B - Deutsches Institut für Menschenrechte
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20<br />
A<br />
Ein Menschenrechtsansatz gegen Menschenhandel – Internationale Verpflichtungen und Stand der Umsetzung in Deutschland<br />
Petra Follmar-Otto<br />
hung einer Ehe entschieden. Für den Ehehandel typisch<br />
sind die Täuschung der Frauen über die Rahmenbedingungen<br />
der Heiratsmigration und der Zwang zur Aufrechterhaltung<br />
der Ehe unter untragbaren Bedingungen.<br />
Sowohl vom Ehehandel als auch von der Zwangsverheiratung<br />
abzugrenzen sind Fälle durch Verwandte<br />
oder durch Agenturen arrangierter Ehen mit Partnern in<br />
reichen Industrienationen, wenn diese Ehen den Erwartungen<br />
der Partner gerecht werden und im gegenseitigen<br />
Respekt vor der Selbstbestimmung geführt werden,<br />
auch wenn diese Ehen nicht dem heuti gen westlichen<br />
Ideal der Liebesheirat entsprechen. 28<br />
2.3 Daten und Fakten über Menschenhandel<br />
2.3.1 Das Ausmaß von Menschenhandel weltweit<br />
Aussagen über das Ausmaß von Menschenhandel<br />
scheinen nach wie vor problematisch. Einigkeit herrscht<br />
darüber, dass Kriminalitätsstatistiken, die das Hellfeld<br />
von Fällen wiedergeben, wenig aussagekräftig sind.<br />
Angaben über Schätzungen des tatsächlichen weltweiten<br />
oder regionalen Ausmaßes erfolgen häufig auf<br />
unklarer definitorischer und methodischer Grundlage.<br />
So beziehen sich einige Zahlen nur auf Menschenhandel<br />
in die Prostitution, andere auch auf den Handel in<br />
andere Sektoren. In einigen Fällen ist keine klare<br />
Abgrenzung zwischen Menschenhandel und Menschenschmuggel,<br />
also der Schleusung illegaler Migrantinnen<br />
und Migranten, erkennbar. Unterschiede können sich<br />
auch im Hinblick darauf ergeben, ob nur grenzüberschreitender<br />
oder auch interner Menschenhandel<br />
erfasst wird, oder ob ausschließlich Fälle im Kontext<br />
der internationalen organisierten Kriminalität erfasst<br />
werden. Nicht selten ist festzustellen, dass bestimmte<br />
Zahlen – oft ohne detaillierte Angaben zu Quellen –<br />
wieder und wieder zitiert werden und so zu einer<br />
eigenen Realität gelangen, ohne dass ihre empirischen<br />
Grundlagen geklärt wären. 29 Häufig zitiert werden<br />
etwa Angaben aus dem jährlichen ‚Trafficking in Persons<br />
Report’ des US-amerikanischen Außenministeriums. 30<br />
Dort ist von circa 800.000 Opfern die Rede, die jährlich<br />
weltweit grenzüberschreitend gehandelt werden, wobei<br />
keine Angaben zur Erhebungsmethode gemacht werden.<br />
Von Menschenhandel innerhalb von Staaten sind<br />
nach Schätzungen des Außenministeriums weitere<br />
Millionen Menschen betroffen. Europol geht von<br />
„Hunderttausenden“ Opfern aus, die jährlich zum Zweck<br />
der sexuellen Ausbeutung und der Arbeitsausbeutung<br />
in die Staaten der Europäischen Union gehandelt werden,<br />
und stellt in den letzten Jahren deutlich steigende<br />
Opferzahlen fest. 31 Der zweite Bericht des UN-Büros<br />
<strong>für</strong> Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC)<br />
kompiliert weltweit Daten der Strafverfolgungsbehörden<br />
zu Menschenhandel, weist jedoch darauf hin, dass aus<br />
diesen stärker auf die Aktivitäten der Strafverfolgungsbehörden<br />
geschlossen werden kann als auf die realen<br />
Zahlen von Taten und Opfern. 32<br />
Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) hat mit<br />
einer groß angelegten Studie zum Ausmaß und zu den<br />
Formen von Zwangsarbeit weltweit den Versuch unternommen,<br />
auf der Basis einer anerkannten statistischen<br />
Methode verlässliches Zahlenmaterial bereitzustellen.<br />
Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass sich in den<br />
industrialisierten Staaten derzeit 270.000 Menschen in<br />
Zwangsarbeit als Ergebnis von Menschenhandel befinden.<br />
33 Demgegenüber weist das Bundeslagebild Menschenhandel<br />
2007 <strong>für</strong> das Hellfeld in Deutschland die<br />
Zahl von 790 Opfern von Menschenhandel aus. 34 Der<br />
Handel in die Ehe wird bei keiner der genannten Statistiken<br />
explizit erfasst.<br />
So unsicher die Datenlage auch ist, scheint jedoch klar<br />
zu sein, dass sich das Ausmaß des Menschenhandels<br />
zumindest auf hohem Niveau hält und dass Menschenhandel<br />
auch ein Teilphänomen der im Zuge der Globalisierung<br />
zunehmenden weltweiten Migration ist. Menschenhandel<br />
gehört zugleich zu den lukrativsten Formen<br />
organisierter Kriminalität, da den nach wie vor geringen<br />
Risiken <strong>für</strong> die Täter und Täterinnen enorme Gewinnspannen<br />
gegenüberstehen. 35 Die ILO geht weltweit von<br />
jährlichen Gewinnen aus der Zwangsarbeit gehandelter<br />
28 Ruenkaew (2003).<br />
29 Einen Überblick über Zahlen aus verschiedenen Quellen gibt ein UNESCO-Projekt, http://www.unescobkk.org/culture/ our-projects/<br />
protection-of-endangered-and-minority-cultures/trafficking-and-hivaids-project/projects/trafficking-statistics-project/<br />
data-comparison-sheet/<br />
30 US Department of State (2008), S. 7. Der Bericht wird seit dem Trafficking Victims Protection Act von 2000 jährlich erstellt.<br />
31 Europol (2008), S. 1.<br />
32 UNODC (2009), S. 14–19.<br />
33 Internationales Arbeitsamt (2005); Belser / de Cock / Mehran (2005). Für die Schätzung wurde die statistische Methode des<br />
Doppelstichprobenverfahrens angewendet.<br />
34 Bundeskriminalamt (BKA) (2007), S. 8, 11.<br />
35 UNODC (2006), S. 68 ff.; Europol (2008), S. 6.