Die Deutschen und ihr Drittes Reich... - Adolf-Reichwein-Verein
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Herbsttagung 2006 in Osnabrück<br />
Hans Bohnenkamp <strong>und</strong> <strong>Adolf</strong><br />
<strong>Reich</strong>wein in der Akademischen<br />
<strong>Verein</strong>igung Marburg 66<br />
reichwein forum Nr. 10 / Oktober 2007<br />
Ullrich Amlung<br />
Erste Begegnung aus der Sicht Bohnenkamps<br />
�Das erste, was ich von ihm kennenlernte, war seine<br />
Stimme. Eines Morgens im Mai 1920 drang sie zu mir<br />
aus dem Garten herauf durchs offene Fenster in meine<br />
Studentenwohnung. Sie war nicht eigentlich wohllautend,<br />
eher herb <strong>und</strong> wie auf einem zerbrechlichen Instrument<br />
gespielt. Ich weiß auch jetzt noch nicht zu sagen,<br />
worin das Bezwingende lag, das von <strong>ihr</strong> ausging.<br />
Vielleicht war es die ruhige Freiheit des Atems, aus der<br />
sie kam, oder die offene Sicherheit, die aus <strong>ihr</strong> klang.<br />
Jedenfalls ließ sie mich aufhorchen, obwohl ich die Worte<br />
nicht verstand, die da gesprochen wurden. Und als ich<br />
später hörte, <strong>Adolf</strong> <strong>Reich</strong>wein wäre dagewesen <strong>und</strong> käme<br />
zu Mittag wieder, er wäre vom Friedberger Wandervogel<br />
<strong>und</strong> hätte vor, nach einigen Frankfurter Semestern<br />
nun in Marburg weiter zu studieren, war ich doppelt gespannt<br />
auf ihn. Denn der das sagte, sprach von ihm wie<br />
von einem Besonderen, so, wie man zu jener Zeit in der<br />
Jugendbewegung den inneren Rang, den man jemandem<br />
zuerkannte, ohne viel Worte deutlich zu machen<br />
wußte.� 67<br />
Hans Bohnenkamp, der 1949 in seinen �Gedanken an<br />
<strong>Adolf</strong> <strong>Reich</strong>wein� von dieser seiner ersten ja eigentlich<br />
mehr virtuellen Begegnung mit <strong>Adolf</strong> <strong>Reich</strong>wein 30 Jahre<br />
zuvor wie von einer �Heiligenerscheinung� kündet, war<br />
�damals�, wie er weiter schreibt, �auf Menschen solchen<br />
Schlages aus, um sie für unseren B<strong>und</strong> zu gewinnen�.<br />
�Hannes�, wie er von seinen jugendbewegten Kommili-<br />
66 Der auf der letztjährigen Herbsttagung des <strong>Reich</strong>wein-<br />
<strong>Verein</strong>s in Osnabrück gehaltene Vortrag ist um biographische<br />
Passagen gekürzt, die vom Autor im letzten Forumsheft in größerem<br />
Zusammenhang <strong>und</strong> in wesentlich erweiterter Form unter<br />
dem Titel veröffentlicht sind: Hans Bohnenkamp (1893-<br />
1977) � Biographie <strong>und</strong> Karriere eines Lehrerbildners unter unterschiedlichen<br />
zeithistorischen Konstellationen. In: <strong>Reich</strong>wein-<br />
Forum, Nr. 9/2006, S. 6-15. Ich bedanke mich ganz besonders<br />
bei Frau Ulrike Bohnenkamp für die Genehmigung zum Abdruck<br />
von bisher unveröffentlichten Fotos aus dem Nachlass <strong>ihr</strong>es<br />
Vaters. Ebenso herzlich danke ich Frau Dr. Edith Stallmann,<br />
die Materialien <strong>und</strong> Fotos zu den AV-Tagungen zwischen 1923<br />
<strong>und</strong> 1930 aus dem Nachlass <strong>ihr</strong>es 1980 verstorbenen Mannes<br />
Martin Stallmann zur Verfügung gestellt hat.<br />
67 Bohnenkamp 1949, S. 5.<br />
25<br />
tonen fre<strong>und</strong>schaftlich gerufen wurde, galt zu jener Zeit<br />
als führender Kopf der Akademischen <strong>Verein</strong>igung Marburg,<br />
einer freideutschen Hochschulgruppe, die sich eine<br />
Erneuerung des in alten, überholten Komments erstarrten<br />
Studentenlebens aus dem Geist des Wandervogels<br />
<strong>und</strong> eine in diesem Sinne gr<strong>und</strong>legende Hochschulreform<br />
zum Ziel gesetzt hatte. Bohnenkamp war bereits<br />
27 Jahre alt <strong>und</strong> stand kurz vor dem Abschluss seines<br />
Mathematik- <strong>und</strong> Physik-Studiums.<br />
�An jenem Mittag also�, so setzt der Mittfünfziger <strong>und</strong><br />
seinerzeit amtierende Direktor der �<strong>Adolf</strong>-<strong>Reich</strong>wein-<br />
Hochschule� Celle Professor Bohnenkamp - in geradezu<br />
religiöser Ergriffenheit <strong>und</strong> seinem lyrischen Temperament<br />
kräftig die Sporen gebend � seine Heldensaga fort,<br />
�kam <strong>Adolf</strong> <strong>Reich</strong>wein zu Tisch, <strong>und</strong> seines Wesens<br />
Wohlgeartetheit war offenbar. Über aufrecht-schlankem<br />
Leibe, unter rotblond-leuchtendem Haar ein junger Kopf<br />
von prachtvollem Ebenmaß, fein modelliert, mit straff<br />
gespannter Haut; die Augen hellblau zwischen zarten<br />
Lidern, die Hände schön geformt <strong>und</strong> im Sprechen<br />
knapp, aber einprägsam bewegt � ein Bild vollendeten<br />
Zusammenspiels guter Kräfte, heil <strong>und</strong> fertig. Er sprach<br />
mit lockerer Bescheidenheit, aber nichts war nur so hingesagt,<br />
alles eigen, ob empf<strong>und</strong>en oder gedacht. �<br />
Später hat dann seine Weise, sich im Gespräch oder<br />
auch im freien Vortrag zu äußern, eine lebendige Bestimmtheit<br />
<strong>und</strong> Eigenart gewonnen, die unverwechselbar<br />
im Gedächtnis haftet. Er war kein Silbenstecher <strong>und</strong> holte<br />
seine Worte <strong>und</strong> Bilder ohne Zögern aus den vielen<br />
Bereichen, die er kannte: aus den Wissenschaften, der<br />
Journalistik, aus Bauerntum, Kriegswesen, Politik <strong>und</strong><br />
Industrie, von Handwerkern, Seeleuten, Arbeitern <strong>und</strong><br />
Monteuren, aus seinem Heimatdialekt � von dem seine<br />
Sprechweise eine schöne leichte Tönung behielt � <strong>und</strong><br />
aus vielerlei Jargon. Aber gerade weil seine Sprachform<br />
ihm nie Selbstzweck war, sondern genau <strong>und</strong> geschmeidig<br />
den vollen Gedanken wiederzugeben trachtete,<br />
geriet ihm auch die Form. Sie war wie ein buntes,<br />
aber vollendet geschnittenes Kleid seines Denkens �<br />
auch dann, wenn er im vertraulichen Umgang sich einmal<br />
einer jungenhaften Wendung bediente. Mir liegt da<br />
noch immer jenes sonor gesprochene �bueno" im Ohr,<br />
daß er aus Mexiko mitgebracht hatte <strong>und</strong> so gern als<br />
Zeichen fröhlicher Zustimmung verwandte.�<br />
Das erste Gespräch an jenem Nachmittag im Mai 1920<br />
in Marburg drehte sich um das Studium, den Wandervogel<br />
<strong>und</strong> die Akademische <strong>Verein</strong>igung <strong>und</strong> das Erlebnis<br />
des Krieges, �aus dem wir ja alle gekommen waren� 68 .<br />
Bohnenkamps <strong>und</strong> <strong>Reich</strong>weins Zugehörigkeit zur<br />
Wandervogelbewegung<br />
Beide, sowohl der 1893 bei Bielefeld geborene Hans<br />
Bohnenkamp als auch der 1898 in Bad Ems zur Welt<br />
68 Bohnenkamp 1949, S. 7.