Medizingeschichtepokrates vorbildlich getan hatte.Ein Schüler Boerhaves war van Swieten,Leibarzt Maria Theresias und Reformatordes kaiserlichen Gesundheitswesens.Unter Josef II., einemaufgeklärten Absolutisten, wurde1784 das größte und modernsteKrankenhaus Europas eröffnet, dasAllgemeine Krankenhaus in Wien mitrund 2 000 Betten. Es wurde zumVorbild für Krankenhäuser in anderenStädten, wenn auch meist kleiner dimensioniert.Die Quantität an Krankenund Krankheitsbildern ermöglichteeine neue Qualität der Erkenntnis,indem gleichartige Krankheitengleichsam in Spezialabteilungen zusammengeführtwerden konnten. Daswiederum ermöglichte eine Spezialisierungder Ärzte und Vertiefung desWissens.Viele Namen von damals sind auchheute noch bekannt: der PathologeRokitanski, der Diagnostiker Skoda,der Dermatologe Hebra und nicht zuletztSemmelweis, der den Übertragungswegdes Kindbettfiebers erkannte.Die naturwissenschaftlicheGrundlage der Medizin -SchulmedizinWann erfolgte der Umschwung in dienaturwissenschaftlich fundierte Medizin,eine Medizin, die mehr durch eineneue Methodologie als ein neuesLehrgebäude gekennzeichnet ist?Nach Lichtenthaeler erfolgte er in derersten Hälfte des 19. Jahrhundertsund er nennt den Franzosen FrancoiseMagendie als Galionsfigur diesesUmschwungs. Bis 1800 hatte sichFaktenwissen angesammelt, aber aufeiner noch unsicheren Basis warenviele Lehrmeinungen entstanden: dieder Systematiker, Mystiker, Empiriker,Galenisten, Neophippokratiker undPhilanthropen. Doch das Nichtwissenwar immer noch größer als das Wissen,und diese Lücken wurden durchSpekulationen überbrückt.Magendie fordert nun, Physiologieund Medizin auf den Grundlagen derinzwischen etablierten NaturwissenschaftenPhysik und Chemie aufzubauen.Für ihn gelten die Gesetze derChemie auch in der Biochemie, undPathologie sei das Endprodukt derpathologischen Physiologie.Claude Bernard, Carl Ludwig und JohannesMüller brachten Ergebnisseauf dieser Grundlage, wenn sie auchbis zum Ende des 19. Jahrhundertskaum in die Spitalmedizin eindrangen.Ein Zeichen dieses Paradigmenwechselsist darin zu sehen, daß inDeutschland 1861 das Philosophikumdurch das Physikum ersetzt wurde.Nach den neuen Maßstäben Beobachtungund Experiment waren esmehr die Beobachtungen, die diezweite Hälfte des vorigen Jahrhundertsprägten.Im Jahre 1876 wies Robert Koch denMilzbrandbazillus als Erreger desMilzbrandes nach. Nach kulturellerZüchtung gelang ihm die Reinfektion.In gleicher Weise geschah das 1882mit der Tuberkulose. Für das Gros derInfektionskrankheiten fand man Erreger.Unter Robert Koch wurde das Hygieneinstitutin Berlin das Mekka derMikrobiologie. Hier arbeitete auchEmil Behring, der das Phänomen derImmunität klärte und ein Serum gegenDiphtherie entwickelte.Neben Robert Koch wirkte RudolfVirchow in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts als Pionier der naturwissenschaftlichenMedizin in Berlin. AlsPathologe erforschte er das zu jederKrankheit gehörende pathologischanatomischeSubstrat als Folge odergar Endzustand der pathologischenPhysiologie. Mit der Zellularpathologiewurde eine weitere Säule der ätiologischenKlärung von Krankheitenerrichtet.Am eindrucksvollsten präsentiertesich die neue Medizin auf operativemGebiet. Die moderne Chirurgie wurdegeboren. Zwei Voraussetzungenwaren zu ihrer Verwirklichung zu lösen:Die Infektionsbeherrschung unddie Anästhesie. Bis zur Mitte des vorigenJahrhunderts waren die Aktivitätender Chirurgie sehr begrenzt. Siebetrafen Abszeßeröffnungen bei septischenProzessen, Amputationen unddie Behandlung von Frakturen. Dochschon bei offenen Frakturen kam eshäufig zum Hospitalbrand. NachdemMikroorganismen durch Pasteurs Entdeckungenals Erreger des Wundbrandeswahrscheinlich gewordenwaren, führte Lister den antiseptischenKarbolspray ein und erreichtebei offenen Frakturen eine sichereHeilung.Karbol war nicht frei von Nebenwirkungenan Patienten und Personal.Konsequent war Bergmanns Asepsis,der alle mit offenen Wunden inBerührung gebrachten Materialienund Instrumente einer Sterilisation unterzog.In den 40er Jahren des 19. Jahrhundertswurden gleich drei Anästhetikabei operativen Eingriffen erstmals zurAnwendung gebracht: Diaethylaether,Chloroform und das schon längerbei Belustigungsveranstaltungengebrauchte Stickoxydul.Nachdem Asepsis und Narkose sichdas Vertrauen der Operateure erworbenhatten, wurde der Schritt gewagt,die großen Körperhöhlen zu erobern.In die 80er Jahre fallen die gelungenenErstoperationen an den wichtigenBauchorganen: Billroth I und II für denMagen, die Cholezystektomie durchLangenbuch, die Appendektomiedurch Mc Burney. Die Eingriffe machtennicht Halt vor Uterus, Harnblaseund Niere. Im Eifer des Gefechtesglaubten einige Chirurgen um dieJahrhundertwende im Hochgefühl derErfolge, die wichtigsten Erstoperationenseien bewältigt. Es folge nur nochKleinarbeit. Doch wie wir wissen, wardas erst ein Anfang. Hatte noch Billrothdas Herz für tabu erklärt, nahmLudwig Rehn 1896 die erste Herznahtnach einer Stichverletzung vor. Beieröffneter Brusthöhle zu operierenwar bis dato nicht möglich. Der Lungenkollapsführte zum Kreislaufschock.Erst die Unterdruckkammervon Sauerbruch ermöglichte die erstenEingriffe an Lungen und Speiseröhre(1904). Sie war aber aufwendigund umständlich und wurde balddurch das Überdruckverfahren abgelöst.So recht zur Wirkung kam diesesaber erst, als es möglich war, mitHilfe von Muskelrelaxantien auf dieEigenatmung zu verzichten und dieBeatmung grundsätzlich in Überdruckvorzunehmen. 60 Jahre alt ist diesesVerfahren, während des Krieges inden USA entwickelt und als Intubationsnarkosebekannt. Die dafür erforderlichenGeräte wurden weiterentwickelt,sind inzwischen wie einmodernes Auto computerisiert undwerden nicht nur zur Narkose, sondernauch zur Langzeitbeatmung eingesetzt,wenn die Lungenfunktionausfällt.Neue Techniken bildeten schnell einenPanoramawechsel wie die minimalinvasiveChirurgie. Aber auch die konservativenFächer werden zunehmendaktiv, die Gastroskopiker stillendie Magenblutung, Gallensteine werdenüber die erweiterte Gallengangsmündungentfernt und kleine Darmgeschwülstebei der Koloskopie. DieGrenzen zwischen konservativ undoperativ werden fließend. Deutlichsieht man das auch in der Kardiologie.Herzkranzgefäße werden aufgedehntund durch innere Spiralen offengehalten (Stents). In ähnlicher Weisegeschieht das auch bei peripheren arteriellenGefäßen.Die enormen Erfolge der modernenMedizin waren nur möglich im engenWechselspiel zwischen Medizintechnikund pharmazeutischer Industrie.Eindrucksvoll erweist sich das Wirkender Medizintechnik am Beispiel derbildgebenden Verfahren, und washier Wunderbares angeboten wird,nehmen wir viel zu selbstverständlichhin. Welche Entwicklung die 1895entdeckten X-Strahlen einmal nehmenwürden, war nicht zu ahnen. Esließen sich Knochen abbilden und mitKontrastmittel innere Organe. Abererst mit der Computer- und Magnetresonanztomographieläßt sich der lebendeOrganismus in Schichten unddreidimensional darstellen. Danebenlief eine weitere sensationelle Entwicklungab. Auf der Grundlage desEcholotverfahrens wurde die Sonographieentwickelt, die ohne Strahlenbelastungauf vielen Gebietengleichwertige Aussagen wie Röntgenund Computertomographie zu liefernvermag.Ähnlich bedeutungsvoll war der Einflußder pharmazeutischen Industrie.Blicken wir zurück, wie die Innere Medizinin der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts aussah: Man konntebessere Diagnosen stellen, therapeutischjedoch nur wenig bieten. Es gabMorphium, es gab Salizylsäure unddas Digitoxin. Als wesentlichen Beitragder Schulmedizin zum pharmazeutischenRepertoire sind das BehringscheDiphtherieserum und EhrlichsSalvarsan gegen die Syphilis anzusehen.Das änderte sich, als die Industrieeinstieg. 1922 isolierten Bantingund Best das Insulin. Die FirmaLilly übernahm die Extraktion aus denBauchspeicheldrüsen von Schweinenund Rindern auf industrieller Basis.Bald war der Diabetes behandelbar.Inzwischen wird das Insulin gentechnischhergestellt.Gegen bakterielle Infektionen hatteman das erste Mittel 1935 mit demSulfonamid Prontosil in der Hand,von Domagk entwickelt. Wirksamerwaren die Penicilline, deren Existenzvon Fleming (1928) entdeckt wurde.Die industrielle Großproduktion begannspät, erst während des Kriegesin den USA. Bis jetzt wurden zahlreicheantibiotische Stoffgruppen durchdie forschenden Pharmakonzerneentdeckt und entwickelt. Ebenso eindrucksvollist das Spektrum der Zytostatika.Eines der ersten war ein Abkömmlingdes Kampfgases Stickstofflost.Als Mitomen war es bereitsin den fünfziger Jahren im Einsatz. Inzwischensteht ein umfangreiches Repertoirezur Verfügung, leider vielenoch sehr toxisch. In der Behandlungvon Blutkrankheiten werden eindrucksvollereErgebnisse erzielt alsbei soliden Tumoren.Diente die Physiologie und pathologischePhysiologie lange der Erklärungvon Funktionsabläufen im Organismus,kommt ihr bei der Steuerung desinneren Gleichgewichts durch die Infusionstherapieeine wichtige Rollezu. Schockzustände wurden ebensobehandelbar wie die Überbrückungder enteralen Ernährung über Wochenund Monate. All das kam erstrichtig in Schwung, als die Industriedie Produktion von Infusionslösungenin den erforderlichen Mengen übernahm,die heute mit dem Gabelstaplerangefahren werden. Blicken wirauf die naturwissenschaftlich begründetePharmakologie und Pharmazeutikzurück, müssen wir erkennen, daßein respektables Repertoire erst indiesem Jahrhundert besonders seitdem 2. Weltkrieg wirksam wurde. Inder Aufzählung der medizinischenGroßtaten soll die Organtransplantationnur erwähnt werden. Durch dieDiskussion um das Transplantationsgesetzist sie noch in aller Bewußtsein.Blicken wir zurück auf dieEntwicklung der Medizin- Hippokrates (460 - 370) wendetsich ab von der Vorstellung, Krankheit26 <strong>Brandenburgisches</strong> Ärzteblatt 1/99 • 9. Jahrgang
Medizingeschichtesei Folge einer Götterstrafe oder Einwirkungmagischer Kräfte. Er vermutetdie Entstehung von Krankheiten innatürlichen Ursachen und erforschtsie.- Galen (130 - 210) entwickelt aufhippokratischer Grundlage ein Lehrgebäude,das für 1 300 Jahre dasDenken in der Medizin beherrschte.- In der Renaissance und Aufklärung(1500 - 1800) erwachten kritischesDenken und Forscherdrang. Es entwickeltensich Mathematik, Astronomie,Physik und Chemie (Newton, Kopernikus).Die Forschungsmethodikerweiterte sich, es wurde gemessenund die Dimension der Quantität indie bis dahin berücksichtigte Qualitäteinbezogen. Die Denkrichtung verlagertesich von der Finalität zur Kausalität.- Die Konzeption, die Medizin auf einenaturwissenschaftliche Basis zustellen, wird zu Beginn des 19. Jahrhundertsentworfen. Sie beherrscht100 Jahre später das Denken der Medizin.Naunyn (1905): Die Medizinwird (Natur-)Wissenschaft sein, odersie wird nicht sein. Sie zeitigt Erfolgein der zweiten Hälfte des Jahrhundertsin der operativen Medizin undin voller Breite im 20. Jahrhundert.Das Wissens- und Anwendungspotentialgliedert sich in immer neueFachgebiete. Derzeit sind in Deutschland41 Gebiete und 20 Schwerpunkteanerkannt. Das pharmazeutischeAngebot der Industrie, die Rote Liste,ist ein dickes, kaum noch überschaubaresLexikon.30 000 Diagnosen enthält der ICD,10 000 medizinische Fachzeitschriftenin aller Welt sind registriert und zitierfähig.Immer mehr Krankheiten werden behandelbardurch Operation, Medikationoder Bestrahlung. Dafür sind alleinin Deutschland rund 250 000Ärzte tätig, in 2 300 Krankenhäusernstehen 600 000 Betten, in denen jährlich15 Millionen Patienten behandeltwerden. 900 000 Schwestern undAngestellte sind allein in Krankenhäusernbeschäftigt. Medizintechnik undPharmaindustrie hängen von ihnenab. 9,5 % des Sozialprodukts betragendie Gesamtausgaben des Gesundheitswesensin Deutschland. DerGesundheitsmarkt ist ein wichtigerWirtschaftszweig geworden.Ist das Potential der naturwissenschaftlichfundierten Schulmedizin erschöpft?Keineswegs.- Die Molekularbiologie hat dieGenomaanalyse möglich gemacht.Die Steuerung unserer Lebensvorgängeliegt in der Genstruktur.Erbkrankheiten werdenlokalisiert. Die Gentechnikschneidet gezielt Steuersequenzenheraus und überträgt sie infremde Zellstrukturen. DieGentherapie steht vor der Tür.- Die Computerisierung hat nichtnur die Technik revolutioniert,auch in der medizinischen Forschungsind weitere Antworten zuerwarten.- Die Entwicklung in der Medizintechnikund pharmazeutischenIndustrie ist ungebrochen.Unter dem Eindruck solcher Perspektivenfällt es schwer, sich auchSchwächen einzugestehen. DochSchwächen hat die Schulmedizin,wenn man sie mit kritischen Augenbetrachtet.1. WuchtigkeitDie Komplexität des Gesundheitswesenswirkt auf den Nutzer unüberschaubarund überwältigend. Das betrifftnicht nur die Aufgliederung in 41Gebiete und 20 Schwerpunkte, dazutragen auch die gewaltigen Krankenhausbautenbei, die wie ein Labyrinthwirken.2. Arzt-Patienten-BeziehungZwischen Arzt und Patient schiebt sichdie moderne Technik. Der Befund istGesprächsgegenstand und wenigerdie seelische Not des Patienten.3. AngstverbreitungOperationen sind mit Komplikationsrisikenbehaftet. Medikamente besitzenNebenwirkungen. Über beidesmüssen die Patienten ausführlichstaufgeklärt werden, so verlangt es dasGesetz. Damit sollen sie ihr Selbstbestimmungsrechtwahrnehmen können.Es ist verwunderlich, daß nach erfolgterAufklärung, die oftmals einen Horrorkatalogerläutert, nicht mehr Patientendie Therapie ablehnen. DieseArt ist inhuman, angsterregend undkontraproduktiv. Nach der derzeitigenRechtslage jedoch nicht zu umgehen.So bleibt oft nur die Alternative,human, aber juristisch inkorrekt oderjuristisch korrekt und inhuman zuhandeln.4. BehandlungsnötigungAndererseits sieht sich der Arztgenötigt, Therapien durchzuführen,die zwar noch Restchancen bieten,insgesamt aber wenig sinnvoll sind.Seine Meinung und der mutmaßlicheWille des Patienten reichen nicht immeraus, sich im Falle der Nichtdurchführungvor dem Vorwurf der unterlassenenHilfeleistung zu schützen.Auch die Grenze der Behandlungspflichtkann inhuman sein. Das Patientenvermächtniszeugt davon.5. KompetenzbegrenzungDie naturwissenschaftlich fundierteMedizin hat ihre Stärke im Somatischen,wo materielle Prozesse ablaufen.Ihre Schwäche liegt dort, wo dieKrankheit psychisch oder im Wechselspielmit dem Körper psychosomatischbedingt ist. Immer wieder habenweitsichtige Ärzte die Ganzheitsmedizinangemahnt: Martini, Siebeck,Jores, Hoff.Streß, Lärm, Umwelt, Angst, Lebensweise,Zivilisation, Verarbeitungsstrategiensind als Einflußfaktoren aufden Organisamus nicht mit dem Zentimeter-Gramm-Systemzu erfassen.Hier liegt eine Schwäche der Schulmedizin,da die Heilkunst auf die naturwissenschaftlicheBasis reduziert istund Philosophie, Religion und Kulturnicht mehr zum Tragen kommen.Dann erscheinen Ärzte als Macher,denen der seelische Komplementäranteilfehlt, sie werden alsozum Mediziner.6. Mangelnde EffizienzEs kommen Zweifel an der Effizienzdes modernen Gesundheitswesens,das sich fast nur noch um Krankekümmert. Wie erklärt es sich, daß dieMenschen in Griechenland mit Ausgabenfür das Gesundheitswesen von5,2 % des Bruttosozialprodukts diegleiche durchschnittliche Lebenserwartungbesitzen (Frauen 79, Männer74) wie die US-Amerikaner(79:72), die 14,3 % ausgeben. DiesesGeld geht fast ausnahmslos in Diagnostikund Therapie, kaum etwas indie Prophylaxe, wobei ich nicht dieFrüherkennung meine, mit der esauch nicht weit her ist. Bringt vielleichtdas, was Hippokrates, Galen, Hufelandmit ihrer Diätetik im umfassendenSinne gelehrt haben, nämlich Lebenskunst,mehr als High-Tech-Medizin?Wir haben eine überwältigendeKrankheitslehre, es fehlt aber die Gesundheitslehre.Hier könnte die Naturheilkundeein brachliegendes Feldkultivieren.7. Globale BegrenztheitDas Gesundheitswesen der modernenIndustrieländer ist auf die Entwicklungsländernicht übertragbar. Dortkonzentrieren sich die Prioritäten aufdie Sicherung der Ernährung, Bereitstellungvon sauberem Trinkwasser,Familienplanung, Impfungen undschließlich und letztlich auch Therapievon Krankheiten.Verhältnis der Schulmedizin zurNaturheilkunde und zu alternativenVerfahrenAußer den genannten Schwächen derSchulmedizin gibt es das grundsätzlicheDefizit in der Anleitung zur gesundenLebensführung, dem Fehleneiner Gesundheitslehre. Das Wissendarum war zu allen Zeiten vorhanden,wie aus den „res non naturales“des Galen bis zur Makrobiotik Hufelandszu ersehen.Es wurde unter dem Eindruck der Erfolgeder Schulmedizin zurückgedrängtund von der medizinischenForschung vernachlässigt.In der Naturheilkundeist davon auch heutenoch vieles erhalten. An die fünf Säulender Kneippschen Therapie sei erinnert:Hydro-, Bewegungs-, Phyto-,Ernährungs- und Ordnungstherapie,eine an der Naturheilkunde orientierteHygiene.Dem Kur- und Bäderwesen könnte eineneue Perspektive gegeben werden,vor allem wenn es gelingt, das dortTrainierte in den täglichen Lebensrhythmuszu integrieren.Es besteht bei der rational ausgerichtetenSchulmedizin durchaus die Einsicht,daß ihre Grundlagen den Erlebnis-und Erkenntnishorizont begrenzen.So bedarf der Verstand der Ergänzungdurch das Gefühl, die wissenschaftlicheWertung des moralischenGegenpols, es braucht die Erkenntnisdas Bekenntnis, und es gibtdie Einsicht, daß die Heilung desMenschen noch nicht sein Heil bedeutet.In diesem Sinne kann eine alternativeWissenschaft die kartesische Wissenschafthumanisieren (Büring).Die Naturheilkunde sollte nicht längerein Stiefkind der Schulmedizin sein,sondern zu einer gleichwertig akzeptiertenLehre entwickelt werden.Anders verhält es sich mit einer Reihevon alternativen Verfahren, selbstwenn sie so verbreitet und altehrwürdigsind wie Akupunktur und Homöopathie.Sie sind mit gesicherten naturwissenschaftlichenErkenntnissennicht vereinbar, widersprechen derLogik und dem Ursache-Wirkungs-Prinzip. Heilverfahren jeglicher Artmüssen sich wissenschaftlichen Prüfungenunterziehen und ihre Wirkungunter Beweis stellen. Auch keine nochso starke Gläubigkeit an ein Heilverfahrenkann diesen Prüfnachweis ersetzen.Für die Koexistenz alternativer Verfahrenmit der Schulmedizin möchteich drei Kriterien nennen:1. Die Methode sollte sicher erkanntemWissen nicht widersprechen.2. Sie sollte, wenn schon in der Wirkungnicht nachprüfbar, so dochzumindest dem Grundsatz des„Nil nocere“ entsprechen.3. Lebensbedrohliche Krankheitsbilder,Tumorerkrankungen und organischeKrankheiten sind derBehandlung durch die Schulmedizinvorzubehalten.Die Sehnsucht der Patienten nach derheilsamen Wirkung der Natur undnach einfachen Lösungen mit ungefährlichenMitteln wird nicht aussterbenund um so begehrter sein, jekomplizierter die Schulmedizin erscheint.Literatur beim Verfasser:Dr. sc. med. J. HorntrichCarl-Thiem-Klinikum CottbusThiemstraße 11103048 Cottbus<strong>Brandenburgisches</strong> Ärzteblatt 1/99 • 9. Jahrgang27