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Die Zeitschrift für stud. iur. und junge Juristen - Iurratio

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FallbearbeitungFORTGESCHRITTENE IM STRAFRECHT:„TÖDLICHE LIEBESMÜHEN –PROBLEME DES STALKING“von Jan Peter Hofmann <strong>und</strong> Alexandra Speer (Würzburg)Jan Peter Hofmann, Jahrgang 1990, <strong>und</strong>Alexandra Speer, Jahrgang 1989, <strong>stud</strong>ierenRechtswissenschaft an der Julius-Maximilians-UniversitätWürzburg <strong>und</strong> sindseit 2011 als <strong>stud</strong>entische Hilfskräfte amLehrstuhl für Internationales Strafrecht beiProf. Dr. Frank Peter Schuster tätig.PrüFEN SiE diE StrAFBArKEit dES A NAch dEM StGB.löSUNGErStEr tAtKoMPlEX: dAS GESchEhEN BiS ZU BS „ANSAGE“A. StrAFBArKEit dES A GEMäß § 238 i StGBSAchvErhAltA bewohnt ein Apartment im vierten Stockwerk eines Mehrparteienhausesin Würzburg. Eines Tages bezieht die B ihre Wohnung aufgleicher Höhe im gegenüberliegenden Mehrparteienhaus. Ohne jemalsein Wort mit B gewechselt zu haben, verliebt er sich in sie. A findetjedoch nicht den Mut, mit ihr ins Gespräch zu kommen. Seineminne ren Drang folgend, stets in ihrer Nähe zu sein, beobachtet er sieheimlich täglich mit dem Fernglas von seinem Apartment aus <strong>und</strong>folgt B – ebenfalls von ihr unbemerkt – zur Ar beitsstelle, zum Einkaufen<strong>und</strong> zu ihren Freizeitaktivitäten. Nach einiger Zeit wird B vonihren befre<strong>und</strong>eten Arbeitskolleginnen auf A aufmerksam gemacht.In den Folgetagen nimmt nun auch B bewusst wahr, wie A ihr aufSchritt <strong>und</strong> Tritt folgt. Daraufhin macht B dem A unmissverständlichklar, dies zu unterlassen.Trotzdem wartet er häufig vor ihrer Arbeitsstelle auf B <strong>und</strong> lässt ihretliche Liebesbriefe sowie Rosensträuße zukommen. Dem Rat ihrerFre<strong>und</strong>innen, B bei der Polizei anzuzeigen, folgt A nicht, weil sie befürchtet,man werde sie dort nicht ernst nehmen. Gleichwohl verreistsie mit ihren Fre<strong>und</strong>innen über ein Wochenende nach Österreich,um auf andere Gedanken zu kommen. Doch auch hier findet B keineRuhe, denn bereits in der ersten Urlaubsnacht ruft A sie fünfzig Malauf ihrem Handy an, nur um direkt wieder aufzulegen. Am folgendenTag kommt A auf die Idee, Bs Abwesenheit anderweitig zu nutzen: Ausseiner wochenlangen „Überwachung“ weiß A, dass B den Ersatzschlüsselzu ihrer Wohnung unter der Fußmatte versteckt hat. Damit gelangter in Bs Wohnung. Für den Computerfreak A ist es kein Problem, völligunauffällig eine aufnahmefähige WebCam mit Mikrofon an Bs PC anzuschließen.Dabei findet er an Bs PC ein Post-It, auf dem ihre E-Mail-Adresse <strong>und</strong> das dazugehörige Passwort notiert sind. A loggt sich damitin Bs E-Mail-Account, liest ihren E-Mail-Verkehr <strong>und</strong> schreibt unter ihremNamen eine E-Mail an Bs Chef C – wobei alle Betriebsangehörigen auf CCgesetzt sind – in der er ihn wahrheitswidrig einen „schwulen Puffgänger“nennt. Wie von A beabsichtigt, kündigt daraufhin C das Arbeitsverhältnismit B. An die Möglichkeit, dass C zudem Strafanzeige gegen Berstattet, hatte A nicht im Entferntesten gedacht. Zu Hause öffnet die völligverzweifelte B eine E-Mail von A, in der er ihr intimste Details aus ihremPrivatleben vorhält, die er aus Bs E-Mail-Verkehr entnehmen konnte. Einangefügter Link führt B auf eine Homepage. Darauf hat A eine öffentlichzugängliche Filmdatei online gestellt. Zu sehen <strong>und</strong> zu hören ist B, diesexuelle Handlungen an sich selbst vornimmt <strong>und</strong> dabei Dinge vorsich hin sagt. <strong>Die</strong> von A installierte WebCam hatte es aufgenommen.Völlig schockiert <strong>und</strong> traumatisiert sieht B keinen anderen Ausweg.Sie stürzt sich aus dem vierten Stock <strong>und</strong> ist sofort tot.Indem er B mit dem Fernglas beobachtete <strong>und</strong> ihr zu Alltagsstättenfolgte, kann A wegen Nachstellung gemäß § 238 I StGB strafbar sein.i. tAtBEStANdSMäßiGKEit – oBJEKtivEr tAtBEStANdHinsichtlich der Fernglasbeobachtungen kommt § 238 I Nr. 1 StGBin Betracht. Frag lich ist, ob A die räumliche Nähe der B aufge suchthat. Aus dem Begriff des Aufsu chens ergibt sich, dass die räum licheNähe gerade durch diese Tathandlung hergestellt werden muss 1 .Unge achtet der Frage, ob man mittels Fernglasbeo bachtungen überhaupträumliche Nähe herstellen kann 2 , gilt es zu beachten, dass A<strong>und</strong> B schon vor As Fernglasbeobachtungen als Nachbarn in räumlicherNähe einander gegenüber wohnten. Damit vermochte A durchdie Fernglasbeobachtungen gerade keine räum liche Nähe zu B mehrherzustellen 3 . <strong>Die</strong> höchst umstrittene 4 Frage, ob das Opfer das Treibendes Täters bemerkt haben muss, kann damit auf sich beruhen.Zwar mögen die Fernglasbeobachtungen gr<strong>und</strong>sätzlich tauglicheTathandlungen des Auffangtatbestands des § 238 I Nr. 5 StGB darstellen.Da jedoch B von diesen Beo bachtungen keine Kenntnis hatte,sind sie schon nicht geeignet, den tatbestandlichen Erfolg einer schwerwiegendenBeeinträchtigung der Lebensgestaltung herbeizufüh ren 5 , vonder fehlenden Beharrlichkeit <strong>und</strong> Unbefugtheit einmal abgesehen.§ 238 I Nr. 1 StGB erfasst das Folgen zu Alltagsstätten wie zur Arbeitsstelle<strong>und</strong> zum Einkaufen 6 . <strong>Die</strong> Tatbestandsmäßigkeit setzt aberBeharrlichkeit <strong>und</strong> Unbefugt heit voraus. Insbesondere muss der Täterin bewusster Missachtung des entgegen stehenden Willens des Opfershandeln 7 . B hatte jedoch noch keine Kenntnis davon, dass ihr A „an denFersen klebt“. Damit hatte sie keinen entgegenstehenden Willen (artikuliert),den A bewusst missachten konnte. Auf die Frage, ob B dasVorgehen des A bemerkt haben muss 8 , kommt es nicht mehr an. Derobjektive Tatbestand des § 238 I StGB ist schon nicht erfüllt.ii. ErGEBNiSA ist nicht strafbar gemäß § 238 I StGB.1 SK-Wolters, § 238 StGB, Rn. 10; Mitsch, NJW 2007, 1237 (1238).2 Bejahend Fischer, § 238 StGB, Rn. 12; ablehnend SK-Wolters, § 238 StGB, Rn. 10.3 Vgl. SK-Wolters, § 238 StGB, Rn. 10; Mitsch, NJW 2007, 1237 (1238).4 HK-GS-Rössner/Krupna, § 238 StGB, Rn. 5 m.w.N. fordern grds. die Wahrnehmung durch dasOpfer; Buß, Der Weg zu einem deutschen Stalkingstraftatbestand, S. 233 m.w.N. lässt es genügen,wenn das Opfer nachträglich von der Nachstellungshandlung Kenntnis erlangt; nach NK-Sonnen,§ 238 StGB, Rn. 32 reicht die bloße Möglichkeit der Wahrnehmung aus; noch extensiver Fischer,§ 238 StGB, Rn. 12.5 Vgl. SK-Wolters, § 238 StGB, Rn. 14.6 BT-Drucks. 16/575, S. 7.7 BGHSt. 54, 189 (195).8 Siehe Fn. 4.<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 4 / 2012253

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