Was ist noch interessant? - Bund der Heimatvertriebenen ev ...
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tungen, Radiosendungen, Literatur, Lehrmaterial,<br />
Theater, Orts- und Straßenbezeichnungen in deutscher<br />
Sprache. Alle Deutschen sprachen Deutsch.<br />
Die Muttersprache lebte!<br />
Plötzlich: Am 22.6.1941 beginnt <strong>der</strong> Krieg Deutschlands<br />
gegen die UdSSR. Es wird für die Deutschen in<br />
<strong>der</strong> Sowjetunion alles grundlegend an<strong>der</strong>s.<br />
Anzeichen dafür gibt es jedoch bereits in den 30er<br />
Jahren im Zusammenhang mit <strong>der</strong> Machtergreifung<br />
<strong>der</strong> Nationalsozial<strong>ist</strong>en in Deutschland:<br />
„…zum Schuljahresbeginn 1938/39 wurden zunächst<br />
<strong>noch</strong> außerhalb <strong>der</strong> Wolgadeutschen Republik alle<br />
Schulen auf russische o<strong>der</strong> ukrainische Unterrichtssprache<br />
umgestellt und 1939 alle deutschen Landkreise<br />
aufgelöst. Schon 1929/31 wurden die Kirchen<br />
geschlossen, Gottesdienste verboten und die me<strong>ist</strong>en<br />
Ge<strong>ist</strong>lichen und Kirchendiener aller Konfessionen<br />
verhaftet und verschleppt“ (133; 15). Min<strong>der</strong>heitenrechte<br />
hatten die Deutschen nun nicht mehr. Seit<br />
Kriegsbeginn werden sie sogar als gesamte Volksgruppe<br />
aufgelöst.<br />
A l l e s, was irgendwie mit dem Deutschsein zu tun<br />
hat, wird nun offiziell und auch in <strong>der</strong> russischen<br />
B<strong>ev</strong>ölkerung als „feindlich“ eingestuft, als „fasch<strong>ist</strong>isch“<br />
bezeichnet. Es <strong>ist</strong> auszumerzen. Dabei <strong>ist</strong><br />
nicht wesentlich, ob es sich um Deutsche, <strong>der</strong>en Kultur,<br />
Sprache, Religion direkt in „Hitler-Deutschland“<br />
handelt o<strong>der</strong> um einst ins russische Zarenreich auf<br />
Einladung eingewan<strong>der</strong>te Deutsche. Sogar die<br />
Wolgarepublik <strong>der</strong> Deutschen wird 1941 per Erlass<br />
aufgelöst. Es <strong>ist</strong> von nun an ein großes Unglück, in<br />
<strong>der</strong> Sowjetunion ein Deutscher zu sein, <strong>der</strong> es auch<br />
<strong>noch</strong> wagt, Deutsch zu sprechen.<br />
Die Muttersprache <strong>der</strong> deutschen Sowjetbürger <strong>ist</strong><br />
in größter Gefahr!<br />
Die grausamsten Repressalien gegen die Deutschen<br />
von <strong>der</strong> Wolgarepublik, aus <strong>der</strong> Ukraine, von<br />
<strong>der</strong> Krim und aus an<strong>der</strong>en Landesteilen führen bei<br />
den Betroffenen zu <strong>der</strong>artigen Ängsten, dass viele<br />
von ihnen regelrechte Vermeidungstendenzen entwickeln,<br />
um nicht sofort und überall als Deutsche<br />
– schon durch die Muttersprache – erkannt zu werden,<br />
auch <strong>noch</strong> viele Jahre nach dem Krieg!<br />
In <strong>der</strong> nunmehr fast ausschließlich Russisch sprechenden<br />
Umgebung in Sibirien, in Kasachstan,<br />
Kirg<strong>ist</strong>an <strong>ist</strong> zwar die deutsche Sprache jur<strong>ist</strong>isch<br />
erlaubt, aber praktisch verboten. Es gibt sogar Anzeigen,<br />
also Denunziationen bei <strong>der</strong> Behörde, gegen<br />
Menschen, die Deutsch sprechen. Wie aber<br />
sollen Familienangehörige sich zu Hause verstän-<br />
Wolga, Weimar, Weizenfeld<br />
digen, wenn sie das Russische (<strong>noch</strong>) nicht beherrschen?<br />
Die Deutschen werden offen auf <strong>der</strong> Straße,<br />
ebenfalls <strong>noch</strong> Jahre nach Kriegsende, als „Fasch<strong>ist</strong>en“<br />
diffamiert, als „Fritz“ verhöhnt.<br />
„Sie hatten es nicht leicht, sich in einem Land behaupten<br />
zu wollen, wo ´Njemez´ – eine abgeschwächte Variante<br />
des berüchtigten ´häßlichen Deutschen´ – zum<br />
Inbegriff alles Bösen … geworden war“ (133; 21).<br />
Eine Russlanddeutsche erinnert sich an ihre Kindheit:<br />
„Das Schlimmste … war <strong>der</strong> psychische Terror. Es gab<br />
keinen Tag, an dem man uns beim Gang zur Schule<br />
o<strong>der</strong> während <strong>der</strong> Pause nicht geschlagen hätte. Man<br />
malte uns mit Kreide Hakenkreuze auf den Rücken,<br />
warf unsere Mäntel auf den Boden und trampelte darauf<br />
herum.<br />
Ebenso demütigend waren die Gänge zum Brotkaufen<br />
o<strong>der</strong> zur Erledigung an<strong>der</strong>er Angelegenheiten. Wenn<br />
wir miteinan<strong>der</strong> deutsch sprachen, wurden wir mit<br />
Steinen beworfen. Russische Kin<strong>der</strong> riefen uns zu: ´Das<br />
geschieht euch recht. Ihr habt uns geschlagen, jetzt<br />
schlagen wir euch!´<br />
Wir aber haben trotzdem deutsch geredet, gebetet<br />
und die deutsche Kultur gepflegt“ (76; 18).<br />
In Kin<strong>der</strong>spielen haben die deutschen Kin<strong>der</strong> <strong>noch</strong><br />
viele Jahre die Rolle <strong>der</strong> zu besiegenden Nazis zu<br />
spielen, müssen stets die Verlierer in <strong>der</strong>artigen<br />
Spielen sein.<br />
Die Angehörigen einer ganzen Volksgruppe werden<br />
auf lange Zeit als Feinde <strong>der</strong> Sowjetunion diffamiert,<br />
obwohl gerade dieses Land, wie auch für<br />
die Russen und an<strong>der</strong>e Nationalitäten, ebenso ihre<br />
Heimat <strong>ist</strong>. Es <strong>ist</strong> durchaus nachvollziehbar, wenn<br />
damals deutsche Eltern und Großeltern, die irgendwie<br />
diese schwere Zeit überlebt haben, <strong>der</strong> jüngeren<br />
Generation die oft täglichen Erniedrigungen so<br />
schnell wie möglich ersparen wollen. Dazu gehört<br />
eben auch, dass die Kin<strong>der</strong> und Enkel nicht mehr unbedingt<br />
zum Deutschsprechen angehalten werden.<br />
Sie wachsen heran, beenden die russische Schule,<br />
lernen einen Beruf, verstehen zu Hause <strong>noch</strong> das<br />
Deutsche <strong>der</strong> Erwachsenen, sprechen es selbst aber<br />
immer weniger. Die jungen Menschen leben in einer<br />
fast ausschließlich russischen Umgebung.<br />
Damals – 1941 – war die russische Admin<strong>ist</strong>ration<br />
an einer völligen Zerschlagung <strong>der</strong> deutschen<br />
Volksgruppe als Min<strong>der</strong>heit interessiert: Die Familien<br />
wurden häufig einzeln o<strong>der</strong> in kleinen Gruppen<br />
in weit voneinan<strong>der</strong> entfernten Gebieten angesiedelt.<br />
Wie sollten unter <strong>der</strong>artigen Bedingungen die<br />
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