Was ist noch interessant? - Bund der Heimatvertriebenen ev ...
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Wolga, Weimar, Weizenfeld<br />
Teil einer Erinnerungstafel aus dem 19. Jahrhun<strong>der</strong>t (angebracht<br />
in Stettin, Große Domstraße, heute: ul. Farna);<br />
Übersetzung <strong>der</strong> Inschrift: „In diesem Haus wurde am 21.<br />
April / 2. Mai 1729 die Herrscherin Zarin Jekaterina II., die<br />
Große geboren.“ (Quelle: Privatfoto)<br />
„In meinem Innersten bestimmte ich mich für ihn;<br />
denn diese war die glänzendste von allen vorgeschlagenen<br />
Partien.“ Und ihre Jungmädchenträume erfüllen<br />
sich: Die damalige Zarin Elisabeth Petrowna<br />
lässt ihren vierzehnjährigen Neffen nach St. Petersburg<br />
kommen und macht ihn durch die Ernennung<br />
zum Großfürsten offiziell zu ihrem Nachfolger. Der<br />
Deutsche wird zu Peter Fjodorowitsch.<br />
Nun soll möglichst schnell eine Braut für ihn benannt<br />
werden: Der Preußenkönig Friedrich II. bestärkt die<br />
russische Zarin hinsichtlich ihrer Wunschkandidatin.<br />
Und so wird Prinzessin Sophie Auguste Frie<strong>der</strong>ike<br />
von Anhalt-Zerbst mit ihrer Mutter zur Brautfahrt<br />
nach Moskau eingeladen. Aus dem entsprechenden<br />
Schreiben <strong>der</strong> Zarin aus St. Petersburg – kurz nach<br />
Weihnachten des Jahres 1743 in Zerbst an <strong>der</strong> O<strong>der</strong><br />
(heute eine Kreisstadt in Sachsen-Anhalt) eingetroffen<br />
– <strong>ist</strong> zu entnehmen, „dass* Eure Durchlaucht, begleitet<br />
von <strong>der</strong> Prinzessin, Dero ältesten Tochter, sich so<br />
bald wie möglich und ohne Zeitverlust in unser Land<br />
begibt …“<br />
Schon am 10. Januar 1744 beginnt wunschgemäß<br />
die kleine Gruppe inkognito „die lange, beschwerliche<br />
Reise“ (65; 29), die bei „Nieselregen begonnen<br />
hatte“ und „in bitterer Kälte zu Ende“ ging. Von<br />
Zerbst geht die Fahrt zunächst nach Berlin zu Friedrich<br />
II. von Preußen; dann ostwärts in „den beiden<br />
schaukelnden und ruckenden Kutschen auf Straßen in<br />
grauenhaftem Zustand durch Danzig und Königsberg<br />
nach Mitau“ (ebenda). Im Folgenden führt <strong>der</strong> Weg<br />
10<br />
nach Riga und von dort „im Schlitten durch kaltes, verschneites<br />
Land nach Narwa und weiter nach St. Petersburg<br />
zum Winterpalais Zarskoe Selo“ (ebenda, S. 31).<br />
Dort erinnert sich Sophie <strong>noch</strong>mals an „die Martern<br />
<strong>der</strong> Reise auf unbeschreiblichen Straßen“, „die Kälte<br />
und dumpfe Armut eines fremden Landes“, „blaue<br />
Flecken und schmerzende K<strong>noch</strong>en“ (ebenda, S. 40).<br />
Noch sind 600 Werst von St. Petersburg bis Moskau,<br />
wo zurzeit die Zarin residiert, zurückzulegen. Unabhängig<br />
davon, dass die Gesellschaft in herrschaftlichen<br />
Gästeschlitten re<strong>ist</strong>, empfindet Sophie dies<br />
durchaus nicht als komfortabel: „Der Schlittenkasten<br />
rumpelte weiter, stundenlang, eintönig, unterbrochen<br />
nur von Pferdewechseln, während verschneiter Tage<br />
und eisiger Nächte, mit kurzen Pausen durch ein riesiges,<br />
dünn besiedeltes Land“ (ebenda, S. 47).<br />
Wenn es dem Leser gelingt, die obige Reisebeschreibung<br />
möglichst wirklichkeitsgetreu nachzuempfinden<br />
und in bildliche Vorstellungen umzusetzen,<br />
wird wohl die Frage entstehen: Wie schwer und<br />
opferreich muss generell <strong>der</strong> Weg für jene Reisende<br />
zwischen den beiden Län<strong>der</strong>n gewesen sein, die<br />
vergleichsweise ohne alle Annehmlichkeiten und<br />
dann auch <strong>noch</strong> über Moskau hinaus weit länger<br />
unterwegs waren?<br />
Inwieweit mag sich Katharina II. etwa zwanzig Jahre<br />
nach ihrer damaligen Zerbst-Moskau-Reise bei <strong>der</strong><br />
Abfassung ihrer beiden werbenden Einladungs-<br />
Manifeste an Menschen in Westeuropa, beson<strong>der</strong>s<br />
an Deutsche (vgl. Abschnitt 1.3), <strong>noch</strong> <strong>der</strong> selbst<br />
erlebten Strapazen erinnert haben? <strong>Was</strong> konnte sie<br />
aus eigenem Erleben zumindest ansatzweise hinsichtlich<br />
<strong>der</strong> schwierigen Umstände des zugemuteten<br />
weiten Auswan<strong>der</strong>ungsweges vorausfühlen<br />
und von daher versuchen abzumil<strong>der</strong>n?<br />
Kommen wir zurück ins Jahr 1744! Nach „vierzig<br />
Tagereisen“ (65; 50) trifft Sophie mit ihrer Begleitung<br />
endlich – gerade <strong>noch</strong> pünktlich zum 16. Geburtstag<br />
von Prinz Peter, ihrem Fast-Verlobten – in<br />
Moskau ein. Das folgende Porträt des französischen<br />
Künstlers und späteren Malers des russischen Hofes,<br />
Louis Caravaque, zeigt die 15jährige Deutsche,<br />
wie sie <strong>der</strong> junge Prinz nach ihrer Ankunft in Russland<br />
wohl gesehen haben mag (vgl. 58).<br />
Seitdem Sophie nun in Russland <strong>ist</strong>, bemüht sie sich<br />
intensiv um das Aneignen <strong>der</strong> russischen Sprache,<br />
<strong>der</strong> Landesgeschichte, <strong>der</strong> russischen Traditionen<br />
und <strong>der</strong> griechisch-orthodoxen Religion, weil sie<br />
sich möglichst umfassend mit Russland, das sie als<br />
ihre zukünftige neue Heimat betrachtet, bekannt-