrastreicheSchwarzweissbild gehört zu denHauptqualität dieser aus den USAstammenden DVD (englischsprachigesOriginal, englische Untertitel einblendbar),die als „Definitive Director's Cut“mit einer um sechs Minuten längerenVersion aufwartet. Für die DVD-Ausgabewurden mit allen Hauptbeteiligtenneue Interviews geführt und zu einergut einstündigen Dokumentation „TheLast Picture Show: A Look Back“vereint. Spannend erzählt RegisseurBogdanovich, wie er zusammen mitLarry McMurtry, dem Autor der literarischenVorlage, das Drehbuchverdichtete. So wurde die Handlunginnerhalb eines Schuljahres zusammengezogenund durch einenkonkreten Bezug zum Koreakriegpolitisch situiert. Die Liebe zum Detailmanifestiert sich auch im Soundtrack:Am Weihnachtsball, in Diners, anPartys und über Autoradio erklingendie Country & Western Hits von1951/52. Und Hank Williams, Bob Willsand His Texas Playboys, Eddy Arnoldoder Hank Snow signalisieren mit jedereinzelnen Note, dass die Träume zwarausgeträumt, aber keineswegs abhandengekommen sind.NZZaS, 29. Juni 2003


1971, ItalienDeath in Venice(Luchino Visconti)Warner Bros. Z5 288815 [Region 2]Ein Einband, welcher Tadzio, denblonden Jüngling aus Thomas MannsNovelle „Der Tod in Venedig“, alsTradizio vorstellt, verheisst wenigGutes. Doch für einmal sind dieBedenken unbegründet. Die Farbendieser aus Deutschland stammendenDVD leuchten kraftvoll, und der Soundtrack,mit der suggestiven Musik vonGustav Mahler, wurde digital neuabgemischt. An Sprachversionenstehen Englisch und Deutsch (plusSpanisch) <strong>zur</strong> Verfügung, dazu Untertitelin mindestens fünfzehn Idiomen.Die auf dem Umschlag angekündigteitalienische Fassung fehlt hingegen,was sich einigermassen verschmerzenlässt. Filmsprache auf dem Set war aufjeden Fall Englisch, wie aus dem zehnminütigenBonus-Beitrag „Visconti'sVenice“ hervorgeht. Hier zeigt sich derRegisseur als detailversessenerKünstler, der auf dem Lido vonVenedig ein ganzes zerfallenes Hotelim Stil von 1911 wiederaufbauen liess.„A Tour of Venice“, ein weitererSpecial der DVD, entpuppt sich nichtals Werbespot für die Lagunenstadt,sondern als Sammlung von Schwarzweissaufnahmenvon den Kostümprobenund den Dreharbeiten. Dieseatmosphärisch dichten Bilder hätteman freilich gerne etwas grössergesehen.NZZaS, 11. Juli 2004


1971–1990, SchweizAccolti a braccia chiuse(Alvaro Bizzarri)Climage / Cinémathèque Suisse / TSR[Region 2]Während in der Schweiz die Diskussionenüber die Schwarzenbach’scheÜberfremdungsinitiative heissliefen,filmte der italienische Immigrant AlvaroBizzarri in der Umgebung von Biel mitseiner Super-8-Kamera seine Landsleuteauf Baustellen und in Arbeiterbaracken.Das war zunächst blossesHeimkino, doch von ausserordentlicherSensibilität und angesichts der politischenLage nicht ohne Sprengkraft.Der Minispielfilm „Lo stagionale“(1971) etwa handelte von einemSaisonnier, der nach dem Tod derEhefrau seinen Sohn aus Italien in dieSchweiz holt. Hier jedoch untersagendie fremdenpolizeilichen Vorschriftenden Aufenthalt von Familienangehörigen,so dass sich das Kind währendder Arbeitszeit des Vaters versteckenmuss. Neben diesem kleinen Meisterwerkenthält die soeben erschieneneDoppel-DVD „Empfang mit verschränktenArmen – Gastarbeiter in derSchweiz in den siebziger Jahren“ fünfweitere mittellange Filme Bizzarris, diezwischen 1970 und 1990 entstandensind (digital restauriertes Bild, neuezuschaltbare deutsche oder französischeUntertiteln). Dazu gibt es ein32-seitiges dreisprachiges Bookletsowie ein Portrait des welschenFernsehens aus dem Jahr 1985, indem Alvaro Bizzarri seinen Weg vonder Fabrik über die Anstellung ineinem Fotogeschäft zum engagiertenFilmemacher nachzeichnet.NZZaS, 25. Okt. 2009


1971, GrossbritannienA Clockwork Orange(Stanley Kubrick)Warner Bros. 8067295 [Region 2]Auch wer „A Clockwork Orange“ vorJahren oder gar Jahrzehnten gesehenhat, wird sich an einzelne Bilder desFilms erinnern, etwa an den weissenEinteiler und die schwarze Melone desHauptdarstellers Alex, an die kargenVorstadtlandschaften oder an diefuturistisch eingerichteten Innenräume.Filme zum Phänomen Jugendgewaltwaren in den frühen siebziger Jahrenkeine Seltenheit, doch Kubrick spieltewie kein anderer mit der Komplizenschaftdes Publikums. Fasziniert folgtedieses den sarkastischen Kommentarendes Schlägers Alex und seinerGang und vergass darob die eigenenmoralischen Ansprüche. Der Regisseursetzte sich mit seinem Ansatzallerdings zwischen alle Stühle. Zwarverzichtete die britische Filmzensur aufSchnitte, doch die Boulevardpressenahm den Film wegen seinerGewaltszenen ins Visier. Auch dasInnenministerium intervenierte, weilman hier sehr wohl mitbekommenhatte, dass Kubrick – in Abänderungder literarischen Vorlage von AnthonyBurgess – die staatlichen Umerziehungsmassnahmenals Parallele zuden Schlägereien von Alex inszenierte.Die kürzlich erschienene 2-DiscSpecial Edition „Uhrwerk Orange“leuchtet diese Zeitumstände mittelseiner hervorragenden Dokumentationvon Channel 4 und einem hochkarätigbesetzten „Making of“ aus dem Jahr2007 aus. Die DVD ist auch formalempfehlenswert, bietet sie doch eineenglische und deutsche Sprachfassungsowie zahlreiche Untertitel auchfür die Bonusbeiträge. Einzig dasdigital restaurierte Bild scheint etwasgar weich.NZZaS, 10. Aug.2008


1973, SpanienEl espíritu de la colmena(Victor Erice)Trigon-Film 210 [Codefree]Ein gelungener Kunstgriff: RegisseurVictor Erice zeigt in seinem mehrfachinternational ausgezeichneten Erstling„Der Geist des Bienenstocks“ dietrügerische Normalität nach dem Endedes spanischen Bürgerkriegs durchden Blick eines Kindes. Die 8-jährigeAna (unvergesslich gespielt von AnaTorrent, die wenig später auch inCarlos Sauras „Cría cuervos“ zu sehenwar) und ihre um weniges ältereSchwester Isabel wachsen im Jahr1940 auf einem abgelegenen Gutshofauf der kastilischen Hochebene auf.Die Eltern, zwei Sonderlinge, kümmernsich wenig um die Kinder; der Vaterwidmet sich ganz seiner Bienenzucht(von daher der eigentümliche Filmtitel),die Mutter sucht über das Rote Kreuznach einem im Bürgerkrieg verschollenenGeliebten. So flüchten sich dieMädchen – angeregt unter anderemdurch eine Vorführung des Films„Frankenstein“ im Gemeindesaal –in eine Phantasiewelt. Die DVD(spanisches Original, ausblendbaredeutsche Untertitel, alle Länderregionen)bringt mit einem digitalrestaurierten Bild im 16.9 Format dielangen Einstellungen und die sanftenÜberblendungen des Films sehr schön<strong>zur</strong> Geltung. Obschon aufgrund derkindlichen Perspektive politischeFragen nicht explizit <strong>zur</strong> Sprachekommen, bricht gegen Schluss dieRealität doch noch in den Film ein,wenn der republikanische Deserteur,dem Ana und Isabel in einem StallUnterschlupf gewährten, von derGeheimpolizei aufgegriffen underschossen wird.NZZaS, 24. April 2011


1973 & 1976, SchweizLe milieu du monde / Jonas(Alain Tanner)Doriane Films Ddvd017 [Region 2]Der „Neue Schweizer Film“ der späten60er und der 70er Jahre ist auf DVDbisher kaum vertreten. Um so willkommenerist diese aus Frankreichstammende Ausgabe mit gleich zweiDiscs. Das Bild genügt höchstendigitalen Ansprüchen, die Farben sindsorgfältig abgestimmt, und auch dieTonspur wurde neu abgemischt. DieUntertitel (deutsch und englisch)wurden für die DVD neu übersetzt undsind in einem angenehmen Gelbtongehaltenen. Als Bonus äussert sichRegisseur Alain Tanner in einem jeviertelstündigen aktuellen Interview zuden beiden Filmen. Ausführlich kommtdabei die Zusammenarbeit mit demDrehbuchautor John Berger <strong>zur</strong>Sprache. Überraschenderweise hatvon den beiden Titeln der DVD derweniger bekannte "Le milieu dumonde" – für Tanner ein Winterfilm –besser überlebt. Die Begegnung einesWaadtländer Lokalpolitikers mit eineritalienischen Serviertochter ist behutsamund doch engagiert inszeniert. An„Jonas“, in dem sich die Lebenswegevon acht 68ern kreuzen, wirken ausheutiger Sicht viele Passagen überladen.Begeisternd sind indes auchhier die Kamerafahrten Renato Bertasüber die Gesichter der Protagonistenund über die Landschaften der GenferBanlieue. Und der politische Optimismus,der mit der Geburt von Jonasverbunden ist, wirkt noch immeransteckend.NZZaS, 10. Aug. 2003


1974, SowjetunionZerkalo (The Mirror / Der Spiegel /Le miroir)(Andrei Tarkowski)Kino Video K150 [Region 1] / ¨Russische Klassiker (Icestorm) 19303 /Mk2 EDV 1264 [beide Region 2]Tarkowskis vielschichtiges, autobiographischgeprägtes Hauptwerk war inden USA schon seit längerer Zeit aufDVD greifbar. Daneben existierte einedeutsche Ausgabe mit einer Synchronfassungaus den DEFA-Studios. Vorkurzem ist nun in Frankreich eine DVDerschienen, welche das Original miteinblendbaren Untertiteln in 13Sprachen bietet. Trotzdem befriedigtauch diese, vom „Russian CinemaCouncil“ autorisierte Ausgabe nichtganz: Zum einen sind die Schwarzweiss-Passagendes Films – Wochenschauenund rekonstruierte Sequenzenaus der Sowjetunion der dreissigerJahre – in ein verwirrendes, milchigesSepiabraun getaucht. Zum anderengeriet die Übersetzung der Filmdialogezu poetisch. Damit wird die Distanz zuden Gedichten verwischt, welcheArseni Tarkowski, der Vater desRegisseurs, in „Zerkalo“ vorträgt. Diefrühere amerikanische Ausgabe trugdiesem Unterschied im Tonfall besserRechnung, es gab hier allerdings nurenglische Untertitel. Am besten ist dasSprachproblem bei der deutschenAusgabe gelöst, doch fehlt auf dieserDVD das russische Original. Wer nichtRussisch spricht, kommt kaum darumherum, sich mehrere Discs zuzulegen.NZZaS, 24. Juli 2005


1974, DeutschlandAlice in den Städten(Wim Wenders)Arthaus 501682 [Region 2]Einem deutschen Journalisten wird vordem Rückflug von New York nachEuropa ein Mädchen namens Aliceanvertraut, das in Amsterdam vonseiner Mutter in Empfang genommenwerden soll. Doch diese taucht amFlughafen nicht auf. Anhand einesFotos suchen der Mann und dasMädchen nach dem Wohnort vonAlices Grossmutter. „Alice in denStädten“ war ein liebevoll gemachter,<strong>zur</strong>ückhaltend inszenierter Schwarzweissfilmund er wäre es noch heute,wenn man nicht auf die Idee verfallenwäre, dem Werk durch einendurchgehenden Audiokommentarzusätzliche Aktualität zu verleihen.Rüdiger Vogler, der männlicheHauptdarsteller, war nie ein Mann dervielen Worte, und so liegt die Hauptlastfür den Kommentar bei Regisseur WimWenders - nicht zum Wohl des Films:Wenders wirft mit geographischenGemeinplätzen um sich („NorthCarolina ist ja ganz schön tief unten“),schlimmer noch, er distanziert sichvom spröden Stil seiner damaligenInszenierung: „Jetzt kommt derGesang, wenn man es denn Gesangnennen soll; ich fand das ist eher einschüchternes Dahinsummen.“ YellaRottländer, seinerzeit Interpretin derneunjährigen Alice und dritte Stimmedes Kommentars, ist von den altenFilmhasen Wenders/Vogler sichtlicheingeschüchtert. Immerhin bleibt esihr vorbehalten, mit der Formulierung„unbefangene Zärtlichkeit“ wenigstenspunktuell dem Rang des Films gerechtzu werden.NZZaS, 30. Sept. 2007


1974, USAThe Conversation(Francis Ford Coppola)StudioCanal Arthaus 503776 SC[Region 2]Der anhaltende Grosserfolg vonCoppolas mehrteiligem Werk „TheGodfather“ (1972, 1974, 1990) hatdas zwischen dem ersten und zweitenTeil dieser Trilogie gedrehten kleineMeisterwerk „The Conversation“ zuUnrecht beinahe in Vergessenheitgeraten lassen. Der Psychothriller, fürden Coppola als Produzent, Autor undRegisseur verantwortlich zeichnete,kreist um einen Abhörspezialistennamens Harry Caul, der sich durchseine Bespitzelungen in einen Mordverstrickt und letztlich selber zumOpfer der eigenen Methoden wird.Nachhaltig ist Gene Hackmans Interpretationdes einsamen SchnüfflersOberlippenbart, schwindendemHaaransatz und graugrünem Nylonregenmantel.Die soeben erschieneneDVD „Der Dialog“ überzeugt auf derganzen Linie: Sie bietet das englischsprachigeOriginal, eine deutscheSynchronfassung sowie zuschaltbareUntertitel in beiden Sprachen. Dazukommt eine Fülle von Extras: EinBooklet, Testaufnahmen und Gesprächeauf dem Set, ein Vergleich derDrehorte in San Francisco 1973 und2010, mehrere neue Interviews sowieein durchgehender Audiokommentar,in dem sich Coppola gekonnt zufilmtheoretischen Fragen, beispielsweise<strong>zur</strong> Funktion der Wiederholung,äussert. Amüsant ist der stummeKurzfilm „No Cigar“ über einen Einzelgängermittleren Alters (durchaus mitParallelen zu Harry Caul aus „TheConversation“), den Coppola bereitsals Jugendlicher mit dem Geld einesOnkels drehte.NZZaS, 1. Jan. 2012


1975, Italien / FrankreichThe Passenger(Michelangelo Antonioni)Sony Pictures Classics 12654 [Region 1]Die Geschichte des britischen TV-JournalistenDavid Locke (Jack Nicholson),der in Nordafrika nach dem Tode einesKollegen seine Identität wechselt,danach aber von einer Waffenhändlergangdurch halb Westeuropa gejagtwird, hat nichts von ihrer Aktualitäteingebüsst. Der Film, in Europaseinerzeit unter dem Titel „ProfessionReporter“ aufgeführt, ist kürzlich inguter Bild- und Tonqualität (englischeund weitere Untertitel, aber keinDeutsch) in den USA zum erstenMal auf DVD veröffentlicht worden.An Extras bietet die Ausgabe zweizuschaltbare Audiokommentare, diefreilich beide nicht völlig befriedigen.Im ersten berichtet Jack Nicholsonvon seiner Verehrung für Antonionis„L’avventura“, von den Dreharbeitenund von der Beziehung zu seinerFilmpartnerin Maria Schneider. Diesonor-monotone Stimme des Hauptdarstellerswirkt jedoch auf die Längeermüdend. Der andere Kommentar,gesprochen von Mark Peploe, demCo-Autor des Drehbuchs und Verfasserder literarischen Vorlage von „ThePassenger“, krankt daran, dass derSprecher glaubt, permanent seinenBeitrag <strong>zur</strong> <strong>Filmgeschichte</strong> herausstreichenzu müssen. Spätestensdann, wenn er von seinem amerikanischenFilmprojekt „L’enfant sauvage“erzählt, das ihm Truffaut weggeschnappthabe, kehrt man mittelsFernbedienung zum Hauptfilm <strong>zur</strong>ück,um in Antonionis Aufnahmen deralgerischen Wüste oder in die StadtansichtenBarcelonas einzutauchen.NZZaS, 4. Juni 2006


1976, Italien1900 / Novecento(Bernardo Bertolucci)MGM UA 10006152 MZ5 [Region 2]Darf man an einer DVD, welche einenfilmischen Meilenstein in der ungeschnittenenFassung von 302 MinutenSpieldauer auf zwei Discs zum Preiseiner einzigen DVD anbietet, herummäkeln?Man darf und muss, denn„Novecento“, so der Originaltitel von„1900“, gehört zu den meist diskutiertenFilmen der siebziger Jahre. Esgeht hier nicht primär um das Bild, dasauf der DVD eine Spur zu hell wirktund deshalb selbst bei Nahaufnahmenkaum Details bietet, es geht um dieDVD-Ausgabe als Ganzes. Um eineder vier Sprachversionen (Deutsch,Englisch, Italienisch oder Französisch)anzuwählen, muss man sich durchein Menu durcharbeiten, das punctoLieblosigkeit schwer zu übertreffensein dürfte. Kleine anonyme Knöpfeanstelle von klaren Bezeichnungenleiten uns Mal für Mal in die Irre, undwer auf der Suche nach einerInhaltsübersicht zum fünfstündigenFilm nach dem Booklet greift, welchesder DVD beiliegt, wird unter dem Motto„Hollywood hoch 2“ auf Neuerscheinungenwie „Stargate KommandoSG-1“ oder „Species 3“ verwiesen.Irgendwann wird klar: Die Doppel-DVD„1900“ enthält den Film und nichtsdarüber hinaus. Dabei hätte BertoluccisWerk unbedingt einer aktuellenWürdigung bedurft. „Novecento“ sagtvermutlich mehr über seine Entstehungszeit– Italien in den Mitsiebzigern– aus als über das (halbe) 20. Jahrhundert,welches der Film gemäss derBedeutung des italienischen Originaltitelsbehandelt.NZZaS, 27. Nov. 2005


1976, Frankreich [/ Schweiz]La dentellière(Claude Goretta)Action Films 786885 [Region 2]Gorettas einfühlsames Portrait derCoiffeurlehrtochter „Pomme“, mit demIsabelle Huppert 1977 in Cannes aufsich aufmerksam machte, hat auchnach einem Vierteljahrhundert nichtsvon seiner Faszination eingebüsst.Und wer lediglich den Originalfilmsucht, ist mit dieser aus Frankreichstammenden DVD bestens bedient.Bild und Ton lassen keinerlei Wünscheoffen. Dies lässt sich leider von derDisc als Ganzes nicht sagen. Entgegenden Angaben auf der Hülle gibtes keinerlei Untertitel. Als Alternativezum streckenweise sehr literarischenFranzösisch des Hauptfilms bietet sichzwar eine deutsche Fassung an, sie istaber in einem ziemlich schroffen TV-Ton gehalten. Gelungen ist dagegenein rund 40-minütiger Zusatzfilm „Ungoût de pomme“, der neue Interviewsmit Claude Goretta und mit PascalLainé, dem Autor des Drehbuchs,enthält. In einem weiteren Zusatzfilmkommt auch Isabelle Huppert zu Wort.Sie interpretiert ihre damalige, weitgehendstumme Rolle in einemeloquenten zwölfminütigen Monologbis hin <strong>zur</strong> „eingefrorenen Schlusseinstellung“,welche die wichtigstenThemen und Fragen des Films ansPublikum <strong>zur</strong>ückgab. Merkwürdigerweisebleibt die Hauptdarstellerin vondamals als heutige Person unsichtbar,obschon das Interview 2004 auf einemFilmset aufgenommen wurde.NZZaS, 22. Aug. 2004


1976, USATaxi Driver(Martin Scorsese)Sony Picture Classics 17404 [Region 1] /Columbia TriStar 10019 [Region 2]Kaum ein Film hat die traumatisierteStimmung in der amerikanischen Post-Vietnam-Gesellschaft so präzisegetroffen wie Scorseses Spielfilm, indem der junge KriegsheimkehrerTravis Bickle (Robert de Niro) aufnächtlichen Taxifahrten mit seinerEinsamkeit und mit seinen Ängstenklarzukommen versucht. Das Werk hatin drei Jahrzehnten nichts von seinerWirkung eingebüsst, wie neuere <strong>DVDs</strong>– alle mit digital restauriertem Bild im16:9 Format – belegen. Die deutscheAusgabe (englisches Original, deutscheund französische Synchronfassung,zahlreiche Untertitel) enthältneben dem Hauptfilm ein siebzigminütiges„Making Of“ aus dem Jahr1999, in dem de Niro, Scorsese, JodieFoster, Cybill Shepherd, Harvey Keitelund viele weitere Beteiligte des Filmszu Wort kommen. Die amerikanischeEdition von 2007 (mit einer Bonus-Disc, aber ohne Deutsch) wartet mitzwei zuschaltbaren Audiokommentarenzum Hauptfilm auf, wobei sichDrehbuchautor Paul Schrader undFilmdozent Robert Kolker hübschergänzen. Highlight der Ausgabe isteine Hommage an Martin Scorsese,die nicht nur den Regisseur, sondernden amerikanischen Autorenfilm derfrühen siebziger Jahre und das vonihm verehrte europäische Kino würdigt.Der vierminütige Beitrag „Travis’ NewYork Locations“ ist daneben lediglichZugabe, aber für NYC-Fans gleichwohlein Muss.NZZaS, 17. Mai 2008


1979, SchweizLes petites fugues(Yves Yersin)Warner Bros. Z5 09452 [Region 2]„Pipe fliegt allen davon“, überschriebdie „Sonntagszeitung“ Anfang 2001das Ergebnis einer Umfrage nach dembeliebtesten Schweizer Film allerZeiten. In der Tat: Die Geschichte desKnechtes Pipe, der sich aus seinerAHV-Rente ein Moped kauft und mitseinen Entdeckungsfahrten in dienähere und weitere Umgebung dieHierarchie auf „seinem“ WaadtländerBauernhof durcheinanderwirbelt, liessalle anderen Titel weit hinter sich. „Lespetites fugues“, seit längerer Zeit nichtmehr im Kino aufgeführt, ist soebenauf DVD erschienen. Getrost kannman nun die VHS-Kassetten mit denverschiedenen Versionen entsorgen,die DVD enthält sie alle, das französischsprachigeOriginal, die bezauberndeDialektversion „Chlini Sprüng“mit der Stimme von Sigfrit Steiner alsPipe, die deutsche Version „KleineFluchten“ sowie eine italienischeFassung. Dazu gibt es einblendbareUntertitel in Deutsch, Englisch undSpanisch, man kann den Film alsoauch ins Ausland verschenken. DasBild ist für einen Film der 70er Jahrevon überdurchschnittlicher Qualität(fälschlicherweise nennt die DVD1983 als Entstehungsjahr), und dasWichtigste: Pipe fliegt noch immer.Unversehens hebt er bei einer Mopedfahrtdurch eine Waldschneise ab undgleitet über die Wipfel der Bäume insnächste Tal hinüber, wo golden dieSonne und die Weizenfelder leuchten.NZZaS, 14. Mai 2006


1979, DeutschlandDie Ehe der Maria Braun(Rainer Werner Fassbinder)Arthaus 501016 [Region 2]Fassbinders berühmtestes und erfolgreichstesWerk - eines der wenigenMelodramen der <strong>Filmgeschichte</strong>, diesich der historisch-gesellschaftlichenZustände bewusst sind - handelt vonden Glücksvorstellungen und denWertbegriffen in der Adenauer-Ära.Maria Braun ist eine junge Frau, dienach dem kriegsbedingten Verschwindenihres Mannes ökonomischeKarriere macht, privat aber zunehmendden Boden unter den Füssen verliert.Die neue, aus Deutschland stammendeDVD wartet mit einer sehr schönenKopie des Films auf. Sie enthält zudemeinen halbstündigen TV-Beitrag ausdem Jahre 1995 zu „Die Ehe der MariaBraun“ mit der HauptdarstellerinHanna Schygulla, mit dem DrehbuchautorPeter Märthesheimer und demFilmkritiker Hans Günther Pflaumsowie mit Fassbinders RegiekolleginMargareta von Trotta. Kenntnisreichund sachbezogen äussern sie sichzu Maria Braun als Symbolfigur derdeutschen Nachkriegsgeschichte, zumThema private Geschichtsschreibungoder <strong>zur</strong> filmischen Darstellung vonVereinsamung. Fassbinder erzähltkontrapunktisch: Am Ende des Filmshört man im Off die Reportage vomFussball-WM-Final 1954 „Deutschlandist Weltmeister“, doch in diesemMoment des nationalen Triumphskommt Maria Braun durch eine vonihr selbst ausgelöste Gasexplosion zuTode.NZZaS, 1. Mai 2005


1979 / 2001, USAApocalypse Now Redux(Francis Ford Coppola)BMG Ufa 74321 89685 9 [Region 2]Um mehr als fünfzig Minuten hatFrancis Ford Coppola voriges Jahrseinen legendären Vietnam-Film von1979 für eine Re-Edition erweitert.Die aus Deutschland stammendeDVD der Neufassung besticht durchphänomenale Bildqualität. Geniesserischfolgt man, soweit das beieinem Kriegsfilm überhaupt möglichist, den tropischen Landschaftsbildernund den gespenstischen Nachtaufnahmen.Die Tonspur, von RichardWagner bis zu „The Doors“ reichend,vermittelt digitalen Topsound. AnSprachfassungen stehen wahlweiseDeutsch oder Englisch <strong>zur</strong> Verfügung.Entsprechende Untertitel sind aufWunsch ebenfalls einblendbar undbelegen die poetischen Qualitäten desDrehbuchs. Auch wer sich den Filmnicht in der vollen Länge von über dreiStunden ansehen will, findet dankkluger Menusteuerung rasch zu denvon Coppola neu eingebauten Szenen.Die Kapitel „Die französische Plantage“oder „Les soldats perdus“ sind spezielllohnend, fügen sie doch gegenüberdem Original die Dimension derfranzösischen Kolonialzeit hinzu.Zudem verknüpfen sie die Filmgegenwartvon 1968 mit dem heissen PariserSommer und dem Ende des PragerFrühlings.NZZaS, 8. Sept. 2002


1979–1981, SchweizGeschichte der Nacht u.a.(Clemens Klopfenstein)edition.grumbach@bluewin.ch oder überwww.artfilm.ch [Region 2]Der 62-minütige Schwarzweissfilm,der an zahlreichen internationalenFilmfestivals sowie an der DocumentaKassel, auf der Art Basel und imMuseum of Modern Art in New Yorkgrosse Beachtung fand, ist radikal imAnsatz und in der Durchführung.Während vieler Jahre fing der BielerFilmautor und Künstler ClemensKlopfenstein in über fünfzehn Ländernmit einer kaum bewegten, hochsensiblenKamera die Atmosphäre voneuropäischen Städten nach Mitternachtein. Die vor einem halben Jahrin Bern erschienene DVD bringt dasempfindliche Filmmaterial sehr schön<strong>zur</strong> Geltung. Nichts stört die grobkörnigenAufnahmen der Backsteinbautenaus Irland, des kyrillisch beschriftetenExpress-Busses, der Innenansichtendes Warschauer Zentralbahnhofs, dernächtlichen italienischen Prozessionoder der verschneiten Basler Innenstadt<strong>zur</strong> Fasnachtszeit. Es gibt aufdieser DVD keine Schnörkel, kein„Making of“ und auch keinen zuschaltbarenAudiokommentar, dafür aberals Zugabe in voller Länge die beidennächsten, sinnverwandten WerkeKlopfensteins, „Transes“ (1979-81)und „Das schlesische Tor“ (1982).Dies macht die Ausgabe zu einer„Nacht- und Trance-Trilogie“, wie siesich bescheiden auf der Innenseitedes Covers nennt.NZZaS, 27. Aug. 2006


1980, SchweizZüri brännt(Kollektiv)Videoladen [Region 2]Um es vorwegzunehmen: Das Bild diesesFilmdokuments aus den Anfangszeitenvon Video ist auch nach einerRestauration von mittelmässigerQualität. Die Kontraste des Schwarzweiss-Bandessind zwar auf der <strong>DVDs</strong>tärker hervorgehoben, doch dadurchtreten auch die Unschärfen in denAufnahmen deutlicher hervor. Letztlichtut dies aber dem Stellenwert von „Züribrännt“ keinen Abbruch. Ohnehin vonzeitloser Qualität ist der Kommentardes Bandes, der nun auch auf Französisch,Italienisch und Englisch abrufbarist. Als weiteres Plus der Disc kommenanderthalb Stunden Bonusbeiträgedazu, teils in mirakulös restauriertenFarbtönen. Der Beitrag „Keine Zeitensich aus<strong>zur</strong>uhn“ bietet eine Langzeitbeobachtungder Ereignisse rund umdas Autonome Jugendzentrum (AJZ)an der Zürcher Limmatstrasse undfördert dabei Zwischentöne zutage,welche im politisch überhitzten Klimavon 1980/81 kaum eine Chancehatten, wahrgenommen zu werden.Eine Augenweide stellt die Fotogaleriemit Bildern von Olivia Heussler undKlaus Rosza dar. Die „Schwimmdemo“,ein weiterer Bonusbeitragder DVD, ist nicht zu verwechselnmit der legendären „Nacktdemo“vom 14. Juli 1980. Von diesem Eventwurden offensichtlich selbst dieAktivistInnen des Videoladens überrascht.NZZaS, 12. Juni 2005


1981, DeutschlandFitzcarraldo(Werner Herzog)Arthaus 500670 [Region 2]Einigermassen unerwartet nenntWerner Herzog im zuschaltbarenAudiokommentar dieser DVD denUrwald und die Stimme EnricoCarusos als Hauptdarsteller seinesversponnenen Expeditionsfilms,wo doch in der Erinnerung vor allemKlaus Kinskis weitaufgerisseneKulleraugen unter strohblondemHaarschopf haften geblieben sind.Die Produktionsschwierigkeiten von„Fitzcarraldo“ sind legendär: Naturkatastrophen,die Verwicklung ineinen peruanischen Bürgerkrieg undnicht zuletzt der in Europa erhobeneVorwurf, Herzog missbrauche dieEingeborenen im Amazonasgebiet,verzögerten die Fertigstellung. DieseProbleme wurden vom DokumentaristenLes Blank bereits während desDrehs in „The Burden of Dreams“festgehalten, einem 90-minütigen Film,welcher erfreulicherweise als BonusDisc (englisches Original, zuschaltbaredeutsche Over-Dubs) auf der ausDeutschland stammenden DVD-Ausgabe mitgeliefert wird. Enthaltensind darauf auch zwei Sequenzen mitJason Robards (dem während derDreharbeiten erkrankten und durchKinski ersetzten Hauptdarsteller) unddessen Gehülfen, gespielt von MickJagger, den wir bei der Eiscreme-Fabrikation im Urwald ertappen. Eshandelt sich hier offensichtlich um dieeinzigen erhaltenen Szenen derUrfassung von „Fitzcarraldo“. Derganze Rest wurde von Werner Herzogzerstört, denn, so der Regisseur,schliesslich bewahre ja auch einSchreiner nicht sämtliche Hobelspäneeines fertiggestellten Werks auf.NZZaS, 7. März 2004


1981, Türkei [/ Schweiz]Yol(Yılmaz Güney & Şerif Gören)films-sans-frontieres [Region 2]Es ist ruhig geworden um den kurdischenSchriftsteller, Schauspieler undRegisseur Yılmaz Güney, der in densiebziger und frühen achtziger Jahrenmit seinen politisch engagierten Filmenweltweit Aufsehen erregte, 1984 aberim Alter von 47 Jahren im Pariser Exileinem Krebsleiden erlag. Nichtweniger als zwölf Jahre verbrachteGüney in türkischen Gefängnissen;auch als 1981 die Verfilmung von „Yol“anstand – der 1982 in Cannes mitder Goldenen Palme ausgezeichnetwurde –, war er inhaftiert. Die zumeistheimlich in der Türkei gedrehtenAufnahmen, welche einem detailliertenDrehbuch folgten, wurden deshalbvon Güneys Regieassistent ŞerifGören inszeniert. Immerhin gelangGüney noch 1981 die Flucht mitsamtFilmnegativ in die Schweiz, wo er seinOpus fertigstellte. Erzählt wird in „Yol“(Die Reise) die Geschichte von fünftürkischen Strafgefangenen, die füreine Woche Hafturlaub nach Hausefahren. Es sind endlose Fahrten inAutobussen und überfüllten Zügendurch ein Land, welches nach demMilitärputsch von 1980 von Hoffnungslosigkeitgelähmt ist. Güney beeindrucktdabei nicht allein durch seinEngagement, sondern ebensosehrdurch sein Einfühlungsvermögen inPersonen, Landschaften und Milieus.Eine aus Frankreich stammende DVD(türkisches Original, französischeSynchronfassung, französischeUntertitel) hat diesen wichtigen Filmendlich wieder zugänglich gemacht.NZZaS, 9. Okt. 2011


1982, SchwedenFanny och Alexander(Ingmar Bergman)Artificial Eye 013 [Region 2]Die Filme Ingmar Bergmans geltenallgemein als schwer zugänglich.„Fanny & Alexander“ nimmt im Werkdes nordischen Meisters eineSonderstellung ein: Zum einen ist eseine der wenigen Farbproduktionendes Regisseurs, zum andern ist dieHandlung weitgehend autobiographisch.Anhand der achtjährigenFanny und ihres zehnjährigen BrudersAlexander wird die Jugend Bergmansin Uppsala am Vorabend des ErstenWeltkriegs nachgezeichnet. Die ausGrossbritannien stammende DVD(schwedisches Original mit englischenUntertiteln) bietet, verteilt auf zweiDiscs, den Film in seiner vollen Längevon über fünf Stunden, wie er seinerzeitam Fernsehen lief (die Kinofassungwurde auf drei Stunden gekürzt)..Bild- und Tontransfer sind akzeptabel,erreichen aber nicht annähernd digitaleQualität. Angesichts der Länge desFilms wünschte man sich eine bessereOrientierung über die rund sechzigKapitel der Handlung. Auf der weissenInnenhülle der Verpackung wäre dafürreichlich Platz vorhanden gewesen.Jetzt aber folgt man dem Geschehenquasi notgedrungen mit dem „ReclamsFilmführer“ auf den Knien. Und dasbekommt dem Film nicht gut: Unüberhörbarwird in dieser Anordnung dieWortlastigkeit des Films. Die Szenenmit der „Laterna magica“ (Episode 1,Kapitel 8) haben jedoch ihren Zauberbewahrt.NZZaS, 18. Aug. 2002


1984, USAStranger than Paradise(Jim Jarmusch)5MGM 1000981 [Region 1]Die kauzige Komödie um den NewYorker Gambler und Postpunker Willie(John Lurie), seinen Kumpel Eddie(Richard Edson) und seine aus Budapestangereiste Cousine (Eszter Balint)gewann 1984 in Cannes die GoldenePalme und machte Jim Jarmuschgleich mit seinem Erstling zum Kultregisseur.– Die amerikanische DVD(in Europa ist der Film nur als französischeSynchronfassung erhältlich)respektiert das ursprünglichen Low-Budget-Filmmaterial und verzichtet aufeine digitale Aufbereitung. Das Bildstammt von einer 16mm-Masterkopie,und der Direktton (in mono) ist nichtüberall frei von Grundrauschen. DieSprache ist Englisch, einblendbareUntertitel gibt's nur auf Französischoder Spanisch. Während einigeDialogsequenzen heute etwasschmalbrüstig anmuten, überzeugt„Stranger than Paradise“ nach wievor durch die kontrastreichen Schwarzweiss-Bildkompositionen.Zum Entzückender Fangemeinde des Filmsenthält die DVD ein siebeneinhalbminütiges„Behind the SceneFeaturette“, aufgenommen von TomJarmusch, dem Bruder des Regisseurs.In grobkörnigem, teilweisefarbigen (aber stummen) Super 8Format werden hierin die Dreharbeitenin Cleveland mit öden Imbissbuden,schäbigen Tankstellenshops undschneeverwehten Überlandstrassendokumentiert.NZZaS, 5. Mai 2002


1984, USAParis, Texas(Wim Wenders)Arthaus 500945 [Region 2]Selten bekommt man einen überzwanzig Jahre alten Film in einerBildqualität zu sehen, wie sie WimWenders Road-Movie auf dieserneuen, aus Deutschland stammendenDoppel-DVD auszeichnet. Die digitaleKopie (englischsprachiges Original,deutsche Synchronfassung oderUntertitel) ist ohne jeden Kratzer undbegeistert mit Farbkontrasten undDetailschärfe. Auf der Zusatz-Disc mitgut einer Stunde Spieldauer sticht einInterview hervor, welches RogerWillemsen 2001 mit Wim Wendersführte. Es geht darin auch über dieAblehnung, die „Paris, Texas“ in denUSA widerfuhr, wo man den Film –gemäss Wenders „ein Protokoll derSprachlosigkeit“ – als Einmischung indie eigenen Angelegenheitenempfand. Zu hohe Erwartungen wecktder Beitrag „Kinski in Cannes“, derletztlich kaum mehr zeigt als dasBlitzlichtgewitter, das Nastasija Kinskiund der restlichen Filmcrew vor derVerleihung der Goldenen Palme 1984zuteil wurde. Hübsch sind dagegenzusätzliche Super-8mm-Aufnahmen,welche vom langen Monolog, denHarry Dean Stanton im Film spricht,und von Ry Cooders Slide-Gitarreunterlegt werden.NZZaS, 27. Feb. 2005


1984, SchweizAkropolis now(Hans Liechti)Praesens Film 43210 [Region 2]Zwei Mittdreissiger, der linkischeArchitekt Walti (Max Rüdlinger) undFlo, der einen „Talentschuppen“betreibt (Wolfram Berger), planen dengrossen Coup. In Zürich erstehen siezwei amerikanische Occasionswagen,die sie via Balkan nach Griechenlandzu chauffieren gedenken, um siedann in Kairo mit Gewinn abzusetzen.Noch vor der Abfahrt schliesst sichdie attraktive Französin Camille(Dominique Laffin) dem Duo an,welche die Reisepläne aufs gröbstedurcheinander bringt. Das Road-Movie, der erste Spielfilm desKameramanns Hans Liechti, lebt vonSituationskomik und träfen Dialogen.Die soeben erschienene DVD wartetmit einem digital restaurierten Bildund zuschaltbaren deutsche Untertitelnauf. Aus den zahlreichen Bonus-Interviewsragt der Beitrag mit den beidenHauptdarstellern hervor, welcheeingeblendete stumme Aufnahmenvom Dreh kommentieren und dabeiihren abstrusen Filmdialog fortspinnen.So wird uns nicht nur der Charmeeines norditalienischen Parkhauseserläutert, sondern wir erfahren auch,was es mit Rüdlingers „Wash andWear“-Anzug auf sich hat. Nicht zuüberbieten schliesslich sind dieAnekdoten das Hausorchester imBelgrader Hotel „Moskva“ betreffend,dessen Musiker offensichtlich nur imTodesfall ausgewechselt wurden.NZZaS, 26. Sept. 2010


1987, FrankreichAu revoir les enfants(Louis Malle)Arte Video 790440 [Region 2]Januar 1944: Aus der Perspektivedes halbwüchsigen Juliens, der dieBedrohlichkeit der Situation allmählichzu ahnen beginnt, wird das Leben ineinem französischen katholischenInternat gezeigt, in dem drei jüdischeKnaben vor dem Zugriff der Gestapoversteckt gehalten werden. Die vorkurzem in Frankreich erschieneneDVD bringt die Blau- und Brauntönedes Dramas (Kamera Roberto Berta)hervorragend <strong>zur</strong> Geltung. Die filmischenBonusbeiträge auf der Disc sindnicht der Rede wert, hingegen wartetdie Ausgabe mit einem lesenswerten32-seitigen Booklet auf. Darin berichtetRegisseur Malle in einem Interviewvom Herbst 1987 über die autobiographischenWurzeln des Filmstoffs.Er vergleicht zudem „Au revoir lesenfants“ mit „Lacombe Lucien“, seinemFilm aus dem Jahr 1974, der vor einemähnlichen historischen Hintergrundspielte. Wie bei vielen aus Frankreichstammenden <strong>DVDs</strong> gibt es auch beidieser Veröffentlichung einen gewichtigenNachteil anzumerken. DerHauptfilm enthält keinerlei Untertitel.Wer darauf nicht verzichten kann oderwill, wartet besser bis im kommendenMärz. Auf diesen Termin ist der Titelauch in den USA in der renommiertenCriterion-Reihe mit englischen Untertitelnangekündigt.NZZaS, 29. Jan. 2006


1988, GrossbritannienDistant Voices, Still Lives(Terence Davies)British Film Institute BFIVD733 [Region 2]Eine Kindheit in einem katholischenQuartier der Arbeiterstadt Liverpoolwährend der 1940er und frühen50er Jahre, dargestellt in autobiographischenfilmischen Tableaus von spröderSchönheit. Für seine eigenwilligeelliptische Erzählform erhielt TerenceDavies 1988 in Cannes den Preis derinternationalen Filmkritik und kurzdanach in Locarno den GoldenenLeoparden. Nach zwei Jahrzehnten ist„Distant Voices, Still Lives“ erstmalsauf DVD greifbar. Die aus Grossbritannienstammende Disc enthält dieOriginalfassung mit digital restauriertemBild. Dazu gibt es englischeUntertitel, dies erfreulicherweiseauch für die Zusatzbeiträge und fürdie zahlreichen Songs des Films(aber kein Deutsch). Der Regisseurist an der neuen Ausgabe mit Interviewsbeteiligt und fällt dabei durchBescheidenheit, Sachkenntnis undeinen feinen Humor auf. Er wartet mitzahlreichen Details auf, beispielsweise<strong>zur</strong> Farbgebung des Films oder <strong>zur</strong>Funktion der BBC Radiosender um dieMitte des letzten Jahrhunderts. Dazustreicht er die Bedeutung der Ritualefür die damalige Gesellschaft heraus:Im kargen Alltag boten sie Rückhaltund Geborgenheit, nicht unähnlichden Erinnerungen, welche die Leuteum ihre Erlebnisse herum aufbautenund welchen wir letztlich dieseneindrücklichen Film verdanken.NZZaS, 4. Jan. 2009


1991, Frankreich / PolenLa double vie de Véronique(Krzysztof Kieslowski)Criterion Collection 359 [Region 1] /Mk2 [Region 2]Mit seinem ersten teils ausserhalbPolens gedrehten Werk gewannKrzysztof Kieslowski 1991 dieGoldene Palme am Filmfestival vonCannes. „La double vie de Véronique“ist sowohl in Frankreich als auch inden USA auf DVD erschienen, beideAusgaben sind als aufklappbareDoppel-Discs in einem Kartonschubergeradezu luxuriös aufgemacht. Inhaltlichsind sie sich sehr ähnlich. AlsExtras enthalten beide einen 53-minütigenBericht über die Dreharbeiten inKrakau und Paris, der weit über ein„Making of“ hinausgeht; sodann einhalbstündiges Portrait des Regisseurs,das sorgfältig die polnische (Film-)Geschichte miteinbezieht, des weiternden Kurzfilm „Musikanten“ von KieslowskisLehrer Kazimierz Karabaszsowie ein neues Interview mit derHauptdarstellerin Irène Jacob. Dasdigital restaurierte Bild ist auf deramerikanischen Ausgabe um eineNuance heller und weicher. Auch weistdiese beim Hauptfilm eine detailliertereKapitelunterteilung auf. Auf den hierzuschaltbaren Audiokommentar derKieslowki-Spezialistin Annette Insdorflässt sich hingegen getrost verzichten.Darin wird in oberlehrerhaftem Tondie Magie zerredet, welche die Bilderder Doppelrolle Véronique/Weronikaumgibt, für deren Interpretation IrèneJacob gleich bei ihrem Leinwanddebutebenfalls in Cannes mit dem Hauptpreisfür die beste Darstellerin geehrtwurde.NZZaS, 7. Juli 2007


1991, IranClose-Up(Abbas Kiarostami)Criterion 519 [Region 1]„Close-Up“ beruht auf einer wahrenBegebenheit: In Teheran gibt sich derarbeitslose Filmfan und geschiedeneFamilienvater Hossein Sabzian alsbekannter Filmschaffender aus underhält so Zutritt zum Haus einer wohlhabendenFamilie. Er gibt vor, andiesem Drehort mit den – ebenfallsfilmbegeisterten – Söhnen des Hausesseinen nächsten Film drehen zuwollen. Der Schwindel fliegt auf undmacht als Zeitungsnotiz die Runde.Regisseur Abbas Kiarostami hörtdavon und beschliesst spontan, dassich anschliessende Gerichtsverfahrenzu filmen. Parallel dazu lässt er diefilmerische Hochstapelei nachinszenieren.„Close-Up“ ist mit seinenzahlreichen Perspektivenwechselneiner der anregendsten und unterhaltsamstenFilme der 90er Jahre.Die originelle Reflexion über Seinund Schein ist letztes Jahr erstmalsauf DVD erschienen – allerdings blossin den USA im Code 1 NTSC-Format.Entsprechendes Multicode-Abspielgerätvorausgesetzt, wird man mitder Criterion-Ausgabe (persischesOriginal, englische Untertitel) reichbedient: Zum Hauptfilm gibt es einenzuschaltbaren Kommentar derKiarostami-Spezialisten Saeed-Vafaund Rosenbaum, dazu in voller LängeKiarostamis früheren Film „Mosāfer(The Traveler)“, sowie auf einerzweiten Disc zwei längere Interviewsmit dem Regisseur und einen berührendenReport über das SchicksalHossein Sabzians nach seinemFilmcoup.NZZaS, 30. Jan. 2011


1992, Schweiz / BRD / AKinder der Landstrasse(Urs Egger)Praesens 48209 [Codefree]Schutz vor Verwahrlosung und vor„Vagantität“ waren die Argumente,mit denen das der Pro Juventuteunterstellte Hilfswerk „Kinder derLandstrasse“ in der Schweiz währendJahrzehnten Fahrenden ihre Kinderentriss, um sie in Pflegefamilien oderAnstalten zu sozialisieren. Der nachdem „Hilfswerk“ benannte Spielfilm,eine internationale Grossproduktion,in der auch die kleinste Nebenrollesorgfältig besetzt war (Dialektversionals auch hochdeutsche Fassung aufder soeben erschienenen DVD), spieltin den 1940er und 50er Jahren. Erfasziniert durch seine atmosphärischeDichte und Detailtreue. Geradezuerschütternd ist das Bonusmaterialder DVD. Schriftliche Zeugnisse ausdem Bundesarchiv, ein längeresInterview mit Hans Caprez (der 1972im „Beobachter“ mit dem Artikel„Fahrende Mütter klagen an“ dieAngelegenheit erstmals ans Tageslichtbrachte), sowie Ausschnitte aus einemTV-Portrait zum sechzigsten Geburtstagder jenischen SchriftstellerinMariella Mehr machen deutlich, dassdie „Kinder der Landstrasse“ kaum jesozialisiert, sondern in erster Linieihren Familien und ihrer Kultur entfremdet,sowie seelisch und häufigauch sexuell missbraucht wurden.Schlimmer noch: Dass sich dieSchweiz, wie es einmal in einerNebenbemerkung heisst, in einemüblen Zusammenspiel von Behörden,Politik und Gerichten einen „Völkermordim Kleinen“ zuschulden kommenliess.NZZaS, 25. Juli 2010


1993–2002, Schweiz /FrankreichFour Short Films(Jean-Luc Godard / Anne-MarieMiéville)ECM Cinema 5001 [Codefree NTSC]Man könnte ins Lamentieren geratenob der Tatsache, dass sich der NameGodard seit Jahren bestenfalls nochin Retrospektiven auf Kinospielplänenfindet. Doch freuen wir uns stattdessenüber eine neuere Veröffentlichungaus Deutschland in Form eines reichillustrierten 120-seitigen Hardcover-Bandes mit inliegender DVD. VierKurzfilme von unterschiedlicher Spieldauersind darauf vereint (französischesOriginal, zuschaltbare deutscheoder englische Untertitel). Lediglichzweieinviertel Minuten umfasst derkürzeste Beitrag „Je vous salue Sarajevo“(1992), immerhin dreiviertelStunden dauert der längste „That OldPlace“ (2003 für’s MOMA in New Yorkgedreht). Godards Spätwerk, das zumGrossteil in Zusammenarbeit mitseiner Lebenspartnerin Anne-MarieMiéville entstand, ist ausserordentlichkreativ und anregend. Neben denraffinierten Bild-, Ton- und Textmontagen- des Regisseurs „alten“Markenzeichen - leben die neuerenProduktionen auch von einem schierunerschöpflichen Schatz film- undkulturhistorischer Anspielungen. „Del’origine du XXIe siècle“ (2000) oder„Liberté et patrie“ (gedreht für dieArteplage mobile du Jura an derExpo.02), sind deshalb trotz ihrerminimalen Länge von 16 beziehungsweise21 Minuten keine „kleinen“Filme. Sie sind grosses Kino, auchwenn sie im Kino nie zu sehen waren.NZZaS, 19. Aug. 2007


1996 , GrossbritannienTrainspotting(Danny Boyle)Universal 8246159 [Region 2]Der Kultfilm um den EdinburgherJunkie Renton (Ewan McGregor) unddie Kumpels Sick Boy, Spud undBegbie ist auf DVD in einer knalligorangenen Blechverpackung mitzwei Discs lieferbar. Zu Recht nenntsich die Ausgabe im Untertitel„The Definitive Edition“. Bild und Tonsind makellos, der Hauptfilm ist imenglischen Original oder auf Deutschabspielbar, dazu gibt es auf WunschUntertitel in beiden Sprachen. Auchdie zahlreichen, über beide Discsverteilten Extras sind durchgängiguntertitelt. Den Audiokommentar –offenbar von einer Laserdisc aus den90er Jahren übernommen – kann mansich freilich schenken. Lohnend sindindes die Specials zum surrealistischenDesign und zum Soundtrackdes Films. Beide Themen werdenzum einen anhand von Aufnahmenwährend der Fertigstellung von„Trainspotting“ 1995, zum andern inaktuellen Interviews aus zehnjährigerDistanz beleuchtet. Aufschlussreichsind die Ausführungen von RegisseurDanny Boyle zu neun entfallenenSzenen. Sie wurden nicht aus Furchtvor der Zensurschere weggelassen,sondern weil sie den Fluss des Filmsgehemmt hätten, sei es, dass sie eineninnern Monolog des Hauptdarstellersnur inadäquat ins Bild transponierten,sei es, dass sie dem Publikum etwasvorgeführt hätten, das dieses längstschon selber aus der Handlunggeschlossen hat.NZZaS, 20. Okt. 2007


1996 & 1999, Schweiz /FrankreichGenet à Chatila / Une saison auparadis(Richard Dindo)Les Films du Paradoxe [Region 2]Zwei selten gespielte Werke desDokumentarfilmers Richard Dindo sindseit kurzem einem breiten Publikumzugänglich. „Genet à Chatila“ (1999)handelt von einer Reise, welche derfranzösische Autor Jean Genet(1910-1986), bereits schwerkrank,im September 1982 nach Libanonunternahm. In Beirut wurde derSympathisant der palästinensischenRevolution Zeuge des Massakers,welche die christlichen Phalangemilizen,abgesichert von illegal insLand eingedrungenen israelischenArmeeeinheiten, in den palästinensischenFlüchtlingslagern von Sabraund Chatila anrichteten. Genet, derjahrelang nichts mehr publiziert hatte,verfasste darauf einen Zeitungsbericht„Quatres heures à Chatila“ und einenausführlichen Essay „Un captif amoureux“.Im Film wird ausführlich ausdiesen Schriften zitiert, während dieKamera die Stätten des Verbrechensaufsucht und Überlebende desMassakers befragt werden. Aufdemselben Prinzip der filmischenSpurensuche mittels literarischer Textebaut „Une saison au paradis“ (1996)auf: Darin besucht der im Pariser Exillebende südafrikanische Autor BreytenBreytenbach, ein weisser Gegner derApartheid, der jahrelang in Südafrikaim Gefängnis sass, nach dem Zusammenbruchdes Apartheitsregimes seinealte Heimat und durchlebt dabeiäusserst gemischte Gefühle. – Die inFrankreich erschienene DVD (zweiDiscs im Digipack) bietet die beidenFilme im französischsprachigenOriginal und in einer deutschenSynchronfassung an, hat aber keineUntertitel.NZZaS, 22. Jan. 2012


1997, 2001 & 2005, SchweizChristian Frei CollectionWarner Z5 09521 [Region 2]Einem breiten Publikum bekanntgeworden ist der Schweizer Filmregisseurund Produzent ChristianFrei durch den Dokumentarfilm„War Photographer“ (2001), welcherdie Arbeit des Kriegsfotografen JamesNachtwey anhand einer speziellentwickelten Microcam begleitete undin der Folge für den Oskar nominiertwurde. 2005 brachte Frei „The GiantBuddhas“ in die Kinos, das packendeDrama um die gesprengten Buddha-Statuen im afghanischen Bamiyantal.Diese beiden Filme, zusammen mitdem früher in Kuba gedrehten„Ricardo, Miriam y Fidel“ (1997),der sich mit der Utopie und der Kriseder kubanischen Revolution beschäftigte,sind soeben in einer neuenReihe „GEO Edition Dokumentarfilme“in einer DVD-Box erschienen. DieAusgabe ist puncto Menuführung undUntertitelung musterhaft mehrsprachig.Dazu gibt es ein zwanzigminütigesWerkstattgespräch mit dem Autorsowie ein sechzig Seiten starkesBegleitheft, „Die Tektonik des Menschlichen“.Freis Filme, dies die Verwandtschaftzu den Fotos von JamesNachtwey, sind niemals reineKunstprodukte, sondern engagierteund klug komponierte Essays überFanatismus und Vielfalt, Terror undToleranz, Ignoranz und Identität. Siestehen für die Idee einer alternativenGlobalisierung und sie erreichen, lastbut not least, den magischen Momentauf DVD genauso wie im Kino.NZZaS, 5. Mai 2007


1998, USAThe Truman Show(Peter Weir)Paramount 03091 [Region 1]Im Rückblick haftet Peter Weirs Satireüber Reality TV fast etwas Prophetischesan. Und mit Vergnügen lässtman sich bei der Wiederbegegnungmit dem Film auf die raffiniertenKameraeinstellungen ein, mit denendas Leben von Truman Burbank(Jim Carrey) rund um die Uhr verfolgtwird. Mit klaren, satten Farben genügtdie DVD auch hohen Ansprüchen.Einmal mehr hält sich, wer Englischversteht, mit Vorteil an die im Vorjahrin den USA „Special Edition“. Nebender Originalfassung gibt es hier einefranzösische Synchronversion, dazueinblendbare englische oder spanischeUntertitel. Ein Genuss sind dieBonusbeiträge, welche auf der schonfrüher erschienenen deutschenAusgabe der DVD nicht enthaltenwaren. In zwei abwechslungsreichen„Making of“ unter dem Titel „How Is ItGoing to End?“ kommen die Darstellerin zahlreichen Interviews zum Zuge.Wir erfahren auch, dass „The TrumanShow“ nicht, wie allgemein angenommen,in einem riesigen Hollywood-Filmstudio gedreht wurde, sondernin einer tatsächlich existierendenSiedlung in Florida. Ein weitererlängerer Bonusbeitrag, „Faux Finishing- The Visual Effects of The TrumanShow“, befasst sich mit der hyperrealenQualität des Films. Nicht dieRealität wollten die Filmschaffendenkünstlich evozieren, sondern dieKünstlichkeit des Filmemachenssichtbar machen. Das ist ihnen vortrefflichgelungen.NZZaS, 6. Aug. 2006


1998, GriechenlandMia eonitita ke mia mera[L’éternité et un jour](Theo Angelopoulos)Trigon-Film 208 [Region 2]In dem Tag, welchen der todkrankeSchriftsteller Alexander als seinenletzten erlebt, sind alle Tage seinesLebens enthalten. „Die Ewigkeitund ein Tag“ (Goldene Palme amFilmfestival von Cannes 1998) istanspruchsvolles Kino, eine melancholischeReflexion über Zeit undRaum, über Vergänglichkeit undHoffnung. In den für RegisseurAngelopoulos charakteristischenungeschnittenen Sequenzen tretennahtlos Vergangenheit und Gegenwartnebeneinander, vermischen sichErinnerungen, Ängste und Träume.Bruno Ganz gibt den todgeweihtenPoeten, der sich, leicht gebeugt vonder Last der Zeit, auf den nasskaltenStrassen der nordgriechischen HafenstadtThessaloniki bewegt, um dann –stets in gleicher Aufmachung mitweissem Bart und weitem dunklenMantel – den Familienangehörigen,Freunden und Bekannten in der häufigsonnengetränkten Vergangenheitgegenüberzutreten. Ihm, Bruno Ganz,widmet die neue DVD ein ganzesBooklet mit Interview und kompletterFilmographie. Dazu gibt es auf einerBonus-Disc ein längeres Gespräch mitAngelopoulos sowie einen seltengezeigten, sehr persönlichen mittellangenFilm des Regisseurs über seineHeimatstadt Athen aus dem Jahr 1982(griechisches Original, deutsche undfranzösische Untertitel wie beimHauptfilm). Eine sehr gelungeneVeröffentlichung also, die zugleichtraurig stimmt: Theo Angelopouloswurde am 24. Januar – beschäftigt mitden Dreharbeiten zu einem Film überdie Finanzkrise – in Piräus Opfer einesVerkehrsunfalls.NZZaS, 12. Feb. 2012


1999, TaiwanYi Yi(Edward Yang)Fox Lorber / Winstar FLV5273[alle Regionen]Ausgezeichnet mit dem Regiepreis vonCannes 2000 und dem „Best ForeignFilm Award“ der Filmkritiker New Yorksund Los Angeles’ wurde „Yi Yi“ zueinem Welterfolg. Die aus den USAstammende DVD bietet den taiwanesischenFilm im Originalton Mandarinmit einblendbaren englischenUntertiteln an. Das Bild wünschte mansich eine Spur schärfer. Hübsch sinddie Titel der einzelnen Episodengesetzt: „Unconventional Ways“, „TheLuckiest Day“, „Show & Tell“, „TooHonest“ und „Some Little Secret“eröffnen den Film. Zusatzmaterialiengibt es nur wenige, was an derSpieldauer des Hauptfilmes mit173 Minuten liegen mag. Kernstückder Extras ist der durchlaufendeenglischsprachige Kommentar desRegisseurs, neben dem der <strong>zur</strong>ückgenommeneTon des Hauptfilms aberstets auch zu hören ist. Zurückhaltend,fast scheu berichtet Edward Yang überzahlreiche Details wie die Bedeutungdes Titels (die ersten Zeichen imchinesischen Wörterbuch) oder überdie obligatorische Mittagsruhe in denPrimarschulen von Taipeh. FormaleElemente wie Spiegelungen kommen<strong>zur</strong> Sprache, und wir erfahren, dassbei Drehbeginn dreissig Prozent desDrehbuchs bewusst offen gelassenwurden. Dies, so Yang, eröffne denRaum für „magical moments“. Der Filmgibt ihm recht.NZZaS, 12. Okt. 2003


2000, Hong Kong /FrankreichIn the Mood for Love(Wong Kar-wai)Universal 902 583-2 [Region 2]Mit etwelcher Skepsis nimmt mandiese deutsche DVD <strong>zur</strong> Hand, werdendoch auf dem Umschlag auch gleichchinesische Originalrezepte alsDreingaben angepriesen. Doch dieAusgabe erweist sich als filmischeWundertüte mit gleich zwei Discs: Aufder ersten findet sich der Hauptfilm indigitaler Bildqualität und in fünfFassungen (Mandarin, Kantonesisch,Englisch, Deutsch, Spanisch) sowiemit einblendbaren Untertiteln in siebeneuropäischen Sprachen. Dazu gibt eseinen sehr informativen Beitrag zumEinsatz der Musik im Film, so auch zu„Yumeji's Theme“, dem verführerischtrancehaftenWalzer, welcher dieBegegnungen von Chow Mo-Wan(Tony Leoung) und Su Li-Zhen(Maggie Cheung) im Hong Kong derfrühen sechziger Jahre begleitet. Diezweite Disc enthält auf über neunzigMinuten Spieldauer nicht verwendeteSzenen (die Handlung sollte sichursprünglich bis 1972 fortsetzen)mit einem alternativen Filmende inAnkor Wat. Sodann gewährt RegisseurWong Kar-wai in Cannes der französischenFilmzeitschrift „Positif“ einlängeres Interview. Und die angekündigtenKochrezepte entpuppen sichschliesslich als raffinierte Menukarte.Dank ihr lassen sich Filmtrailer ausganz verschiedenen Ländern, Aufnahmenvon den Dreharbeiten oderTV-Berichte über den weltweiten Erfolgvon „In the Mood for Love“ abrufen.NZZaS, 23.. Feb. 2003


2001, MexicoAmores Perros(Alejandro González Iñárritu)Studio S ST7864D [Region 1] /Warner Bros. D5 Z5 93655 [Region 2]Der raffinierte Thriller, der drei Geschichtenrund um einen Verkehrsunfallin Mexiko City verwebt, erhielt2001 zu Recht den Oscar für denbesten ausländischen Film. Die <strong>DVDs</strong>teht dem Kinoerlebnis in nichts nach.Das Bild ist superb (speziell in deramerikanischen Ausgabe), unddazu gibt es fast verschwenderischBonusmaterialien, nicht nur diemittlerweile üblichen Trailers und den„Behind the Scenes“-Beitrag mitzahlreichen Interviews auf dem Set,sondern drei vollständige Musikvideossowie, wiederum nur auf der amerikanischenAusgabe (spanisch mitenglischen oder französischenUntertiteln) freimütige Kommentaredes Regisseurs und des DrehbuchautorsGuillermo Arriaga Jordan.Spannend sind sodann ein Dutzendnicht verwendete Szenen, die ausverschiedenen Gründen keineVerwendung fanden: Einmal wäre dieErzählperspektive des Films aus demLot geraten, ein anderes Mal wurde ineinem Dialog mehrmals eine Figurerwähnt, die ihrerseits wegenÜberlänge des Films zuvor aus derHandlung gekippt worden war.Tierfreunde werden erleichtert <strong>zur</strong>Kenntnis nehmen, dass die beängstigendenKampfhundeszenen mitdressierten Vierbeinern inszeniertwurden. Zu sehen ist auch einalternatives Filmende. Es wirftnochmals die Schuldfrage auf und istsomit weniger „open-ended“ undweniger versöhnlich als das desfertiggestellten Films.NZZaS, 7. Sept. 2003


2002, USAThe Hours(Stephen Daldry)Paramount Highlight 81933 [Region 2]Der vielschichtige, mehrfach preisgekrönteFilm rund um Leben und Werkder Schriftstellerin Virginia Woolf wirdim deutschen Sprachraum auf DVD als„Exklusive Edition“ angeboten. EineBonusdisc von 100 Minuten Spieldauerweckt dabei spezielle Erwartungen.Diese werden indes infolge permanentenMusikgesäusels systematischunterlaufen. Allein die Menuführungmit der Titelmelodie als Endlosschlaufevon 29 Sekunden ist eine Zumutung.Von da aus geht es wahlweise weiterzu einem Interview mit dem Regisseur(bedeutungschwangere Streicherklängezu Aufnahmen vom Set) oderzu einem Portrait Virginia Woolfs(unheilverkündendes Klaviergeklimperplus Schwarzweissphotos). Dieseremotionalisierende Musikeinsatz istum so unverständlicher, als sich aufderselben Bonus-DVD der KomponistPhilip Glass ausgesprochen kenntnisreichüber das Verhältnis von Filmund Musik äussert. Die Hauptdisc(englisches Original, deutscheSynchronfassung bzw. Untertitel)enthält ebenfalls gewisse Extras. Inzuschaltbaren Kommentaren gebensich die Hauptdarstellerinnen (NicoleKidman, Julianne Moore und MerylStreep) und der Regisseur glücklicherweisesehr <strong>zur</strong>ückhaltend. An zweioder drei Stellen darf sogar gelachtwerden.NZZaS, 15. Feb. 2004


2002, GrossbritannienGosford Park(Robert Altman)Universal 902698 2 [Region 2]Wer die raffinierte britische Gesellschaftskomödieim Kino gemocht hat,wird von dieser DVD begeistert sein.Zwar ist das Bild etwas kontrastarm,aber puncto Untertitel und Übersetzungist die Ausgabe musterhaft.Nicht nur der Hauptfilm, sondern auchdie zahlreichen Bonusbeiträge verfügenüber einblendbare englische unddeutsche Untertitel (der Hauptfilm istzudem in einer deutschen Synchronfassungabspielbar). Als sympathischerCauseur führt Regisseur Altmandurch das 20-minütige „Making of“und erläutert nebenbei die Kunst,eine Szene zu choreographieren undgleichzeitig den Spielenden volleFreiheit zu gewähren. Ein Juwel istder Beitrag „The Authenticity ofGosford Park“. Im Bestreben, dasLeben auf einem englischen Landsitzzu Beginn der 1930er Jahre möglichstgenau darzustellen, liess sich dasFilmteam unter anderem von vierdamaligen Dienstboten beraten. Diese,mittlerweile allesamt über achtzigjährig,erweisen sich als charmante,fachkundige und gleichzeitig äusserstbescheidene Auskunftspersonen.„I don‘t call myself a professional“,meint beispielsweise die ehemaligeKöchin Ruth Mott. “I call myself justsomebody who likes to cook”.NZZaS, 12. Sept. 2004


2002, SchweizSwiss Love(Fulvio Bernasconi)Swiss Life/AV Prod DVAP051 [Region 2]Die augenzwinkernde Komödie des36-jährigen Tessiners FulvioBernasconi („La diga“) mit ihrenvier verschachtelten Geschichten,unter denen das Publikum jeweils dieFortsetzung selber bestimmen konnte,gehörte zu den Grosserfolgen derExpo.02. Die kürzlich erschienene„interaktive“ DVD trägt dem speziellenCharakter des Werks Rechnung. Aufdem Weg zum malerischen Hotel imUnterengadin folgt man wahlweiseder Genfer Prokuristin im schnittigenCabriolet, dem Basler Ehepaar mit derhalbwüchsigen, filmenden Tochter,dem frischvermählten Tessiner Pärchenoder einer Witwe auf der Anreise<strong>zur</strong> Klassenzusammenkunft. Soleicht stellt sich aber die heitere Expo-Stimmung von damals auf demeinheimischen Monitor nicht ein. Diesliegt auch daran, dass die DVD dazuverleitet, die Geschichten nun linear zubetrachten, um der Machart des Filmsauf die Spur zu kommen. Theoretischhilft dagegen ein Zufallssampler, derunter 64 möglichen Varianten desGeschehens wählt. Doch selbst damitlässt sich das mittlerweile wieder verschwundeneKino auf der Arteplagein Yverdon in unmittelbarer Nähe <strong>zur</strong>künstlichen Wolke nicht wieder herbeizaubern.NZZaS, 6. Feb. 2005


2004, USALost in Translation(Sophie Coppola)Universal 23957 (Region 1) /Constantin HC 082186 (Region 2)Toll, dass die Filme, die man eben erstim Kino liebgewonnen hat, schon nachkürzester Zeit auf DVD greifbar sind.Weil die amerikanischen Ausgabenmeistens etwas früher auf den Marktkommen, schwankt man vielfach,ob man die billigeren europäischenAusgaben mit zusätzlichen Sprachversionenund Untertiteln abwartensoll. Bei „Lost in Translation“ ist derFall klar. Die amerikanische Versionhat mit einem deutlich besseren Bildund zusätzlichen Extras klar die Nasevorn. (Ein Ärgernis hingegen ist derEinstieg in die Disc mit geschlagenenfünfeinhalb Minuten Vorschauen.)Freude pur verströmt dann aber das„Making of“ unter dem Titel „Lost onLocation“. Die Verständigungsschwierigkeitenauf dem Set in Tokio warenoffenbar jenen des Hauptfilms ebenbürtig.Des weiteren gibt es ein paar„deleted scenes“ zu sehen sowie einInterview mit dem Hauptdarsteller undder Regisseurin. Über den DächernRoms schwadroniert Bill Murray überseinen auf Japanisch vorgetragenenWhiskey-Spot. Die Regisseurin SophieCoppola, die nach ihrem Erstling alsfilmisches Wunderkind gefeiert wurde,steht etwas verloren daneben und ringtnach Worten. Braucht sie gar nicht:Mit „Menu - Scenes – Play“ auf derFernsteuerung kehren wir gerne direkt<strong>zur</strong>ück in die mysteriös glitzerndeLichterwelt der japanischen Metropole.NZZaS, 26. Dez. 2004


2004, DeutschlandRhythm Is It!(Thomas Grube, EnriqueSánchez Lansch)Boomtown Media 01399 [Region 2]Das Projekt war aussergewöhnlich:250 Berliner Kinder und Jugendliche,die bis dahin kaum mit klassischerMusik in Kontakt gekommen waren,tanzten Anfang 2003 Strawinskys„Le Sacre du Printemps“, choreographiertvon Royston Maldoom undbegleitet von den Berliner Philharmonikernunter der Leitung vonSir Simon Rattle. Der einfühlsameDokumentarfilm „Rhythm Is It!“,welcher dieses Ereignis begleitete,wurde zum Überraschungserfolg,auch in den Schweizer Kinos. Erhatte indes einen nicht unwesentlichenMangel, insofern als er die eigentlicheAufführung nur ganz am Schluss inkurzen Ausschnitten streifte. Hierschafft die neue, aus Deutschlandstammende „3 Disc Collector´sEdition“-DVD grosszügig Abhilfe:Eine Bonus-Disc enthält nicht nurdie komplette Tanzperformance unddie vollständige Orchesteraufführung,sondern bietet darüber hinaus dieMöglichkeit, die beiden nebeneinander„Picture in Picture“ zu verfolgen.Die dritte Disc enthält ein „Making of“mit informativen Interviews zu diesemund weiteren Education-Projektender Jahre 2002-2005. Auf einerintegrierten DVD-ROM kann mandarüber hinaus – entsprechendeSoftware auf dem PC vorausgesetzt –die Tanzperformance im High-Definition-Format am Computerverfolgen.NZZaS, 18. Dez. 2005


2004, SchweizTout un hiver sans feu(Greg Zglinski)Filmcoopi 6.0018 [Region 2]Der Spielfilm, mit welchem der in Polenund in der Schweiz aufgewachseneRegisseur Greg Zglinski vor einemJahr in Solothurn den SchweizerFilmpreis gewann, ging unter die Haut.Er handelte von einem Ehepaar, dasbei einem Scheunenbrand im NeuenburgerJura seine kleine Tochterverloren hatte und in der Folge eineZeit der Trauer und der Entfremdungdurchmachte, bevor auf diesenseelischen Winter zaghafte Zeicheneines Neubeginns folgten. Zglinski,ursprünglich ein Schüler von KrzysztofKieslowski, hatte seine Geschichtepräzise situiert, die Aufnahmen vonschneeverwehten Landschaften warengenauso wenig Selbstzweck wie dieBilder aus einer Giesserei oder dieKontakte zu den Kosovo-Flüchtlingenim Jura. „Tout un hiver sans feu“ istmittlerweile auch in Cannes und inVenedig ausgezeichnet worden (undkönnte sogar für einen Oscar nominiertwerden). Die soeben erschieneneDVD enthält das französischsprachigeOriginal (mit einblendbaren Untertitelnin sieben Sprachen). Zudem bietet sieals Bonusbeitrag den AbschlussfilmZglinskis an der Filmhochschule Lodz„A son image“ (untertiteltes polnischesOriginal). Darin finden sich bereits dieQualitäten des Hauptfilms, die ökonomischeBildsprache, die exzellenteSchauspielerführung und das Vertrauenauf das aussagekräftige Detail.NZZaS, 8. Jan. 2006


2005, Belgien / FrankreichL’enfant(Jean-Pierre & Luc Dardenne)Xenix Film / Impuls 25041 [Region 2]Am Anfang des Films, der letztes Jahrin Cannes die Goldene Palme gewann,habe das Bild einer jungen Frau gestanden,die aggressiv einen Kinderwagenvor sich her schob, ein Bild, das ihnenwährend der Dreharbeiten des vorhergehendenFilms „Le fils“ mehrmalsaufgefallen sei. Dies erklären dieGebrüder Dardenne in einem Interviewauf der kürzlich erschienenen DVD(französische Originalversion, deutscheSynchronfassung und einblendbaredeutsche Untertitel). Um das Bildder wütenden jungen Mutter herumhätten sie dann die Geschichte Brunosentwickelt, des jugendlichen Vaters,der zu seinem Kind keinen anderenBezug hat als zu gestohlenen Handysoder entwendeten Fahrzeugen. Dashalbstündige Video-Interview von„France Inter“ mit den beiden Regisseuren– eine gefilmte Radiosendungvon Oktober 2005 – ist das Glanzlichtder DVD. Es lebt von den feinfühligenund sachkundigen Fragen desModerators Frédéric Bonnaud, deretwa wissen will, wie man eine Figur,die ihr eigenes Kind verkauft, sozeigen kann, dass das Publikumtrotzdem Mitgefühl empfindet. Bei derAnmerkung des Moderators, es gebein „L’enfant“ keine Religion, wohl aberetwas Heiliges, muss dann allerdingsselbst Jean-Pierre Dardenne sich eineBedenkzeit ausbedingen, um in Ruheüberlegen zu können.NZZaS, 17. Sept. 2006


2006, SchweizL’histoire c’est moi(Frédéric Gonseth u.a.)Archimob [Codefree]Über 555 Zeitzeugen und Zeitzeuginnendes Zweiten Weltkriegs wurdenzwischen 2001 und 2003 im Rahmendes grössten Oral-History Projekts derSchweiz „Archimob“ interviewt. DieErgebnisse dieser an Zwischentönenreichen Gespräche sind gegenwärtigals Ausstellung im HistorischenMuseum des Kantons Thurgau inFrauenfeld zu sehen. Seit kurzem sindsie auch auf DVD greifbar. Gleich aufvier <strong>DVDs</strong> – „Die Opfer“, „Konflikte“,„Der Krieg“, „Der Alltag“ – wird derumfangreiche Stoff in 64 Sequenzenvon je siebeneinhalb Minuten dargeboten.Dies wirkt beim Betrachtenanfänglich etwas bruchstückhaft,wendet sich indes bald zum packendenZeitgemälde, etwa dann, wennGeneral Guisan als Staatsmann, alswidersprüchlicher Heerführer, alsFrauenschwarm und als eitler Beaugeschildert wird. Zwei weitere <strong>DVDs</strong>betten die Aussagen der Gewährspersonenin thematische Kurzfilmevon jeweils 15 Minuten ein. Und eineCD-ROM offeriert Hinweise zumEinsatz des Materials im Schulunterricht.Die Erinnerungen der Interviewten(Originalton mit deutschen,französischen oder italienischenUntertiteln) bieten keine „umfassende“Geschichte der Schweiz im ZweitenWeltkrieg. Sie widerlegen auch denBergier-Bericht nicht, gegen dessenangebliche Einseitigkeit das Projekt„Archimob“ ursprünglich gestartetwurde. Sie bilden eine faszinierendehistorische und filmische Fundgrubevon siebeneinhalb StundenSpieldauer.NZZaS, 25. Juni 2006


2006, DeutschlandDas Leben der Anderen(Florian Henckel vonDonnersmarck)Buena Vista Z4A 0013404 [Region 2]Eine sorgfältige Darstellung der Überwachungsstrategiendes DDR-Staates,nicht aus Rache am System und schongar nicht als Ostalgie, sondern alsfacettenreiche Geschichte rund umeinen Stasi-Spitzel. Dieser erhält durchdas beobachtete Leben der AnderenEinblicke in die ihm bisher verschlosseneWelt der Literatur, der Musikund des Theaters und beginnt sichlangsam vom Regime abzuwenden.Der Low-Budget-Film, der ursprünglichden Untertitel „Die Sonate vom gutenMenschen“ trug, war ein Grosserfolg(sieben deutsche Filmpreise, Oscar alsbester ausländischer Film, über einJahr Laufzeit in Zürich), und die ausDeutschland stammende DVD (miteiner Hörfilmfassung für Sehbehinderte,aber ohne Untertitel) wurdeebenso sorgfältig produziert wie derHauptfilm. Das „Making Of“ beleuchtetdie Entstehungsgeschichte von „DasLeben der Anderen“, und gleich zweizuschaltbare Audiokommentarevertiefen das Gezeigte: Regisseurund Drehbuchautor Florian Henckelvon Donnersmarck erläutert Bildkompositionenund gerät dabei aucheinmal ob verschiedener Grautöne insSchwärmen, während der (inzwischenverstorbene) Hauptdarsteller UlrichMühe seine persönlichen Erfahrungenals bespitzelter Künstler in der DDRmiteinfliessen lässt und die Beklemmungspürbar macht, die sich bei ihmeinstellte, als er das wahre Ausmassder Überwachung erfasste.NZZaS, 27. April 2008


2007, SchweizAlain Tanner, pas comme si,comme ça(Pierre Maillard)CAB Productions-TSR [Region 2]Rund ein halbes Jahrhundert umspanntdie filmische Karriere Alain Tanners,und wenn der mittlerweile 77-jährigeGenfer momentan auch aus der Modegekommen ist, so bedeutet das nochlange nicht, dass er nichts mehr zusagen hätte. Dies belegt eindrücklichein im vergangenen Frühjahr in Nyonuraufgeführter und neu auf DVDerschienener einstündiger Dokumentarfilm(Originalfassung, deutsche undfranzösische Untertitel), in welchemder Regisseur und Drehbuchautorüber Welt und Kino, über Schönheit,Örtlichkeit und Schweigen philosophiert.Tanner analysiert scharfsinnigund formuliert brillant, so etwa, wenner im Vorbeigehen die Moderne alserste Kunstepoche der Geschichtedefiniert, die gleichzeitig ihre eigenenAusdrucksformen reflektierte. KeinWunder, dass er den hektischenBildwelten des aktuellen marktbeherrschendenFilms, dem „comme si“aus dem Filmtitel, wenig abgewinnenkann. Eingewoben in die mit minimenMitteln vor schwarzem Hintergrundgefilmten Ausführungen sind nachhaltigeSequenzen aus Tannerszahlreichen Spielfilmen. In vielenFällen lösen sie Erinnerungen aneigene Filmerlebnisse aus, wo nicht,wecken sie den Wunsch, das Werkdes Regisseurs, welchen viele in den90er Jahren aus den Augen verloren,doch noch ganz kennenzulernen.NZZaS, 28. Juli 2007


2007, Rumänien4 Monate 3 Wochen 2 Tage(Cristian Mungiu)Concorde 2645 [Region 2]Die Ankündigung erwies sich glücklicherweiseals falsch: Das Drama umeine illegale Abtreibung in CeausescusRumänien, welches letztes Jahr dieGoldene Palme am Filmfestival vonCannes und danach zahlreiche weitereinternationale Preise gewann, ist inDeutschland auf DVD nicht in einerenglischen beziehungsweise deutschenSynchronfassung veröffentlicht worden,sondern im rumänischen Original(ausblendbare deutsche Untertitel,plus deutsche Synchronversion).„4 luni, 3 sǎptǎmîni şi 2 zile“ ist faszinierendund beklemmend; Schicht umSchicht legt der Film die Mechanismender kommunistischen Diktatur mit ihrererzwungenen Güterverknappung, derallgegenwärtigen Bespitzelung undden (männlichen) Machtansprüchenbloss. Nachhaltig sind auch die mitminimalen Mitteln aufgenommenBonusbeiträge der DVD. RegisseurCristian Mungiu legt dar, warum esihm nie um Emotionen, sondern umdie Motive in den Handlungen seinerCharaktere Gabita, Otilia und Dr. Bedeging. Und Kamaramann Oleg Mutuerläutert, wie in den für den Filmtypischen Plansequenzen mittelsGegenlicht Raum geschaffen wurdefür das Geschehen, aber auch für dieGedanken des Publikums. Ein Mussfür jede Filmsammlung.NZZaS, 1. Juni 2008


2007, Frankreich [/ Iran]Persepolis(Marjane Satrapi & VincentParonnaud)Filmcoopi 1876097 [Region 2]Mit dem wunderbar subversivenAnimationsfilm „Persepolis“, der aufihrem vierbändigen Comic gleichenNamens beruht, gewann die Exil-Iranerin Marjane Satrapi im Vorjahram Filmfestival von Cannes denSpezialpreis der Jury. Die augenzwinkerndePolitautobiographiewurde danach zu einem grosseninternationalen Publikumserfolg.Soeben ist sie, praktisch gleichzeitigwie im Ursprungsland Frankreich,in der Schweiz auf DVD erschienen.Nicht nur das Wiedersehen mit demHauptfilm macht Freude, sondernauch ein halbstündiges „Making of“,durch welches Satrapi mit Intelligenz,Tempo und Witz führt. „Ein Comic istkein Film“, erläutert sie, doch aufZeichnungen wollte die Autorin undihr Co-Regisseur Vincent Paronnauddann doch nicht verzichten, weil ihnen- im Gegensatz zum inszeniertenSpiel - etwas Abstraktes und universellVerständliches innewohnt. SämtlicheSchwarz-Weiss-Animationen von„Persepolis“ wurden traditionell Bildum Bild auf Papier vorgezeichnet.Für die Vertonung haben berühmtefranzösische Schauspielerinnen demFilm ihre Stimme geliehen, von denenChiara Mastroianni im „Making of“an der Arbeit zu sehen ist. Auchdie deutsche Synchronfassung aufder DVD hat ihren Reiz, namentlichin den Wiener Passagen. Undselbstverständlich gibt es auf derSchweizer DVD auch zuschaltbareUntertitel, leider bloss auf Deutsch.NZZaS, 29. Juni 2008


2007, IsraelThe Band’s Visit(Eran Kolirin)Xenix Film / Impuls 25059 [Region 2]Israel ist in den kommenden beidenWochen Gastland am 4. Zurich FilmFestival und nach Israel ging im Jahrzuvor bereits der Preis für den bestenDebütspielfilm. Ausgezeichnet wurde„The Band’s Visit“, eine feinfühligeKomödie rund um ein ägyptischesPolizeiorchester, welches in Israel<strong>zur</strong> Eröffnung eines arabischen Kulturzentrumsaufspielen soll, infolge einerNamensverwechslung aber in einemKaff am Rande einer Wüste strandet.2008 galt „The Band’s Visit“ auchals Favorit für den Oscar als besterausländischer Film, wurde aber inletzter Minute vom Wettbewerbausgeschlossen, weil jemand nachgerechnethatte, dass im Film zumehr als fünfzig Prozent englischgesprochen wird. Dank der kürzlichin der Schweiz erschienenen DVD(Original und deutsche Synchronfassung,einblendbare deutsche undfranzösische Untertitel) kann mansich nun wieder an den stilsicherenlangen Einstellungen, an den träfenDialogen und an den hellblauenUniformen des achtköpfigen„Alexandria Ceremonial Orchestra“freuen. Die Bonusbeiträge der DVDhingegen kann man sich schenken:Das „Making of“ ist entschieden zukurz, und in den Interviews versuchender Regisseur und seine beidenHauptdarsteller Ronit Elkabetz undSasson Gabai vergebens, demGeheimnis des Films auf die Spur zukommen, der so wunderbar zwischenWehmut, Sehnsucht und Hoffnungbalanciert.NZZaS, 11. Sept. 2008


2007, USAJuno(Jason Reitman)20th Century Fox 3628008 [Region 2]Die Komödie um eine Teenagerschwangerschaftin der amerikanischenProvinz gehört zu den erfolgreichstenFilmen des Vorjahres.Vor allem die rotzig-coolen Sprücheder Highschool-Absolventin Juno(„Ich habe gehört, dass Schwangerschaftenoft zu Kindern führen“) fandenbeim Publikum wie bei der Fachkritikmit vier Oscar-Nominationen gleichermassenAnklang. Der Sprachwitz desFilms trägt auch auf der neuen, ausDeutschland stammenden DVD(Original- und deutsche Synchronfassung,dazu Untertitel in acht Sprachen).Unter den zahlreichen Extras gefälltein 22-minütiger „Screen Test“. Erenthält alle Schlüsselszenen desFilms und bietet in seiner Einfachheitgleichsam „Juno Unplugged“. DasGegenstück dazu bildet ein zuschaltbarerAudiokommentar des RegisseursJason Reitman und der DrehbuchautorinDiablo Cody. Die beidenfeilschen permanent um ihren eigenenAnteil am Film, und spätestens bei denebenfalls kommentierten elf „DeletedScenes“ kippt diese Rivalität insAbsurde: Dass es sich bei einereidottergelb gewandeten Akkordeonspielerininnerhalb einer geschnittenenSequenz um die Gattin des Regisseurshandelt und dass derweil – allerdingsnicht von der Kamera erfasst – dieDrehbuchverfasserin ihr Hündchennamens Sasso auf dem Schoss hielt,brauchen wir wirklich nicht zu wissen.NZZaS, 14. Dez. 2008


2007, RusslandThe Banishment(Andrey Zvyagintsev)Xenix Film / Impuls 25061 [Region 2]Grosse Kunst hat Leerstellen, und derzweieinhalbstündige russische Film(Originaltitel „Izganje“, deutsch auchals „Die Verbannung“ bekannt) behältsein Geheimnis bis zum Schluss bei.Alex kehrt mit seiner Frau Vera undseinen beiden Kindern aus der Stadtin das entlegene Vaterhaus auf demLand <strong>zur</strong>ück. Doch den erhofftenSeelenfrieden findet er hier nicht. Inder Tradition Tschechows, Dostojewskisund Tarkowskis entfaltet „TheBanishment“ eine Familientragödieum Schuld und Vergebung, „um dengrausamen Tod der Liebe“, wie esdie Hauptdarstellerin des Films, MariaBonnevie vom Königlichen TheaterStockholm, in einem Bonus-Beitragder DVD formuliert. Landschaftenvon suggestiv-karger Schönheit ziehendas Filmpublikum in ihren Bann undspiegeln gleichzeitig die Befindlichkeitender handelnden Personen (gedrehtwurde, wie wir aus dem „Making of“erfahren, in Moldawien). Die DVD mitrussischem Original sowie zahlreicheneinblendbaren Untertiteln bietet auchein Gespräch mit Regisseur Zvyagintsevsowie einen kurzen Bericht vomFilmfestival Cannes 2007, wo KonstantinLavronenko für seine Rolle indiesem Film als bester männlicherDarsteller ausgezeichnet wurde. DasBlitzlichtgewitter und der rote Teppichvon Cannes stehen allerdings demGrundton von „The Banishment“geradezu diametral entgegen.NZZaS, 29. März 2009


2007, TschechienLeergut(Jan Sverák)Look Now / Pelicanfilms 1876126[Region 2]Eine bitter-süsse Komödie in der langentschechischen Tradition, gemässwelcher die Protagonisten durch denAusstieg aus der Gesellschaft denSinn des Lebens finden: Josef Weberknecht(im Original Josef Tkaloun),Gymnasiallehrer für tschechischeLiteratur, hat die Nase voll von denKids, welche die Bedeutung einesAutors daran messen, ob seineBiographie von „den Amis“ verfilmtwurde. Er lässt sich vorzeitig pensionieren,versucht sich für kurze Zeitals Velokurier („Das ist keine Fragedes Alters, man muss Prag gut kennenund sich rasch entscheiden können“),um nach einem Unfall in einem Supermarktan der Annahmestelle für Leerguteinen neuen Lebensmittelpunkt zufinden. Freilich droht hier abermalsUngemach: Die kapitalistischenGesetze nach der Wende „verlangen“einen Personalabbau, ein Automat sollkünftig die leeren Flaschen und Gläserentgegennehmen. „Vratné Lahve“,so der Originaltitel des Films, lebt vonder Glanzbesetzung der Hauptrolledurch Zdeněk Sverák, den Vater desRegisseurs Jan Sverák. Die DVD(tschechisches Original, deutscheSynchronversion beziehungsweisezuschaltbare Untertitel) zeichnet ineinem „Making Of“ sehr schön dieZusammenarbeit von Vater, derauch das Drehbuch schrieb, undSohn Sverák nach und wartet mitbedenkenswerten Reflexionen zumVerhältnis von naturalistischenAussenaufnahmen und lichtmodellierterStudioarbeit auf.NZZaS, 13. Juni 2010


2007, IsraelLemon Tree(Eran Riklis)Arsenal Filmverleih 99744 [Region 2]Ein Zitronenhain in der West Bank,unmittelbar an der Grenze zu Israel.Hier lebt Salma, eine palästinensischeWitwe (grossartig Hiam Abbass,welche bereits 2004 in Riklis' „TheSyrian Bride“ zu sehen war) inmittender Bäume, die ihr Vater fünfzig Jahrezuvor gepflanzt hatte. Mit dem Einzugdes israelischen Verteidigungsministersauf dem Nachbargrundstück wird derHain zum potentiellen Sicherheitsrisikoals Schlupfwinkel für Terroristen, unddie Bäume sollen abgeholzt werden.Doch Salma setzt sich <strong>zur</strong> Wehr: Siezieht mit einem jungen palästinensischenAnwalt vor den OberstenGerichtshof Israels. Ihr Kampf ziehtnicht nur die Aufmerksamkeit derMedien auf sich, sondern auchdie Sympathie der Frau des Verteidigungsministers.Der sehenswerteFilm ist seit kurzem auf DVD greifbar(arabisch/hebräisch/englischesOriginal mit deutschen Untertitelnoder deutsche Synchronfassung).An Bonusbeiträgen enthält dieAusgabe ein interessantes, knappviertelstündiges Interview mit demDrehbuchautor und Regisseur. Erhabe keinen Politfilm mit Pro undContra machen wollen, erklärt Riklis.Ihm sei es um dem Kampf einermutigen, einsamen Frau in einerkonfliktreichen Region gegangen,meint er mit ein wenig Understatement.Immerhin wurde der Zitronenhainseines Films weltweit als Metapher fürden ganzen Nahen Osten verstanden.NZZaS, 4. Juli 2010


2008, ItalienGomorra(Matteo Garrone)Filmcoopi Impuls 64106 / Prokino 49010[beide Region 2]Die Cosa Nostra von heute hat mitsizilianischer Folklore nichts mehrgemein. Die sich ständig wandelndenVerhältnisse der globalisiertenWirtschaft verlangen laufend neueBekenntnisse und Entscheidungen,welche für die coolen, zumeistjugendlichen Mafiosi nicht seltentödlich enden. Der bei Fachkritik undPublikum gleichermassen erfolgreicheSpielfilm „Gomorra“ zeigt das organisierteVerbrechen in Neapel undUmgebung aus dem Blickwinkel vonunten. Gleichsam dokumentarisch wirddie Lage in den Bereichen Giftmüll,Drogenhandel, Haute Couture undImmobilien ausgeleuchtet. Die kürzlicherschienene schweizerische Ausgabeder DVD brilliert puncto Sprachhandhabung(Italienisch, Deutsch undFranzösisch beim Ton und bei denUntertiteln), die deutsche Edition„Gomorrha“ (enthaltend Original,Synchronfassung und deutscheUntertitel) wartet demgegenüber mitzahlreichen Extras auf einer Zusatz-Disc auf. Besonders aufschlussreichsind die Gespräche mit dem Regisseurund mit dem aus Neapel gebürtigenAutor Roberto Saviano, der mit seinerminutiösen Studie „Gomorra“ denAnstoss zum Film gab und aucham Drehbuch mitwirkte. Die Mafia,berichtet er, habe mit dem fertiggestelltenFilm kein Problem gehabt, weildarin keine konkreten Namen genanntwurden; sie nahm lediglich daranAnstoss, dass der Film das Buchwieder in Erinnerung rief. Es liegt nunder deutschen DVD-Edition alsTaschenbuch bei.NZZaS, 10. Mai 2009


2008, USARevolutionary Road(Sam Mendes)Paramount P370062 [Region 2]Kate Winslet und Leonardo DiCapriogut zehn Jahre nach „Titanic“ erstmalswieder in einem Spielfilm vereint: AlsApril und Frank Wheeler geben sie dasunkonventionelle junge Paar, das sichden Zwängen der prüden 50er Jahrewidersetzt. Doch die Ehe im ländlichenIdyll von Connecticut, wo man vomfernen Paris träumt, zerbricht. Dieeben erschienene DVD (deutscherTitel „In Zeiten des Aufruhrs”) folgtinhaltlich der amerikanischen Ausgabeund ist – mit englischer, deutscher undtürkischer Version beziehungsweiseUntertiteln – offensichtlich eine multieuropäischeAngelegenheit. Sonderbarnehmen sich die Altersangaben aufdem Label aus: In Deutschland ist derFilm ab zwölf Jahren zugelassen, inEngland ab fünfzehn, in Irland, wohlwegen einer Abtreibungsszene, erstab 18. Sei’s drum. Wer den Film undseine geschliffenen Dialoge mochte,wird an dieser DVD seine Freudehaben. Namentlich der Audiokommentarvon Regisseur Sam Mendes undDrehbuchautor Justin Haythe (mitzuschaltbaren englischen Untertiteln)enthält interessante Überlegungen <strong>zur</strong>Umsetzung der literarischen Vorlagevon Richard Yates. Hübsch sind auchdie ausführlichen „deleted scenes“.Sie lassen uns am Wheeler’schenFamilienleben teilhaben und zeigenFacetten des amerikanischen Nachkriegsalltags.NZZaS, 21. Juni 2009


2008, GrossbritannienHunger(Steve McQueen)Ascot-Elite 59 9 00900 [Region 2]Ein blitzgescheites Drehbuch, einebrillante Inszenierung und einbrisantes Thema garantieren offenbarnicht automatisch einen Platz aufdem Kinospielplan. „Hunger“ jedenfalls,der erste abendfüllende Filmdes Londoner InstallationskünstlersSteve McQueen, fand zumindest imdeutschsprachigen Raum keinenVerleiher, dies trotz einer Auszeichnungam Filmfestival von Cannes2008. Eine neue DVD (englischesOriginal, deutsche Synchronfassungund deutsche Untertitel, dazu eineBonus-Disc mit über drei StundenInterviews und einem Clip vonAmnesty International) macht dasWerk nun doch noch allgemeinzugänglich. Der Film, auf einer wahrenBegebenheit beruhend, spielt im Jahr1981 in Nordirland: Im berüchtigtenMaze Prison versuchen inhaftierteIRA-Aktivisten, eine Anerkennung alspolitische Gefangene zu erzwingen,indem sie Kot und Urin als Waffengegen die Wachen einsetzen und dieeigene Körperreinigung verweigern.Doch die Eiserne Lady in London ist zukeinerlei Kompromissen bereit. Als imGegenteil die Repressalien abermalsverstärkt werden, entschliesst sich dercharismatische Anführer der Protestaktionen,der 27-jährige Bobby Sands(grossartig Michael Fassbender),zusammen mit weiteren Mitgefangenenden eigenen Körper in einemHungerstreik auf’s Spiel zu setzen.Ein Drama, fast ohne Worte, hautnah,intensiv und ohne voreilige Parteinahmein Szene gesetzt.NZZaS, 4. Okt. 2009


2008, SchweizLa forteresse(Fernand Melgar)Climage / Pelican Films / Look Now1876154 [Code free]Es fehlt hier der Platz, um all die nationalenund internationalen Auszeichnungenanzuführen, die dieser Dokumentarfilmin den vergangenen18 Monaten erhalten hat. Gedrehtwurde er im Empfangs- und Verfahrenszentrumfür Asylbewerber imwaadtländischen Grenzort Vallorbe,und zwar während sechzig Tagen –dies die maximale Aufenthaltsdauerim Zentrum. „La Forteresse“ begleitetAusländer während des Verfahrens,bei dem aufgrund von zwei Anhörungenüber Anerkennung oder Ablehnungdes Flüchtlingsstatus entschiedenwird. Das Filmteam hütet sich vorvorschnellen Urteilen, stellt gleichwohldie Frage, wie und weshalb sich dieSchweiz vom einstigen Asylland <strong>zur</strong>Festung gewandelt hat. Die soebenerschienene DVD (Französisch undOriginalsprachen der Asylsuchenden,Untertitel in fünf Sprachen) verzichtetbewusst auf die üblichen Bonusbeiträge.Stattdessen hat man sichentschieden, die Webseite des Filmswww.laforteresse.ch komplett zuüberarbeiten und sie mit aktuellenInformationen zum Schweizer AsylundFlüchtlingswesen, mit Angabenzum weiteren Schicksal der Asylsuchendenaus Vallorbe sowie mitUnterrichtsmaterialien an<strong>zur</strong>eichern.Einen kleinen Bonusbeitrag, „EinigePerlen der Menschlichkeit“, hält dieDVD aber doch bereit, der unszumindest für einen Moment aufschnaufenlässt, so beispielsweise,wenn ein Vater mit seinen Töchternauf dem Flur des EmpfangszentrumsVerstecken spielt.NZZaS, 6. Dez.2009


2008, Grossbritannien /IndienSlumdog Millionaire(Danny Boyle)Warner Pathe und Prokino4260170490186 [beide Region 2]Bollywood, Sozialromanze, Thrillerund Komödie – opulent, humorvollund mit einem Schuss Sozialkritik inSzene gesetzt: „Slumdog Millionaire“gehörte weltweit zu den erfolgreichstenFilmen des vergangenen Jahres.Das Underdog-Märchen, in welchemder 18-jährige Waisenjunge Javal ausden Slums von Mumbai in der indischenVersion von „Wer wird Millionär?“den Hauptpreis von 20 MillionenRupien gewinnt, fand bei Publikum wieFachkritik gleichermassen Anklang.Der mit acht Oscars, vier GoldenGlobes sowie mit über hundert weitereninternationalen Preisen ausgezeichneteTitel ist in verschiedenenAusgaben auf DVD greifbar. Wer sichlediglich den Hauptfilm anschauenmöchte, ist mit einer preisgünstigenEinzel-DVD (englisches Original,deutsche Synchronfassung undUntertitel), gut bedient. Als Bonusfinden sich hier zudem der eloquenteAudiokommentar des RegisseursDanny Boyle sowie ein Interview mitden beiden Hauptdarstellern Dev Patel(Jamal) und Freida Pinto (Latika),welche mit einer Reihe lokaler Internazu Bombay/Mumbai aufwarten. Wermehr möchte, dem sei die limitierte„2 Disc Millionär Edition“ oder aber –entsprechende Abspielmöglichkeitenvorausgesetzt – die amerikanischeDVD beziehungsweise die Blu-RayDisc empfohlen. Nur hier sind die 32Minuten Zusatzszenen des Films zusehen, der für die Kinoauswertung aufzwei Stunden gekürzt wurde.NZZaS, 17. Jan. 2010


2008, JapanStill Walking(Hirokazu Kore-eda)Trigon-Film 162 [Region 2]Die Familie hat in der japanischenGesellschaft und im japanischen Kinoihren besonderen Platz. HirokazuKore-eda reiht sich mit dem mehrfachpreisgekrönten Drama „Still Walking“in die Namen der grossen Regisseureseines Landes ein. Viel geschieht nichtin diesem Film: Tochter und Sohnbesuchen an einem heissen Sommertagmit ihren eigenen Familien ihrealternden Eltern. Das Geheimnis umden Tod des ältesten Sohnes – unddamit der eigentliche Grund für dasFamilientreffen – enthüllt sich erstnach und nach. Die jahrelangenFrustrationen, die felsenfesten Vorurteileschwingen indes von Anfangan mit und machen sich in unaufrichtigenKomplimenten oder in SticheleienLuft. Das knapp halbstündige „Makingof“ auf der soeben erschienenenDVD (japanisches Original, deutscheoder französische Untertitel) zeigtdie minutiösen Vorbereitungen fürden Film. Dazu gehören mehrmaligesDrehbuchlesen in der Gruppe genausowie die sorgfältige Auswahl einesKleidungsstücks. „Ein dunkles Kostüm,das kaum Hoffnung ausdrückt, wäregut“, meint die Darstellerin derGrossmutter, „so ist ja meine Rolle“.Der Regisseur widerspricht und wähltein gemustertes Kleid in hellem Lila.„Schwer zu sagen, ob es richtig oderfalsch ist“, meint Kore-eda dazu, „abermeine Mutter hat so ausgesehen,wenn ich nach Hause kam.“ Das hatmit Nostalgie nichts zu tun, sondernmit Wahrhaftigkeit.NZZaS, 2. Mai 2010


2008, PolenKatyn(Andrzej Wajda)Pandastorm 17 7 5780 [Region 2]Mit dem Flugzeugabsturz von Smolenskim März dieses Jahres gelangtedas Massaker von Katyn für kurze Zeitin die Schlagzeilen der Weltpresse: ImFrühjahr 1940 liess der sowjetischeGeheimdienst mehr als zwanzigtausendpolnische Offiziere umbringenund ein Grossteil der Opfer in einemMassengrab bei Katyn verscharren.1943 entdeckten die Deutschen aufihrem Ostfeldzug die Gräber, dochnach Kriegsende 1945 lastete dieSowjetunion das Massaker derdeutschen Wehrmacht an. Im Film„Katyn“ greift der mittlerweile über80-jährige Regisseur Andrzej Wajda,dessen Vater bei Katyn ermordetwurde, das bis 1989 im Ostblockstreng tabuisierte Thema auf. Er tutdies ohne Ressentiments; gegenVerbrechen und Lüge setzt er aufEhre, Mut und Solidarität. Die soebenerschienene DVD-Special-Edition„Das Massaker von Katyn“ machtden Film, der in der Schweiz trotzeiner Oskar-Nomination nicht im Kinozu sehen war, allgemein zugänglich(polnisches Original, deutscheSynchronfassung). Irritierend sindallerdings die Sinnentstellungen,die dadurch entstehen, dass in dendeutschen Untertiteln des Hauptfilmsdie Anreden „Sie“ und „Ihnen“ in denDialogen stets klein geschriebenwerden. Umgekehrt überzeugt dieEdition durch eine Bonus-Disc mitmehr als zwei Stunden Laufzeit.NZZaS, 30. Mai 2010


2009, MexikoCinco días sin Nora(Mariana Chenillo)Trigon-Film 172 [Region 2]Dreissig Jahre waren sie verheiratet,zwanzig Jahre sind sie mittlerweilegeschieden, doch noch immer lebendie Jüdin Nora und der Atheist José anderselben Strasse in zwei gegenüberliegendenWohnungen einer mexikanischenStadt. Und nun dies: Noranimmt sich mit Pillen das Leben undbeauftragt testamentarisch ihren Ex-Mann mit der Organisation ihresBegräbnisses, welches wegen desPessach-Festes und eines Sabbatsfrühestens nach fünf Tagen stattfindenkann. Die sanft-makabere Familienkomödie,in der gegen einen aufsässigenRabbi auch mal eine Schinkenpizzazum Einsatz gelangt und in derein leerer Sarg, den José vorsorglicherweiseebenfalls bestellt hat, denEnkelinnen zum Versteckenspielendient, überzeugt durch Drehbuch,Schauspielerleistung und Kameraführung.Diese kommen auch aufder soeben veröffentlichten DVD(spanisches Original, einblendbaredeutsche oder französische Untertitel)schön <strong>zur</strong> Geltung. Leider gibt es hierkeinerlei Bonusbeiträge. Solche findensich indes problemlos im Internet,etwa in Form eines Interviews mit derRegisseurin für das InternationaleFilm-Festival von Miami, in demMariana Chenillo ausführt, dass ihrSpielfilm-Erstling von einer persönlichenErfahrung ausgehe, sie abernicht List, Trauer oder Verlust habezeigen wollen, sondern Liebe undVergebung.NZZaS, 17. Okt. 2010


2009, IranDarbareye Elly / About Elly(Asghar Farhadi)Trigon-Film 219 [Codefree]Der Grosserfolg von „A Separation“(Goldener Bär Berlin 2011, Oscarfür den besten fremdsprachigen Film)hat glücklicherweise auch den zweiJahre zuvor gedrehten „About Elly“des iranischen Regisseurs Fahradiwieder in Erinnerung gerufen (beideTitel neu bei Trigon auf DVD greifbar,Originalversion mit zuschaltbarendeutschen oder französischen Untertiteln,„A Separation“ mit zusätzlichemBooklet): Die lebensfrohe Sepideh hatfür ihren Mann und seine ehemaligenStudienkollegen einen dreitägigenFamilienausflug ans Kaspische Meerorganisiert. Ohne Wissen der übrigenBeteiligten ist auch die hübsche undintelligente Kindergärtnerin Elly mit vonder Partie; sie soll allenfalls mit Ahmadverbandelt werden, der frisch geschiedenaus Deutschland nach Teheran<strong>zur</strong>ückgekehrt ist. Die Gruppe kommtin einer leerstehenden Villa direkt amMeer unter. Hier scherzt und albertman herum, bis ein Badeunfall mit denKindern die unbeschwerte Gesellschaftin die Realität <strong>zur</strong>ückholt. Auch Elly istverschwunden. – Regisseur Farhadi istein meisterhafter Erzähler: Es fällt keineinziger direkter politischer Kommentarin „About Elly“, und doch ist die prekäreLage des iranischen Mittelstandes(zwischen Verwestlichung/Emigration,grüner Revolution und Anpassung andas herrschende Regime) in jederSequenz greifbar. Und als ob es dafürnoch eines Beweises bedurft hätte,wurde Anfang 2012 der Darstellerinder Sepideh, Golshifteh Farahani,wegen angeblicher anti-islamistischerNacktaufnahmen für ein französischesMagazin die Rückkehr nach Iranuntersagt.NZZaS, 25. März 2012


2009, ArgentinienEl secreto de sus ojos(Juan José Campanella)Xenix Film / Impuls 25071 [Region 2]Ein intelligenter und spannender Politthriller:Schauplatz der Handlung istBuenos Aires 1974/1975, unmittelbarvor dem Militärputsch. Es geht um eineVergewaltigung und einen nie völliggeklärten Mord an einer jungen Frau,einen Fall, den ein frisch pensionierterStaatsanwalt nach dreissig Jahren neuaufrollen will, sowie um eine unerfüllteLiebesbeziehung des Anwalts ausjener Zeit. Geschickt verknüpft „Elsecreto de sus ojos“ („In ihren Augen“)die von Staatsterror geprägten mittleren70er Jahre mit der vordergründigereignislosen Gegenwart. Derhervorragend gespielte und brillantfotografierte Film gewann 2010den Oscar für den besten fremdsprachigenFilm. Die kürzlich erschieneneDVD (spanischsprachiges Original,deutsche Synchronfassung, zuschaltbaredeutsche Untertitel) enthältzahlreiche lohnende Bonusbeiträge –ein knappes „Making of“, ausführlicheCastings, die sich wie Alternativszenenzum Film ausnehmen, eine Sammlungvon Plakaten zum Film von Süd- undNordamerika über Europa bis nachSüdostasien, sowie die vollständigePressekonferenz des Filmfestivalsvon San Sebastian 2009. Dort wurdeRegisseur Campanella gefragt, inwessen Augen sich das Geheimnisdes Filmtitels verberge. „In allen“ gaber <strong>zur</strong> Antwort, denn, wenn man in denAugen der Schauspieler lese, seheman eine ganz andere Geschichte,als wenn man den Dialogen des Filmsfolge.NZZaS, 5. Juni 2011

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