B - Deutsches Institut für Menschenrechte
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28<br />
A<br />
Ein Menschenrechtsansatz gegen Menschenhandel – Internationale Verpflichtungen und Stand der Umsetzung in Deutschland<br />
Petra Follmar-Otto<br />
Viele der praktischen Fortschritte beruhen darauf, dass<br />
in den zuständigen Ausländer- und Sozialbehörden die<br />
Zuständigkeiten <strong>für</strong> die Betroffenen von Menschenhandel<br />
abweichend von der normalen Geschäftsverteilung<br />
bei einzelnen, entsprechend informierten und sensibilisierten<br />
Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeitern<br />
gebündelt wurden. Durch diese weichen Regelungsformen<br />
war es möglich, auch die Vorbehalte zu überwinden,<br />
dass Verbesserungen <strong>für</strong> die betroffene Gruppe<br />
zum Präzedenzfall <strong>für</strong> die Behandlung von irregulären<br />
Migrantinnen und Migranten oder gar zum Pull-Faktor<br />
<strong>für</strong> irreguläre Migration werden könnten. Die Bedeutung<br />
der Kooperation aller relevanten staatlichen und<br />
nichtstaatlichen Akteure <strong>für</strong> die Identifizierung und<br />
menschenwürdige Behandlung von Menschenhandelsopfern<br />
ist international unterstrichen worden 83 und<br />
in die entsprechenden völkerrechtlichen Standards eingeflossen.<br />
84 Allerdings werden die Bestimmungen –<br />
angesichts praktischer Probleme, aber auch mangels<br />
bindender rechtlicher Verankerungen – in der Praxis<br />
regional unterschiedlich und häufig unzureichend<br />
umgesetzt. 85 Die Kooperationsstrukturen tragen somit<br />
zu Verbesserungen in der Praxis bei, können jedoch<br />
keine Rechtssicherheit und Rechtsklarheit <strong>für</strong> die<br />
Betroffenen schaffen. Dies kann nur durch die Etablierung<br />
von Rechtsansprüchen erreicht werden.<br />
3.3.3 Nichtstaatliches Unterstützungs-<br />
und Beratungssystem <strong>für</strong> Betroffene von<br />
Frauenhandel<br />
Für die Identifikation der Betroffenen, ihre Beratung<br />
und Unterstützung ist die Existenz eines nichtstaatlichen<br />
Unterstützungssystems von großer Bedeutung.<br />
In allen Bundesländern existieren – in Trägerschaft,<br />
Geschichte und Arbeitsfeld heterogene – nichtstaatliche<br />
Fachberatungsstellen gegen Frauenhandel. Bundesweit<br />
sind fast 40 spezialisierte nichtstaatliche Fachberatungsstellen<br />
entstanden, die Betroffene beraten, unterstützen<br />
und in Strafverfahren und bei der Wahrnehmung<br />
ihrer Rechte begleiten. 86 Die Beratungsstellen haben sich<br />
im Bundesweiten Koordinierungskreis gegen Frauenhandel<br />
und Gewalt an Frauen im Migrationsprozess<br />
(KOK) zusammengeschlossen, der neben Vernetzungs-<br />
leistungen Advocacy-Arbeit auf nationaler und internationaler<br />
Ebene betreibt. 87<br />
Wie groß die Bedeutung der Fachberatungsstellen<br />
da<strong>für</strong> ist, dass die Betroffenen ihre Rechte tatsächlich<br />
wahrnehmen können, lässt sich etwa daran ermessen,<br />
dass bei den im Jahre 2004 im BKA-Lagebild erfassten<br />
Opfern von Menschenhandel diejenigen Opfer, die von<br />
Fachberatungsstellen betreut wurden, mehr als viermal<br />
häufiger eine Duldung erhalten haben, als diejenigen,<br />
die keinen Kontakt zu einer Beratungsstelle hatten. 88<br />
Die öffentliche Finanzierung der Arbeit des KOK und<br />
der Fachberatungsstellen steht jedoch auf unsicheren<br />
Füßen. Zudem ist sie überwiegend daran gekoppelt,<br />
dass Opferzeuginnen im Strafverfahren begleitet werden,<br />
woran sich erneut die Bindung der Opferrechte an<br />
die Rolle im Strafverfahren zeigt.<br />
3.3.4 Probleme in der Identifikation<br />
Es besteht eine deutliche Diskrepanz zwischen dem<br />
geringen Hellfeld in Deutschland und den Schätzungen<br />
über das tatsächliche Ausmaß des Problems. Die Schwierigkeiten<br />
bei der Bestimmung des Dunkelfeldes unbenommen,<br />
kann man jedenfalls schlussfolgern, dass das<br />
Gros der Opfer von Menschenhandel in die sexuelle<br />
Ausbeutung in Deutschland nicht identifiziert wird. Die<br />
nicht identifizierten Opfer können ihre Rechte, etwa<br />
die Erholungs- und Bedenkzeit, sichere Unterbringung,<br />
medizinische Versorgung, Unterstützung und Beratung<br />
nicht wahrnehmen. Sofern sie keinen legalen Status in<br />
Deutschland haben, werden sie als illegale Migrantinnen<br />
und Migranten ausgewiesen und unter Umständen<br />
inhaftiert und abgeschoben, wenn sie von deutschen<br />
Behörden aufgegriffen werden. Die mangelnde Identifikation<br />
wird auch in der internationalen Debatte als<br />
die entscheidende Fragestellung in der Bekämpfung<br />
des Menschenhandels thematisiert. 89 Unzureichende<br />
Kenntnis gibt es in Deutschland bislang über Identifikationswege;<br />
es wäre auch zu untersuchen, ob die<br />
Identifikation durch Beratungsstellen und Freier erhöht<br />
werden kann. 90<br />
83 Kröger / Malkoc / Uhl (2004).<br />
84 Vgl. Art. 5 Abs. 6; Art. 12 Abs. 5, Art. 29 Europaratskonvention.<br />
85 Popova (2008).<br />
86 KOK (2009).<br />
87 http://www.kok-buero.de<br />
88 BKA (2004), S. 18.<br />
89 European Commission (2004), S. 101 ff; Kanics / Reiter / Uhl (2005), S. 53.<br />
90 Nach einer italienischen Untersuchung werden in Italien nur 13,9 Prozent der Opfer durch die Polizei identifiziert, 40 Prozent<br />
durch Beratungsstellen, lokale Behörden und Hotlines, 22 Prozent durch Freier und Bürger. Vgl. Regione Emilia-Romagna<br />
(2002), S. 88 f.