Wilhelmshaven in alten und neuen Bildern - Wilhelmshavener Zeitung
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Seite 10 · <strong>Wilhelmshaven</strong>er <strong>Zeitung</strong><br />
Gester n<br />
<strong>und</strong>Heute<br />
präsentiert vom<br />
21. Juli 2012<br />
NachderWohlfahrtkommtdas Kas<strong>in</strong>o<br />
Fortsetzung von Seite 9<br />
Der Bestand der Arbeiterbibliothek<br />
<strong>Wilhelmshaven</strong> wurde<br />
samt E<strong>in</strong>richtung der späteren<br />
„Bücherei der Jadestädte“ geschenkt.<br />
Der heutige Aufgabenkreis<br />
des Wohlfahrtsvere<strong>in</strong>s<br />
kann wie folgt umrissen werden.:<br />
1. Betrieb des Werftspeisehauses;<br />
2. Bewirtschaftung<br />
der Kant<strong>in</strong>en auf der Bauwerft,<br />
dem Strombauhof <strong>und</strong> dem<br />
Ausrüstungsressort der Mar<strong>in</strong>ewerft;<br />
3. Unterhaltung e<strong>in</strong>es<br />
K<strong>in</strong>dertagesheims <strong>in</strong> der Spielschule<br />
der Mar<strong>in</strong>ewerft an der<br />
Gökerstraße; 4. Unterhaltung<br />
e<strong>in</strong>er Beratungsstelle für werdende<br />
Mütter, Abhaltung von<br />
Beratungsst<strong>und</strong>en der Säugl<strong>in</strong>gsfürsorgestelle<br />
<strong>in</strong> <strong>Wilhelmshaven</strong><br />
<strong>in</strong> Bant <strong>und</strong> <strong>in</strong> Neuengroden,<br />
nebst dazugehörigem<br />
Außendienst der <strong>in</strong> der Mütterberatungsstelle<br />
tätigen Säugl<strong>in</strong>gsfürsorgeschwester;<br />
5.<br />
Fortführung des Vortragswesens;<br />
6. Förderung der Jugendpflege<br />
durch Unterstützung der<br />
Lehrl<strong>in</strong>gsvere<strong>in</strong>igung der Mar<strong>in</strong>ewerft<br />
. . .<br />
Auch für das Werftspeisehaus,<br />
für das Vortragswesen<br />
<strong>und</strong> für die Lehrl<strong>in</strong>gsvere<strong>in</strong>igung<br />
stellt die Mar<strong>in</strong>eleitung <strong>in</strong> dankenswerter<br />
Weise Geldmittel<br />
zur Verfügung. Dank besonderer<br />
Zuwendungen von dieser<br />
Stelle konnte der Wohlfahrtsvere<strong>in</strong><br />
im Sommer 1930 den<br />
langgehegten Wunsch der Lehrl<strong>in</strong>gsvere<strong>in</strong>igung<br />
der Mar<strong>in</strong>ewerft,<br />
e<strong>in</strong> eigenes Wochenendhaus<br />
zu besitzen, <strong>in</strong> die Tat umsetzen.<br />
Der Vere<strong>in</strong> kaufte dazu<br />
e<strong>in</strong> am Rande der Schwe<strong>in</strong>ebrücker<br />
Fuhrenkämpe – Landgeme<strong>in</strong>de<br />
Zetel – gelegenes, 1,2<br />
ha großes Gr<strong>und</strong>stück. Am 7.<br />
Juni wurde der Gr<strong>und</strong>ste<strong>in</strong> gelegt,<br />
<strong>und</strong> am 21. September<br />
1930 fand die E<strong>in</strong>weihungsfeier<br />
<strong>und</strong> Übergabe des schmucken,<br />
ganz <strong>in</strong> Kl<strong>in</strong>kern erbauten Heimes<br />
an die Lehrl<strong>in</strong>gsvere<strong>in</strong>igung<br />
der Mar<strong>in</strong>ewerft statt.“<br />
Unbestritten wird der Werftwohlfahrtsvere<strong>in</strong><br />
segensreich<br />
gewirkt haben. Nichtsdestoweniger<br />
wurde den Arbeitern<br />
nichts geschenkt. Lohnkämpfe<br />
<strong>und</strong> harte Ause<strong>in</strong>andersetzungen<br />
um Mitbestimmung prägten<br />
den gewerkschaftlichen Kampf,<br />
die Privathaushalte hatten ihre<br />
Not mit den Versorgungsmängeln,<br />
auch wenn sie über Lohne<strong>in</strong>künfte<br />
verfügten. Es herrschte<br />
Wohnungsnot, immense<br />
Teuerung <strong>und</strong> Arbeitslosigkeit<br />
machten den Arbeiter das Leben<br />
schwer. Hartmut Büs<strong>in</strong>g<br />
<strong>und</strong> andere haben im Band 6<br />
des Historischen Arbeitskreises<br />
des DGB <strong>Wilhelmshaven</strong>,<br />
„Der Deutsche Metallarbeiter-<br />
Verband <strong>und</strong> die Werft <strong>in</strong> Rüstr<strong>in</strong>gen<br />
<strong>und</strong> <strong>Wilhelmshaven</strong> zwischen<br />
1918 <strong>und</strong> 1933“ beschrieben,<br />
wie es den Arbeitern<br />
<strong>in</strong> den Jahren 1929 bis 1931<br />
erg<strong>in</strong>g:<br />
„Ab 1929 wurde die Krise <strong>in</strong><br />
den Jadestädten zunehmend<br />
katastrophal. Im Arbeitsamtsbezirk<strong>Wilhelmshaven</strong>-Rüstr<strong>in</strong>gen<br />
stiegen die Arbeitslosenzahlen<br />
sprunghaft von<br />
3938/1929 auf 7624/1930<br />
(Dezemberwerte). Viele Gewerkschaftsmitglieder<br />
waren<br />
arbeitslos . . .<br />
Es g<strong>in</strong>g nicht mehr um Lohn-<br />
erhöhungen, sondern nur noch<br />
um möglichst ger<strong>in</strong>ge Verdienstm<strong>in</strong>derungen,<br />
Preisstopp<br />
<strong>und</strong> Verh<strong>in</strong>derung bzw. H<strong>in</strong>auszögerung<br />
von Entlassungen.<br />
E<strong>in</strong>e große Anstrengung über<br />
mehrere Monate kostete der<br />
Versuch von Betriebsrat, Teilen<br />
der Belegschaft <strong>und</strong> Gewerkschaften,<br />
durch freiwillige Kurzarbeit<br />
ohne Lohnausgleich rd.<br />
600 Kolleg<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Kollegen<br />
vor der Entlassung zu bewahren.<br />
(Die Belegschaft von Karstadt<br />
versuchte den gleichen<br />
Weg zu gehen.) Der Arbeitgeber<br />
im Reichswehrm<strong>in</strong>isterium h<strong>in</strong>gegen<br />
honorierte diesen Akt der<br />
Solidarität überhaupt nicht, im<br />
Werftlohn-Schiedsspruch vom<br />
19.11.31 wurden die Löhne zusätzlich<br />
<strong>und</strong> erneut, diesmal<br />
um viere<strong>in</strong>halb Prozent herabgesetzt.<br />
In der Krisenzeit stellten sich<br />
Gewerkschafts- <strong>und</strong> auf der<br />
Werft Betriebsratsarbeit immer<br />
schwieriger dar. Die Arbeiterschaft<br />
war gesp<strong>alten</strong> <strong>und</strong> geschwächt,<br />
die Kolleg<strong>in</strong>nen <strong>und</strong><br />
Kollegen überall <strong>in</strong> Abwehrkämpfe<br />
verwickelt: Kurzarbeit,<br />
Arbeits- <strong>und</strong> Perspektivlosigkeit,<br />
Angst, Hunger <strong>und</strong> Not.<br />
Gleichzeitig ist massiver Abbau<br />
sozialer Sicherungen für die Bevölkerung<br />
<strong>in</strong> weiten Bereichen<br />
sichtbar: Ausfälle bei der Unfallversicherung,<br />
Herunterfahren<br />
der Krankenpflege, Streichung<br />
von Teilen der Witwen- <strong>und</strong> Waisenrenten<br />
sowie des K<strong>in</strong>desgeldes,<br />
Kürzung der Werftrente.“<br />
Das Ende der Kriegsmar<strong>in</strong>ewerft<br />
nach den Zweiten Weltkrieg<br />
bedeutete auch das Ende<br />
des Werftwohlfahrtsvere<strong>in</strong>s.<br />
Das Werftspeisehaus wurde<br />
„bürgerlich“, das „<strong>Wilhelmshaven</strong>er<br />
Bürger-Cas<strong>in</strong>o“. Christa<br />
Wilken aus der Neuender Reihe<br />
12 hat noch persönliche Er<strong>in</strong>nerungen<br />
an das Werftspeisehaus<br />
kurz nach der Kapitulation. Sie<br />
schrieb an die „<strong>Wilhelmshaven</strong>er<br />
<strong>Zeitung</strong>“:<br />
„Das Werftspeisehaus<br />
gegenüber dem historischen<br />
Werfttor 1 war wohl das e<strong>in</strong>zige<br />
bedeutende Saalgebäude, das<br />
den Krieg überstanden hat. Das<br />
Schauspielhaus (Seemannshaus<br />
an der Bismarckstraße/Ecke<br />
Heppenser Straße),<br />
Parkhaus (am Parkmittelweg),<br />
Gesellschaftshaus (an der Bismarckstraße<br />
gegenüber dem<br />
Kurpark), Friedrichshof (Peter-/<br />
Ecke Mitscherlichstraße) <strong>und</strong><br />
das K<strong>in</strong>o Deutsche Lichtspiele<br />
(Gökerstraße gegenüber Margaretenstraße)<br />
waren den Bom-<br />
ben zum Opfer gefallen. E<strong>in</strong>zig<br />
das K<strong>in</strong>o Colosseum im Westen<br />
der Stadt (Marktstraße/Ecke<br />
Werftstraße), von den K<strong>in</strong>dern<br />
Collebum genannt, war verschont<br />
geblieben. Dieses K<strong>in</strong>o<br />
hieß später Schauburg.<br />
Nach der Kapitulation 1945<br />
wurde die Stadt von englischen<br />
<strong>und</strong> polnischen Truppen besetzt.<br />
Der englische Befehlshaber<br />
war der Naval Officer <strong>in</strong><br />
Charge Capt. Conder. Dieser<br />
lud mittels <strong>Zeitung</strong> oder Flugblätter<br />
die Jugend <strong>Wilhelmshaven</strong><br />
e<strong>in</strong> <strong>in</strong> das Werftspeisehaus.<br />
Man war neugierig <strong>und</strong> so<br />
strömte die Jugend <strong>Wilhelmshaven</strong>s<br />
<strong>in</strong> das Werftspeisehaus,<br />
um zu hören, was der Engländer<br />
1958 weihte der Fabrikant Keßler im Beise<strong>in</strong> zahlreicher Ehrengäste se<strong>in</strong>e Limonade-Fabrik<br />
an der Gökerstraße e<strong>in</strong>.. FOTO: WZ.-BILDDIENST<br />
ihnen zu sagen hatte.<br />
Capt. Conder sprach <strong>in</strong> ausgezeichnetem<br />
Deutsch <strong>und</strong> fasz<strong>in</strong>ierte<br />
die jungen Leute. Nach<br />
se<strong>in</strong>er langen Rede konnte diskutiert<br />
werden.<br />
Cpt. Conder war es auch,<br />
der darauf bestand, dass die<br />
Kaiser-Wilhelm-Brücke, die man<br />
umbenennen wollte, ihren Namen<br />
behielt. Kaiser Wilhelm II<br />
war der Enkel der englischen<br />
König<strong>in</strong> Viktoria, se<strong>in</strong>e Mutter<br />
die älteste Tochter der Queen.<br />
Wilhelm II., der von Geburt an<br />
e<strong>in</strong>en verkürzten l<strong>in</strong>ken Arm hatte<br />
<strong>und</strong> viele ärztliche Behandlungen<br />
über sich ergehen lassen<br />
musste, wurde oft von der<br />
„Oma Queen“ nach England geholt,<br />
wo er e<strong>in</strong>e glücklichere Jugend<br />
verbrachte.<br />
Das Werftspeisehaus wurde<br />
später abgerissen. Warum? –<br />
Man wollte etwas Neues: Coca<br />
Cola.“