B - Deutsches Institut für Menschenrechte
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32<br />
A<br />
Ein Menschenrechtsansatz gegen Menschenhandel – Internationale Verpflichtungen und Stand der Umsetzung in Deutschland<br />
Petra Follmar-Otto<br />
Trotz dieser historisch und politisch begründeten Be -<br />
denken ist die Einordnung von Menschenhandel im<br />
Kontext der faktischen Sklaverei und sklavereiähnlichen<br />
Praktiken sinnvoll, auch wenn zugleich die unterschiedlichen<br />
Dimensionen, Mechanismen und historischen<br />
Kontexte deutlich gemacht werden müssen, nicht<br />
zuletzt, um eine Relativierung des historischen transatlantischen<br />
und afrikanischen Sklavenhandels zu vermeiden.<br />
Im Gegensatz zum engen klassischen Begriff<br />
der Sklaverei aus dem Übereinkommen betreffend die<br />
Sklaverei, der die Ausübung von Eigentumsrechten an<br />
Menschen voraussetzt, bezieht der weitere Begriff der<br />
faktischen Sklaverei oder der sklavereiähnlicher Einrichtungen<br />
und Praktiken auch Situationen ein, in<br />
denen Menschen faktisch, etwa durch Schuldknechtschaft,<br />
Zwangsverheiratung und andere Formen massiv<br />
in ihrem Selbstbestimmungsrecht beschränkt sind. 111<br />
Gerade <strong>für</strong> das Verständnis der Abgrenzung zwischen<br />
freiwilliger, wenn auch möglicherweise illegaler Migration<br />
oder Prostitution von Menschenhandel ist die<br />
Beschränkung oder der Ausschluss des Selbstbestimmungsrechts<br />
entscheidend. Die völkerrechtlich definierten<br />
Begriffe der Schuldknechtschaft oder Leibeigenschaft<br />
sind wichtige Anhaltspunkte <strong>für</strong> die durch den<br />
Menschenhandel ausgelöste Zwangslage, wenn auch<br />
der Begriff der Ausbeutung in der Definition des Palermo-<br />
Protokolls über diese sklavereiähnlichen Praktiken hinausgeht.<br />
Daher sind auch das Übereinkommen be treffend<br />
die Sklaverei von 1926 mit seinem Zusatzübereinkommen<br />
von 1956 112 <strong>für</strong> die Staaten beim Vorgehen gegen<br />
Menschenhandel von Bedeutung. Der Europäische<br />
Gerichtshof <strong>für</strong> <strong>Menschenrechte</strong> hat in einem Urteil<br />
von 2005 einen Fall von Menschenhandel eines Hausmädchens<br />
als Zwangsarbeit und Leibeigenschaft im<br />
Sinne von Art. 4 EMRK qualifiziert und erstmals das<br />
Bestehen positiver staatlicher Verpflichtungen aus<br />
Art. 4 festgestellt. 113<br />
Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO), die als<br />
Sonderorganisation der Vereinten Nationen <strong>für</strong> die Formulierung<br />
und Durchsetzung internationaler Arbeits-<br />
und Sozialnormen zuständig ist, hat sich in den vergangenen<br />
Jahren ebenfalls verstärkt mit Menschenhandel<br />
als einem Auslöser von Zwangsarbeit beschäftigt. Das<br />
Verbot der Zwangsarbeit gehört zu den Kernarbeitsnormen<br />
und ist in den Konventionen der Internationalen<br />
Arbeitsorganisation gegen Zwangsarbeit (Nr. 29 und<br />
Nr. 105) und Kinderarbeit (Nr. 182) festgeschrieben. Es<br />
umfasst dabei nicht nur die staatlich auferlegte Zwangsarbeit,<br />
wie sie in großem Ausmaß und extremer Form<br />
von totalitären Regimes eingesetzt wurde, so etwa die<br />
nationalsozialistische Zwangsarbeit oder Zwangsarbeit<br />
in der stalinistischen Sowjetunion. Die ILO-Defini tion<br />
umfasst alle Fälle, in denen die Arbeit unter Androhung<br />
einer Strafe verlangt wird und diese unfreiwillig verrichtet<br />
wird. 114<br />
Durch den Bezug auf das Verbot der Zwangsarbeit wird<br />
das Thema Menschenhandel im Bereich der Rechte in<br />
der Arbeit, wie sie auch in Art. 7 des UN-Sozialpakts<br />
und anderen Menschenrechtsnormen kodifiziert sind,<br />
verortet. Auch dies ist im Hinblick auf das Verständnis<br />
des Phänomens Menschenhandel hilfreich: Betroffene<br />
von Menschenhandel werden in ihren Rechten in der<br />
Arbeit, etwa auf freie Wahl des Arbeitsplatzes, gesunde<br />
und sichere Arbeitsbedingungen und angemessenen<br />
Lohn verletzt. In der Konsequenz stellt die Gewährleistung<br />
der tatsächlichen Durchsetzung der Rechte in der<br />
Arbeit auch einen Präventionsansatz gegen Menschenhandel<br />
dar. 115<br />
4.3 Fortentwicklungen des Menschenrechtsverständnisses<br />
Neben diesen spezifischen Normierungen des Menschenhandels-,<br />
Sklaverei- und Zwangsarbeitsverbots<br />
können sich Betroffene von Menschenhandel selbstverständlich<br />
auch auf allgemeine menschenrechtliche<br />
Gewährleistungen berufen, wie sie etwa in den Kernmenschenrechtsverträgen<br />
der Vereinten Nationen, 116<br />
der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)<br />
oder den nationalen Verfassungen verankert sind.<br />
Exemplarisch genannt seien hier etwa die Rechte auf<br />
persönliche Freiheit, auf Arbeit und auf körperliche<br />
Unversehrtheit, sowie das Diskriminierungsverbot. Auch<br />
111 Vgl. die Definitionen von Sklaverei in Art. 1 Abs. 1 des Antisklavereiabkommens von 1926 und von sklavereiähnlichen<br />
Praktiken und Einrichtungen in Art. 1 des Zusatzübereinkommens von 1956.<br />
112 Zusatzübereinkommen über die Abschaffung der Sklaverei, des Sklavenhandels und sklavereiähnlicher Einrichtungen oder<br />
Praktiken vom 07.09.1956.<br />
113 EGMR, Siliadan/France, Appl. No 73316/01, Urteil vom 26.07.2005, dazu näher Post (2007), S. 114 ff.<br />
114 Internationales Arbeitsamt (2005), S. 1 ff.<br />
115 Internationales Arbeitsamt (2005), S. 79 ff.<br />
116 Zu diesen zählen der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Sozialpakt), der Internationale<br />
Pakt über bürgerliche und politische Rechte (Zivilpakt), das Antirassismusübereinkommen (ICERD), das Frauenrechteübereinkommen<br />
(CEDAW), die Antifolterkonvention (CAT), die Kinderrechtskonvention, die Wanderarbeiterkonvention und die<br />
Behindertenrechtskonvention.