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Ein Jahr in Florenz - dis.uni-bonn.de - Universität Bonn

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Mirabilia urbis Florent<strong>in</strong>ae. <strong>Florenz</strong> aus<strong>de</strong>r Sicht e<strong>in</strong>es Bochumer Stu<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>rmittelalterlichen Geschichte.Manches macht nach<strong>de</strong>nklich. Florentia,das war e<strong>in</strong>mal „die Blühen<strong>de</strong>“ o<strong>de</strong>r „die<strong>in</strong> Blüte stehen<strong>de</strong>“. Es verwun<strong>de</strong>rt, dass<strong>de</strong>r - wenn auch nur zeitweilige -<strong>E<strong>in</strong></strong>wohner trotz dieser etymologischenWurzel grüne Flecken zuweilen fast<strong>de</strong>sperat sucht und nicht selten das Gefühlhat, <strong>in</strong> dieser Stadt nicht mehr atmen zukönnen. In ähnliche Verwirrung kann mangeraten, sobald man von fernen Freun<strong>de</strong>nnach e<strong>in</strong>iger Zeit mit <strong>de</strong>m Titel„Florent<strong>in</strong>er“ bedacht wird.Vollblut-Florent<strong>in</strong>er h<strong>in</strong>gegen s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>seltsames Völkchen. Sie spuckenbe<strong>de</strong>nkenlos aus. Gleicher Leichtmut giltfür <strong>de</strong>n beherzten männlichen Griffzwischen die eigenen Len<strong>de</strong>n. Nicht-Florent<strong>in</strong>er möchten sie nicht kennenlernen, seien es Italiener o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>reMenschen, die unter <strong>de</strong>m grässlichen<strong>de</strong>utschen Wort „Auslän<strong>de</strong>r“ subsumiertwer<strong>de</strong>n. Den Ansturm <strong>de</strong>r globalisiertenMultikultur sche<strong>in</strong>t <strong>de</strong>r hermetischabgeschlossene urflorent<strong>in</strong>ische Mikrokosmosauch heute noch zu parieren mit<strong>de</strong>m quattro- und c<strong>in</strong>quecentesken„Bürgers<strong>in</strong>n“ aus jenen Tagen, <strong>in</strong> <strong>de</strong>nenman sich noch <strong>in</strong> platonischen Aka<strong>de</strong>mienund orti oricellari die philosophischeKl<strong>in</strong>ge <strong>in</strong> die Hand gab, <strong>de</strong>m Papst Geldlieh und Medicipr<strong>in</strong>zess<strong>in</strong>nen mit <strong>de</strong>mfranzösischen König verheiratete.Die Zeiten än<strong>de</strong>rn sich. Brunelleschi wür<strong>de</strong>sich sicherlich nicht nur e<strong>in</strong>mal im Grabumdrehen, wüsste er von <strong>de</strong>r alternativaka<strong>de</strong>mischenSchmutzkultur, die im<strong>in</strong>tellektuellen Brutkasten <strong>de</strong>r geisteswissenschaftlichenFakultät auf <strong>de</strong>r nachihm benannten Piazza herrscht. AuchPapstkredite s<strong>in</strong>d nicht mehr son<strong>de</strong>rliche<strong>in</strong>träglich und <strong>in</strong> vieler H<strong>in</strong>sicht out.Nicht nur, dass nun das Land Luthers <strong>de</strong>nersten Papst seit <strong>de</strong>r Reformation stellt,was ja schon schlimm genug wäre, ne<strong>in</strong>,dieser gibt <strong>de</strong>r Empörung Futter, <strong>in</strong><strong>de</strong>m er<strong>in</strong> bester Renaissancetradition e<strong>in</strong>es SixtusIV. o<strong>de</strong>r Julius II. kräftig <strong>in</strong> dieTagespolitik e<strong>in</strong>greift und mith<strong>in</strong> se<strong>in</strong>espirituelle Leitrolle mit <strong>de</strong>r <strong>de</strong>sReferen<strong>de</strong>n-Saboteurs aufmotzt. Was diefranzösischen bilateralen Beziehungenangeht, so möchte man bezweifeln, dass,gesetzt <strong>de</strong>n Fall, es gäbe heute noch e<strong>in</strong>enfranzösischen König o<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>e mediceischePr<strong>in</strong>zess<strong>in</strong> auf <strong>de</strong>r Welt, diese bei<strong>de</strong>n sichnicht mit großer Wahrsche<strong>in</strong>lichkeitsp<strong>in</strong>nefe<strong>in</strong>d wären und dass sie imumgekehrten Fall die Staatsräson nichtbe<strong>de</strong>nkenlos <strong>de</strong>m <strong>in</strong>dividuellen Glücksstrebenzu opfern bereit wären. Angesichts<strong>de</strong>r um sich greifen<strong>de</strong>n Deka<strong>de</strong>nzen undEntartungen dieser unserer mageren Zeitenkämpft man <strong>in</strong> <strong>Florenz</strong> <strong>de</strong>n Kampf um dieBewahrung <strong>de</strong>r eigenen I<strong>de</strong>ntität mit <strong>de</strong>nharten Bandagen l<strong>in</strong>guistischer Eigenheitenwie <strong>de</strong>r Chochachola o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s chafèshekeratho. Dennoch: Nicht wenige s<strong>in</strong>dganz wild auf Sushi.Ist dies noch die Stadt, <strong>in</strong> <strong>de</strong>r nicht nur dieRenaissance, son<strong>de</strong>rn auch das gesamtemo<strong>de</strong>rne Mensch-Se<strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Ursprunghatte? Es f<strong>in</strong><strong>de</strong>n sich noch Spuren.Wer jemals nachts das Fließen <strong>de</strong>spechschwarzen Arnowassers beobachtethat, wer jemals die glühen<strong>de</strong> Hitze e<strong>in</strong>esSommernachmittags mit- bzw. überlebt hato<strong>de</strong>r vor <strong>de</strong>n riesigen Brocken e<strong>in</strong>esplötzlichen Hagelgewitters geflüchtet ist,wird nachvollziehen können, dass dieseStadt etwas ungeheuer Lyrisches birgt.Diese Impressionen können zu e<strong>in</strong>er Fährtewer<strong>de</strong>n, die zu <strong>de</strong>r Person führt, dieunabwendbar mit Image und historischerBe<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Stadt verbun<strong>de</strong>n ist.Geme<strong>in</strong>t ist Dante, <strong>de</strong>r Dichter <strong>de</strong>r Div<strong>in</strong>aCommedia. Nicht nur für <strong>de</strong>n Div<strong>in</strong>aCommedia-Geeichten s<strong>in</strong>d die genannten<strong>E<strong>in</strong></strong>drücke e<strong>in</strong> weiterer Grund für dieFundamentalität von Goethes (italienischausgesprochen: „Ghetes“) Symboltheorie.Dante ist mith<strong>in</strong> nicht zu entgehen. Anunzähligen Orten bef<strong>in</strong><strong>de</strong>n sich Ge<strong>de</strong>nkste<strong>in</strong>emit Versen aus <strong>de</strong>n jeweiligen„Cantiche“, welche sich auf die Lokalitätbeziehen sollen, an <strong>de</strong>r die Tafelnangebracht s<strong>in</strong>d. Doch nicht überall woDante draufsteht, ist Dante dr<strong>in</strong>. Und diesim wahrsten S<strong>in</strong>ne <strong>de</strong>s Wortes. Das41

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