6 Jugendbewegte Tatgesinnung (vgl. I/3.2.2.5)
6 Jugendbewegte Tatgesinnung (vgl. I/3.2.2.5)
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"jetzt (1919/20) alte oder nachgedichtete Reiter-, Soldaten-, Landsknechtsund<br />
Seeräuberlieder [...] an die Stelle der Volkslieder des Wandervogels<br />
traten." 638<br />
Was er nicht wissen konnte: Im repräsentativen "Wandervogels Singebuch" von<br />
1915/18 (Auflage: 12 Tsd.!) finden sich unter dem Titel "Soldatenweise" kriegsbedingt<br />
70 Soldaten- bzw. Kriegsgesänge – von 500 Gesamtliedern. Aber was für<br />
‘Soldatenlieder’ sind dies? Ein guter Teil von ihnen stammt aus der Zeit der Befreiungskriege<br />
und fällt damit unter die Kategorie "Freiheitskampf". Eine weitere<br />
Lieder-Gruppe lässt sich unter die Überschrift ‘Soldatenklage’ einreihen – eigtl.<br />
Antikriegslieder, z.T. Deserteursklage, zu denen man noch die typischen Soldaten-<br />
Liebeslieder (eigentl. Abschiedslieder) zählen kann. Es bleibt noch ein geringer Rest<br />
von aktuellen hurra-patriotischen Liedtexten nach dem Muster des Lönsliedes "Heute<br />
wollen wir ein Liedlein singen [...], denn wir fahren, ja wir fahren gegen Engeland";<br />
vielmehr fällt die Zurückhaltung der Wandervögel beim ‘teutsch-tümelnden Bardengesang’<br />
ins Auge, und dies auch noch in einem Liederbuch des "Wandervogel –<br />
Vaterländischen Bundes für Jugendwandern" inmitten der Kriegshysterie der ersten<br />
Weltkriegsjahre. Im "Zupf" von 1913 finden sich ganze 4% (!) Soldatenlieder, unter<br />
ihnen wieder etliche Soldaten-Klagetexte. Damit kontrastieren auffällig die ‘schneidigen<br />
Sprüche’(siehe oben) des Herausgebers, Hans Breuer:<br />
"[...] nicht mit dem Charakter der Defensive a la Boyscout, sondern mit<br />
dem Geiste frischer Offensive, immer druff! wie der olle Blücher Anno<br />
1813." 639<br />
Bezeichnenderweise orientiert sich Breuer bei seinem patriotischen Appell am<br />
Völkerschlacht-Hurra der Befreiungskriege, die bei der alternativen Jahrhundertfeier<br />
am Hohen Meißner als Symbol der Selbstbestimmung (‘Befreiung’) bewusst gegen<br />
die wilhelminisch-militaristische Männergesellschaft in Anspruch genommen<br />
wurden.<br />
Die bündische Jugend nach dem 1. Weltkrieg, durch Revolution und Konterrevolution<br />
zweifellos auf kämpferische <strong>Tatgesinnung</strong> ausgerichtet, bevorzugte in ihren<br />
Liedern den Typ des nonkonformen Befreiungskämpfers, der gegen etablierte Machtstrukturen<br />
angeht: Bauern, Geusen, Freibeuter (Piraten) und dgl. Aber auch der feudale<br />
638 J. Reulecke, in: Trommler u.a.: Mit uns zieht die neue Zeit, Frankfurt/M. 1985, S. 212<br />
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