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Die Zeitschrift für stud. iur. und junge Juristen - Iurratio

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TitelthemaBeschäftigten sichern. 66 <strong>Die</strong>ses Ziel wird nur dadurch erreicht, dassder schwerbehinderte Beschäftigte tatsächlich mehr Urlaub erhält,als der nicht behinderte Beschäftigte. 67In Anlehnung an die oben aufgeführte Rechtsprechung des EuGH<strong>und</strong> des BAG zum (Nicht-)Verfall des Urlaubsanspruch im Krankheitsfalle68 , stellt sich auch die Frage nach dem Erhalt des Zusatzurlaubsgem. § 125 Abs.1 S.1 SGB IX.In Rechtsprechung <strong>und</strong> Literatur gilt unstreitig der Gr<strong>und</strong>satz derurlaubsrechtlichen Akzessorietät, d.h. auf den Zusatzurlaub sinddie Vorschriften für den gesetzlichen Mindesturlaub anzuwenden,soweit § 125 SGB IX nichts Abweichendes regelt. 69 Gerade weil derSchwerbehindertenzusatzurlaub wie der gesetzliche Mindesturlaubdem Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong> Persönlichkeitsschutz dient, ist eine einheitlicheBehandlung von Zusatz- <strong>und</strong> Mindesturlaub geboten. 70 Darausist zu folgern, dass auch der Anspruch auf Zusatzurlaub nicht am31.03. des Folgejahres (§ 7 Abs. 3 BUrlG) erlischt. 71 So entschied auchder 9. Senat des BAG am 23.03.2010. Demzufolge sei der Schwerbehindertenzusatzurlaubaus § 125 Abs.1 S.1 SGB IX ebenso wie derMindesturlaub nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses abzugelten(§ 7 Abs.4 BUrlG), wenn der Zusatzurlaub nicht gewährt werdenkonnte, weil der Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt war. 72E. AltErSdiSKriMiNiErENdE UrlAUBSStAFFElUNGEine weitere aktuelle Entwicklung betrifft die in der tarifvertraglichenPraxis weit verbreitete Differenzierung der Höhe der Urlaubsansprüchenach dem Lebensalter der Beschäftigten. Das BAGhat eine solche Ausgestaltung in einem konkreten Fall für unwirksamerklärt. 73 <strong>Die</strong> Streitgegenständliche Regelung des § 26 Abs. 1 S.2 TVöD sah vor, dass Beschäftigten bis zur Vollendung des 30. LebensjahresAnspruch auf 26 Urlaubstage pro Kalenderjahr zusteht,während der Anspruch bis zur Vollendung des 40 Lebensjahres dann29 Arbeitstage <strong>und</strong> nach Vollendung des 40. Lebensjahres 30 Urlaubstagebetragen sollte. Eine solche Regelung sei wegen Verstoßesgegen §§ 7 Abs. 1 <strong>und</strong> Abs. 2 AGG i.V.m. § 134 BGB unwirksam.Durch die Differenzierung zwischen den Altersgruppen werden jüngereArbeitnehmer unmittelbar wegen ihres Alters benachteiligt (§ 3Abs. 1 i.V.m. § 1 AGG). Eine Rechtfertigung dieser Benachteiligunglehnte das BAG ab. § 8 AGG, der eine unterschiedliche Behandlungwegen beruflicher Anforderungen zulässt, sei schon deshalb nichteinschlägig, weil die Staffelung für alle Beschäftigten gelte die demTVöD unterfallen <strong>und</strong> nicht nach den Besonderheiten der konkretauszuübenden Tätigkeit differenziert. 74 <strong>Die</strong> speziell auf die Rechtfertigungvon Ungleichbehandlungen wegen des Alters zugeschnitte-66 Zuletzt BAG v. 24.10.2006 – 9 AZR 669/05 – juris Rn. 19 = NZA 2007, 330, 332.67 BAG v. 24.10.2006 – 9 AZR 669/05 – juris Rn. 19 = NZA 2007, 330, 332.68 Siehe unter C.69 BAG v. 23.03.2010 – 9 AZR 128/09 – juris Rn. 65 ff. = NZA 2010, 810, 816 f.; BAG v. 24.10.2006 –9 AZR 669/05 - juris Rn. 12 = NZA 2007, 330, 331; BAG v. 25.06.1996 – 9 AZR 182/95 = NZA 1996,1153 f.; BAG v. 21.02.1995 – 9 AZR 675/93 - juris Rn. 11 = NZA 1995, 746, 747; BAG v. 21.02.1995– 9 AZR 166/94 = NZA 1995, 839 f.; BAG v. 26.06.1986 – 8 AZR 75/83 - juris Rn. 13 = NZA 1987,98, 99;ErfK/Rolfs, SGB IX, § 125 Rn. 2; Faber in FKS-SGB IX, § 125 Rn. 3; Müller-Wenner in Müller-Wenner/ Winkler, SGB IX Teil 2, § 125 Rn. 7; Kohte/Beetz, jurisPR-ArbR 25/2009 Anm.1, C.2.70 Kohte/Beetz, jurisPR-ArbR 25/2009 Anm.1, C.2.; Porsche, Forum B, Beitrag 20/2009, abrufbarunter www.reha-recht.de.71 LAG Düsseldorf v. 02.02.2009 – 12 Sa 486/06 – juris Rn. 118 = NZA-RR 2009, 242, 247; Kohte/Beetz, jurisPR-ArbR 25/2009 Anm.1, C.2.; Porsche, Forum B, Beitrag 20/2009, abrufbar unterwww.reha-recht.de; Mestwerdt, jurisPR-ArbR 27/2009 Anm. 2; jurisPK-SGB IX/ Griese, § 125 Rn. 30 f.;a.A. ArbG Berlin v. 22.04.2009 – 56 Ca 21280/08 – juris Rn. 31 ff. = NZA-RR 2009, 411, 413; Subatzus, DB 2009, 510, 512; Gaul/Josten/Strau, BB 2009, 497, 498 f. mit dem Argument, dass § 125SGB IX nicht der Umsetzung der Richtlinie 2003/88/EG <strong>und</strong> auch nicht der Umsetzung sonstigenEU-Rechts diene <strong>und</strong> die EuGH Entscheidung „Schultz-Hoff “ folglich hierfür ohne Belang wäre.72 BAG v. 23.03.2010 – 9 AZR 128/09 – juris Rn. 65 ff. = NZA 2010, 810, 816 ff.73 BAG v. 20.03.2012 - 9 AZR 529/10; vgl. auch die parallele Konstellation des LAG Düsseldorfv. 18.01.2011 - 8 Sa 1274/10 zu § 15 Abs. 3 MTV Einzelhandel NRW.74 BAG v. 20.03.2012 - 9 AZR 529/10 – juris Rn. 17.ne Regelung des § 10 AGG setzt voraus, dass die Reglung ein legitimesZiel verfolgt <strong>und</strong> zu dessen Erreichung angemessen <strong>und</strong> erforderlichist. Hier wurde das Ziel des Ges<strong>und</strong>heitsschutzes älterer Arbeitnehmerdurch die Anerkennung eines gesteigerten Erholungsbedürfnisses dieserBeschäftigten angedacht. 75 Das BAG sah dieses gr<strong>und</strong>sätzlich legitimeZiel mit der zu prüfenden Regelung aber als nicht hinreichend verfolgtan. 76 Dem Ziel werde nicht entsprochen, wenn den Beschäftigten bereitsmit der Vollendung des 30. Lebensjahres drei zusätzliche Urlaubstageeingeräumt werden, wobei das gesteigerte Erholungsbedürfnis in diesemLebensalter sehr zweifelhaft ist. Wogegen mit der Vollendung des40. Lebensjahres lediglich ein zusätzlicher Urlaubstag gewährt <strong>und</strong> imAnschluss daran, bis zum Erreichen des Ruhestandsalters, keine weitereAbstufung mehr vorgenommen wird. Eine zulässige Regelung müsstewohl zu einem Zeitpunkt ansetzen, nach dem vernünftigerweise ehervon einem gesteigerten Erholungsbedürfnis ausgegangen werden kann<strong>und</strong> insbesondere für die Beschäftigten die sich der Regelaltersgrenzenähern, spürbarere Vorteile vorsehen.Bemerkenswert ist auch die gemäß § 7 Abs. 1, Abs. 2 AGG vorgeseheneRechtsfolge der Unwirksamkeit der diskriminierenden tarifvertraglichenRegelung, die hier zu einer Anpassung des Anspruchsfür alle Beschäftigten „nach oben“, also auf 30 Urlaubstage führt. Beieinem Rückgriff auf eine der anderen Stufen oder gar den gesetzlichenMindesturlaub von 20 Tagen (§§ 1, 3 BUrlG) fehle es an einerwirksamen Sanktion für die diskriminierende Regelung <strong>und</strong> an einemeffektiven Rechtsschutz gegen diese. 77F. FAZitWer als Arbeitnehmer von seinem Chef (oder von seinen Kollegen)im Urlaub gestört wird, hat im Regelfall einen Anspruch auf Nachgewährungvon so vielen ganzen Urlaubstagen, wie Urlaubstage vonder Störung betroffen waren. <strong>Die</strong>s verdeutlicht den hohen Stellenwertvon Urlaub als absolut geschützten Bereich, der von allen Beteiligten(Arbeitgeber, Arbeitnehmer <strong>und</strong> Kollegen) auch als dieserernst genommen werden sollte.Aufgr<strong>und</strong> des unionsrechtlichen Hintergr<strong>und</strong>es des Anspruchs verfälltdieser im Falle länger andauernder Arbeitsunfähigkeit zwarnicht mit dem Ende des ersten Quartals des auf das Urlaubsjahrfolgenden Kalenderjahres (§ 7 Abs. 3 S. 3 BUrlG), nach dem Verständnisdes BAG wohl aber mit dem Ende des ersten Quartals desübernächsten Jahres.Gleiches gilt für den Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschengemäß § 125 SGB IX. <strong>Die</strong>ser dient zwar nicht der Umsetzung vonArt. 7 der Arbeitszeitrichtlinie (RL 2003788/EG), dennoch ist aufgr<strong>und</strong>der urlaubsrechtlichen Akzessorietät eine einschränkendeAuslegung des § 7 Abs.3 BUrlG geboten.Staffelungen der Anspruchshöhe nach dem Lebensalter müssen sichan den Vorschriften des AGG <strong>und</strong> dem unionsrechtlichen Hintergr<strong>und</strong>dieser Regelungen messen lassen. Sollten solche Regelungen auch zukünftigfür erforderlich gehalten werden, ist es zumindest notwendigdiese sorgfältiger als bisher zu gestalten.Der unionsrechtliche Einfluss auf dieses Rechtsgebiet hat schon zahlreicheVeränderungen bewirkt <strong>und</strong> wird auch zukünftig nicht nachlassen. 7875 Zur ebenfalls abgelehnten Möglichkeit der Rechtfertigung einer ähnlichen Staffelung zurFörderung der Vereinbarkeit von Familie <strong>und</strong> Beruf, LAG Düsseldorf v. 18.01.2011 - 8 Sa 1274/10 –juris Rn. 31 ff.76 BAG v. 20.03.2012 - 9 AZR 529/10 – juris Rn. 18, 22.77 BAG v. 20.03.2012 - 9 AZR 529/10 – juris Rn. 27, 29; LAG Düsseldorf v. 18.01.2011 - 8 Sa 1274/10 –juris Rn. 44ff.78 Vgl. bspw. die anhängigen Vorabentscheidungsverfahren des LAG Berlin-Brandenburg v.16.06.2011 - 2 Sa 3/11 (anhängig unter C-317/11) <strong>und</strong> des ArbG Nienburg v. 15.06.2012 - 2 Ca 472/11(anhängig unter C-311/12) zu den Ausnahmeregelungen des Baugewerbes, vgl. § 13 Abs. 2 BUrlG.210<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 4 / 2012

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