B - Deutsches Institut für Menschenrechte
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A<br />
Ein Menschenrechtsansatz gegen Menschenhandel – Internationale Verpflichtungen und Stand der Umsetzung in Deutschland<br />
Petra Follmar-Otto<br />
3.2.4 Nachfrageorientierung – insbesondere der<br />
Umgang mit Prostitution<br />
In den letzten Jahren wurde eine Perspektiverweiterung<br />
von den Motivationen der Betroffenen auf die<br />
Seite der Nachfrage, das heißt der Nutznießenden der<br />
von den Betroffenen erbrachten Leistungen in den Zielländern<br />
gefordert. 66 Dem liegt die Überlegung zugrunde,<br />
dass durch eine Verringerung der Nachfrage Menschenhandel<br />
die Grundlage entzogen werden könnte. Denkbare<br />
Konzepte der Nachfrageorientierung sind sehr<br />
vielfältig – sie reichen von Strategien hinsichtlich des<br />
informellen Arbeitsmarktes über gewerberechtliche<br />
Regulierungen, Informations- und Aufklärungskampagnen<br />
bis zu strafrechtlichen Konsequenzen <strong>für</strong> die<br />
Nutznießenden der Leistungen. Bislang sind umfassende<br />
Ansätze kaum entwickelt oder ausgewertet.<br />
Faktisch ist die Diskussion um die Nachfrageseite stark<br />
auf den Umgang mit Prostitution konzentriert. Dabei<br />
gibt es einerseits die Tendenz, die Nachfrage nach<br />
Prosti tution insgesamt einzudämmen und/oder zu kriminalisieren.<br />
Zum Teil wird argumentiert, jede Form<br />
von Prostitution sei eine Verletzung von <strong>Menschenrechte</strong>n<br />
und gleichbedeutend mit Zwangsprostitution. 67<br />
Einen solchen Ansatz verfolgt Schweden mit seiner<br />
generellen Kriminalisierung von Freiern. Die Auswirkungen<br />
dieses Ansatzes, um dessen Verankerung Schweden<br />
auch auf der europäischen und internationalen Ebene<br />
bemüht ist, auf Zwangs- und Abhängigkeitsverhältnisse<br />
von Prostituierten sind umstritten: Während die<br />
Be<strong>für</strong>worterinnen und Be<strong>für</strong>worter von einem Rückgang<br />
von Prostitution insgesamt und damit auch von<br />
Zwangsprostitution ausgehen, sprechen die Gegnerinnen<br />
und Gegner von einem Abdrängen der Prostituierten<br />
in die Unsichtbarkeit, die zu einer größeren Abhängigkeit<br />
von Dritten <strong>für</strong> die Vermittlung von Freiern und<br />
der erhöhten Gefahr von Gewalt gegen Prostituierte<br />
führten. 68 Auf der anderen Seite stehen Konzepte, die<br />
Freier in ihrem Verantwortungsbewusstsein anzusprechen<br />
und da<strong>für</strong> zu gewinnen, auf die Selbstbestimmtheit<br />
von Prostituierten zu achten. 69 Auch die Kontrolle von<br />
Prostitutionsstätten über die Instrumente des Gewerberechts<br />
wird erprobt. 70<br />
In Deutschland strebt die Regierungskoalition derzeit<br />
im Umgang mit der Nachfrage einen Mittelweg an:<br />
Einerseits soll eine Strafbarkeit <strong>für</strong> Freier von Zwangsprostituierten<br />
(nicht <strong>für</strong> Freier generell) eingeführt<br />
werden, andererseits soll über eine gewerberechtliche<br />
Konzessionierung von Bordellen eine Abgrenzung zwischen<br />
freiwilliger und erzwungener Prostitution<br />
erreicht und Zwangsprostitution stärker verfolgt werden.<br />
71 Die Koalitionsvereinbarung der Großen Koalition<br />
sah die Einführung einer Freierstrafbarkeit vor. 72 Ein<br />
entsprechender Gesetzentwurf des Bundesrates ist bis<br />
Juni 2009 im Bundestag noch nicht behandelt worden. 73<br />
Der Vorschlag der Europäischen Kommission <strong>für</strong> einen<br />
neuen Rahmenbeschluss zur Verhütung und Bekämpfung<br />
des Menschenhandels und zum Schutz von Opfern 74<br />
enthält eine Vorschrift, nach der die Mitgliedstaaten<br />
die Kriminalisierung der Inanspruchnahme von Leistungen<br />
in Kenntnis des Menschenhandels erwägen sollen<br />
(Art. 12 Abs. 3). Er enthält jedoch keine Verpflichtung<br />
zu einer solchen Kriminalisierung.<br />
Eine stärkere Sanktionierung der Arbeitgeber von<br />
Betroffenen von Arbeitsausbeutung strebt eine neue<br />
EU-Richtlinie an. Die Richtlinie über Sanktionen gegen<br />
Personen, die Drittstaatsangehörige ohne legalen Aufenthalt<br />
beschäftigen, 75 sieht eine Reihe von Maßnahmen<br />
gegen die Arbeitgeber vor. Dazu gehören unter<br />
anderem finanzielle und strafrechtliche Sanktionen,<br />
die Erleichterung der Durchsetzung von Lohnnach zahlungen<br />
durch Beweislastverschiebungen und spezielle<br />
Verfahren sowie den Ausschluss von öffentlichen Subventionen.<br />
3.2.5 Stärkung der Betroffenen<br />
Im Gegensatz zu den vor allem von staatlichen Akteuren<br />
favorisierten Ansätzen der Kriminalitätsbekämpfung<br />
und Migrationskontrolle legen Nichtregierungsorgani-<br />
66 Vgl. Art. 6 Europaratskonvention; Art. 12 Vorschlag der Europäischen Kommission <strong>für</strong> einen neuen Rahmenbeschluss zur<br />
Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz von Opfern, KOM (200) 136 endgültig.<br />
67 Vgl. den umstrittenen Bericht der UN-Sonderberichterstatterin zu Menschenhandel, Huda (2006).<br />
68 Mitrovic (2006), S. 99 ff.; US Department of State (2008), S. 29; Dottridge (2007 a), S. 17.<br />
69 Howe (2005).<br />
70 Vgl. zum ‚Dortmunder Modell’ Minzel (2006).<br />
71 BMFSFJ (2007b); 53 ff., 64 ff.<br />
72 Koalitionsvertrag 16. Legislaturperiode, VIII.2, http://www.bundesregierung.de/Content/DE/StatischeSeiten/Breg/<br />
koalitionsvertrag-8.html#doc47280bodyText1<br />
73 Bundestags-Drs. 16/1343 vom 26.04.2006: Entwurf eines Strafrechtsänderungsgestzes -Menschenhandel-.<br />
74 KOM (2009), 136 endgültig, 25.03.2009.<br />
75 Directive of the European Parliament and of the Council providing for minimum standards on sanctions and measures<br />
against employers of illegally staying third-country nationals, PE-CO_S 3612/09; Ratsbeschluss vom 25.05.2009.