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Die Deutschen und ihr Drittes Reich... - Adolf-Reichwein-Verein

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eichwein forum Nr. 10 / Oktober 2007<br />

weisen die oft ,unreine� Mischung partieller Resistenz<br />

<strong>und</strong> zeitweiliger Anpassung nachweisen lässt�. 9<br />

Auffallend ist, dass Christine Hohmann die von Broszat<br />

dargelegte Dialektik von Anpassung <strong>und</strong> Widerstand nahezu<br />

außer Acht lässt <strong>und</strong> sich sehr einseitig nur mit<br />

dem Aspekt der Anpassung befasst, obwohl sie <strong>Reich</strong>weins<br />

Widerstand, den sie als späten <strong>und</strong> nicht als aktiven<br />

Widerstand sieht, ausdrücklich betont. Auch legt sie<br />

Wert auf die Feststellung, dass <strong>Reich</strong>wein kein Nazi war<br />

<strong>und</strong> nicht in die NSDAP eingetreten ist.<br />

Bei der Lektüre des insgesamt schwer lesbaren Buches<br />

gewinnt man den Eindruck, dass Christine Hohmann<br />

<strong>Reich</strong>weins Leben <strong>und</strong> Werk, ebenso wie seine Wirkung<br />

nicht in voller Gänze im Blick hat.<br />

Einzelne Quellen <strong>und</strong> Zusammenhänge werden zerpflückt<br />

<strong>und</strong> wichtige Details lässt die Buchautorin vollständig<br />

unter den Tisch fallen. Auch wenn sie <strong>ihr</strong>en Fokus<br />

auf die Zeit von 1933�1944 richtet <strong>und</strong> dabei ein<br />

sehr spezielles Erkenntnisinteresse verfolgt, wäre es<br />

durchaus erforderlich <strong>und</strong> wünschenswert, vorab über<br />

<strong>ihr</strong> eigenes <strong>Reich</strong>wein-Bild <strong>und</strong> <strong>ihr</strong>e Forschungsposition<br />

aufgeklärt zu werden.<br />

Es fällt auf, dass Christine Hohmann z. B. nicht zwischen<br />

der Generation der Zeitgenossen <strong>und</strong> Zeitzeugen<br />

<strong>Reich</strong>weins <strong>und</strong> den nachfolgenden Forschergenerationen<br />

differenziert. In einem Zusammenhang kritisiert sie<br />

die Beiträge von Hans Bohnenkamp, Wilfried Huber, Roland<br />

<strong>Reich</strong>wein, Karl-Christoph Lingelbach, Ullrich Amlung<br />

<strong>und</strong> Wolfgang Klafki, während sie den Arbeiten von<br />

Klaus Fricke, <strong>Die</strong>ter W<strong>und</strong>er <strong>und</strong> Hartmut Holzapfel einen<br />

kritischen, nicht verherrlichenden Ansatz attestiert.<br />

Hohmann übersieht, dass Roland <strong>Reich</strong>wein mit den<br />

Vorbemerkungen zu den �Bemerkungen zu einer<br />

Selbstdarstellung� seines Vaters aus dem Jahre 1933<br />

bereits 1974 auf dessen Anpassung an den Nationalsozialismus<br />

kritisch hingewiesen hat. 10<br />

Gabriele Pallat, Roland <strong>Reich</strong>wein <strong>und</strong> Lothar Kunz haben<br />

mit der erweiterten Neuausgabe des <strong>Reich</strong>wein-<br />

Briefbandes (LBD:1999) u. a. das �Prerower Protokoll�<br />

herausgegeben <strong>und</strong> kommentiert, auf das sich Christine<br />

Hohmann als Schlüsseldokument stützt. 11<br />

Im Rahmen des politischen Kurses �Politik <strong>und</strong> Erziehung�<br />

entwickelte <strong>Reich</strong>wein als Referent im Volksbil-<br />

9 Broszat, Martin <strong>und</strong> Elke Fröhlich (1987): Alltag <strong>und</strong> Widerstand.<br />

Bayern im Nationalsozialismus, München, S. 14. Zitiert<br />

nach Christine Hohmann, a.a.O., S. 10.<br />

10 <strong>Reich</strong>wein, Roland: Vorbemerkungen zu den �Bemerkungen<br />

zu einer Selbstdarstellung� vom 10.06.1933 (von <strong>Adolf</strong> <strong>Reich</strong>wein),<br />

in: Schulz, Ursula [Hrsg.] (1974): <strong>Adolf</strong> <strong>Reich</strong>wein. Ein<br />

Lebensbild in Briefen <strong>und</strong> Dokumenten, ausgewählt von Rosemarie<br />

<strong>Reich</strong>wein unter Mitwirkung von Hans Bohnenkamp,<br />

München, S. 250�252.<br />

11 Pallat, Gabriele, Roland <strong>Reich</strong>wein <strong>und</strong> Lothar Kunz [Hrsg.]<br />

(1999): <strong>Adolf</strong> <strong>Reich</strong>wein. Pädagoge <strong>und</strong> Widerstandskämpfer.<br />

Ein Lebensbild in Briefen <strong>und</strong> Dokumenten (1914�1944), Paderborn.<br />

14<br />

dungsheim Prerow an der Ostsee 1932 den Vorschlag,<br />

dass sich die Sozialisten in KPD, SPD <strong>und</strong> NSDAP zusammentun<br />

müssten, um das von von Papen <strong>und</strong> der<br />

<strong>Reich</strong>swehr gestützte Präsidialkabinett im Sinne einer<br />

antikapitalistischen Regierung abzulösen.<br />

Christine Hohmann kritisiert diesen Vorschlag als politisch<br />

naiv <strong>und</strong> begründet <strong>ihr</strong>e Bewertung des Protokolls<br />

als gr<strong>und</strong>legende politische Stellungnahme <strong>Reich</strong>weins<br />

in der Endphase der Weimarer Republik.<br />

Anstatt den o. g. Briefband als wertvolle Quelle zu würdigen,<br />

kritisiert sie lediglich Roland <strong>Reich</strong>weins Einfluss<br />

auch auf diese Veröffentlichung <strong>und</strong> moniert dessen<br />

dürftige Hinweise im Kommentar zum �Prerower Protokoll�.<br />

Nicht nachvollziehbar ist Hohmanns Kritik an der Aufnahme<br />

<strong>Adolf</strong> <strong>Reich</strong>weins in die bekannte Beck�sche<br />

Reihe �Klassiker der Pädagogik� durch Heinz-Elmar Tenorth,<br />

die sie für nicht berechtigt hält, ohne die inhaltlichen<br />

Gründe des Herausgebers zu reflektieren.<br />

<strong>Die</strong> Autorin unterschlägt geradezu die Bedeutung<br />

<strong>Reich</strong>weins in der pädagogischen Historiographie <strong>und</strong> in<br />

der erziehungswissenschaftlichen Diskussion, die weit<br />

über die spezielle <strong>Reich</strong>weinforschung hinausgeht.<br />

Erinnert sei beispielsweise an die von Wolfgang Keim<br />

schon in den Jahren 1987/1988 angestoßene Diskussion<br />

über Pädagogen <strong>und</strong> Pädagogik im Nationalsozialismus,<br />

in der mehrmals auf <strong>Adolf</strong> <strong>Reich</strong>wein als einen der<br />

wenigen Widerstandskämpfer hingewiesen wurde. <strong>Die</strong>ser<br />

habe sich nicht von den Nazis vereinnahmen lassen,<br />

wie z. B. Wilhelm Flitner oder Eduard Spranger <strong>und</strong> viele<br />

andere Pädagogen. 12<br />

Volksschullehrer in Tiefensee von 1933�1939<br />

Im 4. Kapitel <strong>ihr</strong>es Buches untersucht Christine Hohmann<br />

<strong>Reich</strong>weins Tätigkeit als Volksschullehrer an der<br />

einklassigen Dorfschule in Tiefensee unter der Überschrift<br />

�Beginn des dienstbaren Begleitens 1933�1939�.<br />

Sie verweist zunächst auf die große Bedeutung des<br />

Schwiegervaters Ludwig Pallat bei der Vermittlung der<br />

Anstellung des beurlaubten Akademie-Professors im<br />

300-Seelen-Dorf im Landkreis Niederbarnim bei Berlin.<br />

Hohmann zitiert entsprechende Stellen aus dem Tagebuch<br />

Pallats <strong>und</strong> nennt speziell einen Brief <strong>Reich</strong>weins<br />

an seine Schwiegereltern. Beide Quellen werden bislang<br />

in der <strong>Reich</strong>weinforschung nicht herangezogen. Sie belegen,<br />

dass Ludwig Pallat auf den Ministerialrat Bargheer<br />

Einfluss nahm. Zum 1. Oktober 1933 veranlasste<br />

dieser die Einstellung <strong>Reich</strong>weins als Volksschullehrer in<br />

Tiefensee mit der Maßgabe, dass <strong>Reich</strong>wein dort seine<br />

Vorstellungen zur Landschulreform weiter entwickeln<br />

<strong>und</strong> praktisch umsetzen möge.<br />

12 Keim, Wolfgang [Hrsg.] (1988): Pädagogen <strong>und</strong> Pädagogik<br />

im Nationalsozialismus. Ein unerledigtes Problem der Erziehungswissenschaft,<br />

Frankfurt am Main, S. 15ff <strong>und</strong> S. 65ff.

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