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Ein Jahr in Florenz - dis.uni-bonn.de - Universität Bonn

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Donatello mit e<strong>in</strong>er Statue <strong>de</strong>r„Abbondantia“ (d. i. <strong>de</strong>r Personifizierung<strong>de</strong>s Übermaßes bzw. Überflusses) krönte.Übermaß im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es gewaltigenM<strong>in</strong><strong>de</strong>rwertigkeitskomplexes bezeugt dastriumphbogenartige Gebäu<strong>de</strong> an <strong>de</strong>rWestseite <strong>de</strong>r Piazza. Im Kontext <strong>de</strong>rkurzzeitigen Hauptstadtrolle von <strong>Florenz</strong>im 19. Jh. errichtet, gemahnt es mit se<strong>in</strong>erlate<strong>in</strong>ischen Inschrift an genau das antikeStadtzentrum, das wiewohl für <strong>de</strong>nBaugrund größtenteils geplättet wur<strong>de</strong>(und zwar als Teil <strong>de</strong>s urbanistischenProjektes, <strong>de</strong>m auch die mittelalterlicheStadtmauer zugunsten <strong>de</strong>r stadtkernumspannen<strong>de</strong>nR<strong>in</strong>gstraße weitestgehendzum Opfer fallen musste). Nebenangelegen ist das Lokal Giubbe Rosse,welches sich als Geburtsstätte <strong>de</strong>sitalienischen Futurismus feiert, und dieTradition <strong>de</strong>r „Abbondantia“ auf <strong>de</strong>rPiazza vor allem <strong>in</strong> preislicher H<strong>in</strong>sichtfortzuführen bestrebt ist. <strong>E<strong>in</strong></strong>e billigereaber traditionsärmere Adresse stellt das„Cafè Paszowski“ dar, <strong>de</strong>ssen Namejedoch schlichtweg über die artikulatorischenMöglichkeiten <strong>de</strong>r italienischenSprache (bzw. vor allem ihrer Sprecher)h<strong>in</strong>ausgeht. Für die Dekodierung <strong>de</strong>sSatzes: „Si va al Pasoske?“ bedarf es<strong>de</strong>mzufolge nicht nur fortgeschrittenersprachlicher Fertigkeiten, son<strong>de</strong>rn auche<strong>in</strong>es spezifischen kulturellen Wissens.An<strong>de</strong>rs gewen<strong>de</strong>t: Man kann nurverstehen, was geme<strong>in</strong>t ist, wenn man esschon vorher weiß. Diese Gedanken gehenallerd<strong>in</strong>gs im bunten Treiben auf <strong>de</strong>rgeschichtsträchtigen Piazza zwischentragischen russischen Arien, Sehnsuchterheischen<strong>de</strong>n <strong>in</strong>dianischen Heimatgesängenund <strong>de</strong>m nicht unterzukriegen<strong>de</strong>nVivaldiquartett, welches <strong>de</strong>m klassischenEvergreen <strong>de</strong>r „Le Stagioni“ treu bleibt,ziemlich schnell unter. Dies alles ist nunbeim besten Willen nicht mehr ohneweiteres als historisch gewachsennachzuvollziehen, wenn man e<strong>in</strong>en feistenCenturio römischer Tage alsAusgangspunkt für das eigene Gegenwartsverständnisnimmt. Das Gesamtbild,welches die Piazza als Konglomerat von43historischen und lebensweltlichen <strong>E<strong>in</strong></strong>drückenvermittelt, präsentiert sich somitals e<strong>in</strong> Gemisch von Kont<strong>in</strong>uitäten undDiskont<strong>in</strong>uitäten. Das Fortschreiten <strong>de</strong>rKultur, dieser Schluss drängt sichschlechterd<strong>in</strong>gs auf, impliziert nicht immergleich kulturellen Fortschritt.<strong>E<strong>in</strong></strong>ige Fragen können e<strong>in</strong>em nur auf <strong>de</strong>nSeitenstrassen <strong>de</strong>s kulturellen hypekommen: Hätte sich Machiavelli darübergeärgert, dass e<strong>in</strong> Professor <strong>in</strong> <strong>Florenz</strong> dierhetorisch meisterhafte AmbiguitätGuicciard<strong>in</strong>is <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Urteil überSavonarola 1 mit schelmischer Freu<strong>de</strong>hermeneutisch auslotet, während er <strong>de</strong>nInhalt <strong>de</strong>s Pr<strong>in</strong>zen nur kurz paraphrasiert?Wie kam es dazu, dass <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Domkuppelstatt <strong>de</strong>s geplanten Bildzyklus Botticelliszur Div<strong>in</strong>a Commedia sich nun noch e<strong>in</strong>jüngstes Gericht (Vasari/Zuccari) barockillusionistischgen Himmel rankt? Werglaubt eigentlich daran, Karl <strong>de</strong>r Großehabe die kle<strong>in</strong>e Kirche Santi Apostoligegrün<strong>de</strong>t? Und kann man die „rossaToscana“ politisch besser verstehen, wennman weiß, dass schon Catil<strong>in</strong>a damalsse<strong>in</strong>e Truppen bei Faesulae sammelte, alser gegen das Establishment zog? Dochgera<strong>de</strong> das Abwegige kann das eigentlichInteressante se<strong>in</strong>.Auf e<strong>in</strong>en merkwürdigen Dualismus trifftman außerhalb <strong>de</strong>r städtischen Kernzone.Abseits <strong>de</strong>s ma<strong>in</strong>stream zelebrieren dieMönche von San M<strong>in</strong>iato al Monte ihreganz persönliche Fusion <strong>de</strong>rmittelalterlichen Tradition mit <strong>de</strong>rglobalisierten mo<strong>de</strong>rnweltlichen Konsensrealität<strong>de</strong>r Massen mit regelmäßigvorgetragenenlate<strong>in</strong>ischen1 Opere di Francesco Guicciard<strong>in</strong>i, Vol. 1: Storiefiorent<strong>in</strong>e; Dialogo <strong>de</strong>l reggimento di Firenze;Ricordi e altri scritti, a cura di Emauella LugnaniScarano, Tor<strong>in</strong>o 1970, S. 182: Io ne sono dubio enon ci ho op<strong>in</strong>ione risoluta <strong>in</strong> parte alcuna, e miriservo, se viverò tanto, al tempo che chiarirà eltutto; ma bene conchiuggo questo, che se lui fubuono, abbiano veduto a' tempi nostri uno gran<strong>de</strong>profeta, se fu cattivo, uno uomo gran<strong>dis</strong>simo,perché, oltre alle lettere, se seppe simulare sípublicamente tanti anni una tanta cosa sanzaessere mai scoperto <strong>in</strong> una falsità, bisognaconfessare che avessi uno giudizio, uno <strong>in</strong>gegno eduna <strong>in</strong>venzione profon<strong>dis</strong>sima.

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