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Ein Jahr in Florenz - dis.uni-bonn.de - Universität Bonn

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Wahns<strong>in</strong>n: <strong>E<strong>in</strong></strong>schreibenNach<strong>de</strong>m ich mit e<strong>in</strong>em viel zu kle<strong>in</strong>enLeihwagen, <strong>de</strong>r mich nur durch Zufallüberlebte, das erste Mal <strong>de</strong>m südlän<strong>dis</strong>chenStraßenkrieg entkommen warund me<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es, schnuckeliges, imantiken Zustand erhaltenes Zimmere<strong>in</strong>gerichtet hatte, schritt ich auch schon zume<strong>in</strong>em ersten offiziellen Akt <strong>in</strong> Firenze.Me<strong>in</strong> erster <strong>E<strong>in</strong></strong>druck vom Sekretariat wardurchaus positiv. „ S<strong>in</strong>d doch ganz geregelteVerhältnisse hier“, dachte ich undtrug mich <strong>in</strong> die Liste e<strong>in</strong>, die an <strong>de</strong>r Türetwas unorthodox mit Tesafilm angebrachtwar. Die von Vorgängern verfasstenHorrorgeschichten schienen sich nicht zubewahrheiten. Namen! Nummern! Listen!Ordnung! Etwas verdächtig erschien mirallerd<strong>in</strong>gs, dass die besagte Liste nur e<strong>in</strong>weißes Blatt mit Nummern und Namenwar, wo ich doch aus Deutschland dieschönen Word-Tabellen gewohnt war.Aber ich schmiss mich voller Begeisterung<strong>in</strong> <strong>de</strong>n lockeren untabellarischen Lebensstilund sah mich schon mit e<strong>in</strong>em schickenStu<strong>de</strong>ntenausweis <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Hand. Die von 9bis 15 Uhr verbleiben<strong>de</strong>n sechs Stun<strong>de</strong>nbis zur Öffnung <strong>de</strong>s Sekretariats verbrachteich mit me<strong>in</strong>em ersten Orientierungslaufdurch die Stadt, ohne aber, im erstenSchwung südlän<strong>dis</strong>cher Lebensfreu<strong>de</strong>,me<strong>in</strong>en sehr <strong>de</strong>utschen S<strong>in</strong>n für Vorsichtzu verlieren. Also schaute ich noch e<strong>in</strong>malum Zwölf bei <strong>de</strong>r Liste vorbei, um mitEntsetzen festzustellen, dass diese wohl <strong>in</strong><strong>de</strong>r Zwischenzeit mutwillig entfernt unddurch e<strong>in</strong>e neue ersetzt wor<strong>de</strong>n war! ErsteZweifel an <strong>de</strong>r hier herrschen<strong>de</strong>n Ordnungkamen <strong>in</strong> mir auf, doch frisch und fröhlichverewigte ich mich auch dieses Mal wie<strong>de</strong>rauf <strong>de</strong>r Liste: Ab jetzt machte ich e<strong>in</strong>enhalbstündlichen Kontrollgang, um schließlichum <strong>E<strong>in</strong></strong>s dieselbe Überraschung erlebenzu müssen. Ich zweifelte zu diesemZeitpunkt stark an <strong>de</strong>m S<strong>in</strong>n <strong>de</strong>s <strong>E<strong>in</strong></strong>tragens,allerd<strong>in</strong>gs fand me<strong>in</strong> Name auchauf dieser Liste wie<strong>de</strong>r Platz, was sich alsme<strong>in</strong> großes Glück erweisen sollte. <strong>E<strong>in</strong></strong>ezierliche, aber wie sich herausstelltewillensstarke Italiener<strong>in</strong>, kurz gesagt6emanzipiert, gab <strong>de</strong>r Liste <strong>de</strong>n offiziellenStatus. In <strong>de</strong>n nächsten Stun<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong>diese nur noch von ihrer Hand berührt.Obwohl ihre eher kle<strong>in</strong>e Statur es nichtvermuten ließ, verteidigte und kämpfte sie,mit zwei dazu gewonnenen Kumpanen,gegen jegliche fe<strong>in</strong>dliche Attacken. Wassich konkret so darstellte: Da es auch <strong>in</strong>Italien überall das <strong>in</strong> Deutschland erfun<strong>de</strong>neund <strong>in</strong>zwischen weltweit exportierte„Zieh ne Nummer und stell dich an-System“ gibt, wur<strong>de</strong> unsere kle<strong>in</strong>e Gruppevor die nächste schwierige Aufgabe bis zur<strong>E<strong>in</strong></strong>schreibung gestellt. Da, wie schongesagt, die Liste ke<strong>in</strong>en offiziellen Statushatte und im En<strong>de</strong>ffekt nur die gezogenenNummern zur <strong>E<strong>in</strong></strong>schreibung berechtigten,lauerte natürlich e<strong>in</strong>e große Gefahr <strong>in</strong> <strong>de</strong>mMoment, <strong>in</strong> <strong>de</strong>m die Nummernkanone vone<strong>in</strong>er Sekretär<strong>in</strong> gefüttert wur<strong>de</strong> (<strong>de</strong>r roteKasten, aus <strong>de</strong>m man se<strong>in</strong>e Nummerziehen konnte). Vor allem lauerten natürlichalle, die sich auf vorherigen Listen(zum Schicksal dieser Listen siehe oben)verewigt hatten, auf die Chance, doch nochheute zu ihrer <strong>E<strong>in</strong></strong>schreibung zu kommen.Also stan<strong>de</strong>n ca. 90 Personen um diesenleeren Nummer-Zieh-Kasten herum, ganzvorne, direkt neben <strong>de</strong>m Kasten, die kle<strong>in</strong>eItaliener<strong>in</strong> mit Kumpanen und Liste. DieStimmung war durchaus angespannt. Kle<strong>in</strong>ereTumulte blieben dabei nicht aus,konnten aber nicht wirklich etwas an <strong>de</strong>rSituation än<strong>de</strong>rn. Allerd<strong>in</strong>gs merkte man,dass e<strong>in</strong>ige ganz Ausgefuchste darauflauerten, im Moment <strong>de</strong>r Bestückung <strong>de</strong>sNummernkastens durch e<strong>in</strong>en schnellenPanthersprung sich illegalerweise e<strong>in</strong>erNummer zu bemächtigen.

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