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Diskriminierung im Namen der Neutralität - Way to Allah

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Fereshta Ludin und das BundesverfassungsgerichtFereshta Ludin wurde 1972 in Afghanistan geboren, lebte dann in Saudi-Arabien und kam 1987 nach Deutschland. Sieabsolvierte in Baden-Württemberg ein Lehramtsstudium, um als Deutsch-, Englisch- und Gemeinschaftskundelehrerin anGrund- und Hauptschulen zu arbeiten. 1995 erwarb sie die deutsche Staatsbürgerschaft. Fereshta Ludin trägt seit dem Altervon 12 Jahren ein Kopftuch, eine Entscheidung, die sie nach eigenen Angaben selbst und ohne Einflussnahme ihrer Elterntraf. Schon 1997 stieß sie wegen ihres Kopftuchs auf Hin<strong>der</strong>nisse bei <strong>der</strong> Suche nach einer Stelle als Referendarin, durfteihre Ausbildung schließlich jedoch beenden. 1998 bewarb sie sich als Lehrerin um Einstellung in den Schuldienst inBaden-Württemberg, wurde jedoch abgewiesen. Das Oberschulamt Stuttgart verweigerte ihr die Einstellung, weil sie daraufbestand, während des Unterrichts ein Kopftuch zu tragen. Die Behörde befand ihr fehle die für das Amt erfor<strong>der</strong>licheEignung und sie wäre nicht geeignet und fähig, die Pflichten eines Beamten <strong>im</strong> öffentlichen Dienst in Übereinst<strong>im</strong>mung mitdem Grundgesetz zu erfüllen. Ihre Qualifikationen wurden zu keinem Zeitpunkt in Frage gestellt. Ebensowenig hatte eswährend ihres Referendariats Beschwerden von Seiten <strong>der</strong> Eltern, <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Schulleitung gegeben.Ludin klagte bei den Verwaltungsgerichten in Baden-Württemberg und ab 1998 be<strong>im</strong> Bundesverwaltungsgericht, doch sieblieb erfolglos. 2002 ersuchte sie das Bundesverfassungsgericht, die Verfassungsmäßigkeit ihres Ausschlusses vomLehramt zu prüfen.Am 24. September 2003, entschieden fünf <strong>der</strong> acht Verfassungsrichter, dass es keine hinreichend best<strong>im</strong>mteRechtsgrundlage dafür gebe, Ludin wegen des Tragens eines Kopftuchs die Arbeit als Lehrerin zu verweigern, und dass ihreAblehnung gegen die Grundrechte vers<strong>to</strong>ße.Die Karlsruher Richter urteilten, dass Verbote nur auf einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage erlassen werden dürfen.Sie befanden weiter, dass „Neutralität“ an staatlichen Schulen als „übergreifend, offen und respektierend“ verstandenwerden könne. Eine solche Neutralität lasse alle Religionen zu, erkenne die zunehmende religiöse Vielfalt an den Schulenan und könne als Möglichkeit genutzt werden, gegenseitige Toleranz zu üben und so zur Integration beizutragen. Es gebeaber auch Gründe, dem Neutralitätsbegriff eine „striktere und mehr als bisher distanzierende“ Bedeutung beizumessen. Essei nicht gleichzusetzen, ob <strong>der</strong> Staat es Lehrern erlaube aus einer persönlichen Entscheidung in religiöser Kleidung zuunterrichten, o<strong>der</strong> ob es die Anbringung religiöser Symbole in Schulen anordne (etwa das Aufhängen von Kruzifixen), so dieRichter. Wenn Lehrern <strong>der</strong> individuelle „religiöse“ Ausdruck durch ihre Kleidung gestattet werde, sei diese Aussage nichtnotwendigerweise dem Staat als seine eigene und von ihm beabsichtigt zuzurechnen. Das Urteil be<strong>to</strong>nte LudinsGrundrecht auf Glaubensfreiheit, nannte aber auch dagegen abzuwägende Grundrechte wie die Rechte <strong>der</strong> Eltern o<strong>der</strong> dienegative Glaubensfreiheit <strong>der</strong> Schüler. Ferner wies das Gericht auf die mögliche Wirking auf Schüler und die Störung desSchulfriedens hin, wenn Schüler unausweichlich mit dem religiösen Bekenntnis eines Lehrers konfrontiert würden.Diese Gefahren seien „abstrakt“ und träten nicht notwendigerweise ein, so die Richter. Die bloße Möglichkeit vonKonflikten an Schulen zwischen den konkurrierenden Rechten <strong>der</strong> Lehrer, Eltern und Schüler sei nicht ausreichend fürKlärung <strong>der</strong> Abwägung <strong>der</strong> Grundrechte. Wenn ein Bundesland bereits solch bloße Möglichkeit einer Gefährdungbeseitigen wolle, so das Fazit <strong>der</strong> Richter, müsse es das Problem <strong>im</strong> Rahmen des Schulgesetzes o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>er hinreichendbest<strong>im</strong>mter Gesetze regeln. Bei <strong>der</strong> Auflösung dieses Spannungsverhältnisses sei es möglich, dass die einzelnen Län<strong>der</strong>jeweils unterschiedliche Maßnahmen träfen, die auch schulische Traditionen, die religiöse Zusammensetzung <strong>der</strong>Bevölkerung und den Grad ihrer religiösen Verwurzelung berücksichtigten. Die Richter be<strong>to</strong>nten jedoch, dass solcheGesetze, ihre Begründung und ihre praktische Anwendung alle Religionen strikt gleich behandeln müssten.Fereshta Ludin gewann und verlor gleichzeitig. Wie zu erwarten verabschiedete Baden-Württemberg rasch einentsprechendes Gesetz für staatliche Schulen. Das Bundesverfassungsgericht verwies Ludins Fall wie<strong>der</strong> an dasBundesverwaltungsgericht, <strong>der</strong> das neue Gesetz in Baden-Württemberg aufrecht erhielt. Ludin hatte letztendlich genug vondem Druck und sah von weiteren Berufungen ab. Sie arbeitet heute in einer privaten musl<strong>im</strong>ischen Grundschule in Berlin.9 Human Rights Watch | Februar 2009

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