Die Deutschen und ihr Drittes Reich... - Adolf-Reichwein-Verein
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eichwein forum Nr. 10 / Oktober 2007<br />
Im Prerower Protokoll 4 wird die �Nation� als �Boden zu<br />
einer ersten Verwirklichung des Sozialismus in Europa�<br />
(LBD, S. 388 <strong>und</strong> S. 394) bezeichnet. <strong>Die</strong>ser Sozialismus<br />
könne in Deutschland nur auf �demokratischem<br />
Weg� realisiert werden; dies müsse durch �die linke sozialistische<br />
Mitte (bestimmte Kreise um die SPD)� (S.<br />
394) geschehen. <strong>Die</strong> �soziale Einheitsfront� (S. 386) aus<br />
den Sozialisten in KPD, SPD <strong>und</strong> NSDAP zu schaffen<br />
<strong>und</strong> damit den �sozialen Staat� zu verwirklichen, erschien<br />
jedenfalls 1932 nicht unrealistisch. Im Protokoll<br />
wird aufgeführt, dass sich nach den Wahlen am 20. Juli<br />
1932 �eine Gruppierung von 2/3 des deutschen Volkes<br />
um antikapitalistische Ideen� (S. 381) ergeben hätte;<br />
<strong>Reich</strong>wein verweist dabei laut Protokoll auf den sozialistischen<br />
Strasser-Flügel in der NSDAP (S. 382). Das Ziel<br />
der Einheitsfront sollte eine Lösung der sozialen Frage<br />
<strong>und</strong> die Herstellung einer �deutschen Volksgemeinschaft�<br />
sein. Mit dem Sozialismus in Deutschland wollte<br />
<strong>Reich</strong>wein die Einschränkung der Verfügungsgewalt über<br />
das Privateigentum <strong>und</strong> eine staatlich organisierte<br />
�Planwirtschaft� verbinden, so jedenfalls die allgemeine<br />
Auffassung unter den Diskussionsteilnehmern in Kassel.<br />
Als problematisch empf<strong>und</strong>en wurde auch die Behauptung<br />
Hohmanns, <strong>Reich</strong>wein plädiere für eine �Abschaffung<br />
der Weimarer Republik� <strong>und</strong> der �parlamentarischen<br />
Demokratie� überhaupt (S. 84). <strong>Reich</strong>wein hat in<br />
Prerow (lt. Protokoll) vielmehr festgestellt, dass die<br />
Weimarer Republik am Ende ist. Bezogen auf das Präsidialkabinett<br />
Franz von Papens heißt es im Protokoll:<br />
�<strong>Die</strong> heutige Regierung ist Diktatur� (S. 381). Deshalb<br />
wird eine II. Republik erforderlich, die zwei �staatliche<br />
Organe� haben soll: eine �Arbeitskammer des deutschen<br />
Volkes�, die die Wirtschaftsplanung <strong>und</strong> -lenkung übernehmen<br />
soll, <strong>und</strong> die �Volksvertretung, ungefähr entsprechend<br />
dem heutigen <strong>Reich</strong>stag�, dem allerdings<br />
�das Recht der alleinigen letzten Entscheidung über den<br />
zentralen Wirtschaftsplan genommen� (S. 392) werden<br />
soll. Es kann also nicht die Rede davon sein, dass<br />
<strong>Reich</strong>wein die parlamentarische Demokratie abschaffen<br />
wollte <strong>und</strong> dass die Volksvertretung neben der Arbeitskammer<br />
nur noch als �Korrektiv� (Hohmann, S. 84) für<br />
aus dem Volk kommende Impulse fungieren sollte. Im<br />
Protokoll wird im Übrigen von den �Untugenden des Parlamentarismus�<br />
(S. 382), nicht aber von seiner Abschaffung<br />
gesprochen.<br />
<strong>Die</strong>se Auffassung entspricht auch der von <strong>Reich</strong>wein am<br />
4. Oktober 1932 in der Diskussion auf der Leuchtenburg<br />
bei Kahla in Thüringen vertretenen Position. Er bezeichnet<br />
dort in seiner Rede �Mit oder gegen Marx zur <strong>Deutschen</strong><br />
Nation ?� (abgedruckt in: Ruppert/Wittig: Ausgewählte<br />
Pädagogische Schriften 1978, S. 86ff.; im Fol-<br />
4 <strong>Die</strong> Passagen aus dem Prerower Protokoll werden hier nach<br />
der gekürzten Fassung im �Lebensbild� (LBD, S. 381�395) zitiert,<br />
da sie in dieser Fassung eher greifbar <strong>und</strong> von der Druckqualität<br />
her besser lesbar sind.<br />
4<br />
genden abgekürzt: APS) die Parteien als �Lebensgemeinschaften<br />
von Menschen, Organismen, die benutzt<br />
werden für politische Machtkämpfe�. Der �Zusammenschluss<br />
aller Sozialisten� sei �notwendig�, äußert er, �aber<br />
darum geben wir nicht unsere Organisation auf� (ebenda,<br />
S. 93). In dieser Gegenrede gegen die Vertreter<br />
des �Tat�-Kreises <strong>und</strong> der �Schwarzen Front� wird auch<br />
deutlich, dass sich <strong>Reich</strong>wein nicht gegen den Marxismus<br />
ausspricht, sondern einen �offenen Vorstoß über<br />
Marx hinaus� machen will. Das Proletariat sei nur die<br />
�Vorhut des Sozialismus�, �nicht die Trägerschichten des<br />
Sozialismus schlechthin� (ebenda, S. 90); diese Schichten<br />
seien �alle Industriearbeiter, Bauern <strong>und</strong> Bürger� (ebenda,<br />
S. 92).<br />
Der Leuchtenburg-Vortrag <strong>Reich</strong>weins vom Oktober<br />
1932 wird von Frau Hohmann nur am Rande erwähnt,<br />
aber nicht in eine erweiterte Analyse seiner im Prerower<br />
Protokoll wiedergegebenen Positionen miteinbezogen.<br />
Es bestand Einigkeit unter den Anwesenden, dass beide<br />
Veranstaltungen gleichermaßen in eine Analyse des politischen<br />
Denkens <strong>Reich</strong>weins in der 2. Hälfte des Jahres<br />
1932 einfließen müssten, um zu einer abgewogenen<br />
Einschätzung zu kommen. Das gilt auch für die im Prerower<br />
Protokoll wiedergegebene Äußerung <strong>Reich</strong>weins,<br />
der NSDAP bei der Schaffung einer II. Republik <strong>und</strong> �zur<br />
Bewährung <strong>ihr</strong>er sozialistischen Ideen� nach �englischem<br />
Muster� eine �Gelegenheit� (S. 382) zu geben.<br />
Sollte diese Äußerung tatsächlich <strong>Reich</strong>weins Überzeugung<br />
entsprochen haben, dann hätte er die �Hitlerbewegung�<br />
<strong>und</strong> <strong>ihr</strong>en radikalen Machtwillen im Hinblick auf <strong>ihr</strong>e<br />
unmenschlichen Ziele zumindest zu diesem Zeitpunkt<br />
völlig unterschätzt. Von einigen Diskutanten wurde gefordert,<br />
bei der Bewertung der politischen Auffassung<br />
<strong>Reich</strong>weins in dieser Zeit auch die außenpolitischen Überlegungen<br />
<strong>Reich</strong>weins zu berücksichtigen, wie er sie<br />
im ersten Teil der Prerower Protokolle <strong>und</strong> in zahlreichen<br />
anderen Publikationen dargelegt hat.<br />
Als zweite Quelle zur Stützung <strong>ihr</strong>er These des �nationalen<br />
Sozialisten� zieht Hohmann einen Brief <strong>Reich</strong>weins<br />
an Elisabeth Walter heran, in dem er sich selbst als �nationaler<br />
Sozialist� charakterisiert. In diesem Brief vom<br />
18.10.1933, in dem <strong>Reich</strong>wein den �Kampfruf� der<br />
�Gruppe junger Sozalisten�: �durch Sozialismus zur Nation�<br />
erwähnt, schreibt er weiter: �Mit der Gr<strong>und</strong>idee der<br />
Nationalsozialistischen Bewegung befinde ich mich nicht<br />
im Konflikt. Ich versuche also für meine alte Idee in neuen<br />
Verhältnissen zu leben <strong>und</strong> zu wirken, brauche mich<br />
in nichts wesentlichem zu ändern <strong>und</strong> behalte mein grades<br />
ges<strong>und</strong>es Rückgrat.� (LBD, S. 376) Für Hohmann ist<br />
diese Bemerkung Beleg dafür, dass <strong>Reich</strong>wein �nicht in<br />
Konfrontation zur NS-Regime� stand <strong>und</strong> �keine prinzipielle<br />
Gegnerschaft� zum Nationalsozialismus (S. 98)<br />
hatte. Sie lehnt es daher auch ab, für die Zeit <strong>Reich</strong>weins<br />
in Tiefensee von einer �inneren Emigration�(S. 99)<br />
zu sprechen.