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Die Zeitschrift für stud. iur. und junge Juristen - Iurratio

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Schwerpunktverhältnis aufgelöst hätten. Wichtig ist hierbei insbesondere, dassdie Loslösung vom Vertrag noch vor Eintritt der Insolvenzreifeerfolgen muss, da § 112 InsO ansonsten eine Kündigung in der Insolvenzhindert. Ihre Ansprüche gegen die Gesellschaft sind folglichaufzuteilen: Einerseits in die Ansprüche, die sie vor der drohendenInsolvenz gegen die Gesellschaft hatten, andererseits in die Ansprüche,die ihnen nach Insolvenzreife erwachsen sind.a) Schadensersatz aus § 823 ii BGB i. v. m. § 263 i var. i StGB durch dasweitere inanspruchnehmen der Mietsache trotz insolvenzreifeEine Täuschung durch aktives Tun ist deshalb abzulehnen, weil dermaßgebliche Zeitpunkt der des Vertragsschlusses ist. Der Vertragwurde allerdings noch vor der Insolvenzreife geschlossen, sodass zudiesem Zeitpunkt nicht getäuscht wurde.b) § 823 ii BGB i.v.m. §§263 i var. 3, 13 StGB durch die Nicht-AnmeldungIn Betracht kommt in Hinblick auf § 263 I Var. 3 StGB ein Betrugdurch Unterlassen, nämlich durch Nichtbenachrichtigung des Dauerschuldgläubigersbezüglich der drohenden Insolvenz der AG. Nachh. M. ist ein Betrug durch Unterlassen möglich. 33 Zunächst ist zu fragen,ob V durch pflichtgemäßes Tun den Schaden des G hätte abwendenkönnen, ob er zu diesem Tun von Rechts wegen verpflichtet war,vgl. § 13 StGB <strong>und</strong>, ob dieses Tun nach seinem sozialen Sinngehalteinem Täuschen durch aktives Tun entspricht. 34 <strong>Die</strong> Garantenstellungbei der Täuschung durch Unterlassen muss nicht umfassendhinsichtlich des Rechtsgutes „Vermögen“ sein. Hingegen muss denTäter eine besondere Wahrheitspflicht treffen. 35Fraglich ist somit, ob V die Pflicht trifft, den Vermieter G über diedrohende Insolvenzreife der A-AG aufzuklären. <strong>Die</strong>sbezüglich hatsich die Ansicht im Vergleich zur früheren Rechtslage geändert. <strong>Die</strong>früher h. M. ging davon aus, dass den Mieter (die Gesellschaft) ausTreu <strong>und</strong> Glauben die Pflicht treffe, seine eingetretene oder drohendeZahlungsunfähigkeit unverzüglich mitzuteilen. 36 <strong>Die</strong> neuereLehre verneint diese Herleitung aus § 242 BGB, weil sie schlichteprivatrechtliche Vertragspflichtverletzungen pönalisiere. Eine solcheAnnahme sei nur dann zu rechtfertigen, wenn zwischen Vermieter<strong>und</strong> Mieter ein besonderes Vertrauensverhältnis bestehe. 37 Es gehezu weit, jede Vertragsbeziehung als ausreichende Gr<strong>und</strong>lage füreine Garantenpflicht anzunehmen sowie aus § 242 BGB eine generelleOffenbarungspflicht ableiten zu wollen. 38 Regelmäßig sei so derMieter nicht verpflichtet, eine nach Vertragsabschluss eingetreteneZahlungsunfähigkeit anzuzeigen. Im Einzelfall müssten Besonderheitenvorliegen, die ein Verschweigen als unzulässige Überbürdungdes Orientierungs- <strong>und</strong> Aufklärungsrisikos erscheinen lassen. 39Dann sei im Einzelfall auch ein Ableiten aus Treu <strong>und</strong> Glauben möglich.40 Bei geschäftlich erfahrenen Personen sei besondere Kenntnisder üblichen Gepflogenheiten zu verlangen. 41 Im vorliegenden Fallist diese Ansicht allerdings zu modifizieren. Ist der G ausnahmsweisekein geschäftlich erfahrener Marktteilnehmer, ergibt sich eineRechtspflicht zur Aufklärung durch V bereits aus seiner privilegiertenStellung kraft überlegenen Wissens. 42 Der unerfahreneG ist besonders schutzwürdig, weil es eine im Sinne eines red-33 Vgl. BGHSt 39, 392, 398; Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf § 20, Rn. 41.34 Wessels/Hillenkamp § 13, Rn. 503 ff.35 Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf § 20, Rn. 44.36 RGSt 66, 56; 70, 47; BGHSt 6, 198.37 BGHSt 33, 246; Rengier BT/1 § 13 Rn. 29; Wessels/Hillenkamp § 13, Rn. 506.38 Wessels/Hillenkamp § 13, Rn. 506.39 Wessels/Hillenkamp § 13, Rn. 506.40 Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf § 20, Rn. 44.41 Vgl. BGH NStZ 97, 186.42 Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf § 20, Rn. 11f.lichen Geschäftsverkehrs unzulässige Überbürdung des Aufklärungsrisikosauf den unerfahrenen G darstellte, wenn G sich nichtdarauf verlassen dürfte, dass sein Vertragspartner, die A-AG, beidrohender Insolvenz ihre Dauerschuldgläubiger zumindest informiert.43 Zwar handelt es sich bei Dauerschuldverhältnisseneiner AG regelmäßig um ein Geschäft unter Kaufleuten. Dennochkann es, wie bereits dargelegt wurde, auf eine sonst gearteteVertrauensstellung des Vorstands nicht ankommen. § 15a I InsOnormiert ein Verbot, insolvenzreife Gesellschaften weiterhin aufdem Markt zu belassen. Anders als im Fall des Mieters, der seineprivate Zahlungsunfähigkeit verschweigt, geht es hierbei umdie Gesellschaft, deren Organwalter seinen Schutzpflichten gegenüberdem wirtschaftlichen Verkehr aus der InsO nicht nachkommt.Somit greift auch das Gegenargument, die Pönalisierungvertragsrechtlicher Pflichtverletzungen sei zu weitgehend, nicht.§ 15a I InsO ist keine Nebenpflicht, die sich aus dem Vertrag ergibt,sondern eine objektive Pflicht des Organwalters. Erforderlichist eine Eintragung ins Handelsregister, die somit auch demDauerschuldgläubiger positive Kenntnis verleiht. Gerade weil dasDauerschuldverhältnis zwischen der Gesellschaft <strong>und</strong> dem Vermieterdurch die Pflichten des Organwalters aus § 15a I InsO belastetist, gebieten Treu <strong>und</strong> Glauben, dass der Organwalter derGesellschaft dem Vermieter die drohende Zahlungsunfähigkeitder Gesellschaft mitteilt. Wenn der Geschäftsführer dies sogar insHandelsregister eintragen lassen muss, um potentielle Dritte zuschützen, so ist nur schwer annehmbar, nicht auch eine konkreteAufklärungspflicht hinsichtlich des G zu verlangen. V ist damitvon Rechts wegen verpflichtet, die drohende Insolvenz der A-AGdem G anzuzeigen. Ein weiteres gedankliches Problem ist in § 112InsO gelagert. Demnach kann der Dauerschuldgläubiger bei Miet<strong>und</strong>Pachtverträgern nach Eintritt der Insolvenzreife nicht mehrwegen der veränderten Liquiditätslage seines Schuldners kündigen.Fraglich ist demnach, ab welchem Zeitraum Gesellschaft oder Vorstanddie Informationspflicht gegenüber dem Dauerschuldgläubigertreffen soll. Es wäre nicht sinnvoll, von einer juristischen Person zuverlangen, alle Dauerschuldgläubiger bei jedem finanziellen Engpassüber die potenziell drohende Zahlungsunfähigkeit zu informieren.Zudem würde somit gleichzeitig die Regelung des § 112 InsO insLeere laufen, die auch dem Schutz der juristischen Person vorZerfall dient. 44 Allerdings normiert die InsO zwei verschiedeneStadien der Zahlungsunfähigkeit. Der Schuldner ist absolut zahlungsunfähig,wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichtenzu erfüllen, § 17 II InsO. Hingegen droht der Schuldnerzahlungsunfähig zu werden, wenn er voraussichtlich nicht in derLage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunktder Fälligkeit zu erfüllen, § 18 II InsO. <strong>Die</strong>s ist eine Prognoseentscheidung.Sinn des § 18 I, II InsO ist folglich, dem drohend zahlungsunfähigenSchuldner einen Antragsgr<strong>und</strong> zu geben – mithineinen Anreiz, schneller als erwartet unter den „Schutz“ der InsOzu schlüpfen. Dadurch steigt einerseits die Wahrscheinlichkeit,dass der marode Schuldner durch das Insolvenzverfahren auf eineges<strong>und</strong>e, wirtschaftliche Basis zurückfindet, andererseits, dass dieInsolvenzmasse größer ist <strong>und</strong> folglich die jeweilige Quote für dieGläubiger günstiger ausfällt, als wenn der Schuldner durch weitereMisswirtschaft die Vermögenssituation weiter verschlechterthätte. <strong>Die</strong> Insolvenzantragspflicht nach § 18 Inso ist demnach einefreiwillige. <strong>Die</strong> Treuepflicht i. S. einer Wahrheitspflicht trifft dieGesellschaft <strong>und</strong> ihre vertretungsberechtigten Organe also realistischerweisenicht bei jedem vermeintlich drohenden Engpass.43 Vgl. die Rspr. zum „Unfallfahrzeug“ beim Gebrauchtwagenkauf, BayObLG NJW 94, 1078.44 MüKo-InsO-Bd. II/ Eckert, § 112, Rn. 1; Käppler/Prütting/Bork/Tintelnot § 112 InsO, Rn. 1.<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 4 / 2012247

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