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Die Zeitschrift für stud. iur. und junge Juristen - Iurratio

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TitelthemaDer EuGH hob in seiner Antwort den bereits in früheren Verfahrenaufgestellten Gr<strong>und</strong>satz hervor, dass der von Art. 7 RL 2003/88/EGgarantierte Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub von 4 Wochenpro Jahr ein besonders bedeutsamer Gr<strong>und</strong>satz des Sozialrechts derGemeinschaft ist, von dem nicht abgewichen werden darf. 34Gr<strong>und</strong>sätzlich handele es sich bei der Festlegung eines Übertragungszeitraumes,der zu einem Verfall des Urlaubsanspruchs führt, um eineAnwendungsmodalität, die nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften<strong>und</strong>/oder Gepflogenheiten geregelt werden kann. <strong>Die</strong>ser Gr<strong>und</strong>satzunterliege allerdings der Einschränkung, dass ein Verfall nur dann vorgesehenwerden könne, wenn der betroffene Arbeitnehmer tatsächlichdie Möglichkeit gehabt habe, den Anspruch auszuüben. <strong>Die</strong>s sei beieinem für den gesamten Übertragungszeitraum krankgeschriebenenArbeitnehmer nicht gegeben, weshalb eine nationale Regelung in einemsolchen Fall kein Erlöschen des Anspruchs vorsehen dürfe.Gleiches gelte für den in Art. 7 Abs. 2 RL 2003/88/EG vorgesehenenAnspruch auf finanzielle Abgeltung des Urlaubsanspruchs bei Beendigungdes Arbeitsverhältnisses.Nachdem das LAG Düsseldorf der Klage nun entsprechend den Vorgabendes EuGH statt gab 35 , ergab sich im Rahmen eines anderenVerfahrens auch für den 9. Senat des BAG die Gelegenheit, die geändertenVorgaben im Wege einer unionsrechtskonformen Rechtsfortbildungdes § 7 Abs. 3 BUrlG in das deutsche Recht zu transportieren.36 <strong>Die</strong> Verfallsregelung des § 7 Abs. 3 BUrlG sei teleologischdahingehend zu reduzieren, dass sie in Fällen in denen der Arbeitnehmerwegen Arbeitsunfähigkeit, die bis zum Ende des Bezugs<strong>und</strong>/oder Übertragungszeitraumes andauert, nicht anzuwenden sei.<strong>Die</strong>s widerspreche auch nicht dem Willen des nationalen Gesetzgebers,der mit der Regelung des § 7 Abs. 3 BUrlG bzw. dessen letzterÄnderung, zumindest nicht ausdrücklich auch die Fälle krankheitsbedingterArbeitsunfähigkeit erfassen wollte. 37<strong>Die</strong>se veränderte Auslegung der deutschen Rechtslage ließ erheblicheBelastungen der Arbeitgeber, durch ein unbegrenztes Ansammeln vonUrlaubsansprüchen arbeitsunfähiger Arbeitnehmer, befürchten. 38Zu unterstreichen ist dabei allerdings, dass diese Rechtsprechungsich lediglich auf den von Art. 7 Abs. 1 RL 2003/88/EG zugesichertenMindesturlaub von vier Wochen bezieht. Darüber hinausgehendeAnsprüche bspw. aus Tarif- oder Arbeitsvertrag können von anderenVoraussetzungen abhängig gemacht werden. 39 Für solche Ansprüchekönnen also kürzere Ausschlussfristen vereinbart werden. Wobei zubeachten ist, dass die Differenzierung zwischen gesetzlichem Mindesturlaub<strong>und</strong> „Zusatzurlaub“ hinreichend deutlich wird. 40 Ist diesnicht der Fall, wird von einem Gleichlauf ausgegangen, so dass imHinblick auf den gesetzlichen Mindesturlaub zu weit gehende Regelungeninsoweit unwirksam wären.<strong>Die</strong> teleologische Reduktion ist nach den Vorgaben des EuGH auchnur soweit geboten, wie der betroffene Arbeitnehmer tatsächlich nichtdie Möglichkeit hatte den Erholungsurlaub zu beanspruchen. Daherführt § 7 Abs. 3 BUrlG zum Untergang des Anspruchs, wenn die Arbeitsfähigkeitvor dem Ende des Übertragungszeitraumes wieder eintritt<strong>und</strong> der Urlaub tatsächlich hätte genommen werden können. 4134 EuGH v. 20.01.2009 - C-350/06 <strong>und</strong> C-520/06 (Schultz-Hoff) – juris Rn. 22 m.w.N.35 LAG Düsseldorf v. 02.02.2009 - 12 Sa 486/06 - NZA-RR 2009, 242.36 BAG v. 24.03.2009 - 9 AZR 983/07 - juris Rn. 46ff.37 BAG v. 24.03.2009 - 9 AZR 983/07 - juris Rn. 67.38 Was zu erheblicher Kritik an der Schultz-Hoff-Entscheidung führte, vgl. Bauer/von Medem,NZA 2012, 113 m.w.N. in Fn. 5.39 BAG v. 22.05.2012 - 9 AZR 575/10 - juris Rn. 10; BAG v. 24.03.2009 - 9 AZR 983/07 - juris Rn. 81 ff.;deshalb beschränkte sich die obige Darstellung der Rechtssache Schultz-Hoff auch auf dengesetzlichen Mindesturlaub <strong>und</strong> der (im konkreten Fall für 2004 ebenfalls verfallene) tarifvertraglicheMehrurlaub wurde außer Betracht gelassen.40 Vgl. hierzu BAG v. 22.05.2012 - 9 AZR 575/10 - juris Rn. 12 m.w.N.41 BAG v. 09.08.2011 - 9 AZR 425/10 - juris Rn. 18 ff.ii. EiNSchräNKUNG dUrch diE rEchtSSAchE KhSEin Vorlageverfahren des LAG Hamm 42 gab dem EuGH die Gelegenheit,sich erneut zu der Konstellation zu äußern: In der RechtssacheKHS ging es um die Ansprüche eines bereits seit Anfang des Jahres2002, bis zum Ende seines Arbeitsverhältnisses zum 31.08.2008,durchgehend arbeitsunfähigen Arbeitnehmers. <strong>Die</strong>ser begehrte imMärz 2009 klageweise die finanzielle Abgeltung seiner Urlaubsansprücheaus den Jahren 2006 bis 2008, wobei der Fall die Besonderheitaufwies, dass der einschlägige Tarifvertrag einen Übertragungszeitraumvon 15 Monaten vorsah, wenn der Urlaub wegen Krankheitnicht genommen werden konnte 43 .Das zunächst mit der Rechtssache befasste ArbG Dortm<strong>und</strong> hatteder Klage auf Abgeltung des gesetzlichen Urlaubsanspruchs für diebegehrten Zeiträume unter Hinweis auf die neuere Rechtsprechungdes EuGH <strong>und</strong> des BAG stattgegeben. 44 <strong>Die</strong> tarifvertragliche Verfallsregelungerfasse nicht den Anspruch auf den gesetzlichenMindesturlaub, da dieser gemäß §§ 1, 3 Abs. 1, 13 Abs. 1 BUrlGunabdingbar sei. 45Der EuGH hatte sich vor diesem Hintergr<strong>und</strong> mit der Frage zu beschäftigen,ob Art. 7 Abs. 1 RL 2003/88/EG jeglichen Verfall desAnspruchs auf Erholungsurlaub bei längerfristiger Arbeitsunfähigkeitausschließt, oder ob zur Vermeidung eines Ansammelns vonUrlaubsansprüchen über mehrere Jahre, zeitliche Grenzen gezogenwerden dürfen.Zur Beantwortung wiederholte er zunächst die in der RechtssacheSchultz-Hoff entwickelten Erwägungen, sah sich vor den konkretenUmständen des vorliegenden Falles jedoch dazu veranlasst, dieseGr<strong>und</strong>sätze zu „nuancieren“. Ein unbegrenztes Ansammeln vonUrlaubsansprüchen entspreche nicht dem Zweck des von Art. 7 RL2003/88/EG garantierten Rechts auf einen bezahlten Mindestjahresurlaub,der sowohl in einer Erholung von den arbeitsvertraglichenPflichten, als auch in der Schaffung eines Zeitraumes für Entspannung<strong>und</strong> Freizeit liege. Der Anspruch auf Erholungsurlaub verliereseine Bedeutung zwar nicht schon dadurch, dass er nicht in demlaufenden Jahr, sondern zu einem späteren Zeitpunkt genommen wird.Es sei jedoch eine gewisse zeitliche Grenze anzuerkennen, ab der derErholungszweck des Urlaubs entfalle <strong>und</strong> lediglich seine Eigenschaft alsZeitraum für Entspannung <strong>und</strong> Freizeit verbleibe. 46 Zur Konkretisierungdieser zeitlichen Grenze wurde ausgeführt, dass ein Übertragungszeitraumzu gewähren sei, der den spezifischen Umständen von Arbeitnehmern, diewährend mehrerer Bezugszeiträume in Folge arbeitsunfähig sind, gerechtwird. Es müssen Erholungszeiträume gewährleistet werden, die längerfristiggestaffelt <strong>und</strong> geplant werden können. Insgesamt müsse der Übertragungszeitraumden Bezugszeitraum daher deutlich überschreiten. 47 Auf der anderenSeite sei der Arbeitgeber vor der Gefahr der Ansammlung von zu langenAbwesenheitszeiträumen zu schützen. 48 Unter Hinweis auf Art. 9 Abs. 1 desILO-Übereinkommens Nr. 132 49 , kam der EuGH zu dem Ergebnis, dass dievorliegende tarifvertragliche Ausschlussregelung mit ihrem 15 monatigenÜbertragungszeitraum mit Art. 7 RL 2003/88/EG vereinbar ist.<strong>Die</strong> Entscheidung beseitigte die Befürchtungen eines unbegrenztenAnsammelns von Urlaubsansprüchen arbeitsunfähiger Arbeitneh-42 LAG Hamm v. 15.04.2010 - 16 Sa 1176/09.43 § 11 des Einheitlichen Manteltarifvertrags für die Metall- <strong>und</strong> Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen vom 18. Dezember 2003 (EMTV).44 ArbG Dortm<strong>und</strong> v. 20.08.2009 - 4 Ca 1334/09.45 ArbG Dortm<strong>und</strong> v. 20.08.2009 - 4 Ca 1334/09 - juris Rn. 19.46 EuGH v. 22.11.2011 – C-214/10 (KHS) - juris Rn. 28 ff.47 EuGH v. 22.11.2011 – C-214/10 (KHS) - juris Rn. 38.48 EuGH v. 22.11.2011 – C-214/10 (KHS) - juris Rn. 39.49 Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation vom 24.06.1970 über den bezahltenJahresurlaub. <strong>Die</strong> Regelung sieht vor, dass der ununterbrochene Teil des Jahresurlaubs spätestensein Jahr <strong>und</strong> der übrige Teil des Urlaubs spätestens 18 Monate nach Ablauf des Jahres, für das derUrlaubsanspruch erworben wurde, zu gewähren <strong>und</strong> zu nehmen ist.208<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 4 / 2012

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