Erfinderwerkstatt Halle: Helle Köpfe und ihre Einfälle
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schon erf<strong>und</strong>en <strong>und</strong> wurde seit 1953 in den USA<br />
eingesetzt – aber für die halleschen Mediziner war<br />
sie unerreichbar.<br />
Die Unzufriedenheit darüber war es schließlich, die<br />
eine gewaltige Entwicklungsleistung zur Folge hatte:<br />
Der Herzchirurg Karl-Ludwig Schober <strong>und</strong> sein Team<br />
entschieden sich, die dringend benötigte Maschine<br />
selbst zu bauen. Mit Erfolg, denn besagter Elfjähriger<br />
war der erste Patient, der in der DDR mit der<br />
eigens entwickelten Herz-Lungen-Maschine operiert<br />
wurde. Noch im selben Monat folgten acht<br />
weitere Kinder. Und alle überlebten.<br />
„Das war eine herausragende wissenschaftliche<br />
<strong>und</strong> auch praktische Leistung“, sagt Prof. Rolf-Edgar<br />
Silber, Chefarzt der Klinik für Herz- <strong>und</strong> Thoraxchirurgie.<br />
In seinem Dienstzimmer steht das Gerät von<br />
damals zu Anschauungszwecken. Man ahnt, wie<br />
schwer es für die Entwickler gewesen sein muss,<br />
allein die vielen mechanischen Bauteile zu beschaffen.<br />
Hochwertiger Stahl, hitzebeständiges Glas <strong>und</strong><br />
flexible Silikonschläuche waren in der DDR Mangelware.<br />
Unter zum Teil abenteuerlichen Umständen<br />
gelang es, all diese Materialien zu ordern oder selbst<br />
anzufertigen. So kam Schober nur über Kontakte zu<br />
Berufskollegen in München in den Besitz der dringend<br />
benötigten Silikonschläuche.<br />
Die technischen Belange waren das Eine. Schwierig<br />
war das Ganze auch, weil Schober nicht auf staatliche<br />
Unterstützung hoffen durfte. Die DDR-Führung<br />
hatte seinerzeit beschlossen, in Leipzig ein Herzzentrum<br />
zu etablieren. Damit war klar: Die <strong>Halle</strong>nser<br />
würden keine Chance auf eine importierte Herz-<br />
Lungen-Maschine haben. Stattdessen wurden zwei<br />
West-Geräte für die Leipziger Klinik angeschafft.<br />
Blieb nur die Eigeninitiative. Bestärkt wurde Schober<br />
in seinem Entschluss durch Besuche bei Be-<br />
„Dass Schober seine Entwicklung<br />
gegen alle Widerstände durchgesetzt hat,<br />
ist ein großer Verdienst, der vielen<br />
Menschen das Leben gerettet hat“<br />
rufskollegen in Ungarn, die zuvor erfolgreich eine<br />
Herz-Lungen-Maschine gebaut <strong>und</strong> eingesetzt<br />
hatten. Seit 1961 arbeitete er zusammen mit dem<br />
Biophysiker Fritz Struss <strong>und</strong> weiteren Mitarbeitern<br />
unermüdlich an der Neuentwicklung. Dabei gab<br />
es immer wieder Schwierigkeiten. Dazu gehörten<br />
auch die Unregelmäßigkeiten im DDR-Stromnetz:<br />
Sie gefährdeten die kontinuierliche Funktion des<br />
Geräts. Zwei Gleitwiderstände glichen die Netzschwankungen<br />
schließlich aus. Zur Vorbereitung der<br />
ersten Operation reiste das Team auch zweimal illegal<br />
ins damals noch nicht ummauerte West-Berlin,<br />
um sich im Klinikum der Freien Universität – wo<br />
man ebenfalls über eine Herz-Lungen-Maschine<br />
verfügte – mit Einzelheiten des Operationsablaufs<br />
vertraut zu machen.<br />
In <strong>Halle</strong> erwartete man den Tag des Ersteinsatzes<br />
der neuen Technik mit Spannung. Der Eingriff verlief<br />
völlig komplikationslos. Schober <strong>und</strong> sein Team<br />
hatten es geschafft – nur vier Wochen nachdem im<br />
Leipziger Herzzentrum eine ähnliche Operation mit<br />
einer importierten Herz-Lunge-Maschine geglückt<br />
war.<br />
Der Tag der ersten OP markierte nicht weniger als<br />
den Beginn der modernen Herzchirurgie in der DDR.<br />
R<strong>und</strong> 300 Eingriffe mit Schobers Maschine sollten<br />
folgen – pro Jahr. Und die Eingriffe wurden komplexer:<br />
Bald war es möglich, Herzklappen zu ersetzen<br />
<strong>und</strong> Bypässe zu legen.<br />
Hartnäckigkeit, Ideenreichtum, die Fähigkeit, in unkonventionellen<br />
Bahnen zu denken <strong>und</strong> auch über<br />
den Tellerrand des eigenen Fachgebiets zu schauen<br />
– auch Mut: Dies sind einige der Zutaten, die zu<br />
Neuem führen. Chefarzt Silber blickt voller Respekt<br />
auf die gewaltige Leistung von damals: „Allein der<br />
Wissenstransfer war für Schober immens schwierig.<br />
scientia halensis 2/2012 titelthema<br />
prof. dr. rolf-edgar silber<br />
Die Original-Maschine<br />
befindet sich heute in der<br />
Klinik für Herz- <strong>und</strong><br />
Thoraxchirurgie.<br />
(Foto: Universitätsarchiv)<br />
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